Jacqueline Navin, Margo Maguire
Geliebter Rächer
IMPRESSUM
HISTORICAL EXKLUSIV erscheint im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
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© by Jacqueline Navin
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Deutsche Erstausgabe 1999 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
© by Margo Maguire
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
Deutsche Erstausgabe 2000 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Fotos: Harlequin Books S.A.
© by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,
in der Reihe HISTORICAL EXKLUSIV, Band 22 (1) - 2010
Veröffentlicht im ePub Format im 02/2011 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 978-3-86295-640-1
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Ritter Lucien de Montregnier ist gekommen, um seinen Todfeind zu besiegen: Einst hat der grausame Baron du Berg ihn in die Sklaverei geschickt, um Burg Gastonbury zu bekommen! Im Zweikampf richtet Lucien den Baron. Aber als er die Burg einnimmt, hat er nicht mit du Bergs schöner Witwe Alayna gerechnet! Stolz stellt sie sich ihm in den Weg …
Im Schutz von Ritter Wolfram reist Kathryn gen London. Fort von ihrem kaltherzigen Vater, hin zum Königshof – vielleicht sogar in ein Leben mit dem hoch gewachsenen Mann an ihrer Seite? Doch als sie auf Wolframs früherem Anwesen Windermere nächtigen, erkennt Kathryn erschrocken: Ein heißeres Feuer als Liebe brennt in Wolfram – das Feuer der Vergeltung …
England, 1180
Lucien de Montregnier stand bedrohlich über seinem Widersacher und presste sein Schwert an die Kehle des anderen Mannes. Die Klinge war so scharf, dass sie den Hals des Besiegten geritzt hatte und einen Blutstropfen hervortreten ließ. Mit jeder Faser seines Körpers fühlte sich Lucien lebendig, und seine Haut kribbelte vor Spannung. Die widersprüchlichsten Empfindungen vermischten sich in seinem Herzen – Bitterkeit, Schmerz und wilde Freude. Es war dieser Moment, auf den er eine Ewigkeit gewartet hatte. Wie oft hatte er von diesem Augenblick geträumt, und nun genoss er ihn in vollen Zügen. Doch obgleich sein Atem in kurzen, abgehackten Zügen kam und das Blut in seinen Ohren rauschte, blieb seine Hand ruhig.
„Ich werde jegliches Lösegeld bezahlen, das Ihr verlangt“, sagte sein Gefangener.
De Montregnier grinste, während wieder die Freude über den langerhofften Sieg in ihm aufwallte. „Mir mangelt es nicht an Reichtümern“, entgegnete er.
An Edgar du Bergs entsetzter Miene war deutlich zu sehen, dass der Mann im Geiste alle Möglichkeiten, sich zu retten, durchging. Geduldig wartete Lucien ab und beobachtete jede Gefühlsregung auf dem Gesicht seines verhassten Feindes. Die Erkenntnis, dass dieser ihm nun auf Gnade und Ungnade ausgeliefert war, erfüllte ihn mit tiefer Befriedigung.
Offensichtlich hatte sich du Berg für eine Taktik entschieden, da er fortfuhr: „Lasst uns wie vernünftige Männer verhandeln. Ich habe keinen Grund, mit Euch zu streiten, kenne nicht einmal Euren Namen. Ohne ersichtlichen Grund habt Ihr mich angegriffen und zwei Tage lang bekämpft. Es war gerissen von Euch, ausgerechnet am Tag nach meiner Vermählung zuzuschlagen, als meine Männer und ich von den Lustbarkeiten der Hochzeitsfeier noch erschöpft waren. Nur deswegen konnte es Euch so leicht gelingen, unsere Wehrmauern zu stürmen.“
„Ihr wart Euch Eurer Macht allzu sicher, du Berg. Dies ist der wahre Grund, warum ich Euch besiegt habe.“
Edgar breitete beschwichtigend seine Hände aus. „Was ich nicht verstehe, ist Eure Forderung, die Sache nur zwischen uns beiden auszutragen. Schließlich habt Ihr bereits gewonnen. Warum wünscht Ihr, allein gegen mich zu kämpfen?“
„Allein?“, zischte Lucien, während er einen Blick zu der Baumreihe zu seiner Linken hinüberwarf. Jenseits der Lichtung lagen dort Edgars Männer auf der Lauer.
Du Berg machte einen jämmerlichen Versuch zu lachen. „Ihr habt doch nicht tatsächlich geglaubt, ich würde ohne Eskorte kommen. Ihr hättet mir eine Falle stellen können.“
„Wie immer spielt Ihr den Verräter, du Berg, aber Eure Männer kümmern mich nicht, solange sie sich nicht einmischen. Natürlich habe ich sichergestellt, dass sie es nicht tun. Ihr müsst wissen, dass hinter ihnen einige meiner eigenen Männer auf sie in den Wäldern warten. Habt Ihr Euch denn nicht gewundert, warum sie Euch nicht bereits zu Hilfe gekommen sind?“
Die aufgerissenen Augen und der vor Überraschung offen stehende Mund seines Gegners waren eine Genugtuung für Lucien. Bis zu diesem Augenblick hatte sich der Bastard wahrscheinlich gar nicht in Gefahr gefühlt.
„Ihr kämpft nicht fair!“, rief du Berg. Langsam verlor er auch noch den letzten Rest Selbstbeherrschung, die ihm bisher eine halbwegs gelassene Haltung ermöglicht hatte.
„Ich habe lediglich sichergestellt, dass unsere Chancen gleich stehen. Jetzt geht es nur noch um Euch und mich, so wie es sein sollte. Schließlich ist die Angelegenheit, die wir auszutragen haben, von persönlicher Natur.“
„Wer, zum Teufel, seid Ihr?“, brüllte du Berg. Seine Stimme überschlug sich beinahe vor Erregung.
Für einen langen Moment starrte ihm Lucien nur in die Augen. Nachdem er dann tief Luft geholt hatte, sagte er: „Erinnert Ihr Euch noch an den Namen de Montregnier?“
Verwirrung zeigte sich auf du Bergs Gesicht, dann Verstehen und schließlich nackte Angst. „Ihr müsst der Junge von damals sein, Raouls Sohn. Ich glaubte Euch tot.“
„Ihr hättet lieber verlässlichere Meuchelmörder anheuern sollen“, zischte Lucien. „Sie erhöhten ihre Bezahlung noch um einige Münzen, indem sie mich als Sklaven verkauften. Sie schickten mich geradewegs in die Hölle, du Berg. Vielleicht wurde ich zurecht oft ein Dämon genannt, denn wie Ihr seht, bin ich von dort zurückgekehrt.“
Du Berg versuchte rückwärts zu kriechen, doch der verstärkte Druck von Luciens Klinge ließ ihn innehalten. Sein Adamsapfel hüpfte vor Aufregung auf und ab, während er schluckte. „Wollt Ihr Thalsbury zurück? Ich werde es Euch überlassen.“
„Es wird mir ohnehin bald gehören.“
„De Montregnier, hört mich an“, fuhr du Berg fort. „Ich werde bewirken, dass Ihr all Eure Ländereien zurückerhaltet. Denkt darüber nach – es ist ein gutes Angebot. Die Tage der Anarchie sind vorüber. König Henry wird nicht hinnehmen, dass sich seine noblen Vasallen in Rachefeldzügen bekämpfen. Ihr solltet besser mit mir verhandeln.“
„Lieber würde ich Händel mit dem Teufel schließen“, antwortete de Montregnier.
„Seid doch vernünftig, Mann! Lebendig kann ich Euch mehr nutzen, als wenn Ihr mich tötet. Ihr werdet damit niemals durchkommen. Inzwischen haben wir Gesetze in England.“
Luciens Stimme klang sehr ruhig, beinahe sanft. „Ich werde den Tod meines Vaters rächen. Und für meine eigenen Verluste werde ich alles nehmen, was Euer ist.“
Schweiß rann über du Bergs Stirn, indes sich seine Lippen wortlos bewegten. De Montregnier sah die tödliche Absicht in Edgars Augen, noch bevor er einen Muskel bewegte. Mit einer plötzlichen Bewegung stieß er de Montregniers Waffe beiseite und sprang vorwärts. Das Licht spiegelte sich auf dem Dolch, den er blitzschnell aus seinem Stiefel gezogen hatte.
Im letzten Augenblick trat Lucien zur Seite, und der tödliche Stoß traf nur Luft. Du Berg taumelte zurück, während er noch immer mit dem Dolch vor sich herumfuchtelte. „Was wollt Ihr?“, brüllte er.
„Euren Tod“, antwortete Lucien. In einer einzigen fließenden Bewegung hob er sein Schwert und ließ es auf seinen Gegner herabsausen. Blut spritzte hervor, als sich die Klinge tief in Edgars Seite bohrte.
Mit aufgerissenen Augen starrte er Lucien an. Nicht Zorn oder Angst zeigte sich in seinen Augen, nur Verwunderung. Dann verzog sich seine Miene vor Schmerz, und seine Augen rollten nach oben, als er zusammenbrach.
Lustlos zog de Montregnier sein blutiges Schwert heraus. Eine Weile blieb er reglos stehen und blickte auf Edgars verkrümmte Gestalt herab. Es dauerte lange, bis er sich schließlich abwandte.
Edgars Männer stürmten vorwärts. Ohne sie eines einzigen Blickes zu würdigen, schwang sich Lucien in den Sattel. Dann rief er über die Schulter zurück: „Seht zu, dass er begraben wird. Lasst das Grab segnen, falls sich hier ein Priester findet, doch bringt die Leiche nicht zurück nach Gastonbury. Von nun an bin ich der Baron, und ich wünsche nicht, dass sein verrottendes Fleisch noch länger mein Land vergiftet.“
Alayna of Avenford stand inmitten der Menschenmenge, die sich im Burghof von Gastonbury Castle versammelt hatte. Der heutige Tag war ihr lang vorgekommen. In der Kapelle war ein notdürftiges Krankenlager eingerichtet worden, und sie hatte dort die vielen Männer versorgt, die im Kampf verwundet worden waren. Erst vor zwei Tagen hatte die Fehde begonnen, gleich nach Alaynas unglückseliger Vermählung. Nun fühlte sie sich schwach vor Müdigkeit – oder war es Erleichterung? Vor Stunden endlich war die Nachricht gekommen, dass der Anführer der angreifenden Truppen den Lord of Gastonbury besiegt habe. Gott sei mir gnädig, betete sie, aber sie war froh über die Neuigkeiten.
Es war ein Segen, dass Edgar tot war, doch sie musste nur in die Gesichter der Anwesenden blicken, um die allgemeine Furcht zu bemerken. Die Familien der Verwundeten und Gefallenen wussten nicht, welche Zukunft sie unter der Gnade eines fremden Lords erwarten würde.
Eine Hand griff nach ihrer, und Alayna wurde ihrer Amme Eurice gewahr, die an ihrer Seite stand. Die alte Frau blickte sie voller Mitgefühl an. „Liebes“, flüsterte sie.
Alayna schüttelte den Kopf. „Sei unbesorgt, es geht mir gut.“
Eurices scharfe Augen sahen sie fragend an. Es war nicht schwer zu erraten, was die Amme betrübte. „Er hat mir nichts angetan, Eurice. Edgar konnte nicht einmal mehr seine Kleidung ablegen, so betrunken war er. Als er hinauf zu mir in das Schlafgemach kam, konnte er kaum noch stehen.“ Alayna war noch immer Jungfrau. Ihre Vermählung lag nur wenige Tage zurück, und schon war sie Witwe. Zum Glück war ihr die Schmach erspart geblieben, sich ihrem verhassten Gemahl hingeben zu müssen. In der Hochzeitsnacht war er zu betrunken gewesen, und am nächsten Morgen hatte die Fehde begonnen, bevor er das Versäumnis nachholen konnte.„Was auch immer dieser Krieg für diese armen Leute hier bedeuten mag, mir hat er die Freiheit gebracht.“
Eurice wirkte nicht im Geringsten beruhigt. „Ich fürchte, so einfach wird es nicht sein, Kind. Nach einem Krieg liegt niemandem etwas am Wohl der Besiegten.“
Wieder schüttelte Alayna heftig den Kopf, wobei sich einige widerspenstige dunkle Strähnen aus ihrem Haarknoten lösten. „Wir sind nicht die Besiegten. Ich wurde zu dieser unseligen Vermählung gezwungen, der Gott in seiner Gnade nun ein Ende bereitet hat. Ich gehöre nicht nach Gastonbury. Sobald ich Mutter eine Nachricht zukommen lassen kann, wird sie mir eine Leibgarde schicken, die mich nach Hause bringen wird.“
„Du bist zu voreilig, Kind“, entgegnete Eurice. „Schließlich warst du Edgars Braut, und sein Todfeind wird nicht über diese Tatsache hinwegsehen.“
„Das war ich nicht!“, widersprach Alayna. „Ich bin immer noch Jungfrau und noch nicht einmal eine richtige Witwe, da ich nie wirklich Edgars Gemahlin gewesen bin.“ In der Ferne war das gedämpfte Geräusch donnernder Hufe zu hören, die sich zu nähern schienen. Die siegreichen Truppen würden bald im Schloss sein. „Und bei Gott, ich werde nach Hause gehen“, schwor sie.
Die Tore waren geöffnet worden, um den Eroberern Eintritt zu gewähren. Trotz ihrer mutigen Worte umklammerte Alayna Eurices Arm, während ihr Herz aufgeregt pochte. Langsam kamen die fremden Soldaten in Sichtweite und hoben sich als dunkle Silhouetten vor dem Himmel ab. Der Anführer ritt an der Spitze, flankiert von seinen Rittern, denen die Fußsoldaten folgten. Die Männer strömten in den Burghof und näherten sich bedrohlich den zurückweichenden Schlossbewohnern Als der letzte der Soldaten das Tor passiert hatte, gab der Eroberer seinem Hengst die Sporen und ritt ein Stück vor, bis er allein in der Mitte des Hofes stand.
„Er sieht aus wie der Teufel!“, zischte jemand hinter Alayna.
In der Tat konnten das dunkle Äußere und die grimmige Miene dieses Mannes einen glauben machen, er sei ein Dämon. Sein langes schwarzes Haar fiel ungebändigt über seinen Rücken, und seine schwarzen Augen glühten wie Kohlen, während er verächtlich auf seine neuen Untertanen herabblickte. Ein kurzgeschnittener Bart betonte sein kantiges Gesicht, die gerade Nase und hohen Wangenknochen. Auf seiner linken Wange hob sich eine gezackte Narbe hell gegen die sonnengebräunte Haut ab. Dennoch wirkte dieser Makel nicht entstellend, sondern verstärkte nur noch sein verwegenes Aussehen, das auf seltsame Weise anziehend wirkte. Er war groß und breitschultrig, und seine muskulöse Statur zeugte von jahrelanger Übung in der Kriegskunst.
Alaynas Magen krampfte sich zusammen, während sie diesen Mann betrachtete. Sogar der stärkste Gegner musste vor seinem arroganten, machtvollen Wesen, das keinen Widerspruch zu dulden schien, erzittern! Auch wenn er nicht an der Spitze seiner Truppen geritten wäre, hätte ihn seine stolze Haltung deutlich als den Anführer ausgewiesen.
„Ich bin Lucien de Montregnier“, verkündete er unvermittelt.
Der Name verursachte sichtliches Entsetzen unter den Schlossbewohnern. Alayna hörte einige von ihnen erschrocken nach Luft schnappen, während andere leise miteinander tuschelten.
„Lord Edgar ist tot“, fuhr der Fremde fort. „Seine Niederlage gibt mir das Recht, dieses Schloss und die umliegenden Ländereien in Besitz zu nehmen.“ Es klang wie eine simple Feststellung, ohne jegliche Gefühlsregung. „Als Sieger dieser Fehde erkläre ich, dass ich von nun an euer neuer Lord sein werde – zumindest bis König Henry einen Repräsentanten schickt, der diese Tatsache auch vor dem Gesetz für gültig erklärt.“
Alayna bemerkte, wie sein Blick über die Anwesenden schweifte und plötzlich auf ihr verharrte. Irgendetwas in diesen dunklen Augen zog sie magisch an und hielt sie gefangen. Sie fürchtete diesen Mann, aber auf eine andere Art als Edgar. Ihr toter Gemahl war brutal und grausam gewesen, was sie während ihrer kurzen gemeinsamen Zeit schmerzhaft erfahren hatte. Dennoch lag etwas weit Gefährlicheres im Blick dieses Ritters, und sie konnte sich einfach nicht abwenden.
„Ich werde verlangen, dass mir jeder Einzelne von euch den Treueeid leistet. Diejenigen, die nicht dazu bereit sind, werden eingekerkert, bis der Vertreter des Königs hier eintrifft. Falls mir dieses Anwesen zugesprochen wird, werdet ihr eine weitere Möglichkeit bekommen, euch zu entscheiden. Wenn ihr einem anderen Lord dienen wollt, werden eure Ländereien einem meiner Leibeigenen übereignet werden.
Sollte der Bote des Königs meinen Anspruch auf Gastonbury ablehnen, werde ich persönlich jeden Mann dafür entschädigen, dass er unschuldig gefangengehalten wurde.“
Ein ungläubiges Raunen ging durch die Menge. Lucien erhob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen. „Ich will euch damit nur zeigen, dass ich euch gerecht behandeln werde, obgleich ich keine Treulosigkeit dulde. Doch ich rate euch, denkt sorgfältig nach, bevor ihr euch entscheidet.“
Mit diesen Worten schwang er sich aus dem Sattel und durchquerte mit großen Schritten die Menschenmenge, wobei ihm die Anwesenden hastig den Weg frei machten. Indem er zielstrebig auf den Bergfried zuging, erklomm er die Stufen zum hohen Eingangstor und verschwand in der Halle.
Einer der anderen Männer, ein gutaussehender Ritter mit glänzendem blondem Haar, der ein kostbares Kettenhemd und eine Silberrüstung trug, rief grinsend vom Rücken seines Pferdes: „Euer neuer Baron erwartet einen jeden von euch in der Halle.“ Sein vornehmes Äußeres passte nicht im Geringsten zu den blutbefleckten Waffen und seiner dreckverschmierten Rüstung.
Hinter dem blonden Ritter kam ein weiterer Mann zum Vorschein. Sein Haar war so hell, dass es beinahe weiß war, und fiel lang über seine Schultern. Ein Wikinger, dachte Alayna. Selbst für einen der hünenhaften nordischen Krieger musste dieser Mann wie ein Riese wirken.
„Agravar!“, rief der andere Mann lachend. „Lord Lucien wird es nicht gerade begrüßen, wenn du seine neuen Schutzbefohlenen zu Tode erschreckst!“
Der Wikinger nickte wortlos, bevor er ebenfalls im Schloss verschwand. Der blonde Ritter warf einem seiner Kampfgefährten einen verschwörerischen Blick zu, während er noch immer über den Scherz grinste.
„Guter Gott“, flüsterte Eurice Alayna zu. „Sie bringen das Böse zu uns. Dieser Hellhaarige hat das Gesicht eines Engels, doch zeigt nicht auch Luzifer oft ein schönes Gesicht? Und was, um Himmels willen, findet er so lustig! Ich glaube, er verspottet uns.“
„Wer von euch ist Lady Gastonbury?“, rief der Ritter in diesem Augenblick.
Alle Gesichter wandten sich Alayna zu. „Das … bin ich“, antwortete sie leise.
Der Mann saß ab und kam lächelnd auf sie zu. „Ich bin Sir Will, einer der Söldner Lord Luciens. Er hat mich gebeten, Euch zu ihm zu bringen.“
„Warum gerade mich?“, fragte Alayna und warf dabei einen erwartungsvollen Blick auf die Umstehenden, als ob jemand vortreten und sie vor dieser unerfreulichen Begegnung bewahren würde.
Sir Will zuckte mit den Schultern. „Aber Ihr seid doch die Lady dieses Schlosses, nicht wahr? Ihr seid diejenige, die ihm zuerst den Treueeid ableisten muss.“
Alayna hätte am liebsten abgelehnt, da sie mit einem Male eine ungute Vorahnung verspürte. Wie oft hatte sie Eurice wegen ihres Aberglaubens verspottet. Doch nun sträubte sich alles in ihr dagegen, diesem finsteren Krieger allein gegenübertreten zu müssen. Als sie Eurice einen fragenden Blick zuwarf, schüttelte die Amme nur den Kopf.
Alayna blieb keine andere Wahl. Schließlich nickte sie, um ihre Zustimmung zu bekunden.
Innerhalb des Bergfriedes dauerte es eine Weile, bis sich Alaynas Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Außer dem Mann, der am anderen Ende der Halle unruhig umherging, war niemand anwesend. Bisher hatte Alayna noch niemals eine derart leere Schlosshalle gesehen, da dort normalerweise wenigstens ein Dutzend Menschen ihren verschiedenen Tagesbeschäftigungen nachgingen. Doch im Augenblick erfüllte sie dieser verlassene Ort mit Furcht.
Oder lag es vielleicht nur an Lucien de Montregniers raubtierhafter Art, mit der er sich bewegte? Er besaß die wilde Anmut eines eingesperrten Löwen, der nach Beute Ausschau hielt.
Bei ihrem Anblick blieb er unvermittelt stehen und hob fragend eine Augenbraue. Da sie zögerte, rief er: „Nun gut, tretet vor!“
Alayna zuckte zusammen. Seine Stimme schien in jedem Winkel der Halle widerzuhallen. Bevor sie überhaupt bemerkte, wie schnell sie seinem Befehl Folge geleistet hatte, war sie bereits auf ihn zugeeilt. Dann fing sie sich wieder, straffte die Schultern und verlangsamte ihre Schritte.
„Lady Alayna of Gastonbury“, fuhr er fort. Während sie sein Blick von oben bis unten musterte, kam sie wieder nicht umhin, die unwiderstehliche Anziehungskraft dieses Mannes zu bewundern.
Von Nahem wirkte er noch gefährlicher als vom Rücken seines Pferdes aus, aber auch gutaussehender. Nicht einmal die Blutflecken und der Schmutz auf seiner Rüstung konnten sein eindrucksvolles Erscheinungsbild schmälern. Auch seine edlen Gesichtszüge, die sie bereits im Burghof bemerkt hatte, wirkten nun noch anziehender – die stolze, gerade Nase, die hohen Wangenknochen und seine vollen, sinnlichen Lippen, die einen entschlossenen Zug aufwiesen.
Keine Gefühlsregung zeigte sich auf seinem Gesicht, als seine dunklen Augen mit dem stechenden Blick sie wieder eindringlich musterten. Es schien Alayna nur ganz natürlich, dass ihre Knie mit einem Mal weich wurden. Schließlich war er der siegreiche Krieger und sie selbst seiner Gnade auf Gedeih und Verderben ausgeliefert. Jeder andere wäre an ihrer Stelle ebenso aufgeregt wie sie. Und doch hatte sie selbst Edgar nur Verachtung entgegengebracht, niemals Furcht. Und nun beunruhigte sie dieser Mann wie kein anderer zuvor.
In einem Anflug plötzlichen Mutes strich sie eine vorwitzige Locke aus der Stirn, was sich als aussichtsloses Unterfangen erwies. Sogleich fiel die Strähne an die ursprüngliche Stelle zurück.
„Aye, das bin ich“, antwortete sie schließlich mit bebender Stimme.
„Als Edgar du Bergs Witwe müsst Ihr mir zuerst den Treueeid ableisten.“
Neue Hoffnung regte sich in ihr. War das alles, was er wünschte? „Sir“, fuhr sie entschlossener fort, „ich werde freudig alle Ansprüche anerkennen, die Ihr auf dieses Schloss und seine Ländereien erhebt. Und ich werde Euch jeglichen Titel zugestehen, den Ihr wünscht. Es bedeutet mir nichts.“ Einen Augenblick lang zögerte sie, um seine Reaktion abzuwarten. Doch er beobachtete sie nur weiter schweigend. „Mir liegt nichts an Gastonbury, es ist nicht mein Zuhause.“
„Ihr seid die Herrin des Schlosses“, bemerkte er ruhig. „Wie könnt Ihr behaupten, nicht hierher zu gehören?
Alayna schluckte. Das einzige Zeichen seiner Wut war die gezackte Narbe auf seiner Wange, die plötzlich weiß wurde. „Ich war nur für zwei Tage vermählt, und ich halte mich erst einen Monat in Gastonbury auf. Mein wirkliches Heim ist in London. Meine Mutter ist eine von Königin Eleanores Hofdamen.“
Er bedachte sie mit einem prüfenden Blick. „Und?“, fragte er.
„Da Edgar, mein Gemahl, nun tot ist, wünsche ich zu meiner Familie zurückzukehren.“ Hatte dieser Mann vor, sie mit seinen finsteren Blicken einzuschüchtern?
„Ihr werdet nirgendwohin gehen“, sagte er schließlich. Wieder fiel ihr die Leichtigkeit auf, mit der er Befehle erteilte.
„Aber …“, begann sie noch, bevor er sie mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen brachte.
„Ich habe sehr wohl Verständnis für Euren Wunsch, Mylady.“ Sein sarkastisches Lächeln ließ ihn wie einen Schurken wirken. „Tatsächlich verstehe ich das Verlangen nach Freiheit, vielleicht mehr, als Ihr wisst. Doch es dient einfach nicht meinen Zwecken, Euch zu Eurem früheren Leben zurückkehren zu lassen, zumindest jetzt noch nicht. Ich vertraue auf Eure Unterstützung, und wenn meine Angelegenheiten hier geregelt sind, werden wir uns auch um Eure Belange kümmern.“
Er lehnte sich gegen den Kaminsims, und seine Entschlossenheit zeigte sich in seiner Haltung und Miene.
„Welche Angelegenheiten?“, fragte sie überrascht.
„Mir liegt viel daran, dass meine heutigen Bemühungen nicht umsonst waren“, erklärte er. Plötzlich trat ein beinahe träumerischer Blick in seine Augen, der ihr einen Schauer über den Rücken jagte. „Ich habe lange auf diesen Tag gewartet und alles getan, um ihn wahr werden zu lassen. Der Sieg über Edgar du Berg war nur der Anfang. Ich beabsichtige, alles zu besitzen, was einst ihm gehörte.“
Obgleich er es nicht laut ausgesprochen hatte, entging Alayna die Zweideutigkeit seiner Aussage nicht. Anscheinend zählte er sie selbst ebenfalls zu seiner Beute. Immerhin konnte sie es diesem Mann nicht verübeln, dass er Rache an Edgar du Berg nehmen wollte. Zweifellos hatte ihr verstorbener Gatte es verdient. Doch es schien nicht gerecht, dass auch sie in diese Pläne mit eingeschlossen werden sollte.
„Das verstehe ich nicht“, sagte sie. „Was hat all dies mit mir zu tun?“
„Versteht Ihr wirklich nicht, in welcher Lage Ihr Euch befindet, oder haltet Ihr mich einfach nur für dumm?“
Er wurde schon wieder zornig, und Alayna fühlte sich bereits versucht, den Rückzug anzutreten. Doch auch sie besaß ein recht leidenschaftliches Temperament. „Ich habe Euch nicht als dumm bezeichnet. Nur wünsche ich, diesen Ort zu verlassen.“
„Damit Ihr zu König Henry gehen und als Witwe Eure eigenen Ansprüche auf dieses Anwesen vorbringen könnt? Eure Trauer über den Verlust Eures Gemahls muss Euren Verstand beeinträchtigt haben, wenn Ihr noch nicht daran gedacht habt. Schließlich wäre es nur von Vorteil für Euch, wenn Ihr Gastonbury zurückgewinnen könntet.“
„Ich habe nichts dergleichen im Sinn!“, widersprach sie. „Ich möchte nichts mehr mit diesem Besitz zu tun haben. Und Ihr täuscht Euch, Mylord. Ich betrauere keineswegs den Verlust von Gastonbury, geschweige denn den meines Gatten.“ Trotz allem, was Edgar ihr angetan hatte, versetzte ihr diese Feststellung einen Stich in der Magengegend. „Ich hasste ihn vielleicht noch mehr als Ihr, de Montregnier. Er lockte mich unter einem Vorwand hierher und zwang mich zu dieser unerwünschten Vermählung.“
Zum ersten Mal zeigte er etwas Interesse an ihren Worten. „List und Tücke machten du Bergs größtes Talent aus. Wie hat er Euch dazu gebracht, seinem Willen nachzukommen?“
Alayna holte tief Luft und versuchte, ruhig zu bleiben. „Er sandte eine Nachricht an meine Mutter, in der er sich als Cousin meines Vaters ausgab und uns zu einem Besuch einlud. Meiner Mutter war viel daran gelegen, mich vom Hof wegzuschicken, da ihr all die Intrigen und Ränke dort Sorgen bereiteten. Also nahm sie die Einladung an. Mein Vater starb vor sechs Jahren, müsst Ihr wissen, daher zweifelte sie nicht daran, dass Edgar wirklich ein Verwandter war. Doch er hatte gelogen. Als ich erst einmal hier war, stellte er mir eine Falle – zusammen mit dieser niederträchtigen Kreatur, die die ungeheuerliche Unverfrorenheit besitzt, sich einen Bischof zu nennen. Er behauptete, mein guter Ruf sei kompromittiert worden.“ Erleichtert bemerkte sie, dass ihr Gegenüber immerhin die Höflichkeit besaß, nicht gelangweilt zu wirken. „Ich hatte die Wahl zwischen der Vermählung oder dem Scheiterhaufen.“
„Klingt das alles nicht ein wenig zu dramatisch?“, fragte de Montregnier.
„Das dachte ich anfangs auch, aber die Drohung des Bischofs war todernst gemeint. Wie Ihr wisst, können sie nach dem Gesetz auch eine Ehebrecherin verbrennen. Ich bin sicher, Edgar hätte es getan.“
„Warum hat Eure Familie nicht eingegriffen?“
„Mir wurde verboten, meiner Mutter zu schreiben. Sie hat es niemals erfahren.“
Er kniff die Augen zusammen, die schwarz wie Kohle glühten. „Und aus welchem Grund sollte der kürzlich verstorbene Lord of Gastonbury diesen großartigen Plan ersonnen haben?“
„Wegen meiner Ländereien, Ihr begriffsstutziger Narr!“, fauchte sie, bereute ihre Worte jedoch sogleich. Mit diesem Mann war nicht zu spaßen. Dennoch schien er durch ihre Beleidigung nicht aufgebracht zu sein, da er keine Miene verzog. Sie fuhr in einem ruhigeren Tonfall fort: „Er begehrte mich, weil ich eine wohlhabende Erbin war.“
„Eine schreckliche Geschichte“, sagte de Montregnier ungerührt, „aber recht unwahrscheinlich, selbst wenn sie wahr sein sollte. Ihr werdet bleiben, wenigstens so lange, bis ich über Euer weiteres Schicksal entschieden habe.“
„Aber das könnt Ihr nicht tun!“
Er lächelte grausam und breitete seine Hände aus. „Demoiselle, ich habe gerade Euren Gemahl getötet und seine Armee besiegt. Ich versichere Euch, ich kann alles tun, was mir gefällt.“
Als sie den Mund zu einem erneuten Protest öffnete, brachte er sie wieder mit einer Geste zum Schweigen. „Mylady, ich habe Euch bereits genügend Freiheit gewährt, um Euer Missfallen zum Ausdruck zu bringen. Aber ich warne Euch, fordert mich nicht heraus.“ Sie hätte ihm sein arrogantes Grinsen am liebsten aus dem Gesicht geschlagen. „Ich habe einen anstrengenden Tag hinter mir.“
Wieder regte sich unbändige Wut in ihr und ließ ihre Angst schwinden. „Ihr habt kein Recht …“
„O doch, Mylady, das habe ich. Alle Besitztümer Edgars gehören nun mir.“
„Mich kann man aber nicht besitzen!“
„Eine Ansicht, die nicht von unserem Gesetz geteilt wird“, entgegnete er. „Ihr wart Edgars rechtmäßiger Besitz, und nun seid Ihr meiner. Außerdem könnt Ihr kein Unheil anrichten, wenn ich Euch hier im Auge behalte.“
Alayna war sprachlos. Er schien sie also als eine Art Bedrohung für seine hart erkämpfte Beute anzusehen. „Es gibt nichts, das ich hier begehre“, versicherte sie ihm. „Ich gebe Euch mein Wort, dass ich mich in keiner Weise in Eure Angelegenheiten einmischen werde.“
Die blanke Wut in seinen Augen warnte sie davor, sich weiter mit ihm anzulegen. „Ich kann mit den leeren Versprechungen einer Frau nichts anfangen. Sie sind den Atem nicht wert, der nötig ist, um sie auszusprechen.“
Verzweifelt suchte sie nach einem Weg, ihn zu überzeugen. Dann kam ihr plötzlich ein Gedanke.
„Eure Bedenken sind völlig unnötig. Ich bin nicht Edgars Witwe!“
Lucien seufzte. „Was für ein Unsinn ist denn das nun wieder? Ich bin nicht in der Stimmung für Eure Spielchen. Werdet Ihr mir nun die Treue schwören, oder wählt Ihr lieber den Kerker?“
„Das würdet Ihr nicht wagen!“
„Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, was ich alles wagen würde, Demoiselle“, drohte er und baute sich mit verschränkten Armen vor ihr auf. Mit einem Mal wirkte er riesig und angsteinflößend. „Und lasst mich Euch weiterhin warnen, dass ich kein Verständnis für die üblichen Intrigen und Ränkespiele der Frauen habe. Wenn Ihr mir etwas Wichtiges zu sagen habt, so sprecht nur frei heraus. Meine Geduld für Euer Geschlecht ist sehr begrenzt.“
„Der Heiratsvertrag ist ungültig“, sagte sie, „denn die Vermählung wurde nicht vollzogen.“
De Montregnier hob die Brauen. „Was soll diese Lüge? Ihr behauptet also, Edgar hätte nicht Euer Bett geteilt?“
Alayna errötete tief und zwang sich, seinem starren Blick zu begegnen. „Genau dies habe ich gesagt.“
„Ich glaube Euch nicht“, forderte er sie heraus.
„Doch es ist wahr“, entgegnete sie standhaft.
Lucien fuhr mit einer Hand durch sein zerzaustes Haar. „Wer weiß noch davon?“, fragte er. „Wurden die Betttücher denn nicht gezeigt?“
„Dafür war keine Zeit. Tatsächlich nahmen alle an, die Heirat sei vollzogen worden – falls sie im Schlachtgetümmel der Belagerung überhaupt einen Gedanken daran verschwendeten.“
„Ich kehrte nur aus einem einzigen Grund nach Gastonbury zurück, um alles in Besitz zu nehmen, was Edgar du Berg gehörte. Es sollte die gerechte Bezahlung für alle Verbrechen sein, die er meiner Familie angetan hat. Und genau dies beabsichtige ich zu tun. Ihr wart seine geliebte Gemahlin, also werdet auch Ihr mir gehören.“
„Aber ich sagte Euch doch, ich bin nicht die Herrin dieses Schlosses!“
Anstatt zu antworten, bewegte er sich unvermittelt auf sie zu. Sie zuckte zusammen, da sie glaubte, er werde sie schlagen. Stattdessen streckte er den Arm aus, und lange, kraftvolle Finger schlossen sich hart wie Stahl um ihr Handgelenk.
„Was …“, begann sie, vergaß jedoch sogleich ihren Einwand, da er sie eng an sich zog. Erstaunt blickte sie zu seinem Gesicht hinauf, das nur wenige Fingerbreit von ihrem entfernt war. Aus irgendeinem Grund blieb ihr Blick wieder an der blassen Narbe haften, die seine Wange verunstaltete. Sie war unfähig, sich zu bewegen. „Lasst mich gehen“, sagte sie mit schwacher Stimme, aber ohne wirkliche Überzeugungskraft.
Sein Blick glitt über ihr Gesicht, bevor er sich plötzlich abwandte und sie hinter sich herzog.
„Lasst mich gehen!“, wiederholte sie, dieses Mal entschiedener, da sie sah, welche Richtung er eingeschlagen hatte. Indem er sie die Stufen hinaufzerrte, brachte er sie zu dem Gang, der zum Schlafgemach des Schlossherrn führte.
Allmächtiger, dachte sie. Der Schurke beabsichtigt, mich in sein Bett zu nehmen!
Doch Luciens Absichten waren völlig anderer Natur.
Während er sie mit sich zog, strebte er direkt auf Edgars Kammer zu, die nun ihm gehörte. Er kannte den Weg gut, da er in seiner Kindheit in diesem Schloss gespielt hatte. Seine Mutter und er waren jedes Jahr hierhergekommen, während sein Vater die Waffenpflicht ableisten musste, die er seinem König schuldete.
Hier hatte er auch die verhängnisvolle Entdeckung gemacht, vor all diesen langen Jahren.
Es war nur das Missverständnis eines unschuldigen Kindes gewesen. Er hatte das Lachen seiner Mutter gehört, ein ungewohntes Geräusch für seine Ohren, und hatte nicht widerstehen können. Sie hatte sich ihm gegenüber stets so kühl und abweisend verhalten. Dennoch hatte er sie angebetet, nach ihrer Liebe gehungert und sie für die wunderschönste Frau der Welt gehalten.
Aus diesem Grund hatte ihn auch das Lachen angezogen, das er viel zu selten hörte. Neugier hatte ihn dazu getrieben, tödliche Neugier.
Ohne diese Neugier wäre sein Vater nicht ermordet worden, und er selbst hätte keine elf Jahre in der Hölle verbracht. Mit dieser Schuld hatte er bereits lange leben müssen. Und alles nur wegen der törichten Sehnsucht eines Jungen nach einer Mutter, die nichts als eine verdorbene, lügnerische Betrügerin gewesen war. Diese schmerzhafte Lektion hatte ihn auch etwas Wichtiges über die Frauen gelehrt. Und diese Erkenntnis hatte er für immer bewahrt, sie sogar zu einem Grundsatz seines Lebens gemacht: Traue niemals einer Frau.
Nachdem er die Tür zum Schlafgemach aufgestoßen hatte, schob er Alayna in den Raum und warf die Tür hinter sich zu.
Es sah nur wenig anders als damals aus, in jener Nacht. In der Kammer standen noch immer dieselben Möbel, hingen die schweren Wandteppiche, lagen die kostbaren Pelze auf dem Bett … Auf diesem Bett hatte er die beiden gesehen, vereint auf eine Art, die sein kindliches Gemüt entsetzt und verwirrt hatte. Ein seltsamer Schmerz war in seiner Brust zu spüren, doch er verdrängte die Erinnerung schnell.
„Nun, Lady Gastonbury“, sagte er entschlossen, „Ihr behauptet also, Edgar, der nur zu gut dafür bekannt ist, die Gemahlinnen anderer Männer zu verführen, habe seine eigene Braut in der Hochzeitsnacht verschmäht? Habt Ihr ihm etwa missfallen? Ich bezweifle das, denn trotz Eures giftigen Mundwerks ist Eure Gestalt nicht gerade hässlich zu nennen. Sagt mir, Mylady, wie konnte Edgar eine Frau wie Euch vergessen?“
„Vergessen hat er mich nicht“, entgegnete Alayna. „Ich bin sicher, dass Edgar die besten Absichten hatte, mir Gewalt anzutun.“
„Er wollte Gewalt anwenden? Also wart Ihr nicht vermählt?“
„Natürlich waren wir es, aber ich sagte Euch doch bereits, dass er mich dazu gezwungen hatte.“
„Wenn man Edgars Reichtum bedenkt, konntet Ihr doch gewiss auch einige Vorteile aus dieser Vermählung ziehen.“
Seufzend zuckte sie die Schultern. „Wenn Ihr unbedingt glauben wollt, dass ich eine glückliche Braut war, kann ich Euch ohnehin nicht vom Gegenteil überzeugen.“
„Aye, ich kann in der Tat schwer glauben, Edgar hätte sich nicht bei der ersten Gelegenheit an Euren … Reizen erfreut.“
„Er war so berauscht vom Wein, dass er einschlief, bevor …“ Alaynas Wangen färbten sich tiefrot. Insgeheim bewunderte sie Lucien beinahe für das Geschick, mit dem sie diese weibliche List einsetzte. Zweifellos wollte sie damit verhindern, dass er sie noch weiter befragte. Auch seine Mutter war eine Meisterin hinterhältiger Spielchen gewesen, die den Frauen zu eigen waren. Doch diese würde bald feststellen, dass sie ihre Künste an ihm vergeudete.
„Ich kann Euren Worten keinen Glauben schenken, Mylady.“
„Ich schere mich keinen Deut darum, was Ihr glaubt oder nicht!“, rief sie aufgebracht. „Ihr steht einfach hier und bestimmt, was wahr sein soll, nur weil Ihr es so wünscht! Nun, selbst Ihr könnt das nicht befehlen, ob es Euch nun passt oder nicht! Ich bin niemals Edgars Gemahlin gewesen! Ich gehöre nicht nach Gastonbury, und ich verlange, dass Ihr mich auf der Stelle gehen lasst!“
Lucien starrte sie einen Moment lang nur an. Dann ging er zum Bett hinüber und stellte sich mit dem Rücken zu Alayna, damit sie nicht sah, wie sehr seine Hand zitterte. Zögernd hob er die schwere Felldecke, warf sie beiseite und zwang sich, das Laken anzublicken.
Es gab kein Anzeichen ihrer verlorenen Jungfräulichkeit, keinen Blutfleck, der das Leintuch besudelte. Als er sich ihr wieder zuwandte, war sein Gesicht wieder eine kalte Maske, die keine Gefühlsregung erkennen ließ.
„Ausgerechnet dieses Bett, das die Verführung so vieler Frauen gesehen hat, blieb in der einzigen Nacht ungenutzt, in der sein Besitzer bei seiner eigenen Frau hätte liegen können. Ich finde das amüsant, Ihr nicht auch?“
Die junge Frau beobachtete Lucien misstrauisch, obgleich er auch einen triumphierenden Ausdruck in ihren Augen zu erkennen glaubte. Sie wartete nur darauf, dass er sich geschlagen gab. Auf einmal wurde ihm bewusst, wie unglaublich schön sie doch war. Natürlich hatte er es schon zuvor bemerkt, als sie ihm in der Menschenmenge im Burghof aufgefallen war. Wie ein Diamant unter gewöhnlichen Kieselsteinen, hatte er gedacht. Ihre Augen waren ebenso grün wie die dunklen, geheimnisvollen Wälder, die er im Nordland gesehen hatte. Sie schienen von innen heraus zu leuchten und waren von dichten schwarzen Wimpern eingerahmt. Während ihre zarte, helle Haut einen reizvollen Kontrast zu ihrem dunklen Haar bildete, wirkte ihr Mund voll und sinnlich. Solche Lippen konnten einen Mann nur allzu leicht von seinen Pflichten ablenken.
Da ihm plötzlich die Unsinnigkeit seiner Gedanken bewusst wurde, runzelte er die Stirn. „Es wundert mich nicht im Geringsten, dass kein Beweis Eurer Unschuld zu finden ist“, sagte er. „Ich glaube nämlich, dass Ihr in dieser Nacht keine Jungfrau mehr wart.“ Er bemühte sich, die Zornesröte in ihrem Gesicht nicht zu beachten. Natürlich war sie noch unschuldig, es zeigte sich schon an der offensichtlichen Scham, die sie bei diesem Gespräch empfand. „Für mich ist es ohne Bedeutung, was auf diesem Bettlaken zu sehen ist. Ich sage, Ihr seid die Witwe meines besiegten Feindes und gehört nun mir.“
Entsetzt schnappte Alayna nach Luft. „Wie könnt Ihr es wagen, obwohl Ihr die Wahrheit kennt! Ich werde dem Boten des Königs darüber berichten. Auch andere können bestätigen, dass dieses Laken unbefleckt blieb. Niemand wird also Euren falschen Behauptungen Glauben schenken.“
Ohne zu antworten, zog er einen kurzen Dolch aus seinem Gürtel. Alayna stieß einen leisen Schrei aus, bevor sie ängstlich zurückwich. Guter Gott, er wollte sie damit bedrohen! Doch er hob nur gelassen den Dolch, dann umschloss er die Klinge mit der anderen Hand. Ungerührt zog er seine Handfläche über die scharfe Schneide, bis das Blut aus dem tiefen Schnitt tropfte. Entsetzt sah sie zu, wie er das Laken ergriff und seine Faust darum ballten.
Als sie endlich begriff, sprang sie mit einem Schrei auf ihn zu. Sie entriss ihm das Tuch, doch es hatte sich bereits ein leuchtendroter Fleck darauf gebildet.
„Was ich Euch nun sage, Mylady, solltet Ihr Euch gut merken, da es unerlässlich für Euer zukünftiges Wohl sein könnte. Ich habe lange auf meine Rache gewartet. Niemand wird mich daran hindern, und am wenigsten eine halsstarrige Frau.“
„Ihr seid ein gemeiner Lügner“, flüsterte sie.
„Vielleicht. Man hat mir schon Schlimmeres nachgesagt“, antwortete Lucien. „Passt auf, dass Ihr mich nicht zu sehr reizt. Ich verspüre wenig Lust, Euch bestrafen zu müssen. Wenn Ihr wisst, wo Euer Platz ist, werden wir beide gut miteinander auskommen.“
Verächtlich sah sie ihn an. „Ihr seid noch niederträchtiger als Edgar. Wenn Ihr beabsichtigt, mich hierzubehalten, als eine ehrlose …“
„Seid beruhigt“, unterbrach er sie. „Ich habe nichts dergleichen im Sinn. Eure Ehre wird unangetastet bleiben, denn ich habe keine unziemlichen Absichten.“ Er grinste. „Es sei denn, Ihr wünscht es.“
Alayna war so wütend, dass ihr die Worte im Halse steckenblieben. Schließlich rief sie: „Ich werde Euch für diese Schmach bezahlen lassen. Ihr seid ein Lügner und Schurke, ein Wegelagerer der übelsten Sorte, ein nichtsnutziger …“
„Und Ihr seid nur eine Frau. Euch bleibt nichts anderes übrig, als Euch in Euer Schicksal zu fügen. Warum seid Ihr nicht etwas dankbarer? Immerhin habe ich Euch versichert, dass ich Euch nicht schaden will. Fasst Mut, meine feurige Raubkatze. Ich verspreche Euch, ich werde mich um Eure Belange kümmern, wenn meine Angelegenheiten mit dem König erst einmal geregelt sind. Doch bis dahin seid Ihr eine zu wertvolle Figur in diesem Spiel, als dass ich Euch freigeben könnte.“
„Das werdet Ihr bereuen“, versprach sie finster.
Lucien lachte hämisch. Er konnte einfach nicht widerstehen, sie noch ein wenig mehr zu reizen. „Ich finde es bedauerlich, dass Ihr Eure feindselige Stellung mir gegenüber nicht aufgeben wollt.“ Er trat einen Schritt näher auf sie zu, dann berührte er mit der unverletzten Hand eine der widerspenstigen Locken, die sich an ihrer Schläfe kringelten. Ihr Haar glänzte kastanienbraun und fühlte sich an wie Seide. Langsam ließ er die Strähne durch seine Finger gleiten.
Gelähmt wie ein Kaninchen, das sich einer Schlange gegenübersieht, vermochte ihn Alayna nur anzustarren. Seine Hand, die mit ihrem Haar spielte, berührte beinahe ihre Wange. Eigentlich hatte er sie mit dieser Geste nur ärgern wollen, doch auf einmal schien die Luft zwischen ihnen Funken zu sprühen. Auch sie fühlte es – er konnte es deutlich an ihrer erstaunten Miene erkennen. „Für uns beide wäre es von Vorteil, Freundschaft zu schließen. Ich glaube, es wäre wesentlich angenehmer als diese kleinen Streitereien.“
Ihre grünen Augen schienen von innen heraus zu funkeln wie ein seltener Diamant. Wie eine Tigerin, dachte er. Alayna schlug seine Hand weg. „Ihr müsst verrückt sein!“, fuhr sie ihn an.
Lucien lachte herzlich. Es war ein ehrliches Lachen, das sie und sogar ihn überraschte, denn er war ein Mann, der diese Gefühlsregung nicht oft zeigte.
Offenbar bemüht, etwas Abstand zwischen ihnen zu schaffen, trat sie einen Schritt zurück „Dazu wird es niemals kommen, da Ihr die Feindschaft zwischen uns selbst zu verantworten habt. Was das betrifft, werde ich Euch voll und ganz unterstützen. Keine Angst, ich werde mich bemühen, eine würdige Gegnerin zu sein.“
Mit diesen Worten wirbelte Alayna herum und zeigte ihm ihren Rücken mit der stummen Aufforderung zu gehen. Lucien konnte nicht anders, als seinen Blick über ihre wohlgerundeten Hüften gleiten zu lassen.
„Mylady, ich fürchte, Euer Versprechen bereitet mir keine Sorgen, auch wenn dies Eure Absicht war. Welchen Schaden könntet Ihr schon anrichten?“ Er dachte kurz nach. „Dennoch hat schon so manche rachsüchtige Frau einem Mann Schwierigkeiten bereitet, wenn sie ihm Übles wollte.“
„Und ich kenne die selbstherrliche Zerstörungswut der Männer nur allzu gut!“, zischte sie ihm über die Schulter zu.
Er lächelte gequält. „Mit Euren törichten Drohungen und Eurer Schmollerei beweist Ihr nur, dass Ihr eine gewöhnliche Vertreterin Eures Geschlechts seid. Nun denn, Demoiselle, gebt Euer Bestes. Ich kann es kaum erwarten, Eure Herausforderung anzunehmen. Doch um fair zu bleiben, will auch ich Euch warnen. Falls Ihr mich reizt, werde ich nicht zögern, Euch zu bestrafen.“
Alayna wandte sich um und sah ihm geradewegs in die Augen. Er kam ihrer zornigen Erwiderung jedoch zuvor. „Solange Ihr Euch angemessen zu benehmen wisst, werde ich Euch nicht im Wege stehen. Ihr habt nichts von mir zu befürchten. Obgleich Eure Schönheit selbst einen Heiligen in Versuchung führen könnte, weiß ich sehr wohl, dass hinter einem hübschen Gesicht oft ein niederträchtiges Gemüt verborgen liegt. Schönheit, meine verehrte Dame, ist nichts weiter als eine Lüge, die einen Mann seiner Sinne berauben und ihn schwächen soll. Ihr werdet diese Macht nicht über mich haben.“
Sie starrten einander reglos an, und Alayna hielt seinem Blick tapfer stand. Sie hob sogar trotzig das Kinn, was er nicht ohne Bewunderung bemerkte.
Sicher, sie war eine Verlockung. Aber Lucien war nicht von den Toten zurückgekehrt, um mit einem schönen Mädchen zu tändeln. Schließlich nickte er ihr stumm zu, drehte sich um und verließ die Kammer. Mit einem lauten Knall fiel die Tür hinter ihm zu.
Alayna blieb allein zurück, während ihr vor unterdrückter Wut der Atem stockte. Dieser Lucien de Montregnier war ein unverschämter Aufschneider, viel zu selbstsicher und arrogant.
Nun gut, für den Augenblick hatte er gewonnen, doch dies war nicht mehr zu ändern. Aufgebracht schritt Alayna im Schlafgemach hin und her.
Immer wieder sah sie zu dem blutigen Bettlaken hinüber. Natürlich würde sie niemandem von de Montregniers Täuschung erzählen, wer würde ihr schon glauben? Nur er und sie selbst hatten den Beweis ihrer Jungfräulichkeit gesehen. Ärgerlich riss sie die Decken vom Bett und warf sie auf den Boden. Am liebsten hätte sie das Laken verbrannt, doch das hätte nichts genutzt.
Zumindest hatte er versprochen, sie nicht anzurühren, außer sie wünschte es. Dieser Schurke, dachte Alayna. Glaubte er wirklich, sie sei nur ein dummes kleines Mädchen, das auf jeden gutaussehenden Mann hereinfiel? Hatte er sich etwa vorgestellt, dass sie bei seinem Angebot willig in seine Arme sinken würde? Pah, dann hatte er sich geirrt. Er war nichts weiter als ein selbstverliebter, eingebildeter Ochse, und sie würde schon einen Weg finden, es ihm heimzuzahlen.
Da sie vor Zorn nicht auf ihre Umgebung achtete, wäre sie beinahe über eine der großen lederbezogenen Holztruhen gestolpert, die in beinahe allen Gemächern standen. Und all diese Reichtümer gehörten nun de Montregnier. Das Schloss mit seinen wertvollen Gütern, die Ländereien – er hatte sich wahrlich eine reiche Beute gesichert. Alles schien nun in seinem Besitz zu sein, und das galt leider auch für sie selbst.
Wie sie diesen hochmütigen, unverschämten Mann doch verachtete!
Fast wäre sie wieder gestolpert, diesmal über eine reich bestickte Tunika, die noch auf dem Boden lag. Sie hatte Edgar gehört. Plötzlich kam ihr die letzte Nacht in diesem Gemach wieder in den Sinn, als er das Kleidungsstück hastig über den Kopf gezogen und achtlos beiseite geworfen hatte. Er war allzu begierig gewesen, seine Lust an ihr zu stillen. Die Erinnerung jagte ihr einen kalten Schauder über den Rücken. Er war bereits an seiner Hose angelangt, als seine Trunkenheit ihren Tribut gefordert hatte und er in tiefen Schlaf gesunken war.
Ihr fiel ein, dass auch die Tunika jetzt de Montregnier gehörte. Edgars Leidenschaft für prunkvolle Kleidung hatte Unsummen gekostet. Alayna lächelte, als sie sich den finsteren Krieger in den geckenhaft verzierten Gewändern ihres verstorbenen Gemahls vorstellte. Sie bezweifelte, dass er sich darin wohl fühlen würde. Alayna lächelte voller Schadenfreude.