Anmerkung der Übersetzer:
Der besseren Lesbarkeit wegen haben wir an einigen Stellen Zitate aus Songtexten oder Gedichten und Verweise, etwa auf W. S. Burroughs oder Rimbaud, eingedeutscht.
Es wurde vieles über Robert gesagt, und so vieles ist noch zu sagen. Junge Männer werden seinen Gang imitieren. Junge Mädchen in weißen Kleidern werden um seine Locken weinen. Man wird ihn verdammen oder verehren. Seine Exzesse geißeln oder romantisch überhöhen. Am Ende wird man die Wahrheit in seinem Werk finden, der eigentlichen Verkörperung des Künstlers. Sein Werk wird nicht vergehen. Es entzieht sich dem menschlichen Urteil. Denn die Kunst besingt Gott und ist letztlich sein.
Ich schlief, als er starb. Ich hatte im Krankenhaus angerufen, um ein letztes Mal Gute Nacht zu sagen, aber er war weggedämmert, eingehüllt in einen Mantel aus Morphium. Ich hielt den Hörer noch in der Hand und lauschte seinen mühsamen Atemzügen. Es würde das Letzte sein, was ich von ihm hörte, das wusste ich.
Später ordnete ich still meine Sachen, mein Notizbuch und meinen Füllfederhalter. Das kobaltblaue Tintenfass, das ihm gehört hatte. Meinen persischen Becher, mein Purpurherz, ein Tellerchen mit Milchzähnen. Ich stieg langsam die Treppe hoch und zählte dabei jede Stufe, alle vierzehn, eine nach der anderen. Ich deckte das Baby im Kinderbett zu, küsste meinen schlafenden Sohn, legte mich zu meinem Ehemann und sprach meine Gebete. Noch lebt er, flüsterte ich, daran erinnere ich mich noch. Dann schlief ich ein.
Ich wurde früh wach, und als ich die Treppe hinunterging, wusste ich, dass er tot war. Alles war still, bis auf den laufenden Fernseher, den jemand über Nacht angelassen hatte. Auf einem Kultursender lief eine Oper. Es zog mich zum Bildschirm, als Tosca voller Inbrunst und Verzweiflung ihre Liebe zu dem Maler Cavaradossi bekundete. Es war ein kalter Märzmorgen, und ich streifte mir einen dicken Pullover über.
Ich zog die Jalousien hoch, und mein Arbeitszimmer füllte sich mit Licht. Ich glättete den schweren Leinenüberwurf auf meinem Sessel und nahm ein Buch mit Gemälden von Odilon Redon zur Hand; die Seite, die ich aufschlug, zeigte den Kopf einer jungen Frau, über einer Wasserfläche schwebend. Les yeux clos. Hinter ihren blassen Lidern verbarg sich ein noch unberührtes Universum. Das Telefon klingelte, ich stand auf und nahm den Anruf entgegen.
Es war Edward, Roberts jüngster Bruder. Er sagte, er habe Robert einen letzten Kuss von mir gegeben, wie versprochen. Ich stand da wie erstarrt, dann ging ich langsam, wie in einem Traum, zu meinem Sessel zurück. In diesem Moment begann Toscas große Arie Vissi d’Arte. Ich lebte für die Liebe, ich lebte für die Kunst. Ich schloss die Augen und faltete die Hände. Die Vorsehung hatte bestimmt, wie ich Abschied nehmen würde.