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Eisenkraut (Verbena officinalis).

Wolf-Dieter Storl

Das Herz

und seine

heilenden Pflanzen

Mit Fotos von Frank Brunke

AT Verlag

Inhalt

Hinweis

Die in diesem Buch wiedergegebenen Informationen sind nach bestem Wissen und Gewissen dargestellt und wurden mit größtmöglicher Sorgfalt geprüft.

Da sie den Rat einer kompetenten Fachperson nicht ersetzen, sondern lediglich ergänzen können, ist es gegebenenfalls empfehlenswert, sich an den Arzt oder Heilpraktiker Ihres Vertrauens zu wenden. Autor und Verlag übernehmen keinerlei Haftung für Schäden oder Folgen, die sich aus dem Gebrauch oder Missbrauch der hier vorgestellten Informationen ergeben.

Goldlack (Cheiranthus cheiri).

Vorwort

Die Krise der technologisierten westlichen Welt – unterschwellige Lebensangst, aufgestaute Wut, das Gefühl der Machtlosigkeit angesichts zunehmenden sozialen Unfriedens, Sorgen um sichere Arbeitsplätze, finanzieller Turbulenzen, knapper werdender Rohstoffe, immer neuer behördlicher Maßregelungen, Bevormundungen und Überwachung – all dies findet seinen Niederschlag nicht nur auf emotionaler Ebene, sondern durchdringt auch das Physisch-Somatische des Menschen. Unsicherheit, Angst und Stress rauben vielen die Lebensfreude, die – wie man einst wusste – ihren Sitz im Herzen hat. Anders gesagt: Herz-Kreislauf-Beschwerden sind nicht vorrangig ein Problem fehlgeleiteter biologischer Körperfunktionen, die es zu korrigieren gilt, sondern sie stellen im Grunde genommen ein gesellschaftlich-kulturelles Problem dar.

Koronare Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind – einmal abgesehen von iatrogenen (ärzteverursachten) Erkrankungen – der Killer Nummer eins in den modernen Industrienationen. An zweiter Stelle stehen Krebserkrankungen, an dritter Schlaganfall. Die Herzmedizin ist inzwischen zu einer kapitalintensiven Industrie geworden.

In diesem Buch stellen wir uns die Fragen: Wie wird das Herz in verschiedenen Kulturen, auch in den europäischen Frühkulturen, definiert? Was verstand man dort unter Herzkrankheiten? Welche Heilmittel gab es, wie und warum wurden sie angewendet? Dieses Buch soll kein medizinischer Ratgeber sein. Auch wenn es dafür relevante Themen streift, ist es nicht sein Anliegen, den Medizinern ins Handwerk zu pfuschen oder Ratschläge zu erteilen, welches Kraut man etwa bei Bluthochdruck, Herzrhythmusstörungen, Angina pectoris oder Herzschwäche verwenden könnte. Bücher dieser Art gibt es genug. Hier geht es vor allem um ethnomedizinische und ethnobotanische Streifzüge, in der Hoffnung, dadurch unseren Horizont in Bezug auf die »Herzproblematik« zu erweitern und zugleich etwas vom Wesen und der Kulturgeschichte der »Herzpflanzen« aufzuzeigen.

Schlüsselblume (Primula veris).

Wenn man alle Brücken hinter sich abgebrochen hat und an der Schwelle zu einem völlig neuen Leben steht, dann schickt die Seele Wahrträume oder Visionen. Einem inneren Ruf folgend, kehrte ich mit meiner Frau vor Jahren nach Deutschland zurück, in ein Land, in dem ich seit meinem elften Lebensjahr nicht mehr gelebt hatte. Fast drei Jahrzehnte Amerika lagen hinter mir, und nach zwei weiteren Jahren im Götterland Indien befand ich mich nun wieder im Land meiner Ahnen. Die Ankunft war eine sanfte Landung im weichen Moor von Ostfriesland. Wir standen praktisch vor dem Nichts, kein Einkommen war vorhanden und die Ersparnisse fast aufgebraucht. Woher sollten wir auch wissen, dass es hier im Gegensatz zu Amerika, wo wir lange gewohnt hatten, ein sogenanntes soziales Netz gab? Da waren wir nun und hatten nicht die geringste Ahnung, was das Schicksal mit uns vorhatte.

Aber die wegweisenden Träume kamen. In einem der wichtigsten dieser Träume sah ich ein modernes Haus im Bauhausstil aus Glas und Kunststoff. Es war hell beleuchtet, mit jedem elektrischen Luxus ausgestattet, und wichtige Persönlichkeiten gingen ein und aus. Dann wurde mir ein dunkles, eher primitives altes Haus im Wald gezeigt. Ein warmes Feuer knisterte dort im Herd. Ein Engel oder eine Gottheit – war es Wotan? – ließ mich wissen, dass ich die Wahl hätte, in welches Haus ich einziehen wolle; dieses würde dann unsere Zukunft werden.

Ich wählte das Haus mit der Feuerstelle. Der Herd in der Mitte der Stube – irgendwie wusste ich das – symbolisiert das Herz. Ich würde den Weg des Herzens gehen, nicht den Weg, in dem Äußerlichkeiten so wichtig sind. Im Herzen wohnt das göttliche Selbst. Wer den anderen Weg – den Weg der äußeren Welt – geht, wird unweigerlich von der Hast und Hetze, die dem weltlichen Treiben eigen ist, eingeholt. Früher oder später wird er den inneren Rhythmus verlieren. Sein eigenes Herz wird da nicht mithalten können, irgendwann wird es verhärten, schmerzen, stocken, brechen. Dann wird das Herzleiden ihn zum Umdenken zwingen.

Mit solchen Belangen des Herzens wollen wir uns in diesem Buch befassen und sehen, was für Heilkräfte die Pflanzen für unser Herz bereithalten. Denn die Pflanzen müssen es wissen, leben sie doch Tag und Nacht im Einklang mit dem kosmischen Herzen, der Sonne.

Die menschliche Mitte – eine Pumpe?

»Die Arzneikunst wurzelt im Herzen.

Ist dein Herz falsch, so ist auch dein Arztsein falsch.

Ist dein Herz gerecht, so ist auch der Arzt in dir gerecht

Paracelsus (1530)

Das Herz – so steht es in einem populärwissenschaftlichen medizinischen Wörterbuch – ist das muskulöse Zentralorgan des Blutkreislaufs; beim erwachsenen Menschen ein faustgroßer, etwa 300 Gramm schwerer Hohlkörper aus Muskelgewebe, der im Kreislauf die Funktion einer Druck- und Saugpumpe hat (Minker 1992: 124). Der kleine Hochleistungsmotor, diese »580-PS-Maschine« – so bezeichnet der Herzchirurg Prof. Dr. Waldenberger das Herz –, wirft sechzig bis achtzig Mal in der Minute das Blut aus seinen Hohl räumen aus. Das dazugehörige Kanal-, Röhren- und Röhrchensystem erstreckt sich über eine Länge von rund 100 000 Kilometern – das ist das Zweieinhalbfache des Erdumfangs. Etwa 100 000 Mal schlägt das Organ täglich; über vier Millionen Mal im Jahr und um die drei Milliarden Mal im ganzen Leben. Der Durchfluss beträgt vier bis sieben Liter pro Minute oder 7000 Liter pro Tag. Während des gesamten Lebens pumpt das Herz so viel Blut, wie in zwei oder drei Öltanker passen würde (Waldenberger 2003: 15).

Dieses beeindruckende Pumpsystem erweist sich aus heutiger Sicht als recht labil:

Es kann also mit der »kleinen Maschine« allerhand schiefgehen. Zum Glück haben wir eine regelrechte Herzindustrie, mit hochqualifizierten Gesundheitsingenieuren und -mechanikern, die dieses Pumpsystem in Gang halten können. Modernste Messverfahren, wie Elektrokardiografie (EKG), Kernspintomografie, Computertomografie (CT), Radionuclid-Angiokardiografie, und Reparaturmaßnahmen wie die Herzkatheter-Ballistografie und weitere Verfahren sorgen für eine gute Wartung und das optimale Funktionieren bei angegriffenen Körpermaschinen.

Das klingt alles schön und gut, und man hat das Gefühl, die Experten hätten alles im Griff. Und dennoch zeigen sich immer wieder »Pferdefüße«: Auch wenn sie effektiv sind, haben viele Herzmedikamente unerwünschte Nebenwirkungen. Betablocker können zum Beispiel die Blutgefäße verengen, Schlafstörungen und Impotenz hervorrufen; Antiarrhythmika können Ohrensausen, Sehstörungen, Sonnenempfindlichkeit und andere Probleme verursachen und sogar den Herzmuskel schwächen (Maxen et al. 2005: 343).

Herzschrittmacher sind zwar heute nicht mehr so anfällig auf elektromagnetische Störfelder, wie sie etwa vom Mikrowellenherd ausgehen. Trotzdem gilt bei starken elektrischen Feldern immer noch Vorsicht. Das Handy sollte eine Entfernung von mindestens 30 Zentimeter zum Schrittmacher haben, der meistens unter dem rechten Schlüsselbein implantiert ist.

Künstliche Herzklappen halten höchstens ein paar Jahre, und sie haben zur Folge, dass bei jedem Schließen etliche rote Blutkörperchen zerquetscht werden, was bei den natürlichen Herzklappen nicht der Fall ist. Wenn eine Bioprothese als Herzklappe eingesetzt wird, muss der Empfänger ständig Medikamente mit starken Nebenwirkungen schlucken; er bleibt Dauerpatient.

Bypassoperationen kosten in Europa zwischen 50 000 und 100 000 Euro. Wer es sich ausrechnet, erkennt, dass das ein Milliardengeschäft ist (Chopra 2001: 19). In Deutschland werden pro Jahr 70 000 derartige Eingriffe vorgenommen. Ein Aufwand, der in keinem Verhältnis zu den Kosten steht, denn der Bypass selbst ist bei 10 bis 15 Prozent der Patienten nach einem Jahr wieder verstopft, und Untersuchungen zeigen zudem, dass diese teuren Therapieverfahren kaum das Leben zu verlängern vermögen (Blech 2005: 179).

Trotz der Milliarden, die für die gesunde Funktion des Pump- und Röhrensystems ausgegeben werden, sind und bleiben Herz- und Kreislauf-Versagen die erste Todesursache in der modernen Welt. Sie machen in der westlichen Zivilisation rund die Hälfte der Todesfälle aus. Schon 1996 sprach die Ärztezeitung von schätzungsweise einer Million Herzanfälle pro Jahr allein in der Bundesrepublik Deutschland, 200 000 der Betroffenen starben dabei. In den USA starben 1997 fast eine Million Menschen an Herz- und Gefäßkrankheiten (Schmertzing 2002: 72). Und rund 600 000 Bundesbürger erkranken jährlich neu an schweren Durchblutungsstörungen der Herzkranzgefäße (Geesing 2003: 14).

Herzmittel bei den Naturvölkern

Das war nicht immer so, weder bei unseren Vorfahren noch bei den Naturvölkern. Dort kannte man kaum koronare Herzerkrankungen. Selbstverständlich konnte das Herz bei drohender Gefahr wild pochen, bei Leid und Kummer schmerzen, vor Schreck stillstehen oder gar »brechen«. Es konnte auch gestohlen, verzaubert oder verhext werden. Aber Herzkrankheiten, wie wir sie heute kennen, gab es eigentlich nicht. Wenn Ethnomediziner die Heilmittelschätze, die Pharmakopöen, der Eingeborenenvölker durchstöbern, finden sie nicht viel in Bezug auf Herzmittel.

Die Naturvölker, die Jäger und Sammler sowie die einfachen Hackbauern besaßen oder besitzen einen reichhaltigen Arzneimittelfundus an pharmakologisch wirksamen Kräutern, Rinden und Wurzeln. Die verwendeten Heilpflanzen widerspiegeln die gesundheitlichen Probleme, die diese Menschengruppen plagen oder plagten. Dabei sind vor allem viele blutstillende und wundheilende Mittel zu finden, die bei Verletzungen, Blutverlust und Wundinfektionen wirksam sind. Ebenfalls gibt es viele Heilmittel für Magen-Darm-Beschwerden, Bauchkrämpfe, Durchfall, Wurmbefall, Hautausschläge sowie ausleitende Kräuter (Purgiermittel), die Erbrechen, Durchfall, Harndrang oder starken Schweißfluss auslösen und dadurch dem Kranken helfen, sich schnell von Toxinen – auch von »magischen Pfeilen« (Intrusionen), »Würmern« und »bösen Geistern« – zu entledigen.

Die Völker in den kalten nördlichen Ländern kannten verschiedene Lungenkräuter – etwa Huflattich, Sanikel, Engelwurz, Hamamelis, Quendel oder Bibernelle – für Atemwegserkrankungen, die durch verrauchte Wohn räume und ein rauhes Klima begünstigt werden. Auch salizinhaltige Pflanzen, etwa Weidenrinde oder Mädesüß, halfen bei Krankheiten wie Rheuma und Gicht, die durch das Schlafen auf kalten, feuchten Böden bedingt sind. Auch an schmerzstillenden, harntreibenden, entzündungshemmenden oder Knochenbrüche heilenden Mitteln bestand bei den traditionellen Völkern kein Mangel. Zudem kannte man vielerorts bewusstseinsverändernde oder -erweiternde Pflanzendrogen, für die vor allem die Männer zuständig waren und die in sakral-rituellem Kontext verwendet wurden. Die Frauen wiederum waren in Besitz von wirksamen gynäkologischen Mitteln zur Hilfe bei Menstruationsbeschwerden und verschiedenen Unterleibsproblemen, zur Unterstützung der Fruchtbarkeit und der Geburten (Lipp 1996: 21; Wolters 1999: 79). Auch Mittel zur Bezirzung von Männerherzen gab es zur Genüge.

Nur »Herzmittel« finden sich kaum in den indigenen Heilmittelschätzen. Wenn darin überhaupt Kardiaka auftauchen, handelt es sich vor allem um Pflanzen mit herzwirksamen Glykosiden, die als Pfeilgift benutzt wurden. Dazu zählte bei den Kelten die Nieswurz (Helleborus), mit deren giftigem Saft die zur Hirschjagd benutzten Pfeile und Lanzen präpariert wurden. Für die Elefantenjagd benutzten die afrikanischen Pygmäen Jagdpfeile, die in einem Sud aus den Samen und Wurzeln des Hundsgiftgewächses Strophanthus getränkt waren. Egal an welcher Körperstelle der Pfeil traf, das Tier starb an Starrkrampf und Herzinfarkt. Strophanthus gilt in der modernen Herzmedizin als Wundermittel; es wird bei akuter Herzinsuffizienz mit Brachykardie (schwerer Dekompensation) gespritzt.

Dass die indigenen Völker kaum Mittel für koronare Herzbeschwerden kennen, wurde mir wieder vor Augen geführt, als ich mit dem Cheyenne-Medizinmann Tallbull in den Bergen der Big Horns in Wyoming und Montana auf ethnobotanischen Exkursionen unterwegs war. Den Cheyenne-Indianern war nach ihrer Niederlage ein karges, enges Reservat zugewiesen worden, in dem das Leben alles andere als einfach war (siehe dazu auch Storl 2008: 10 sowie 2006a: 166). Die Behörden machten kaum erfüllbare Auflagen, evangelistische Sektenprediger, Schul- und Gesundheitsbehörden, schnüffelnde Sozialarbeiter und Ratschläge erteilende Gutmenschen stellten die traditionellen Wege und Werte der indianischen Kultur in Frage und verwirrten insbesondere die junge Generation. Hinzu kam der tägliche Kampf ums Überleben, das Fehlen sinnvoller Erwerbsmöglichkeiten und die Unverschämtheit der mächtigen Kohlekonzerne, die mit gigantischen ratternden Maschinen gnadenlos das sakrale Land wegbaggerten. Hoffnungslosigkeit, Gewalt, Verlust der Sprache, Alkoholismus und Verwahrlosung bedrohten das einst stolze Volk von Büffeljägern. Das nahm sich der alte Medizinmann so sehr zu Herzen, dass ihm das Herz im Körper schmerzte.

»Ihr Indianer kennt doch so viele Heilpflanzen. Habt ihr denn nicht auch ein Mittel gegen Herzbeklemmung?«, fragte ich ihn.

»Ehe wir ins Reservat gezwungen wurden und ehe wir den Lebensstil und die Ernährungsgewohnheiten der Weißen annehmen mussten, gab es bei uns keine Herz-Kreislauf-Probleme«, antwortete er, »auch nicht die Zuckerkrankheit, die uns heute heimsucht, Zahnfäule, Krebs oder extreme Fettsucht. Das gab es alles nicht. Deswegen haben wir auch noch keine Heilmittel für diese Leiden. Wir trinken zwar die Hirschminze als kalten Tee, wenn die Brust wegen heftigem Husten schmerzt, oder wenn jemand ein schwaches entmutigtes Herz hat, aber das ist etwas anderes als die heutigen Herzleiden. – Wir beten um Hilfe. Manchmal jedoch dauert es lange, ehe sich die Pflanzengeister erbarmen und ihre Heilkraft offenbaren.«

Herzkrankheiten in der indigenen europäischen Volksheilkunde

Ebenso wenig wie bei den Indianern gab es bei den alten Völkern Europas, denen des Mittelmeerraums wie auch denen der nördlichen Wälder, den Kelten, Germanen und Slawen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie wir sie heute kennen und fürchten. Für sie galt das Herz als Sitz der Lebenskraft und des Mutes – als mechanische Pumpe hat man es bei ihnen nie begriffen. Sein rhythmischer Schlag war der Puls des Lebensgeistes selbst, so wie in der Natur Tag und Nacht oder Ebbe und Flut das pulsierende Leben darstellten.

Nach altgermanischer Anschauung ist das Herz groß oder klein; der Feige hat ein kleines, der Mutige ein großes Herz. Es ist warm oder kalt, hart oder weich; der Geizhals, der Stolze, Hochmütige, Gnadenlose hat ein kaltes, verhärtetes Herz, der Gütige dagegen ein weiches, warmes Herz, er hat Mitleid, Mitgefühl, ist barmherzig. Herzkrankheiten waren demnach vor allem Krankheiten der Seele, nicht organische oder funktionelle Leiden.

Herzkrankheiten entstehen nach Ansicht der alten, auf keltisch-germanisch-slawischen Wurzeln beruhenden Volksmedizin auf übernatürliche Weise. Wenn Brust und Zwerchfell tatsächlich schmerzten – Sodbrennen (englisch heartburn), Magendruck (französisch mal de cœur) und Rippenfellentzündung wurden ebenfalls dem »Herzen« zugeordnet –, wenn das Herz heftig pochte, sich verkrampfte oder wenn man Stiche verspürte, dann waren nagende oder pissende »Würmer«, andere Krankheitsdämonen oder unsichtbare Unholde und unfreundlich gesinnte Elfen (Alben, Elben) im Spiel. Auch Hexerei oder Zauberei konnten die Ursachen sein. Hier einige der gängigen »Diagnosen« der alten europäischen Volksheilkunde.

Stroh im Herzen

Wenn das Herz immer schwächer wurde, sodass der Betroffene schließlich kaum noch über Kraft oder Lebensfreude verfügte, vermutete man, dass Hexen oder Truden sich nachts am Herzen ihres Opfers zu schaffen machten. Manchmal schnitten sie es heraus, fraßen es und stopften an seiner Stelle Stroh oder Holz in den Brustkorb (Bächtold-Stäubli III 1987: 1811; Grimm 2003: 875). Im Buß- und Beichtbuch des Bischofs Burchard von Worms (gestorben 1025) steht unter den Beichtfragen, die bestimmte von der Kirche missbilligte Praktiken im südgermanischen Raum umfassen, unter anderem auch die Frage: »Glaubtest du, was viele Frauen glauben und für wahr halten, die wieder dem Satan abgefallen sind? Nämlich, dass du in der Stille unruhiger Nächte, obwohl du im Bette liegst und der Mann dir am Busen schläft, während du körperlich hinter verschlossenen Türen bist, imstande seiest, dich zu entfernen und mit anderen im selben Irrtum Befangenen weite Strecken des Raumes zu durchmessen und getaufte Menschen, die durch Christi Blut erlöst sind, ohne sichtbare Waffen zu töten, ihr Fleisch zu kochen und zu verzehren und anstelle ihres Herzens Stroh oder Holz oder anderes zu stopfen und die Gegessenen wieder beleben und ihnen Lebensfrist zu verleihen.« Dieser Glaube ist sehr alt und schon bei den Nordgermanen, etwa in der Laxdoela Saga, bezeugt (Hasenfratz 1992: 86).

Herzwurm

Wenn ein Mensch fortwährend hustet, japst und schwer atmet, hieß es, ein Herzwurm sei am Werk. Herzklopfen oder Herzjagen (Tachykardie), glaubte man, entstehe wegen der »Zähigkeit des Blutes«, durch einen Herzwurm, der am Herzen nagt, oder auch wegen eines Steins, der am Herzen hängt. Den Lachsnern (von althochdeutsch lachi, angelsächsisch laeca), den germanischen Besprechern und Heilern, erschien dieser Wurm in der Vision als ein Wesen mit hirschgeweihähnlichen Hörnern auf dem Kopf. Auch Sodbrennen, das brennende Gefühl in der Speiseröhre, galt als Folge des »Seichens« des Herzwurms. Dieser Herzwurm konnte auch ein Hasswurm, ein Neidwurm oder ein sonstiger »ätherischer« Wurm sein, der den Menschen »wurmt« (Storl 2005b: 115). Um ihn zu vertreiben, benutzte der Lachsner verschiedene »wurmtreibende Wurze«, wie dämonenwidrige Lauch arten, etwa den Bärlauch oder den Allermannsharnisch (Allium victoria lis); auch Räucherungen mit Beifuß, Wacholder oder Nachtschattengewächsen wie Bilsenkraut kamen in Frage. Baldrian, Brombeeren, Brennnesseln, Enzian, Fichtennadeln, Gundelrebe, Johanniskraut, Möhre, Rainfarn, Sauerklee, Wegerich, Wurmfarn und Wermut waren weitere »Wurmmittel«, die später noch in der Volksmedizin und alten handschriftlichen Kräuterbüchern eine Rolle spielten. Aufgeklärte Ärzte in späteren Zeiten machten sich lustig über den dummen ländlichen Aberglauben, denn es war offensichtlich, dass diese Kräuter gegen Maden, Spul- oder Bandwürmer meistens nichts ausrichten konnten. Aber es waren eben Geisterwürmer oder »elbische Würmer« gemeint, die man damit vertreiben konnte. Kommt bei schwerer Krankheit der Herzwurm zum Mund heraus, ist der Tod nahe.

Albdrücken

Wenn sich in der Nacht der Alb (Alp, Elb, Trud, Druckerle, das alemannische Toggeli oder Doggi, der friesische Walriderske, der bayrische Schratt oder Hockauf, der elsässische Letzekäppel, der fränkische Trempe) auf die Brust setzt, wird der Atem schwer und Beklommenheit bemächtigt sich des Menschen. Das sind Zustände, die sich aus heutiger Sicht möglicherweise auf Herz-Kreislauf-Probleme zurückführen lassen könnten. Auch erschreckende Albträume werden durch solche elbischen Geister verursacht. Manchmal reitet der Alb als Nachmahr den Schlafenden wie ein Pferd, sodass der Gerittene schweißgebadet, erschöpft, keuchend und mit wild pochendem Herzen aufwacht. Der Alb raubt ihm die Lebenskraft, im schlimmsten Fall kann der Angegriffene sogar einen Schlagfluss (Apoplexia, Schlaganfall) erleiden und sterben. Alben sind Geistwesen, die in vielerlei und wechselnden Gestalten erscheinen können: in Tiergestalt als Kater, Marder, schwarzer Hund, feuriges Pferd oder Vogel; in Menschengestalt als Frau mit Vogel- oder Krötenfüßen oder als Männlein mit Glotzaugen und dickem Kopf. Die Volksmedizin hielt viele Mittel gegen diese Wesen bereit. Man schnitzte Drudenfüße (Sterne mit fünf Zacken) ins Bettgestell, baute in Tirol »Schrattlgatterl«, um den Truden den Eintritt zu verwehren, legte eine Schere ins Bettstroh oder ins Schlüsselloch, durch das die Schratten schlüpften, stellte ein Beil mit nach oben gerichteter scharfer Klinge auf, deckte den Angegriffenen mit einem Wolfsfell zu und sprach Zaubersprüche wie diesen »Albsegen« aus Böhmen:

»Alb, Alb, du bist geboren wie ein Kalb,

Alle Wasser musst du waten,

Alle Bäume musst du blaten [beblättern?],

Alle Berge musst du steigen,

Alle Kirchen musst du meiden,

Und ob du das wirst tun,

derweil will ich gut ruhn.«

Man konnte den Geist also vor unmögliche Aufgaben stellen. In Baden etwa hieß es: »Doggeli, wenn du chunnst, so bätt!« (Geist, wenn du es kannst, so bete!) Nicht nur bannen konnte man den Alb, sondern auch versöhnen, indem man ihm Speiseopfer brachte, wie angeräucherte (in Rauch gehaltene) Speisen, ein kleines Schüsselchen Öl oder Milch oder »drei weiße Gaben« (Salz, Mehl und Ei).

Dem von den Alben angefallenen oder gerittenen Menschen konnte man mit Alb- oder Alpkräutern, entweder als Tee getrunken oder als Anhängsel getragen, helfen. Als »Alpkraut« bezeichnete man die Schafgarbe (Alchemilla vulgaris), den Wasserdost oder das Kunigundenkraut (Eupatorium cannabinum), den Schwarzen Nachtschatten (Solanum nigrum), den Alpenziest (Stachys alpinum), den auch als »Alp-Ranken« bekannten Bittersüßen Nachtschatten (Solanum ducamara), die Mistel (Viscum album), die »Alpmehl« genannten Sporen des Kolbenbärlapps (Lycopodium clavatum), den auch »Alp-Raute« genannten Eberreis (Artemisia abrotanum) und den Erdrauch (Fumaria officinalis) (Marzell V 1943–1979: 10).

Herzgespann

Ein weiterer Krankheitsbegriff, der tiefe Wurzeln in der Volksmedizin hat, ist das Herzgespann oder Herzgesperr, das Menschen und Tiere, vor allem Pferde, befallen kann. Der Begriff beschreibt Schmerzen und Beklommenheit, die vom Magen ausgehen und sich bis zum Herzen erstrecken. Oft war das Leiden mit Herzzittern und -klopfen verbunden und mit Verspannungen, die das Atmen und die Zwerchfellbewegung einschränkten. Der Zustand entsteht, wenn die »Herzbänder« oder das »Herzbändel« (Pericardium), »das klein Gedärm, worin das Herz im Leibe hanget«, verspannt sind (Hovorka/Kronfeld 1909: 67). Diese Herzbänder können sich auch hemmend vor die Rippen legen. »Bei den menschen, allermeist aber bei kleinen kindern, bestehet dieses in einer aufschwellung des leibes, unter den kurzen ribben, welches eine schwere und ängstliche athem-holung verursachet, so da herrühret von kalter luft, scharfen blehungen im magen und dergleichen dingen mehr, die den motum diaphagmatis verhindern« (Öcon. Lex., 1731; zit. in Grimm X 1877: 1246). Bei dieser Krankheit griff man zu einer Heilpflanze, die selbst Herzgespann oder Löwenschwanz (Leonurus cardiaca) genannt wurde.

Das Herz konnte auch vor Liebesschmerz, Enttäuschung oder Schreck brechen oder bis zur Größe einer Bohne zusammenschrumpfen (Bächtold-Stäubli III 1987: 1803). Das Brechen des Herzens konnte man sogar hören: Es krachte wie ein brechender dürrer Ast. In einer niederrheinischen Liederhandschrift des 16. Jahrhunderts heißt es: »Krach, jungh Hertz, und brich nicht, / Die ich will, begert meiner nicht.« Das Motiv kommt auch in dem Märchen vom »Froschkönig« vor. Der garstige, kalt-glitschige Frosch, der der Königstochter den goldenen Ball wiederbringt, ist selbst ein verzauberter Königssohn. Als die Hexe den jungen Königssohn in diese Gestalt bannte, ließ sich sein treuer Diener Heinrich drei eiserne Bänder um sein Herz legen, damit es ihm nicht zerspränge. Als sein junger Herr erlöst wurde, brachen die eisernen Ringe auseinander. Dreimal krachte es, und es klang, als zerbreche der Wagen, in dem sie fuhren. Da drehte sich der Königssohn um und rief:

»›Heinrich, der Wagen bricht.‹

›Nein, Herr, der Wagen nicht,

es ist ein Band von meinem Herzen,

das da lag in großen Schmerzen,

als ihr in dem Brunnen saßt,

als ihr eine Fretsche [Frosch] wast [wart].‹«

Herzschlag, Elfenschlag

Der Herzschlag, der plötzliche Herztod (Apoplexia cordis), ebenso wie der Schlaganfall oder Schlagfluss (Apoplexia cerebri, englisch stroke, »Schlag«) galten einst wortwörtlich als ein »Schlag« feindlich gesinnter Andersweltlicher, insbesondere der Elfen. Bei den Elfen, Alben, Elbbütz, Huldren oder Hollen (»die Verhüllten«) handelt es sich keineswegs nur um die freundlichen Lichtwesen mit Libellenflügeln, wie sie die romantische Literatur des 19. Jahrhunderts beschreibt und wie sie noch immer von New-Age-Schöngeistern angehimmelt werden. Zwar zeigen diese Übersinnlichen den Menschen oft ihre Gunst, öfter aber führen sie die Sterblichen in die Irre oder verzaubern sie. Elfen sind verführerisch schön, unberechenbar und von luziferischer Intelligenz. Ihrer Zaubermacht ist kaum ein normaler Mensch gewachsen. Martin Luther erzählt in seinen Tischreden, dass seine Mutter unter dem Einfluss einer Zauberei treibenden Nachbarin an »hertzgespan und elben« zu leiden gehabt habe (Luther, Tischreden III, 131; zit. in Bächtold-Stäubli II 1987: 759). Einzig Zauberer, Schamanen und Schamaninnen kennen sich im Umgang mit solchen Wesen aus.

Für den Schamanenforscher und Tiefenpsychologen Holger Kalweit sind das keine bloßen Märchen oder primitiven, vorwissenschaftlichen Wahnvorstellungen. Seine Forschungen haben ihn überzeugt, dass die Vorstellungen der vorchristlichen Europäer eine durchaus reale Ebene haben. Elfen sind nach seiner Anschauung Bewohner einer unsichtbaren Parallelwelt, einer zeitlosen, raumlosen, stofflosen, magischen »Plasma-Dimension«. Sie erscheinen den Menschen im Traum und in der Vision. Sie spielen mit den Sterblichen und finden es unterhaltsam, sie zu manipulieren und zu knechten, zu entrücken oder in den Wahnsinn zu treiben, ihnen gelegentlich aber auch Inspirationen für neue Kunstwerke oder mystische Offenbarungen zukommen zu lassen. Sie stiften zu Abenteuern und blutigen Kriegen an, schicken Krankheiten und Seuchen, gelegentlich aber auch Heilung und Heilwissen (Kalweit 2006: 76). So sahen es auch die heidnischen Waldvölker, insbesondere die Kelten und Germanen. Oft bringen die Elfen den Menschen den Tod durch ihre magischen Pfeile, Elfenschüsse (angelsächsisch ylfa gescot, norwegisch alfskud, dänisch elveskud) genannt. Häufig waren sie neidisch auf besonders hübsche Kinder, schöne Jugendliche oder begabte Sänger und Musiker und entführten sie in ihr ätherisches Reich – das heißt, dass solche Menschen oft jung starben. Auch war der krankheits- oder todbringende Hauch der Elfen oder der den plötzlichen Tod verursachende Schlag der Elfenhand gefürchtet (Storl 2005a: 270).

Der Erlenbruch galt bei den europäischen Waldvölkern als beliebter Aufenthaltsort nicht nur von Hexen, sondern auch von Elfenwesen, wie dem Erlkönig und seinen bezaubernden Töchtern. Das ursprünglich dänische Lied »Erlkönigs Tochter«, von Clemens Brentano und Achim von Arnim in die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn aufgenommen, erzählt von Herrn Oloff, der noch spät durch Wald und Heide reitet, um Gäste zu seiner Hochzeit zu laden. Am Abend auf einer Wiese, da sah er sie: » … da tanzen die Elfen auf grünem Land.« Die reizende Tochter des Erlkönigs reicht ihm die zarte, weiße Hand und spricht: »Willkommen, Herr Oloff! Was eilst du von hier? Komm her in die Reihen und tanze mit mir!« Aber der junge Bräutigam verzichtet darauf, da früh am nächsten Tag seine Vermählung stattfinden soll. Den Haufen Gold, den die Schöne ihm bietet, die zwei güldenen Sporen und das Hemd von Seide »so weiß und fein, das ihre Mutter bleichte im Mondenschein«, all das schlägt er aus: »Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag. Früh Morgen ist mein Hochzeitstag!« Da antwortet sie:

»›Und wollt Herr Oloff nicht tanzen mit mir,

Soll Seuch’ und Krankheit folgen dir!‹

Sie tut einen Schlag ihm auf sein Herz.

›O weh, wie wird mir vor Angst und Schmerz!‹

Da hob sie ihn bleichend wohl auf sein Pferd:

›Reit hin und grüße dein Bräutlein wert!‹«

Blass und bleich kommt er zuhause an. Und als es Morgen ward und die Braut mit der singenden Hochzeitsschar ankommt, »da ächzt er, da starb er«. Der Elfenschlag, der Herzanfall, hatte ihn getroffen.

Herzheilsprüche und Heilpflanzen

Gefahren aus der Anderswelt abzuwehren, war die schwierige Aufgabe der Zauberer und Lachsner, der Schamanen und Schamaninnen. Diese waren hellsichtig, konnten in die Anderswelt hineinsehen, konnten nach Elfenheim reisen, das verhüllte Elfenwesen, den »Wurm« oder Krankheitsgeist ausmachen, sie kannten Heilzauber und wussten wirksame Heilgesänge und Heilsprüche. Und manchmal gelang es ihnen, geraubte Seelen wieder zurückzubringen oder Elfenschüsse abzuwehren.

Auch nach der Bekehrung zu der neuen Schuld-und-Sühne-Religion gab es Heiler und vor allem Heilerinnen, die weiterhin – nun unter christlichem Vorwand – auf diese Weise wirkten. Eine wichtige Maßnahme war das Abstreichen oder Abstreifen von Krankheiten. Es gab Frauen, die mit heilenden Händen Angezaubertes (»Angetanes«) abstreichen konnten. Ein Leidender konnte auch durch einen zu diesem Zweck gespaltenen Baum hindurchgezogen werden, um dabei die Krankheit abzustreifen. Der Baum nahm diese dann auf. Überhaupt konnte man sein Siechtum Bäumen, insbesondere dem Holunder »anhängen«. Bei einer solchen magischen Handlung musste ein »Segen« (Zauberspruch) gesprochen werden. In Nieder österreich zum Beispiel sprach der an Blutwallung Leidende – wenn das Blut vom Herzen aus in den Kopf drückte – zu Johanni (24. Juni) mit dem Blick auf einen grünen Baum folgenden Spruch:

»Ich steh’ auf Holz und seh’ auf Holz,

Auf frische grüne Zweig’.

Du Heiliger Geist, ich bitte dich,

Hilf, dass das Sausen schweig.«

Auch das Herzgespann wurde, um es zu lösen, mit verschiedenen Segen besprochen: »Scher dich los von der Rippe wie das Pferd von der Krippe.« Oder: »Herzgespann, ich tu dich greifen, fünf Finger tun dich kneifen.«

Ebenso wurde der Herzwurm beschworen, den Kranken zu verlassen. Meistens war es kein physischer, sondern ein »elbischer« Wurm, »ein Würmlein klein, ohne Haut und Bein, ohne Corpus und Substanz«, dem man an den Kragen gehen wollte. Ein Beispiel eines Wurmsegens ist der am Tegernsee gefundene Zauberspruch »Gang uz Nesso« (Gehe hinaus, Wurm) aus dem 9. Jahrhundert:

»Geh hinaus, Nesso, mit neun Würmlein,

Hinaus aus dem Mark in die Adern,

Von den Adern in das Fleisch,

Von dem Fleisch in die Haut,

Von der Haut in diesen Pfeil.«

Nachdem der Wurm in den Pfeil hineingezaubert war, wurde dieser ins Nimmerland verschossen. So etwas ist eine echte schamanische Handlung. Spätere Wurmsegen drohen dem Wurm mit ähnlichen Leiden, wie sie Christus oder die Gottesmutter auf sich nehmen mussten. Oder der Wurm wurde vor eine unlösbare Aufgabe gestellt:

»Herzwurm, ich gebiete dir bei Gottes Gericht,

dass dich sollst legen und nimmer regen,

bis die Mutter Gottes ihren zweiten Sohn tut gebären.«

Oder der Wurm wurde weggebannt, wie in diesem Spruch aus Ochsenfurt (Hovorka/Kronfeld I 1909: 455):

»Unsere liebe Frau ging über Land,

Da begegnete ihr der Herzwurm.

›Ei, Herzwurm, wo willst du hin?‹

›Ich will in das Nibhaus,

Will ihm sein Fleisch und Blut saugen aus.‹

›Ei, Herzwurm, das sollst du nicht tun,

Du sollst gehen in den grünen Wald,

Darin steht ein Brünnlein vor kalt,

Daraus sollst du essen und trinken,

Sollst nimmermehr des [Name] sein Fleisch und Blut gedenken.

Amen.‹«

Nach germanischer Auffassung geschieht die Heilung durch »Wort und Wurz« (Storl 2004a: 15). Unter Wort verstand man die Zaubersprüche und Gesänge, die bis zu dem tief im Körper versteckten Krankheitsdämonen, Elfen wesen oder »Wurm« vordrangen und ihn bezwangen. Unter Wurz verstand man das Heilkraut, bestehend aus Kraut, Rinde oder Wurzel. Mit anderen Worten: Nach der schamanischen Behandlung folgte zur Ausheilung die praktische Behandlung mit Heilpflanzen. Man suchte pflanzliche Mittel, um das Nest des Herzwurms zu zerstören und den Wurm zu töten. Dazu gab es je nach Region viele verschiedene Mittel. In Westböhmen nahm man dafür zum Beispiel den frischen Saft der Skabiose (Witwenblume, Krätzekraut) oder der Brunnenkresse. Bei Herzweh und Herzgespann wurde die Brust mit einem Brei aus Hafermehl, Malven und Bilsenkrautblättern beschmiert (Hovorka/Kronfeld 1909: 68). Umschläge aus Melisse, Tee aus Ochsenzunge, in Wein eingelegtes Engelsüß oder das Einreiben der Nase mit Majoranöl sind weitere der unzähligen Mittel bei »Herzleiden«.

Herzkrankheiten in der Klostermedizin

Bis weit über das Mittelalter hinaus, als sich die germanisch-keltische Heilkunde längst mit der antiken Säftelehre der Klostermedizin vermischt hatte, galt derjenige als herzkrank, der nicht herzhaft essen, herzhaft lachen oder herzhaft lieben konnte. Herzkrank war auch derjenige, der immer griesgrämig, missmutig oder mutlos war. Man gab ihm dann Kräuter und Blumen, die das Gemüt erhellen und aufmuntern.

Eigenständige Medikamente für Herzkrankheiten, wie wir sie heute kennen, sind in der klostermedizinischen Rezeptliteratur vergleichsweise spärlich vertreten (Frohn 2001: 141). Gefährlich fürs Herz galten in der Medizin der Mönche »aufsteigende Dämpfe«, die bewirkten, dass der Puls durch die überwiegende Feuchtigkeit weich und schlaff wurde. Das konnte sich bis hin zur »Synkope« steigern, dem plötzlichen Kräfteverlust mit Ohnmacht, kaltem Schweiß und extrem schwachem Puls. Dann wurde der Kranke auf den Rücken gelegt, geschüttelt, das Gesicht wurde mit kaltem Wasser besprengt, man versuchte ihn zum Niesen zu bringen, verdrehte ihm die Finger und riss ihm Haare aus, um ihn wieder zu sich zu bringen. Wiederkehrendes heftiges Herzklopfen (Palpitatio cordis) führte man auf bös artige Dämpfe zurück, die von der Milz aus ins Herz steigen. Diese Dämpfe der Milz versuchte man dann zu beseitigen und stärkende Herzmittel zu verabreichen (Müller, Ingo Wilhelm 1993: 277).

Folgende pflanzliche Mittel empfahl die Klostermedizin bei Störungen in der Mischung der Körpersäfte, die das Herz beeinträchtigen. Nur wenige dieser Heilpflanzen sind in Nord- und Mitteleuropa heimisch. Sie mussten in ummauerten Klostergärten, vor Kälte und Wind geschützt, angebaut werden. Bei anderen handelt es sich um teure Gewürze, die aus dem Orient importiert wurden. Vom heutigen Standpunkt einer Wirkstoffanalyse aus gesehen, sind nur wenige – nämlich Herzgespann, Maiglöckchen und Zitronenmelisse – wirklich koronar wirksam.

Herzpflanzen im Klostergarten

Acetosa (Rumex acetosa). Der kühlende und trocknende Sauerampfer, der die Schärfe der Galle zügelt und das Herz gegen hitzige Krankheiten und fauliges Fieber schützt, wurde im klösterlichen Hortulus (Garten) häufig angepflanzt. Sauerampfersamen sollten, insbesondere wenn sie von keuschen Jungfrauen gesammelt und als Amulett in einem Säckchen getragen wurden, die Mönche vor nächtlichem Samenfluss schützen. In der Pfeilform der Blätter sah man ein Symbol des Martyriums Jesu. Andererseits deutete man sie auch als Herzform und damit als Signatur ihrer Herzwirksamkeit (Gallwitz 1992: 211).

Basilikum (Ocimum basilicum). Das warme, reinigende Basilienkraut wurde seit der Antike als Tonikum bei Angstzuständen, Schlaflosigkeit, Krämpfen und nervösen Beschwerden angewendet; es sollte das Herz stärken und erheitern und die Bösartigkeit von Giften vertreiben.

Bistorta (Polygonum bistorta). Die bis zum dritten Grad kalte und trockene Wurzel des bei uns einheimischen Wiesen- oder Schlangenknöterichs soll das Herz gegen Gift schützen.

Borago (Borago officinalis). Die Blüten und Blätter des Borretsch oder Gurkenkrauts sollen reinigend wirken. Da sie die melancholischen Säfte ausgleichen und die hitze- und zornerregende gelbe Galle mäßigen, wird durch sie auch das Herz gestärkt und das Gemüt erheitert. Da Borretsch dem Herzen Löwenmut verleiht, sammelte man das Kraut, wenn die Sonne im Tierkreiszeichen des Löwen stand.

Buglossum (Anchusa officinalis). Die Echte Ochsenzunge wirkt ähnlich wie der nah verwandte Borretsch erheiternd auf das Gemüt. Das Raublattgewächs stärkt Gedächtnis und Herz und reinigt den Spiritus, die geistartige, ätherische Substanz, die nach damaliger Ansicht vor allem in der linken Herzkammer, in den Arterien und der Hirnkammer vorhanden ist.

Calendula (Calendula officinalis). Die im Mittelmeergebiet heimische, als warm und trocken geltende Ringelblume öffnet und schließt ihre goldgelb-orangefarbenen Strahlenblüten im zwölfstündigen Tages- und Nacht rhythmus und hat damit einen eindeutigen Bezug zur Sonne. Und da die Sonne wiederum der Planet ist, der das Herz regiert, gilt sie als herzstärkende Pflanze. Mit ihrer gelben Signatur gehört sie ebenfalls zu Jupiter, der die Leber regiert, vor Gift schützt und den Schweiß treibt.

Cardiaca (Leonurus cardiaca). Das warme, trockene Herzgespann, auch Löwenschwanz genannt, gibt dem Herzen die Kraft und den Mut des Löwen. Im Gart der Gesundheit wurde es gegen Magendrücken, Herzkrämpfe und bei Engbrüstigkeit verschrieben.

Carduus benedictus (Cnicus benedictus). Die bittere, gelb blühende Benediktendistel, auch Gesegnete Distel genannt, ist ebenfalls warm und trocken und soll das Herz stärken. Wie die verwandte Mariendistel, die Hildegard von Bingen »Vehedistel« nannte, galt auch diese Pflanze allgemein als gut gegen »Stechen im Herzen«.

Caryophyllus (Syzygium aromaticum). Die aus dem Morgenland eingeführte Gewürznelke, ebenfalls warm und trocken jeweils bis zum dritten Grad, wurde zur Stärkung von Gehirn, Herz, Magen und Uterus eingesetzt.

Cerasus (Prunus spp.). Die Kirsche, die in der Säftelehre als eher kalt und trocken galt, stärkt Magen, Herz und Hirn und kühlt Fieber. Eigentlich ein Symbol der Erotik – »die Kirschen in Nachbars Garten« –, wird die Kirsche in der sündlosen Hand Marias zum Zeichen des nüchternen, keuschen Herzens.

Cinnamomum (Cinnamomum verum). Wie die Gewürznelke und andere teuer importierte Gewürze erfreut der Zimt das Herz besonders, wenn er in Lebkuchenteig gegeben wird. Zimt, der fast den Status eines Allheilmittels besaß, sollte den Spiritus verbessern, Herz und Magen stärken und Gift austreiben.

Crocus (Crocus sativus). Dem teuren Safran, aus der Narbe der Blüten dieses Schwertliliengewächses gewonnen, traute man praktisch dieselbe Heilwirkung zu wie Zimt. In der christlichen Ikonografie bedeutete das Safrangelb die himmlische Liebe. Da das Herz der Sitz der Liebe ist, ist Safran gut fürs Herz.

Dictamnus (Dictamnus albus). Diptam, der »brennende Busch« voller äthe rischer Öle, wirkt wärmend, trocknend, ausziehend (ausleitend, mens truationsfördernd), stärkt das Herz und schützt gegen Gift.

Lilium convallium (Convallaria majalis). Das Maiglöckchen, das die unbefleckte Empfängnis Marias symbolisierte und zugleich Attribut des Christkinds ist, erfreut das Herz allein schon durch seinen Duft. Noch im 16. Jahrhundert empfahl Hieronymus Bock »Maiblumenwasser« zur Stärkung von Herz und Hirn; es bringe die verlorenen Sinne wieder. Auch ein Niespulver wurde aus der Pflanze zubereitet, das half, die bösen Geister, die sich im Körper verstecken, herauszuniesen.

Malum punicum (Punica granatum). Der adstringierend wirkende Granatapfel sollte Blutungen und »Flüsse« (flour, Katarrhe, Ergüsse, Rheuma und Ausflüsse jeglicher Art) stillen, Schärfe mildern, Galle mäßigen und somit auch Herz und Magen stärken.

Melissa (Melissa officinalis). Die Zitronenmelisse war von jeher eine Bewohnerin der Klostergartenbeete und eine Trösterin hysterischer Nonnen. Hildegard, die diese Minze »Binsuga« (Bienensauge) nennt, schreibt: »Innerlich genossen macht die Pflanze fröhlich und erheitert das Herz.« Sie vertreibt die schwarze Galle, neutralisiert Gifte und kräftigt Hirn, Nerven, Gebärmutter und selbstverständlich das Herz.

Nymphaea (Nymphaea alba). Die kühle Seerose vertreibt gemäß humoralpathologischer Lehre Bösartigkeit aus der Seele, kühlt Fieber und stärkt das Herz. In den Klöstern wurde die Seerose als Anaphrodisiakum benutzt, also zur Abtötung der Fleischeslust und zur Vertreibung unkeuscher Träume, die das Herz erhitzen.

Ribes (Ribes nigrum, R. rubrum). Die Wirkung der Blätter der Johannisbeere, deren medizinische Anwendung auf die Araber zurückgeht, wird als kühl und trocken beschrieben. Der Tee stillt »Flüsse«, mildert die Schärfe der Galle und hilft bei Durchfall, Fieber, Fäulnis und Herzleiden.

Rosa (Rosa gallica, R. centifolia, R. corymbifera). Die Rose, Marienattribut und Symbol der Liebe, hatte im damaligen Verständnis durchaus etwas mit dem Herzen zu tun. Rosenöl und Rosenwasser aus den Blütenblättern galten als reinigend, kühlend und stärkend für Herz, Gehirn, Spiritus, Magen, Leber und Milz.

Rosmarinus (Rosmarinus officinalis). Das in den Mittelmeerländern verbreitete stark duftende Rosmarinkraut galt nicht nur als dämonenwidrig, sondern auch als verjüngend, den Geist klärend sowie Herz, Sinne und Gehirn stärkend. Rosmarinwein und -bäder regen tatsächlich den Kreislauf an.

Veronica (Veronica chamaedrys, V. officinalis). Der Ehrenpreis soll gegen Ansteckung schützen, schweißtreibend wirken und das Herz stärken. Die Pflanze der heiligen Veronika, die Jesus das Schweißtuch gab, »räumt das Gift vom Herz und lässt es mit Schwitzen ausfahren«, so hieß es noch bei Hieronymus Bock.

Viola purpurea (Viola odorata). Das kühle Veilchen, für die Mönche Symbol für Demut und Bescheidenheit sowie für die Leiden Christi, treibt die aufgestiegene schwarze Galle (Melancholie) von Herz und Hirn, reinigt den Geist und stärkt das Herz.

Weitere pflanzliche Herzmittel aus dieser Zeit, in der die Viersäftelehre des römischen Arztes Galen das vorherrschende Dogma war, entnehmen wir den Schriften der Hildegard von Bingen (1098–1179). Die begabte Benediktinernonne betrachtete die Heilmittel (remedia) nicht wie heutzutage üblich als Träger bestimmter molekularer Wirkstoffe. Für sie war das remedium, die Heilpflanze, immer ein Medium oder Vermittler göttlicher, übernatürlicher Kräfte (Müller, Irmgard, 1993: 18). Als Mittel bei »Herzschmerzen« erwähnt sie Pflanzen, die vom pharmakologischen Gesichtspunkt aus kaum kardiologisch wirksam sind, darunter der wohlriechende Fenchel (Feniculum), der eigentlich vor allem auf Verdauung und Atmungsorgane wirkt, der Bockshornklee (Fenugraecum), eine Schleimdroge, die Süßholzwurzel (Liquiricuium), Rinde, Blätter und Samen der Esskastanie (Kestenbaum) und der Schwarze Nachtschatten (Nachtschade-Solatrum).

Hildegard von Bingen.

Einige der von Hildegard erwähnten Pflanzen, wie das Magenmittel Galgantwurzel (Galan-Galaga), der Gelbe Enzian (Gentiana) und der Wermut (Wermuda-Absinthium) sind Bitterstoffdrogen. Ein altes Sprichwort besagt: »Was bitter dem Mund, macht das Herz gesund.« Bitterstoffe haben auch im modernen pharmakologischen Sinn tatsächlich eine positive Wirkung auf das Kreislaufsystem. Sie regen nicht nur den Parasympathikus (Nervus vagus) an, sondern auch dessen Gegenspieler, den Sympathikus. Vago tone Menschen bekommen dadurch mehr Antriebskraft, sympathikotone Menschen können sich besser entspannen. Der Herz schlag wird etwas kräftiger, die Kapillaren werden erweitert, der Gefäßtonus nimmt zu und die Koronargefäße besser mit Sauerstoff versorgt (Bühring 2005: 80). Bitterstoffdrogen können also stimmungsaufhellend wirken und »warm ums Herz« machen.

Das Herz als Sitz der Seele und als Wahrnehmungsorgan

»O wie groß ist doch die Leber, drin des Menschen Zorn gelegen,

Und wie klein sein Sitz der Liebe, dieses Handvoll Herz dagegen!«

Justinus Kerner, Anatomische Betrachtung

»Der Mensch muss Erde unter seinen Füßen haben,

sonst verdorrt ihm das Herz.«

Gertrud von le Fort

Unter Seele kann man sich heute kaum mehr etwas vorstellen. Meistens wird Seele durch Psyche (von griechisch psyche, »Hauch« oder »Atem«, als Träger des Bewusstseins) ersetzt, die irgendwie als eine Hirnfunktion begriffen wird. Die Germanen verglichen die Seele mit einem See (oder auch mit der See im Sinne von »Weltenmeer«), dessen Wasser bewegt, aufgewühlt, brausend, trüb, dunkel oder lauter sein kann, genau wie unser Seelenleben, unsere Gefühle, Triebe, Leidenschaften, Emotionen, Gedanken. Der See kann aber auch still und so glatt sein, dass sich Sonne, Mond und die fernen Sterne darin spiegeln. Genauso können sich in der ruhigen Seele die geistigen Urbilder (Archetypen) und die unsichtbaren Bewohner der »Innenseite« der Welt spiegeln. Die Ahnen, Gottheiten, Elfen, Naturgeister und Dämonen können sich in diesem inneren Spiegel kundtun – er befindet sich im Herzen.

Stets mehr als eine Pumpe