Leslie Kelly, Tawny Weber, Dawn Atkins
TIFFANY SEXY, BAND 62
IMPRESSUM
TIFFANY SEXY erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
20350 Hamburg, Axel-Springer-Platz 1
Redaktion und Verlag: Brieffach 8500, 20350 Hamburg Telefon: 040/347-25852 Fax: 040/347-25991 |
Geschäftsführung: | Thomas Beckmann |
Redaktionsleitung: | Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.) |
Cheflektorat: | Ilse Bröhl |
Produktion: | Christel Borges, Bettina Schult |
Grafik: | Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto) |
Vertrieb: | asv vertriebs gmbh, Süderstraße 77, 20097 Hamburg Telefon 040/347-27013 |
© 2008 by Leslie Kelly
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Dorothee Halves
© 2008 by Tawny Weber
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Tanja Meissner
© 2008 by Daphne Atkeson
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Übersetzung: Andrea Cieslak
Fotos: Harlequin Books S.A
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe TIFFANY SEXY
Band 62 - 2009 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Veröffentlicht im ePub Format im 02/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86295-229-8
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Führung in Lesezirkeln nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Verlages. Für unaufgefordert eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Haftung. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Glück gehabt! Dass ausgerechnet die bildhübsche Annie und nicht eines der aufgedonnerten Weibsbilder ihn ersteigert hat, lässt Seans Herz höher schlagen. Schon ihr zweites Treffen, das in einer Kindertagesstätte stattfindet, weckt Fantasien in ihm, die ganz und gar nicht jugendfrei sind. Aber leider ist Sean nur als Verlobter auf Zeit engagiert …
Beim Sex sollte man auf Gefühlsduseleien verzichten. Davon ist Nick felsenfest überzeugt und schließt vor laufenden Kameras mit der schönen Delaney eine Wette ab – zur Freude eines interessierten Millionenpublikums. Er weiß, er wird gewinnen! Doch dann machen ihm die Liebe und die sexy Literaturwissenschaftlerin einen Strich durch die Rechnung …
Enzos Restaurant hat einem Polizisten, der undercover arbeitet, einiges zu bieten: brandheiße Insidertipps, gutes Essen und nicht zuletzt eine sexy Köchin, die Detective Riley nur allzu gerne vernaschen würde. Die Gelegenheit dazu bietet sich bald: Chloes Vater ist in Schwierigkeiten geraten. Riley will ihm helfen – aber nur unter einer speziellen Bedingung …
Hätte sie die Wahl gehabt, wäre Annie Davis lieber über glühende Kohlen gelaufen, als ohne einen festen Freund auf der Familienfeier zu erscheinen.
Annie hatte jedoch keine Wahl. Sie musste zum fünfunddreißigsten Hochzeitstag ihrer Eltern daheim auftauchen. Damit sie dort nicht noch Schlimmeres erlitt als verbrannte Fußsohlen, brauchte sie dringend einen Begleiter. Deshalb war sie mit ihrer Freundin Tara zu dieser Junggesellen-Auktion gegangen.
Sie griff nach ihrem Scheckbuch und rechnete nochmals durch, wie viel sie ausgeben konnte. „Zweitausendfünfhundert“, sagte sie zu Tara, die neben ihr im hinteren Teil des Ballsaals saß. „Das ist mein äußerstes Limit.“ Zweitausendfünfhundert könnte sie abzwacken und trotzdem im nächsten Monat ihre laufenden Kosten bezahlen.
Tara, die gelegentlich im „Baby Daze“ aushalf, dem Kindergarten, den Annie leitete, war nur zur moralischen Unterstützung zu dieser Wohltätigkeitsversteigerung mitgekommen. Als angehende Schauspielerin kam sie finanziell gerade eben über die Runden und hätte nicht mal auf dem Parkplatz der Heilsarmee einen Mann ersteigern können, geschweige denn im „Intercontinental“, einem der glamourösesten Hotels in Chicago.
Eigentlich konnte auch Annie sich die Ausgabe nicht leisten, ihr Sparkonto war für Notfälle vorgesehen. Was sie auf diese Veranstaltung getrieben hatte, war die pure Verzweiflung – Verzweiflung darüber, als erbarmungswürdiger Single auf der Hochzeitstagsfeier herumstehen zu müssen. Sie ertrug den Gedanken nicht, von allen Frauen in der Familie bemitleidet und von den Männern gehänselt zu werden, besonders von ihren Brüdern. Sie würde die unausweichliche Frage beantworten müssen, warum sie allein gekommen war, zumal die ganze Familie wusste, dass sie vor einigen Wochen einen netten, gut aussehenden Mann kennengelernt hatte. Sollte sie ihren Eltern etwa gestehen, dass dieser nette, gut aussehende Mann verheiratet und ein elender Schuft war? Um diese Peinlichkeit zu vermeiden, war sie bereit, ihr Konto zu plündern.
„Bis jetzt ist noch keiner für weniger als dreitausend weggegangen“, gab Tara zu bedenken.
Dreitausend ist entschieden zu viel! Es gibt doch auch nett aussehende Obdachlose, die sich über eine Einladung zu einem erholsamen Wochenende auf dem Lande freuen würden, dachte Annie voller Verzweiflung.
Auf jeden Fall würde es billiger sein, als einen Kerl auf dieser hochgestochenen Benefizauktion zu ersteigern. „Vielleicht sollte ich einfach die Parkbänke abklappern. Da finde ich garantiert einen Burschen, der es für einen Bruchteil von zweitausendfünfhundert macht.“
„Du bist verzweifelt, aber nicht lebensmüde“, mahnte Tara sie.
„Es wäre nicht riskanter als das, was ich jetzt mache. Diese Männer hier sind auch Fremde.“
Der einzige Unterschied bestand darin, dass die Burschen einer Schar reicher und beschwipster Frauen im Ballsaal eines teuren Hotels vorgeführt wurden. Sicher, sie boten die bei Dates üblichen Unternehmungen an – romantische Abendessen, Strandspaziergänge, Picknicks –, aber sie waren allesamt Fremde für Annie. Und falls sie tatsächlich einen dieser Junggesellen ersteigern sollte, wusste sie noch nicht mal, ob sie ihn zu einem Familienbesuch beschwatzen könnte.
Warum also machte sie überhaupt bei dieser Veranstaltung mit?
Tara schien ihre Gedanken zu lesen. „Zeiten der Verzweiflung erfordern entsprechende Maßnahmen.“
„Denkst du an einen Begleitservice?“
Tara schnaubte. „Klar. Kreuz einfach mit einem Callboy bei deinen Leuten auf. Das wird toll ankommen.“
„Er muss ja nicht unbedingt billig und ordinär sein. Es gibt sicher auch nette und normale Callboys.“
„Hör auf mit solchen Fantastereien.“ Tara schlug Annie mit dem aufgerollten Auktionskatalog auf den Arm. „Ich weiß, dir schwebt eine umgekehrte Version des Films ‚Pretty Woman‘ vor, aber glaub mir, nette, normale Callboys gibt’s in der Wirklichkeit nicht. Sie sind alle ausgebuffte Profis.“
„Aber ich brauche einen Plan B“, murmelte Annie. Der Hochzeitstag rückte immer näher, es war höchste Zeit, dass sie einen Begleiter fand. Sie hatte schon mit dem Gedanken gespielt, sich vor dem Arbeitsamt zu postieren und einen der jungen Männer anzusprechen, die herauskamen. Solange er noch alle seine Zähne und Gliedmaßen hatte, würde ihre Familie vielleicht nicht merken, dass er nicht ihr Freund war.
Sogar jemand mit drei Armen oder Beinen wäre okay … er könnte einer jener heldenhaften Männer sein, die bei Rettungsaktionen ihr Leben riskieren.
Heldenhaft war gut. Sogar sehr gut. Deshalb hatte Annie im Katalog sofort nach Typen gesucht, die Feuerwehrmännern oder Polizisten ähnelten. Ihr Dad mochte solche kernigen Jungs.
Annies Familie wusste nicht, was ihr Exfreund beruflich machte. Ihre Leute wussten fast nichts über Blake. Nur dass er groß und dunkelhaarig war und gut aussah. Mehr hatte sie nicht über ihn erzählt. Sie könnte also praktisch jeden mitbringen und behaupten, dass er der wundervolle Mann sei, von dem sie berichtet hatte.
„Hör auf, an den Bastard Blake zu denken.“
„Sag mal, kannst du Gedanken lesen?“
„Nein, du bist nur unglaublich leicht zu durchschauen. Man kann in deinem Gesicht lesen wie in einem offenen Buch. Du bist die nette Blonde von nebenan – immer freundlich, immer ein Lächeln auf den Lippen. Und wenn du an Blake denkst, verziehst du dein Gesicht und siehst aus, als wolltest du jemanden verprügeln.“
„Er hat Schlimmeres als eine Tracht Prügel verdient“, murmelte Annie.
„Ja, aber jetzt hör auf, dich wegen dieses Mistkerls zu grämen. Du hast Blake doch gar nicht geliebt. Das hast du selbst gesagt. Und du hast nicht mal mit ihm geschlafen.“
„Gott sei Dank!“ Irgendetwas hatte sie davon abgehalten, wahrscheinlich Intuition. Zu dieser Intuition hatte sie sich beglückwünscht, als sich herausstellte, dass ihr Mr. Wunderbar-Geschieden in Wahrheit Mr. Ehebrecher war.
„Vergiss ihn ganz einfach.“
„Hab ich schon. Fast. Ich muss nur noch dieses Wochenende durchstehen, und dann kann ich so tun, als hätte ich diesen Mann nie gekannt.“
„Erklär mir bitte noch mal, warum du deiner Familie nicht einfach die Wahrheit sagen kannst. Es war doch nicht deine Schuld, dass der Kerl dich belogen hat.“
„Du hast meine Eltern kennengelernt, als sie mich im Frühjahr besucht haben. Musst du mir diese Frage wirklich immer wieder stellen?“
Tara schüttelte den Kopf. Sie hatte bei jenem Besuch einen klaren Einblick in Annies Situation gewonnen. Da waren überbesorgte Eltern, beide bodenständige Kleinstädter, die ihre einzige Tochter wieder zu Hause haben wollten. Wenn sie herausfanden, dass ihr „kleines Mädchen“ eine Affäre mit einem verheirateten Mann gehabt hatte, würden sie Annie ständig bearbeiten, ihren Traum von einem erfolgreichen Berufsleben in der Großstadt endlich aufzugeben und heimzukommen, einen ordentlichen jungen Mann zu heiraten und eine Familie zu gründen.
„Sorry. Vergiss, dass ich gefragt habe.“
„Ich werde schon einen passenden Begleiter finden und der ganzen Sippe zeigen, wie glücklich und zufrieden ich bin. Dann werde ich die Beziehung bei jedem meiner wöchentlichen Anrufe etwas mehr bröckeln lassen, bis es aus ist.“
Annie griff nach ihrem Glas mit Mineralwasser und sann von Neuem über einen Plan B nach. Der Mann, den sie mitnehmen würde, musste ja nicht überragend aussehen, nur weil sie das ihrer Familie erzählt hatte. Es konnte ruhig jemand sein, der längst nicht so gut aussah wie diese sexy Junggesellen, die sich für einen guten Zweck versteigern ließen.
Schönheit lag bekanntlich im Auge des Betrachters, und das wusste auch ihre Familie. Erst letztes Jahr hatte ihr Bruder Jed ihnen allen verkündet, dass er eine zukünftige Miss America kennengelernt hätte. Seine Verlobte – ein wahrer Schatz, den jeder in der Familie mochte – wirkte jedoch eher wie eine Miss Landbrot.
Annie lächelte in sich hinein. Ihre Eltern würden genau wie bei Jed denken, dass sie ihren Darling durch die rosa Brille der Verliebten sah und zu einem superschönen Model-Typ idealisierte. Nein, sie musste wirklich keinen Mann mitbringen, der aussah wie … wie …
Wie der.
Zum x-ten Mal betrachtete Annie das Foto in ihrem Auktionskatalog. Es zeigte den Junggesellen Nummer zwanzig, der als freundlicher Rettungssanitäter beschrieben wurde. Ein absoluter Held. Und somit ideal.
Und überdies war dieser Typ ein Bild von einem Mann.
Während Annie in seine nachtblauen Augen starrte, machte ihr Herz ein paar wilde Hüpfer. So wie in dem Moment, als sie das Bild zum ersten Mal gesehen hatte. Das Bild eines völlig fremden Mannes, dessen Namen sie nicht einmal kannte, doch dessen Gesicht und Körper ihr so vertraut vorkamen, als wäre er der Held ihrer erotischen Träume.
Er hatte hohe Wangenknochen, eine geradezu klassische Nase und ein markantes Kinn, das wie gemeißelt wirkte. In seinem einen Ohrläppchen blitzte ein winziger goldener Ohrstecker, der seinem Gesicht einen zusätzlichen Reiz verlieh. Und dann dieses atemberaubende sexy Lächeln!
Annie konnte sich nicht vorstellen, dass dieser Mann in Wirklichkeit so fantastisch aussah. Der Schimmer seines fast pechschwarzen, zu einem sexy Pferdeschwanz gebundenen Haars und das violette Glitzern in diesen unergründlichen nachtblauen Augen mussten mit der neuesten Foto-Software erzeugt worden sein.
Und wenn schon. Du wirst ihn sowieso nicht kriegen. Bedenk doch mal, für welch eine Summe dieser bleichhäutige Knabe eben weggegangen ist.
Plötzlich wollte Annie nicht sehen, wer ihn gewann. Sie wollte Nummer zwanzig auch nicht in natura sehen, weil kein Mann so schön sein konnte wie der auf dem Foto.
Gerade wollte sie sich erheben, da fasste Tara ihren Arm und zeigte zur Bühne, wo der Auktionator das Publikum animierte und die Spannung vor dem Ende des Abends steigerte. Das große Finish: Junggeselle Nummer zwanzig.
„Dieser Typ ist deine letzte Chance. Also vermassel es jetzt nicht.“
„Ich finde, wir gehen.“ Annie machte erneut Anstalten aufzustehen. „Dies wird nicht klappen, Tara. Ich werde niemals das höchste Gebot abgeben.“
„Ach komm, Geld ist dazu da, um auf den Kopf gehauen zu werden. Wir wissen doch beide, dass du diesen Burschen von Anfang an im Auge gehabt hast.“
Annie war völlig perplex. War ihr Interesse so offensichtlich gewesen? Vielleicht für Tara, die sie immerhin schon fünf Jahre kannte. Die beiden Frauen hatten sich angefreundet, als Annie nach Chicago gezogen war, und manchmal schien Tara besser zu wissen, was in ihr vorging, als sie selbst.
Tara beugte sich zu Annie und redete auf sie ein. „Hast du gesehen, wie leer der Saal geworden ist? Die Hälfte der Frauen ist nach der Versteigerung dieses Geschäftsmannes gegangen.“
„Ja, das habe ich bemerkt. Ich begreife aber nicht, warum sie verschwunden sind“, erwiderte Annie.
Vor zehn Minuten war Junggeselle Nummer neunzehn für unglaubliche fünfundzwanzigtausend Dollar weggegangen, danach hatte der Saal sich schlagartig geleert. Als wären viele der Ladys mit den Perlenketten und Pelzen nur wegen dieses einen Mannes gekommen. Sicher, er hatte gut ausgesehen, doch in Annies Augen konnte er Nummer zwanzig nicht das Wasser reichen. „Vielleicht hat der hohe Preis für den Geschäftsmann diese Frauen vertrieben. Sie denken bestimmt, dass der nächste Typ nicht unter fünfzigtausend zu haben ist“, meinte Annie.
„Das glaube ich nicht.“ Tara beugte sich noch näher zu Annie. „Die oberen Zehntausend sind weg. Sieh dich doch mal um. Jetzt sitzen hier nur noch Mädels wie wir, die ihre Brötchen mit ihrer Hände Arbeit verdienen.“
Annie ließ ihren Blick durch den Saal schweifen und merkte, dass die Stimmung bedeutend lockerer geworden war. Ab und zu klang leises Gelächter auf. Vielleicht hatte Tara recht. Die Zurückgebliebenen sahen aus wie Happy-Hour-Girls, die sich nach Büroschluss mit Kollegen bei einem Drink zum halben Preis entspannten. Die Champagner-Typen, die sich um den Geschäftsmann gerissen hatten, waren tatsächlich nicht mehr da.
Tara tippte auf das Foto des sexy Junggesellen. „Sieh dir das Bild an! Das hier ist ein ideales Beispiel dafür, dass man das Beste bis zum Schluss aufheben soll. Hol ihn dir, sonst werde ich kein Wort mehr mit dir sprechen.“
Das wäre manchmal ein Segen, dachte Annie, aber im Moment war sie zu nervös, um über diesen Aspekt weiter nachzudenken.
Als der Auktionator begann, die Biografie des letzten Junggesellen vorzulesen, wurde es still im Saal. Annies Pulsschlag beschleunigte sich, ihre Atemzüge gingen schneller.
„Du kannst doch mehr bieten als zweitausendfünfhundert“, flüsterte Tara. „Ich weiß, dass du noch was drauflegen kannst.“
„Du gehst ja sehr großzügig mit meinem Geld um“, gab Annie zurück und überlegte, wie viel sie auf ihrem Sparkonto hatte.
„Knack das Sparschwein im Kindergarten. Den Kindern ist es egal, ob sie noch ein Buchstaben-Puzzle bekommen oder nicht. Sie mögen andere Spiele sowieso viel lieber.“
„Psst!“
Annie drängte den Auktionator im Stillen, schneller zu lesen, während sie den Vorhang nach einer Bewegung absuchte. Einerseits wäre sie am liebsten geflohen, um sich eine Enttäuschung zu ersparen, andererseits wollte sie den Mann aus dem Katalog unbedingt sehen. Nur um herauszufinden, ob er tatsächlich existierte.
„Ich werde den ganzen nächsten Monat mein Essensbudget mit dir teilen, damit du nicht verhungerst“, versprach Tara und fügte grinsend hinzu: „Aber wahrscheinlich wird dein Erwerb dich so befriedigen, dass du überhaupt keinen Hunger haben wirst.“
Annie schüttelte den Kopf. „Also wirklich, Tara. Es geht hier um ein Geschäft. Ich will nur, dass meine Familie endlich Ruhe gibt und nie etwas von …“
„… Blake Bastard erfährt.“
„Das hier hat nichts mit Gefühlen zu tun. Ich hab meine Lektion bezüglich attraktiver Schmeichler gelernt. Hier sitzt eine Frau, die ihre Libido völlig im Griff hat.“
Annie meinte, was sie sagte. Sie war stark, selbstbewusst und überzeugt, dass sie mit allem fertig wurde.
Plötzlich ging der Vorhang auf, und ein schwarzhaariger Gott trat auf die Bühne. Sogar von ihrem Platz aus konnte Annie sehen, dass etwas Verwegenes und Draufgängerisches von dem Mann ausging. Das Foto brachte seine breiten Schultern und seinen schlanken Körperbau nicht voll zur Geltung, auch nicht seine hochgewachsene Statur. Er trug einen schwarzen Smoking, der seinem perfekten Sitz nach zu urteilen maßgeschneidert sein musste.
Annie mahnte sich, ruhig zu bleiben und vernünftig vorzugehen. Ein niedriges Anfangsgebot und abwarten, was die anderen boten.
Sie versuchte, den Mann nicht anzustarren, tat es aber trotzdem. Jetzt warf er dem Publikum ein verführerisches Lächeln zu, und seine blauen Augen funkelten im Scheinwerferlicht. Sein sinnlicher Mund, der zum Küssen wie geschaffen schien, verhieß geflüsterte Liebesschwüre und eine sagenhafte Nacht für jede Einzelne im Saal. Besonders aber für sie.
Und plötzlich übernahm ihre Libido die Herrschaft über ihren Körper. Sie sprang auf, und eine ihr fremde Stimme drang aus ihrer Kehle.
„Fünftausend Dollar!“
Ein einziges Gebot. Er war nach nur einem Gebot, das eine Blondine in den Saal geschrien hatte, „verkauft“ worden.
Er, Sean Murphy, war nicht der teuerste Mann des Abends gewesen. Diesen Rekord hielt der Rettungssanitäter namens Jake oder Jack, der vor ihm ersteigert worden war. Sean war sich jedoch ziemlich sicher, dass kein anderer ein Fünftausend Dollar-Gebot erhalten hatte, bevor der Auktionator überhaupt das Startsignal gegeben hatte.
Das war das einzig Positive dieser lächerlichen Veranstaltung gewesen. Das und die Tatsache, dass sein Preis höher war als der einiger Kandidaten vor ihm.
„Nochmals vielen Dank, Mr. Murphy. Es hat mich sehr gefreut, dass Sie an unserer Auktion teilgenommen haben. Wir haben eine Menge Geld zusammenbekommen, und die Heimkinder in Chicago werden dieses Jahr ganz bestimmt ein fröhlicheres Weihnachtsfest feiern als in den vergangenen Jahren.“
Sean nickte der Organisatorin des Events zu. Sie sah etwas mitgenommen aus, war aber eine hübsche dunkelhaarige Frau namens Noelle. Ihren Nachnamen hatte er vergessen. Noelle hatte es fertiggebracht, diese heikle Versteigerung mit Anstand über die Bühne zu bringen und nicht in Geschmacklosigkeiten abgleiten zu lassen. Alle Achtung! „Gern geschehen, Ma’am. Es war mir ein Vergnügen.“
Verkauft vor einer Horde von Frauen. Sean seufzte, als ihm bewusst wurde, was er sich mit seiner Teilnahme an dieser Sache eingebrockt hatte. Wahrscheinlich ging sein Name und sein Foto im Zusammenhang mit der Auktion nun durch die Presse.
Er konnte sich die Reaktion seines Vaters lebhaft vorstellen. Sein alter Herr surfte regelmäßig durch die Webseiten der renommierten Zeitungen, um von seinem Anwesen in Irland aus die Bewegungen auf den Finanzmärkten zu verfolgen. Falls er dabei auf den Unterhaltungsseiten über einen Bericht über diese Auktion stolpern sollte, könnte Sean sich auf eine weitere Flut telefonischer Nachrichten und E-Mails gefasst machen. Alle mit etwa demselben Inhalt: Du bist eine Schande für die Familie, komm sofort nach Hause, und zwar auf Knien, dann wird dir vergeben, und fortan tust du genau das, was ich von dir erwarte.
„Wem habe ich es eigentlich zu verdanken, dass Sie sich für unsere Auktion zur Verfügung gestellt haben?“, fragte Noelle.
Sean fragte sich, wie sie reagieren würde, wenn er wahrheitsgemäß antwortete. Er war von einer der reichen, gelangweilten Chicagoer Ehefrauen um seine Teilnahme gebeten worden, einer Endvierzigerin, die er gelegentlich besuchte, wenn er in den Staaten war. Jetzt nur noch eine gute Freundin, war sie seine erste „Klientin“ gewesen. Er hatte sie vor gut sechs Jahren in Singapur kennengelernt, nachdem ihr Ehemann ihn als ihren Begleiter angeheuert hatte. Seans Aufgaben bestanden darin, die Frau in der Stadt herumzuführen, für ihre Sicherheit zu sorgen und sie beschäftigt zu halten.
Was das konkret bedeutete, hatte er nicht ganz verstanden, bis die Frau ihn verführte.
Am Ende waren sie alle mit dem Arrangement zufrieden gewesen. Der Geschäftsmann brauchte sich nicht um seine Frau zu kümmern und hatte reichlich Zeit, um seine finanziellen Kontakte zu knüpfen. Die Frau genoss die Liebesdienste eines ziemlich unerfahrenen, jedoch gelehrigen Zweiundzwanzigjährigen, der sich heftig in sie verliebte. Und er selbst war in sexueller und gefühlsmäßiger Hinsicht um unschätzbare Erfahrungen reicher, als seine Geliebte die Beziehung schließlich auf zartfühlende Art beendete.
Er war mit wehem Herzen gegangen – und mit einer Menge Geld.
„Mr. Murphy?“ Noelle wartete noch immer auf eine Antwort.
Würde sie ihn verstehen oder verachten? Mit ihm flirten oder würde sie ihm den Rücken kehren? All das hatte er im Lauf der Jahre erlebt.
Er war in den Jahren, als er in der Welt herumreiste, sehr vielen Menschen begegnet. Und sie alle hatten eine vorgefasste Meinung über das, was er tat. Manchmal korrigierte er ein Vorurteil, aber normalerweise machte er sich nicht die Mühe, seine Lebensweise zu erklären. Schon gar nicht Leuten, die er überhaupt nicht kannte. Deshalb antwortete er Noelle: „Ich habe von einem Freund davon gehört und dachte mir, dass ich helfen sollte.“
Noelle lächelte. „Das ist wundervoll. Einige unserer Junggesellen sind von ihren Schwestern oder Kolleginnen bearbeitet worden, bis sie endlich nachgaben und sich für unsere Auktion zur Verfügung stellten.“
Sean nahm an, dass der Typ, der vor ihm versteigert worden war, in diese Kategorie gehörte. Der Bursche hatte den Eindruck gemacht, als fühle er sich in seinem Smoking so unbehaglich, wie er sich in einem Overall gefühlt hätte.
Smokings dagegen … ja, darin konnte er sich bewegen. Wahrscheinlich hatte er schon über seinen Windeln einen Smoking getragen, noch bevor er laufen lernte.
„Wir haben für die Gewinnerinnen und ihre Junggesellen vorn im Partyraum einen Umtrunk vorbereitet, damit sie sich kennenlernen und Pläne machen können.“
Oh, oh. Pläne. Telefonnummern austauschen. Über die bevorzugten Verhütungsmaßnahmen reden …
Sean stoppte seinen Gedankengang. Vielleicht war er einfach nur blasiert. Es konnte ja durchaus sein, dass einige der Frauen, die zu diesem Wohltätigkeits-Event gekommen waren, als Gegengabe für ihre Unterstützung nichts als einen netten Abend mit ihrem ersteigerten Junggesellen erwarteten. So war es ja auch offiziell gedacht.
Einige werden mit einem romantischen Dinner vollauf zufrieden sein, dachte er, aber bestimmt nicht alle.
„Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, ich muss wieder an die Arbeit“, sagte Noelle mit einem Blick zu einer freiwilligen Helferin, die sichtlich überfordert Geldbündel durchzählte und in eine Kasse legte. Vor ihr stand ungeduldig die zierliche, aber gut gebaute Brünette, die für den Kandidaten vor ihm eine exorbitante Summe gezahlt hatte.
Sie war sehr attraktiv. Und jung. Das ließ Sean hinsichtlich seiner eigenen Aussichten hoffen. Leider durfte er nicht allzu viel erwarten, denn nach dem, was er vorhin durch den Vorhangschlitz erspäht hatte, waren hauptsächlich ältere Frauen zu der Versteigerung gekommen. Natürlich konnten auch ältere Frauen reizvoll sein, aber nicht die mit den harten Gesichtern.
„Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend“, sagte Noelle, während sie sich zum Gehen wandte.
Sean murmelte ein Danke, verließ den Festsaal und ging den Flur hinunter. Besser, er brachte es hinter sich. Er wollte die Frau, die ihn ersteigert hatte, richtig sehen, da er von der beleuchteten Bühne aus nur blondes Haar wahrgenommen hatte.
Er war sich ziemlich sicher, dass sie wusste, wer er war. Es war doch sonnenklar, weshalb sie sofort solch eine Riesensumme geboten hatte, ohne auch nur auf das Startgebot des Auktionators zu warten. Sie hatte ihre Konkurrentinnen abschrecken wollen, die auch prompt geschwiegen hatten. Blondie war fest entschlossen gewesen, ihn zu bekommen, das hatte auch die Entschiedenheit in ihrer Stimme verraten. Vielleicht hatte schon allein ihr lauter Ruf die anderen Frauen entmutigt.
Was auch immer, Blondie hatte ihr Ziel erreicht. Sean nahm an, dass sie Gerüchte über ihn gehört hatte, die sicher nicht viel Wahres enthielten. Hoffentlich hatte Blondie also nicht alle ihre Ersparnisse für ihn hingelegt, weil sie dachte, dass ihr das einen Platz in seinem Bett garantierte. Nichts auf der Welt konnte das garantieren. Nicht, wenn er nicht ernsthaft interessiert war. Es spielte keine Rolle, wer die Frau war und wie viel Geld sie hatte. Wenn er sich nicht zu ihr hingezogen fühlte, gingen seine Dienste nicht weiter, als dass er den Mann an ihrer Seite spielte, den Touristenführer, Dolmetscher oder auch mal den Bodyguard. Er verkaufte sich nicht, obwohl viele Leute das dachten. Seien es verwöhnte Gattinnen oder ihre reichen Ehemänner, die sie beschäftigt wissen wollten.
Oder auch sein Vater.
Sean wappnete sich innerlich und betrat den Partyraum. In schummrigen Nischen und an der Bar saßen Paare und unterhielten sich gedämpft. Einige Frauen lachten etwas zu laut, und einige der ersteigerten Junggesellen schienen sich in ihrer seltsamen Rolle ziemlich unbehaglich zu fühlen. Gut ein Viertel der „Gewinnerinnen“ war mindestens zwanzig Jahre älter als ihre Trophäen, wirkten aber dank der kosmetischen Chirurgie so, als wären es nur zehn.
Nur eine Handvoll Paare schien sich wirklich gut zu unterhalten – also nicht über den Vorschlag der jeweiligen Dame, doch lieber gleich in eine der Hotelsuiten zu gehen, statt irgendwann einen Strandspaziergang zu machen.
Sean ließ seinen Blick durch den Raum gleiten. Er wusste, dass er den Goldton von Blondies Haar überall wiedererkennen würde, selbst wenn er im Licht der Kronleuchter vielleicht etwas glänzender gewesen war als in natura.
Und dann sah er sie. Eine Frau, die allein an einem Fenster stand. Sie war blond. Sie war jung. Und – wie er erkannte, als er näher ging – sie war auch noch hübsch. Hübsch auf eine frische, unschuldige Art. Das Auffälligste an ihr waren ihre großen blauen, etwas erstaunt blickenden Augen. Ihre niedliche Nase war mit Sommersprossen besprenkelt, die sie mit Makeup zu überdecken versucht hatte. Sie sah aus wie das typische nette Mädchen von nebenan.
Vielleicht war sie nicht gerade atemberaubend schön, aber sie hatte auch nicht den gierigen Blick dieser reichen Piranhas. Sie hatte also womöglich Charakter.
Mit ihr könnte es gehen. Es sei denn, sie plapperte gleich drauflos und gab diesen geistlosen Quatsch von sich wie die Möchtegern-Starlets, die sich um jeden Preis hervortun wollten.
Sean bezweifelte, dass das passieren würde. Er musterte ihr gelbes Seidenkleid, das sich weich um ihren Körper schmiegte, die schlichte Bob-Frisur und die wenigen Schmuckstücke, die sie trug. Nein, für eine Society-Maus wirkte sie viel zu natürlich.
Und dann sah sie ihn. Ihre Lippen formten sich zu einem überraschten „Oh“, und ihr Blick begegnete seinem. Da wusste er, dass er mit seiner Einschätzung richtiggelegen hatte, denn sie war nervös und absolut nicht das auf Beute lauernde Raubtier, das er halbwegs erwartet hatte.
Sean fand sie sehr anziehend.
Und plötzlich dachte er, dass diese ganze Versteigerungsgeschichte vielleicht doch keine so schlechte Idee gewesen war.
„Guten Abend“, sagte Sean, als er vor der Frau stand, die ihn für einen Abend gekauft hatte. „Entschuldigen Sie bitte, falls ich Sie warten ließ.“
„Sie haben ja einen Akzent!“
Er lachte. „Vielleicht sind Sie ja diejenige mit dem Akzent.“
„Oh Gott, das war schrecklich unhöflich von mir, nicht?“ Sie streckte ihm ihre Hand hin, die fast in seiner verschwand, als er sie zu einer förmlichen Begrüßung umschloss. „Ich bin Annie Davis. Und Sie sind …“
„Sean. Sean Murphy.“
„Wie Bond“, murmelte sie, „James Bond.“
„Nicht ganz“, erwiderte er lachend. „Ich habe nicht gesagt: Murphy. Sean Murphy. Außerdem war der Agent ein Brite.“
„Und Sie sind kein Engländer?“
„Um Himmels willen, nein!“
Sie nagte verlegen an ihrer Unterlippe. „Sorry. Ich mag einfach nur die frühen Bond-Filme, und Sie klingen wie Sean Connery.“
In guten Filmen kannte sie sich also aus, aber von Akzenten hatte sie keine Ahnung. „Connery ist Schotte, und die Schotten können die Briten nicht leiden. Sie hassen es, mit diesem Volk auf derselben Insel leben zu müssen.“
Sie sah völlig verwirrt aus, und Sean sagte sich, dass er sie nicht so hänseln dürfte, aber er konnte nicht anders. Diese Annie, die er auf Mitte zwanzig schätzte, war einfach zu süß. Besonders wenn sie etwas zu sagen versuchte, ohne in ein Fettnäpfchen zu treten.
„Was sind Sie denn nun eigentlich?“
„Ein Mann, jedenfalls dachte ich das immer. Ein irischer Mann. Und auch Ihr Date.“
Sie zog ihre Hand aus seiner, als würde sie erst jetzt merken, dass er sie noch immer hielt.
„Ich bin hierin nicht sehr gut.“
„Und ich ziehe Sie auf“, gestand er grinsend.
„Auf Hänseleien reagiere ich auch nicht gut“, warnte sie ihn. „Mein ältester Bruder ist eines Morgens mit rohem Schellfisch im Mund aufgewacht, weil er mich nur noch Miss America nannte, nachdem ich zum ersten Mal meine Regel gehabt hatte.“
Hierauf wurde sie knallrot und schlug sich eine Hand vor den Mund. „Das hab ich nicht wirklich gesagt, stimmt’s?“
Sean brach in Lachen aus. „Doch, das haben Sie. Klar und deutlich.“
„Ich muss hier raus.“
Er trat ihr in den Weg, um sie an der Flucht zu hindern. So leicht würde diese Frau ihm nicht entwischen, zumal er sie von Minute zu Minute lieber mochte. Sie war einfach hinreißend, besonders wenn ihre blauen Augen so funkelten wie jetzt.
„Ich bevorzuge Schwertfisch, nur damit Sie es wissen. Und obwohl ich Sushi delikat finde, mag ich Fisch normalerweise lieber gegrillt.“
„Würden Sie mich bitte entschuldigen, wenn ich mich gleich unter einem Tisch verstecke?“
„Nein, Céadsearc“, murmelte er und fasste ihren Arm. Er bemerkte die Weichheit ihrer Haut, fing den Hauch eines zarten Pfirsichdufts auf. Kein Moschus. Kein betäubender Gardenienduft, sondern Pfirsich.
Ohne ihren Arm loszulassen, dirigierte Sean sie in eine schummrige Ecke in der Nähe der Bar. Er hatte das Gefühl, sie würde türmen, wenn er dies nicht richtig handhabte. Allerdings hatte er keine Ahnung, warum eine Frau vor ihm weglaufen sollte, nachdem sie fünftausend Dollar hingelegt hatte, um einen Abend mit ihm zu verbringen.
„Wie haben Sie mich eben genannt?“
Ein Ausrutscher. „Ich hab Darling zu Ihnen gesagt“, gestand er.
„Das ist sexistisch.“
„Warum müsst ihr amerikanischen Frauen immer so verbissen sein? Das war doch nur ein Kosename.“
„Wie kann ich Ihr Darling sein, wenn wir uns noch nicht mal kennen?“
„Nicht mein Darling“, räumte er ein. „Aber wenn ich bedenke, wie oft ich lächeln wollte, seit ich mich mit Ihnen unterhalte, müssen Sie sehr lieb und sehr lustig und sehr gutherzig sein.“ Er grinste. „Ungeachtet brutaler Schellfisch-Attacken.“ Während er ihren Arm losließ, fügte er im Flüsterton hinzu: „Ich freu mich drauf, Sie kennenzulernen, Annie Davis.“
Er meinte das so, obwohl es ihn überraschte, dass er es gesagt hatte. Normalerweise war er bei neuen Bekanntschaften vorsichtig. Irgendetwas an dieser Frau veranlasste ihn, die aalglatte Geschmeidigkeit und das zynische Gebaren fallen zu lassen, die in seinem täglichen Leben so hilfreich waren.
Er flirtete nicht und schmeichelte sich nicht bei ihr ein. Stattdessen sprach er ganz offen mit ihr, was er bei Frauen nur selten tat. Für gewöhnlich wurde er dafür bezahlt, ihnen genau das zu sagen, was sie hören wollten.
„Wir sollen uns hier doch kennenlernen, nicht wahr?“, setzte er hinzu. „Also, erzählen Sie mir von sich.“
Sie sah ihn skeptisch an. „Dieses Wort, das Sie da eben gesagt haben … was für eine Sprache war das?“
„Irisch … oder auch keltisch.“
„Können Sie auch ohne diesen Akzent sprechen?“
„Wir haben noch nicht geklärt, wer von uns beiden einen Akzent hat“, bemerkte Sean trocken. Aus irgendeinem Grund machte es ihm Spaß, sie zu hänseln, obwohl es ihm irgendwann einen Mundvoll rohen Fisch bescheren könnte.
Sie wandte den Blick ab und murmelte: „Ich glaube, ich habe nicht gesagt, dass er keinen Akzent hat.“
„Wer?“
„Sie.“
„Wie bitte?“
„Ich meine … er.“
„Ich frage nochmals: Wer?“
„Nicht so wichtig. Ich hab Sie gemeint, genau gesagt Sie, wie Sie sein sollen, falls Sie mit meinem Plan einverstanden sind.“
Sean seufzte. „Ich glaube, ich brauche einen Drink. Möchten Sie auch einen?“
Als sie verneinte, winkte er dem Barkeeper zu, deutete auf eine Whiskeyflasche und bestellte pantomimisch einen Fingerbreit. Nach kurzem Zögern vergrößerte er den Abstand seiner Finger zu einer doppelten Portion.
Wenig später war der Drink in seiner Hand, gebracht von einer aufmerksamen Kellnerin in einem kurzen schwarzen Rock. Sie lächelte geziert und berührte seine Finger etwas länger als nötig war, um ihm das Glas zu reichen. Dann ging sie mit schwingenden Hüften davon.
„Junge, Junge, das war derb.“
„Was?“
„Diese Kellnerin hat mich total ignoriert. Als wäre ich überhaupt nicht da.“ Annie verdrehte die Augen. „Sie hätte sich ebenso gut ihre Bluse vom Leib reißen und ihre Telefonnummer auf ihre künstlichen Möpse schreiben können.“
„Woher wissen Sie denn, dass sie künstlich sind?“, fragte Sean.
„Also wirklich …“ Sie brach ab, offenbar hatte sie seinen veränderten Ton bemerkt. „Und woher wissen Sie es?“, konterte sie.
„Also wirklich!“
Bei seiner Retourkutsche erschien ein Funkeln in ihren Augen, und es zuckte um ihre Mundwinkel.
Dieses Anzeichen von Humor gefiel Sean, und er ließ langsam den Blick über sie hingleiten. Er bemerkte die Wölbung ihrer Brüste unter der Seide ihres Kleides und sah auf den ersten Blick, dass ihre vollkommenen Kurven natürlich waren.
Ihre Schultern wirkten kräftig und gleichzeitig zerbrechlich, ihre bloßen Arme stark und dennoch schlank. Die Proportionen ihres Körpers waren perfekt, und ihre Größe passte ideal zu seiner. Sie bräuchte ihren Kopf nur zurückzuneigen, um seinen Kuss zu empfangen.
Plötzlich ertappte Sean sich bei dem Gedanken, dass er sie küssen wollte.
„Offensichtlich wissen Sie einiges über Frauen“, stellte sie fest, wobei sie nicht sehr erfreut klang.
Er wusste genug, um zu erkennen, dass die Frau vor ihm nicht sehr erfahren war und dass sie ihm instinktiv den Kopf verdrehte. Was würde sie wohl tun, wenn er sich leicht hinabbeugte und mit dem Mund über ihre Lippen strich? Würde sie zurückweichen, wenn er die Hände um ihre Taille legte und sie an sich zog? Würden die anderen im Raum den Kontakt ihrer Körper als eine harmlose Umarmung betrachten oder als die sinnliche Aufforderung, die ihm vorschwebte?
„Ich sollte mich bei dieser Kellnerin bedanken“, sagte Annie in seine Gedanken hinein. „Sie hat mir bewusst gemacht, wie idiotisch dies ist.“
Ihr Ton beendete seine sinnliche Stimmung. Er konnte nicht fassen, dass sie auf diese lächerliche Cocktail-Kellnerin mit ihrer dick aufgetragenen Anmache eifersüchtig war. „Sie war wirklich sehr unhöflich zu Ihnen, aber ich finde es niedlich, dass Sie eifersüchtig sind.“
Ihre erstaunte Miene sagte ihm, dass er ihre Äußerung falsch gedeutet hatte. Sie war gar nicht eifersüchtig. Eigentlich sah sie nicht erstaunt, sondern verdrossen aus.
„Das ist es nicht. Ich habe gemeint, dass diese ganze Situation idiotisch ist. Ich gebe auf. Keiner wird uns abnehmen, dass wir ein Paar sind.“
Sean verkniff sich die Frage, warum man sie unbedingt für ein Paar halten sollte. Das wäre die naheliegende Frage gewesen, aber er stellte die interessantere. „Und wieso wird uns das keiner abnehmen?“
„Jeder, der uns zusammen sieht, würde mich für Ihre Sekretärin halten.“
Er schnaubte bei der Vorstellung, eine Sekretärin zu haben. Wozu? Damit sie über seine …Verabredungen Buch führte?
Sie ignorierte seine Reaktion. „Oder für Ihre Zahnhygienikerin. Jedenfalls nicht für Ihre Freundin.“
Freundin? Freundinnen hatte er nicht.
Sean hatte keine Freundin mehr gehabt, seit er seinem Vater seine Meinung gesagt hatte und gegangen war. Seitdem lebte er allein.
All das sagte er Annie Davis natürlich nicht. „Von mir aus können die Leute mich für Ihren Automechaniker halten. Wen schert es, was die anderen denken?“
Hierauf lachte sie und klang so fröhlich, dass er mitlachen musste.
„Ja, ja, genau. Remington Steel eilt mir zu Hilfe, um meinen Kleinbus zu reparieren.“
Ein Kleinbus? Entsetzlich. „Wer ist Remington Steel?“
„Er war eine Figur in einer Fernsehserie. Sie lief, als ich ungefähr zehn war. Meine Mom war ganz vernarrt in Steel.“
Wieder lachte sie, aber plötzlich erstarb ihr Lachen, und ihre Augenbrauen zogen sich zusammen. „Moment mal, Pierce Brosnan ist Ire, oder?“
„Ach, die Serie meinen Sie. Ja, stimmt. Brosnan ist Ire.“
„Und er ist auch Bond“, sagte sie in triumphierendem Ton.
„Ich hab also gar nicht so weit danebengelegen.“
Sean nickte. „Aber Connery ist noch immer der Beste.“
Sie verdrehte die Augen. „Na klar“, spottete sie. „Mom wäre leicht zu überzeugen“, sagte sie im Flüsterton. „Sie würde die Einzelheiten nicht infrage stellen, sobald Sie dieses Gesicht sähe und diese Stimme hörte.“
„Kommen wir dem Kern des Themas jetzt näher?“
Sie drehte sich sichtlich verlegen zu ihm um, als sie merkte, dass er sie gehört hatte. „Nein. Es würde nie klappen. Sie würden etwas anderes erwarten, wenn ich bedenke, wie ich Sie beschrieben habe.“
„Mich?“
„Ihn“, sagte sie und wurde wieder rot. „Sorry.“ Dann murmelte sie etwas von „blödsinniger Geldverschwendung“ in sich hinein. „Wenigstens kann ich die Ausgabe als Spende von der Steuer absetzen.“
„Herrje, könnten Sie einem des Englischen unkundigen Iren vielleicht mal übersetzen, wovon Sie reden?“
Offensichtlich fand sie seine Bemerkung nicht komisch. „Ach, kommen Sie“, fuhr sie ihn an. „Sie würden niemals in meine Welt passen, und außerdem würde jeder, der uns zusammen sieht, sofort erkennen, dass zwischen uns keine gefühlsmäßige Bindung besteht.“ Sie schluckte. „Null Chemie.“
Da irrte sie sich gewaltig. Sean konnte das Knistern zwischen ihnen buchstäblich spüren, diese elektrisierenden Funken, die in seinem Körper ein Feuerwerk erzeugten. Wenn er nicht bald entschlüsselte, was zum Teufel diese Frau da schwafelte, würde er sie packen und die Antwort von ihren Lippen küssen.
Er hob eine Hand und berührte eine Strähne ihres goldenen Haars. „Annie, zwischen uns ist definitiv Chemie. Ich bin mir sicher, dass wir beide eine Explosion auslösen könnten, ohne auch nur in der Nähe eines Labors zu sein.“
Es hatte in seinem Leben nicht viele solcher Explosionen gegeben. Gelegentlich körperliche Befriedigung, aber es war Jahre her, dass er einer Frau begegnet war, die er beim ersten Blick wollte. Noch dazu einer Frau, die nicht wusste, mit wem sie es zu tun hatte.
Annie wusste es mit Sicherheit nicht.
„Sie hänseln mich schon wieder.“
„Nein, das tue ich nicht. Sie spüren die Chemie auch, das weiß ich. Geben Sie es schon zu.“
Sie standen sich so nah gegenüber, dass Sean die sinnliche Spannung fühlte, die von ihr ausging, und er fragte sich, ob er am Morgen in seinem Bett aufwachen würde.
Er musterte Annies Gesicht. Was würde sie wohl sagen, wenn er ihr vorschlug, nach oben zu gehen?
„Ich spüre es“, gestand sie schließlich. Mehr sagte sie nicht, sondern beobachtete ihn einfach nur. Anscheinend versuchte sie so wie er zu ergründen, was hier lief.
Dass etwas lief, war sonnenklar.
Annies Lippen bebten, der Puls an ihrem Hals flatterte. Sean beugte sich zu einem Kuss vor – zu einem zarten, kurzen Kuss.
„Süße Annie“, murmelte er, bevor er seinen Mund auf ihren senkte. Er drängte nicht nach mehr, zwang ihre weichen Lippen nicht auseinander. Stattdessen kostete er sie nur, atmete ihren süßen Pfirsichduft ein. Dann hörte er widerstrebend auf und trat einen Schritt zurück.
„Schön“, flüsterte sie.
„Sehr schön“, sagte er genauso leise.
Es war zu schön gewesen, um so schnell zu enden, aber Sean wusste, dass das Erlebnis viel lustvoller sein würde, wenn er sich zwang zu warten.
Außerdem wollte er es nicht denen gleichtun, die sich aus dem Raum stahlen und die Fahrstühle ansteuerten. Er wollte auch nicht, dass Annie eine von denen war.
Allmählich bekam er sich wieder unter Kontrolle und räusperte sich. „Das genügt fürs Erste. Wenn wir ausgehen, werden wir etwas ausführlicher über diese Verbindung zwischen uns reden.“
„Verbindung?“
„Zwing mich nicht, es noch einmal zu beweisen.“
Plötzlich langte sie hoch und strich mit den Fingerspitzen über seinen goldenen Ohrstecker. Es war eine unschuldige und dennoch unglaublich intime Geste.
„Würdest du es noch mal tun, wenn ich dich bitte?“, fragte Annie. Sie klang noch immer benommen und leckte sich in einer so unverblümten Aufforderung die Lippen, dass er unwillkürlich stöhnte.
„Annie …“
„Mehr“, flüsterte sie und sank ihm entgegen, sodass er nichts anderes tun konnte, als sie aufzufangen, weil sie sonst gefallen wäre.
Dieses Mal war der Kuss nicht so zart. Und es war erst recht kein unschuldiger Kuss.
Kaum berührten Seans Lippen ihre, teilten sie sich. Als ihre Zungen zusammentrafen, legte sie die Arme um seine Schultern und schob ihre Finger in sein Haar. Er vergaß die anderen im Raum und erlaubte sich, dies zu genießen – die Süße ihres Mundes, ihren Duft, die Weichheit ihres Körpers.
Selbstvergessen standen sie da und küssten sich, bis ganz in der Nähe ein lautes, schrilles Lachen ertönte. Annie löste sich von ihm.
„Schön“, murmelte er.
Sie nickte. „Sehr schön.“ Dann schwieg sie und starrte zu ihm hoch, als fragte sie sich, was sie jetzt tun sollte.
Sean dachte wieder an die Hotelzimmer, die verheißungsvoll lockten. Er spürte, dass er nur ein Wort zu sagen bräuchte, um Annie nach oben zu bekommen. Er war versucht, es zu tun.
Nein. Dies war das erste Mal seit einer Ewigkeit, dass er eine Frau wirklich begehrte – ungeachtet seines Jobs, seiner Vergangenheit, seiner Familie.
Er wollte Annie für sich selbst haben. Deshalb würde er auf sie warten und das Verlangen seines Körpers ignorieren. „Sag mir, wo ich dich Samstagabend abholen soll.“
Ihr Mund klappte auf, während sie ihn weiter anstarrte.
Sean ahnte, dass ihr so etwas nicht oft passierte. Deshalb wollte er seinen Vorteil nutzen und nicht länger mit ihr darüber diskutieren, ob sie sich wiedersehen sollten oder nicht. Sie würden sich wiedersehen. Basta.
„Sag jetzt nicht wieder, dass wir nicht zusammenpassen.“
Sie schüttelte langsam den Kopf. „Nein, ich …“
„Nein ist keine Option!“
„Herrje, bist du herrisch“, fuhr sie ihn an.
Offenbar tauchte sie endlich aus dem sinnlichen Nebel auf, in dem sie gefangen gewesen war.
„Irrtum, ich bin sehr charmant. Das wirst du sehen, wenn du mich richtig kennengelernt hast“, antwortete er grinsend. „Komm schon, wo und um welche Uhrzeit soll ich dich zu unserem Date abholen?“
Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust, und sein Blick ging abwärts. Beim Anblick ihres hinreißenden Dekolletés zog er die Augenbrauen zusammen. Große Güte, wusste die Frau nicht, wie attraktiv sie war?
Vielleicht hatte sie wirklich keine Ahnung. Er hatte ja auch nicht sofort erkannt, dass sie nicht nur hübsch, sondern eine aufregende Schönheit war. Deshalb nahm er an, dass sie sich ihrer dezent verführerischen Reize nicht bewusst war.
Sie versuchte nochmals, Widerstand zu leisten. „Das kann einfach nicht klappen.“
„Es wird klappen. Es geht hier um eine Vereinbarung, Annie. Ich habe den Organisatoren dieser Veranstaltung ein Versprechen gemacht, und du hast eine Menge Geld gezahlt, um das Versprochene zu bekommen. Wenn dir nicht gefällt, was ich für unser Date vorgeschlagen habe, kannst du gern etwas anderes wählen. Aber wir werden zusammen ausgehen.“
Endlich gab sie auf. „Also gut. Du hast gewonnen.“
Als ob er das bezweifelt hätte.
„Hol mich am Samstagmorgen um neun ab. Unser Date wird bis Sonntagabend um sechs dauern. Nimm sportliche Kleidung und etwas Elegantes mit, und mindestens zwei Paar Ersatzschuhe, für den Fall, dass du … in etwas trittst.“
Jetzt war es Sean, dessen Mund aufklappte. „Was?“
Sie reckte ihr Kinn vor, in den Augen ein herausforderndes Funkeln. „Du hast doch gesagt, ich könnte wählen. Und das hab ich getan. Wir fahren übers Wochenende auf die Farm meiner Eltern.“
„Das wird er nie im Leben mitmachen. Er wird einen triftigen Grund finden und absagen“, sagte Annie, als sie und Tara das Hotel verließen und zu dem Parkhaus gingen, wo Annies Minibus stand. Das Gefährt, in dem sie auf Ausflügen Kinder transportierte, das fleckige Polster hatte und in das jemand wie Sean Murphy sich nicht einmal tot hineintragen lassen würde.
„Haben seine Augen wirklich diesen blau-violetten Ton wie auf dem Foto? Sie sehen doch nicht etwa nach gefärbten Kontaktlinsen aus, oder?“, fragte Tara.
„Hast du eigentlich gehört, was ich eben gesagt habe?“, fuhr Annie ihre Freundin an. Seit sie aus dem Hotel marschiert war, wo sie den befremdet aussehenden Mr. Murphy zurückgelassen hatte, löcherte Tara sie unentwegt mit Fragen über den Mann.
Nicht auszudenken, falls ihr herausrutschen sollte, dass er sie geküsst hatte.
Eigentlich war es ja etwas ganz Normales, einen Mann zu küssen, doch Seans Küsse waren unbeschreiblich gewesen, und jede Frau hätte sich mehr als nur eine Kostprobe gewünscht.
Annie bezweifelte jedoch, dass sie mehr bekommen würde. Nicht nach ihrem unmöglichen Benehmen.
„Riecht er gut? Typen wie er duften normalerweise herrlich. Nicht wie Schauspieler. Die riechen nur nach Schweiß und Kaffee und Zigaretten.“
Annie gab nur einen Grunzlaut von sich. Wie konnte Tara sie pausenlos mit diesen albernen Fragen bombardieren? Sie musste doch merken, wenn ihre beste Freundin am Rande einer Nervenkrise war.