Fernando Pessoa
Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares
Roman
Herausgegeben von Richard Zenith
Aus dem Portugiesischen übersetzt und revidiert von Inés Koebel
FISCHER E-Books
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
Covergestaltung: bilekjaeger, Stuttgart
Abbildung: Michaela Mayländer/bilekjaeger
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
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ISBN 978-3-10-400866-0
A.d.Ü.: Orpheu: Zeitschrift des portugiesischen Modernismus, 1915 von Pessoa ins Leben gerufen. Obgleich nur in zwei Ausgaben erschienen, war sie wegbereitend für die portugiesische Literatur des 20. Jahrhunderts.
A.d.Ü.: Im übrigen Text wird stets nur ein Zimmer erwähnt.
A.d.Ü.: Pessoa selbst hat sowohl kurz in Durban als auch kurz in Lissabon studiert. Allerdings ohne einen Abschluß.
Cesario Verde (1855 – 1886), Dichter und kaufmännischer Angestellter, führte unter dem Einfluß Baudelaires neue Stilelemente, wie den großstädtischen Alltag und Sozialkritik, in die portugiesische Dichtung des 19. Jahrhunderts ein. Siehe auch Text 268.
A.d.Ü.: Im übrigen Text stets vierter Stock. Offenbar ein Irrtum des Autors.
A.d.Ü.: Antônio Vieira (1608 – 1697), Jesuit, Missionar, Diplomat, verbrachte einen Großteil seines Lebens in Brasilien, gilt als einer der bedeutendsten Prosastilisten portugiesischer Sprache. Siehe auch Texte 36 und 83.
A.d.Ü.: Pessoa selbst war siebenunddreißig Jahre alt, als seine Mutter starb. Als er sieben war, ging sie, früh verwitwet, eine zweite Ehe ein, ein Schritt, der für Pessoa möglicherweise einem Verlust gleichkam.
A. d.Ü.: Pessoa war fünf Jahre alt, als sein Vater in Lissabon, wo die Familie lebte, an der Schwindsucht starb.
A.d.Ü.: Frei Luis de Sousa (1555 – 1632), Dominikaner, Geschichtsschreiber und Verfasser von Heiligenbiographien, bekannt für seinen eleganten Stil. Siehe auch Text 83.
A.d.Ü.: Heteronym Pessoas und »Lehrmeister« all seiner übrigen Heteronyme.
A.d.Ü.: Aus: Fernando Pessoa: Alberto Caeiro: Dichtungen, Ammann Verlag, Herbst 2004.
A.d.Ü.: Zwei der schönsten Aussichtspunkte Lissabons.
Siehe dazu auch Text 36.
Wort in Klammern von der Übersetzerin hinzugefügt.
A.d.Ü.: Henri-Frédéric Amiel (1821 – 1881), viel im Portugal der 20er Jahre gelesener Schweizer Schriftsteller und Philosoph. Seine postum veröffentlichten Tagebücher zeichnen sich durch schonungslose Selbstanalyse aus.
A.d.Ü.: Die hier genannte Biographie erzählt das Leben von Dom Frei Bartolomeu dos Mârtires, einem portugiesischen Erzbischof. Siehe auch Text 36.
A.d.Ü.: Siehe auch Text 3.
A.d.Ü.: Terreiro do Paço (Palastplatz), so genannt, da an dieser Stelle vom 16. Jahrhundert an bis zum großen Erdbeben von 1755 der königliche Palast stand. Der große, elegante, am Tejo-Ufer liegende Platz wurde im 18. Jahrhundert wieder aufgebaut und in Praça do Comércio (Handelsplatz) umbenannt.
A. R. Zenith: Autor dieser zwei Verse ist José de Espronceda (1808 – 1842). Sie entstammen dem langen Erzählgedicht El Estudiante de Salamanca und wurden von Pessoa im Original angeführt: languidez, mareo/y angustioso afán. In Pessoas Nachlaß findet sich eine unvollständige englische Übersetzung dieses Gedichtes mit dem Titel The Student of Salamanca, und diese ist dem pessoanischen Heteronym Charles James Search zugeschrieben, dem Bruder Alexander Searchs.
A.d.Ü.: Siehe auch Text 72.
A. R. Zenith: Edmond Scherer (1815 – 1889), französischer Literaturkritiker, Freund Amiels, schrieb ein Vorwort zu dessen postum veröffentlichten Fragments d’un Journal intime. Pessoa zitiert hier irrtümlich falsch. Amiels Tagebuchaufzeichnungen ist zu entnehmen, daß Scherer während eines Gesprächs mit Amiel von der intelligence de la conscience sprach und Amiel selbst von der conscience de la conscience.
A.d.Ü.: 1902 im Zentrum Lissabons erbaut, verbindet Unter- und Oberstadt.
A.d.Ü.: Pessoa nimmt hier Bezug auf Heinrich den Seefahrer.
Wort in Klammern von der Übersetzerin hinzugefügt.
A. R. Zenith: Originalzitat: Any road, this simple Entepfuhl road, will lead you to the end of the World. Aus der fiktiven Biographie: Sartor Resartus. The Life and Opinions of Herr Teufelsdröckh (Das Leben und die Ansichten des Herrn Teufelsdröckh) von Thomas Carlyle (1795 – 1881).
A. R. Zenith: Es handelt sich hier um eine Paraphrase eines Gedankens von Etienne de Condillac (1715 – 1780) aus seinem 1746 verfaßten Essai sur l’origine des connaissances humaines (Versuch über den Ursprung des menschlichen Wissens).
A.d.Ü.: Neologismus Pessoas, abgeleitet von outrem oder outro: jemand anders, ein Anderer, anders.
A.d.Ü.: Pessoa spielt hier wohl auf den sieben Bezirke umfassenden babylonischen Kosmos an.
A. R. Zenith: Pessoa hatte vier Bücher Ernst Heinrich Haeckels in französischer Übersetzung in seiner Bibliothek, darunter Die Welträthsel. Gemeinverständliche Studien über monistische Philosophie (1899).
A. R. Zenith: Francisco Sanches (1551 – 1623), portugiesischer Arzt und Philosoph.
A. R. Zenith: Pessoa nimmt hier Bezug auf eine Biographie Shelleys, in der ein Brief Shelleys vom 22. Oktober 1921 an John Gisborne zitiert wird. Dort heißt es: »You are right about Antigone; how sublime a picture of a woman! […] Some of us have, in a prior existence, been in love with an Antigone, and that makes us find no full content in any mortal tie.«
A. R. Zenith: In der dritten Ode seines dritten Odenbuches.
A.d.Ü.: Pessoa schöpft hier ein neues Wort, nämlich intersperso, das sich vom englischen interspersed with (durchsetzt, vermischt) ableitet.
A.d.Ü.: Einstiger Vorort von Lissabon, heute in die Stadt integriert.
Gemeint ist wahrscheinlich die Avenida da Liberdade, eine der Prachtstraßen im Zentrum Lissabons.
A.d.Ü.: Siehe auch Text 235.
A.d.Ü.: Johannes Scotus Eriugena (810? – 877), irischer Philosoph. In seinem fünfbändigen Hauptwerk De divisione naturae stellt er im Anschluß an neuplatonische Spekulationen die Welt als eine Selbstmanifestation Gottes dar.
A.d.Ü.: Camilo Pessanha (1876 – 1926), einer der bedeutendsten symbolistischen Lyriker Portugals.
A.d.Ü.: Das seit 1885 unter dem Namen Leão d’Ouro (Goldener Löwe) firmierende Restaurant besteht heute noch.
A.d.Ü.: Stadt in der Nähe Lissabons, auf der anderen Seite des Tejo gelegen.
Worte in Klammern von Übersetzerin hinzugefügt.
Terreiro do Paço: Siehe Text 107.
A.d.Ü.: Gabriel Tarde (1843 – 1904), französischer Soziologe und Kriminologe, Professor für Philosophie. Vertrat die mechanistische Gesellschaftsinterpretation auf der Basis der individuellen Nachahmung, die zwischenmenschliche Beziehungen bestimme.
Texte aus den Jahren 1915 – 1930, für diese Ausgabe von Richard Zenith unter einem von Pessoa bestimmten Titel zusammengestellt.
A.d.Ü.: José Valentim Fialho de Almeida (1851 – 1911), naturalistischer Schriftsteller, der in seinem vorwiegend zeit- und sozialkritischen Werk das Leben einfacher Menschen thematisiert.
A.d.Ü.: Zu Anfang des 20. Jahrhunderts fand in Portugal eine Rechtschreibereform statt.
A.d.Ü.: Pessoa behielt zeitlebens das der portugiesischen Rechtschreibereform zum Opfer gefallene Y bei.
A.d.Ü.: Siehe auch Text 468.
A.d.Ü.: Pessoa fühlte sich Cesário Verde, der Lissabon in zahlreichen Gedichten besang, innerlich stark verbunden. Siehe auch Text 3.
A.d.Ü.: Berühmtes Viertel mit Buchhandlungen, Geschäften und Cafés im Zentrum Lissabons, zu Pessoas Zeiten Treffpunkt von Intellektuellen und Schriftstellern.
A. R. Zenith: Original: »Most people are other people«. Aus De Profundis; die von Pessoa zitierte Passage heißt weiter: »Their thoughts are someone else’s opinions, their lives a mimicry, their passions a quotation.«
A.d.Ü.: Antero de Quental (1842 – 1891), einer der großen Dichter der portugiesischen Romantik, von Pessoa bewundert und häufig zitiert.
A.d.Ü.: Bin zwischen (entresou). Neologismus Pessoas.
Wort in Klammern von der Übersetzerin hinzugefügt.
A.d.Ü.: Von Pessoa geplanter Titel für sein heteronymisches Werk, das in mehreren Bänden erscheinen sollte (siehe dazu auch im Anhang unter: Aus dem Vorwort zu Fiktionen des Zwischenspiels). Ficcões do Interlúdio (Fiktionen des Zwischenspiels) war ursprünglich Titel eines 1917 unter Pessoas Namen erschienenen Bändchens mit 5 Gedichten. Innerhalb der bei Assírio & Alvim erschienenen aktuellen Werkausgabe firmieren unter diesem Titel alle zu Pessoas Lebzeiten unter seinem eigenen Namen und denen seiner Heteronyme Campos, Reis und Caeiro veröffentlichten Gedichte, mit Ausnahme von Mensagem.
Wort in Klammern von der Übersetzerin hinzugefügt.
A.d.Ü.: Pays du Tendre: Allegorische Landkarte aus dem ersten Band des zehnbändigen Romans Clélie von Madeleine de Scudéry (1607 – 1701).
Variante: das Licht aller Höllen.
A. R. Zenith: Zitat aus dem Gedicht Lying in the Grass des englischen Dichters Edmund Gosse (1849 – 1928).
A. R. Zenith: Pessoa gebraucht hier den Neologismus lambentes, abgeleitet aus dem englischen lambent, was soviel wie strahlend, funkelnd heißt.
A.d.Ü.: Heinrich Heine: Buch der Lieder – Die Heimkehr.
Siehe auch Text 259.
A.d.Ü.: Anspielung auf den Gedichtband Só (Allein) von António Nobre, der 1900 im Alter von 33 Jahren starb; sein vielgelesenes Buch wurde als »das traurigste Buch Portugals« bezeichnet.
A. R. Zenith: Antonio Cardoso Borges de Figueiredo (1792 – 1878), Verfasser zahlreicher Lehrbücher für den Schulunterricht. Pessoas noch heute existierende Bibliothek enthält einen Band von Figueiredos Rhetorik. Die Vorsatzblätter sind mit einigen Anmerkungen und Gedichten aus der Feder Pessoas versehen.
A. R. Zenith: Francisco José Freire (1719 – 1793), wichtigster Theoretiker der Schule Arcádia Lusitana, bekannter unter dem Namen Cândido Lusitano.
A. R. Zenith: Pessoa spielt hier zweifellos auf die Orthographie der Jesuiten an, nach deren Regeln man entsprechend der Gepflogenheiten des 18. Jahrhunderts viele Wörter mit jenem C schrieb, das später (da es stimmlos war) durch ein S oder SS ersetzt wurde.
A.d.Ü.: Omar Khayyam (1048 – 1131), persischer Mathematiker, Astrologe und Dichter.
A.d.Ü.: Siehe Text 238.
A. R. Zenith: Henry Aldrich (1647 – 1710), Dekan der Christ Church in Oxford, Theologe, Humanist, Architekt. Als Pessoa diese Textpassage schrieb, erinnerte er sich nicht an den Wortlaut von Aldrichs Epigramm Reasons for Drinking, trug sich aber offenbar mit der Absicht, später seine eigene Übersetzung der Verse in die frei gelassene Stelle einzufügen. Die Übersetzung wurde unter den vielen tausend losen Blättern seines Nachlasses gefunden.
A. R. Zenith: Glykon.
Zitat aus: Thomas Carlyle: Sartor Resartus. Siehe auch Text 138.
A.d.Ü.: Aus der Erzählung Berenice.
A.d.Ü.: Aus: Peter Schlemihls Wundersame Geschichte von Adelbert von Chamisso.
Initiierter der Eleusinischen Mysterien. (Fruchtbarkeitskult der Göttinnen Demeter und Persephone, an dem Eingeweihte – Mysten – aus ganz Griechenland teilnahmen.)
A.d.Ü.: Etienne Pivert de Senancour (1770 – 1846), franz. Schriftsteller. Sein Briefroman Oberman gehört zu den bedeutendsten Werken der europäischen Romantik. Die rund neunzig Briefe des Titelhelden an unterschiedliche Adressaten stellen den bekenntnishaften Monolog eines einsamen, resigniert reflektierten Ichs dar. Unter dem Einfluß Rousseaus entstanden Essays und philosophische Studien.
A.d.Ü.: Paul Bourget (1852 – 1935) französischer Schriftsteller und Dramatiker.
A.d.Ü.: Betriebsamer Platz und gleichnamiger, immer wieder von Pessoa erwähnter Bahnhof am Ufer des Tejo.
A.d.Ü.: Dieser Vorstellung widmet sich Pessoa ausführlich unter dem Heteronym Alberto Caeiro in seinem, großen Gedicht Der Hüter der Herden.
Wort in Klammern von der Übersetzerin hinzugefügt.
Variante: Ich bin Stücke von Gestalten …
A.d.Ü.: Im Portugiesischen ist der Tod weiblich, und diese Stelle müßte daher korrekt übersetzt lauten: Ich werde deine mütterliche Gemahlin sein, deine wiedergefundene Zwillingsschwester.
Variante: sinnloser Sexe.
Anteros: Gott der erwiderten Liebe.
Variante: eines platonischen Symbolisten.
A.d.Ü.: Estrela-Park: Unweit von Pessoas letztem Mietzimmer im Stadtteil Campo de Ourique gelegen.
A.d.Ü.: Satz aus René von Chateaubriand. Siehe dazu Textfragment 235.
Variante: Dein Leben werde ich sterben in mir.
Variante: als dieses tote Leben, das dich lebt?
Variante: ein Epitaph im Stile Gongoras.
Baron von Teive: Die Erziehung zum Stoiker, Ammann Verlag, 2004.
Variante: der nie existierte …
A.d.Ü.: Deutsch: »Kein Notar, der nicht von Sultaninen geträumt hätte …« Von Pessoa nicht korrekt übernommenes Zitat aus Gustave Flauberts »Madame Bovary«.
A.d.Ü.: Deutsch: »Straße der Kurzwarenhändler«, die bewußte Wahl dieses Straßennamens ist bezeichnend für Pessoas bitter-ironische Herabsetzung der eigenen Person.
A.d.Ü.: Pessoas Mutter heiratete in zweiter Ehe den portugiesischen Konsul in Durban, Südafrika, dem sie mit ihrem Sohn 1896 dorthin folgte. Pessoa kehrte 1905 nach Lissabon zurück, seine Mutter 1920, erneut verwitwet und mit ihren beiden Kindern aus zweiter Ehe.
A.d.Ü.: Wahrscheinlich ist Mário de Sá-Carneiro (geb. 1890 in Lissabon, Selbstmord 1916 in Paris) gemeint, bester Freund und künstlerischer Weggefährte Pessoas. Mitbegründer und Herausgeber der modernistischen Zeitschrift Orpheu (1915), die, obgleich nur in 2 Nummern erschienen, die portugiesische Literatur nachhaltig beeinflußte. Bedeutender Lyriker und Prosaist, der sich nach symbolistischen Anfängen dem Modernismus zuwandte.
A.d.Ü.: O Marinheiro (Der Seemann), 1913 geschrieben, statisches Drama ohne Handlung.
A.d.Ü.: Dom Sebastião, König von Portugal, 1578 im Alter von 24 Jahren in der Schlacht von Ksar-el-Kebir (Marokko) verschollen. Mit wenig Sinn für politische Realitäten und entgegen allen Ratschlägen unternahm er einen Kreuzzug gegen den Islam. Durch seinen Tod verlor Portugal für 60 Jahre seine Unabhängigkeit an die spanische Krone. Gleichwohl entstand als Folge des portugiesischen Unabhängigkeitsstrebens der Sebastianismus, der Glaube an die Rückkehr des im Schlachtennebel als verschollen angesehenen Königs (sein Leichnam wurde nie gefunden) hält bis heute als Mythos an. Siehe auch Textfragment 300, in dem zweifellos Dom Sebastião gemeint ist.
A.d.Ü.: João de Lebre e Lima (1889 – 1959), wenig bekannter portugiesischer Dichter.
A.d.Ü.: A Águia (Der Adler), 1910 in Porto gegründete Zeitschrift, Sprachrohr der literarischen Bewegung »Renascença Portuguesa«.
A.d.Ü.: Armando Cortes-Rodrigues (1891 – 1971), azoreanischer Dichter und Modernist aus dem unmittelbaren Kreis um Pessoa in den 10er Jahren.
A.d.Ü.: Paulismo (von paúl = Sumpf), 1913 von Pessoa mit seinem Gedicht Pauis (Sümpfe) geschaffene lyrische Kunstrichtung, die dem späten Symbolismus nahestand und mit ausgesuchten Wörtern und Bildern spielte.
A.d.Ü.: João Gaspar Simões (1903 – 1987), Romancier und einer der bekanntesten portugiesischen Literaturkritiker seiner Zeit. Erster Biograph Pessoas (1950) und Mitherausgeber der ersten vier Bände von Pessoas postum erschienenem Werk. Mitbegründer der Literaturzeitschrift Presença, die Pessoas außergewöhnliche literarische Begabung früh erkannte und sich entschieden für seine Veröffentlichung einsetzte.
A.d.Ü.: 1934 unter dem Titel Mensagem (Botschaft) mit 44 Gedichten erschienen. Der einzige zu Pessoas Lebzeiten von ihm veröffentlichte Gedichtband.
Portugiesisches Meer.
Das Buch der Unruhe.
Sämtliche Gedichte von Alberto Caeiro, Zürich, Frühjahr 2004.
Aufzeichnungen zur Erinnerung an meinen Meister Alberto Caeiro.
Liederkreis.
A.d.Ü.: Adolfo Casais Monteiro (1908 – 1972), Dichter und Kritiker, Mitherausgeber der Zeitschrift Presença.
A.d.Ü.: 1922 von Pessoa veröffentlichte Erzählung über die Welt als Fiktion, in der ein Anarchist zum Bankier wird und ein Bankier zum Anarchisten.
A.d.Ü.: Neologismus Pessoas, siehe auch Text 138.
In Lissabon gibt es eine kleine Anzahl Restaurants oder Eßlokale, mit einem schlichten Schankraum und im Stockwerk darüber einem Eßraum, der so gediegen und hausbacken wirkt wie ein Restaurant in einer Ortschaft ohne Bahnanschluß. In diesen, außer an Sonntagen, wenig besuchten Speiseräumen trifft man häufig auf sonderbare Gestalten, ausdruckslose Gesichter, Abseitige des Lebens.
Der Wunsch nach Ruhe und die mäßigen Preise machten mich während einer bestimmten Zeit meines Lebens zum Stammgast eines solchen Lokals. Wenn ich dort gegen sieben zu Abend aß, begegnete ich fast immer einem Menschen, dessen Aussehen mich anfänglich nicht, mit der Zeit aber zusehends interessierte.
Der Mann war ungefähr dreißig Jahre alt, schlank und eher groß als klein, übertrieben nach vorn gebeugt, wenn er saß, weniger wenn er stand, und mit einer gewissen Nachlässigkeit, doch nicht nachlässig gekleidet. Seinem blassen, ausdruckslosen Gesicht konnte auch die Leidensmiene keinen stärkeren Ausdruck verleihen, und es war schwer festzustellen, welche Art Leiden sie verbarg – es schienen ihrer mehrere zu sein, Entbehrungen, Ängste und jenes der Gleichmut entstammende Leid, das wiederum aus einem Übermaß an Leid rührt.
Er aß stets mäßig zu Abend und rauchte anschließend selbstgedrehte Zigaretten. Er beobachtete die anwesenden Gäste überaus aufmerksam, nicht mißtrauisch, sondern mit besonderem Interesse, doch nicht, als suche er sie zu erforschen, sondern als interessiere er sich für sie, ohne sich ihr Verhalten oder ihr Aussehen sonderlich einprägen zu wollen. Erst diese Eigenheit weckte mein Interesse für ihn.
Ich begann, ihn mir genauer anzusehen. Ich bemerkte, daß ein gewisser Ausdruck von Intelligenz in unbestimmt-bestimmter Weise seine Züge belebte. Doch verhüllte Niedergeschlagenheit, die Starre kalter Angst, so konstant seine Miene, daß es schwierig wurde, darüber hinaus einen anderen Wesenszug zu entdecken.
Zufällig hörte ich von einem Kellner des Restaurants, daß er kaufmännischer Angestellter in einem nahe gelegenen Unternehmen war.
Eines Tages kam es auf der Straße unter unseren Fenstern zu einem Zwischenfall: Zwei Kerle prügelten sich. Wer sich gerade im Speiseraum aufhielt, lief an die Fenster, so auch ich und der Mann, von dem ich rede. Ich richtete beiläufig einen Satz an ihn, und er antwortete mir in gleicher Weise. Seine Stimme klang matt und zaghaft, wie die von Menschen, die nichts erwarten, weil es vollkommen nutzlos ist, etwas zu erwarten. Vielleicht aber war es auch gänzlich verfehlt, meinem abendlichen Restaurantgefährten diese Bedeutung beizumessen.
Seither – ich weiß nicht warum – grüßten wir einander. Eines schönen Tages, als wir uns möglicherweise durch den absurden Umstand nähergekommen waren, daß wir beide um halb zehn zum Abendessen erschienen, kamen wir wie nebenbei ins Gespräch. Er fragte mich, ob ich schriftstellerisch tätig sei, was ich bejahte. Ich erzählte ihm von der Zeitschrift Orpheu[1], die kurz zuvor erschienen war. Er lobte sie, lobte sie ausführlich, was mich zugegebenermaßen erstaunte. Ich erlaubte mir, ihm meine Verwunderung zu bekunden, denn die Kunst derer, die für Orpheu schreiben, erreicht nur wenige. Er erwiderte, vielleicht gehöre er zu diesen wenigen. Im übrigen, fügte er hinzu, habe ihm die Orpheu-Lektüre nichts eigentlich Neues gebracht: Schüchtern deutete er an, da er nicht wisse, wohin er gehen noch was er tun solle, weder Freunde zu besuchen habe noch Interesse am Bücherlesen, pflege er die Abende in seinem Zimmer, in dem er zur Untermiete wohne, ebenfalls schreibend zu verbringen.
Er hatte seine zwei[2] Zimmer – und dies ging zwangsläufig auf Kosten einiger unentbehrlicher Dinge – mit einem gewissen fast luxuriösen Stil eingerichtet. Sein Augenmerk galt insbesondere den Stühlen – mit Armlehnen, tief und weich –, Vorhängen und Teppichen. Dieses Interieur habe er sich geschaffen, sagte er, »um die Würde des Überdrusses aufrechtzuerhalten«. In einem modern eingerichteten Zimmer verwandelt sich der Überdruß in Mißbehagen, in körperlichen Schmerz.
Nichts hatte ihn jemals gezwungen, irgend etwas zu tun. Seine Kindheit war einsam gewesen. Er hatte sich nie einer Menschenmenge angeschlossen; nie eine Hochschule[3] besucht; sich nie einer Gruppe zugesellt. Bei ihm war das seltsame Phänomen eingetreten, das bei so manchen – recht besehen vielleicht bei allen eintritt: seine Vorstellungen und Instinkte – allesamt auf Trägheit und Absonderung ausgerichtet – hatten den zufälligen Umständen seines Lebens Form gegeben.
Nie mußte er sich mit den Anforderungen von Staat und Gesellschaft auseinandersetzen. Den Anforderungen seiner eigenen Instinkte wich er aus. Nichts hatte ihn je einem Freund oder gar einer Geliebten zugeführt. Ich war der einzige, mit dem er in gewisser Weise vertraut geworden war. Doch – wenngleich ich immer hinter der Maske einer fremden Persönlichkeit gelebt habe, nämlich der seinen, und vermutete, daß er mich niemals als wahrhaften Freund betrachten würde – war mir stets bewußt, daß er jemanden an sich ziehen würde, um ihm das Buch zu hinterlassen, das er in der Tat hinterließ. Auch wenn es mich anfangs, als ich dessen gewahr wurde, schmerzte, sah ich schließlich alles unter dem einzigen eines Psychologen würdigen Gesichtspunkt und finde Gefallen an dem Gedanken, daß ich auf ebendiese Weise sein Freund wurde und mich nun dem Ziel widme, zu dem er mich an sich gezogen hatte: der Veröffentlichung seines Buches.
Sogar in dieser Hinsicht – die Feststellung ist seltsam – konnten die Umstände, indem sie jemanden meines Charakters seinen Weg kreuzen ließen, ihm helfen und waren zu seinem Vorteil.
Fernando Pessoa
Vermittels dieser Eindrücke ohne Zusammenhang und ohne den Wunsch nach Zusammenhang erzähle ich gleichmütig meine Autobiographie ohne Fakten, meine Geschichte ohne Leben. Es sind meine Bekenntnisse, und wenn ich in ihnen nichts aussage, so weil ich nichts zu sagen habe.
Fragment 12
9. 3. 1930
Ich wurde zu einer Zeit geboren, in der die Mehrheit der jungen Leute den Glauben an Gott aus dem gleichen Grund verloren hatte, aus welchem ihre Vorfahren ihn hatten – ohne zu wissen warum. Und weil der menschliche Geist von Natur aus dazu neigt, Kritik zu üben, weil er fühlt, und nicht, weil er denkt, wählten die meisten dieser jungen Leute die Menschheit als Ersatz für Gott. Ich gehöre jedoch zu jener Art Menschen, die immer am Rande dessen stehen, wozu sie gehören, und nicht nur die Menschenmenge sehen, deren Teil sie sind, sondern auch die großen Räume daneben. Deshalb habe ich Gott nie so weitgehend aufgegeben wie sie und niemals die Menschheit als Ersatz akzeptiert. Ich war der Ansicht, daß Gott, obgleich unbeweisbar, dennoch vorhanden sein und also auch angebetet werden könne, daß aber die Menschheit, da sie eine rein biologische Vorstellung ist und nichts anderes bedeutet als eine Gattung von Lebewesen, der Anbetung nicht würdiger sei als irgendeine andere Gattung von Lebewesen. Dieser Menschheitskult mit seinen Riten von Freiheit und Gleichheit erschien mir stets wie ein Wiederaufleben jener alten Kulte, in denen Tiere Götter waren oder die Götter Tierköpfe trugen.
Da ich also weder an Gott noch an eine Summe von Lebewesen glauben konnte, verblieb ich wie andere Außenseiter in jener Distanz zu allem, die man gemeinhin Dekadenz nennt. Dekadenz bedeutet den vollständigen Verlust der Unbewußtheit; denn die Unbewußtheit ist das Fundament des Lebens. Wenn das Herz denken könnte, stünde es still.
Was bleibt jemandem, der wie ich lebendig ist und doch kein Leben zu haben versteht – ebenso wie den wenigen Menschen meiner Art –, anderes übrig als der Verzicht als Lebensweise und die Kontemplation als Schicksal? Da wir weder wissen noch wissen können, was religiöses Leben ist, weil wir weder mit der Vernunft Glauben haben noch an die Abstraktion Mensch glauben können und nicht einmal wissen, was wir für uns selbst mit ihr anfangen sollen, blieb uns als Motiv für unsere Seele nur die ästhetische Betrachtung des Lebens. Und so ergeben wir uns, fühllos für das Feierliche aller Welten, gleichgültig gegenüber dem Göttlichen und Verächter des Menschlichen, der absichtslosen Empfindung, ohne daß dies einen Sinn hätte, und pflegen sie in einem verfeinerten Epikureertum, wie es unseren Gehirnnerven zugute kommt.
Indem wir von der Naturwissenschaft nur ihr zentrales Prinzip behalten, daß alles schicksalhaften Gesetzen unterworfen ist, auf die man nicht unabhängig reagieren kann, weil reagieren schon hieße, sie hätten unsere Reaktion bewirkt; indem wir außerdem feststellen, daß dieses Gebot mit dem anderen, älteren vom göttlichen Verhängnis der Dinge übereinstimmt, verzichten wir auf die Anstrengung wie Schwächlinge auf athletische Ertüchtigung und beugen uns über das Buch der Empfindungen mit dem großen Skrupel gefühlter Gelehrsamkeit.
Indem wir nichts ernst nehmen und unsere Empfindungen als die einzig gewisse Wirklichkeit betrachten, finden wir bei ihnen Zuflucht und erforschen sie wie große unbekannte Länder. Und wenn wir nicht nur Sorgfalt auf die ästhetische Betrachtung, sondern auch auf den Ausdruck ihrer Methoden und Ergebnisse verwenden, dann, weil die Prosa oder Verse, die wir schreiben, ohne fremdes Verständnisvermögen überzeugen oder fremden Willen bewegen zu wollen, nur wie das laute Vorsichhinsprechen eines Lesenden sind, das dazu beiträgt, dem subjektiven Genuß der Lektüre volle Objektivität zu verschaffen.
Wir wissen wohl, daß jedes Werk zwangsläufig unvollkommen und daß von unseren ästhetischen Betrachtungen die unsicherste diejenige ist, aus der heraus wir schreiben. Unvollkommen jedoch ist alles, es gibt keinen noch so schönen Sonnenuntergang, der nicht noch schöner sein könnte, keine uns Schlaf verschaffende Brise, die uns nicht einen noch ruhigeren Schlaf verschaffen könnte. Und so werden wir, gleichbleibende Betrachter von Bergen und Statuen, die Tage genießen wie die Bücher und alles vor allem zu dem Zweck erträumen, es unserer inneren Substanz anzuverwandeln, und dazu Beschreibungen und Analysen erstellen, die, wenn sie erst einmal vorliegen, zu fremden Dingen werden, die wir genießen können, als stellten sie sich mit dem Verlöschen des Tages ein.
Das ist keine pessimistische Vorstellung wie die de Vignys, für den das Leben ein Gefängnis war, in dem er zum Zeitvertreib Stroh flocht. Pessimist sein heißt etwas tragisch nehmen, eine übertriebene, unbequeme Haltung. Wir besitzen, soviel steht fest, keinen Wertbegriff, den wir auf das Werk, das wir schaffen, anwenden könnten. Wir schaffen es, soviel ist sicher, um uns zu beschäftigen, aber nicht wie der Gefangene, der Stroh flicht, um sein Schicksal zu vergessen, sondern wie das junge Mädchen, das Kissen bestickt, um sich zu beschäftigen – und weiter nichts.
Ich betrachte das Leben als eine Herberge, in der ich verweilen muß, bis die Postkutsche des Abgrunds eintrifft. Ich weiß nicht, wohin sie mich bringen wird, denn ich weiß nichts. Ich könnte diese Herberge als ein Gefängnis betrachten, weil ich gezwungen bin, in ihr zu warten; ich könnte sie auch als einen Ort der Geselligkeit ansehen, weil ich hier anderen Menschen begegne. Doch bin ich weder ungeduldig noch gewöhnlich. Ich überlasse die ihrer Neigung, die sich in ihr Zimmer einschließen, träge aufs Bett sinken und dort schlaflos warten, so wie ich auch die ihrem Treiben überlasse, die sich in den Salons unterhalten, aus denen Stimmen und Musik zu mir dringen und mich angenehm berühren. Ich setze mich an die Tür und berausche mich mit Aug und Ohr an den Farben und Tönen der Landschaft und singe langsam, für mich allein, undeutlich Lieder, die ich während des Wartens komponiere.
Für uns alle werden der Abend und die Postkutsche kommen. Ich genieße die Brise, die mir vergönnt ist, und die Seele, die man mir gab, um sie zu genießen, und ich hinterfrage nicht weiter noch suche ich. Wenn das, was ich ins Buch der Reisenden schreibe, eines Tages von anderen gelesen wird und sie während ihrer Rast unterhält, soll es gut sein. Lesen sie es aber nicht und finden kein Vergnügen daran, ist es auch gut.
Ich muß wählen, was ich verabscheue: das Träumen, das meinem Verstand verhaßt ist, oder das Handeln, das meiner Sensibilität zuwider ist; das Handeln, zu dem ich nicht geboren bin, oder das Träumen, zu dem niemand geboren ist.
Da ich beides verabscheue, wähle ich keines; weil ich aber mitunter entweder träumen oder handeln muß, vermische ich das eine mit dem anderen.
Ich liebe die Stille langer Sommerabende in der Unterstadt, und insbesondere dort, wo sie im größten Gegensatz zum lärmenden Tagesgewühl steht. Die Rua do Arsenal, die Rua da Alfândega und all die traurigen Straßen, die sich am Ende der Rua da Alfândega ostwärts ziehen, die lange, unterbrochene Linie der stillen Kais, sie alle trösten mich mit ihrer Schwermut, wenn ich mich an diesen Abenden in ihr Labyrinth der Einsamkeit begebe. Ich erlebe dann eine Zeit vor der meinen; genieße es, mich als Zeitgenosse Cesário Verdes[4] zu fühlen und in mir nicht nur andere Verse als die seinen zu tragen, sondern auch genau jenen Stoff, aus dem sie entstanden. Und gehe ich dort, bis es dunkel wird, begleitet mich ein Lebensgefühl, ähnlich dem dieser Straßen. Bei Tage sind sie erfüllt von einem Treiben, das nichts besagt; bei Nacht sind sie erfüllt von einem fehlenden Treiben, das ebenfalls nichts besagt. Bei Tage bin ich nichts, bei Nacht bin ich ich selbst. Es besteht kein Unterschied zwischen mir und den Straßen in der Umgebung der Alfândega, abgesehen davon, daß sie Straßen sind und ich Seele, was in Anbetracht des Wesens der Dinge vielleicht unwesentlich ist. Es gibt ein gleiches, weil abstraktes Schicksal für Menschen und Dinge – eine gleichermaßen gleichgültige Bezeichnung in der Algebra des Geheimnisses.
Doch da ist auch noch etwas anderes … In diesen langsamen, leeren Stunden steigt die Traurigkeit meines gesamten Seins von meiner Seele auf in meinen Geist, das bittere Bewußtsein, daß alles eine Empfindung von mir und zugleich etwas Äußerliches ist, das zu verändern nicht in meiner Macht steht. Ach, wie oft entstehen meine eigenen Träume nur als Dinge, nicht um mir die Wirklichkeit zu ersetzen, sondern um mir zu sagen, wie sehr sie ihr gleichen, da ich sie ebenfalls ablehne und sie außerhalb von mir erscheinen, wie die Elektrische, die gerade um die Kurve am Ende der Straße biegt, oder die Stimme des öffentlichen Ausrufers, der ich weiß nicht was in den Abend verkündet, das sich gegen die Monotonie der Dämmerung abhebt wie ein arabischer Gesang, wie ein plötzlicher Fontänenstrahl.
Künftige Paare schlendern vorbei, Näherinnen gehen zwei und zwei vorüber, junge Männer eilen zu irgendeinem Vergnügen, von allem befreite Ruheständler rauchen auf ihrem täglichen Spaziergang, vor der einen oder anderen Tür stehen gedankenverloren und müßig die Ladenbesitzer. Langsam nachtwandeln Rekruten – kräftige und schmächtige Burschen – in bald lautstarken, bald mehr als lärmenden Gruppen. Zuweilen erscheinen auch ganz normale Leute. Automobile sind hier zu dieser Tageszeit selten, klingen für mich wie Musik. In meinem Herzen herrscht ein beklemmender Friede, und meine Ruhe ist Resignation.
All dies geschieht, und nichts von alledem sagt mir etwas, alles ist meinem Schicksal fremd und sogar dem Schicksal selbst – Unbewußtheit, Flüche ohne Sinn und Verstand, als werfe der Zufall Steine, Echos unbekannter Stimmen – kollektiver Salat des Lebens.
(Veröffentlicht in der Zeitschrift Solução Editora 2 und 4, 1929)
… und bei der Erhabenheit all meiner Träume, Hilfsbuchhalter in Lissabon!
Doch der Gegensatz zerreibt mich nicht – er befreit mich; und die Ironie, die in ihm liegt, ist mein Lebenssaft. Was mich herabsetzen sollte, hisse ich als mein Banner; und das Lachen, mit dem ich über mich lachen sollte, ist ein Fanfarensignal, mit dem ich eine Morgenröte, in der ich mich selbst erfinde, erschaffe und grüße.
Die nächtliche Seligkeit, groß zu sein, ohne etwas zu sein! Die ernste Herrlichkeit des unbekannten Glanzes … Und mit einem Mal spüre ich die Erhabenheit des Mönchs in der Einsamkeit, des Eremiten in der Einöde, der weiß, daß Christus in den Steinen anwesend ist und in weltabgeschiedenen Höhlen.
Und an meinem Tisch in diesem absurden, schäbigen Zimmer schreibe ich namenloser kleiner Angestellter Worte, die die Rettung meiner Seele sind, und vergolde mich mit dem unmöglichen Sonnenuntergang über hohen, weiten, fernen Bergen, mit meiner Statue, dem Ersatz für die Freuden des Lebens, und meinem Ring des Verzichts, unerschütterliches Juwel ekstatischer Verachtung, an meinem Apostelfinger.
Vor mir, auf der Schräge des alten Schreibpults, liegen aufgeschlagen die beiden großen Seiten des schweren Hauptbuches, von dem ich mit müden Augen und einer noch müderen Seele aufblicke. Jenseits dieser Nichtigkeit reiht das Geschäft bis zur Rua dos Douradores die regelmäßigen Regale, die regelmäßigen Angestellten, die menschliche Ordnung und die Ruhe des Alltags. Das Geräusch des Vielfältigen brandet an die Fensterscheibe, und dieses vielfältige Geräusch ist ebenso alltäglich wie die Stille neben den Regalen.
Mit neuen Augen sehe ich die beiden weißen Seiten vor mir, in die meine sorgfältigen Zahlen die Bilanzen der Firma eingetragen haben. Und insgeheim lächelnd, denke ich, daß das Leben, das diese Seiten mit ihren Stoffbezeichnungen und Geldbeträgen beinhalten, mit ihren leeren Stellen und ihren mit dem Lineal und in Schönschrift ausgeführten Strichen auch die großen Seefahrer, die großen Heiligen, die Dichter aller Epochen mit einschließt, lauter Leute ohne Buchführung, die weitläufige, verstoßene Nachkommenschaft all derer, die den Wert der Welt ausmachen.
Wenn ich einen Stoff eintrage, von dem ich nicht weiß, wie er beschaffen ist, öffnen sich mir die Tore des Indus und Samarkands, und die Dichtung Persiens, die weder mit dem einen noch mit dem anderen Ort zu tun hat, ist mir mit ihren Vierzeilern, deren dritter Vers reimlos ist, eine ferne Stütze für meine Unruhe. Doch mir unterläuft kein Fehler, ich schreibe, addiere, die Buchhaltung wird fortgeführt und von einem Angestellten dieses Büros brav zum Abschluß gebracht.
(Veröffentlicht in der Zeitschrift Solução Editora 4, 1929)
Ich habe so wenig vom Leben erbeten, und selbst dieses wenige hat das Leben mir versagt. Einen Streif Sonnenlicht, eine Zeit auf dem Land, ein bißchen Ruhe und einen Bissen Brot, daß mich die Erkenntnis meiner Existenz nicht zu sehr belaste, daß ich nichts von den anderen erwarte, noch sie von mir. Selbst dies wurde mir verweigert, so als verweigere jemand ein Almosen, nicht weil er kein gutes Herz hätte, sondern um den Mantel nicht aufknöpfen zu müssen.