Hans Jacob Christoph von Grimmelshausen
Der abenteuerliche Simplicissimus
Roman
Fischer e-books
Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
Covergestaltung: bilekjaeger, Stuttgart
Abbildung: Titelkupfer der Erstausgabe 1669/Picture-Alliance
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
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ISBN 978-3-10-401933-8
Der Abentheurliche
SIMPLICISSIMUS
Teutsch/
Das ist:
Die Beschreibung deß Lebens eines
seltzamen Vaganten / genant Melchior Sternfels von Fuchshaim / wo und welcher gestalt Er nemlich in diese Welt kommen / was er darinn gesehen / gelernet / erfahren und außgestanden / auch warumb er solche wieder freywillig quittirt.
Überauß lustig und männiglich
nutzlich zu lesen.
An Tag geben
Von
GERMAN SCHLEIFHEIM
von Sulsfort.
Monpelgart /
GEDRUCKT BEY JOHANN FILLION /
Im Jahr M DC LXIX.
Abentheurlicher SIMPLICISSIMUS Teutsch:
Vermeldet Simplicii Bäurisch Herkommen /
und gleichförmige Aufferziehung.
Beschreibet die erste Staffel der Hoheit /
welche Simplicius gestiegen / sampt dem Lob der Hirten /
und angehängter trefflichen Instruction.
Meldet von dem Mitleiden einer getreuen Sackpfeiff.
Simplicii Residenz wird erobert / geplündert und zerstört /
darinn die Krieger jämmerlich hausen.
Wie Simplicius das Reiß-auß spielt /
und von faulen Bäumen erschrecket wird.
Ist kurz / und so andächtig /
daß dem Simplicio darüber ohnmächtig wird.
Simplicius wird in einer armen Herberg freundlich tractirt.
Wie Simplicius durch hohe Reden
seine Vortrefflichkeit zu erkennen gibt.
Simplicius wird auß einer Bestia
zu einem Christenmenschen.
Was gestalten er schreiben und lesen im wilden Wald gelernet.
Redet von Essenspeiß / Haußrath und andern nothwendigen
Sachen / die man in diesem zeitlichen Leben haben muß.
Vermerckt ein schöne Art seelig zu sterben /
und sich mit geringem Unkosten begraben zu lassen.
Simplicius läßt sich wie ein Rohr im Weyer umbtreiben.
Ist ein seltzame Comœdia, von 5. Bauern.
Simplicius wird spolirt, und läst ihm von denen Baurn
wunderlich träumen / wie es zu Kriegszeiten hergehet.
Heutiger Soldaten Thun und Lassen / und wie schwerlich
ein gemeiner Kriegsmann befördert werde.
Ob schon im Krieg der Adel / wie billich /
dem gemeinen Mann vorgezogen wird / so kommen
doch viel auß verächtlichem Stand zu hohen Ehren.
Simplicius thut den ersten Sprung in die Welt /
mit schlechtem Glück.
Wie Hanau von Simplicio, und Simplicius
von Hanau eingenommen wird.
Was gestalten er von der Gefängnus und
der Folter errettet worden.
Das betrügliche Glück gibt Simplicio einen
freundlichen Blick.
Wer der Einsidel gewesen / dessen Simplicius genossen.
Simplicius wird ein Page / item /
wie deß Einsidlers Weib verloren worden.
Simplicius tadelt die Leut /
und sihet viel Abgötter in der Welt.
Dem seltzamen Simplicio kompt in der Welt alles seltzam vor /
und er hingegen der Welt auch.
Ein sonderbarer neuer Brauch /
einander Glück zu wünschen / und zu bewillkommen.
Dem Secretario wird ein starcker Geruch
in die Cantzley geräuchert.
Einer lernet den Simplicium auß Neid wahrsagen;
ja noch wol ein andere zierliche Kunst.
Simplicio werden zwey Augen auß einem Kalbskopff zu theil.
Wie man nach und nach einen Rausch bekompt /
und endlich ohnvermerckt blind-voll wird.
Wie übel dem Simplicio die Kunst mißlingt /
und wie man ihme den klopffenden Passion singt.
Handelt abermal von nichts anders / als der Säufferey /
und wie man die Pfaffen davon soll abschaffen.
Wie der Herr Gubernator ein abscheulichen Fuchs geschossen.
Wie Simplicius den Tanz verderbt.
Es eröffnet sich zu dieser unserer Zeit (von welcher man glaubt / daß es die letzte seye) unter geringen Leuten eine Sucht / in deren die Patienten / wann sie daran kranck ligen / und so viel zusammen geraspelt und erschachert haben / daß sie neben ein paar Hellern im Beutel / ein närrisches Kleid auff die neue Mode / mit tausenderley seidenen Banden / antragen können / oder sonst etwan durch Glücksfall mannhafft und bekant worden / gleich Rittermässige Herren / und Adeliche Personen von uhraltem Geschlecht / seyn wollen; da sich doch offt befindet / daß ihre Vor-Eltern Taglöhner / Karchelzieher und Lastträger: ihre Vettern Eseltreiber: ihre Brüder Büttel und Schergen: ihre Schwestern Huren: ihre Mütter Kupplerin / oder gar Hexen: und in Summa / ihr gantzes Geschlecht von allen 32. Anichen her / also besudelt und befleckt gewesen / als deß Zuckerbastels Zunfft zu Prag immer seyn mögen; ja sie / diese neue Nobilisten / seynd offt selbst so schwartz / als wann sie in Guinea geboren und erzogen wären worden.
Solchen närrischen Leuten nun / mag ich mich nicht gleich stellen / ob zwar / die Warheit zu bekennen / nicht ohn ist / daß ich mir offt eingebildet / ich müsse ohnfehlbar auch von einem grossen Herrn / oder wenigst einem gemeinen Edelmann / meinen Ursprung haben / weil ich von Natur geneigt / das Junckern-Handwerck zu treiben / wann ich nur den Verlag und den Werckzeug darzu hätte; Zwar ohngeschertzt / mein Herkommen und Aufferziehung läst sich noch wol mit eines Fürsten vergleichen / wann man nur den grossen Unterscheid nicht ansehen wolte / was? Mein Knan (dann also nennet man die Vätter im Spessert) hatte einen eignen Pallast / so wol als ein anderer / ja so artlich / dergleichen ein jeder König mit eigenen Händen zu bauen nicht vermag / sondern solches in Ewigkeit wol unterwegen lassen wird; er war mit Laimen gemahlet / und an statt deß unfruchtbaren Schifers / kalten Bley / und roten Kupffers / mit Stroh bedeckt / darauff das edel Getraid wächst; und damit er / mein Knan / mit seinem Adel und Reichthum recht prangen möchte / ließ er die Mauer unb sein Schloß nicht mit Mauersteinen / die man am Weg findet / oder an unfruchtbaren Orten auß der Erden gräbt / viel weniger mit liederlichen gebachenen Steinen / die in geringer Zeit verfertigt und gebrändt werden können / wie andere grosse Herren zu thun pflegen / auffführen; sondern er nam Eichenholtz darzu / welcher nutzliche edle Baum / als worauff Bratwürste und fette Schuncken wachsen / biß zu seinem vollständigen Alter über 100. Jahr erfordert: Wo ist ein Monarch / der ihm dergleichen nachthut? Seine Zimmer / Sääl und Gemächer hatte er inwendig vom Rauch ganz erschwartzen lassen / nur darumb / dieweil diß die beständigste Farb von der Welt ist / und dergleichen Gemähld biß zu seiner Perfection mehr Zeit brauchet / als ein künstlicher Mahler zu seinen trefflichsten Kunststücken erfordert; Die Tapezereyen waren das zärteste Geweb auff dem gantzen Erdboden / dann die jenige machte und solche / die sich vor Alters vermaß / mit der Minerva selbst umb die Wett zu spinnen; Seine Fenster waren keiner anderer Ursachen halber dem Sandt Nitglaß gewidmet / als darumb / dieweil er wuste / daß ein solches vom Hanff oder Flachssamen an zu rechnen / biß es zu seiner vollkommenen Verfertigung gelangt / weit mehrere Zeit und Arbeit kostet / als das beste und durchsichtigste Glas von Muran / dann sein Stand macht ihm ein Belieben zu glauben / daß alles das jenige / was durch viel Mühe zu wegen gebracht würde / auch schätzbar / und desto köstlicher sey / was aber köstlich seye / das seye auch dem Adel am anständigsten; An statt der Pagen / Laqueyen und Stallknecht / hatte er Schaf / Böcke und Säu / jedes fein ordentlich in seine natürliche Liberey gekleidet / welche mir auch offt auff der Waid auffgewartet / biß ich sie heim getrieben; Die Rüst- oder Harnisch-Kammer war mit Pflügen / Kärsten / Aexten / Hauen / Schaufeln / Mist- und Heugabeln genugsam versehen / mit welchen Waffen er sich täglich übet; dann hacken und reuthen war seine disciplina militaris, wie bey den alten Römern zu Friedens-Zeiten / Ochsen anspannen / war sein Hauptmannschafftliches Commando, Mist außführen / sein Fortificationwesen / und Ackern sein Feldzug / Stallaußmisten aber / sein Adeliche Kurzweil und Turnierspiel; hiermit bestritte er die gantze Weltkugel / so weit er reichen konnte / und jagte ihr damit alle Ernd ein reiche Beut ab. Dieses alles setze ich hindan / und überhebe mich dessen gantz nicht / damit niemand Ursach habe / mich mit andern meines gleichen neuen Nobilisten außzulachen / dann ich schätze mich nicht besser / als mein Knan war / welcher diese seine Wohnung an einem sehr lustigen Ort / nemlich im Spessert ligen hatte / allwo die Wölff einander gute Nacht geben. Daß ich aber nichts außführliches von meines Knans Geschlecht / Stammen und Nahmen vor dißmal docirt / beschihet umb geliebter Kürtze willen / vornemlich / weil es ohne das allhier umb keine Adeliche Stifftung zu thun ist / da ich soll auff schwören; genug ists / wann man weiß / daß ich im Spessert geboren bin.
Gleich wie nun aber meines Knans Haußwesen sehr Adelich vermerckt wird / also kann ein jeder Verständiger auch leichtlich schliessen / daß meine Aufferziehung derselben gemäß und ähnlich gewesen; und wer solches davor hält / findet sich auch nicht betrogen / dann in meinem zehen-jährigen Alter / hatte ich schon die principia in obgemeldten meines Knans Adelichen Exercitien begriffen / aber der Studien halber konnte ich neben dem berühmten Amplistidi hin passiren / von welchem Suidas meldet / daß er nicht über fünffe zehlen konte; dann mein Knan hatte vielleicht einen viel zu hohen Geist / und folgte dahero dem gewöhnlichen Gebrauch jetziger Zeit / in welcher viel vornehme Leut mit studiren / oder wie sie es nennen / mit Schulpossen sich nicht viel bekümmern / weil sie ihre Leut haben / der Plackscheisserey abzuwarten: Sonst war ich ein trefflicher Musicus auff der Sackpfeiffen / mit deren ich schöne Jalemj-Gesäng machen konte: Aber die Theologiam anbelangend / laß ich mich nicht bereden / daß einer meines Alters damals in der gantzen Christenwelt gewest seye / der mir darinn hätte gleichen mögen / dann ich kennete werde GOtt noch Menschen / weder Himmel noch Höll / weder Engel noch Teuffel / und wuste weder Gutes noch Böses zu unterscheiden: Dahero ohnschwer zu gedencken / daß ich vermittelst solcher Theologiæ wie unsere erste Eltern im Paradis gelebt / die in ihrer Unschuld von Kranckheit / Todt und Sterben / weniger von der Aufferstehung nichts gewust / O edels Leben! (du mögst wol Eselsleben sagen) in welchem man sich auch nichts umb die Medicin bekümmert. Eben auff diesen Schlag kann man mein Erfahrenheit in dem Studio legum und allen andern Künsten und Wissenschafften / so viel in der Welt seyn / auch verstehen; Ja ich war so perfect und vollkommen in der Unwissenheit / daß mir unmüglich war zu wissen / daß ich so gar nichts wuste. Ich sage noch einmal / O edles Leben / das ich damals führete! Aber mein Knan wollte mich solche Glückseeligkeit nicht länger genießen lassen / sondern schätzte billich seyn / daß ich meiner Adelichen Geburt gemäß / auch Adelich thun und leben sollte / derowegen fienge er an / mich zu höhern Dingen anzuziehen / und mir schwerere Lectiones auffzugeben.
Er begabte mich mit der herrlichsten Dignität / so sich nicht allein bey seiner Hofhaltung, sondern auch in der gantzen Welt befande / nemlich mit dem Hirten-Ampt: Er vertraut mit erstlich seine Säu / zweytens seine Ziegen / und zuletzt seine gantze Heerd Schaf / daß ich selbige hüten / waiden / und vermittelst meiner Sackpfeiffen (welcher Klang ohne das / wie Strabo schreibet / die Schaf und Lämmer in Arabia fett macht) vor dem Wolff beschützen solte; damal gleichete ich wol dem David / ausser daß jener / an statt der Sackpfeiffe / nur eine Harpffe hatte / welches kein schlimmer Anfang / sondern ein gut Omen für mich war / daß ich noch mit der Zeit / wann ich anders das Glück darzu hätte / ein Weltberühmter Mann werden solte; dann von Anbeginn der Welt seynd jeweils hohe Personen Hirten gewesen / wie wir dann vom Abel / Abraham / Isaac / Jacob / seinen Söhnen / und Mohse selbst / in H. Schrifft lesen / welcher zuvor seines Schwehers Schaf hüten muste / ehe er Heerführer und Legislator über 600 000. Mann in Israel ward. Ja / möchte mit jemand vorwerffen / das waren heilige Gottergebene Menschen / und keine Spesserter Baurenbuben / die von GOtt nichts wusten; Ich muß gestehen / aber was hat meine damalige Unschuld dessen zu entgelten? Bey den alten Heyden fande man so wol solche Exempla, als bey dem außerwehlten Volck Gottes: Unter den Römern seynd vornehme Geschlechter gewesen / so sich ohn Zweiffel Bubulcos, Statilios, Pomponios, Vitulos, Vitellios, Annios, Capros, und dergleichen genennet / weil sie mit dergleichen Viehe umbgangen / und solches auch vielleicht gehütet: Zwar Romulus und Remus seyn selbst Hirten gewest; Spartacus, vor welchem sich die gantze Römische Macht so hoch entsetzet / war ein Hirt. Was? Hirten sind gewesen (wie Lucianus in seinem Dialogo Helenæ bezeuget) Paris, Priami deß Königs Sohn / und Anchises, deß Trojanischen Fürsten Æneæ Vatter: Der schöne Eudimion, umb welchen die keusche Luna selbst gebulet / war auch ein Hirt: Item der greuliche Polyphemus: ja die Götter selbst (wie Phornutus sagt) haben sich dieser Profession nicht geschämt / Apollo hütet Admeti deß Königs in Thessalia Kühe / Mercurius, sein Sohn Daphnis, Pan und Protheus, waren Ertzhirten / dahero seynd sie noch bey den närrischen Poëten der Hirten Patronen; Mesa, König in Moab / ist / wie man im zweyten Buch der König lieset / ein Hirt gewesen / Cyrus der gewaltige König Persarum, ist nicht allein von Mithridate, einem Hirten / erzogen worden / sondern hat auch selbst gehütet: Gygas war ein Hirt / und hernach durch Krafft eines Rings ein König: Ißmael Sophj ein Persischer König / hat in seiner Jugend ebenmässig das Viehe gehütet / also daß Philo der Jud in vita Moysis trefflich wol von der Sach redet / wann er sagt: Das Hirten-Ampt sey ein Vorbereitung und Anfang zum Regiment; dann gleich wie die Bellicosa und Martialia Ingenia erstlich auff der Jagd geübt und angeführt werden / also soll man auch die jenige / so zum Regiment gezogen sollen werden / erstlich in dem lieblichen und freundlichen Hirten-Ampt anleiten. Welches alles mein Knan wol verstanden haben muß / und mir noch biß auff diese Stund keine geringe Hoffnung zu künfftiger Herrlichkeit macht.
Aber indessen wieder zu meiner Heerd zu kommen / so wisset / daß ich den Wolff eben so wenig kennet / als meine eigene Unwissenheit selbsten; derowegen war mein Knan mit seiner Instruction desto fleissiger: Er sagte / Bub biß fleissig / loß di Schoff nit ze weit vunananger lassen / un spill wacker uff der Sackpfeiffa / daß der Wolff nit kom / und Schada dau / dann he yß a solcher feyerboinigter Schelm und Dieb / der Menscha und Vieha frisst / un wan dau awer farlässj bisst / so will eich dir da Buckel arauma. Ich antwortet mit gleicher Holdseeligkeit: Knano / sag mir aa / wey der Wolff seyhet? Eich huun noch kan Wolff gesien: Ah dau grober Eselkopp / replicirt er hinwieder / dau bleiwest dein Lewelang a Narr / geith meich wunner / was auß dir wera wird / bißt schun su a grusser Dölpel / un waist noch neit / was der Wolff für a feyerfeussiger Schelm iß. Er gab mir noch mehr Unterweisungen / und wurde zuletzt unwillig / massen er mit einem Gebrümmel fort gieng / weil er sich beduncken ließe / mein grober Verstand könte seine subtile Unterweisungen nicht fassen.
Da fienge ich an mit meiner Sackpfeiffen so gut Geschirr zu machen / daß man den Krotten im Krautgarten damit hätte vergeben mögen / also daß ich vor dem Wolff / welcher mir stetig im Sinn lag / mich sicher genug zu seyn bedunckte; und weilen ich mich meiner Meüder erinnert (also heissen die Mütter im Spessert und am Vogelsberg) daß sie offt gesagt / sie besorge / die Hüner würden dermaleins von meinem Gesang sterben / als beliebte mir auch zu singen / damit das Remedium wider den Wolff desto kräfftiger wäre / und zwar ein solch Lied / das ich von meiner Meüder selbst gelernet hatte.
Du sehr-verachter Bauren-Stand /
Bist doch der beste in dem Land /
Kein Mann dich gnugsam preisen kan /
Wann er dich nur recht sihet an.
Wie stünd es jetzund umb die Welt /
Hätt Adam nicht gebaut des Feld /
Mit Hacken nährt sich anfangs der /
Von dem die Fürsten kommen her.
Es ist fast alles unter dir /
Ja was die Erd nur bringt herfür /
Worvon ernähret wird das Land /
Geht dir anfänglich durch die Hand.
Der Käiser / den uns GOtt gegeben /
Uns zu beschützen / muß doch leben /
Von deiner Hand / auch der Soldat /
Der dir doch zufügt manchen Schad.
Fleisch zu der Speiß zeugst auff allein /
Von dir wird auch gebaut der Wein /
Dein Pflug der Erden thut so noth /
Daß sie uns gibt genugsam Brot.
Die Erde wär ganz wild durchauß /
Wann du auff ihr nicht hieltest Hauß /
Ganz traurig auff der Welt es stünd /
Wenn man kein Bauersmann mehr fünd.
Drumb bist du billich hoch zu ehrn /
Weil du uns alle thust ernehrn /
Die Natur liebt dich selber auch /
GOtt segnet deinen Bauren-Brauch.
Vom bitter-bösen Podagram
Hört man nicht / daß an Bauren kam /
Das doch den Adel bringt in Noth /
Und manchen Reichen gar in Todt.
Der Hoffart bist du sehr befreyt /
Absonderlich zu dieser Zeit /
Und daß sie auch nicht sey dein Herr /
So gibt dir Gott deß Creutzes mehr.
Ja der Soldaten böser Brauch /
Dient gleichwol dir zum besten auch /
Daß Hochmut dich nicht nehme ein /
Sagt er: Dein Hab und Gut ist mein.
Biß hieher / und nicht weiter / kam ich mit meinem Gesang / dann ich ward gleichsam in einem Augenblick von einem Trouppen Courassirer sampt meiner Heerd Schaf umbgeben / welche im grossen Wald verirret gewesen / und durch meine Music und Hirten-Geschrey wieder zu recht gebracht worden waren.
Hoho / gedachte ich / diß seynd die rechte Käutz! diß seynd die vierbeinigte Schelmen und Dieb / darvon dir dein Knan sagte / dann ich sahe anfänglich Roß und Mann (wie hiebevor die Americaner die Spanische Cavallerey) vor ein einzige Creatur an / und vermeynte nicht anders / als es müsten Wölffe seyn / wolte derowegen diesen schröcklichen Centauris den Hundssprung weisen / und sie wieder abschaffen; Ich hatte aber zu solchem End meine Sackpfeiffe kaum auffgeblasen / da erdappte mich einer auß ihnen beym Flügel / und schleudert mich so ungestümm auff ein läer Baurenpferd / so sie neben andern mehr auch erbeutet hatten / daß ich auff der andern Seiten wieder herab auff meine liebe Sackpfeiffe fallen muste / welche so erbärmlich anfieng zu schreyen / als wann sie alle Welt zu Barmhertzigkeit bewegen hätte wollen: aber es halff nichts / wiewol sie den letzten Athem nicht sparete / mein Ungefäll zu beklagen / ich muste einmal wieder zu Pferd / GOtt geb was meine Sackpfeiffe sang oder sagte; und was mich zum meisten verdroß / war dieses / daß die Reuter vorgaben / ich hätte der Sackpfeiff im fallen wehe gethan / darumb sie dann so Ketzerlich geschryen hätte; Also gieng meine Mehr mit mir dahin / in einem stetigen Trab / wie das Primum mobile, biß in meines Knans Hof. Wunderseltzame Dauben stiegen mir damals ins Hirn / dann ich bildete mir ein / weil ich auff einem solchen Thier sässe / dergleichen ich niemals gesehen hatte / so würde ich auch in einen eisernen Kerl verändert werden / weil aber solche Verwandlung nicht folgte / kamen mir andere Grillen in Kopff / ich gedachte / diese fremden Dinger wären nur zu dem Ende da / mir die Schafe helffen heimzutreiben / sintemal keiner von ihnen keines hinweg fraß / sondern alle so einhellig / und zwar deß geraden Wegs / meines Knans Hof zu-eyleten: Derowegen sahe ich mich fleissig nach meinem Knan umb / ob er und mein Meüder uns nicht bald entgegen gehen / und uns willkomm seyn heissen wolten; aber vergebens / er und meine Meüder / sampt unserm Ursele / welches meines Knans einige Tochter war / hatten die Hinterthür troffen / und wolten dieser Gäst nicht erwarten.
Wiewol ich nicht bin gesinnet gewesen / den Friedliebenden Leser / mit diesen Reutern / in meines Knans Hauß und Hof zu führen / weil es schlim genug darinn hergehen wird: So erfordert jedoch die Folge meiner Histori / daß ich der lieben posterität hinderlasse / was vor Grausamkeiten in diesem unserm Teutschen Krieg hin und wieder verübet worden / zumalen mit meinem eigenen Exempel zu bezeugen / daß alle solche Ubel von der Güte deß Allerhöchsten / zu unserm Nutz / offt notwendig haben verhängt werden müssen: Dann lieber Leser / wer hätte mir gesagt / daß ein GOtt im Himmel wäre / wann keine Krieger meines Knans Hauß zernichtet / und mich durch solche Fahung unter die Leut gezwungen hätten / von denen ich genugsamen Bericht empfangen? Kurtz zuvor konte ich nichts anders wissen noch mir einbilden / als daß mein Knan / Meüder / ich und das übrige Haußgesind / allein auff Erden seye / weil mir sonst kein Mensch / noch einige andere menschliche Wohnung bekant war / als die jenige / darinn ich täglich auß und ein gieng: Aber bald hernach erfuhr ich die Herkunfft der Menschen in diese Welt / und daß sie wieder darauß müsten; ich war nur mit der Gestalt ein Mensch / und mit dem Nahmen ein Christenkind / im übrigen aber nur ein Bestia! Aber der Allerhöchste sahe meine Unschuld mit barmhertzigen Augen an / und wolte mich beydes zu seiner und meiner Erkantnus bringen: Und wiewol er tausenderley Weg hierzu hatte / wolte er sich doch ohn zweiffel nur deß jenigen bedienen / in welchem mein Knan und Meüder / andern zum Exempel / wegen ihrer liederlichen Aufferziehung gestrafft würden.
Das erste / das diese Reuter thäten / war / daß sie ihre Pferd einstelleten / hernach hatte jeglicher seine sonderbare Arbeit zu verrichten / deren jede lauter Untergang und Verderben anzeigte / dann ob zwar etliche anfiengen zu metzgen / zu sieden und zu braten / daß es sahe / als solte ein lustig Panquet gehalten werden / so waren hingegen andere / die durchstürmten das Hauß unden und oben / ja das heimlich Gemach war nicht sicher / gleichsam ob wäre das gülden Fell von Colchis darinnen verborgen; Andere machten von Tuch / Kleidungen und allerley Haußrath / grosse Päck zusammen / als ob sie irgends ein Krempelmarckt anrichten wolten / was sie aber nicht mit zu nehmen gedachten / wurde zerschlagen / etliche durchstachen Heu und Stroh mit ihren Degen / als ob sie nicht Schaf und Schwein genug zu stechen gehabt hätten / etliche schütteten die Federn auß den Betten / und fülleten hingegen Speck / andere dürr Fleisch und sonst Geräth hinein / als ob alsdann besser darauff zu schlaffen gewest wäre; Andere schlugen Ofen und Fenster ein / gleichsam als hätten sie ein ewigen Sommer zu verkündigen / Kupffer und Zinnengeschirr schlugen sie zusammen / und packten die gebogene und verderbte Stuck ein / Bettladen / Tisch / Stül und Bänck verbrannten sie / da doch viel Claffter dürr Holtz im Hof lag / Häfen und Schüsseln muste endlich alles entzwey / entweder weil sie lieber Gebraten assen / oder weil sie bedacht waren / nur ein einzige Mahlzeit allda zu halten / unser Magd ward im Stall dermassen tractirt / daß sie nicht mehr darauß gehen konte / welches zwar eine Schand ist zu melden! den Knecht legten sie gebunden auff die Erd / stecketen ihm ein Sperrholtz ins Maul / und schütteten ihm einen Melckkübel voll garstig Mistlachenwasser in Leib / das nenneten sie ein Schwedischen Trunck / wordurch sie ihn zwungen / eine Parthey anderwerts zu führen / allda sie Menschen und Viehe hinweg namen / und in unsern Hof brachten / unter welchen mein Knan / mein Meüder / und unser Ursele auch waren.
Da fieng man erst an / die Stein von den Pistolen / und hingegen an deren statt der Bauren Daumen aufzuschrauben / und die arme Schelmen so zufoltern / als wann man hätt Hexen brennen wollen / massen sie auch einen von den gefangenen Bauren bereits in Bachofen steckten / und mit Feuer hinder ihm her warn / ohnangesehen er noch nichts bekennt hatte; einem andern machten sie ein Sail umb den Kopff / und raittelten es mit einem Bengel zusammen / daß ihm das Blut zu Mund / Nas und Ohren herauß sprang. In Summa / es hatte jeder sein eigene invention, die Bauren zu peinigen / und also auch jeder Bauer seine sonderbare Marter: Allein mein Knan war meinem damaligen Beduncken nach der glückseeligste / weil er mit lachendem Mund bekennete / was andere mit Schmertzen und jämmerlicher Weheklag sagen musten / und solche Ehre widerfuhr ihm ohne Zweiffel darumb / weil er der Haußvatter war / dann sie setzten ihn zu einem Feuer / banden ihn / daß er weder Händ noch Füß regen konte / und rieben seine Fußsolen mit angefeuchtem Saltz / welches ihm unser alte Geiß wieder ablecken / und dardurch also kützeln muste / daß er vor lachen hätte zerbersten mögen; das kam so artlich / daß ich Gesellschafft halber / oder weil ichs nicht besser verstunde / von Hertzen mit lachen muste: In solchem Gelächter bekante er seine Schuldigkeit / und öffnet den verborgenen Schatz / welcher von Gold / Perlen und Cleinodien viel reicher war / als man hinder Bauren hätte suchen mögen. Von den gefangenen Weibern / Mägden und Töchtern / weiß ich sonderlich nichts zu sagen / weil mich die Krieger nicht zusehen liessen / wie sie mit ihnen umbgiengen: Das weiß ich noch wol / daß man theils hin und wider in den Winckeln erbärmlich schreyen hörte / schätze wol / es sey meiner Meüder und unserm Ursele nit besser gangen / als den andern. Mitten in diesem Elend wendet ich Braten / und halff Nachmittag die Pferd träncken / durch welches Mittel ich zu unserer Magd in Stall kam / welche wunderwercklich zerstrobelt außsahe / ich kennete sie nicht / sie aber sprach zu mir mit kräncklichter Stimm: O Bub lauff weg / sonst werden dich die Reuter mit nemmen / guck daß du davon kommst / du sihest wol / wie es so übel: mehrers konte sie nicht sagen.
Da machte ich gleich den Anfang / meinen unglücklichen Zustand / den ich vor Augen sahe / zu betrachten / und zu gedencken / wie ich mich förderlichst außdrehen möchte; wohin aber? darzu war mein Verstand viel zu gering / einen Vorschlag zu thun / doch hat es mir so weit gelungen / daß ich gegen Abend in Wald bin entsprungen. Wo nun aber weiters hinauß? sintemahl mir die Wege und der Wald so wenig bekant waren / als die Straß durch das gefrorne Meer / hinder Nova Zembla, biß gen China hinein: die stockfinstere Nacht bedeckte mich zwar zu meiner Versicherung / jedoch bedauchte sie meinen finstern Verstand nicht finster genug / dahero verbarg ich mich in ein dickes Gesträuch / da ich so wol das Geschrey der getrillten Bauren / als das Gesang der Nachtigallen hören konte / welche Vögelein sie die Bauren / von welchen man theils auch Vögel zu nennen pflegt / nicht angesehen hatten / mit ihnen Mitleiden zu tragen / oder ihres Unglücks halber das liebliche Gesang einzustellen / darumb legte ich mich auch ohn alle Sorge auff ein Ohr / und entschlieff. Als aber der Morgenstern im Osten herfür flackerte / sahe ich meines Knans Hauß in voller Flamme stehen / aber niemand der zu leschen begehrte; ich begab mich herfür / in Hoffnung / jemand von meinem Knan anzutreffen / wurde aber gleich von fünff Reutern erblickt / und angeschryen: Junge / kom heröfer / oder schall my de Tüfel halen / ick schiedte dick / dat di de Dampff zum Hals utgaht; Ich hingegen blieb gantz stockstill stehen / und hatte das Maul offen / weil ich nicht wuste / was der Reuter wolte oder meynte / und in dem ich sie so ansahe / wie ein Katz ein neu Scheurthor / sie aber wegen eines Morastes nicht zu mir kommen konten / welches sie ohn Zweiffel rechtschaffen vexierte / lösete der eine seinen Carbiner auff mich / von welchem urplötzlichen Feuer und unversehnlichem Klapff / den mir Echo durch vielfältige Verdoppelung grausamer machte / ich dermassen erschreckt ward / weil ich dergleichen niemals gehöret oder gesehen hatte / daß ich alsobald zur Erden niderfiele / ich regete vor Angst keine Ader mehr / und wiewol die Reuter ihres Wegs fort ritten / und mich ohn Zweiffel vor todt liegen liessen / so hatte ich jedoch denselbigen gantzen Tag das Hertz nicht / mich auffzurichten; Als mich aber die Nacht wieder ergriffe / stunde ich auff / und wanderte so lang im Wald fort / biß ich von fern einen faulen Baum schimmern sahe / welcher mir ein neue Forcht einjagte / kehrete derowegen Sporenstreichs wieder umb / und gieng so lang / biß ich wieder einen andern dergleichen Baum erblickte / von dem ich mich gleichfalls wieder fort machte / und auff diese Weise die Nacht mit hin und wieder rennen / von einem faulen Baum zum andern / vertriebe / zuletzt kam mir der liebe Tag zu Hülff / welcher den Bäumen gebotte / mich in seiner Gegenwart ohnbetrübt zu lassen / aber hiermit war mir noch nichts geholffen / dann mein Hertz steckte voll Angst und Forcht / die Schenckel voll Müdigkeit / der läere Magen voll Hunger / das Maul voll Durst / das Hirn voll närrischer Einbildung / und die Augen voller Schlaff: Ich gieng dannoch fürter / wuste aber nicht wohin / je weiter ich aber gieng / je tieffer ich von den Leuten hinweg in Wald kam: Damals stunde ich auß / und empfande (jedoch gantz unvermerckt) die Würckung deß Unverstands und der Unwissenheit / wann ein unvernünfftig Thier an meiner Stell gewesen wäre / so hätte es besser gewust / was es zu seiner Erhaltung hätte thun sollen / als ich / doch war ich noch so witzig / als mich abermal die Nacht ereylte / daß ich in einen holen Baum kroche / mein Nachtläger darinnen zu halten.
Kaum hatte ich mich zum Schlaff accommodiret / da hörete ich folgende Stimm: O grosse Liebe / gegen uns undanckbarn Menschen! Ach mein einiger Trost! mein Hoffnung / mein Reichthum / mein GOtt! und so dergleichen mehr / das ich nicht alles mercken noch verstehen können.
Dieses waren wol Wort / die einen Christenmenschen / der sich in einem solchen Stand / wie ich mich dazumal befunden / billich auffmuntern / trösten und erfreuen hätten sollen: Aber / O Einfalt und Unwissenheit! es waren mir nur Böhmische Dörffer / und alles ein gantz unverständliche Sprach / auß deren ich nicht allein nichts fassen konte / sondern auch ein solche / vor deren Selzamkeit ich mich entsetzte; da ich aber hörete / daß dessen / der sie redete / Hunger und Durst gestillt werden solte / riehte mir mein ohnerträglicher Hunger / mich auch zu Gast zu laden / derowegen fasste ich das Hertz / wieder auß meinem holen Baum zu gehen / und mich der gehörten Stimm zu nähern / da wurde ich eines grossen Mannes gewahr / in langen schwartzgrauen Haaren / die ihm gantz verworren auff den Achseln herumb lagen / er hatte einen wilden Bart / fast formirt wie ein Schweitzer-Käß / sein Angesicht war zwar bleich-gelb und mager / aber doch zimlich lieblich / und sein langer Rock mit mehr als 1000. Stückern / von allerhand Tuch überflickt und auffeinander gesetzt / umb Hals und Leib hatte er ein schwere eiserne Ketten gebunden wie S. Wilhelmus, und sahe sonst in meinen Augen so scheußlich und förchterlich auß / daß in anfienge zu zittern / wie ein nasser Hund / was aber meine Angst mehret / war / daß er ein Crucifix ungefähr 6. Schuh lang / an seine Brust druckte / und weil ich ihn nicht kennete / konte ich nichts anders ersinnen / als dieser alte Greiß müste ohn Zweiffel der Wolff seyn / davon mir mein Knan kurtz zuvor gesagt hatte: In solcher Angst wischte ich mit meiner Sackpfeiff herfür / welche ich als meinen einigen Schatz noch vor den Reutern falvirt hatte; ich bließ zu / stimmte an / und liesse mich gewaltig hören / diesen greulichen Wolff zu vertreiben / über welcher gehlingen und ohngewöhnlichen Music, an einem so wilden Ort / der Einsidel anfänglich nicht wenig stutzte / ohn Zweiffel vermeynende / es seye etwan ein teufflisch Gespenst hin kommen / ihne / wie etwan dem grossen Anthonio widerfahren / zu tribuliren / und seine Andacht zu zerstören: So bald er sich aber wieder erholete / spottet er meiner / als seines Versuchers im holen Baum / wo hinein ich mich wieder retirirt hatte / ja er war so getrost / daß er gegen mir gieng / den Feind deß menschlichen Geschlechts genugsam außzuhöhnen; Ha / sagte er / du bist ein Gesell darzu / die Heiligen ohne göttliche Verhängnus / etc. mehrers habe ich nicht verstanden / dann seine Näherung ein solch Grausen und Schrecken in mir erregte / daß ich deß Ampts meiner Sinne beraubt wurde / und dorthin in Ohnmacht nider sanck.
Was gestalten mir wieder zu mir selbst geholffen worden / weiß ich nicht / aber dieses wol / daß der Alte meinen Kopff in seinem Schos / und vornen meine Juppen geöffnet gehabt / als ich mich wieder erholete / da ich den Einsidler so nahe bey mir sahe / fieng ich ein solch grausam Geschrey an / als ob er mir im selben Augenblick das Hertz auß dem Leib hätte reissen wollen: Er aber sagte / mein Sohn / schweig / ich thue dir nichts / sey zu frieden / etc. je mehr er mich aber tröstete / und mir liebkoste: Je mehr ich schrye / O du frisst mich! O du frisst mich! du bist der Wolff / und wilst mich fressen: Ey ja wol nein / mein Sohn / sagte er / sey zu frieden / ich friß dich nicht. Diß Gefecht währete lang / biß ich mich endlich so weit liesse weisen / mit ihm in seine Hütten zu gehen / darin war die Armut selbst Hofmeisterin / der Hunger Koch / und der Mangel Küchemeister / da wurde mein Magen mit einem Gemüß und Trunck Wassers gelabt / und mein Gemüt / so gantz verwirret war / durch deß Alten tröstliche Freundligkeit wieder auffgerichtet und zu recht gebracht: Derowegen ließ ich mich durch die Anreitzung deß süssen Schlaffes leicht bethören / der Natur solche Schuldigkeit abzulegen. Der Einsidel merckte meine Notdurfft / darumb liesse er mir den Platz allein in seiner Hütten / weil nur einer darin ligen konte; ohngefähr umb Mitternacht erwachte ich wieder / und hörete ihn folgendes Lied singen / welches ich hernach auch gelernet:
Komm Trost der Nacht / O Nachtigal /
Laß deine Stimm mit Freudenschall /
Auffs lieblichste erklingen:/:
Komm / komm / und lob den Schöpffer dein /
Weil andre Vöglein schlaffen seyn /
Und nicht mehr mögen singen:
Laß dein / Stimmlein /
Laut erschallen / dann vor allen
Kanstu loben
Gott im Himmel hoch dort oben.
Ob schon ist hin der Sonnenschein /
Und wir im Finstern müssen seyn /
So können wir doch singen:/:
Von Gottes Güt und seiner Macht /
Weil uns kann hindern keine Nacht
Sein Lob zu vollenbringen.
Drumb dein / Stimmlein /
Laß erschallen / dann vor allen
Kanstu loben /
Gott im Himmel hoch dort oben.
Echo, der wilde Widerhall/
Will seyn bey diesem Freudenschall /
Und lässet sich auch hören:/:
Verweist uns alle Müdigkeit /
Der wir ergeben allezeit /
Lehrt uns den Schlaff bethören.
Drumb dein / Stimmlein / etc.
Die Sterne / so am Himmel stehn /
Lassen sich zum Lob Gottes sehn /
Und thun ihm Ehr beweisen:/:
Auch die Eul die nicht singen kan /
Zeigt doch mit ihrem heulen an /
Daß sie Gott auch thu preisen.
Drumb dein / Stimmlein / etc.
Nur her mein liebstes Vögelein /
Wir wollen nicht die fäulste seyn /
Und schlaffend ligen bleiben:/:
Sondern biß daß die Morgenröt /
Erfreuet diese Wälder öd /
Im Lob Gottes vertreiben.
Laß dein / Stimmlein /
Laut erschallen / dann vor allen
Kanstu loben /
GOtt im Himmel hoch dort oben.
Unter währendem diesem Gesang bedunckte mich wahrhafftig / als wann die Nachtigl so wol / als die Eul und Echo, mit eingestimmt hätten / und wann ich den Morgenstern jemals gehört / oder dessen Melodey auff meiner Sackpfeiffen aufzumachen vermöcht / so wäre ich auß der Hütten gewischt / meine Karten mit einzuwerffen / weil mich diese Harmonia so lieblich zu seyn bedunckte / aber ich entschlieff / und erwachte nicht wieder / biß wol in den Tag hinein / da der Einsidel vor mir stunde / und sagte: Uff Kleiner / ich will dir Essen geben / und alsdann den Weg durch den Wald weisen / damit du wieder zu den Leuten / und noch vor Nacht in das nächste Dorff kommest; Ich fragte ihn / was sind das für Dinger / Leuten und Dorff? Er sagte / bist du dann niemalen in keinem Dorff gewest / und weist auch nicht / was Leut oder Menschen seynd? Nein / sagte ich / nirgends als hier bin ich gewest / aber sag mir doch / was seynd Leut / Menschen und Dorff? Behüt GOtt / antwortet der Einsidel / bist du närrisch oder gescheid? Nein / sagte ich / meiner Meüder und meines Knans Bub bin ich / und nicht der närrisch oder der gescheid: Der Einsidel verwundert sich mit Seufftzen und Becreutzigung / und sagte: Wol liebes Kind / ich bin gehalten / dich umb GOttes willen besser zu unterrichten: Darauff fielen unsere Reden und Gegen-Reden / wie folgend Capitel außweiset.
Einsidel: Wie heissestu? Simpl. Ich heiße Bub. Einsid. Ich sihe wol / daß du kein Mägdlein bist / wie hat dir aber dein Vatter und Mutter geruffen? Simpl. Ich habe keinen Vatter oder Mutter gehabt: Einsid. Wer hat dir dann das Hemd geben? Simpl. Ey mein Meüder: Eins. Wie heissest dich dann dein Meüder? Simpl. Sie hat mich Bub geheissen / auch Schelm / ungeschickter Dölpel / und Galgenvogel: Eins. Wer ist dann deiner Mutter Mann gewest? Simpl. Niemand: Einsid. Bey wem hat dann dein Meüder deß Nachts geschlaffen? Simpl. bey meinem Knan: Einsid. Wie hat dich dann dein Knan geheissen? Simpl. Er hat mich auch Bub genennet: Einsid. Wie hiesse aber dein Knan? Simpl. Er heist Knan: Einsid. Wie hat ihm aber dein Meüder geruffen? Simpl. Knan / und auch Meister: Einsid. Hat sie ihn niemals anders genennet? Simpl. Ja / sie hat: Einsid. Wie dann? Simp. Rülp / grober Bengel / volle Sau / und noch wol anders / wann sie haderte: Einsid. Du bist wol ein unwissender Tropff / daß du weder deiner Eltern noch deinen eignen Nahmen nicht weist! Simpl. Eya / weist dus doch auch nicht: Einsid. Kanstu auch beten? Simpl. Nain / unser Ann und mein Meüder haben als das Bett gemacht: Einsid. Ich frage nicht hiernach / sondern ob du das Vatter unser kanst? Simpl. Ja ich: Eins. Nun so sprichs dann: Simpl. Unser lieber Vatter / der du bist Himel / hailiget werde nam / zrkommes d Reich / dein Will schee Himmel ad Erden / gib uns Schuld / als wir unsern Schuldigern geba / führ uns nicht in kein böß Versucha / sondern erlöß uns von dem Reich / und die Krafft / und die Herrlichkeit / in Ewigkeit / Ama. Einsid. Bistu nie in die Kirchen gangen? Simp. Ja ich kan wacker steigen / und hab als ein gantzen Busem voll Kirschen gebrochen: Einsid. Ich sage nicht von Kirschen / sondern von der Kirchen: Simpl. Haha / Kriechen / gelt es seynd so kleine Pfläumlein? gelt du? Einsid. Ach daß GOtt walte / weistu nichts von unserm HERR Gott? Simpl. Ja / er ist daheim an unserer Stubenthür gestanden auff dem Helgen / mein Meüder hat ihn von der Kürbe mitgebracht / und hin gekleibt: Einsid. Ach gütiger GOtt / nun erkenne ich erst / was vor eine grosse Gnad und Wolthat es ist / wem du deine Erkantnus mittheilest / und wie gar nichts ein Mensch seye / dem du solche nicht gibst: Ach HErr verleyhe mir deinen heiligen Nahmen also zu ehren / daß ich würdig werde / umb diese hohe Gnad so eyferig zu dancken / als freygebig du gewest / mir solche zu verleyhen: Höre du Simpl. (dann anderst kan ich dich nicht nennen) wann du das Vatter unser betest / so mustu also sprechen: Vatter unser / der du bist im Himmel / geheiliget werde dein Nahm / zukomme uns dein Reich / dein Will geschehe auff Erden wie im Himmel / unser täglich Brod gib uns heut / und: Simpl. Gelt du / auch Käß darzu? Einsid. Ach liebes Kind / schweige und lerne / solches ist dir viel nötiger als Käß / du bist wol ungeschickt / wie dein Meuder gesagt hat / solchen Buben wie du bist / stehet nicht an / einem alten Mann in die Red zu fallen / sondern zu schweigen / zuzuhören und zu lernen / wüste ich nur / wo deine Eltern wohneten / so wolte ich dich gerne wieder hin bringen / und sie zugleich lehren / wie sie Kinder erziehen solten; Simpl. Ich weiß nicht, wo ich hin soll / unser Hauß ist verbrennet / und mein Meüder hinweg geloffen / und wieder kommen mit dem Ursele / und mein Knan auch / und unser Magd ist kranck gewest / und ist im Stall gelegen. Einsid. Wer hat dann das Hauß verbrennt? Simpl. Ha / es sind so eiserne Männer kommen / sie seynd so auff Dingern gesessen / groß wie Ochsen / haben aber keine Hörner / dieselbe Männer haben Schafe und Kühe und Säu gestochen / und da bin ich auch weg geloffen / und da ist darnach das Hauß verbrennt gewest: Einsid. Wo war dann dein Knan? Simpl. Ha / die eiserne Männer haben ihn angebunden / da hat ihm unser alte Gaiß die Füß geleckt / da hat mein Knan lachen müssen / und hat densselben eisernen Mannen viel Weißpfenning geben / grosse und kleine / auch hübsche gelbe / und sonst schöne klitzerechte Dinger / und hübsche Schnür voll weisse Kügelein. Eins. wann ist diß geschehen? Simpl. Ey wie ich der Schaf hab hüten sollen / sie haben mir auch mein Sackpfeiff wollen nemmen: Einsid. Wann hastu der Schaf sollen hüten? Simpl. Ey hörstus nicht / da die eiserne Männer kommen sind / und darnach hat unser Ann gesagt / ich soll auch weg lauffen / sonst würden mich die Krieger mit nehmen / sie hat aber die eiserne Männer gemeynet / und da sein ich weg geloffen / und sein hieher kommen: Einsid. Wo hinauß wilst du aber jetzt? Simpl. Ich weiß weger nit / ich will bey dir hier bleiben: Einsid. Dich hier zu behalten / ist weder mein noch dein Gelegenheit / esse / alsdann will ich dich wieder zu Leuten führen: Simpl. Ey so sag mir dann auch / was Leut vor Dinger seyn? Einsid. Leut seynd Menschen wie ich und du / dein Knan / dein Meüder und euer Ann seynd Menschen / und wann deren viel beyeinander seynd / so werden sie Leut genennt: Simpl. Haha; Einsid. Nun gehe und esse. Diß war unser Discurs, unter welchem mich der Einsidel offt mit den allertieffsten Seufftzen anschauete / nicht weiß ich / ob es darumb geschahe / weil er ein so groß Mitleiden mit meiner Einfalt und Unwissenheit hatte / oder auß der Ursach / die ich erst über etliche Jahr hernach erfuhr.
Ich fieng an zu essen / und hörete auff zu papplen / welches nicht länger währete / als biß ich nach Notdurfft gefuttert hatte / und mich der Alte fort gehen hiesse: Da suchte ich die allerzarteste Wort herfür / die mir mein bäurische Grobheit immermehr eingeben konte / welche alle dahin giengen / den Einsidel zu bewegen / daß er mich bey ihm behielte: Ob es ihm nun zwar beschwerlich gefallen / meine verdrüßliche Gegenwart zu gedulden / so hat er jedoch beschlossen / mich bey ihm zu leiden / mehr / daß er mich in der Christlichen Religion unterrichtete / als sich in seinem vorhandenen Alter meiner Dienste zu bedienen / sein gröste Sorg war / mein zarte Jugend dörffte ein solche harte Art zu leben / in die Länge nit außharren mögen.
Eine Zeit von ungefähr drey Wochen war mein Probier-Jahr / in welcher eben S. Gertraud mit den Gärtnern zu Feld lag / also daß ich mich auch in deren Profession gebrauchen liesse / ich hielte mich so wol / daß der Einsidel ein sonderliches Gefallen an mir hatte / nicht zwar der Arbeit halber / so ich zuvor zu vollbringen gewohnet war / sondern weil er sahe / daß ich eben so begierig seine Unterweisungen hörete / als geschickt die Waxwaiche / und zwar noch glatte Tafel meines Hertzens solche zu fassen / sich erzeigte: Solcher Ursachen halber wurde er auch desto eyferiger / mich in allem Guten anzuführen / er machte den Anfang seiner Unterrichtungen vom Fall Lucifers / von dannen kam er in das Paradeis / und als wir mit unsern Eltern darauß verstossen wurden / passirte er durch das Gesetz Mosis / und lernete mich vermittelst der zehen Gebot Gottes und ihrer Außlegungen (von denen er sagte / daß sie ein wahre Richtschnur seyen / den Willen GOttes zu erkennen / und nach denselben ein heiliges Gott wolgefälliges Leben anzustellen) die Tugenden von den Lastern zu unterscheiden / das gute zu thun / und das böse zu lassen: Endlich kam er auff das Evangelium / und sagte mir von Christi Geburt / Leiden / Sterben und Aufferstehung; zuletzt beschlosse ers mit dem jüngsten Tag / und stellet mir Himmel und Höll vor Augen / und solches alles mit gebührenden Umbständen / doch nit mit gar zu überflüssiger Weitläufftigkeit / sondern wie ihn dünckte / daß ichs am allerbesten fassen und verstehen möchte / wann er mit einer materia fertig war / hub er ein andere an / und wuste sich bißweilen in aller Gedult nach meinen Fragen so artlich zu reguliren / und mit mir zu verfahren / daß er mirs auch nicht besser hätte eingiessen können / sein Leben und seine Reden waren mir eine immerwährende Predigt / welche mein Verstand / der eben nicht so gar dumm und höltzern war / vermittels Göttlicher Gnad / nicht ohne Frucht abgehen liesse / allermassen ich alles das jenige / was ein Christ wissen soll / nicht allein in gdachten dreyen Wochen gefast / sondern auch ein solche Lieb zu dessen Unterricht gewonnen / daß ich deß Nachts nicht darvor schlaffen konte.
Ich habe seithero der Sach vielmal nachgedacht / und befunden / daß Aristot. lib. 3. de Anima wol geschlossen / als er die Seele eines Menschen einer läeren ohnbeschriebenen Tafel verglichen / darauff man allerhald notiren könne / und daß solches alles darumb von dem höchsten Schöpffer geschehen seye / damit solche glatte Tafel durch fleissige Impression und Ubung gezeichnet / und zur Vollkommenheit und perfection gebracht werde; dahero dann auch sein Commentator Averroes lib. 2. de Anima (da der Philosophus sagt / der Intellectus sey als potentia, werde aber nichts in actum gebracht / als durch die Scientiam, das ist / es seye des Menschen Verstand allerdings fähig / könne aber nichts ohne fleissige Ubung hinein gebracht werden) diesen klaren Außschlag gibt: nemlich / es seye diese Scientia oder Ubung die perfection der Seelen / welche für sich selbst überall nichts an sich habe; Solches bestätigt Cicero lib. 2. Tuscul. quæst. Welcher die Seel deß Menschen ohne Lehr / Wissenschaft und Ubung / einem solchen Feld vergleicht / das zwar von Natur fruchtbar seye / aber wann man es nicht baue und besaame / gleichwol kein Frucht bringe.
Solches alles erwiese ich mit meinem eigenen Exempel / denn daß ich alles so bald gefasst / was mir der fromme Einsidel vorgehalten / ist daher kommen / weil er die geschlichte Tafel meiner Seelen gantz läer / und ohn einige zuvor hinein gedruckte Bildnussen gefunden / so etwas anders hinein zu bringen hätt hindern mögen; gleichwol aber ist die pure Einfalt gegen andern Menschen zu rechnen / noch immerzu bey mir verblieben / dahero der Einsidel (weil weder er noch ich meinen rechten Nahmen gewust) mich nur Simplicium genennet.