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Das volle Leben – Frauen und Männer über achtzig erzählen
© 2011 Wörterseh Verlag, Gockhausen
E-Book ISBN: 978-3-03763-529-2
Das volle Leben – Frauen über achtzig erzählen
© 2007 Wörterseh Verlag, Gockhausen
Print ISBN: 978-3-9523213-4-8
E-Book ISBN: 978-3-03763-526-1
Das volle Leben – Männer über achtzig erzählen
© 2008 Wörterseh Verlag, Gockhausen
Print ISBN: 978-3-03763-001-3
E-Book ISBN: 978-3-03763-527-8
www.woerterseh.ch
Frauen über achtzig erzählen
Für meine Pimpinella,
in einem Sommer voller Heidis,
gepfefferter Mönche
und ungeküsster Ziegenlippen
Und ich frage mich,
ob man am Ende lebe,
um sich erinnern zu können.
Gerhard Meier
Hanny Fries
Künstlerin, Illustratorin
Fränzi Utinger
Sekretärin, Schmugglerin, Unternehmerin
Stephanie Glaser
Filmschauspielerin, Kabarettistin
Urselina Gemperle
Zigeunerin, Hausfrau, Mutter
Maria Loretz
Bergbäuerin, Hotelangestellte, Hausfrau, Mutter
Lilly Vogel
Verkäuferin, Flüchtlingsbetreuerin, Geschäftsfrau,
Hausfrau, Mutter, Entwicklungshelferin
Anne-Marie Blanc
Film- und Theaterschauspielerin, Mutter
Monica Suter
Kinderschwester
Trudi Kilian
Coiffeuse, Hausfrau, Mutter, Volksmusikerin
Emilie Lieberherr
Lehrerin, Frauenrechtlerin, Politikerin
Lys Assia
Schlagersängerin, Unternehmerin
Marie Zürcher
Hebamme
Nachbemerkung
Glossar
27. November 1918
Hoch über der Stadt ein Haus, das so schnell nichts erschüttert. An der Tür ein Zettel mit dem handgeschriebenen Namen, man muss wissen, wo man Hanny sucht. Wohlgeordnete Überfülle präsentiert sich im malerischen Licht des Ateliers, das ihr Urgrossvater baute. In seinen Tiefen verbergen sich Schätze.
Man muss mit Coraggio anfangen, mit Mut. Einfach anfangen, das ist das Wichtigste. Nicht zuerst wissen wollen, wo es hinführt, sondern anfangen und dann einfach weitermachen. Wie im Leben ist das, da weiss man auch nie, was das wird. Eine Frage des Mischens. Man muss gar nicht weit laufen, alles ist gut genug, um damit anzufangen, jede hundskommune Ecke und jedes Papier. Ich habe gern Papier, das nicht extra für Kunst gemacht ist, sondern für Würste zum Beispiel. Metzgerpapier ist etwas Wunderbares, am liebsten ist mir das italienische. Ich liebe Märkte, auf den Märkten schaue ich und sammle Einwickelpapier. »Könnte ich noch von dem Papier haben, das dort hinter Ihnen hängt?« – »Ma perqué?« – »Sono pittore«, dann bekomme ich ganze Stapel Wurstpergament mit diesen Löchern, wo es aufgehängt war. Die Italiener mögen Maler. Dieses Papier ist grausam, man kann es eigentlich nicht beschreiben, nur mit dicken Federn oder Stiften. Leider ist es jetzt verboten. Zu wenig hygienisch; das Blut und das Fett lief den Hausfrauen doch ständig in die Einkaufstaschen.
Es ist auch gut, mit Spazieren anzufangen. Flanieren ist gut, schauen, riechen, hören, schauen. Sich unter die Leute mischen, ohne viel zu wollen. Ich habe nie Auto fahren gelernt, ich war immer zu Fuss unterwegs oder mit dem Tram. Ich liebe Bahnhöfe, Wartsäle. Flanieren ist das beste Fitnesstraining, da vergehen die Bobos von alleine. Aber nicht Powerwalken mit diesen Stöcken, die man von weitem klappern hört. Herumspazieren und sich die Welt anschauen, ohne Lärm, ganz gewöhnlich. Bei mir ist natürlich ein Notizblock dabei. Eine Zeichnung ist viel besser als eine Fotografie. Wenn ich eine Skizze mache, bleibt es mir, das ist dann gespeichert in meinem Computer hier oben. Wenn man an etwas gelitten hat, prägt es sich ein.
Ich habe ein sehr gutes Gedächtnis. Drum bin ich jetzt ein wenig angestrengt, weil ich ständig gefragt werde nach Sachen, die die Jungen nicht mehr wissen. Wie ein Archiv komme ich mir vor. Die Jungen wissen viel Neues, aber sehr vieles wissen sie eben nicht. Ich habe ein paar Jährchen gelebt und Leute kennen gelernt. Da kommt etwas zusammen, wahnsinnig. Ich beobachte, wie die Löcher in der Erinnerung der Gesellschaft immer grösser werden. Komischerweise schien es lange Zeit niemanden zu stören, dass hinten so viel fehlt. Jetzt kommt das langsam wieder.
Ein gutes Gedächtnis kommt nicht von nichts. Das kommt bei mir vom Zeichnen. Auch Schreiben geht, aber das Malen und Zeichnen mit der Hand speichert sich am besten ab hier oben. Über das Auge und über das Gefühl gehen die Bilder hinein und bleiben. Ich muss immer einen Block neben dem Bett haben, damit ich zeichnen oder aufschreiben kann, was mir durch den Kopf geht. In der Dunkelheit kommt viel, was sich am Tag nicht hervortraut.
Ein Computer käme mir nicht ins Haus, das sind Prothesen. Ich hasse das alles, diese sklavische Abhängigkeit von Hilfsapparaten. Nur schon dieses Wort, Internet. Mir ist fast alles suspekt, was nett ist. Und ein Handy brauche ich auch nicht, bei der Hanny ist alles handy. Tutti quanti handy bei mir, alles von Hand. Die Sturheit habe ich vom Righini. Bei ihm musste sich sogar das Telefon unter einem Tuch verstecken.
Ich komme aus einer richtigen Künstlerfamilie. Mein Grossvater war der Kunstpapst Sigismund Righini, ein toller Mann. Mein Vater war ein Maler ganz anderer Art und führte eine begehrte Privatmalschule. Meine Mama sass über Schreibheften. Die Kunst, aber auch das Gesellige, das Sich-Mischen und Sich-Einmischen, lag bei uns in der Familie. Ich war ein Einzelkind, aber das Haus war immer voller Leute. Der Vater und vor allem der Grossvater engagierten sich in Gremien und Kommissionen für die Kunst und die Künstler. An der Schanzeneggstrasse 1 wohnten wir, da gab es ein grosses Atelier mit Blick auf den Botanischen Garten und den Fluss. Für Willys Freunde gab es jederzeit Mandarinli oder einen Kaffee vom Kätterli, meistens auch eine warme Mahlzeit. Ich nannte meine Eltern immer beim Vornamen.
Das Kätterli war die Tochter vom Righini und machte kleine Feuilletons. Lustige, farbige Texte. Es kam einmal ein Büchlein heraus beim Orell Füssli. Das Kätterli wäre sehr gut gewesen, aber sie schrieb absolut unleserliche Manuskripte. Der Willy zwang sie dann, es wenigstens so zu schreiben, dass man es in ein Büro geben konnte zum Abtippen. Von uns konnte ja niemand Maschine schreiben. »Seltsamer Abend« heisst das Büchlein. Impressionen waren das, kleine Mansfield-artige Stückchen, ein Schuhladen in Venedig, ein Gewitter im Garten, der Vater im Atelier. Sie hat gut geschrieben, sehr gut. Und sie war auch eine wunderbare Imitatorin. Wenn das Kätterli mit dem Willy ins Cabaret Cornichon ging, lag ich wach im Bett und wartete, bis sie kam und mir vormachte, was sie gesehen hatten. Daheim spross eine freie Bildung, ohne schulischen Druck. Alles ist Schule, wenn man sich darauf einlässt. Die Kunst gehörte bei uns ganz selbstverständlich zum Alltag, das eine bedingte das andere. Ich sass mittendrin, wenn meine Eltern sich über Ausstellungen, Sitzungen der Zürcher Künstlerschaft, über Lesezirkel, den Lyceum-Club, Theater und Konzerte unterhielten. In der Wohnung lagen die Zeitschriften »Der Querschnitt«, »Die Dame« und »Der Simplicissimus« herum. Von diesem Boden zehre ich heute noch.
Ich war das wohlbehütete einzige Kind in diesem Trio familial, und das bekam mir bestens. Als einzige Tochter ist man zwar glücklich, aber auch ein bisschen belastet. Die Lasten der Familie, vor allem die ganzen Vermächtnisse der Vorväter, die trägt man dann auch allein. Weil der Vater so beschäftigt war und mit seiner Kunstschule Erfolg hatte, machte das Kätterli mit der Zeit nur noch den Haushalt und schaute nach dem Rechten. Wunderbar machte sie das, obwohl sie es sicher nicht wirklich liebte. Sie machte es leicht, irgendwie mit links, wie alles, was sie tat. Mich liess sie nie in die Küche, sie wollte nicht, dass ich im Haushalt lernte, sie weigerte sich richtiggehend, mir etwas beizubringen. Vielleicht, damit ich nie in Versuchung käme, das Malen zugunsten von Hausarbeit zu schmeissen. Ich kann bis heute nicht kochen, ausser Spaghetti und Spiegeleier.
In diesem Milieu wurde ich Künstlerin, ohne es zu merken. Ich zeichnete und malte ständig. Am liebsten ganz Gewöhnliches, was grad vor der Nase lag. Ich lernte sehen und das Beobachtete umsetzen. Und ich lernte auch zuhören in diesem Haus, wo alle ein und aus gingen. Künstler reden gern von ihren Problemen und Bobos. Die merkten schnell, dem Hanneli muss man nicht viel erklären, die versteht einen rasch. Menschen haben mich immer interessiert. Ganz normale genauso wie etwa ein Friedrich Dürrenmatt oder der Ludwig Hohl, mit dem ich später acht Jahre zusammenlebte.
Ich ging an der Hohen Promenade in Zürich in die Töchternschule. Aber ich musste mich nicht mit einer Matura abplagen, mir widerfuhr die Gnade, Freischülerin zu sein. Das gab es damals noch. Ich konnte die Fächer auswählen, die mich interessierten und die ich brauchte für die Kunstgewerbeschule. Die Haushaltungsschule strich ich auch, gegen den Willen vom Papa allerdings. Der fand, das brauche man doch als Frau. Aber das Kätterli verstand das sehr gut und unterstützte mich. Dass ich in die Kunstgewerbeschule eintrat, war klar, man verlor kein Wort darüber. Dass ich trotz dieser Selbstverständlichkeit, oder gerade deswegen, einen eigenen Weg suchen musste, merkte ich erst mit der Zeit. Aus dem Schatten der erratischen Blöcke zu treten, die Vater und Grossvater bildeten, war nicht einfach. Es waren aber ebenfalls Männer, die mir halfen, auf meinem selbst gefundenen Weg zu bleiben.
Nach der Kunstgewerbeschule wollte ich eigentlich nach Paris, an eine Mal-Akademie. Aber der Krieg brach aus und die Grenzen schlugen zu. Da zog ich nach Genf, wohnte in einer Pension und studierte an der Ecole des Beaux-Arts. Das war die einzige Möglichkeit für ein Kunststudium in der Schweiz. Dort arbeiteten wir vom Morgen bis zum Abend, malten, bis wir umfielen. Akte, Porträts, immer grossformatig, manchmal mit dem Verlängerungsstab, nicht klein auf den Tischen wie in Zürich. Das gefiel mir sehr. Aber meine Eltern brachten ein grosses Opfer, dass sie mich gehen liessen in dieser schwierigen Zeit. Diese Trennung war für sie schmerzhaft. Das Kätterli schickte mir regelmässig feine schwarze Strümpfe, die ich so gern trug. Der Willy und der Righini mobilisierten väterliche Freunde, die mich unter ihre Fittiche nehmen sollten. »Am Sonntag bist du vorerst immer beim Bildhauer James Vilbert eingeladen«, hiess es. Ich liess sie gewähren, aber nichts hinderte mich am Genuss einer neuen, französisch geprägten Freiheit.
Die behütete Jugend gab mir sehr viel Standfestigkeit. Es ist eigentlich erstaunlich, dass ich in einer solchen Familie eine so gute Bodenhaftung bekam. Bodenhaftung hilft einem, selbständig zu arbeiten, schwierige Wege zu gehen, nicht aufzugeben. Es braucht viel Kraft, wenn man alles selber herausfinden will. Bis man weiss, was man ist und was einen ausmacht. Es ist meistens nicht einfach, so zu leben, dass es sich lohnt, darüber nachzudenken. An den eigenen Sachen festzuhalten, ist ziemlich anstrengend. Natürlich muss man auch merken, was man kann und wo man besonders gut ist. Da hatte ich in dieser Familie einen Vorteil, weil es alle merkten. Und dann gibt es nur noch eins: viel arbeiten, arbeiten, arbeiten. Dann bekommt man plötzlich auch Unterstützung von aussen.
Der grosse Kopf Ludwig Hohl fand es wunderbar, dass ich malte, aber er hasste es, wenn ich tagelang »landschaften« ging. Ihn verliess, bloss um Landschaften zu malen. Er hasste es auch, wenn ich ein paar Tage nach Zürich verreiste. Er litt Qualen, wenn ich nicht da war, so war der Hohl. Lieber begleitete er mich abends zum »Dringlichschalter« der Post am Bahnhof Cornavin. Ich hatte die grossen Couverts mit den abzuliefern-den Illustrationen unter dem Arm, ihm hing wie immer die Gauloise von den Lippen. So war er zufrieden, denn es war ja nicht ich, die verreiste, und bald würden meine Arbeiten von Verlagen und Redaktionen honoriert werden – und der Geldbriefträger würde unser Leben erleichtern. Ein solcher Abend endete meistens im Buffet de la Gare, und ich konnte mein Zeichenblöcklein aus der Tasche ziehen und mein Lieblingsthema, das mir bis heute geblieben ist, weiterskizzieren, Bahnhöfe.
Der Hohl war ein phänomenaler Literat und Philosoph, ein genialer Mensch, ein richtiger Solitär im wahrsten Sinn des Worts. Und ein sehr schwieriger Mann. Als ich nach Genf kam, war er noch wenig bekannt. Kennen gelernt habe ich ihn in einem Café. Ich sass ständig in irgendwelchen Parks und Cafés, um zu zeichnen und weil ich nicht kochen konnte. In Genf war es ein wenig wie am Montmartre in Paris, die Cafés waren der Mittelpunkt des Künstlertums. Wunderbar war das. Das Clémence an der Place du Bourg-de-Four war unser Montmartre, das Café du Centre und die grossen Brasserien an der Place du Molard unser Montparnasse.
Ich hockte also an einem Tischchen, und in einer anderen Ecke hockte der Hohl mit seiner Entourage und rezitierte etwas. Er sah einfach fabelhaft aus, wirklich sehr gut sah er aus. Der Hohl war fünfzehn Jahre älter als ich, ich war erst Anfang zwanzig und natürlich sofort beeindruckt von seiner Erscheinung. Er hatte eine enorme Ausstrahlung, wenn er in einer geselligen Phase war. Das war selten. Wahrscheinlich sah er, wie ich an seinen Lippen hing, jedenfalls kamen wir ins Gespräch. Er fand anscheinend sofort, mit dieser Hanny kann ich über alles reden. Das erzählte er mir später einmal. Er interessierte mich, aber ich war ihm nicht untertan, ich war Leute wie ihn gewöhnt. Wir waren uns sofort nah, im Gespräch und auch sonst, vom ersten Moment an. Wir fanden uns einfach gut, jedes den anderen. Das war für den Hohl ein Glücksfall. Und für mich doch auch! Kurze Zeit später stand er vor der Pension Hemmeler, wo ich wohnte, mit einem Billett, »Invitation pour Hanny Fries – pour la lecture de Ludwig Hohl«. Er gab ab und zu solche Abende, die Leute liebten seine Auftritte, weil er wunderbar las und rezitierte. Wenn er in Stimmung war, hatte der Hohl immer Erfolg. Er war sehr beliebt, und er war sehr einsam, beides.
Mit ihm zu leben, war nicht leicht, aber äusserst anregend. Ich kenne niemanden, der dermassen konsequent auf seinem unbürgerlichen Weg beharrte. Gegen alle Widerstände, immer nur seine Arbeit, seine Überzeugung und auch sein Tagesrhythmus. Der Hohl mischte sich kaum, mit nichts. Aber er dachte über alles nach, immer weiter und weiter. Das ist unglaublich, dass einer das ein Leben lang durchhält. Er war so veranlagt, er konnte nicht aus seiner Haut. Es ist das, was der Dürrenmatt und auch der Max Frisch an ihm bewunderten, ja eigentlich beneideten, diese fast unmenschliche Kompromisslosigkeit. Auch mich zog das an, die Rigorosität, mit der er das Eigene durchzog, es durch und durch lebte. Verdient hat er kaum etwas damit.
Wir ernährten uns schlecht und recht von meinen Aufträgen. Ich bekam schon während dem Studium Aufträge für Illustrationen. Der Manuel Gasser von der »Weltwoche« unterstützte mich. Ich arbeitete unter anderem auch für die »Annabelle«, die NZZ, die »Elle« und »Die Frau«. Oder ich illustrierte Bücher für den Peter Schifferli vom Arche Verlag und für den Manesse-Verlag. Sehr gern zeichnete ich auch ganz Profanes, Gärtnergeschichten zum Beispiel für sjw-Heftchen, die Publikation des Schweizerischen Jugendschriftenwerks. Es störte mich überhaupt nicht, Hefte mit Bärchen zu füllen, die plötzlich so in Mode kamen. Man muss etwas damit anfangen. Aus banalen Vorgaben etwas kreieren ist eine Herausforderung. Gute Künstler schätzen solche Aufträge, nur die schlechten sind sich zu schön dazu.
Übrigens, nichts lieber, als zum Beispiel der Literatur ein Gesicht verleihen. Wenn ich nicht Künstlerin geworden wäre, hätte ich wohl vergleichende Literaturwissenschaft studiert. Ich illustrierte auch Texte von Silja Walter. Die Silja war sehr erfolgreich, eine vielversprechende junge Schweizer Dichterin. Sie bekam einen Preis um den anderen, und dann ging sie ins Kloster. Auch so eine, marschierte unbeirrt ihren Weg. Wir haben uns eine Zeit lang geschrieben, aber jetzt habe ich jahrzehntelang nichts mehr von ihr gehört. Aber die Silja wird immer wieder erscheinen. Was gut ist, kommt irgendwann wieder.
Auch der Hohl ist einer, der nie vergehen wird. Vor kurzem fiel mir ein Geschenk in die Hände, das er mir einmal machte. Er hatte es selber von Hand genäht und geleimt, »Eine Suite für Hanny«, wunderschön. Es sind Zitate, Bemerkungen, die auf das Leben passen, Sprüche, Gedanken zur Einsamkeit, dann wieder »Geliebtes leuchtet durchs Gedränge« und solche Sachen. Der Hohl konnte unverständlich sein, aber auch äusserst liebenswert, richtig grosszügig. Er überredete mich zum Beispiel, ein Kleid zu kaufen, das mir sehr gefiel und das wir uns gar nicht leisten konnten. Ein Wollröckchen mit Tigermuster, Tigerlook. »Mais achète donc cette robe!«, sagte er. »Kauf es dir doch!» Er sparte es sich lieber vom Mund ab, als auf das Vergnügen zu verzichten, mit mir im Tigerlook durch Genf zu flanieren. Wir redeten oft französisch miteinander. Zum Beispiel über Katherine Mansfield, die wir beide verehrten, über Rahel Varnhagen, über Charles-Albert Cingria. Leider habe ich das Tigerkleid hängen lassen, als ich ging, zusammen mit der fantastischen spanischen Robe, die ich auf einem Flohmarkt entdeckte. Manches Schöne verschwindet eben doch, aber das macht nichts.
Der Hohl war auch ein guter Koch. Wenn wir wenig Geld hatten, stiefelten wir durch die Wälder und sammelten Pilze. Wir waren immer knapp bei Kasse, da änderte der Krieg gar nichts. Zu Hause hatten wir immer das gleiche Problem: Ich wollte die Pilze malen, und er wollte sie kochen. Er schimpfte, dass die Würmer die Pilze gefressen hätten, bis ich fertig sei mit Malen.
Dass der Krieg rundherum wütete, davon habe ich ehrlich gesagt wenig mitbekommen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, ich war ziemlich apolitisch. Zu sehr beansprucht von meinen eigenen Lebensproblemen, meiner anstrengenden Lebensweise. Besessen von der Liebe und der Kunst. Ich war in allem erst am Anfang, als der Krieg ausbrach. Die Lehrer von der Académie führten uns ab und zu an die Grenzen um Genf und zeigten uns, wie weit wir gehen konnten. Bis hierher und nicht weiter. Das gab einem gleichzeitig das Gefühl, Glück zu haben und eingeschlossen zu sein. Der Hohl hingegen war politisch äusserst aufmerksam. Er hatte viele jüdische Freunde, die plötzlich bei uns auftauchten. Und die ganze Atombombengeschichte beschäftigte ihn sehr.
Im Elternhaus in Zürich war der Krieg das Dauerthema. Ich war nicht so oft dort, wie ich gewollt hätte, aber die Mutter erzählte und schrieb mir davon. Man fürchtete sich davor, dass die Deutschen ins Land einfielen und alles besetzten. Der Willy gestand dem Kätterli später, dass er sich eine Pistole organisiert hatte, falls die Deutschen doch noch über die Schweiz hergefallen wären. Damit sie uns nicht hätten verschleppen können.
Nach sieben Jahren wilder Ehe heiratete ich den Hohl. Meine Eltern waren entsetzt. Sie schrieben mir Briefe, ich solle das um Himmels willen nicht tun. Aber solche Ratschläge befolgt man als junger Mensch nicht immer, Gott sei Dank. Ich glaube, ich war eine gute Tochter, aber nicht immer folgsam. Wenn überhaupt, folgt man in dem Alter den Freunden, und meine Freunde fanden, dem Hohl würde es besser gehen, wenn wir verheiratet wären. Dass das mit uns nicht gut gehen konnte, wusste ich eigentlich selber. Aber ohne ihn zu heiraten, hätte ich mich nie von ihm befreien können. Bei ihm zu bleiben, hätte mich vielleicht zerstört, und ihm hätte es nicht geholfen. Ich musste es durchleben, weitermachen bis zum Ende und wieder anfangen. Gerettet haben mich die Bodenhaftung und mein gesunder Freiheitsdrang.
Wir gingen zusammen in den Jura und beweinten unsere Trennung eine Weile. Dann kehrte ich nach Zürich zurück. Ich sorgte dafür, dass der Hohl nicht allein blieb, als ich ging. Es war mir nie egal, wie es ihm ging. Die Liebe in ihrer seltenen, grossen Form vergeht nicht. Sie wandelt sich höchstens. Der Hohl war fünfmal verheiratet. Das war vielleicht seine Tragik, er kam über die Entwürfe nicht hinaus.
Das Leben ist ein Wechselbad, dann ist es gut. Alles mischt sich immer wieder neu, wenn es fliesst. Für mich war das so, obwohl ich es nicht suchte. Das Mischen ergibt sich vielleicht auch aus dem Doppelblick. Den muss man üben und pflegen, er bringt diese Mischung automatisch, das war Hohls Maxime für die Beziehung zum anderen. Das scharfe und das rührbare Auge. Er hatte es von Goethe: »Niemand kann sich glücklich preisen / Der des Doppelblicks ermangelt.«
Mit meiner grossen, letzten Liebe lebe ich heute noch zusammen. Seit über vierzig Jahren sind wir ein ziemlich glückliches Paar. Wir haben sogar geheiratet, der Ordnung halber, weil wir beide so viele Verpflichtungen haben. Mein Mann ist ein absolut zauberhafter Mensch. Grosszügig, gesellig, kritisch und aufmerksam. Künstlerisch extrem auf der Höhe, der wäre ein wunderbarer Maler geworden, wenn er nicht einen anderen Weg eingeschlagen hätte und Grafiker geworden wäre. Und er kocht fantastisch.
Ich sehe nicht ein, warum eine Liebe nicht gut alt werden könnte. Wenn sie gesund ist, wird sie alt werden. Das Spannende an der Liebe ist das Sich-Vermischen mit einem anderen Menschen. Neue Farben entstehen, wenn man die Mischung immer wieder ein wenig nuanciert. Und wenn man den Doppelblick übt. Das kann man doch auch mit dem gleichen Partner. Die Kunst ist, das richtige Mass zu finden zwischen der eigenen Freiheit und dem Nachgeben dem andern zuliebe. Sicher muss man oft nachgeben. Aber dort, wo es einen wirklich an einem Lebensnerv trifft, muss man sich behaupten. Dazu braucht es Bodenhaftung, die Sicherheit auf dem eigenen Weg.
Und man muss aufmerksam bleiben. Muss merken, wenn der andere nachgibt, dann schätzt man es und macht es auch selber lieber. Es ist doch etwas vom Schönsten, alte Paare zu beobachten mit ihren wortlosen Einverständnissen. Diese Friedfertigkeit entspannt das Leben ungemein. Spannung ist auch wichtig, die braucht aber keinesfalls immer erotisch zu sein. Es kann auch spannend sein, in eine Beiz mitzugehen, in die man eigentlich nicht gehen wollte, und sich überraschen zu lassen, dem anderen zuliebe. Aber irgendwo muss man sich einen Ort freihalten, wo gar nichts vermischt wird. Wo man absolut machen kann, was einem einfällt. Das ist existenziell für künstlerisches Tun, vielleicht überhaupt. Ich habe das vom Righini gelernt, diese unbedingte Verteidigung eines eigenen Ortes.
Mit Kindern geht das schlechter. Kinder wollte ich nie, eigentlich lieber nicht. Meine mütterliche Seite beschränkt sich auf Windeln. Ich musste mich entscheiden, entweder Leinwand oder Windeln. Beides ging schlecht, jedenfalls in jener Zeit. Wahrscheinlich auch heute noch. Ich habe sehr gerne Windeln, diese altmodischen, ich benutze sie als Mallappen. Vielleicht ginge es auch mit Pampers. Es wird nämlich immer schwieriger, diese schönen Stoffwindeln zu finden.
Familie hiess für mich der Mann, die Eltern, die Freunde. Freunde habe ich immer als Familie empfunden, ich bin sehr treu. Unter den Künstlern gab es eine gewisse Solidarität, man traf sich regelmässig in den Cafés. In der Kronenhalle sassen wir schon, als uns die Serviertöchter die Konsumation noch vorschiessen mussten. Wir sassen im Odeon, im Select, das ist jetzt alles anders. Und diese wunderbaren EPA-Restaurants, die stink-billig, gewöhnlich und gut waren, sind verschwunden. Zusammen mit der originellen Kundschaft. Mit dem Hohl ging ich fast täglich ins EPA-Restaurant in Genf. In Zürich zur EPA am Bellevue und ins altjümpferliche Café Gleich in Örlikon. Alles nicht mehr da. Heute hat es überall Lounges, in denen man vor lauter Lockersein nicht mehr richtig sitzen kann. Ich sitze lieber an einem rechten Tisch, als mit Fremden auf Sofas zu liegen. Und die Kundschaft ist inzwischen so originell, dass man sie auf gar keinen Fall malen möchte.
Der grösste Verlust war das Odeon, dort hat der Niedergang dieser Lokale begonnen. Ich glaube, es gibt unter den Künstlern auch diesen Zusammenhalt nicht mehr. Wir gingen regelmässig an die Luft, spazieren. Wir wussten, wo man die anderen trifft. Keiner musste telefonieren, die meisten hatten gar kein Telefon und wahrscheinlich auch keine Lust, sich an einen Apparat zu hängen. Wir hatten Orte, wo wir uns trafen, jammerten, diskutierten, feierten. Diese Orte waren so wichtig wie das Zuhause, für manche wichtiger. Mir scheint, jetzt hockt jeder für sich in seinem Atelier oder Loft und brütet fürs nächste Stipendium. Tüftelt über dem Businessplan, den er dafür abgeben muss. Das kreiert ganz andere Künstler.
Den Dürrenmatt zeichnete ich als jungen Mann im Spital, vor Urzeiten. Den besuchte dort kaum jemand, er war oft krank. Mit dem Dürrenmatt hatte ich eine freundschaftliche Beziehung, die richtige Mischung aus Anteilnahme und Distanz. Ich kannte ihn vom Hohl und vom Schifferli. Wir mochten uns, wir redeten über alltägliche Dinge, Verlegerprobleme, Finanzprobleme, Gesundheitsprobleme und »In welche Beiz gehen wir? Kennst nicht noch etwas anderes als immer diese Kronenhalle?«. Aber er musste nie meine Zeichnungen begutachten, und ich musste nie seine Stücke kommentieren. Ich zeichnete sie nur. Unser Verhältnis war sehr entspannt.
Tausende von Zeichnungen habe ich im Theater gemacht, auch in Opern und im Cabaret. Vom Dürrenmatt und vom Max Frisch zeichnete ich sämtliche Stücke, aber auch von anderen Autoren, die ein kleineres dramatisches Werk schufen. Liegt tutti quanti versammelt in Mappen und Blöcken in den Tiefen meines Theaterschranks. Wohl ziemlich alles wurde in diesem »Work in Progress« festgehalten, was nach dem Zweiten Weltkrieg im Theater passierte. Was im Theater passiert, passiert auch im Leben, das ist wie ein Spiegel. Ich vermute, wenn man diese Zeichnungen in ihrer Abfolge von Jahrzehnten in einen Zusammenhang stellte, käme Interessantes zum Vorschein. Bis jetzt habe ich keine Zeit gefunden, mir das einmal genauer anzusehen. Sie liegen da einfach, und ich arbeite weiter.
Zeichnen ist eigentlich schnell, das passt mir. Man kann die Augen schweifen lassen, flüchtige Eindrücke einfangen, überblenden. Man kann an vielen Orten gleichzeitig sein und es zusammenfliessen lassen. Das Zeichnen liebe ich, schon immer. Malen ist langsam. Dafür hat man keinen Termindruck, kann sich endlos Zeit lassen.
Vor kurzem gab es eine Ausstellung im Centre Dürrenmatt in Neuchâtel. Die nannte ich »Der Besuch der alten Malerin«. Das ist doch gut, alt gefällt mir. Eine Bekannte meckerte sofort, alt könne man doch nicht sagen, das klinge schrecklich. Ich habe kein Problem mit diesem Wort. Ich sehe darin eher einen Rang als eine Beleidigung. Ich hätte auch kein Problem mit Ihrem Untertitel »Alte Frauen erzählen«. Die Leute zucken zusammen beim Wort alt, das ist ziemlich neurotisch. Ich muss sagen, ich hatte die alten Leute immer schaurig gern. Das tönt zwar, als wäre ich selber noch jung, aber es ist so. Ich bin in meinem Leben vielen Alten nachgelaufen, um sie zu zeichnen. Altes ist meistens interessanter als Junges, es ist mehr Leben drin. Und etwas ist ganz fabelhaft. Jetzt, wo ich selber alt bin, ist Altsein irgendwie schick. Suddenly you’re old and in.
Ich möchte aber gern noch ein paar Jährchen leben. Vor allem, um Zeit zu verlieren. Das ist mir wichtig im Leben, Zeit verlieren. Weil ich nämlich, indem ich Umwege machte, meistens zu einem guten Ziel kam. Da finde ich zum Beispiel eine Stelle in der Stadt, die ich noch nie betrachtet habe. Auf dem direkten Weg hätte ich sie nie gefunden. Immer, wenn ich einen Umweg machte oder machen musste, ist am Schluss etwas Gutes herausgekommen. Darum muss ich Zeit verlieren, wie andere Fitnesstraining machen. Verlieren tönt negativ, wie das Wort alt. Aber es ist gewinnen. Also möglichst viel Zeit verlieren. Und dann weitermachen, weitermachen bis zum Ende. Und wieder anfangen.
9. August 1923
In dieser Küche wird gearbeitet. Sie ist der Mittelpunkt einer kleinen Wohnung mit grossem Balkon. Seidenblumen stehen frisch auf dem Tisch. Im antiken Geschirrschrank lehnen keine Porzellanteller, sondern Marien, Jesuskinder, Apostel mit goldenem Hintergrund und warten auf ihre Vollendung. Fränzis Abenteuer sind heute Ikonen.
Enge gefiel mir nie. Ich fühlte mich schnell eingesperrt und angebunden, das hielt ich nicht aus. Ich hatte es gern, wenn etwas lief, sonst wurde es langweilig. Meine Kindheit war nicht gerade ruhig. Aufgewachsen bin ich in Örlikon, an der Zapflerstrasse, die heisst heute Probusweg. Zuerst waren wir im Eisernen Zeit, das war etwas Edleres. Dann gingen wir hinunter nach Seebach, das war billiger. Dann an die Rütlistrasse, das war ein bisschen grösser. Sie heisst heute Berninastrasse. Dann hinauf an die Zapflerstrasse, die war heller. Danach mit der Mutter noch an die Langackerstrasse. Die Strassennamen änderten, als das Dorf Örlikon zu Zürich kam im Vierunddreissig. Wir waren drei Kinder, ich bin die Älteste, dann kam das Anita, dann der Theo. Das Anita ist plötzlich gestorben an der Rütlistrasse. Es war ein wenig feucht dort. Sie war schwach und starb an einer Lungenentzündung, mit drei Jahren. Da zogen wir weiter, ich war in der Chegelischule, im Kindergarten. An der Zapflerstrasse war alles modern. Die Kühe vom Milchbuck und von der Hirschwiese weideten bis vor unser Haus.
Dass wir so viel umzogen, hatte auch mit meinem Pape zu tun, mit seinen Geschäften und Zeug und Sachen. Er war eigentlich Drogist, zwischendurch hatte er einmal eine Drogerie. Zur Palme hiess das dort, am Schaffhauserplatz. Es lief aber nicht, und wir gingen Konkurs. Wahrscheinlich, weil mein Vater zu wenig Wissen und Erfahrung hatte als Geschäftsmann. Er wurde wieder Reisender, Handelsreisender in Drogeriewaren. Ich erinnere mich nicht im Detail, ich war noch klein in der Palme. Die Mutter erzählte mir davon, als ich später mit diesem Schuldschein nach Hause kam. Das war kurz nach Vaters Verschwinden, wir wohnten schon wieder woanders.
Das mit dem Pape war in der Zeitung rumgeschleppt worden, und eines Tages – Jahre später – sprach mich beim Caveglia an der Löwenstrasse im Treppenhaus einer an. Ich arbeitete dort und kannte den flüchtig, weil er im gleichen Haus wohnte. Er hatte einen griechischen Namen und handelte mit Schwämmen, auch ein Reisender. Er fragte mich, ob ich die Tochter sei von diesem Utinger in der Zeitung. Und dann überreichte er mir einen Schuldschein, den habe er vor Jahren bei Vaters Konkurs bekommen. Aber er werde ihn nie einlösen, die Mutter habe genug Kummer. Sie brach wieder in Tränen aus, als ich ihr den Schein brachte.
Der Vater war beim Wernle als Drogist angestellt gewesen, die Mutter arbeitete dort im Büro, so hatten sie sich kennen gelernt in den Zwanzigerjahren. Er war Zuger, sie hiess Viola und war die Tochter von Giovanni Giacomin, einem eingewanderten italienischen Gemüsehändler aus dem Zürcher Niederdorf. Auch mit diesem Grossvater kam es nicht gut. Die Mutter brachte uns jedenfalls nie Italienisch bei, sie schämte sich eher, Italienerin zu sein. Die Italiener waren die Fremden in der Schweiz, und Fremde waren sehr unbeliebt. Ich lernte dann später selber Italienisch.
Der Vater hatte viel vorgehabt, mit sich und mit uns. Er wollte selbständig sein, der Familie etwas bieten. Darum war er oft nicht da, auch über Nacht nicht, weil er herumreiste, um Geld zu verdienen. Ohne Auto, mit dem Zug, mit dem Velo oder zu Fuss. Es lag ihm viel an unserer Erziehung, er war ein guter, aber strenger Vater. Wenn er zu Hause war, wollte er immer, dass ich mich ruhig zu ihm setze und mit ihm zeichne. Ich weiss noch, ich musste Zeichnungen machen, er zeigte mir die Schattierungen und Zeug und Sachen. Wenn ich zu schnell war, sagte er: »Nicht kritzeln, Fränzi. Langsam.« Er malte selber auch, und mit meinem Bruder machte er Mechanik. Handwerklich war er sehr begabt, er baute uns ein Zimmer aus alten Obstkistchen, Stühle, Schränke, Regale, und strich alles grün und orange an. Ein wunderschönes Kinderzimmer hatten wir.
Wenn sie am Samstag vom Hermes-Verein der Handelsreisenden bei uns Sitzung hatten, bastelte der Vater stundenlang Aufschnittplatten, hochdekorierte. Aus Eiern und Tomaten schnitzte er Schwäne und Blumen, aus den Cornichons Igelchen. Er entwarf auch das Verbandswappen. Sonst malte er vor allem Blumen. Er wollte, dass ich das auch lernte, einfach so für mich. Vielleicht dachte er, damit ich einmal ein Hobby habe. Er spielte auch Geige mit mir, und ich durfte ihn auf dem Klavier begleiten. Ab und zu gab ich sogar ein kleines Vortragskonzert im Gemeindesaal in Örlikon, mit Publikum. Als der Vater nicht mehr da war, habe ich mit diesen Sachen aufgehört.
Wenn die Mutter zum Arzt musste in die Stadt, gab sie mich bei den Grosseltern im Niederdorf oder am Gemüsemarkt beim Bahnhofquai ab. Manchmal durfte ich mit dem Grossvater auf die Felder im Seefeld, dort hatten die Grosseltern Land gekauft und bauten Gemüse an. Ich liebte den Grossvater, und ich liebte den Markt mit den vielen Italienern. Es gefiel mir auch in den verrauchten Beizen, in die er mich mitnahm. Der Mutter gefiel das nicht. Sie fand, diese Touren seien kein guter Zeitvertreib für ein Mädchen. Eigentlich auch nicht für den Grossvater.
Sie hatte recht, denn eines Tages verschwand er nämlich. Er war an einem schönen Abend nach der Arbeit mit ein paar Kollegen beim Bellevue auf den See hinausgerudert. Sie hatten schon ein paar Aperitifs getrunken, Feierabend. Nach einer Weile kamen die Kollegen zurück. Aber der Grossvater war nicht mehr dabei. Niemand konnte sagen, was geschehen war. Man fand ihn nie. Wahrscheinlich liegt er jetzt noch irgendwo auf dem Seegrund beim Bellevue.
Meinen Pape fand man dafür. Das war im Fünfunddreissig, da war ich gerade zwölf geworden und der Vater zweiundvierzig. An einem Freitagabend im September kam er auch nicht mehr nach Hause. Er war die ganze Woche auf der Reise gewesen und hätte heimkommen sollen an die Zapflerstrasse, aber er kam nicht. Meine Mutter wartete und wartete und war sehr nervös, weil auch kein Anruf kam. Gegen Morgen telefonierte sie auf die Polizeiwache Örlikon. Und der Polizist sagte: »Gute Frau, beruhigen Sie sich. Der wird bei einer sein. Der wird schon wieder kommen.« Nicht gerade die feine Art. Es wurde Samstag, und er kam nicht. Die Mutter weinte nur noch und telefonierte herum. Sie fand eine Frau, bei der der Vater zuletzt gewesen war, in einem Kaff hinter Bülach. Die erzählte ihr, dass er bei ihr am Abend um sechs weggegangen sei, dass er den Zug verpasst habe und zu Fuss nach Kloten laufen wollte. Zu einem Freund, der eine Zigarettenfabrik besass und ein Auto. Der hätte ihn nach Hause fahren sollen. Eine Woche später hätte mein Vater selber ein Auto bekommen. Er war schon angemeldet für die Fahrstunden. Dann wäre das nicht passiert. Janu, das war zu spät.
Am Sonntag kam ein Onkel mit Militär, die suchten die Gegend ab. Der Onkel fand den Pape, am Rand vom Bülacher Wald. Am Strassenrand, im Gebüsch. Er war noch aufgestützt, so, auf die Ellbogen. Anscheinend hatte er versucht, noch einmal aufzustehen. Er hatte eine Mappe mit Müsterchen bei sich gehabt, die war weg. Auch die zwanzig Franken, die er jeweils auf die Reise mitnahm, waren weg. Und auch die Taschenuhr, eine Plaqué, kein echtes Gold, war weg. Das Messer hatten sie ihm gelassen. Er hielt es in der Hand, das rote, mit offener Klinge. Alles war voller Blut. Ein Loch im Nacken und ein Loch im Rücken, von hinten erschossen. Den Mörder fand man nie.
Es hiess nachher, er habe mit der Nationalen Front sympathisiert. Die Rechten sagten das, und die Linken sagten das auch. Es sei wahrscheinlich ein politischer Mord gewesen. Dabei war er nicht dabei bei denen, er war nirgendwo dabei, nur bei den Handelsreisenden. Man hatte meinen Vater für zwanzig Franken und eine unechte Uhr umgebracht. Aber die Zeitungen fanden einen besseren Grund. Der Hitler war in Deutschland schon an der Macht, alles war aufgeheizt. Für uns war der Vater einfach tot.
Von einem Moment auf den anderen wurde es sehr still in unserer Wohnung. Eine Witwe bleibt meistens einsam, das habe ich später oft beobachtet. Mutters Leben fiel um, zack. Wir zogen Hals über Kopf in die winzige Wohnung an der Langackerstrasse. Die konnte sie mit den hundertachtzig Franken von der Suval, der Unfallversicherung, gerade bezahlen. Die Mutter litt von jetzt an nur noch, furchtbar. Oft schwänzte ich die Schule, weil ich befürchtete, dass sie den ganzen Tag heult und sich etwas antut. Davor hatte ich am meisten Angst. Ich blieb bei ihr und log in der Schule, fälschte auch Unterschriften, damit ich sie im Auge behalten konnte. Nicht unbedingt aus Erbarmen. Eher aus einer Art schlechtem Gewissen heraus. Wie soll ich sagen – es machte mich wütend, dass sie immer weinte. Sie war sehr schwach, gebrochen, und ich ertrug das schlecht. Und fühlte mich irgendwie verantwortlich.
»Warum ausgerechnet wir? Warum ich?«, das war der Refrain. Der Vater, die fröhlichen Abende und unser schönes Zimmer waren fort, die Mutter ergab sich dem Leiden. Sie klammerte sich von nun an an mich. Ich wurde ihr Lebensinhalt. Der Bruder ging später, sobald er wegkonnte, nach Afrika und verkaufte schwarzen Frauen Nähmaschinen. Mutters einzige Stütze war ich, für alles und jedes, auch finanziell. Ich blieb bei ihr in der winzigen Wohnung, bis ich achtundzwanzig war.
Der Freund meines Vaters, der mit dem Auto, gab ihr eine Stelle in seiner Zigarettenfabrik, Mahalla hiess sie. Sie kannten sich von Seebach, er hatte bei der Turmac angefangen, einer anderen Zigarettenfabrik. Bis ich etwas verdiente, arbeitete die Mutter dort. Sie schob grossbusige Amerikanerfrauen zwischen die Zigaretten, so ein glänzendes Filmstar-Bildchen kam in jedes Päckchen. Die gingen weg wie warme Semmeln. Sie begann dort auch zünftig zu rauchen. Am Morgen stellte die Firma den Frauen am Arbeitsplatz Hunderterschachteln Zigaretten zur freien Verfügung, als Zwischenverpflegung. Manchmal brachte sie uns Bildchen nach Hause.
Die Verantwortung zu Hause nach dem Tod meines Vaters musste ich übernehmen, mit zwölf. Über Mittag rannte ich heim und kochte Mahlzeiten, die der Bruder nie ass. Ich konnte gar nicht kochen, und er ass nie, was ich fabrizierte. Bis es nicht mehr ging. Wir stritten nur noch und assen zudem nichts. Da musste der Bruder in den Hort, und ich hatte wieder mehr Zeit, mich auf die Sekundarschule zu konzentrieren. Ich hatte Pläne und eine Begabung für Sprachen. Ich sehnte mich danach, fortzukommen aus der Enge, unabhängig zu sein und frei. Ich wollte Dolmetscherin werden, die waren selbständig und kamen auch als Frauen in die Welt hinaus. Mein riesengrosser Traum war das.
Nach der Schule ging ich also ins Welschland fürs Französisch, danach nach Italien, und zum Schluss wollte ich nach England. Dann in die Dolmetscherschule. Die Sprachaufenthalte bezahlte die Versicherung. Für jedes Kind bekam die Mutter Ausbildungsgeld, aber nur für das. In Mailand konnte ich bei einem Onkel wohnen, dem Bruder der Mutter, er hatte eine riesige Wohnung. Der war Ingenieur und Royalist. Nach dem Studium in der Schweiz war er nach Italien gegangen, weil er in Abessinien für »seinen König« kämpfen wollte, wie er sagte. Aber der König wollte ihn gar nicht. Da verliebte er sich stattdessen, blieb in Mailand, entwarf Lifte und verspielte viel Geld bei Pferdewetten. Mein Kostgeld kam ihm sehr gelegen. Aber ich musste es hüten wie die kleinen Kinder des Onkels, sonst landete auch mein Geld bei den Pferden, bevor es die Tante zu Gesicht bekam.
Ich fühlte mich sofort zu Hause in Italien. Die Lebensart, der Betrieb, das Essen, die Leute, alles gefiel mir. Jeder im Haus kannte mich, man besuchte einander, schwatzte, umarmte und stritt sich, freute sich aneinander. Alles war offen und herzlich und lustig. Ich hätte für immer dortbleiben wollen. Ich ging in die Schule und mit den Kleinen spazieren, nahm wieder Klavierstunden und flirtete mit den italienischen Ragazzi, die konnten das. Natürlich auch mit den Schwarzkäpplern, die überall herumstanden, mit allen. Ich war sechzehn und sah in den Käppchen wenig Unterschied. Das Leben war herrlich, es hätte ewig so weitergehen können.
Aber dann kam der Krieg und ein Anruf der Mutter. Ich müsse auf der Stelle nach Hause kommen. Die Schweizer Grenzen gingen zu, und dann könne niemand mehr heim. Aus der Traum, sie brachten mich auf den Zug. Diese Reise zurück in die enge Wohnung der Mutter war schrecklich. Immerhin wenigstens spannend, sie verhörten mich nämlich. Ein Grenzpolizist mit Pelzkäppchen bewachte mich bis Göschenen und löcherte mich. Woher ich käme, wo ich wohne in der Schweiz, mit wem ich zusammen gewesen sei in Mailand und was ich vorhabe. Er merkte dann, dass ich eine gewöhnliche Sprachschülerin war und keine Spionin. Auch im Gepäck fand er nichts, damals hatte ich noch nichts zu verbergen.
So landete ich wegen diesem blöden deutschen Krieg wieder bei der Mutter. Ich weiss ja, dass die heutigen Deutschen nichts dafür können, aber das habe ich ihnen nie verziehen. Statt mich in Mailand oder London auf ein Leben voller Abenteuer vorbereiten zu können, musste ich zurück zur Mutter nach Örlikon und in eine Schule für Haushalt. Alles konnte ich mir vorstellen, aber niemals, Hausfrau zu werden. In einer kleinen Wohnung mit Kindern eingesperrt sein und Hemden bügeln. Auf einen Ehemann warten. Weder von einem Chef noch von einem Ehemann wollte ich abhängen. Vielleicht wusste ich das damals noch nicht so klar, ich sah nur dieses Bild, wie ich eingesperrt bin, warte und bügle. Oder vor einem Stenoblock hocke und aufs Diktat warte.
Man musste nehmen, was es gab, ich hatte keine Wahl. Dolmetschen ohne Englandaufenthalt kam nicht in Frage, also lernte ich Stenografie in vier Sprachen und Schreibmaschineschreiben wie der Teufel, das konnte man immer brauchen. Ich bewarb mich und wurde sofort genommen, für hundertzwanzig Franken im Monat. Die meiste Zeit des Krieges verbrachte ich mit Arbeiten, auf Partys und in der Oper. Wir sagten nicht Partys, wir sagten eigentlich gar nichts, wir trafen uns einfach und feierten die Nacht durch. Ich hatte eine Stelle bei der Kugellagerfabrik SRO, Schmid-Roost Oerlikon, und das Leben war trotz Krieg wieder etwas weniger deprimierend. Ich war verliebt in den Hagi, und wir trafen uns alle meistens beim Maieli, die hatte schon eine eigene Wohnung. Der Mutter sagte ich jeweils: »Ich bin eingeladen bei der Kollegin.« Was wir machten, sagte ich nicht, und sie fragte auch nicht. Wahrscheinlich dachte sie, es sei besser, wenn sie nicht zu viel wusste. Sie liess mich gehen mit dem Spruch: »Ich habe dich erzogen, du weisst, was sich gehört.« Als sie älter wurde, verlor sie jedoch diese Gelassenheit und erwartete, dass ich sogar am Mittag nach Hause komme zum Essen. »Jetzt habe ich dir extra Schnittlauchwähe gemacht«, jammerte sie und hatte wieder einen Grund, unzufrieden zu sein.
Dass die Mutter mit ihrem Leben haderte, konnte ich verstehen. Aber dass sie mir deshalb quasi verbot zu heiraten, das nahm ich ihr übel. Vielleicht wollte sie mich unbewusst davor bewahren, ewig auf jemanden warten zu müssen, der nicht kommt. Ich verzieh es ihr jedenfalls nicht, dass sie hinter meinem Rücken dem Hagi sagte, er müsse sich nicht einbilden, mich heiraten zu können. Es werde noch nicht geheiratet, zuerst müsse etwas Rechtes aus mir werden. Und sowieso brauche sie mich noch. Das machte mich wahnsinnig wütend. Ich hatte nie vorgehabt, sie zu fragen, ob ich heiraten dürfe. Eigentlich merkwürdig, dass ich nicht aus Trotz heiratete.
Die Oper war meine grosse Leidenschaft. Ballett liebte ich über alles. Überhaupt die Musik, seit der Vater lachend mit seiner Geige neben mir musiziert hatte. Wenn man zur Musik auch noch tanzen konnte, wunderbar. Ich ertrotzte bei der Mutter Klavierstunden, bis ich selber etwas verdiente, aber bei den Ballettstunden weigerte sie sich. Ein paar Stunden stotterte ich mir zusammen, und dann sah ich in der Zeitung eine Anzeige. Der Herr Rosen an der Seerosenstrasse suche Statisten fürs Opernhaus. Man bekomme dafür Gratisunterricht beim Ballettmeister. Ballett gab es kaum zu der Zeit, nur in Operetten und Opern. Ich raste an die Seerosenstrasse, tänzelte vor dem Rosen in einem Haufen junger Mädchen quer über die Bühne, wurde rausgezupft und konnte bleiben. Und bekam nun zweimal in der Woche Ballettstunden beim Rosen und beim Hans Macke, das waren grosse Männer. Eigentlich war ich viel zu alt fürs Ballett, aber für den Hintergrund ging es.
Wir machten alles, was das Ballett nicht machen wollte. In Operetten hatten wir sogar leichte Rollen. Und da passierten immer Zeug und Sachen. Wir Statisten waren beliebte Opfer für die vom offiziellen Ensemble. Einer hiess Pistorius, ein Sänger, der hatte es auf mich abgesehen. Beim Weihnachtsmärchen versteckte er sich hinter dem grossen Christbaum, ich stand als erster Engel davor und sollte den Ton geben für »Stille Nacht«. Und hinter dem Baum sang der Pistorius leise, aber laut genug: »S Bäbeli hät –, s Bäbeli hät –, s Bäbeli hät es Loch im Buch«, so dass ich furchtbar falsch sang. Es war nie langweilig an der Oper. Im »Lohengrien« spielte ich fünfunddreissigmal den Pagen, und jedes Mal gern.
Bei der Arbeit war weniger los. Ich war bei der Firma König in der Enge angestellt, die handelten engros mit Uhren. Ich machte Korrespondenz und Fakturierung. Der Wirtschaft ging es mies, die Grenzen waren zu, und die Schweizer hatten andere Sorgen, als Uhren zu kaufen. Wenn gar nichts lief, setzte ich mich manchmal ins Gärtchen vor dem Haus an die Sonne und schaute den Passanten zu. Diese Gewohnheit behielt ich während all den Jahren, die ich in der Enge war. Eine Zeit lang spazierte jeden Tag der Hund von der Papeterie Nabholz vorbei, mit einem Lehrling an der Leine. Der musste den Hund vom Chef spazieren führen im Parkring. An den Spaniel erinnere ich mich genau, aber seltsamerweise an den Lehrling am anderen Ende der Leine nicht. Obwohl das ein hübscher Boy war, aber sehr viel jünger als ich. Wenn ich gewusst hätte, dass er viele Jahre später der wichtigste Mann in meinem Leben würde, hätte ich wohl genauer hingeschaut.
Als der Krieg fertig war, wollten alle Uhren. Die Zeit wurde irgendwie kostbar. Vielleicht, weil niemand nach diesen Jahren der Erstarrung mehr Zeit verlieren wollte. Manchmal zogen wir die ganze Nacht hindurch Uhren auf, in den Geschäftsräumen an der Ulmbergstrasse tönte es wie in einem Wespennest. Der Export begann zu blühen. Wir verschickten die Uhren hauptsächlich nach Amerika, nach Deutschland und Skandinavien. Oft verpackten wir fünfhundert Rosskopf pro Sendung, billige Armbanduhren. Wir mussten sie vorher aufziehen und kontrollieren, ob sie richtig liefen. Für diese Extrastunden gab uns der Chef ein Zwanzigernötli, manchmal auch vierzig Franken. Er behandelte uns gut, die Frauen besonders. Bis er ins Chefi kam, eingelocht wurde wegen Unsauberkeiten in der Buchhaltung. Da schlug meine Stunde. Der Traum vom eigenen Geschäft rückte so in die Nähe, dass ich nur noch zugreifen musste.
Mit leeren Händen notabene, ich hatte ja nichts. Aber mein Compagnon, auch ein ehemaliger Mitarbeiter aus der Firma, trieb eine Tante auf, die mir Geld lieh. Ich konnte zwanzigtausend Franken Aktienkapital in die eigene Firma einzahlen. Mein Compagnon übernahm den Rest. Es war nicht mein Geld, aber schon das eigene Geschäft. Bis es auch mein Geld würde, war es ein weiter Weg. Es hiess arbeiten, das Geschäft in Schwung bringen, das Darlehen abarbeiten. Überhaupt die ganze Welt wieder in Schwung bringen.
Viele unserer Engros-Kunden waren GIS und Juden. Und Radrennfahrer. Ich kannte einige von der berühmten Offenen Rennbahn in Örlikon. In Örlikon kannten alle die Radrennfahrer. Den schönsten sowieso, den Hugo Koblet, der brachte sich leider um. Den Oskar Plattner, der so oft am besten fuhr und doch nicht gewann. Der wohnte ganz in unserer Nähe und machte später eine Bar auf an der Langstrasse. Den Fritz Pfenninger und den Fritzli Schär, den wir Pillenfritz nannten, weil er vor den Rennen immer so viele Pillen ass. Auffallend viele Pillen. Den Jacques Besson. Die Rennbahn war der wichtigste Treffpunkt der Jugend von Örlikon. Nach den Rennen traf man sich beim Stiere Egge vis-à-vis vom Kino Excelsior, wo jetzt die Beiz ist vom Rennfahrer Nannini, dem Bruder von dieser Sängerin Gianna Nannini. Vis-à-vis vom Stiere Egge wohnte auch eine Sängerin. Die Lys Assia, die war sehr häufig auf der Rennbahn. Ich hatte später einen Kunden, der bluffte damit, dass er dem Rosli Schärer, wie sie in Örlikon hiess, die Unschuld raubte. Diese Rennfahrer kamen alle zu uns, Superkunden, sie kauften in grossen Mengen ein und nahmen die Uhren in ihre Heimat mit oder an Radrennen im Ausland. Die Renn-radreifen auf den vw-Bussen der Mannschaft waren doch meistens vollgestopft mit billigen Schweizer Uhren. Der Schwarzmarkt blühte.