Vorwort |
1. Berlin, 1989 |
2. Experimentierbaukasten Onomastik |
3. Lückenbach |
4. The Genographic Project |
5. Der Verdacht |
6. Der Name Andrack |
7. Berlin-West, 2006 |
8. Die Internetrecherche |
9. Haplogruppe R1A1 |
10. In Zeischa |
11. Personenstandsarchiv Brühl |
12. Rückführungen und Aufstellungen |
13. Die Krossener Andracks |
14. Eduard |
15. Das Fragezeichen |
16. Eduard senior |
17. Krabats Erben |
18. Die, die mir den Weg ebneten |
Danksagungen |
Bildnachweis |
»Von mir hat er das nicht!«, sagt die Mutter. Und schaut den Vater vorwurfsvoll an, der nur resigniert den Kopf schüttelt. Das Kind steht daneben und ist schwer irritiert, sagt aber besser nichts. Denn das Kind hat gerade DAS gemacht, DAS es nicht von seiner Mutter hat. Aber vom Vater scheint es DAS auch nicht zu haben, weil der sich gerade umdreht und wortlos in die Küche geht.
Irgendwann beginnt man sich zu fragen, von wem man was hat. Talent, Charakter, Macken, Namen. Ich habe schon früh gemerkt, dass der Name Andrack sehr selten ist. Kein Mensch in Köln – außer meiner Familie – hieß so, das verriet schon ein Blick ins Telefonbuch. Es gab obskure Geschichten über die Herkunft des Namens. Mein Großvater Eduard Andrack, so mein Vater, habe einmal in Trier einen Franzosen namens Andrac getroffen. Also eine französische Spur. Andererseits hatte ich auf einer Klassenfahrt nach Prag den Namen Andrakova im dortigen Telefonbuch gefunden. Ein Hinweis auf Wurzeln im Osten?
Es gibt in vielen Familien jemanden, der sich um Stammbäume und Ahnenforschung kümmert. Nennen wir ihn einmal Onkel Herbert. Onkel Herbert sammelt seit Jahren alles zu Vorfahren und Namen. Onkel Herbert nervt auf Familienfesten, aber alle profitieren davon. Denn der Gute hat die lückenlose Nachkommenschaft bis zu Balduin, Fürst von Hohenlohe-Papenbrück, nachgewiesen. Einen stammbaumforschenden Onkel Herbert gab es bei uns nicht. Dafür habe ich einen feschen Onkel Rolf, der heißt auch Andrack, ist der Bruder meines Vaters, und der schleppte, so habe ich das aus meiner Kindheit in Erinnerung, immer die schärfsten Bräute an und war ungefähr der erste Deutsche, der Urlaub im Club Robinson machte. Das waren dann schon alle Andracks, die ich kannte, das war unsere Andrack-Sippe, der Clan.
Für einen Clan schon etwas dünn. Diesen Mangel spürte ich, wenn andere Kinder von Familienfesten mit nicht unter fünfzig Verwandten berichteten und Fotos von unfassbar wunderschönen Cousinen zeigten. Wieso war das bei mir nicht so? Wo waren meine zärtlichen Cousinen? Ich habe zwei jüngere Cousins, aber die heißen noch nicht mal Andrack. Seufz.
Also beschloss ich, dass ich der Onkel Herbert unserer Familie werden würde. Ich hatte keine Ahnung, auf welch verschlungenen Weg ich mich begeben würde: klassische Stammbaumforschung, Archivarbeit und Namensforschung, aber auch Gentests, Psychologie, Esoterik. Zugegeben, manches war ein Irrweg, ein paar Lücken werde ich leider nicht schließen können. Aber ich kann viel darüber berichten, wo ich herkomme, und darüber, von wem ich das alles habe.
Ich würde mich sehr freuen, wenn viele Leser nach der Lektüre sagen, also, die Suche nach den Andracks war interessant, das mache ich jetzt auch für meine Familie und meinen Namen. Um die ersten Recherchen zu erleichtern, habe ich den meisten Kapiteln Gebrauchsanweisungen beigelegt, die hoffentlich die Ahnenforschung so leicht machen, wie ein Billy-Regal zu errichten. Viel Spaß dabei!
Köln, im Sommer 2008
Manuel Andrack
1.
Wie ich auf weitere Andracks stieß, den Traum von einem Hugenottenschloss träumte, eine Berliner Dame verschreckte und warum ich mich dann noch bis auf die Unterhose ausziehen musste
Wenn ich in den vergangenen Jahren von meinem Vorhaben erzählte, Licht ins Dunkel meiner Familiengeschichte zu bringen, schien das jeden zu interessieren. Fast alle sagten, ja, doch, Ahnenforschung, das würde ich auch mal gern machen. Müsste man mal angehen. Wenn man Zeit hat. Nach der Pensionierung oder so, sagen die meisten, ohne zu wissen, wie viele Rentenreformen ihnen noch bevorstehen und ob sie jemals so etwas wie eine Pensionsgrenze erreichen werden.
Ich wollte nicht bis dahin warten, das würde mir definitiv zu lange dauern. Meinen ersten Anlauf hatte ich schon mit 23 Jahren unternommen. Es war der Herbst 1988, ich studierte und ging eines Tages ins Postamt direkt an der Universität. Ein Postamt, wo man sämtliche Telefonbücher der Republik fand. Die neuen Bundesländer gab es natürlich noch nicht, und niemand dachte auch nur im Traum daran, dass es sie jemals geben würde. Ich stand vor über hundert gelben Telefonbüchern in grauen Plastik-Hängeregistern und entschied mich, nur die Telefonbücher der Großstädte durchzusehen. Die Suche war mühsam und ich kam sehr langsam voran. Erfolg hatte ich nur in einem einzigen Buch: In Berlin (West) fand ich sieben Andracks.
Als guter Ermittler wollte ich sofort an den Ort des Geschehens. Und da Ende der Achtziger mein Berufswunsch irgendwo zwischen Steven Spielberg und Alfred Hitchcock angesiedelt war, beschloss ich, zur Berlinale zu fahren, um mir von morgens bis abends Filme anzusehen. Ich glaube, ich habe dann an einem Nachmittag den marokkanischen und den thailändischen Wettbewerbsbeitrag ausgelassen, um mich in eine Berliner Telefonzelle zu stellen. Und zwar in eine Zelle, die über ein intaktes Telefonbuch in einem grauen Hängeregister verfügte. Von denen gab es in Berlin (Weltstadt!) zwei, eines mit den Namen A-K, eines mit den Namen L-Z. Es waren noch richtige Telefonzellen mit den Zellentüren, die sich beim Schließen ins Kreuz drückten und in denen es nach einer Mischung aus kaltem Rauch und ungewaschenem Intimbereich roch. Ich stand also in dieser Westberliner Telefonzelle und rief alle Berliner Andracks an. Ich begann mit einer Dame, deren Vornamen ich vergessen habe, nennen wir sie einmal Elisabeth. Ich wählte Elisabeths Nummer, ich hatte Glück und sie hob ab. Ich nannte meinen Nachnamen und erzählte ihr von meinem Vorhaben, weitere Menschen mit dem gleichen Nachnamen zu kontaktieren. Elisabeth reagierte – für mich verblüffend – total gereizt. Ich solle mich unterstehen, sie weiter auf diese unglaublich plumpe und unverschämte Art und Weise zu belästigen. Dann legte sie auf. Ich bin normalerweise leicht zu entmutigen, aber an diesem bitterkalten Wintertag wollte ich nicht so schnell aufgeben. Ich rief die nächste Frau mit Namen Andrack auf der Liste an. Es meldete sich eine wesentlich jüngere Stimme als die von Elisabeth. Und eine wesentlich freundlichere. Ach, die Elisabeth sei ihre Oma, wurde ich aufgeklärt, die sei manchmal ein bisschen misstrauisch Fremden gegenüber. Sie selber heiße gar nicht mehr Andrack, da sie geheiratet habe, aber ich solle mich mal an ihren Vater Jörg wenden, der habe ein Busunternehmen und könne mir bei meinen Nachforschungen zur Familie Andrack mit Sicherheit helfen. Das Busunternehmen Andrack war mir schon aufgefallen, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, zuerst bei einem Betrieb anzurufen.
Ich fuhr direkt zur angegebenen Adresse und wurde von der Schwester des Busunternehmers mit einem Heißgetränk und sämtlichen Stammbäumen der Westberliner Andracks empfangen. Alle sieben »Telefonbuch-Andracks« waren miteinander verwandt. Eine Verbindung zu meinem Urgroßvater Eduard war auf keinem der Stammbäume herzustellen. Hatte ich also mit den Berlinern nichts zu tun, war ich gleich zu Beginn meiner Suche in eine Sackgasse geraten?
Stammbäume bilden in der Regel Mutter und Vater der vorangegangenen Generationen ab. Wenn sie einigermaßen komplett sind, wie es bei den Bus-Andracks der Fall war, ergibt sich ein schöner, nach oben sich öffnender Trichter. Was nicht verzeichnet wird, sind die Geschwister, und die waren zumeist überaus zahlreich. Irgendein Berliner Andrack könnte also der Bruder meines Urgroßvaters Eduard gewesen sein. Die sieben Berliner Andracks und die Kölner Andracks waren doch die einzigen Andracks auf der Welt, und da müsste es doch mit dem Teufel zugehen, wenn sich keine Verbindung finden würde.
Die Bus-Andracks stammten von Windmüllern im Brandenburgischen ab, die wiederum – so wurde vermutet – womöglich holländische Vorfahren hatten. Diese Rechnung ging auf: Mühlen + Wind = Holland! Und wahrscheinlich waren den niederländischen Andracks die Deiche zu unsicher gewesen oder der Gulden zu schwach oder die Tulpen zu rot, ist ja auch egal, auf jeden Fall hatten sie anscheinend nach Brandenburg »rübergemacht«. Diese holländischen Wurzeln konnten auch meinen dunklen Teint erklären und erst recht das Aussehen meines Cousins Carsten, der fast schon eine indisch anmutende Hautfärbung hat. Könnte das nicht ein Hinweis auf die Beimischung holländischer Kolonialprovinzen sein? Waren wir die entfernten Nachfahren von Frau Antje, die eine Verbindung mit den Vorfahren von Ruud Gullit und Frank Rijkaard eingegangen war?
Die mögliche Sumatra-Connection passte eigentlich hervorragend zu der Geschichte, dass mein Großvater in den 1960er-Jahren in Trier einem Franzosen namens Andrac begegnet war. Denn wer war in Scharen nach Holland und Brandenburg seit 1685 geflohen? Klar, die Hugenotten! Ich sah mich als ein Nachfahre des wohl ehemals berühmten Hugenottengeschlechts der D’Andracs. Diese Hugenottenspur, an der es überhaupt keinen Zweifel gab, würde mich in ein paar Jahren, wenn die Abstammung geklärt wäre, zu meinen Schlössern an der Loire führen. Und dann würde ich sagen: »Voilà, Monsieur Franzosenschlächter und Hugenottenvertreiber: Her mit den Schlüsseln. Lange genug hast du mich und meine Vorfahren um unser rechtmäßiges Erbe betrogen. Verpiss dich, dieses Schloss geht wieder in den Besitz der D’Andracs über!«
Die Erbstreitigkeiten mit den Berlinern Andracks wären schnell beigelegt: Der eine nimmt den West-, der andere den Ostflügel, oder so.
Nach diesem ersten Recherche-Erfolg beschloss ich, die drei Stunden bis zum nächsten Film zu nutzen, um einen kurzen Abstecher in die DDR zu machen. Vielleicht gab es auch im Hauptpostamt in Ostberlin ganz viele Telefonbücher in Hängeregistern, die weitere Andracks verzeichneten. Ich fuhr mit der U-Bahn zum Grenzübergang Friedrichstraße. Dort wurde ich der üblichen minutenlangen Gesichtskontrolle unterzogen. Irgendetwas gefiel den Grenzern nicht an meinem Gesicht. Unzählige Grenzkontrollen auf dem Weg von und nach Westberlin hatte ich im Zug bisher über mich ergehen lassen, und alle waren problemlos verlaufen. Nur jetzt wurde ich in einen kleinen Raum gebeten und musste mich bis auf die Unterhose ausziehen. Hatte man mir den Hugenotten angesehen, oder wollte man nicht, dass ich die Andracks im Osten aufspürte? Es dauerte zwei Stunden, in denen ich über jeden Zeitungsausriss und jede KVB-Fahrkarte in meinem Portemonnaie Auskunft geben musste. Als ich schließlich »drüben« war, hatte ich noch fünf Minuten Zeit, vom Zwangsumtausch eine Gesamtausgabe der Werke von Gottfried Keller zu kaufen. Dann habe ich die Grenze in umgekehrter Richtung passiert, um meinen Abendfilm nicht zu verpassen.
Ich wollte wiederkommen, um nachzuprüfen, ob es auch im Osten Deutschlands Andracks gibt. Und daran würden mich auch die Sicherheitskräfte der DDR nicht hindern. Dass es dann schon bald keine DDR mehr gab, war eine historische Hilfestellung, die mir den Weg frei machte. 17 Jahre später habe ich den Ariadne-Faden meiner Stammbaumforschung wieder aufgenommen. Vorher wollte ich die Bedeutung meines Nachnamens klären und begab mich dabei auf ein mir unbekanntes Terrain: Onomastik. Keine Perversitäten verbergen sich hinter diesem Begriff. Es ist die korrekte wissenschaftliche Bezeichnung für den Zweig der Sprachwissenschaft, der sich mit Namensforschung beschäftigt.
Die Gebrauchsanweisung
Die Familienforschung ist in drei Disziplinen aufgeteilt.
1. Die Herkunftsforschung/Genealogie:
Hierbei handelt es sich um die klassische Stammbaumforschung.
2. Die Namensforschung/Onomastik:
Man versucht herauszufinden, zu welchem der vier Grundtypen ein Nachname gehört und in welchen Regionen und Ländern er besonders häufig anzutreffen ist. Und was der Nachname überhaupt bedeutet.
3. Die Gen-Forschung:
Erst seitdem es relativ leicht ist, DNA-Stränge aufzudröseln, kann man feststellen, von welchen Stämmen und Sippen der Weltfamilie man abstammt.
2.
Was der Nachname alles verrät, was die Herren Kowalski und Ferrari gemeinsam haben und was Frau Feldbusch, Frau Stratmann und Herrn Beckmann verbindet
Da ein Experimentierbaukasten der Namensforschung nicht gerade ein Verkaufsrenner im Vorweihnachtsgeschäft wäre, muss man ihn sich selbst zusammenstellen. Unbedingt braucht man die beiden Bibeln der Namensforschung: Professor Udolphs Buch der Namen und den dtv-Atlas Namenskunde. Udolph, dessen Nachname im Übrigen ähnlich selten wie Andrack ist, ist der einzige ordentliche Onomastik-Professor in Deutschland. Er hat eine eigene langjährige Beratung bei Radio 1 und WDR 5, wo er Anrufern die Herkunft ihrer Nachnamen entschlüsselt. Der dtv-Atlas fasst dagegen in knapper Form alles Wissenswerte über Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet zusammen.
Das Schöne an der Onomastik im Vergleich zu allen anderen Disziplinen der Ahnenforschung ist, dass man schnell zu Ergebnissen kommt. In den meisten Fällen weiß man schon nach wenigen Stunden, in welche Kategorie der eigene Nachname einzuordnen ist.
In Deutschland und im gesamten mitteleuropäischen Sprachraum gibt es vier Kategorien:
1. Die Berufsnamen
Am weitesten verbreitet sind Namen, die den Beruf benennen. Um die ganzen Hermanns, Woldemars und Horsts des Dorfes zu unterscheiden, verpasste man ihnen als Appendix noch ihren Beruf. So sorgte man zumindest im eigenen Dorf für eine klare Zuordnung, weil es eben nur einen Schulzen oder einen Schmied gab. Die Berufsnamen geben daher gleichzeitig einen Überblick über die häufigsten mittelalterlichen Berufe. Damals ging man dazu über, auch bei Nichtadeligen dem Rufnamen noch einen Nachnamen beizufügen. Die vierzehn häufigsten deutschen Namen sind allesamt Berufsnamen:
1. Müller
2. Schmidt
3. Schneider
4. Fischer
5. Meier
6. Weber
7. Schulz
8. Wagner
9. Becker
10. Hoffmann
11. Schäfer
12. Koch
13. Bauer
14. Schröder
Dass es für Schmidt bei der Namensolympiade nur für die Silbermedaille gereicht hat, ist eigentlich ungerecht. Denn auch die Schreibweisen Schmitt, Schmid und das rheinische Schmitz verweisen auf den Beruf des Schmieds. Nicht zu vergessen die herabsetzenden Verkleinerungsformen wie Schmidtke, Schmidtlein, Schmidle und Schmidtchen. Komisch ist, dass die Berufsbezeichnung in der heutigen Schreibweise, also »Schmied«, so gut wie nie als Nachname auftaucht. Eine Erklärung habe ich nicht gefunden.
Auch in anderen europäischen Ländern wird bei den Nachnamen der metallverarbeitenden Industrie gehuldigt. Der skandinavische Smed und der englische Smith kommen uns noch ziemlich vertraut vor. Aber ich wusste nicht, dass der gute alte Kohlenkumpel Kowalski der polnische Schmidt ist. Auch die Vorfahren der kroatischen Fußballbrüder Niko und Robert Kovac haben ihren Fuß nicht zum Spielen, sondern zur Betätigung eines Blasebalgs gebraucht. Im Süden und Westen Europas gab man dem Mann mit dem Hammer seinen Namen nach dem Metall, das er bearbeitete: Eisen. So heißt der spanische Schmidt Herrera, der portugiesische Ferreira und der französische Fèvre oder Lefèvre. Und die italienischen Schmidts stellen heute Nussnugatcreme und schnelle Autos her. Ferrero und Ferrari. Das ist die europäische Schmidt-Union.
2. Die Übernamen
Es ist nicht schön, Menschen nach Äußerlichkeiten zu beurteilen. Aber um eine Person genau zu beschreiben, sind Aussehen und Verhaltensweisen ideal. Vor allem Spitznamen funktionieren so: »der Lange«, »der Schwatte« (Spitzname des Ex-Fußballprofis Ulf Kirsten), aber auch einfach »die fette Sau«. Das konnte man sich bei der Namensgebung nicht entgehen lassen. Nach den Berufen schaffen es folgende Übernamen in die Top 30:
15. Klein
19. Schwarz
22. Braun
25. Lange
28. Krause
Schwieriger wird es, wenn die Wesensart der Menschen beschrieben wurde. Der Faulmann, der Zenker und der Greiner, der sich bestimmt nicht durch übertriebene Fröhlichkeit ausgezeichnet hat. Und dann kommen die körperlichen Unzulänglichkeiten. Der Stolterfoth ist wohl häufig über die eigenen Füße gefallen, der Stotterjohann musste zur Logopädin, und der Blatter war einfach ein Mensch, der die Pusteln hatte. Und genauso wie unsensible Menschen unsere europäischen Freunde Spaghettis oder Froschfresser nennen, hat man im Mittelalter den Mitbürgern Nachnamen verpasst, die auf deren Ess- und Trinkverhalten verwiesen: Schluckebier, Brotkorb oder Morgendrunk.
3.A. Die Herkunftsnamen
Der Herkunftsname orientierte sich am Geburtsort. Der Konrad wohnte, sagen wir mal, in Köln. Um ihn von den anderen Kölner Konrads zu unterscheiden, nannte man ihn nach seiner Herkunft. Und da der Konrad aus Adenau stammte, »von Adenau kam«, wurde er Konrad Adenau oder Adenauer genannt. In Adenau selber hieß kein Mensch Adenauer, denn dort wohnten genau genommen nur Adenauer, und das ist heute noch so. Das heißt, nur wer fortging, konnte seinen Geburtsort zum Namen machen. Aber wichtig war: Der Ortsname musste halbwegs geläufig sein. Wenn man jemanden Adenauer nennt, sollte man eine Vorstellung haben, wo dieses Adenau liegt. Wenn Sie sich das auch gerade fragen: Es liegt in der Eifel direkt an der Nordschleife des Nürburgrings. Landschaftlich wunderbar, aber leider höllenlaut.
3.B. Die Wohnstättennamen
Viele unterscheiden bei den Herkunftsnamen zwischen dem reinen Herkunftsnamen und dem Wohnstättennamen. Der Wohnstättenname dient dazu, innerhalb einer Ortschaft Bewohner zu unterscheiden. Um beim Beispiel Adenau zu bleiben: Wenn die Bewohner dort alle Adenauer waren, musste man ihre Herkunft anders, nach Eigenschaften im Ort definieren. Wohnte einer nahe an Büschen, konnte er Feldbusch oder Poschmann heißen. Wohnte er an der Straße, war er der Stratmann, oder wurde er in der Wirtswohnung des Gasthauses zum Lamm geboren, hieß er vielleicht Lämmle. Und wer am Bach wohnte, hieß Bachmann, Beckmann oder vielleicht auch Lückenbach, der Mädchenname meiner Mutter.
4. Die Rufnamen
Bei der direktesten, archaischsten, man könnte auch sagen primitivsten Nachnamenform wird einfach der Name des Vaters an den Rufnamen des Kindes angehängt. In skandinavischen Ländern scheint es ausschließlich Söhne von Sven, Anders, Jens und Hans zu geben. Und auch der Affe von Pippi Langstrumpf hatte wahrscheinlich einen Vater, der Nils hieß. Der Sohn des Russen Sergej hieß Sergejewitsch, der Sohn des spanischen Martin Martinez, und Petrov aus Bulgarien hatte einen Vater namens Peter. Noch heute bekommen alle isländischen Söhne ein -son und die Töchter ein -dottir an den Vaternamen angehängt. Wie die Mutter heißt, interessiert überhaupt nicht. Daher sind auch die deutschen Nachnamen, die sich auf einen Vornamen beziehen, ausschließlich männlich. Und jeder, der beispielsweise Lutz, Heinz oder Klaus mit Nachnamen heißt, muss seinem Gegenüber immer umständlichst auseinandersetzen, welches denn sein Rufname und welches sein Nachname ist.
Nach relativ kurzer Beschäftigung mit dem Thema Namensforschung ist man also in der Lage, seinen eigenen und andere Namen einer der vier Obergruppen zuzuordnen. Ein schönes Spiel für langweilige Partys und Stehempfänge. »Andrack« musste in die Kategorie der Rufnamen fallen, da er sich augenscheinlich von Andreas ableiten ließ. Aber Andreas war nicht immer gleich Andreas, wie ich langsam begriff.
Die Gebrauchsanweisung
Dies sind meine Buch-Tipps:
Jürgen Udolph:
Professor Udolphs Buch der Namen. Woher sie kommen, was sie bedeuten. München 2005
Konrad Kunze:
dtv-Atlas Namenskunde. Vor- und Familiennamen im deutschen Sprachgebiet. München 2004
3.
Warum man immer noch die Gene meiner Schmied-Vorfahren nachweisen kann, wie wunderbar mein Urgroßvater gestorben ist und was es mit der schönen Cousine zweiten Grades auf sich hatte
Mein Name ist Andrack, Manuel Andrack. Die Vorstellung macht schon klar, welche Bedeutung der Nachname zur Unterscheidung von anderen Mitmenschen hat. Aber genetisch macht der Andrack-Anteil bei mir nur etwa 50 Prozent aus. Klar, denn ich habe auch eine Mutter. Und die hieß nicht Andrack. Bei gebräuchlichen Namen kommt es schon mal vor, dass Frau Müller einen Herrn Müller heiratet, aber meine Mutter ist eine geborene Lückenbach.
Lückenbach. Als frisch gebackener Namensforscher kann ich die Kategorien Berufsname, Rufname und Übername ausschließen. Aber dann wird es schwierig. Ist Lückenbach ein Herkunftsname oder ein Wohnstättenname? Wo findet man einen Lückenbach? Es ist etwas sonderbar, einen Bach Lückenbach zu nennen, denn Bäche mit Lücken sind ziemlich unpraktisch. In Deutschland existieren meines Wissens drei Bäche mit diesem Namen. Einer fließt im Landkreis Marburg, zwei in der Nordeifel. Der erste Eifel-Lückenbach mündet in den Sahrbach, der wiederum in die Ahr fließt. In der Nähe dieser Lückenbach-Quelle liegt ein kleines Dorf mit 82 Einwohnern, das auch Lückenbach heißt. Ich bin mal auf einer Radtour daran vorbeigekommen. Seitdem hatte ich mir eingebildet, der Ort und der Bach hätten etwas mit meiner Mutter zu tun. Ich wusste, dass Generationen von Lückenbachs aus den südlich von Bad Münstereifel (das Bad Münstereifel mit dem Heino-Café) gelegenen Gemeinden Schönau, Mahlberg und Langscheid kamen. Und wenn man auf einer Landkarte in großem Maßstab genau hinschaut, erkennt man noch einen Lückenbach, der in Schönau in die Erft fließt. »Meine« Lückenbachs beziehen sich wohl eher auf den Schönauer Lückenbach. Nicht genug der Namensprägungen: Denn die Auenlandschaft, die durch den Zusammenfluss von Dreisbach und Lückenbach in die Erft entstand, fanden Menschen anscheinend so bezaubernd, dass sie die Stelle schöne Aue, also Schönau tauften.
In Schönau ist der Name Lückenbach weitverbreitet, anscheinend handelt es sich um einen Wohnstättennamen, der den spezifischen Wohnort, nicht die Herkunft markiert.
Um mehr über die Lückenbachs zu erfahren, wandte ich eine simple Methode an, die von vielen Namensforschern und Genealogen empfohlen wird, wenn man etwas über die Ahnen in Erfahrung bringen will: Ich fragte meine Mutter. Und die begann zu erzählen.
Mein Ururgroßvater Jacob Lückenbach lebte als Ackerer in Langscheid, einem Dahinter-kommt-gar-nichts-mehr-Dorf oberhalb von Schönau.