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»Ich wusste immer schon, was ich wollte,
und das war Schönheit …
in jeder erdenklichen Form.«
Joan Crawford
Es ist einer dieser noch warmen Abende im September, an denen der Abschied vom Sommer besonders schmerzt. In einer schicken, aber nicht zu schicken Altbauwohnung in Berlin-Mitte, kurz nach Anbruch der Dunkelheit, fegt eine Gastgeberin hektisch durch die Räume, denn bald werden vier Freundinnen auftauchen, um einen als wöchentlich anberaumten, doch sich ständig verschiebenden Weiberabend zu begehen. (Abende wie diese sind gar nicht so leicht zu arrangieren, denn je mehr Kommunikationskanäle einem zur Verfügung stehen, umso leichtsinniger und öfter wird abgesagt und verschoben, und wir schreiben das Jahr 2010.) Doch an diesem Abend treffen sich wieder: Sophie, Alev, Rosa, Polly und die Gastgeberin. (Die Gastgeberin bin ich.) Es ist aus mehreren Gründen ein besonderer Abend. Polly ist nach ihrer abgeschlossenen Ausbildung zur Yoga-Lehrerin in LA wieder zurück in der Heimat. Wir alle wollen wissen, ob sie wirklich so gaga geworden ist, wie sie sich zuletzt in ihren E-Mails angehört hat. Und: Wir wollen in natura sehen, wie ihr die neue Nase steht. Außerdem hat Alev eine wichtige Neuigkeit angekündigt.
Die Wohnung ist blitzblank gewischt; es riecht nach Essigreiniger, in den Vasen stehen frische Blumen, auf den Tischen leuchten Duftkerzen von Diptyque. (Die 17 Kilo Schrott, die bis vor fünf Minuten in der Wohnung herumlagen – Klamotten, Schmuck, Zeitschriften, Schuhe und allerlei Zeug, das sich nicht kategorisieren lässt –, habe ich in eine blaue Ikea-Tüte geschmissen. Die habe ich in den Schrank gepackt. Den Schrank habe ich geschlossen.) Es ist genügend Schaumwein und Wodka für eine mittelgroße russische Hochzeit kühl gestellt, und es gibt Roastbeef und Würstchen (keine Kohlenhydrate!), Börek (glykämischer Index höchst bedenklich, hat aber diese Eben-schnell-um-die-Ecke-geholt-Qualität) und Salat mit Edamame-Bohnen, dem gar nicht mehr so neuen Superfood. Im Ofen backen Brownies ohne Weißmehl, Zucker und Mononatriumglutamat, denn Polly hat uns via E-Mail mitgeteilt, dass sie all diesen Dingen unter der heißen, neurotischen Sonne Kaliforniens abgeschworen hat.
Es klingelt. Vor der Tür steht Rosa, die nach zwei Wochen auf einer Yacht im Mittelmeer noch besser aussieht als sonst, sofern das überhaupt möglich ist: Ihre Gisele-langen Haare haben nun honigblonde Spitzen und ihre langen, schlanken Gliedmaßen glänzen noch güldener. Rosa hat ihre genetische Sechs mit Superzahl (schwedischer Vater, argentinische Mutter, eine deutsche und eine russische Großmutter) eine Zeit lang zu Geld gemacht und gemodelt, doch sie war, wie sie selbst sagt, immer »zu klein und zu fett«. Rosa ist 173 Zentimeter groß und wiegt 55 Kilo. Wenn sie nicht so charmant und herzlich wäre, müsste man sie hassen. Ich umarme Rosa und nehme ihr die Jacke ab. Sie trägt ein ärmelloses Seidentop und ihre Arme sind weich wie Kaschmir.
»Wahnsinn, oder? Ich habe gestern ein Schoko-Peeling machen lassen, nach der Radiofrequenzbehandlung. War ziemlich teuer, weißt du ja, aber es hat sich gelohnt. Ich habe sogar am Abend mit meinem Mann gepoppt, damit es nicht umsonst war«, grinst sie und streicht sich über ihren yogagestählten Trizeps. (Rosas Mann ist einer dieser Hedgefonds-Manager, und nicht mal sie kann erklären, was er genau macht. Irgendetwas macht er aber richtig, denn er ist seit »der Kriiiiiiise« noch reicher geworden.)
»Na, Gott sei Dank kannst du das jetzt alles selbst bezahlen. Weiß dein Mann eigentlich, was das alles gekostet hat?«, frage ich sie, während wir anstoßen, und dann: »Gott, leben wir in den 50ern? Wie retro hört sich denn das an?
»Ich stehe auf retro, weißt du doch«, grinst Rosa. »Außerdem zahlt er immer noch für alles. Nur weil ich jetzt Geld verdiene, heißt das nicht, dass sich mein Taschengeld verringert hat. Was glaubst du eigentlich, was Alev uns sagen will?«
»Keine Ahnung, aber ich hoffe, es ist was Gutes. Die Arme hätte mal eine gute Nachricht verdient.«
»Ich hab’ auch keine Ahnung, was es ist. Wir haben sicher seit zwei Wochen nicht miteinander gesprochen. Ich glaube, sie ist sauer auf mich …«
»Wieso denn?«
»Ich habe ihr Botox vorgeschlagen.«
Und wie auf Kommando klingelt es: Alev und Sophie sind da. Es folgt – denn der Informationsaustausch in dieser Runde funktioniert am besten schnell, durcheinander und unterbrochen – eine Soundkomposition aus knallenden Korken und klickenden Feuerzeugen, aus Bewunderung von Rosas Jachtteint, Sophies Statusbericht über ihre Doktorarbeit (»Scheiße!«) und die neuesten Entwicklungen mit ihrem Flirt (»Voll Scheiße.«), Bekundungen der Freude auf das Wiedersehen mit Polly und Versuchen, Alev die große Nachricht zu entlocken. Doch Alev weigert sich:
»Polly ist doch noch nicht da!«
Sie trinkt einen Schluck Champagner und sagt dann: »Aber wir trinken jetzt auf Rosa! Rosa hat mir den besten Personal Trainer der Stadt vermittelt. Das Tolle ist, dass der darauf achtet, dass man die 15. Wiederholung einer Übung genauso präzise macht wie die erste. Alleine kriegt man das nie hin.«
»Wow, du hast einen Personal Trainer?«
»Ich stecke so was von fest. Mein Doktorvater meint sogar, ich soll mal zwei Monate Pause machen«, sagt Sophie.
»Was ist eigentlich aus deinem letzten Date geworden?«, fragt Rosa, sieht mich an und zieht ihre Augenbrauen zweimal hintereinander schnell hoch, trotz Botox.
Statt zu antworten, serviere ich den Börek und schiebe die Platte in ihre Richtung.
»Nehmen!«, sage ich, denn sie nehmen nicht.
»Nein danke, mein Trainer hat mir einen Ernährungsplan zusammengestellt. Ich esse jetzt kein Weißmehl. Und keinen Zucker. Ach, und auch keine Milchprodukte. Sechs Wochen lang«, erwidert Alev.
»Echt?«, sagt Rosa, die bei unserem letzten Abend, soweit ich mich richtig erinnere, kein Weißmehl, keinen Zucker und keine Milchprodukte aß. »Das könnte ich nicht mehr. Ich mache gerade den Babyfood-Cleanse. Sorry, aber …«, sagt sie und holt einen Glasbehälter mit einem rosafarbenen Püreeinhalt aus ihrer Tasche: »Polly hat mich angesteckt, noch von LA aus. Ist total gut für den Verdauungstrakt. Machen auch Reese Witherspoon und Jennifer Aniston.«
»Du weißt schon, dass das auf Dauer total ungesund ist?«, sagt Sophie. »Erwachsene müssen kauen, damit ihnen die Zähne nicht ausfallen.« Wenn sich jemand in dieser Materie auskennt, dann ist es Sophie – sie schreibt seit gefühlten fünf Jahren an ihrer Doktor-
arbeit, Arbeitstitel: »Essstörungen in der Literatur des 19. und
20. Jahrhunderts«. Sophie, die aus einer adeligen Familie stammt und sich nach eigenen Angaben ihre erste Essstörung in ihrem letzten Schweizer Internat eingefangen hat, nimmt ein Stück Börek, woraufhin Alev und ich uns entsetzt anschauen, denn seit wir Sophie kennen, habe ich sie nichts essen sehen, was sie nicht eindeutig als Superfood identifizieren konnte.
»Wer will also Brownies?«, frage ich, während ich sie aus dem Ofen hole. »Ohne alles.« Dieser gepolsterte Riesenhandschuh steht mir gut, finde ich.
»Was ist mit dir passiert? Bist du jetzt Martha fucking Stewart?«, fragt Sophie.
»Nein. Mary fucking Poppins«, sage ich.
»Jawoll! Backen ist das neue Raven«, sagt Alev, und wir stoßen an.
»Das Rezept habe ich von Gwyneth Paltrows bescheuertem Blog. Total makrobiotisch. Das sind ganz radikale kleine Gesundheitsfascho-Plätzchen. Garantiert spaßfrei.«
»Apropos: Wo bleibt eigentlich Polly?«, fragt Sophie mampfend.
»Die kommt sicher gleich«, sage ich.
»Ich will endlich Alevs News hören«, mault Sophie.
»Seit wann bist du eigentlich so geduldig?«, fragt Rosa und sieht mich an.
»Na, seitdem ich wieder entspannt bin. Also, seitdem ich dich gefeuert habe«, sage ich.
»Undankbares Gör«, zischt Rosa.
»Na Gott sei Dank hat sie’s endlich geschafft dich zu feuern. Sonst wäre sie eine unausstehliche Yoga Bitch geworden«, sagt Sophie etwas zu laut, wie ich finde. Betrunken kann sie noch nicht sein – sie ist die Einzige, die sich eine Grundlage durch Nahrung geschaffen hat. Vielleicht macht all das Weißmehl sie plötzlich aggressiv? Yoga Bitch. Der Begriff hallt in meinem Kopf nach und – wie bestellt –
klingelt Polly an der Tür.
*
Pollys Nase sieht toll aus. Wirklich. Nicht zu püppchenhaft, denn das würde nicht in ihr kantiges Gesicht passen, aber das entscheidende Stück Zinken zu viel ist weg. Außerdem hat sie vollere Lippen, einen goldenen Piz-Buin-Teint, glänzende Haare und sehr, sehr weiße Zähne. Wirklich. Sie sehen aus wie Perlen – fast eine Spur zu perfekt.
»Ich war beim angesagtesten Arzt in LA. Vier Monate musste ich warten, um dranzukommen, und er hat mich nur genommen, weil meine Yoga-Ausbilderin seine Personal Trainerin ist. Ich habe mir dann gleich ein Goldfädenlifting machen lassen. Und ich habe mir Fett aus meinem Arsch in die Lippen spritzen lassen«, sagt sie und schürzt diese. »Hyaluronsäure ist in LA so was von over.«
»Hattest du denn überhaupt zwei Gramm Fett in deinem Arsch?«, fragt Rosa.
»Haha«, antwortet Polly.
»Gott, ist das ekelhaft«, sagt Sophie und nimmt ein zweites Stück Börek. »Du hast Arschfett in deinem Gesicht.«
»Das ist nicht ekelhaft, das ist das Beste überhaupt. Wird vom Körper perfekt angenommen und baut sich nicht wie Hyaluronsäure nach sechs Monaten ab.«
Dann klärt uns Polly über das Goldfädenlifting auf und fügt hinzu: »Mein Arzt hat das auch bei Madonna gemacht.«
»Aber so wie die will man doch nicht aussehen. Die alte Plastikfresse mit ihrem Knorpelkörper«, sagt Alev.
»Die hat total den Bezug verloren. Sie weiß nicht mehr, was gut aussieht. Ihre Bäckchen sind zu prall und sie hat diese wächserne, glänzende, straffe Zu-viel-Botox-Visage. Das ist mindestens genauso peinlich wie ihre Ed-Hardy-Kappen«, lästert Rosa.
»Aber sie ist 52. Für 52 sieht sie toll aus«, sagt Polly.
»Sie sieht aber auch aus wie jemand, der es hasst, 52 zu sein. Hasst sie sich selbst? Das ist meine Küchenpsychologie-Frage des Abends«, werfe ich in die Runde und probiere die Plätzchen. Sie schmecken wie nasse Pappe.
»Madonna hat einfach keinen Geschmack. Wenn man irgendwo nachhilft, dann ist das Wie und Bei wem und Wie viel und Wohin und Wie häufig genauso eine Stilfrage wie die Klamotten, die man anzieht oder wie man die Haare trägt. Und Goldfäden sind nichts Neues, das lassen sich Russinnen seit 20 Jahren machen«, sagt Rosa.
»Ihr spinnt doch alle!«, ruft Sophie.
»Wieso denn?«, fragt Polly.
»Yoga Bitches. Wir reden jetzt seit einer Stunde nur über Yoga, was wir essen beziehungsweise was wir nicht essen, welchen Sport wir gerade treiben, welches Arschfett wir uns wohin spritzen. Ich meine: Wir reden noch nicht einmal mehr über Männer, geschweige denn über uns. Das ist doch krank«, sagt Sophie.
Dann haut sie auf den Tisch, gießt sich ein Glas Wodka ein und sagt: »Scheiß auf Yoga Bitch. Ihr wart echt mal spannender. Ich habe die Schnauze voll.«
Ich gieße mir auch ein Glas ein, denn erstens ist Wodka das kalorienärmste Getränk und zweitens: Sophie hat recht. Wir sind alle Yoga Bitches. Ich! Ich, die noch letztes Jahr ein »Fuck Yoga«-Shirt trug. Ich bin auch eine Yoga Bitch. Aber: Ich habe die Schnauze noch lange nicht voll.
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Ich war nicht immer so. Ich höre mich an wie meine Oma, wenn ich das sage, aber: Als ich noch jung war, gab es das – die Gattung der Yoga Bitch – noch nicht. Was meine Oma angeht: Bei ihr gab es das erst recht nicht. In der Zeit, als meine Oma so alt war wie ich, also 34, war Marilyn Monroe das Schönheitsideal, und die gälte heute, mit ihrer Kleidergröße 42, als dick. Außerdem wäre sie nach heutigen Maßstäben skandalös untrainiert: kein durchtrainierter Bauch, keine definierten Arme, keine stählernen Schenkel. Wie man weiß, starb Marilyn, bevor das Altern sie umbringen konnte, doch wahrscheinlich wäre sie so ähnlich gealtert wie der Rest ihrer Generation. Irgendwann, ab etwa 40, galt eine Frau früher nach stillem Einverständnis als alt. Das Altwerden ließ sich besser oder schlechter erledigen, aber es gab keine Möglichkeiten, es aufzuhalten, und keinen richtigen Anreiz, dagegen anzukämpfen. Man wusste, dass man dick wird, wenn man zu viel isst, und freundete sich meist irgendwann damit an. Man pflegte sich (manche mehr, manche weniger), färbte sich vielleicht den Ansatz, trug Lippenstift auf, und hoffte, dass man seine Zähne und Haare so lange wie möglich behalten konnte und dass die Schwerkraft so gnädig wie nur möglich mit einem umgehen würde.
Old School Beauty (oder: Was Schönheit im letzten Jahrhundert bedeutete)
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– Man wusste nicht, was ein »Brazilian« ist. Hätte man es gewusst, hätte man es sich nie angetan.
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– Man ging seit Jahren zu ein und derselben Kosmetikerin und hatte keinen Botox-Arzt, den man austauscht, wenn er out ist.
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– Man kannte nicht den Unterschied zwischen Botox und Kollagen und sagte Sätze wie: »Die hat doch Botox in den Lippen.«
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– Man lackierte sich Fuß- und Fingernägel in derselben Farbe, meist in Rot, aber auf keinen Fall in Rouge Noir, Jade oder Khaki.
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– Man dachte, Fett mache fett. Kohlenhydrate hielt man damals noch für die good guys.
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– Man trieb keinen Sport, vor allem nicht in großen Räumen mit vielen anderen Leuten zusammen.
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– Man faselte nicht von Superfood, sondern sagte: »Iss das Grünzeug, Kind. Das ist gesund.«
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– Man hätte den Satz »Die hat doch was machen lassen« nicht verstanden.
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– Man ließ sich mit 40 die Haare schulterlang schneiden und mit 55 eine »flotte Dauerwelle« machen.
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– Man lieh sich keine Klamotten von der eigenen Tochter.
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– Man akzeptierte, dass es ab Mitte 30 den Bach runtergehen würde, und fand Trost in Torten.
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Sie alterten viel schneller, die Frauen von damals – selbst die Generation meiner Mutter, als 50 nicht das neue 35, sondern, wenn es ganz toll lief, das neue 47 war. Was 35 angeht: Wer nicht verheiratet war und Kinder hatte, war nicht mehr im last chance saloon, sondern seit Jahren daran vorbei. Deshalb konnte sich eine Mittdreißigerin im letzten Jahrtausend auch ruhigen Gewissens vernachlässigen: Sie war entweder schon verheiratet und hatte Kinder oder der Zug war abgefahren. Heute müssen 37-jährige Single-Frauen mit 22-jährigen Models konkurrieren. Leicht vorzustellen, wer mehr Arbeit und Nerven investieren muss.
Am 25. April 1982 gab es einen entscheidenden soziokulturellen Einschnitt: Die Aerobic-Videos von Jane Fonda kamen in Deutschland auf den Markt. Wow! Das war was ganz Neues. Sie sah toll aus in ihrem knappen, hoch geschnittenen Einteiler und den Leggings, in denen immerhin schon 44-jährige, topfit durchtrainierte, schlanke Oberschenkel steckten. (Die Unterschenkel steckten übrigens in Stulpen, doch auch sie waren durchtrainiert.) Wenn Fonda turnte und hüpfte und uns anfeuerte – pull it up and left and stretch and back! Bounce and two and squeeze and four! –, sagte sie damit: Guckt her, das könnt ihr auch. Ihr könnt auch so aussehen. Und wir dachten: Sie hat recht. Das können wir auch. Dabei war alles noch ganz harmlos damals: Man hüpfte zwei Monate mit Jane rum und ließ es dann wieder bleiben. Ansonsten machte man mal FdH oder eine Ananas-Diät oder aß zwei Wochen lang nur hart gekochte Eier. Viel mehr Ahnung – oder Möglichkeiten – hatte man nicht.
Doch gegen Ende des letzten Jahrtausends wurde aus dem in der weiblichen DNA vorhandenen Wunsch nach Schönheit und Jugend eine Manie, eine Industrie, eine Grundeinstellung (lässt man etwas machen oder nicht, ist heute eine Frage, die Frauen in zwei Lager teilt), eine Vollzeitbeschäftigung und in manchen Fällen gar eine Berufung. Früher musste man sich mit seiner langen Nase abfinden und setzte stattdessen eben seine tollen Haare in Szene. Heute lässt man sich die Nase richten und setzt seine Extensions in Szene, wenn die eigenen Haare zu dünn sind. Das Ganze ist ein anstrengender Kampf mit ständig neuen Disziplinen, und wer ihn nicht beherrscht und auf dem Laufenden bleibt, kann optisch nur verlieren.
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»So, Alev, jetzt sag schon.«
»Ja, was ist denn los? Was gibt’s Neues?«
»Okay. Tom und ich sind wieder zusammen. Vielleicht heiraten wir, vielleicht nicht. Aber so einen Stress tun wir uns nie wieder an.«
Wir gratulierten ihr, umarmten und küssten sie und tranken darauf einen Wodka, der Sophie allerdings den Rest gab. Sie lallte noch ein paarmal Yogggggha Bisssschhh, und dann brachte ich sie in ihre Wohnung auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Alev, die in der Früh zu einem Dreh musste, verabschiedete sich wenig später; ebenso die gejetlaggte Polly. Rosa und ich blieben übrig und fühlten uns ähnlich platt wie der in sich zusammengefallene Börek.
Wir öffneten die letzte Flasche Schaumwein und stießen auf Alev und Tom an. Dann fragte Rosa: »Was hat Sophie denn bloß? Wieso tickt sie nur so aus?«
»Ich glaube, sie hat recht«, sagte ich und blies die letzte Duftkerze aus: Vanille. Der Duft von Vanille soll bekanntlich das Hungergefühl dämpfen.