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HERMANN HESSE

/ FRÜHLING /

Ausgewählt von Ulrike Anders

INSEL VERLAG

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ebook Insel Verlag Berlin 2010

Erste Auflage 2010

© Insel Verlag Berlin 2010

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der übersetzung,

des öffentlichen Vortrags sowie der übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)

ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systeme

verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Hinweise zu dieser Ausgabe am Schluß des Bandes

Vertrieb durch den Suhrkamp Taschenbuch Verlag

Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus

www.suhrkamp.de

eISBN 978-3-458-73620-2

 

/ FRÜHLING /

 

/ VORFRÜHLING /

Der Föhn schreit jede Nacht,
Sein feuchter Flügel flattert schwer.
Brachvögel taumeln durch die Luft.
Nun schläft nichts mehr,
Nun ist das ganze Land erwacht,
Der Frühling ruft.

Bleib still, bleib still, mein Herz!
Ob auch im Blute eng und schwer
Die Leidenschaft sich rührt
Und dich die alten Wege führt –
Nicht jugendwärts
Gehn deine Wege mehr.

/ ERWACHEN AUS DER VERZWEIFLUNG /

Aus Leides Trunkenheit
Emporgetaumelt seh ich
Durch Tränen zitternd die erneute Welt.
Schon duftet Sommer an den Wäldern hin –
O Abende voll grünem Schmelz, Sternhimmel du,
Wie sehnlich überfüllt ihr mir das Herz!
Freunde, lebt ihr noch? Wein, glühst du noch?
Bist du noch mein, verzauberte Welt,
Die ich durch Tränen nur und von ferne
Wandeln sehe, wo lang ich nur Leere sah?
Hebt noch einmal der alte Reigen an,
Zieht den Gestorbnen noch einmal der süße
Sommerzauber zurück?
Noch mißtraut dem Wunder die Seele,
Noch ist Sommer und Wald nicht wieder mein.
Aber heiliger glühn und klarer die Sterne,
Schweigend horch ich hinan, ihr Weltgeläut
Tönt mir ehern das Lied meines Schicksals,
Und mein Herz tönt zagenden Widerhall.

// Eine der Freuden des Jahres, die ersten Blumen, hat man nun auch schon wieder gehabt! Wie rasch das alles geht! Das Leben ist zu kurz! Ich brenne darauf, wieder Lehm in die Hände zu nehmen und Menschen nach meinem Bilde zu gestalten, aber es ist noch nicht reif.

(Aus einem Brief an Hermann Bodmer, ca. 1921)

/ NEUER FRÜHLING /

Wie heult der Sturm mit Macht, mit Macht
Wild um die Felsen droben,
Als wollte er die Winternacht
Aus ihrem Schlummer toben.
Und durch den Wald der Wind sich ringt,
Daß sich die Föhren krümmen;
Doch aus dem Sturmeswehn es klingt
Wie helle Frühlingsstimmen.
So klingt mirs recht; so braust mirs wohl,
So mag es immer wehen:
Wenn sich der Frühling zeigen soll,
Muß erst das Eis vergehen.
Freu dich, mein Lieb; der Winter wich,
Der Frühling kommt gegangen
Und will uns beide, dich und mich,
Mit seiner Pracht umfangen.
Und will uns seine Blumen streun
Und liebvoll auf uns blicken
Und seiner blauen Augen Schein
Zu unsrem Glück noch schicken.

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// Ich war etwa vierzehn Jahre alt, und es war im Vorfrühling, im Februar oder März, da lud ein Kamerad mich ein, eines Nachmittags mit ihm auszugehen, um ein paar Holunderstämmchen zu schneiden, die wollte er als Röhren beim Bau einer kleinen Wassermühle benutzen. Wir zogen also aus, und es muß ein besonders schöner Tag in der Welt oder in meinem Gemüt gewesen sein, denn er ist mir im Gedächtnis geblieben und hat mir ein kleines Erlebnis gebracht. Das Land war feucht, aber schneefrei, an den Wasserläufen grünte es schon stark, im kahlen Gesträuch gaben Knospen und erste aufbrechende Kätzchen schon einen Hauch von Farbe, und die Luft war voll Geruch, einem Geruch voll Leben und voll Widerspruch, es duftete nach feuchter Erde, faulendem Laub und jungen Pflanzenkeimen, jeden Augenblick erwartete man schon die ersten Veilchen zu riechen, obschon es noch keine gab. Wir kamen zu den Holundern, sie hatten winzige Knospen, aber noch kein Laub, und als ich einen Zweig abschnitt, drang mir ein bittersüßer, heftiger Geruch entgegen, der alle die andern Frühlingsgerüche in sich gesammelt, summiert und potenziert zu haben schien. Ich war ganz benommen davon, ich roch an meinem Messer, roch an meiner Hand, roch an dem Holunderzweig; sein Saft war es, der so dringlich und unwiderstehlich duftete. Wir sprachen nicht darüber, aber auch mein Kamerad roch lang und nachdenklich an seinem Rohr, auch zu ihm sprach der Duft. Nun, jedes Erlebnis hat eben seine Magie, und hier bestand mein Erlebnis darin, daß der kommende Frühling, schon beim Gehen über die feucht schwappenden Wiesenböden, beim Duft der Erde und Knospen von mir stark und beglückend empfunden, sich nun im Fortissimo des Holunderduftes zu einem sinnlichen Gleichnis und einer Bezauberung konzentrierte und steigerte. Vielleicht hätte ich, auch wenn dies kleine Erlebnis für sich allein geblieben wäre, diesen Geruch niemals mehr vergessen; vielmehr, jede künftige Wiederbegegnung mit diesem Geruch hätte mir wahrscheinlich bis ins Alter stets die Erinnerung an jenes erste Mal aufgeweckt, da ich den Duft bewußt erlebt hatte. Nun kommt aber noch etwas Zweites hinzu. Ich hatte damals bei meinem Klavierlehrer einen alten Band Noten gefunden, der mich gewaltig anzog, es war ein Band Lieder von Franz Schubert. Ich hatte darin geblättert, als ich einmal etwas lange auf den Lehrer warten mußte, und auf meine Bitte hatte er ihn mir für einige Tage geliehen. In meinen Freistunden lebte ich ganz in der Wonne des Entdeckens, ich hatte bis dahin nichts von Schubert gekannt und war damals ganz von ihm bezaubert. Und nun entdeckte ich, am Tag jenes Holundergangs oder am Tage nachher, Schuberts Frühlingslied ›Die linden Lüfte sind erwacht‹, und die ersten Akkorde der Klavierbegleitung überfielen mich wie ein Wiedererkennen: diese Akkorde dufteten genau so wie der junge Holunder geduftet hatte, so bittersüß, so stark und gepreßt, so voll Vorfrühling! Von jener Stunde an ist für mich die Assoziation Vorfrühling – Holunderduft – Schubertakkord eine feststehende und absolut gültige, mit dem Anschlagen des Akkords rieche ich sofort und unbedingt den herben Pflanzengeruch wieder, und beides zusammen heißt: Vorfrühling.

(Aus: »Das Glasperlenspiel«, 1943)

/ FRÜHLING /
(1899)

In dämmrigen Grüften
Träumte ich lang
Von deinen Bäumen und blauen Lüften,
Von deinem Duft und Vogelgesang.

Nun liegst du erschlossen
In Gleiß und Zier
Von Licht übergossen
Wie ein Wunder vor mir.
Du kennst mich wieder,
Du lockest mich zart

Es zittert durch all meine Glieder
Deine selige Gegenwart.

/ FRÜHLINGSNACHT /

Im Kastanienbaum der Wind
Reckt verschlafen sein Gefieder,
An den spitzen Dächern rinnt
Dämmerung und Mondschein nieder.

Alle Brunnen rauschen kühl
Vor sich hin verworrene Sagen,
Zehnuhrglocken im Gestühl
Rüsten feierlich zum Schlagen.

In den Gärten unbelauscht
Schlummern mondbeglänzte Bäume,
Durch die runden Kronen rauscht
Tief das Atmen schöner Träume.

Zögernd leg ich aus der Hand
Meine warmgespielte Geige,
Staune weit ins blaue Land,
Träume, sehne mich und schweige.

// In Kinderzeiten fürchtete ich den Föhn und haßte ihn sogar. Mit dem Erwachen der Knabenwildheit aber bekam ich ihn lieb, den Empörer, den Ewigjungen, den frechen Streiter und Bringer des Frühlings. Es war so herrlich, wie er voll Leben, überschwang und Hoffnung seinen wilden Kampf begann, stürmend, lachend und stöhnend, wie er heulend durch die Schluchten hetzte, den Schnee von den Bergen fraß und die zähen alten Föhren mit rauhen Händen bog und zum Seufzen brachte. Später vertiefte ich meine Liebe und begrüßte nun im Föhn den süßen, schönen, allzu reichen Süden, welchem immer wieder Ströme von Lust, Wärme und Schönheit entquellen, um sich an den Bergen zu zersprengen und endlich im flachen, kühlen Norden ermüdet zu verbluten. Es gibt nichts Seltsameres und Köstlicheres als das süße Föhnfieber, das in der Föhnzeit die Menschen der Bergländer und namentlich die Frauen überfällt, den Schlaf raubt und alle Sinne streichelnd reizt. Das ist der Süden, der sich dem spröden, ärmeren Norden immer wieder stürmisch und lodernd an die Brust wirft und den verschneiten Alpendörfern verkündigt, daß jetzt an den nahen purpurnen Seen Welschlands schon wieder Primeln, Narzissen und Mandelzweige blühen.

Alsdann, wenn der Föhn verblasen hat und die letzten schmutzigen Lawinen zerlaufen sind, dann kommt das Schönste. Dann recken sich berghinan auf allen Seiten die beblümten gelblichen Matten, rein und selig stehen die Schneegipfel und Gletscher in ihren Höhen, und der See wird blau und warm und spiegelt Sonne und Wolkenzüge wider.

Alles dieses kann schon eine Kindheit und zur Not auch ein Leben erfüllen. Denn alles dieses redet laut und ungebrochen die Sprache Gottes, wie sie nie über eines Menschen Lippen kam. Wer sie so in seiner Kindheit vernommen hat, dem tönt sie sein Leben lang nach, süß und stark und furchtbar, und ihrem Bann entflieht er nie. Wenn einer in den Bergen heimisch ist, der kann jahrelang Philosophie oder Historia naturalis studieren und mit dem alten Herrgott aufräumen – wenn er den Föhn wieder einmal spürt oder eine Laue durchs Holz brechen hört, so zittert ihm das Herz in der Brust, und er denkt an Gott und ans Sterben.

(Aus: »Peter Camenzind«, 1904)

/ FÖHNIGE NACHT /

Schaukelt im wehenden Föhnwind der Feigenbaum
Wieder wie Schlangen wirr die gewundenen Äste,
Steigt übers kahle Gebirg zu einsamem Feste
Vollmond empor und beseelt mit Schatten den Raum,
Spricht zwischen gleitenden Wolkenschiffen der Lichte
Träumerisch mit sich selber und zaubert die Nacht
über dem Seetal still zum Seelenbild und Gedichte,
Daß mir im Herzen zuinnerst Musik erwacht,
Dann erhebt sich in drängender Sehnsucht die Seele,
Fühlt sich jung und begehrt ins flutende Leben zurück,
Kämpft mit dem Schicksal und ahnt, woran es ihr fehle,
Summt sich Lieder und spielt mit dem Traume vom Glück,
Möchte noch einmal beginnen, noch einmal der fernen
Jugend heiße Gewalten beschwören ins kühlere Heut,
Möchte wandern und werben und bis zu den Sternen
Dehnen der schweifenden Wünsche dunkles Geläut.
Zögernd schließ ich das Fenster, entzünde das Licht,
Seh die weißglänzenden Kissen des Bettes warten,
Weiß den Mond um die Welt und das wehende Wolkengedicht
Draußen lebendig im Föhn überm silbrigen Garten,
Finde zurück mich langsam zu meinen gewohnten Dingen,
Höre bis in den Schlaf das Lied meiner Jugend klingen.