Serpens, nisi ederit serpentem draco non generetur.
(Eine Schlange, die noch keine andere gefressen hat, wird kein Drache.)
Er schaute. Sah, wie sein Gesicht sich ausdehnte und in einen Drachenkopf verwandelte, zarte Feuerblasen beim Ausatmen, die Augen ganz schwarz. Er schaute genau, schaute.
Roth klopfte vorsichtig das Holz ab, lauschte. Er fuhr mit der Hand über den Geigenkörper. Er schaute aus dem Fenster, im Baum hing eine azurblaue Plastiktüte schlaff in der Sonne, er legte den Kopf schief, Nanu, auf der Plastiktüte stand Nanu. Er holte sein Telefon hervor, tippte eine Nummer ein.
Hallo, ich bin’s. – Jetzt schon? Er warf einen Blick auf die Uhr. – Stimmt, ist schon Mittag. Was gibt’s denn Schönes? – Da wird sich der Basti aber freuen, heimlich natürlich, wie es so seine Art ist. – Ich halte dich auch nicht lange auf, ich wollte nur fragen, ob Klara bei dir ist. – Nicht. Und weißt du, wo sie sein könnte? Wir waren verabredet. Er setzte sich auf das Fensterbrett, schaute hinüber zur Geige auf dem Tisch. – Auch nicht. – So, hat sie das? Und warum weiß ich das nicht? – Und wie heißt er, wenn ich fragen darf? – Wieso weißt du das nicht, sie ist immerhin deine Tochter. – Vermutlich vertraut sie dir nicht, ist ja auch kein Wunder. – Warum beleidigend, das ist doch offensichtlich. – Komm Lissi, mach dir nichts vor, jede normale Tochter würde, hätte sie eine normale Mutter, mit ihr über diese Dinge sprechen. – Natürlich nicht, du hast sie im Stich gelassen, keine normale Mutter würde das tun. – Ja, jajaja, immer wenn man die Sachen auf den Punkt bringt, wird es dir zu bunt, das ist ja nichts Neues, das kennen – Hallo?
Er schaute auf das Display, legte das Telefon weg. Er betrachtete die Geige, schaute aus dem Fenster. Nanu.
Roth öffnete die Tür.
Geschlossen!
Er ließ sie hinter sich zufallen, legte den Mantel ab und hängte ihn über den Garderobenständer.
Geschlossen, Roth hörte ihn aus der Küche rufen.
Jajaja, er ließ sich auf einen Stuhl fallen, lockerte den obersten Knopf des Hemdkragens und zog die Speisekarte näher heran, studierte sie.
Die Schwingtür flog auf, Neugröschl stürmte ins Lokal, ein Fleischmesser in der Hand, es ist geschlossen, er schaute wild in die Runde.
Tankrad, ich bin’s, Roth hob zwei Finger zum Gruß, er schob die Speisekarte über den Tisch, ich nehm eine Eierspeis.
Neugröschl war in zwei Schritten beim Tisch, nagelte die Speisekarte mit einem gekonnten Hieb unter dem Messer fest. Geschlossen, rief er, auch für dich.
Zu früh für Eierspeis? Zu spät für Eierspeis? Na gut, dann nur einen Kaffee.
Neugröschl zog mit einem Ruck das Messer aus dem Tisch, hielt es Roth unters Kinn und hob seinen Kopf damit ein Stück hoch, er schaute ihm in die Augen. Roth, sagte er leise, ich warne dich, ich hab heut nicht meinen Tag, pack dein Zeug und schau, dass du weiterkommst.
Tankrad, sagte Roth bedächtig, er faltete die Hände vor sich auf dem Tisch, dieses hier ist eine Speisegaststätte, heute ist kein Ruhetag, kein Betriebsurlaub, kein Todesfall, man kann nicht als Wirt einfach mir nichts, dir nichts sein Lokal zusperren, wo kämen wir denn da hin. Ich habe Hunger.
Neugröschl holte aus, schleuderte das Messer quer durchs Lokal, es blieb in der Holzverkleidung stecken, zitterte noch lange nach. Dann geh hinüber in den Elefanten, er warf sich auf einen Stuhl, langte Roth in die Hemdtasche und nahm sich eine Zigarette aus der Packung. Ich darf doch.
Er wedelte das Streichholz aus, tat ein paar Züge, im Elefanten drüben kannst du Eierspeisen essen bis zum Speiben, noch dazu gibt’s dort heute Hendln. Ich weiß nicht, warum du hier herinnen hockst und mir die Zeit stiehlst. Im Übrigen ist heute geschlossen.
Die Tür war offen.
Weil ich vergessen hab abzusperren, schrie Neugröschl, er hieb mit der Faust auf den Tisch.
Roth ging hinüber zur Theke, stellte eine Tasse unter die Espressomaschine und ließ sich einen Kaffee heraus. Die Tür zur Küche schwang auf, Getrappel. Wie geht’s, Frufru, Roth wartete, bis die Maschine sich ausschaltete, neue Erkenntnisse in der Sinnsuche? Frufru schleppte seine Ohren über den Parkett, setzte sich neben Neugröschl auf den Boden.
Wie auch immer, sagte Roth, kramte in den Schubladen, öffnete die Schränke. Er zog eine Keksdose von irgendwoher. Er holte zwei staubige Linzeraugen heraus, legte sie neben den Löffel auf die Untertasse, ich habe ein Problem. Er setzte sich wieder an den Tisch, schüttete Zucker in die Tasse, rührte um.
Neugröschl drückte die Zigarette aus, fuhr sich mit den Händen übers Gesicht, das ist ja mal was ganz Neues. Probleme hab ich übrigens für zwei.
Roth trank einen Schluck Kaffee, stippte mit dem Finger die Zuckerkrümel zusammen, ich glaube, ich muss mir eine neue Identität suchen.
Was heißt da neu, Neugröschl steckte sich eine weitere Zigarette an, die Tür öffnete sich, ein Mann erschien auf der Schwelle, tat einen Schritt, geschlossen, rief Neugröschl, der Mann zögerte einen Moment, warf einen Blick auf Roth, zog die Tür wieder ins Schloss. Sie sahen zu, wie er an den Fenstern draußen vorbeiging, verschwand.
Wenn ich du wär, Neugröschl sog den Rauch ein, würd ich mir überhaupt mal eine Identität zulegen, du bist ja eher einer von denen, bei denen man schon beim Anschauen vergisst, wie sie ausschauen, er warf das Streichholz neben sich auf den Parkett.
Ich brauche einen neuen Namen, Roth hob die Hand, streckte den Daumen hoch, den Zeigefinger, zählte, einen anderen Beruf, am besten eine neue Adresse und eine andere Vergangenheit. Er hielt Neugröschl den kleinen Finger hin, eine ganz andere Vergangenheit.
Ich seh das Problem nicht, Neugröschl schob seine Hand weg, heißt du halt von jetzt an Grün statt Roth, Beruf, mein Gott, Berufe gibt’s genug, ich zum Beispiel suche dringend einen Beikoch, wohnen kannst in der Frau Sperber ihrer Wohnung, die ist vorgestern tot umgfalln beim Blumengießen, und Vergangenheit, was braucht der Mensch eine Vergangenheit. Geschlossen, rief er, die Frau draußen vor der Tür nahm die Hand wieder von der Klinke, warf einen Blick auf die Öffnungszeiten. Sie öffnete die Tür.
Geschlossen, sagte Neugröschl.
Draußen steht aber –
Kann schon sein. Ist trotzdem geschlossen.
Aber –
Gehen Sie rüber in den Elefanten, da gibt’s heute Backhendln.
Ich esse doch gar kein Fleisch.
Fangen Sie halt heute damit an. Hier ist jedenfalls geschlossen.
Die Frau ging zur Tür, ich finde das eine Frechheit.
Ich auch, Neugröschl zündete sich eine Zigarette an, eine bodenlose Frechheit.
Sie warf die Tür hinter sich ins Schloss, die Gardinenstange krachte zu Boden. Sie schauten zu, wie sie die Straße überquerte und im Elefanten verschwand. Frufru betrachtete Neugröschl, machte einen irritierend langsamen Satz und landete auf dem Sessel neben ihm. Er schaute über den Tisch zu Roth, Neugröschl, legte den Kopf vorsichtig seitlich auf die Tischplatte.
Was heißt du suchst einen Beikoch, Roth nahm sich ebenfalls eine Zigarette aus der Packung, Neugröschl hielt ihm ein Zündholz hin, Roth paffte ein paar Mal, lehnte sich zurück.
Was heißt, was heißt du suchst einen Beikoch, das ist doch nicht so schwer zu verstehen. Ich such halt einen Beikoch. Kannst gleich anfangen.
Ich kann überhaupt nicht kochen.
Wurscht, dann kümmerst dich halt um die Suppen. So wie’s in meiner Küch aussieht, bist eh erst mal damit beschäftigt, Land zu sichten.
Was ist überhaupt mit deinem Beikoch, du hast doch einen Beikoch, was ist denn mit dem Sterzinger.
Nix. Ich will jetzt auch nicht über den Sterzinger reden. Reden wir von dir. Wieso willst auf einmal bei mir die Suppen umrühren, du hast doch was, du bist doch wer.
War, Roth ließ den Kaffeerest in der Tasse kreisen, trank ihn aus, das ist ein einziges Fiasko.
Ein Paar kam zur Tür herein, stieg über die Gardinenstange. Der Mann half seiner Frau aus dem Mantel, sie strebten einem Tisch zu.
Geschlossen, Neugröschl ging hinter die Theke, kam mit einer Flasche und zwei kleinen Gläsern wieder.
Und wieso sitzt er hier, der Mann deutete auf Roth.
Frufru drehte den Kopf, schloss die Augen.
Das ist niemand, Neugröschl zog den Korken aus der Flasche, schenkte die beiden Gläser voll.
Wir auch, der Mann zog seiner Frau den Stuhl vor, wir sind auch niemand.
Neugröschl schob den Stuhl zurück unter den Tisch, niemand wird hier nicht bedient, sagte er, geschlossen.
Und warum wird er bedient, der Mann deutete auf Roth.
Er wird nicht bedient, niemand wird hier nicht bedient, er wird hier nur ausgehalten.
Wer jetzt?
Niemand. Raus, aber plötzlich, schauen Sie, dass Sie weiterkommen.
Der Mann half seiner Frau in den Mantel, immerhin ist das hier ein Speiselokal.
Nein, das ist eine Autowerkstatt. Wiederschaun.
Sie schauten zu, wie das Paar die Straßenseite wechselte, einen Blick auf die Fassade warf.
Fiasko, ich denke, du hast dich neuerdings auf Geigenbau spezialisiert, Neugröschl hob das Glas, sie prosteten sich zu. Frufru lupfte ein Augenlid, spähte hervor.
Roth leerte das Glas. Geigenbau, Geigenbau ist ein bisschen viel gesagt. Er tupfte sich mit dem Tischtuch den Mund ab. Weißt du, was eine Stradivari ist, fragte er, er schaute zu, wie Neugröschl das Glas wieder auffüllte.
Der Rolls-Royce unter den Geigen? Neugröschl klemmte sich die Zigarette in den Mundwinkel, lehnte sich zurück und streckte die Beine aus.
Roth nickte, so ungefähr. Und weißt du, was eine Guadagnini ist?
Lamborghini?
Roth nickte. Was wäre, nur einmal angenommen, du wärst eine Autowerkstatt und einer bringt dir seinen Rolls-Royce zum Ölwechsel vorbei. Du schüttest, nur hypothetisch, du schüttest statt Motoröl zum Beispiel einen Ätzstoff hinein, irgendwas unglaublich Ätzendes, ich kenne mich damit jetzt nicht so aus, auf jeden Fall ätzt es dir nicht nur den Öltank des Autos weg, nein, es ätzt dir das ganze Auto weg. Am nächsten Morgen, der Vorherige kommt und will seinen Wagen abholen, und da steht nur noch das Gerippe.
Wieso, sagte Neugröschl langsam, wieso hat es eigentlich nicht schon den Kanister, in dem der Ätzstoff drin war, weggeätzt?
Das ist doch nur rein hypothetisch. Tatsache ist, der Rolls-Royce ist hin. Und ein Lamborghini.
Neugröschl kniff ein Auge zu. Du hast eine Stradivari zur Sau gemacht?
Aber so richtig. Roth nickte betrübt. Nicht zu vergessen den Lamborghini.
Ratzekahl weg?
Bis auf die Saiten. Die mochte er nicht.
Er?
Genau. In der Schweiz haben sie damit phänomenale Erfolge erzielt, die forschen da schon seit geraumer Zeit mit den verschiedensten Arten und Unterarten –
Es gibt auch Unterarten?
Eben. Das ist alles sehr kompliziert, aber ich habe so meine Informanten, sie sitzen quasi mittendrin, mitten zwischen Arten und Unarten, Assistenten sind ja so schlecht bezahlt, auch in der Schweiz, Tankrad, denk nicht, Assistent in der Schweiz sein wär ein Honigschlecken, die sind immer froh um ein Zubrot, um eine Scheibe Wurst auf die Semmel, ich krieg die Informationen, sie die Wurst. In St.Gallen sitzt dieser Spezialist, sitzt da am Rosenberg inmitten seiner hungrigen Assistenten, der verdient sich einen goldenen Hintern damit, zu dem kommen die Musiker von weit her, damit er denen ihre Instrumente wieder auf Vordermann bringt, der züchtete den –
Wen jetzt?
Schizophyllum commune, sagte Roth, der Gemeine Spaltblättling, er gehört zu der Gruppe der Moderfäule-Erreger.
Ein Pilz, stellte Neugröschl fest, ein hundsgewöhnlicher Pilz. Siehst du. Mit meinem Schwammerlgulasch wär dir das nicht passiert, morgen bist du gebucht.
Ich glaube, Roth schüttete den Schnaps in sich hinein, wenn ich da zwei Tage lang bei dir die Suppe anschaue, explodiert wahrscheinlich die Küche. Irgendwas in der Art.
Wahrscheinlich. Neugröschl nickte ein bisschen, wahrscheinlich hast du recht.
Ich habe einfach kein Glück.
Stimmt.
Dabei sind meine Ideen phantastisch.
Absolut.
Ich erinnere dich an die groß angelegte Eberzucht zur Isolierung ihres Androstenols, der Duftstoff, den paarungswillige Eber absondern, um bei den Weibchen eine Duldungsstarre auszulösen.
Ich erinnere mich. Irgendwas war schiefgelaufen.
Genau. Ich weiß eigentlich bis heute nicht, was. Nur, dass ich von der Feuerwehr des Öfteren von den unmöglichsten Orten abtransportiert werden musste. Konnte keinen Schritt mehr tun. Duldungsstarre. Es war schrecklich.
Schrecklich. Dann die Sache mit den Klavieren.
Ich hätte sie beinah vergessen, gut, dass du mich daran erinnerst.
Du hast, waren es sieben, acht? Acht Klaviere auseinandergenommen.
Ich weiß.
Nicht wieder zusammenbauen können.
Roth seufzte, ich weiß.
Wegen des fehlenden Ergänzungstons.
Wegen des fehlenden Ergänzungstons.
Du hast das Klavier auseinandergenommen, wolltest den fehlenden Ergänzungston finden, der die Verstimmung wieder zum Einklang mit den Schöpfungsharmonien bringen soll. So standst in der Zeitung. Ein schöner Artikel. Fast poetisch. Der fehlende Ergänzungston.
Proslambanomenon, Roth nickte vor sich hin, der fehlende Ergänzungston. Hab ihn nicht gefunden.
Nein, Neugröschl schüttelte ebenfalls den Kopf, leider nein. Acht Klaviere. Fertiggemacht. Und eine Identität. Wie hießest du damals?
Prohaska.
Prohaska, richtig. Wie kamen wir damals eigentlich auf Prohaska?
Weiß ich nicht mehr. War irgendwas Unsauberes.
Auch egal. Aber die Idee war gut. Mit dem Ergänzungston, mein ich.
Absolut.
Und jetzt das. Wie kommt eigentlich der Spaltblättling in den Rolls-Royce, was sucht der Pilz in der Geige.
Ich habe ihn hineingesetzt.
Ach so.
Dachte, er würde bei Dissonanzen im Instrument Abhilfe schaffen.
Alles klar.
Roth haute mit der Faust auf den Tisch, das ist gar nicht so abwegig, schrie er, die Tür öffnete sich, geschlossen, verdammt noch mal! Der Herr zog hastig die Tür wieder ins Schloss, eilte davon. Roth wischte mit der flachen Hand über den verschütteten Schnaps.
Das war der Hrdlicka, sagte Neugröschl, schaute, wie der Mann um die nächste Häuserecke rannte.
Hrdlicka war das? Roth hob den Kopf, ein netter Mensch eigentlich. Und so still immer.
Still, das hast du schön gesagt. Das haben die Taubstummen halt so an sich. Aber wer dich toben sieht, braucht eigentlich gar keine Ohren.
Dass eine minimale Verminderung der Holzdichte, nahm Roth den Faden wieder auf, die Geige besser schwingen lässt jedenfalls, ist kein Geheimnis, die akustischen Wellen können sich dann besser ausbreiten, das weiß jeder Idiot.
Minimale Verminderung, Neugröschl zog das Geschirrtuch aus dem Gürtel, warf es Roth zu.
Jajaja. Der Pilz war einfach zu verfressen, das kann ich doch nicht wissen. Kenne ich mich aus mit Pilzen? Ich erkenne nicht einmal einen Champignon, wenn er mir auf der Wiese entgegenkommt. Ich dachte, so ein Pilz ist eher gemütlich unterwegs.
Und das probierst du dann einfach schnell einmal an zwei Supergeigen aus.
Hoch gepokert, viel gewonnen, Roth grinste, er hatte den Schnaps aufgewischt, knüllte das feuchte Tuch zusammen und warf es hinter die Theke.
Anstatt dass du dir eine blöde Schülergeige nimmst, zum Probieren, Neugröschl legte die Hand auf Frufrus Kopf, streichelte.
Schülergeige, Roth winkte ab, eine Schülergeige kann durch die schiere Vernichtung nur gewinnen, da hab ich nichts gekonnt, mit einer Schülergeige. Der Spezialist in St.Gallen wirtschaftet sicher nicht mit einer Schülergeige herum, das hat der gar nicht nötig, zu dem kommen die ganz Großen, die Anne-Sophie zum Beispiel. Yehudi.
Yehudi ist tot.
Wie auch immer, die Anne-Sophie lebt. Lebt und geigt. Schöner denn je. Dank dem St.Galler mit dem goldenen Hintern. Er muss über spezielle Spezialkulturen verfügen. Spezialisten haben immer spezielle Spezialkulturen. Da gibt’s kein Rankommen. Sitzt vermutlich drauf.
Mit dem goldenen Hintern, sagte Neugröschl hilfreich.
Genau. Auch egal. Jedenfalls ist mir jetzt die zündende Idee gekommen, wie man das Problem der verstimmten Geigen löst, der Pilz, der gemeine Spaltungsirre, Schizophyllum commune, war eine viel zu grobe Verfahrensweise, viel zu grob. Das weiß der Spezialist nur noch nicht. Jetzt akupunktiere ich.
Du akupunktierst. Ins Hirn?
Blödmann, die Geigen natürlich. Bohre kleine Löcher hinein. Das wirkt.
Da bin ich völlig überzeugt davon.
Glaub, was du willst. Roth biss krachend in eines der Linzeraugen, hielt sich den Kiefer. Er schaute den unversehrten Keks an, dass du nicht schon lange die Gesundenpolizei auf dem Hals hast, ist eigentlich ein Skandal, die Kekse hier haben praktisch schon Antikwert. Aus welcher Zeit stammen die denn?
Müssen noch von der Mehlspeisenberta sein, die backte anständige Linzeraugen. Wo hast denn die her?
Roth deutete zur Theke, Mehlspeisenberta, war das nicht die Vorgängerin von der Mehlspeisenwetti, die die Vorgängerin von der Mehlspeisensusi war? Sozusagen das Mittelalter des Neugröschls. Er schob die beiden Kekse über den Tisch zu Frufru, der Hund schnappte mit weichen Lippen einen der Kekse, begann zu lutschen, schloss die Augen.
Sag lieber Steinzeit, die Mehlspeisenberta liegt schon längst einen Meter tiefer.
Wann gedenkst du eigentlich dein Lokal wieder einmal in Betrieb zu nehmen?
Wenn ich einen neuen Beikoch hab. Wenn ich jemanden für die Mehlspeisen hab. Wenn ich einen fürs Kellnern hab, wenn ich jemanden fürs Oberkellnern hab. Wenn ich einen neuen Lehrling hab und zwei neue Gehilfen in der Küche. Zwei Kellner, ich brauche zwei Kellner. Und den Oberkellner.
Darf ich fragen, wo der Beikoch Sterzinger, die Mehlspeisensusi, Anna und Hermine, Oberkellner Johann, Bubi der Lehrling und die beiden Gehilfen abgeblieben sind? Poldi und Woldi oder wie sie hießen, Humpty und Dumpty. In Luft aufgelöst?
Poldi und Woldi, so heißt kein Mensch. Hubi und Didi hießen die. Aber in Luft aufgelöst ist gar nicht so falsch. Sieht ganz so aus.
Du hast sie vergrault. Du hast sie alle rausgeworfen.
Sie hatten einen schlechten Charakter.
Alle.
Alle.
Ich verstehe. Roth war aufgestanden, reckte sich. Wo, sagst du, war die Wohnung von der Blumensperber?
Schinaglgasse, 15 glaub ich, die Vermieterin wohnt im Haus, den Namen weiß ich jetzt aber nicht.
Ich schick dir wen vorbei, von wegen Oberkellner.
Wie heißt er?
Franz.
Franz ist gut.
Franz ist ein Unikat.
So eins brauch ich.
Schick ich dir.
Hast du zufälligerweise einen Beikoch?
Muss mal überlegen. Vielleicht bei den Chinesen. Hab da was im Kopf. Muss ich aber zuerst mit der Chinesenmafia verhandeln. Grüße dich.
Roth, du bist ein guter Mensch.
Roth? Roth drehte sich um, steckte eine Zigarette in den Mundwinkel, grinste, mein Name ist Grün.
Valentin? Grün starrte in den Aquarellkasten, wechselte den Telefonhörer ans andere Ohr, Valentin? Klingt mir nach Waldorfschüler. Er tupfte mit dem Pinsel ins Orange, beugte sich über das Papier und färbte das Mieder ein. – Ein Gärtner? Das passt ja wie die Faust aufs Auge. Er tauchte den Pinsel ins Wasserglas, trocknete ihn ab. Ich vermute, er trägt Schafwollunterhosen und wäscht sich die Haare mit Heilerde. Er nahm seine Kaffeetasse, setzte sich an den Küchentisch. – Nein, sag ich ihr nicht, was denkst du von mir. – Ich? Ich verfolge ein neues Projekt, das wird der Knüller. – Nein, nein, diesmal ernsthaft. Wir ziehen übrigens um. Schinaglgasse, 15 glaub ich. – Ja, im 10. – Weiß ich nicht, hab sie mir noch nicht angeschaut. – Warum? Ich bekomme zu viel Post in der letzten Zeit. Verehrerinnen. Das nervt einfach. Du, ich muss Schluss machen, muss noch ein bisschen was erledigen. Grüße dich. Und meinen lieben Freund Sebastian natürlich auch, hat Klara in der Zwischenzeit das ein oder andere Wort an ihn gerichtet? Na, kommt noch, nur nicht den Mut verlieren, bis zur Pensionierung, bis zu ihrer meine ich natürlich, wird sich das – Hallo?
Unglaublich. Grün wanderte den Flur hinauf, lief wieder zurück. In meiner eigenen Wohnung. Er blieb vor der Badezimmertüre stehen, lauschte, Wasser plätscherte. Still.
Grün wanderte im Flur auf und ab, im Badezimmer war es ganz still. Was macht er da bloß. Er setzte sich auf einen Hocker, starrte in den Setzkasten. Er nahm einen der Swarovski-Elefanten heraus, drehte ihn in der Hand. Aus der Küche roch es nach Kaffee, getoastetem Brot. Eier. Er starrte den Elefanten an, er hatte eine kleine, aus roten Glaskristallen gefertigte Rose in den Schwanz geknüpft und schien zu grinsen. Die Tür zum Badezimmer ging auf, Grün stellte den Elefanten zurück, erhob sich.
Wer sind Sie denn, er verschränkte die Arme vor der Brust.
Entschuldigung, Valentin Kron, er streckte die Hand aus.
Schöner Bademantel, Grün deutete auf den Bademantel.
Das ist Ihrer, oder? Kron hob einen Arm, die Ärmel reichten ihm bis knapp unter die Ellbogen, er ist ein bisschen zu klein.
Das tut mir wirklich sehr leid.
Ich habe nichts anderes gefunden.
Steht Ihnen ausgezeichnet.
Tut mir leid, wirklich.
Nein, nein, nein, kein Problem. Kein Problem, Grün schob sich neben Kron ins Bad, schaute zu ihm hoch. Nicht schlecht, das Rasierwasser, nicht wahr?
Kron fasste sich an die Wange, ja, riecht gut.
Teures Zeug, verdammt teures Zeug. Aber bedienen Sie sich ruhig, Sie können gerne ab und zu zum Rasieren hierherkommen.
Grün schloss die Badezimmertür hinter sich, setzte sich auf den Wannenrand. Er starrte in den Nebel. Schemenhaft die Umrisse einer Unterhose auf dem Klo. Er öffnete den Deckel, spülte sie weg. Schafwolle, murmelte er, nicht zu fassen. Im Spiegel, nichts zu sehen, er malte mit dem Zeigefinger einen Blitz in das beschlagene Glas. Er zog sich den Pyjama aus, stieg in die Wanne und drehte das Wasser auf. Er hielt eine Weile die Hand darunter, schaltete das Wasser wieder ab und stieg aus der Wanne. Er wischte das Boilerthermometer ab, so, sagte er. Der Waldorfschüler hat es geschafft, 500 Liter heißes Wasser zu verduschen, sagenhaft. Er wickelte sich ein gerüschtes Handtuch um die Hüften, ging über den Flur. Vor der Küchentür blieb er kurz stehen, er hörte sie lachen. Er öffnete die Tür.
Störe ich?
Hallo, Papa. Klara löste sich von Kron, strich sich die Haare zurück, eigentlich schon.
Das tut mir leid, Grün holte sich eine Tasse aus dem Küchenschrank, schenkte sich aus der Espressokanne am Herd Kaffee ein.
Er setzte sich an den Tisch. Das Fenster stand offen, Wind blähte die Tüte im Baum, flaute wieder ab. Nanu.
Sammeln Sie Elefanten, fragte Kron.
Wie kommen Sie denn darauf?
Kron deutete auf den Rüssel an der Tasse, die ganzen Elefanten in der Wohnung. Ich dachte, Sie sammeln vielleicht Elefanten.
Das muss ein Zufall sein, dass sich das so häuft, ist mir noch gar nicht aufgefallen.
Flunkere doch nicht so, Klara bestrich ein Stück Toast mit Butter und Honig, ließ Kron davon abbeißen, die sind von der Vormieterin, sagte sie, mein Vater hat die Wohnung mitsamt den Elefanten, Sammeltassen und alten Damenhüten übernommen, mein Vater hat die Wohnung übernommen, ohne auch nur ein Handtuch auszusortieren.
Ich weiß nicht, was du gegen die Handtücher hast, Grün angelte sich ein Stück Brot von Krons Teller, belegte es mit Käse. Es gibt nichts, was einen Mann besser schmückt als rosafarbene Rüschen, finden Sie nicht auch, Gernot?
Papa bitte.
Verzeihung, das war Ihr Vorgänger, Herr Valentin natürlich. Oder was denken Sie über rosafarbene Rüschen?
Kron schluckte schnell den Bissen hinunter, hustete, ja, sagte er.
Ja, wiederholte Grün, interessante Antwort. Er schaute suchend auf dem Tisch herum, griff nach einem Apfel. Und was machen Sie so, wenn ich fragen darf, wofür interessieren Sie sich, außer für meine Tochter natürlich, kennen Sie sich vom Studium? Von der Universität? Was studieren Sie, lassen Sie mich raten, Ethnologie vielleicht, Sie sehen sehr sensibel aus, Sie studieren sicherlich Ethnologie, wobei, nein, jetzt weiß ich es, Soziologie, bestimmt studieren Sie Soziologie, sie haben diesen typischen Statistikerblick, Gernot übrigens studierte ebenfalls Soziologie, vielleicht kennen Sie sich? Gernot, er wandte sich an Klara, streckte die leere Tasse über den Tisch, wie war noch mal der Nachname?
Klara angelte sich die Espressokanne vom Herd, schenkte die Tasse voll, was tut denn das jetzt zur Sache, Valentin studiert überhaupt nicht Soziologie. Valentin ist Gärtner.
Grün wollte eben einen Schluck Kaffee nehmen, hielt in der Bewegung inne, Gärtner, sagte er, er stellte die Tasse ab, Sie studieren Gartenbau.
Wer redet von Gartenbau, Klara steckte sich die Haare hoch, Valentin studiert überhaupt nicht, er ist Gärtner, einfach Gärtner.
Grün polierte den Apfel, interessant, sagte er. Und was machen Sie da so, als Gärtner? Ich bin ja sehr für die Natur. Ich wäre selber gerne Gärtner geworden, leider hat das Geld nicht gereicht bei uns.
Ich glaube, wir gehen besser, Klara stand auf, Kron legte das angebissene Brot auf den Teller, stand ebenfalls auf.
Aber nein, Grün fasste Kron am Arm, zog ihn wieder auf den Sessel zurück, wo wir doch gerade mal warm werden miteinander, er drückte Kron seine Tasse in die Hand, ich sehe, Sie trinken Tee. Das ist klug. Das Teetrinken unterscheidet den Gentleman vom gemeinen Volk. Es ist einfach eleganter als das Trinken von Kaffee, er beugte den Kopf über den Tisch, wedelte sich den Dampf entgegen, Darjeeling, Assam, er schnupperte, verzog das Gesicht, er nahm Kron die Tasse wieder aus der Hand, was ist denn das für ein Kraut, er roch daran, Klara, wieso kochst du unserem Gast ein so widerliches Zeug, was soll denn das sein, Heublumen? Er schüttete den Tee in den Ausguss.
Kron räusperte sich, Löwenzahn, sagte er, Löwenzahn und Birkenblätter, das reinigt.
Grün starrte ihn an, drückte ihm die leere Tasse zurück in die Hand, er klopfte ihm auf die Schulter, alles klar, sagte er, alles klar.
Er schälte eine lange Schlange von seinem Apfel, hängte sie an die Lampe über dem Küchentisch. Wir sind auch eher Naturtypen, Klara und ich. Stefan, einer Ihrer Vorgänger, passte diesbezüglich einfach so gar nicht zu uns. Ein Autofreak. Manchmal in der Nacht, wenn alles schlief, die Stille sich über die Stadt legte wie ein Federbett, konnte man aus dem Schlafzimmer kleine Motorengeräusche vernehmen. Das war Stefan. Im Schlaf verwandelte er sich in einen Lamborghini und raste quer durch die Alpen. Stefan. Ich bin froh, dass meine Tochter sich besonnen hat und an die Ursprünge zurückgekehrt ist, zurück zur Natur.
Wir gehen jetzt, Klara zog Kron hinter sich her.
Bis heute Abend, Grün ließ einen Löffel Schlagobers in seine Kaffeetasse gleiten, vergiss nicht, dass heute Abend unsere Blumenbestimmstunde ist. Er nickte Kron hinterher, donnerstags bestimmen wir immer Blumen, müssen Sie wissen, wir sind nämlich sehr für die Natur.
Grün starrte in die Dunkelheit, zündete sich eine Zigarette an. Er legte die Füße auf das Balkongeländer, lehnte den Kopf an die Hauswand. Klare Nacht, er schaute hinauf in den Sternenhimmel, ein feiner Sichelmond über den Dächern. Er ließ die Asche neben sich ins Nichts rieseln, schaute in die dunklen Fenster ringsum. Er warf einen Blick auf die Uhr. Er holte die Weinflasche unter dem Stuhl hervor, schenkte das Glas voll. Er lehnte sich zurück, stellte sich das Glas auf den Bauch, schaute in den Himmel. Die Stadt kam langsam zur Ruhe, einzelne Gespräche unten auf der Straße, Absätze auf dem Asphalt, verloren sich nach und nach, ein Auto, zwei.
Er schaute auf die Uhr, fischte sein Mobiltelefon aus der Tasche, tippte eine Nummer ein, wartete.
Ich bin’s. – So spät schon, ich habe gar nicht auf die Uhr geschaut. Du, was anderes, ist die Klara bei dir? – Nein. Und hast du eine Ahnung, wo sie ist? – Natürlich weiß ich, wie alt sie ist, mit zwölf bin ich schon lange in den Federn gelegen. – Zehn Jahre auf oder ab, was tut das zur Sache, zumindest kann man mir Bescheid sagen, ich bin kein Hotel. Wo wohnt der überhaupt, der, na, Valentin Waldorfschüler. – Und wieso erlaubst du ihr das, ist dir das völlig einerlei, wenn unsere Tochter mit einem Handwerker verkommt? – Tu nicht so liberal, schrie er, du siehst ja, wohin es gekommen ist mit der Haltung. – Ich rege mich überhaupt nicht auf, es tut mir nur leid, dass die Klara eine Mutter hat, die sich nur noch für ihre neue Familie interessiert. Ich hoffe, du weißt, dass das alles auf Klaras Kosten geht. Aber bitte, du kennst nur dein eigenes Vergnügen, das ist nichts Neues. – Hallo? Er schaute auf das Display, irgendwann ging das Licht aus.
Kommen Sie, rief Grün den beiden Damen an der Tür zu, kommen Sie, Grüß Gott, schauen Sie sich um, nehmen Sie die Dinge in die Hand, keine Hemmungen meine Herrschaften, alles muss weg. Die Legende zu der Bepreisung finden Sie im Flur rechts, es gibt rote, gelbe, grüne und blaue Punkte, bei Fragen wenden Sie sich bitte gerne an mich. Die Elefanten haben alle einen Einheitspreis.
Grün schob sich zwischen den Leuten vorbei in die Küche, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein.
Sagen Sie, eine ältere Frau drehte die blau-weiße Kaffeemühle in der Hand, ist die innen auch nicht verrostet?
Grün nahm ihr die Mühle aus der Hand, warf einen Blick ins Mahlwerk, ich baue Ihnen das schnell auseinander, dann schauen wir uns das an, er schraubte das Gehäuse auseinander. Nehmen Sie sich doch ein Stück Kuchen, das Geld bitte in die Kaffeekasse links, für einen guten Zweck, Kuchenessen für die Hungerkinder dieser Erde, er legte die einzelnen Teile der Mühle vor sich auf den Tisch.
Grün? Neugröschl winkte von der Tür her, schob die Kauflustigen auseinander, nickte nach rechts und links, grüße Sie, Frau Teupel, wie geht’s? Was wollens denn mit der Kaffeemühle, Kaffee kriegens bei mir auch, und einen besseren noch dazu. Und Ihr Mann? Ist er noch unter den Lebenden? Wie man’s nimmt, oder, Herr Hrdlicka, er hob die Hand, formte mit Daumen und Zeigefinger einen Kreis, schöner Elefant, er schaute über die Köpfe hinweg, Ludwig!
Einen Moment, Grün drückte Frau Teupel den Schraubenzieher in die Hand, machen Sie einfach weiter wie bisher. Er drängte sich an den anderen vorbei, Neugröschl entgegen, Tankrad, schön, dich zu sehen. Was darf’s sein, ein Stuhl, ein Bett, ein rosa gerüschtes Handtuch?
Was ist denn das für eine Veranstaltung, Neugröschl nahm einen knallgelben Elefanten mit roten Karos vom Regal, was soll denn das?
Ein Elefant.
Ach was. Neugröschl stellte den Elefanten zurück, und was tun die ganzen Leut hier? Mein halbes Stammpublikum treibt sich bei dir in der Wohnung herum, hab mich schon gewundert, warum keiner kommt heut, Gabi, er hob die Hand, grüße dich, ja, schlecht wie immer.
Wohnen wie bei Sperbers, sagte Grün, er drückte Neugröschl einen Werbezettel in die Hand, Flohmarktpreise. Frau Teupel kam mit dem Mahlwerk und dem Schraubenzieher aus der Küche, was ist denn jetzt mit meiner Kaffeemühle, rostig ist sie nicht.
Grün betrachtete die Einzelteile, hielt sie wahllos da und dort aneinander, räumte sie in eine Tüte und drückte sie ihr in die Hand, schenk ich Ihnen, sagte er, mahlen nach dem Baukastensystem, er drehte sich um, Neugröschl war ihm in die Küche gefolgt. Und, Grün zündete sich eine Zigarette an, wie läuft’s? Was heißt übrigens leer, wieso ist dein Lokal leer, hast du wieder offen?
Seit Anfang der Woche. Kann nicht klagen, Neugröschl zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor, kratzte mit dem Fingernagel den gelben Punkt herunter, schaute sich um und klebte ihn Grün auf die Stirn. Der Franz war eine Entdeckung, kein Vergleich mit dem Johann. Es gibt niemanden, der vor dem Franz nicht kuschen würde, der Geräuschpegel im Lokal ist merklich gesunken, die Gäst unterhalten sich nur mehr flüsternd. Wenn er an ihrem Tisch vorbeikommt, verstummen sie vollständig. Der Franz ist eine Autorität.
Du scheinst auch bester Laune zu sein, Grün musterte ihn, was ist mit dem Wan?
Neugröschl hob den Daumen, er nahm sich eine Zigarette aus Grüns Paket, zündete ein Streichholz an, ich darf doch, er wedelte das Streichholz aus. Das Schlitzauge kocht wie ein Teufel, muss man sagen, der Wan ist sein Geld wert. Fehlt mir nur noch wer für die Mehlspeisen und im Service, als Lehrling fängt mir demnächst der Sohn von der Ines ihrer Schwester an, bloß Hubi und Didi, Hubi und Didi hab ich auch noch keinen.
Kann ich die Vase billiger haben, ein Mann drehte eine malvenfarbene Kristallvase in der Hand.
Ist schon billig, Grün stellte die gebrauchten Teller in die Spüle, ließ das Wasser darüber laufen.
Der Mann zählte das Geld ab, schaute auf Grüns Stirn. Wie viel waren noch mal die gelben Punkte?
Ich bin schon reserviert.
Der Mann packte die Vase ein, schade, sagte er. Grün steckte das Geld ein, klopfte ihm auf die Schulter, kaufen Sie sich einen Hund, sagte er.
Neugröschl hatte sich über den Tisch gebeugt, bohrte den Zeigefinger in eines der Tortenstücke. Seit wann kannst du denn backen?
Annette, Grün stapelte die Teller ins Abtropfgestell, die Nachbarin.
Und wo ist sie?
Trägt mit ihrem Opa und noch wem gerade die Badewanne hinüber, blauer Punkt, ein Schnäppchen.
Neugröschl löste mit der Kuchengabel die einzelnen Tortenböden auseinander, zerrieb einen Batzen Parisercreme zwischen Daumen und Zeigefinger, roch daran. Morgen fängt sie bei mir an. Mehlspeisenannett, klingt doch ganz charmant, oder?
Papa? Klara drängelte sich zwischen den Leuten hindurch, gut, dass ich dich sehe. Ich dachte, wir sind schon wieder umgezogen. Hallo Tankrad, sie warf einen Blick auf Neugröschl, den Kuchenteller. Schmeckt’s?
Neugröschl schob den Teller mit dem zerlegten Tortenstück beiseite, Klara, bist groß geworden, kommst du schon bald in die Schule?
Klara lachte, stellte ihre Tasche ab, nahm sich ein Stück Kuchen, wie geht es euch?
Kann nicht klagen. Frufru hat halt so seine Altmännerallüren, manchmal redet er davon, dass seine tote Oma ihm im Traum zuwinkt, ihn zu sich herwinkt, aber mein Gott, ich werd auch nicht jünger.
Darf ich fragen, wo du warst? Grün stapelte die abgetrockneten Teller, legte das Geschirrtuch weg.
Bei Valentin, weißt du doch.
Dürften wir uns einmal den Stuhl ansehen?
Klara wandte sich um, stand von ihrem Stuhl auf, das Ehepaar untersuchte die Unterseite des Stuhls, drückte auf das Polster. Der passt nämlich sehr gut zu unserem Set in der Stube, erklärte die Frau Klara, es waren einmal sechs Stück, aber immer, wenn mein Mann einen Wutanfall hat, geht wieder einer zu Bruch, da muss man halt immer schauen, dass man beizeiten wieder den ein oder anderen ersetzt.
Valentin, äffte Grün, nichts weiß ich, mir sagt man ja nichts. Aber immerhin trifft man dich einmal alleine an.
Valentin kommt gleich, er muss noch die Tomaten –
Ich will’s gar nicht wissen, Grün hob die Hände, erzähl mir nichts von Gemüse. Ich will nur wissen, wo du die letzten Tage warst.
Papa, glaubst du nicht, dass ich langsam alt genug bin, dir nicht mehr über jeden Schritt Rechenschaft abzulegen?
Solange du in meiner Wohnung wohnst, ist es nicht mehr als recht, wenn du Bescheid gibst, wo du bist. Dir hätte weiß Gott was zugestoßen sein können. Ich habe mich Tag und Nacht gesorgt um dich.
Das sieht man, Klara warf einen Blick in die Runde. Du hast dich aber auch nicht schlecht amüsiert, wie es scheint.
Ich amüsiere mich nicht, ich versuche das Rasierwasser zu verdienen, das dein Herr Valentin hier in großem Stil sich ins Gesicht schüttet.
Sei doch nicht so geizig. Valentin genießt das einfach, dass er hier duschen kann.
Was soll das bedeuten, wo duscht er denn sonst?
Jetzt fang dich wieder ein, sie trat beiseite, zwei junge Männer trugen den Herd hinaus.
Aber wo duscht er denn normalerweise?
Gar nicht. Er hat keine Dusche.
Keine Dusche. Wohnt er im Urwald.
Nein, in einem Gartenhaus. Und jetzt wechseln wir bitte das Thema.
Schön. Grün starrte seine Tochter an. Keine Dusche, das ist unfassbar.
Neugröschl räusperte sich, ich werd dann mal, er erhob sich, wo wohnt denn die Mehlspeisenannett?
Gegenüber, Annette irgendwie, steht aber an der Tür.
Grüße dich, Neugröschl hob die Hand, wandte sich zu Klara, schaust du einmal wieder vorbei? Der Frufru redet oft von dir, fühlt sich glaub ich ein bisserl vernachlässigt von seiner Prinzessin.
Tut mir leid, Klara ging ein Stück mit in den Flur, sie schoben sich an den Leuten vorbei, sag ihm das. Ich komme aber sicher die nächsten Tage einmal.
Fallst einmal einen Job brauchst, nur so nebenbei, ein paar Stund die Woche, Neugröschl deutete mit dem Kopf nach hinten in die Küche, wer weiß, wie lang ihr das noch derraffts miteinander, auf jeden Fall brauch ich dringend jemand im Service.
Das ist lieb, Klara nahm seine Hand, begleitete ihn zur Tür.
Ist hier Wohnen wie bei Sperbers? Eine junge Frau mit schiefer Frisur warf einen Blick durch die Wohnungstür.
Nein, Klara lehnte sich an den Türrahmen, hier ist So geht’s zu bei Grüns.
Die junge Frau schaute unschlüssig auf das Gewimmel hinter Klara, dann habe ich mich wohl in der Hausnummer geirrt.
Sicher, Klara lächelte Neugröschl zu, er drückte auf den Klingelknopf an der Tür gegenüber, Annette Herzig, er beugte sich über das Namensschild, meine neue Mehlspeisenannett.
Klara winkte kurz, schloss die Tür hinter sich.
Klara nahm den Tauchsieder aus dem Wasser, warf eine Handvoll Blätter hinein. Sie nahm sich eine der übrig gebliebenen Elefantentassen und trat auf den Balkon. Der Steinboden war noch ganz warm von der Sonne, sie setzte sich, streckte die Beine aus und schloss die Augen.
Klara?
Hier draußen, sie stieß die Balkontür zur Küche ein wenig auf, ließ Grün heraus, er stellte die Tortenplatte mit den restlichen Kuchenstücken ab, reichte ihr eine Gabel.
Es wurde langsam Abend, ganz rot und orange der Himmel über der Stadt, erste Lichter hinter den Fenstern.
Wohnen wie bei Sperbers war erstaunlich lukrativ, Grün klopfte auf die kleine Metallkassette neben sich, ich überlege, die ganze Angelegenheit in größerem Stil auszubauen. Vielleicht fahre ich einfach mit der Schinaglgasse fort, das Quartier gefällt mir eigentlich ganz gut und die Sterbedichte ist aufgrund des hohen Durchschnittsalters außergewöhnlich hoch.
Du bist zynisch, Klara langte hinüber, nahm den gelben Punkt von seiner Stirn, jetzt gehst du her und verhökerst von den Toten die Unterhosen.
Unterhosen. Hat vielleicht jemand von der Frau Sperber die Unterhosen gekauft? Nein. Und verhökert wird es sowieso, ob ich das mache oder die Caritas, ist gehupft wie gesprungen.
Und wo willst du jetzt wohnen? Klara zerteilte den Apfelkuchen, steckte sich ein Stück in den Mund. Außer ein paar Elefanten ist praktisch nichts mehr da.
Wir gehen ins Hotel. Bis ich eine neue Wohnung in der Schinaglgasse habe, das kann ja nicht so schwer sein, die Schinaglgasse ist weiß Gott lang genug. Zwischenzeitlich ins Hotel. Wir gehen ins Hotel Elefant. Die Elefanten kommen natürlich mit.
Ich nicht.
Natürlich du auch.
Klara rührte in der Tasse, fischte die Blätter heraus und reihte sie vor sich auf den Boden. Ich ziehe zu Valentin, sagte sie.
Das verbiete ich dir.
Klara lachte, nein, im Ernst.
Willst du jetzt in einem Gartenhaus wohnen, mit dem Kron in einem Gartenhaus wohnen? Und wo willst du duschen? Und was macht ihr im Winter?
Du weißt doch selber nicht, wo du im Winter sein wirst, im Hotel Elefant vielleicht? Wie willst du das denn bezahlen?
Klara, jetzt einmal ernsthaft, Grün stand auf, lehnte sich an das Geländer des Balkons, schau, ich habe nichts gegen den Valentin, wirklich nicht, nur –
Was, Klara war ebenfalls aufgestanden, schaute ihn an.
Ich weiß es nicht, Grün starrte hinunter auf die Straße, ein Mann schleppte eine Gehbank vor sich her, rastete, ging noch ein Stück. Ich glaube einfach nicht, dass er gut für dich ist.
Woher willst du denn das wissen?
Ich weiß gar nichts Klara, sei doch nicht gleich so empfindlich. Ich meine nur, dass er irgendwie – labil ist.
Nur weil er nicht wie du zu allem seinen blöden Kommentar abgibt.
Nein, wirklich nicht Klara, darum geht es überhaupt nicht. Ich habe auch mit deiner Mutter darüber gesprochen, sie sieht das ähnlich.
Klara schlug mit der Hand auf das Geländer, so, unterhaltet ihr euch über mich, zieht hinter meinem Rücken über Valentin her. Erst giftet ihr euch jahrelang an, telefoniert nur, wenn’s ums Geld geht, und jetzt? Plötzlich gibt’s wieder ein Gesprächsthema.
Schau Klara, wir machen uns doch nur Sorgen um dich.
Und, was sagt sie? Klara verschränkte die Arme vor der Brust, was hat meine Mutter, die alles und jeden analysieren muss, zu Valentin zu sagen?
Am besten, du redest selber mit ihr, das wird das Gescheiteste sein.
Das werde ich mit Sicherheit nicht tun. Jetzt hast du auch schon angefangen, kannst du ruhig alles erzählen.
Es gibt gar nicht so viel zu erzählen. Nur, dass sie denkt, dass du einen anderen Typen von Partner bräuchtest, dass du dir immer Männer mit einer ähnlichen Problematik aussuchst.
Und die wäre?
Rede doch selber mit der Lissi, so genau erinnere ich mich auch nicht mehr, was sie gesagt hat. Dass Valentin einer ist, der schon zu viele Verletzungen hat, die nicht mehr weggehen werden oder so ähnlich. Dass du, weil du selber keine so guten Nerven hast, einen brauchst, der gesund ist, irgend so was.
Was soll das wieder heißen, keine guten Nerven, bin ich psychotisch oder was, was heißt Verletzungen, was hat denn der Valentin für Verletzungen, was soll das alles?
Reg dich doch nicht so auf –
Ich rege mich aber auf, weil ihr immer und überall eure Finger drin haben müsst, weil ihr einen kaputt macht mit eurem ständigen Herumgekrittel und dem ganzen Psychoscheiß, seid ihr vielleicht froh geworden damit?
Das ist ungerecht, Klara, wir sind aus ganz anderen Gründen nicht froh geworden, sicher nicht, weil wir die Dinge versucht haben zu reflektieren.
Reflektieren nennst du das, klingt ja wertvoll.
Wieso überhaupt Grün? Blöder Name, Klara schüttete Müsli in eine Schale, goss kalte Milch dazu. Sie setzte sich zu Kron an den Tisch und reichte ihm einen der beiden Löffel, ich mache da nicht mit.
Willst du vielleicht weiterhin Roth heißen? Du ganz allein? Es gibt zu Roth so wenig Beziehung wie zu Grün, niemand in unserer Familie hieß je Roth.
Niemand in deiner Familie hieß je Prohaska, Prohaska wie Pornokönig Prohaska.
Neugröschl und ich hielten ihn für einen Wissenschaftler in der Geschlechterforschung, er brachte mich auf die Idee mit der Eberzucht.
Die ganze Welt hielt ihn für einen Wissenschaftler in der Geschlechterforschung. Bis die ganze Welt wusste, wer er in Wirklichkeit war. Und wir hießen prompt Prohaska.
Wie gesagt, ein Irrtum. Grün ist aber total unverfänglich.
Na gut, um das Ganze abzukürzen, Grün, von mir aus, ist aber der letzte Name, den ich mitmache. Und die letzte Wohnung, sie nahm einen Handzettel vom Küchentisch, Wohnen wie bei Zolgakov, in drei Wochen. Sie schaute in die Runde, wer den Plunder kaufen soll, ist mir ein Rätsel. Wer hängt sich eine russische Heugabel ins Esszimmer? Und was kommt danach?
Schinaglgasse 32, Herr Thiel zieht ins Altenheim. Ein erneuter Namenswechsel wird übrigens nicht nötig sein, ich habe jetzt insgesamt drei Projekte am Anlaufen, die können gar nicht schiefgehen.
Weißt du, dass du das von jedem deiner sogenannten Projekte behauptest?
Du wirst dich noch wundern, wenn Grün irgendwann in aller Munde ist.
Valentin, was hältst du von Grün.
Kron schluckte den Bissen hinunter, Grün ist schön, sagte er, er lächelte, Klara Grün klingt sehr schön.
Klara küsste ihn auf den Mund, Grün drehte sich um, blickte zur Decke, Grün ist schön, äffte er leise, war schon vorauszusehen, dass das dem Blumenstreichler gefällt.
Was ist eigentlich mit heute Abend, er drehte sich um, kommst du mit zum Neugröschl, wir sind eingeladen. Er hat einen neuen Hubi und Didi.
Ja, Klara pustete Kron in den Nacken, er duckte sich, wir kommen auch.
Grün verließ die Küche, stolperte über einen Hocker aus Kamelleder, wir, murmelte er, er gab dem Hocker einen Tritt, er flog gegen die Wohnungstür, was soll ich denn mit dem Kron beim Neugröschl.
Gibt’s dich jetzt nur noch im Doppelpack, Grün spülte sich den Mund aus, stellte die Zahnbürste zurück ins Glas.
Wieso denn, Klara bürstete ihre Haare aus, begann sie zu flechten.
Weil man langsam glauben könnte, der Herr Valentin sei dir aus der Ferse gewachsen, ein Anhängsel, ein Wurmfortsatz sozusagen.
Klara steckte die Haare fest, schaute in den Spiegel, jetzt bin ich doch auch allein.
Aber nur, weil er prüde ist, Grün schüttete sich das Rasierwasser in die Hände, verteilte es im Gesicht, und sich nicht mit wem zusammen ins Bad traut. Im Übrigen ist er ja in der Wohnung.
Valentin ist nicht prüde, er ist das nur nicht gewohnt. Klara nahm einen Flakon vom Regal, betätigte den Sprühknopf.
Grün riss ihr die Flasche aus der Hand, ja bist du verrückt geworden, schrie er, wo hast du das überhaupt her?
Spinnst du jetzt oder was? Klara nahm ihm die Flasche aus der Hand, das benutze ich schon ewig. Sie drückte auf den Sprühknopf, ich dachte, das ist noch von der Mama, das stand da im Badezimmerschrank.
Ja wer hat das denn in den Badezimmerschrank gestellt, Herrgottnochmal?
Papa bitte, renk dich wieder ein, wer hat das in den Badezimmerschrank gestellt, was weiß denn ich, die Mama halt, oder du oder niemand. Wo soll man ein Parfum denn sonst hinstellen, in den Eisschrank?
Grün starrte sie an, Parfum, sagte er schwach, Parfum ist gut. Er machte eine kleine Pause, schaute sie genau an, schnupperte, und dich hat noch nie die Feuerwehr von den unmöglichsten Orten abholen müssen?
Klara besprühte ein letztes Mal ihr Dekolleté, gab ihm den Flakon zurück. Du hast Ideen, sie prüfte noch einmal den Sitz ihrer Haare.
Komisch, sagte Grün, er roch vorsichtig an der Flasche, stellte sie zurück.
Valentin und ich gehen ein bisschen nach draußen. Wir sind dann gegen Abend wieder da.
Ja, Grün schaute noch einmal auf die Flasche mit der glasklaren Flüssigkeit darin, jaja.
Grün schob einen Einkaufswagen vor sich her, wanderte an den Regalen mit den Konserven vorbei. Er räumte eine Sechserpackung Pelati in den Wagen, suchte in seiner Hosentasche nach dem Einkaufszettel.
Drei Fische bräuchte ich, tönte es von weiter vorn, drei Fische – von der Fischtheke weiter vorn – was nehme ich denn da –
Grün hielt inne, schaute sich um. Er schob behutsam den Wagen ein wenig vor, warf einen Blick um die Ecke.
Und geben Sie mir was von den Garnelen, für eine Vorspeise für drei Personen, pro Kopf vier Stück? Oder was meinen Sie?
Grün zog sich vorsichtig zurück, die Räder des Einkaufswagens verdrehten sich, stellten sich quer, Grün zerrte, nichts zu machen, er schleifte den Wagen hinter sich her, krachte gegen ein Regal, Dosen mit Leberknödelsuppe rollten über den Gang.
Herr Roth, der Mann an der Fischtheke hatte sich umgedreht, die Verkäuferin hatte einen obszön großen Fisch in der Hand, die Augen stierten planlos in die Gänge, entschuldigen Sie mich einen Moment, wandte er sich zu ihr, entscheiden Sie das mit den Fischen, Sie sind hier die Fachfrau. Der Herr Roth, sagte er, kam langsam auf ihn zu.
Maestro Barnabas, Grün ließ den Wagen stehen, stieg über die Leberknödeldosen, ging mit ausgestreckten Händen auf ihn zu, das ist eine Überraschung, gut, dass ich Sie treffe, so ein Zufall, ich versuche schon seit Tagen, Sie zu erreichen, aber Sie sind ein viel beschäftigter Mann, immer unterwegs, womöglich in Übersee –
Keineswegs, der Mann stellte seinen Einkaufskorb auf einen Stapel einkartonierter Mandeltorten. Er rieb seine Hände, schaute auf Grün, keineswegs, sagte er.
Hervorragende Ware, Grün deutete auf die Torten, italienisches Gebäck, unbedingt empfehlenswert.
Herr Roth, ich möchte mich nicht über italienische Mandelkuchen unterhalten, mich würde interessieren, ob Sie mit der Violine meines ersten Geigers irgendwelche Fortschritte machen.
Fortschritte ist gar kein Ausdruck, rief Grün, er fasste Barnabas am Arm, schlenderte mit ihm den Gang entlang, Schokoladentafeln, Gummitiere, Mozartkugeln, Maestro, ich selbst hätte es kaum für möglich gehalten, was aus so einem Instrument herauszuholen ist, die Geige ist nicht wiederzuerkennen, die Geige –
Herr Roth, wir versuchen schon seit geraumer Zeit, Sie zu erreichen, haben Sie Ihre Telefonnummer gewechselt? Wir würden gerne bei Ihnen vorbeikommen und uns vom Ergebnis überzeugen, Barnabas holte eine Agenda aus der Sakkotasche, blätterte.
Nächsten Freitag, gegen 14 Uhr, passt Ihnen das?
Freitag ist schlecht, ganz schlecht, ich fahre für vier Tage nach Turin, treffe den ein oder anderen Kollegen vom Fach, eine Konferenz, ein wenig fachsimpeln, kleiner Austausch unter Experten, Sie verstehen.
Montag? Früh um neun?
Wunderbar, Grün breitete die Arme aus, Montag passt ganz ausgezeichnet, er fasste Barnabas am Arm, sie wandelten den Gang wieder zurück, Sie werden staunen, wirklich, Sie wissen nicht, was Sie erwartet, ich habe übrigens mein Atelier verlegt, Schinaglgasse113, klingeln Sie bei Zolgakov, ein leider notwendiges Pseudonym, ich habe Kollegen, denen durchaus schon das ganze Atelier ausgeräumt wurde, und da mein Name langsam an Ruf gewinnt, wie auch immer, sicher ist sicher. Und die Geige – Sie werden staunen, Maestro, staunen. Aber jetzt, er senkte vertraulich die Stimme, Sie müssen ein Paket von dem Mandelkuchen mitnehmen, versprechen Sie es mir.