Bettina Wündrich
Einsame Spitze?
Warum berufstätige Frauen glücklicher sind
Rowohlt Digitalbuch
Bettina Wündrich, geboren 1960 in Stuttgart, lebt in München. Die Diplom-Soziologin und Journalistin war stellvertretende Chefredakteurin bei «ELLE», Gründerin und Chefredakteurin von «Glamour», «Vogue Business» und «emotion». Bettina Wündrich ist heute Beraterin für Entwicklungsprojekte bei Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen, freie Autorin und Dozentin an der Deutschen Journalistenschule in München.
Frauen kämpfen heute nach wie vor um ein selbstbestimmtes Leben. Sie wollen einen guten Job, kommen aber nur schwer dahin, wo es interessant wird. Sie wollen Mutter sein und arbeiten stoßen aber wegen der Kinder an Grenzen der Machbarkeit. Sie wollen mit ihrem Partner gleichberechtigt leben, müssen aber feststellen, dass er das bessere Einkommen hat. Und sie müssen sich vorwerfen lassen, selbst schuld zu sein: schuld daran dass sie weniger verdienen, weil sie angeblich schlecht verhandeln. Schuld daran nicht in der Führungsetage zu sitzen, weil sie scheinbar durchsetzungsschwach sind — oder einfach zu feige. Wo es die «hässliche Karrierefrau» gibt, ist die «bequeme Mutti» nicht weit: Der Frust, die Enttäuschungen von Frauen machen auch anfällig für Vergleiche untereinander. Es findet sich immer jemand, der sagt, man solle doch ein bisschen anders sein: ehrgeiziger. Kinderreicher. Verheirateter. Häuslicher. Karrierebezogener.
Bettina Wündrichs Buch ist ein Plädoyer für persönliche und ökonomische Unabhängigkeit. Sie plädiert nicht für Karriere statt Kinder. Im Gegenteil. Aber erst wenn uns bewusst wird, wie wichtig Berufstätigkeit für Frauen ist, können wir auch die Vereinbarkeit von Kindern und Karriere fordern.
Die Namen der für dieses Buch interviewten Frauen wurden von der Autorin geändert.
Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juli 2011
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ISBN Buchausgabe 978-3-498-07380-0 (1. Auflage 2011)
ISBN Digitalbuch 978-3-644-01251-6
www.rowohlt-digitalbuch.de
ISBN 978-3-644-01251-6
In: Maybrit Illner, Frauen an der Macht
Stat. Bundesamt, Mikrozensus 2008; Kleinert, Frauen an der Spitze; Studie: Frauen in Führungspositionen. Barrieren und Brücken. Sinus Sociovision, Heidelberg 2010
Stat. Bundesamt, 2008
SZ, 28. 08. 10.
Stat. Landesamt Baden Württemberg
Bundeszentrale für Politische Bildung
Allmendinger, Verschenkte Potenziale?
Allmendinger, Verschenkte Potenziale?
Der Spiegel, 03. 07. 06
Zeit Magazin, 19. 11. 09
Choosing Childlessness, in: Sociological Inquiry, August 2005
SZ, 17. 10. 09
Studie des Deutschen Jugendinstituts 2008
Studie des Deutschen Jugendinstituts 2008
Die Welt, 05. 03. 10
www.bildungsspiegel.de.
Pressemitteilung des DIW Berlin vom 26. 03. 2010
SZ, 2. 10. 2010
faz.net, 07. 10. 10
DIW, 2009
Begabte Mädchen, schwierige Jungs
Der Spiegel, 11. 10. 10
Sinus Sociovision, Frauen in Führungspositionen. Barrieren und Brücken, Heidelberg 2010
Nachzulesen zum Beispiel bei Prof. Dr. Gertraude Krell in Juliane Achatz u.a., «Geschlechterungleichheiten im Betrieb», 2010
Brigitte, 07. 09. 09
gew.de, 03. 03. 10
Statistisches Bundesamt
FAS, 14. 02. 10
Stern, 22. 06. 10
FAS, 15. 11. 10
faz.net, 07. 09. 09
In: ZDF Nachtstudio, 01. 08. 10
Statistisches Bundesamt
Zeit Magazin, 13/2009
Stat. Bundesamt Wiesbaden für 2009
manager magazin, 01/2006
Welt online, 14. 08. 09
ipsos, August 2010
FAZ, 03. 09. 09
SZ Magazin, 15. 10. 10
Zeit Magazin, 08. 10. 2009
FAS, 14. 02. 10
emotion, 10/09
Cornelia Behnke, Michael Meuser: Vereinbarkeitsmanagement. Zuständigkeiten und Karrierechancen bei Doppelkarrierepaaren, 2005
FAZ, 27. 03. 10
FAS, 10. 01. 10
Familienbericht der Bundesregierung, Juni 2010
Welt online, 02. 08. 10
SZ, 03. 11. 10
KKH Allianz
Die Zeit, 14. 10. 10
Zitiert aus MensHealth.de, 31. 08. 2007
Der Spiegel, 15. 03. 10
Welt online, 03. 11. 10
Vorwerk Familienstudie 2010
Untersuchung von Innofact, Mai 2010
Electrolux 2010
Das Grüne Männer-Manifest ist zu finden unter blog.gruene-nrw.de
Merkur, Juli 2010
Rhein-Zeitung.de, 02. 11. 10
Emma, Mai/Juni 2009
Familienreport 2010 des Bundesfamilienministeriums
Zeit Magazin, 30. 12. 09
SZ, 17.09.10
Stern, 30.09.10
DIW Führungskräfte-Monitor 2010
Ermittelt von Demoskopie Allensbach, FAS, 29. 09. 10.
«Generation 30», FAS, 23. 05. 10
FAS, 13. 09. 2009
rheingold-Studie «Die deutsche Angst vorm Kinderkriegen», November 2010
sueddeutsche.de, 02. 09. 10
Eurostat, SCB Statistics Sweden. Die Zahlen sind von 2008
SZ, 26. 11. 2010
taz.de, 03. 08. 2010
Zahlen aus: «Frauen auf dem Sprung»
Deutschlandradio Kultur, 08. 09. 10
SZ, 25. 06. 10
jetzt, 22. 09. 94
FAZ, 05. 05. 2007
Die Zeit, 13. 12. 10
Der Spiegel 02/2011
Nido, 2–2011
Verein für soziales Leben e.V., 2010
Für meine Nichten Saskia, Franka und Fanny.
Weil sie das große Abenteuer, ihren Weg zu finden, noch vor sich haben.
Das Schlüsselerlebnis zu diesem Buch war mein Abiturtreffen. Dreißig Jahre nach unserem Schulabschluss trafen wir, die Absolventinnen eines Mädchengymnasiums, uns wieder – nachdem uns die Liebe und berufliche Ambitionen in alle Himmelsrichtungen verstreut hatten. Was ist aus uns, wie sind wir geworden? An diesem Vormittag prallten lauter unterschiedliche Lebensentwürfe aufeinander. Unter den «Ehemaligen» waren Mütter, die aufgehört hatten zu arbeiten, als das erste Kind kam, und die dann den Wiedereinstieg in den Job nie mehr schafften. Anderen – Anwältinnen, Architektinnen und Ärztinnen – war es gelungen, Familie und Beruf zu vereinen, wenngleich mit hängender Zunge. Und es gab eine Handvoll Frauen, die eine Karriere hatten, aber keine Kinder. Auch wegen der Karriere. Wie ich zum Beispiel.
Für Beobachter war es ein heiteres Treffen, ein fröhliches Hallo. Aber für uns standen an diesem Vormittag unsere Lebensentwürfe auf dem Prüfstand. Ich kam mir vor wie das Schreckgespenst, das wir auch aus Zeitschriften, Zeitungen und TV-Serien kennen: erfolgreich, einsam, kinderlos. Erstaunlich, welch schlechtes Image Karriere hierzulande immer noch hat: Karriere macht, dass Frauen die Männer weglaufen. Sie formt uns zu gehetzten, geldgeilen Egoistinnen. Und im Alter, wenn es dann zu spät ist für privates Glück, lässt sie uns verrunzelt links liegen. So entstand die Idee zu diesem Buch: das hartnäckige Klischee der hässlichen «einsamen Spitze» anzugreifen.
Wer keine Familie hat, gerät leicht in den Verdacht, Kinderhasserin zu sein. Oder sich selbstsüchtig vor dem Erhalt unserer Gesellschaft zu drücken. «Warum hast DU eigentlich keine Kinder?» Diese Frage höre ich regelmäßig – übrigens auch häufig von Frauen –, und sie wird mir vorzugsweise dann gestellt, wenn möglichst viele Zuhörer um mich herumstehen. Ja: Unser Land hat eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt. Dennoch ist und bleibt es eine private Entscheidung, keine Kinder haben zu wollen. Vielleicht sollten wir auf Partys lieber darüber reden, dass Frauen immer noch nicht das Leben führen können, das sie möchten?
Frauen kämpfen heute nach wie vor um ein selbstbestimmtes Leben. Sie wollen einen guten Job, kommen aber nur schwer dahin, wo es interessant wird. Sie wollen auch Mutter sein, stoßen aber wegen der Kinder an Grenzen der Machbarkeit. Sie wollen ein gleichberechtigtes Leben mit ihrem Partner führen, müssen aber feststellen, dass er das bessere Einkommen hat. Und so entstand ein weiterer Aspekt für dieses Buch. Denn wo es die «hässliche Karrierefrau» gibt, ist die «feige Mutti» nicht weit: Der Frust, die Enttäuschungen von Frauen machen uns auch anfällig für Vergleiche untereinander. Es findet sich immer jemand – auch aus den eigenen Reihen –, der uns sagt, wir sollten doch ein bisschen anders sein: Ehrgeiziger. Kinderreicher. Verheirateter. Häuslicher. Karrierebezogener. Würden wir die Kunst der eigenen Wertschätzung besser beherrschen, fielen die Vorwürfe nicht auf so fruchtbaren Boden. Wir stellen unser Licht immer noch unter den Scheffel.
Jede Frau sollte Karriere machen können. Die Frage ist nur, ob das Karrieremodell, welches die Arbeitswelt Frauen und Männern anbietet, eines ist, das wir wollen. Dieses Modell verlangt männliche Härte und Ellenbogen. Und integriert nicht die Familie. Wenn man die wenigen Frauen, die den Aufstieg geschafft haben, über ihre Karriereeigenschaften reden hört, kommen schnell Zweifel, ob man mit ihnen tauschen möchte: «Außerordentlich hohe Leistungsbereitschaft» bräuchten Frauen, um nach oben zu gelangen, «Durchhaltevermögen», und «Abstriche» im Privatleben müssten sie selbstverständlich auch in Kauf nehmen. Das klingt so sexy wie eine Trainingseinheit im Boot Camp.
Vielleicht ist es ja so: Frauen wollen Karriere machen. Aber auf ihre Art.
Ich habe sehr viele Gespräche geführt. Anfangs mit Frauen, die wie ich zur angeblich «einsamen Spitze» gehören, unverheiratete, kinderlose «Karrierefrauen». Ich wollte wissen: Mit welchen Partnern lässt es sich am besten l(i)eben? Wie meistern beide den Karrierealltag? Gibt es Neid, Missgunst? Ich sprach mit Soziologen, Psychologen, Wirtschaftswissenschaftlern, vertiefte mich in Untersuchungen über die Chancen von Frauen, über den Verhaltenskodex auf Führungsetagen, der ein männlicher ist. Ein Fazit vorweg: Die «gläserne Decke» ist heute aus Beton – und das macht die Frauenquote zur Notwendigkeit.
Mir wurde außerdem bewusst, wie dramatisch heute noch Kinder das Leben einer Frau verändern. Ich diskutierte mit meinen Ex-Klassenkameradinnen, mit Müttern in Führungspositionen, mit Kolleginnen: Wie könnte ein Arbeitsmodell der Zukunft aussehen?
An manchen Abenden führte mich meine Recherche nur ein paar Häuser weiter: zu einer Freundin auf die erdbeerrote Couch, während ihre beiden Kinder schliefen. Dann wieder ergab es sich, dass meine Interviewpartner dort in Deutschland saßen, wo mein eigenes Leben entscheidende Wendungen genommen hatte. Ich besuchte das Gymnasium, auf das ich gegangen war, meine Uni. Stationen eines Lebens, das für meine Generation typisch ist. Die achtziger Jahre haben mich stark beeinflusst; ich wurde sozialisiert im selbstbewussten Klima des Post-Feminismus. Ich lief in lila Latzhosen über den Campus, weil ich mich als ein Teil der Emanzipationsbewegung fühlen wollte – obwohl die schon am Abklingen war. Aber ein bisschen davon blieb trotzdem an mir kleben. Autonomie! Meine Generation war auf dem Weg, ein selbstbestimmtes, gleichberechtigtes Leben zu führen.
Dreißig Jahre später suchen Frauen noch immer danach. Wir Frauen auf dem Abitreffen, wir fühlten uns mit Anfang 20 in einem Punkt besser als die jungen Frauen heute: Wir hatten die Beschränkungen klarer vor Augen. Wir wussten, wo wir an den Verhältnissen scheitern würden. Es gab keine Unikindergärten oder Kitas, keine flexiblen Arbeitszeitmodelle. Das war natürlich nicht gut. Aber wenigstens war uns durch diese Beschränkungen bewusst, dass wir uns nur auf uns selbst verlassen konnten, wollten wir das «Unübliche», das Unkonventionelle: einen erfüllenden Beruf und Kind.
Die herrschende Meinung ist, der Feminismus habe sich inzwischen selbst erledigt. Manch junge Politikerin erschaudert ja schon allein beim Wort, und das Feindbild der männerverschreckenden Emanze geistert wieder durch die Medien. Und eigentlich ist die Gleichberechtigung doch auch schon weitgehend durchgesetzt, oder etwa nicht? Frauen haben doch heute alle Möglichkeiten! In der Tat hören besonders die jungen Frauen dauernd, dass die Wirtschaft sie dringend braucht, so gut ausgebildet und qualifiziert, wie sie heute sind. Aber die Frauen halten sich zurück. Was schreckt sie ab? Das Problem ist: Frauen erhalten widersprüchliche Botschaften. Aus der Politik. Oder wenn sie ihren Gehaltszettel anschauen. Ein paar Gesetze lassen sie auch daran zweifeln, ob sie wirklich gleichberechtigt sind.
Deutschland braucht auch Frauen, die Kinder bekommen. Aber Akademikerinnen bekommen immer weniger Nachwuchs. Um gerade sie zur Familiengründung zu animieren, wurden Vätermonate und Elterngeld eingeführt. Die Bundesregierung verspricht sogar, dass es bis 2013 genügend Krippenplätze für unter Dreijährige geben soll. Allerdings lohnt sich das Arbeiten für verheiratete Mütter, die länger pausiert haben und mit Schulkind wegen der fehlenden Ganztagsschulen nur mit einem mäßig bezahlten Teilzeitjob wieder einsteigen, sowieso kaum. Wenn ihr Mann besser verdient als sie (was wahrscheinlich ist), kommt sie in die Steuerklasse mit den höheren Abzügen.
Manch kritische Beobachterin sieht Frauen schon wieder in die Vollzeit-Mutterrolle flüchten – zu viele Stolpersteine behindern sie auf dem Arbeitsmarkt. Dann lieber Kuschelecke, auch wenn daneben der Putz- und Windeleimer steht. Wer verheiratet ist, sollte sich allerdings längerfristig gut überlegen, ob das, was heute schönfärberisch «Familienmanagerin» genannt wird, der richtige Weg ist. Es könnte ja sein, dass die Ehe vielleicht doch irgendwann in die Brüche geht – und im Fall einer Trennung möchte der Staat dann doch, dass die Frau arbeiten geht. Um sie zu mehr Eigenverantwortlichkeit zu erziehen, hat er das neue Unterhaltsrecht gemacht. Verkürzt dargestellt sieht das so aus: Nach dem dritten Geburtstag des Kindes ist für eine geschiedene Frau Schluss mit lustig. Legt man das Gesetz streng aus, muss ihr Ex-Mann dann nur Unterhalt für das gemeinsame Kind zahlen, aber keinen Cent mehr an sie – denn sie hat doch einen Beruf erlernt. Ach, sie hat die letzten Jahre wegen der gemeinsamen Kinder pausiert und findet auf dem Arbeitsmarkt keinen Anschluss mehr? Ach was, so schlimm wird es schon nicht werden. Hey, das 21. Jahrhundert ist doch weiblich! Unsere Wirtschaft braucht die Frauen und ihre angeblichen sozialen, einfühlsamen und kommunikativen Fähigkeiten.
Sind Frauen heute glücklich? Wir haben auf jeden Fall Mühe, einen klaren Kopf zu behalten. Und so wissen wir bald selbst nicht mehr, was eigentlich unsere Wünsche sind.
Neulich erzählte mir eine Kollegin, sie habe von ihrem miesepetrigen Chef einen Anraunzer kassiert, weil er nachmittags zwei Stunden lang keinen Zugriff auf sie hatte: Sie saß mit ihrer kranken Tochter im Wartezimmer eines Arztes und hatte ihr Handy ausgeschaltet.
Wir können uns schon jetzt ausrechnen, welchen Höhepunkten wir im Zuge fortschreitender Globalisierung noch entgegenstreben. Geschäftspartner in anderen Zeitzonen werden schon bald dafür sorgen, dass wir rund um die Uhr «available» sein müssen. «Rein in die Betriebe, Firmen, Büros und rauf auf die Chefsessel! Nur wenn wir das Spiel mitspielen, können wir auch etwas verändern!», lautet der Schlachtruf in vielen Karriereratgebern für Frauen. Ja, ich denke auch, dass es für Frauen essenziell ist, berufstätig zu sein, auf eigenen Beinen zu stehen, eine Position zu haben, in der sie etwas verändern können. Frauen dürfen sich nicht finanziell abhängig machen. Und wenn das doch der Fall ist, weil sie zeitweise Kinder erziehen, sollten sie abgesichert sein. Frauen müssen an wirtschaftlicher und politischer Macht beteiligt werden.
Seit zwanzig Jahren beschäftige ich mich mit dem, was Frauen bewegt, was sie berührt, worüber sie lachen können und was sie ärgert. Ich habe bei verschiedenen Frauenzeitschriften mit unzähligen Frauen zusammengearbeitet – mit Redakteurinnen, Praktikantinnen, freien Journalistinnen, Grafikerinnen, Anzeigenverkäuferinnen, Geschäftsführerinnen … Je höher die Ebene, mit der ich zu tun hatte, desto weniger Frauen saßen mir allerdings gegenüber. Auch in Medienunternehmen befinden sich oberhalb der Chefredaktion fast nur Männer. Ich kenne die Nöte und Bedürfnisse von Frauen gut. Und wer Frauenzeitschriften belächelt, vergisst: Frauen können sich zwar für die neuesten Schuh- oder Handtaschentrends begeistern, aber das ist bei weitem nicht alles. Frauen interessieren sich für positive Leitbilder. Sie wollen nicht mehr hören, dass sie schuld sind: Schuld daran, dass sie weniger als Männer verdienen, weil sie angeblich schlecht verhandeln. Schuld daran, nicht in der Führungsetage zu sitzen, weil sie durchsetzungsschwach sind. Schuld daran, kinderlos zu sein, weil sie sonntags länger ausschlafen wollen.
Können wir unsere Ziele auch gemeinsam mit den Männern verwirklichen? Gerade die jungen Frauen wollen es mit ihren Partnern gleichberechtigt hinkriegen – Beruf, Familie, ein Leben, das ihnen und anderen guttut. Einige sind der Meinung, dass wir dafür einen neuen Feminismus brauchen. Einen, der Männer mit einbezieht, der unseren gesamten Alltag mit einschließt, vom Haushalt bis hin zur Kindererziehung. Ich teile diese Auffassung. Gerade weil in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte so getan wird, als sei es eher ein individuelles Problem der Frauen, dass sie nicht in die Puschen kommen. Als sei es kein gesellschaftliches Thema. Kein politisches. Kein strukturelles. Kein juristisches. Noch ein paar Betreuungsplätze mehr, ein paar pseudo-feministische Schlachtrufe, dann funktioniert das schon? Ich glaube nicht.
Ich glaube aber, dass es keinen besseren Zeitpunkt gibt als jetzt, um eine selbstbestimmte Zukunft anzupeilen – jetzt, wo man uns so dringend braucht. Das macht es uns leichter, die Bedingungen für ein Leben zu stellen, das wir auch leben wollen. Frauenzeitschriften haben die Chance, ein kritisches Sprachrohr von Frauen zu sein. Wir brauchen Leitbilder, die uns von Schuldgefühlen befreien.
Wäre toll, wenn wir bald unsere eigenen Leitbilder sein könnten.
Bettina Wündrich
München, im Frühling 2011
«Karriere ist etwas Herrliches, aber man kann sich in einer kalten Nacht nicht an ihr wärmen.»
Marilyn Monroe
Ich bin ein «worst case scenario», der denkbar ungünstigste anzunehmende Fall: Ich bin eine Frau im «mittleren Alter», in der «zweiten Lebenshälfte». Wäre ich eine Filmschauspielerin, käme bald nur noch Bruno Ganz für mich als Partner in Frage. Im Marketing-Jargon bin ich ein «Best Ager». Und ein «Silver Surfer», wenn ich durchs Internet streife. Beruflich habe ich einiges erreicht, aber jetzt habe ich mir eine Auszeit genommen, um dieses Buch zu schreiben. Werde ich danach überhaupt wieder einen Job finden, in meinem Alter? Ich liebe meinen Beruf. Nun, ich habe ja auch sonst nichts: Keine Kinder. Keinen Ehemann. Der richtige Zeitpunkt, eine Familie zu gründen, hat sich nie ergeben. Der Schluss liegt nahe: Ich habe mein Privatleben meiner Karriere geopfert.
Frauen wie mich nennt man gerne «die einsame Spitze» – mit Betonung auf «einsam». Im Schnitt sei jede dritte Führungskraft Single, habe ich gelesen, obwohl sie sich eine Partnerschaft wünscht. Parallel zum Karriereaufstieg steige auch die Chance auf privaten Misserfolg.
Manchmal fühle ich mich wie Liz Lemon in der amerikanischen Comedy-Serie «30 Rock»: Die Verkörperung der chaotischen Single-Karriere-Frau in den Mittdreißigern, deren größte Angst es ist, nach einem langen Arbeitstag allein zu Hause an einem heißhungrig verschlungenen Hühnchenbein zu ersticken. Lemons Boss (ein kongeniales Team: Tina Fey und Alec Baldwin), unter dem sie ein heruntergekommenes Autorenteam für eine TV-Varieté-Sendung leitet, hat gerne Sprüche von der Sorte auf Lager: «Lemon, Frauen in deinem Alter werden eher im Zoo von einem wilden Tier gefressen, als dass sie nochmal heiraten!»
Die «einsame Spitze», sie ist eine willkommene Zielscheibe, auch im Berufsalltag: Mal ist unser Führungsstil zu hart (das handelt uns den Vorwurf ein, wir würden gerade «vermännlichen», und sicher wüchse uns bald ein Bart aufgrund vermehrter Testosteron-Ausschüttung). Dann wieder ist er zu weich («Seien Sie doch nicht immer so nett zu den Leuten!», hat mich mal ein Vorgesetzter ermahnt). Unser Äußeres ist unter ständiger Beobachtung. Wenn uns unser Kollege morgens mit einem breiten Lächeln zuruft: «Oh, schicke Frisur!», vermuten wir dahinter kein Kompliment, sondern die verdeckte Empfehlung, doch mal wieder eine Grauhaar-Kaschierung vornehmen zu lassen. Auch unsere Klamottenwahl sorgt für Diskussionsstoff. Wie oft wurde schon über die Blazer unserer Kanzlerin gelästert? Dabei sind unsere männlichen Politiker auch nicht gerade Dressmen. Wir haben eine höhere Stimme als Männer, das handelt uns schnell den Ruf ein, «hysterisch» zu sein. «Frauen müssen eher aufpassen, dass sie (…) nicht zu schrill werden», weiß unsere Kanzlerin. Und: «Wichtig ist, dass man authentisch ist, in sich selbst ruht und nicht eine Rolle spielt.»[1]
Einfacher gesagt als getan.
Nein, Karriere zu machen ist für Frauen auf den ersten Blick keine attraktive Perspektive. Eine «Karrierefrau» zu sein noch weniger: Das klingt nach hemmungsloser Egoistin, einer, die nur ihren Erfolg im Kopf hat. «Erfolgreich sein»: Männer verstehen darunter beruflichen Aufstieg. Frauen nicht. Sie deuten es eher als «Lebenserfolg», verbunden mit Mann und Nachwuchs. Karriere nicht unbedingt eingeschlossen. Das interessiert mich: Was steckt dahinter?
Abiturtreffen der Ehemaligen eines norddeutschen Gymnasiums. Dreißig Jahre ist es her, dass wir «School’s out forever» brüllten. Ohne Jungs, nur Mädchen. Meine Mädchenklasse. Die, die schon immer Wortführerin war, lädt zum Brunch. Was treibt uns, hinzugehen? Wer die Kunst der Verstellung nicht beherrscht, bleibt weg. Wer glaubt, sein Leben ganz gut gepackt zu haben, macht sich auf den Weg. Neugier treibt mich, ich reise quer durch Deutschland. Ich meine, genug Selbstbewusstsein zu haben – hey, sind knapp zwanzig Jahre in Führungspositionen bei Zeitschriften etwa nichts? Ich schmeiße mich also in ein sündteures Outfit und rüste mich für die Schlacht.
Ich hätte es besser wissen müssen.
Sechzig Frauen auf einem Haufen. Ein Gefühl wie damals, als wir noch Teenager waren. Wir reden laut durcheinander, unsere Blicke wandern suchend durch den Raum, bis wir irgendetwas in einem Gesicht entdecken, das uns an eine Person erinnert. Wir spielen das «Bist du nicht …?»-Spiel. Und mustern uns verstohlen: Falten? Figur? Wir schauen dem Alter ins Antlitz, kichern: «Kinder, das gibt’s doch nicht, so lange her!»
An diesem Vormittag spielen wir auch das «Schau mal, was ich seither geschafft habe»-Spiel: Ehe- und Brillantringe glänzen, goldene Armreifen klimpern, Handtaschen von Prada und Gucci schaukeln an den Armen, feine Kostümjäckchen hängen locker über den Schultern. Später werden Fotos auf Blackberrys und iPhones herumgereicht: «Guck, meine Kinder, mein Sohn studiert jetzt im Ausland. Mein Mann! Mein Hund! Mein Pferd! Ach, und unser Segelboot – jetzt, wo die Kinder fast aus dem Haus sind, kommen wir endlich dazu, es zu nutzen!» Ein Gefühl weht durch den Raum, breitet sich aus, durchdringt alles, was wir sagen: Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Vor dreißig Jahren lag noch alles vor uns, jetzt sind Wege beschritten, Träume gelebt und auch gescheitert, wer bisher keine Kinder hat, wird auch keine Familie mehr gründen, wer noch nicht auf der Karriereleiter klettert, wird das auch nicht mehr tun. Plötzlich teilt sich die Welt in Gewinner und Verlierer. Und wo stehe ich? Mir fallen die mitleidigen Blicke auf. Ein Song von Beck löst sich aus den Tiefen meines Hirns: «I’m a loser baby, so why don’t you kill me?»
Ja, ich schneide bei dem «Schau mal»-Spiel schlecht ab: Kinder? Keine. Ehemann? Nö. Nicht mal einen Freund, gerade ist meine mehrjährige Beziehung in die Brüche gegangen. Ich bin die verlassene Hälfte von «Double Income No Kids», die Unterseite eines Brötchens, ein Prinzenrolle-Keks ohne Schoko. Und jetzt auch noch eine «Auszeit», um ein Buch zu schreiben! «Und von was lebst du dann?»
Meine Designer-Schluppenbluse hat inzwischen Schweißränder, die Ankle Boots erweisen sich wegen ihrer 14-cm-Absätze als sogenannte Sitzschuhe. Gut so: Es wird noch mehr Prosecco gereicht, und ich muss mich setzen. Ich erfahre, dass einige meiner Ex-Klassenkameradinnen es schwer verkraften, dass ihre Kinder so nach und nach aus dem Haus gehen. Eine andere hat gerade mit ihrer zweiten Ehe Schiffbruch erlitten. Und schon fühle ich mich etwas besser.
Mir fällt eine Erkenntnis aus der Glücksforschung ein. Als ich noch in der Redaktion eines Psychologie-Magazins arbeitete, haben wir häufig aus den Studien des Nobelpreisträgers Daniel Kahnemann zitiert. Kahnemann hat es sich zur Aufgabe gemacht, Psychologie und Ökonomie zu verbinden. Bei seinen Erklärungsversuchen von menschlichem Verhalten in wirtschaftlichen Situationen fand er heraus, dass der Mensch eher mit sich zufrieden ist, wenn er mehr erreicht als andere. Das «Mehr» muss dabei nicht den Tatsachen entsprechen, es ist eine ganz subjektive Größe. Im Vergleich stärkt der Mensch sein Selbstbewusstsein. Er muss sich immer wieder bestätigen, bisher alles richtig gemacht zu haben.
Aber eigentlich sollten wir doch glücklich sein? Wir, die wir hier sitzen und uns an unseren Prosecco-Gläsern festklammern, wir gehören doch zur ersten Frauengeneration, die ihre Zukunft frei und selbstbewusst wählen konnte. Für die es ganz selbstverständlich ist, einen Beruf zu haben. Sich entfalten zu können. Ich denke an meine Freundinnen, wie sie sich mit und ohne Kinder durch ihren Alltag wurschteln. An meine Kolleginnen. Und mir fällt auf: Frauen sind unzufrieden mit ihrem Leben. Nicht grundsätzlich, aber immer ein bisschen.
Frauen, die keine Kinder haben, stellen sich Fragen wie: Hätte ich nicht doch Kinder bekommen sollen? Und wenn sie Mütter sind: Habe ich meine Ausbildung weggeworfen? Frauen sind sich unsicherer als Männer, ob das Leben, das sie führen, das richtige ist. Ich vermute, das rührt daher, dass Frauen grundsätzlich eine Option mehr haben, ihr Leben zu gestalten als Männer. Was ja erst mal eine wunderbare Sache ist. Nur dass die Option, sich für oder gegen Kinder zu entscheiden, so weitreichende Konsequenzen hat. Weitreichender, als wir es uns träumen lassen.
Heute haben Frauen so viele Entfaltungsmöglichkeiten wie noch nie. Wir sind gleichberechtigt, jedenfalls formal. Die meisten von uns starten mit den besten Voraussetzungen für ein erfülltes, selbstbestimmtes Leben. Aber irgendwann merken wir: Wir können es da draußen keinem recht machen. Wir sind Rabenmütter, verbissene Karrierefrauen, Nur-Hausfrauen, dumme Girlies, alte Jungfern. Wundert es da, dass wir es auch uns selbst nicht recht machen können?
Ich will wissen, warum wir heute noch so sehr an uns zweifeln. Warum wir noch so viele Schuldgefühle mit uns herumschleppen. Weshalb wir uns so verunsichern lassen. Was uns daran hindert, ein glückliches Leben zu leben. Wir machen es uns auch gegenseitig schwer; unsere Feinde kommen aus dem eigenen Lager. Wir stehen unter einem ständigen Rechtfertigungsdruck. Das muss sich ändern. Sind wir womöglich zu bequem, zu faul, um das Beste aus uns herauszuholen? Man hat uns Frauen schon oft vorgeworfen, wir trauten uns zu wenig zu, scheuten den rauen Wind des Arbeitsmarktes. Sollten sich gerade die Jüngeren unter uns zusammenreißen? Solchen Gedanken und Fragen ist dieses Buch gewidmet.
Frauen befinden sich heute in lauter Widersprüchen. Das fängt schon bei den vielen Appellen an, die wir von überall her empfangen und die sich auch noch widersprechen. Immer sind Frauen die Adressaten, selten die Männer. Fangen wir an, das Knäuel zu entwirren. Beginnen wir mit den Außenseitern des Klassentreffens. Beginnen wir mit der «einsamen Spitze».
Niedrige Geburtenrate. Demographische Verschiebung. Singleisierung der Gesellschaft. Klar war der Kampf um Gleichberechtigung wichtig, und niemand würde heute Frauen Rechte aberkennen wollen – aber irgendjemand muss dennoch den Schwarzen Peter kriegen. Die Emanzipation hat, wie Kritiker behaupten, auch Kollateralschäden hinterlassen. Sie hat Egoistinnen hervorgebracht, Karrierefrauen auf dem Selbstverwirklichungstrip, die diesen auf dem Rücken ihrer gebärenden Geschlechtsgenossinnen austragen. Immer wieder drohen Politiker (und Politikerinnen), «den Kinderlosen» zugunsten der Familien einen höheren Rentenbeitrag abzufordern.
Die arme junge Generation, der wir mit unseren Gehhilfen und geriatrischen Pharmazeutika auf der Tasche liegen werden! Aber es wird uns schon noch dämmern, was wir davon haben: Mutterseelenallein werden wir im Alter auf der Parkbank sitzen (oder, noch schlimmer, die Krankenbetten belegen), und keiner wird uns besuchen, unsere nie geborenen Kinder nicht, und auch unsere Männer haben aus Angst vor uns Karriereweibern schon lange Reißaus genommen. Schuld ist natürlich der Feminismus, der uns zu Gebärstreik und Männerfeindschaft verführt hat. Wir schreiben das Jahr 2011. Sich gegen ein Leben mit Kindern zu entscheiden, ist immer noch kein akzeptiertes Modell.
Seit vier, fünf Jahren beschäftigt sich auch die Arbeitsmarktforschung intensiver mit den «Frauen an der Spitze»: Nur 53 Prozent der Frauen in Führungspositionen sind verheiratet, hingegen 73 Prozent der Männer. Mehr als die Hälfte der Frauen in Führungspositionen haben Kinder, jedoch ist die Anzahl der Kinder geringer als bei ihren männlichen Kollegen (umgekehrt leben 44 Prozent der Frauen in Führungspositionen ohne Kinder, aber nur 23 Prozent der Männer). Die traditionellen Rollenvorstellungen sind in den Ehen sehr verbreitet, hat die Soziologin Dr. Corinna Kleinert herausgefunden; für Männer in Führungspositionen gilt die Familie nicht als Spagat, sondern als notwendiger Rückhalt. Karrierefrauen teilen ihr Leben lieber mit Partnern, die einen ähnlich verantwortungsvollen Job haben wie sie. Bei Männern ist das anders: Die Frauen von Chefs mit Familie arbeiten häufig nicht – oder in Teilzeit.[2]
Mir fällt eine Szene ein, die ich bei der Adventsfeier des Unternehmens, für das ich einmal arbeitete, beobachten konnte: Der Firmenboss hatte die Führungskräfte des Hauses samt Anhang zur vorweihnachtlichen Sause in frischer Winterluft eingeladen. Der Platz, auf dem man sich traf, war hübsch geschmückt, Weihnachtsmusik lag in der Luft, zartes Glockengeläut. Ein paar Holzbuden waren aufgestellt, Glühwein und Sprudelndes wurde ausgeschenkt, man gab sich rustikal. Die Führungskäfte: Gutaussehende Kerle mit zurückgegelten Haaren in Woolridge-Parkas, die ihren Nachwuchs wie Trophäen auf den Schultern tragen. Sie putzen Rotznäschen, gehen mit den Jüngsten Pipi machen oder zum Dosenwerfen. Ihre Ehefrauen haben an diesem Tag mal frei. Sie unterhalten sich mit den wenigen weiblichen Führungskräften, von denen einige sogar Kinder haben: Eine (alleinerziehend) kommt in Begleitung ihres Bruders, eine andere (alleinerziehend) hat den Nachbarn gebeten, mitzukommen. Eine lebt schon in Trennung, der Ehemann ist dennoch dabei, um den Schein einer glücklichen Familie mit zwei Töchtern zu wahren. Die, die wie ich allein gekommen sind, werden von den Ehefrauen immer mal wieder verstohlen von der Seite angeschaut. Und von den Kolleginnen übrigens auch.
Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein.
Es gibt derzeit einen deutlichen Widerspruch: Dem schlechten Ruf der «einsamen Spitze» steht der Bedarf an Frauen, die Karriere machen sollen, gegenüber. Frauen waren schon immer die Reservekräfte der Wirtschaft: «Mit unglaublicher Geschwindigkeit» sieht Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Deutschen Telekom, die als erstes Dax-Unternehmen die Frauenquote einführte, die Lücke zwischen Bedarf und tatsächlicher Verfügbarkeit von Fachkräften größer werden. Der weibliche Nachwuchs ist begehrt wie nie.
Dann wären da noch die besseren Bildungsabschlüsse der Mädchen oder die vielzitierte Studie von McKinsey, dass Firmen mit einem hohen Frauenanteil an der Spitze besser abschneiden. Und die Furcht vor der Gier korrupter Manager: Handeln Frauen nicht weniger selbstbezogen und umsichtiger als Männer, weil weniger testosterongesteuert? Männlicher Eroberungsdrang hat die Banken jedes Maß verlieren lassen, gerade noch hat unsere Wirtschaft die Kurve gekriegt. Jetzt brauchen wir Spitzenkräfte mit Feingefühl und Teamgeist. Endlich – das Zeitalter der Frauen ist angebrochen! Wenn da bloß dieser Knick in der Kurve nicht wäre, den Statistiker ausgemacht haben. Ungefähr bis zum dreißigsten Geburtstag steigen die Erwerbskurven von jungen Frauen und Männern noch parallel. Aber dann halten die Mädels nicht mehr Schritt, die Linie bewegt sich unbeirrbar nach unten. Schließen sich Top-Karriere und Kinder heute noch weitgehend aus?
Stellt man Frauen vor die Wahl, ob sie sich für Kind oder Karriere entscheiden wollen, wird sich die Mehrheit immer fürs Kinderkriegen entscheiden. «Boom Baby!» titelte die Süddeutsche Zeitung, weil die Zahl der Geburten in den ersten neun Monaten in 2010 so angestiegen ist wie seit zehn Jahren nicht mehr. Noch ist es ein vorläufiger Trend, aber es wird bereits gejubelt: Endlich! Mit 1,38 Kindern pro Frau hat Deutschland eine der niedrigsten Geburtenraten der Welt. Vorsichtig werden die neuen Zahlen interpretiert: Es gibt aufgrund der demographischen Verschiebung zwar weniger potenzielle Mütter. Aber diese wenigen gebären mehr Kinder – und das immer später. Die, die jetzt Babys bekommen, bekommen sie mit Mitte, Ende dreißig, wenn nach einer langen Ausbildungszeit auch der Berufseinstieg geschafft ist. Und dann? Ich fürchte, sie werden sich ähnlich mit der Entscheidung quälen müssen wie die Generation vor ihnen. Ich behaupte sogar, dass es meine Generation einfacher hatte: Wir taten uns leichter mit Zukunftsentscheidungen, weil man uns nicht vorgaukelte, dass theoretisch alles möglich sei. Dass wir nur zu wählen bräuchten, wie aus einem Supermarktregal.
Die Zahlen hat man kinderlosen Frauen schon oft um die Ohren gehauen: Circa jede vierte westdeutsche Akademikerin ab 40 Jahren hat keinen Nachwuchs, insgesamt 28 Prozent.[3] Kinder sind ein Karrierehindernis, das kann man definitiv sagen: «Hier der Beruf, dort die Familie. Hier das eigene Geld, die finanzielle Unabhängigkeit, die Freunde und Kollegen. Dort die geliebte Familie, die Kinder und Partner, die Eltern und Großeltern. Im Beruf fehlt die Familie, in der Familie fehlt der Beruf. Irgendwie geht das nicht zusammen, hier in diesem Land», schreibt die Soziologin Jutta Allmendinger, die sich in ihrer aktuellen Studie «Verschenkte Potenziale?» mit den Wiedereinstiegschancen von Frauen beschäftigt. Berufstätige Frauen, die Kinder haben, sind überwiegend in Teilzeit beschäftigt. Natürlich nicht als Führungskräfte, denn für die gilt nach wie vor: Chef wird nur, wer immer da ist. Schlechte Karten dürfte auch eine junge, verheiratete Frau ohne Kinder haben: Schon die bloße Vermutung, dass sie im passenden Alter ist, Kinder in die Welt zu setzen, lässt sie für leitende Funktionen nicht mehr in Betracht kommen, so Corinna Kleinert in «Frauen an der Spitze».
Aber wollen Frauen überhaupt in die Führungsetagen? In Frankreich, dem Land der berufstätigen, emanzipierten Frauen, hat die Philosophin Elisabeth Badinter beobachtet, dass viele junge Frauen sich lieber dafür entscheiden, zu Hause zu bleiben, um sich ganz der Kindererziehung zu widmen, statt arbeiten zu gehen. Dabei gilt Frankreich als Musterland der erwerbstätigen Mütter. Badinter kritisiert diesen Trend, bewertet ihn als einen gefährlichen Rückschritt in der Emanzipationsbewegung. Ist er eine Reaktion der Töchter darauf, dass sie hautnah mitbekamen, wie sich ihre Mütter zwischen Kind und Karriere aufrieben? Sie wollen es anders machen, es ruhig angehen lassen, ihren Babys lange die Brust geben, statt ganz früh abzustillen, um gleich wieder ins Büro zu hasten. Es ist eine Entscheidung für die klassische Mutterrolle, einen bewussten Konservatismus. «Es mag legitim sein, es ist aber auch gefährlich», so Badinter. «Gefährlich, weil es eben eine nur sehr kurzsichtige Vision für das Leben einer Frau ist.»[4]
Die, die in den vergangenen dreißig Jahren für die Emanzipation gekämpft haben, raufen sich die Haare: Statt das mühsam Erkämpfte nun weiterzuführen und die Macht auch mit beiden Händen zu ergreifen, mäkeln die Töchter herum. Während ich dieses Buch schreibe, streitet sich gerade die Galionsfigur der Emanzipationsbewegung, Alice Schwarzer, mit der 35 Jahre jüngeren Familienministerin Kristina Schröder, bekennende Nichtfeministin, darüber, was Feminismus ist.