Nr. 998
Terraner unerwünscht
Revolte auf der Hundertsonnenwelt – die Posbis am Scheideweg
von CLARK DARLTON
Nach langen Monaten ist Perry Rhodans Expedition endlich der verdiente Erfolg beschieden. Menschen von der BASIS sind in den Vorhof der Materiequelle eingedrungen und haben durch eine »Entrümpelungsaktion« die Materiequelle wieder normalisiert, so dass mit keinen weiteren Weltraumbeben zu rechnen sein wird.
Dann, nachdem diese Aufgabe erfüllt worden war und nachdem Atlan als Auserwählter, der die Interessen der Menschheit bei den Mächten jenseits der Materiequelle vertreten soll, die BASIS verlassen hatte, bleibt Perry Rhodan keine andere Wahl, als auf Heimatkurs zu gehen.
Man schreibt Mitte Dezember des Jahres 3587, als die BASIS die Nähe der Menschheitsgalaxis erreicht. Die seltsamen Impulse eines kosmisch-mentalen Leuchtfeuers werden angemessen – und die Veränderung dieser aus der Provcon-Faust stammenden Strahlung wird ebenfalls registriert.
Diese seltsamen Vorkommnisse veranlassen Perry Rhodan dazu, nicht sofort Terra anzusteuern, sondern zuerst die Hundertsonnenwelt, die Heimat der Posbis, zu besuchen.
Dort aber heißt es: TERRANER UNERWÜNSCHT ...
Die Hauptpersonen des Romans
Zarker Prull, Marscha Hagen, Bendrix und Tohr – Menschen auf der Welt der Posbis.
Carz – Ein Posbi, der sich anders benimmt als seine Artgenossen.
Perry Rhodan – Der Terraner lässt Kurs auf die Hundertsonnenwelt nehmen.
Ras Tschubai und Gucky – Die Mutanten kommen zum Einsatz.
1.
Die Hotelstadt Suntown auf der Hundertsonnenwelt schien ausgestorben zu sein. Der gigantische Wohnkomplex, bestehend aus Hochhäusern modernster Bauart und ausgedehnten Bungalowanlagen, erstreckte sich scheinbar bis zum Horizont, vom ewig scheinenden Licht der Atomsonnen gleichmäßig angestrahlt.
Und doch gab es Leben in Suntown.
Ein hochgewachsener Mann, schlank und mit dunklem Haar, schritt gemächlich durch die einsamen Straßen und näherte sich einem der zahlreichen Bungalows, die in verwilderten Vorgärten standen. Ein unmerkliches Zucken huschte über sein kantiges, wettergegerbtes Gesicht, als er vor der Haustür stehen blieb.
Er wurde erwartet, also brauchte er sich nicht bemerkbar zu machen. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen den Dachpfeiler aus Kunststoff und sah hinauf in den leicht bewölkten Himmel.
Zarker Prull war 76 Jahre alt und der wissenschaftliche Leiter der LFT-Delegation auf der Hundertsonnenwelt. Nachdem während der Invasion durch das Konzil der Planet der Posbis von den Terranern geräumt worden war, kehrten nun zum ersten Mal wieder Menschen hierher zurück – insgesamt genau zweitausendundzwölf. Ihre Aufgabe war es, die Hundertsonnenwelt auf ihre erneute Nutzungsmöglichkeit zu untersuchen und den freundschaftlichen Kontakt zu den Posbis aufrechtzuerhalten.
So wenigstens war es vorgesehen, und Zarker Prull konnte nicht ahnen, dass sich ab heute alles drastisch ändern sollte.
Seine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, aber dann öffnete sich die Tür. Eine weibliche Stimme flüsterte hastig: »Komm 'rein, aber schnell! Du bist unvorsichtig, Zarker!«
Prull unterdrückte seine Verwunderung und sagte ruhig: »Was ist denn los mit dir, Marscha? Kann doch jeder wissen, dass ich dich besuche. Die wissen doch alle, dass wir beide ...«
»Du bist ein schrecklicher Mensch!«, unterbrach ihn die Exobiologin Marscha Hagen und zog ihn ins Haus. Hastig schloss sie die Tür. »Wieder die letzten Neuigkeiten verschlafen, wie ich dich kenne. Du wirst noch deinen eigenen Tod verschlafen.«
Kopfschüttelnd folgte er ihr in den Wohnraum.
Sie alle waren erst vor kurzer Zeit mit dem Kugelraumer HEGEL auf der Hundertsonnenwelt eingetroffen, lebten meist in Suntown und starteten von hier aus ihre Unternehmungen. Posbis und Matten-Willys unterstützten die Terraner, wann immer es notwendig schien.
Marscha Hagen setzte sich. Sie war knapp vierzig Jahre alt, vollschlank, hatte rotblondes, langes Haar und wirkte äußerst anziehend. Mit einer fahrigen Handbewegung sagte sie: »Setz dich endlich! Erstens weiß niemand von den anderen, dass wir ein Verhältnis haben, und es geht auch niemand etwas an. Und zweitens gibt es Ärger mit den Posbis.«
»Mit den Posbis?« Zarker war ehrlich erstaunt. »Wie kommst du denn auf die Idee?«
Sie deutete auf das Video.
»Carlo Wollmacher teilte es mir eben mit. Die Posbis machen Jagd auf uns.«
»Du bist verrückt!«, stellte Zarker Prull sachlich fest.
Sie schüttelte den Kopf, ohne beleidigt zu sein.
»Bin ich nicht, mein Lieber. Du hast nur Glück, dass dich niemand von den Robotern gesehen hat, sonst hätten sie dich geschnappt und eingesperrt. Frage doch Carlo, wenn du mir nicht glaubst.«
Er stand auf und ging zum Video. Ein Knopfdruck stellte die Verbindung zu dem Kybernetiker her, der sich auch sofort meldete.
»Mensch, wo steckst du denn?«, sprudelte der glatzköpfige Mann mit den blauen Kinderaugen hervor. »Ich versuche schon die ganze Zeit, dich zu erreichen. Die Posbis drehen durch.«
»Ich bin bei Marscha Hagen. Was ist passiert?«
»Ach, bei Marscha? Hätte ich mir denken können, ich Rindvieh.«
Carlo Wollmacher, der sich jedoch nur Kosmos Tree nannte, weil er seinen ursprünglichen Namen angeblich nicht mochte, schien äußerst erregt zu sein.
»Es fing vor ein oder zwei Stunden an. Die Posbis nahmen einen ganzen Trupp von uns gefangen, der zum Gebirge wollte. Ich beobachtete den Vorfall und alarmierte jeden, den ich erreichen konnte. Die Posbis weigern sich, Auskunft zu geben. Als würden sie unter Zwang handeln ...«
»Nun mal langsam, Kosmos Tree! Warum sollten die Posbis so handeln? Sie sind doch immer die zuverlässigsten Freunde der Terraner gewesen. Ich sehe keinen Grund, warum sich das plötzlich geändert haben sollte.«
»Hat es aber!«, brüllte Kosmos Tree und lief rot an wie eine Tomate. »Geh doch auf die Straße und warte ab, was passiert!«
»Ich komme gerade von der Straße, und nichts ist passiert.«
»Sind dir Posbis begegnet?«
»Nein.«
»Na also!«, schnaubte Kosmos Tree triumphierend. »Dann kann ja auch nichts passiert sein. Ganze Trupps von ihnen sind jetzt unterwegs und nehmen jeden Terraner gefangen, den sie sehen. Die meisten von uns sind ja noch ahnungslos, aber wir müssen alle warnen. Das ist deine Aufgabe.«
»Darüber brauchst du mich nicht aufzuklären«, gab Zarker Prull verstimmt zurück. »Ich werde mich darum kümmern. Was ist mit der HEGEL?«
»Steht im Hangar – hoffe ich. Einige der Nachrichtenverbindungen sind unterbrochen. Kann den Hangar nicht erreichen.«
»Auch darum werde ich mich kümmern«, versprach Prull und desaktivierte das Gerät. Er kehrte zu Marscha zurück und setzte sich neben sie. »Verstehst du das alles?«
Sie schüttelte den Kopf. In ihren hellgrünen Augen war ein rätselhaftes Leuchten, das Prull gern als »Hexenblick« bezeichnete.
»Du willst zum Hangar?«
»Wenn hier wirklich etwas geschieht, das unsere Sicherheit bedroht, ist das Schiff unsere einzige Rettung. Du solltest mitkommen.«
Sie seufzte.
»Und ich hatte mich so auf einen gemütlichen Vormittag gefreut. Das Frühstück ist fertig.«
»Wir müssen sofort los«, sagte er bestimmt und stand auf. »Nimm das Nötigste mit und gib mir deinen Impulsstrahler.«
*
Nicht ganz dreihunderttausend Lichtjahre von Terra entfernt stand die Hundertsonnenwelt im Leerraum zwischen den Galaxien. Die auf ihr lebenden Posbis – positronisch-biologische Roboter mit Zellplasmazusatz – hatten die zurückgekehrten Menschen mit freundschaftlicher Gelassenheit empfangen und sich dann wieder ihrer Arbeit zugewandt.
In den sechs Raumschiffwerften und auf den drei Großraumhäfen warteten einige Fragmentschiffe auf ihren Einsatz. Der Kugelraumer der Terraner war in einem der unterirdischen Hangars untergebracht. Dieser wiederum befand sich nicht weit von Suntown entfernt und war leicht mit Gleitern oder positronisch gesteuerten Fahrtkabinen zu erreichen.
Zarker Prull war vorsichtig genug, die City der Hotelstadt zu meiden, obwohl der nächste Weg durch sie hindurch geführt hätte. Obwohl er keinen einzigen Posbi bemerkte, und auch keinen Matten-Willy, nahm er Kosmos Trees Warnung ernst.
Weiter vorn war eine Bewegung.
Zarker zog Marscha in einen Hauseingang und spähte dann um die Ecke. Es war eins der großen Quallenwesen, die als die getreuesten Diener und Freunde der Posbis galten. Auf seinen kurzen Stummelfüßen glitt es quer über die Straße und war verschwunden, ehe Zarker seinen Weg richtig verfolgen konnte.
»Was ist?«, flüsterte Marscha.
»Nur ein Matten-Willy«, gab er zurück.
Sie warteten noch einige Minuten, und als sich nichts mehr regte, verließen sie ihr Versteck und gingen weiter. Mehrmals versuchte Zarker, über seinen Telekom Kontakt mit anderen Terranern zu erhalten, aber niemand antwortete. Vielleicht war das Gerät defekt. Marscha hatte das ihre in der Hast des Aufbruchs vergessen.
Auf Umwegen näherten sie sich dem gegenüberliegenden Stadtrand. Hier standen die Gleiter und Kabinenbahnen.
Der friedliche Eindruck, den Zarker und Marscha bisher gewonnen hatten, änderte sich schlagartig.
Blitzschnell duckten sie sich und krochen dann auf allen vieren hinter einen Müllcontainer, der einigermaßen Deckung bot. Sie glaubten ihren Augen nicht zu trauen, als sie sahen, was da vor ihnen, kaum zweihundert Meter entfernt, geschah.
Der Kabinenwagen, der aus Richtung Hangar gerade eingetroffen war, hielt an und wurde sofort von einem Dutzend Posbis umringt, die ihre Waffen drohend auf das Gerät richteten. Zarker stellte erleichtert fest, dass es sich nur um Narkosestrahler handelte.
Die Kabinentür öffnete sich, und sieben Terraner wurden ins Freie getrieben. Sie schienen offensichtlich überrascht und begriffen nicht, was mit ihnen geschah.
»Von der Geologischen Forschungsabteilung«, flüsterte Marscha. »Verstehst du das?«
»Ich habe keine Ahnung«, gab Zarker ebenso leise zurück. »Die Posbis müssen übergeschnappt sein.«
Die so überraschend Gefangengenommenen versuchten, mit den Robotern zu verhandeln und verlangten eine Erklärung, aber die Posbis trieben sie zusammen und drängten sie dann in Richtung der Stadt davon.
Zarker blieb ganz ruhig liegen, denn noch immer befanden sich andere Posbis neben der Kabinenstation. Der Parkplatz der Gleiter lag etwas abseits, aber auch er wurde bewacht. Einige Willys bewegten sich träge zwischen den beiden Objekten hin und her, so als suchten sie etwas.
»Hier können wir nicht ewig bleiben«, meinte Marscha besorgt. »Früher oder später würden sie uns entdecken.«
»Ich will wissen, was hier gespielt wird. Was kann in die Posbis gefahren sein?«
»Eine Fehlschaltung des Zentralplasmas?«, vermutete Marscha.
Er zuckte die Schultern.
»Möglich, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Auf der anderen Seite scheinen in der Tat sämtliche Posbis von der Sinnesänderung erfasst worden zu sein, was wiederum auf eine zentrale Steuerung hindeutet. Möchte wissen, was dahintersteckt.«
»Hier werden wir es nicht herausfinden«, deutete sie an.
Er nickte.
»Natürlich nicht. Wenn ich doch nur wüsste, wo unsere Freunde sind. Wir müssen sie finden.«
»Vergiss nicht, dass wir nur zweitausend sind, die verstreut in einer ausgestorbenen Millionenstadt leben. Muss schon Zufall sein, wenn wir jemandem begegnen – und jetzt erst recht!«
»Wir müssen zur HEGEL«, sagte er.
Geduckt huschten sie zu den Häusern zurück.
*
Einen vorläufigen Unterschlupf fanden sie in einem der riesigen Hotels, die schon lange über kein Robotpersonal mehr verfügten. Trotzdem machte alles noch einen gepflegten und sauberen Eindruck. Die positronischen Bedienungsanlagen funktionierten einwandfrei.
Im zehnten Stock verriegelte Zarker die Tür zu einem komfortablen Apartment zusätzlich mit einigen Stahlbändern, die er im Keller auftrieb. Ein Blick auf die Straße belehrte ihn darüber, dass die Posbis aktiver geworden waren. Ganze Trupps von ihnen waren zu sehen, begleitet von Matten-Willys. Offensichtlich waren sie auf der Suche nach den Terranern.
Marscha nahm in einem der Sessel Platz.
»Und was nun?«, fragte sie ratlos.
Zarker streckte sich auf dem Doppelbett aus. Er nahm den Telekom vom Handgelenk und begann ihn zu untersuchen.
»Hier sind wir vorerst sicher und können abwarten, was weiter geschieht. Vielleicht kann ich das Ding reparieren. Hast du so etwas wie ein Messer bei dir?«
Sie kramte in den Taschen ihrer Kombination und förderte ein Nagelbesteck hervor.
»Genügt das?«
»Geht zur Not«, meinte er und machte sich an die Arbeit. Als Hyperphysiker sollte es ihm doch möglich sein, den Fehler zu finden. »Vielleicht ist das Gerät überhaupt nicht kaputt.«
Nach einer Weile gab der Telekom wenigstens ein Rauschen von sich, aber Zarkers Anrufe wurden nicht beantwortet.
»Störungen in der Atmosphäre«, murmelte er. »Es kommt niemand durch.« Er legte das Gerät wieder um sein Handgelenk. »Ich lasse es eingeschaltet.«
»Mir tut unser verpasstes Frühstück leid«, wechselte Marscha abrupt das Thema. »Hast du keinen Hunger?«
Er richtete sich auf.
»Und ob! Versuchen wir es mit dem Automaten.«
»Ist das nicht gefährlich? Das Zentralplasma würde jedes Aktivieren registrieren und ...«
»Wenn wir nicht verhungern wollen, müssen wir es riskieren.«
Sie zögerte, aber dann drückte sie entschlossen ein paar Knöpfe. Wenig später öffnete sich eine Klappe in der Wand. In den Tassen dampfte heißer Kaffee. Das Frühstück war reichhaltig.
Nachdem sie gesättigt waren, fiel ihnen das Überlegen leichter, wenn ihre Bemühungen auch vergeblich blieben. Sie fanden keine Erklärung für das rätselhafte Verhalten der Posbis.
Bevor Marscha sich ebenfalls hinlegte, ging sie noch einmal zum Fenster und blickte hinab auf die Straße.
Sie erschrak.
Kolonnen von Posbis marschierten in militärischer Ordnung in Richtung Zentrum, zwischen sich gefangene Terraner, die mit Narkosestrahlern in Schach gehalten wurden. Von den Terranern besaß keiner mehr eine Waffe.
»Eine regelrechte Razzia«, erklärte Marscha und wandte dem Fenster den Rücken zu. »Sie nehmen jeden gefangen. Warum nur?«
»Versuche jetzt ein wenig zu schlafen, später kommen wir vielleicht nicht mehr dazu«, riet Zarker. »Wir können nicht ewig hier bleiben.«
»Wohin willst du denn?«
»Zur HEGEL.«
Als Marscha antworten wollte, klopfte es an der Tür.
Den beiden Menschen stockte der Atem ...
*
Carz konnte in gewissem Sinn als ein Rebell bezeichnet werden.
Er war ein Posbi, doch bereits vor einigen Wochen waren seine halborganischen Nervenstränge ausgefallen, die den faustgroßen Zellplasmazusatz mit den Steuerschaltungen seiner Befehlspositronik verbanden. Statt den Defekt zu melden, wie es seine Pflicht gewesen wäre, genoss er dankbar die unverhoffte Freiheit vom Zentralplasma der achtzehn Kuppeln.
Er war selbständig geworden, ließ sich jedoch nichts anmerken. Wie immer ging er seiner gewohnten Arbeit nach, bis am heutigen Tag das Unbegreifliche – auch für ihn – geschah. Die Posbis nahmen die befreundeten Terraner gefangen und brachten sie fort.
Carz' erster Gedanke war, die Terraner zu warnen, aber das erwies sich als äußerst schwierig, da er das Funkgerät nicht benutzen konnte. Die präzise arbeitenden Ortungsstationen auf der Hundertsonnenwelt hätten Standort und Quelle sofort identifiziert und das regierende Zentralplasma alarmiert.
Ihm blieb demnach nichts anderes übrig, als die Terraner einzeln und persönlich von dem unerklärlichen Ereignis zu informieren, sofern er sie antraf.
Doch auch das funktionierte nur kurze Zeit, einige Stunden vielleicht. Dann wurde es unmöglich, sich einem Terraner auf Rufweite zu nähern, weil diese sofort das Feuer auf ihn eröffneten oder flohen, sobald sie seiner ansichtig wurden.