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Kenizé Mourad

Die Stadt aus Gold und Silber

Kenizé Mourad

Die Stadt aus

Gold und Silber

Roman

Aus dem Französischen

von Doris Heinemann

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Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel

»Dans la ville d’or et d’argent« bei Editions Robert Laffont, Paris.

1. Auflage

© der Originalausgabe 2010

by Editions Robert Laffont, S.A., Paris

© der deutschsprachigen Ausgabe 2012

by Blanvalet Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München.

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-07526-2
V002

www.blanvalet-verlag.de

Für meine Tante,

Begum Wagid Khan

»Die Begum von Awadh beweist mehr Mut und strategisches Denken als all ihre Generäle zusammen.«

The Times, 1858

»Die Lehren aus dem Aufstand von 1857 sind sehr klar. Niemand schätzt es, wenn ein anderes Volk sein Staatsgebiet erobert, ihm sein Land wegnimmt oder ihm unter Androhung von Waffengewalt ein besseres Gedankengut aufzwingt. Die Briten fanden 1857 heraus, was die Vereinigten Staaten derzeit lernen: Nichts kann ein Volk stärker radikalisieren und den gemäßigten Islam mehr erschüttern als gewaltsames Eindringen.«

William Dalrymple

Vorbemerkung

Die historischen Ereignisse und die Helden in diesem Buch sind real.

Dieses Epos hat sich in Awadh zugetragen, einem Königreich im Norden Indiens; in seiner besten Zeit entsprach es dem heutigen Uttar Pradesh, das knapp halb so groß ist wie Frankreich.

Da es sich hier nicht um eine Biografie, sondern um einen Roman handelt, haben wir uns einige Freiheiten erlaubt, dabei jedoch immer darauf geachtet, die Besonderheiten der damaligen Gesellschaft zu berücksichtigen.1

1Alle mit einem Sternchen gekennzeichneten Zitate sind historisch verbürgt.

Vorwort

Im Jahr 1856 wird Indien von der englischen Ostindiengesellschaft beherrscht.

In nicht einmal hundert Jahren übernimmt diese Handelsgesellschaft, die wie die französische, die holländische und die portugiesische Handelsgesellschaft das Recht erhalten hatte, von kleinen Kontoren an der Küste aus Handel zu treiben, eine immer größere Rolle in den Konflikten zwischen den indischen Herrschern, die im zusammenbrechenden Mogulreich ihre Unabhängigkeit anstreben. Die Ostindiengesellschaft bietet ihre Unterstützung und ihre bewaffneten Truppen an und verlangt im Gegenzug unbeschränkte Handelsrechte und enorme Tributzahlungen. Dabei erlaubt sie sich immer brutalere Eingriffe in die Politik der Staaten, als deren Beschützerin sie auftritt.

Bald schon hat sie die direkte oder indirekte Kontrolle über sämtliche indischen Staaten erlangt. Zwischen 1756 und 1856 annektiert sie im Namen der britischen Krone etwa hundert Staaten, was zwei Dritteln der Landesfläche und drei Vierteln der Bevölkerung Indiens entspricht. Die verbleibenden Staaten überlässt sie den notgedrungen gefügigen Herrschern, denn diese Länder braucht sie nicht zu annektieren, um sich auch hier die faktische Herrschaft zu sichern.

So ist es in den ersten Januartagen des Jahres 1856 auch im Königreich Awadh, dem reichsten Königreich im Norden Indiens.

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Kapitel 1

»Er hat den König schon wieder beleidigt!«

Von ihren verstörten Dienerinnen umringt, geht Malika Kishwar wütend in ihrem Schlafzimmer auf und ab. Eigentlich ist sie immer sehr beherrscht, doch jetzt kann sie kaum sprechen, sie erstickt fast an ihrer Empörung. Wie sie sie hasst, diese »Angrez*«, die sich hier als Herren und Meister aufspielen und tagtäglich ihren hochverehrten Herrscher und geliebten Sohn demütigen. Sie, die erste Dame im Königreich Awadh, wird diesen Flegeln verbieten … ihnen verbieten? In ihrem Zorn hat sie die Dupatta abgestreift und ihre beeindruckenden Formen enthüllt. Eine Dienerin hebt den Umhang hastig auf. Was kann sie schon tun? Wie oft hat sie den König dazu gedrängt, sich den immer dreisteren Forderungen seiner »Freunde und Beschützer« zu widersetzen! Doch der sonst so sanfte Wajid Ali Shah reagierte schließlich gereizt.

»Sehr verehrte Mutter, ich bitte Sie, dieses Thema nicht mehr anzuschneiden, die Ostindiengesellschaft sucht immer nach Vorwänden, unseren Staat an sich zu bringen. Wir dürfen ihr solche Vorwände nicht liefern, sondern müssen uns ganz im Gegenteil wie loyale Verbündete verhalten.«

Loyale Verbündete? Gegenüber diesen Verrätern?, hätte sie fast erwidert, doch der Blick des Königs brachte sie zum Schweigen. Ein so trauriger, hilfloser Blick – sie sah ein, dass es nutzlos und vor allem grausam gewesen wäre, weiter in ihn zu dringen. Denn wer litte mehr als ihr Sohn unter dieser erniedrigenden Situation, in die ihn schon seit Jahren der Resident drängte, der Vertreter der mächtigen englischen Ostindiengesellschaft und der eigentliche Herrscher über ein Königreich, in dem Wajid Ali Shah selbst nur noch dem Titel nach Monarch war. Eigentlich sogar eine Marionette in den Händen dieser Handelsgesellschaft, die sich seit einem Jahrhundert mit Drohungen, Druck und falschen Versprechungen einen souveränen Staat nach dem anderen aneignete.

Sie versteht es einfach nicht. Wie konnte es so weit kommen?

Der schwere Vorhang vor dem Eingang zum Schlafzimmer wird zur Seite gehalten, ein Eunuch in weißem Shalwar und langer pflaumenfarbener Samttunika kündigt das Eintreffen der ersten und der zweiten Ehefrau Seiner Majestät an. Und schon treten sie unter dem Rascheln ihrer Seidenschleppen ein, hochmütig lächelnd und in majestätischer Haltung. Ihre sehr helle Hautfarbe zeugt von der Reinheit ihrer Abstammung. Die erste Ehefrau ist etwa dreißig Jahre alt, die zweite ist ebenfalls knapp dreißig, doch die Rundlichkeit der beiden, eine Folge von Müßiggang und übermäßiger Naschsucht, hat sie vor der Zeit altern lassen. Das allerdings schert sie kaum, ihre Position ist gesichert: Sie haben einen Sohn. Nach den Gesetzen des Zenana müssten die beiden sich hassen – in dieser abgeschotteten Welt toben erbarmungslose Machtkämpfe –, doch sie sind befreundet oder erwecken wenigstens den Anschein von Freundschaft.

Malika Kishwar lässt sich jedoch nicht täuschen, und sie bewundert die Geschicklichkeit ihrer ersten Schwiegertochter: die Rivalin durch eifrige und anspruchsvolle Zuneigungsbekundungen an sich binden, ihr keinen Augenblick der Freiheit lassen, ihr Dienerinnen und Eunuchen – die jedes Wort kolportieren – zur Verfügung stellen, ihr einreden, die Söhne seien unzertrennlich, kurzum, sie in das Spinnennetz unverbrüchlicher Liebe hüllen: Gibt es ein besseres Mittel, sie am Ränkeschmieden zu hindern? Gegen Alam Ara kommt die zurückhaltende Raunaq Ara nicht an. Dabei war sie, die Tochter des Großwesirs, lange Zeit Wajid Ali Shahs Favoritin. Doch nach und nach verlor er das Interesse an ihr, wie er noch an jeder Schönheit seines Palastes schließlich das Interesse verloren hat.

Nachdem sie sich, eine Hand an der Stirn, tief vor der Rajmata verbeugt hat, richtet sich Alam Ara wieder auf.

»Was geht hier vor, Houzour? Die Eunuchen sagten mir, die Angrez hätten ihrer Frechheit die Krone aufgesetzt und Seine Majestät sogar bedroht! Wir müssen etwas tun!«

Ihre Augen funkeln. Wer ihren Herrn und Meister beleidigt, beleidigt auch sie: Die erste Gattin, stolz auf ihre Herkunft aus einer der edelsten Familien von Delhi, leidet unendlich unter den ständigen Demütigungen.

Malika Kishwar kann sich ein ironisches Lächeln nicht verkneifen. Sie kennt die Eitelkeit ihrer Schwiegertochter, weiß aber auch, dass diese eines Tages den begehrten Rang der Königinmutter erlangen will und deshalb nicht das Geringste gegen die verhassten Eindringlinge unternehmen wird.

»Gehen Sie zu meinem Sohn, es hat ihn sehr getroffen, Sie wissen ja, wie empfindsam er ist. Verwöhnen Sie ihn und versuchen Sie, diesen schmerzlichen Auftritt aus seinem Gedächtnis zu vertreiben, indem Sie ihm Ihre Achtung und Ihre Bewunderung bezeigen, mehr können Sie nicht tun.«

Mit einer Handbewegung entlässt sie die beiden Frauen. Heute ist sie nicht in der Stimmung, sich stundenlang Klagen oder absurde Komplottpläne anzuhören. Die Gefahr konkretisiert sich, das spürt sie; sie muss ihren Astrologen aufsuchen.

Eine Dienerin hat den beiden Gattinnen mitgeteilt, dass der König im Parikhana weilt, dem »Haus der Feen« im Park des Kaisarbagh.

Der Kaisarbagh, oder »Garten des Kaisers«, ist eine Palastanlage, in der die zu einem Rechteck angeordneten Gebäude einen riesigen Park einrahmen. Das üppige Barock blassgelber oder türkisfarbener Stuckaturen und verzierter Balkone mischt sich mit hohen, von Pilastern flankierten Bögen, die an Versailles erinnern, während unzählige kleine Kuppeln im Mogulstil daran erinnern, dass man sich im Orient befindet. Genau diese Vermischung von Stilen strebte Wajid Ali Shah an, als er als Erbprinz für seine vielen Frauen, Favoritinnen und Tänzerinnen dieses majestätische Ensemble errichten ließ, das größer ist als der Louvre und die Tuilerien zusammen.

Das »Haus der Feen«, das an einem Ende des mit Brunnen und Venus- und Cupido-Statuen aus weißem Marmor geschmückten Parks liegt, ist eine Schule für Musik, Tanz und Gesang. Hier werden die schönsten und anmutigsten Mädchen aus dem ganzen Reich ausgebildet, sie sind die Theatertruppe, der Chor und das Ballett des poesie- und musikbegeisterten Monarchen. Er selbst ist ein glänzender Dichter und Autor von etwa hundert Gedichtsammlungen, die sowohl bei indischen als auch bei ausländischen Fachleuten2 in hohem Ansehen stehen.

Als die beiden Begums in den Parikhana kommen, hat gerade eine Theatervorstellung der »Feen« begonnen.

Unter dem Gelächter und dem Beifall einiger Dutzend junger Frauen, die auf dicken, mit Samtkissen ausstaffierten Teppichen liegen, mimen auf der Bühne seltsame Gestalten in Krinolinen und in der roten Uniform der britischen Offiziere lautstark den Besatzer.

»Diese Eingeborenen haben wirklich keinerlei Sinn für Moral, mit ihren unzähligen Frauen und Konkubinen«, verkündet schrill eine dicke Dame in apfelgrüner Krinoline.

»Und die armen Geschöpfe lassen es sich gefallen, wie würdelos!«

»Was will man machen, sie haben eben eine Sklavenmentalität. Also, wenn mein Mann sich einfallen ließe, eine andere auch nur anzuschauen …«

Zwei »Offiziere« stehen etwas abseits und kommentieren das Ganze.

»Also ich würde ja nicht deren mangelnde Moral kritisieren, sondern den mangelnden Sinn fürs Praktische. Wenn sich unsereins eine Mätresse nähme, wäre er dann so dumm, es publik zu machen? Wenn wir ihrer überdrüssig sind, lassen wir sie sitzen. Und wenn sie unglücklicherweise schwanger geworden ist – was geht uns das an? Diese Dummköpfe hier fühlen sich verpflichtet, bloß weil sie mit einem schönen Mädel geschlafen haben, ihr einen Status und finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen und jeden Bastard als legitimes Kind anzuerkennen. Stell dir nur mal vor, was wir für erbrechtliche Probleme bekämen, wenn wir es auch so hielten!«

»Stellen Sie sich vor, meine Teure«, näselt jetzt eine rosa Krinoline, »eine meiner Dienerinnen hat mir erzählt, sie selbst habe ihrem Mann eine zweite Frau gesucht, weil sie, wie sie mir sagte, langsam alt würde und keine Lust mehr hätte, sein Bett zu teilen und sich um den Haushalt zu kümmern. Diese Aufgaben würde dann die zweite Frau übernehmen und sich außerdem respektvoll und auch noch … dankbar um sie kümmern.«

»Diese Muselmanen kennen wirklich keine Moral!«

»Die Hindus sind auch nicht viel besser!«

»Muselmanen oder Hindus, diese Leute haben als einzige Gesetze Faulheit und Sinnlichkeit«, mischt sich eine blaue Krinoline ein. »Eine Christin jedoch erfüllt gewissenhaft ihre ehelichen Pflichten, auch wenn sie keinerlei Vergnügen dabei empfindet. Ich zum Beispiel, wenn mein Mann mich … äh …, dann verrichte ich mein Gebet.«

»Das tun wir alle, meine Liebe. Nur Dirnen finden Vergnügen an solch abstoßenden Dingen!«

Die Zuschauer im Parikhana lachen schallend, von überall hört man belustigte Kommentare, und die Schauspielerinnen müssen eine ganze Zeit lang warten, bis sie fortfahren können.

Nun tritt eine rote Uniform an die Bühnenrampe.

»Dirnen oder nicht, diese Inder haben schon Glück, dass sie zu Hause das finden, was wir außer Haus suchen müssen, mit all den Risiken – und Kosten! –, die das mit sich bringt.«

»Sie müssen wissen«, erwidert eine andere Uniform neben ihm, »dass noch vor dreißig Jahren – damals waren unsere englischen Mädchen noch nicht nach Indien aufgebrochen, um sich zu verheiraten und auch hier die Regeln des guten Tons durchzusetzen – jeder Offizier zu Hause seine ›Bibi‹ hatte, seine eingeborene Geliebte, eine sanfte, sinnliche, ergebene Frau … Es war das reinste Paradies.«

Beide seufzen und verdrehen genießerisch die Augen.

»Vielleicht sind diese armen Inder mehr zu bedauern als zu verurteilen«, wagt sich eine schlanke violette Krinoline vor. »Die einen verehren Götter mit Affen- oder Elefantenköpfen, die anderen folgen einem falschen Propheten und werfen uns Vielgötterei vor, weil wir an die Dreieinigkeit glauben. Zum Glück hat die Zahl unserer Missionare in den letzten Jahren stark zugenommen. Ich habe von ersten Bekehrungen gehört …«

Laute Rufe unterbrechen sie. Die zuschauenden Frauen, die bisher hemmungslos lachten, sind empört.

»Lügengeschichten! Diese verschlagenen Angrez setzen verleumderische Gerüchte in die Welt, um uns gegeneinander aufzubringen! Wer würde schon zu diesen Kannibalen gehören wollen, die auch noch stolz darauf sind, dass sie ihren Gott in Form einer Oblate verzehren? Einen Gott, den sie ans Kreuz geschlagen haben, den sie …«

»Aber beruhigen Sie sich doch, meine Damen!«, ertönt eine tiefe Stimme.

Die Frauen verstummen abrupt und wenden sich dem Diwan mit den goldenen Füßen zu, auf dem ihr geliebter Herr liegt.

Der vierunddreißig Jahre alte Wajid Ali Shah ist ein schöner Mann mit heller Haut und rabenschwarzem Haar. Seine Körperfülle, ein Zeichen von Wohlstand und Macht, unterstreicht noch den majestätischen Charakter jeder seiner Bewegungen. Seine kleinen, zarten Hände scheinen die Last der schweren Ringe kaum tragen zu können, doch es sind vor allem seine Augen, die die Aufmerksamkeit fesseln: riesige schwarze Augen von einer Traurigkeit, die sein sanftes Lächeln nicht vergessen machen kann.

»Es ist leider wahr, dass manche sich bekehren lassen oder es zumindest vorgeben. Aber nicht aus Überzeugung – wie könnte man solchen Ungereimtheiten Glauben schenken? Die Engländer selbst können es ja nicht erklären und schwatzen deshalb von Mysterien. Ich denke, diese sogenannten Bekehrungen verdanken sie der Armut. Sie kommen nur bei den Ärmsten vor, weil die Missionare Geld an sie verteilen und Schulen für ihre Kinder einrichten.«

»Doch die Bekehrten werden von allen Menschen in ihrer Umgebung verachtet«, wendet eine der Frauen ein.

»Eben deshalb glaube ich, sie führen die Ausländer nur hinters Licht und praktizieren insgeheim weiterhin die Religion ihrer Väter.«

Er lässt seinen Blick über die Anwesenden schweifen.

»Doch um wieder von dem Theaterstück zu sprechen, das uns heute Nachmittag so gut unterhalten hat: Es steckt voller Esprit. Wem verdanken wir es?«

Eine schlanke junge Frau, deren große grüne Augen mit ihrem dunklen Teint kontrastieren, tritt vor. Graziös verneigt sie sich und führt als Zeichen ihrer Hochachtung die Hand an die Stirn.

»Hazrat Mahal! Ich wusste, dass du dichtest, aber ich wusste nicht, dass du auch die spitze Feder der Satire zu führen vermagst. Du hast mich an diesem schweren Tag zum Lachen gebracht. Wirklich, du verdienst den Namen, den ich dir gab: Iftikhar un Nissa, ›der Stolz der Frauen‹«. Er zieht einen großen Smaragd von seinem Finger. »Hier, nimm dies als Zeichen meiner Dankbarkeit.«

»Stolz der Frauen! Ausgerechnet die!«, höhnt Alam Ara, die Hazrat Mahal nie ausstehen konnte. Ringsum wird genickt, einerseits aus dem Drang heraus, die erste Gattin und unbestrittene Herrscherin über den Zenana nicht zu verstimmen, andererseits aus Eifersucht auf alle Frauen, die vom Herrscher ausgezeichnet werden.

»Verzeihen Sie, Houzour«, fragt sie vorsichtig, »aber glauben Sie nicht, es könnte gefährlich sein, sich über die Angrez lustig zu machen? Wenn sie davon erführen …«

»Wenn sie davon erführen, würde das bedeuten, dass es Spione in unserem Palast gäbe, und das kann ich nicht glauben«, bemerkt der König ironisch. »Sollte jedoch etwas von unseren Spielen bis zu ihnen durchdringen, fände ich es gar nicht so schlimm, wenn ihnen klar würde, dass wir uns über sie nicht weniger lustig machen als sie über uns. Sie haben Kanonen, unsere einzige Waffe hingegen ist das Lachen, und ich bin nicht bereit, darauf zu verzichten.«

Und schon hat sich Wajid Ali Shah, immer noch lächelnd, erhoben und von seinen Feen verabschiedet.

Er ist zu gut, zu sanft und vielleicht auch zu …

Hazrat Mahal versucht, die Worte aus ihrem Kopf zu verscheuchen, die sich hartnäckig immer wieder in ihre Gedanken drängen, Worte, mit denen nicht der Mann gemeint sein darf, den sie liebt, der Herrscher, den sie bewundert. Diese Worte trafen sie wie eine Ohrfeige, als sie sie einige Tage zuvor aus dem Munde des Radscha Jai Lal Singh hörte, des besten Freundes ihres Mannes.

Sie hatte sich auf die Nordterrasse des Zenana vorgewagt, die zu den Gärten des »Diwan khas«, des Saals des Ministerrats, hin liegt. Im Schutz der hohen Jalis blieb sie unsichtbar, sie hingegen konnte das Kommen und Gehen der hohen Würdenträger beobachten, eine angenehme Zerstreuung nach der geschwätzigen Gesellschaft der Frauen und Eunuchen.

Ein hochgewachsener Mann, dessen schlanke, elegante Gestalt auffiel unter all den beleibten Höflingen, diskutierte angeregt mit zwei anderen Männern.

»In Anbetracht der heutigen Bedingungen ist das nicht klug! Je mehr man den Engländern nachgibt, desto mehr fühlen sie sich berechtigt, über alles zu herrschen. Seine Majestät sollte sie in die Schranken verweisen, doch dafür ist er unglücklicherweise zu schwach.«

Schockiert beugte Hazrat Mahal sich vor und erkannte den Radscha, der bekannt war für seinen Freimut, aber auch für seine Kühnheit und seine Loyalität gegenüber dem König.

Und solche Menschen gab es wenig am Hof.

Sie fühlte sich, als hätte man ihr einen Schlag in die Magengrube versetzt, sie zitterte vor Empörung: Schwach? Der König? Er, der über das Geschick von Millionen Untertanen gebot, sie lenkte und schützte? Hastig kehrte sie in ihre Gemächer zurück und schickte ihre Dienerinnen fort, sie brauchte Ruhe.

Jetzt, auf dem Diwan zusammengerollt, zittert sie immer noch, aber nicht vor Wut, sondern vor Furcht. Ein seltsames Gefühl, vergleichbar mit dem, das sie beim Tod ihres Vaters befallen hat. Damals war sie gerade erst zwölf Jahre alt und, da ihre Mutter bei ihrer Geburt gestorben war, Vollwaise. Sie hatte den einzigen Menschen verloren, der sie liebte und beschützte, von nun an war sie wehrlos.

Ganz wie heute … Doch was sind das für Hirngespinste? Heute regiert der König, er ist jung und kerngesund, sie ist eine seiner Frauen, und vor allem hat sie einen Sohn, der seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten ist.

Sie erinnert sich an die elf Kanonenschüsse, die ihn bei seiner Geburt vor zehn Jahren begrüßten. Wajid Ali Shah war damals der Thronfolger, und der ganze Palast schien sich über die Ankunft dieses dicken Babys zu freuen, obwohl es nur an vierter Stelle in der Erbfolge stand. Sie selbst erhielt dadurch den begehrten Status der Mutter eines Sohnes und den Titel einer »Nawab Hazrat Mahal«, einer »Gerühmten«.

Sie, das kleine Waisenmädchen … Allah ist ihr Zeuge, sie hat einen weiten Weg hinter sich.

Hazrat zieht langsam an ihrer Hookah aus Kristall und erinnert sich …

2Hier ist besonders Joseph Garcin de Tassy zu nennen, Spezialist für orientalische Sprachen, Mitglied der Académie française und Lehrer für Hindustani an der École impériale in Frankreich.

Kapitel 2

Muhammadi, so hieß sie damals, kam in einer Familie kleiner Handwerker in Fayzabad zur Welt, der ehemaligen Hauptstadt des Königreichs Awadh, einer Stadt, die in voller Blüte stand, bis König Asaf ud Daulah im Jahr 1789 beschloss, sich in Lakhnau niederzulassen. Sein Wegzug bedeutete den Ruin für Tausende von Handwerkern, die bis dahin einen großen Hofstaat von erlesenem Geschmack mit Schmuckstücken, kostbaren Stoffen und Ziergegenständen beliefert hatten. Muhammadis Großvater verlor allen Lebensmut und starb, ihr Vater, Mian Amber, schlug sich mit allen möglichen kleinen Arbeiten durch, bis man ihm den Posten eines Verwalters in Lakhnau3 anbot.

Mian Amber nahm seine ganze Familie mit, doch einige Monate darauf starb er an Tuberkulose. Muhammadi, seine jüngste Tochter, wurde von ihrem Onkel aufgenommen, der als bester Besticker von »Topis« galt, Mützen aus Samt oder Seide, die bei den Aristokraten sehr in Mode waren. Die Topis ihres Onkels waren so vollkommen gearbeitet, dass sie, so wurde behauptet, nur denen passten, für die sie bestimmt waren, während sie bei allen anderen unerträgliche Kopfschmerzen auslösten.

Eines Tages, als der Sticker an einem Topi für den Thronfolger arbeitete, konnte die Kleine nicht widerstehen und setzte sich, als ihr Onkel gerade einmal fort war, das Wunderwerk aus mit kleinen Diamanten übersäter blauer Seide auf. Als sie in den Spiegel sah, erschrak sie: Eine bezaubernde Prinzessin blickte ihr entgegen. Widerwillig legte sie die Mütze wieder auf den Tisch. Gerade noch rechtzeitig: Ihr Onkel kehrte zurück und sagte, man verlange nach dem Topi, es müsse sofort geliefert werden.

Am nächsten Tag hallten laute Schreie durch das friedliche Gässchen.

»Wo ist dieser Schuft von einem Sticker! Er verdient Prügel!«

Der Sticker floh in seiner Angst über den Hinterhof, während seine Frau zitternd die Tür öffnete. Vor ihr stand ein großer schwarzer Eunuch, flankiert von zwei Wachleuten, und hielt die Mütze in der Hand.

»Wo ist dein Mann?«

»Er ist ausgegangen …«

Nachdem er die Wachen angewiesen hatte, das Haus zu durchsuchen, fragte er drohend: »Wer hat es gewagt, das Topi, das für den Thronfolger bestimmt war, aufzusetzen?«

»Aber das hätte doch niemand je …«

»Und wie erklärst du dir das hier?«, knurrte der Eunuch, schwenkte das Topi, an dessen Innenseite sich ein langes schwarzes Haar verfangen hatte, und warf es dann auf die Erde.

Inzwischen kamen die Wachen zurück und stießen eine sehr bleiche Muhammadi vor sich her.

»Den Sticker haben wir nicht gefunden, aber dieses Mädchen versteckte sich im Hinterzimmer.«

Der Eunuch sah sie aufmerksam an und fragte in etwas milderem Ton: »Wer ist sie?«

»Eine verwaiste Nichte, die wir bei uns aufgenommen haben«, erwiderte eifrig die Frau des Stickers, froh über die Ablenkung.

»Ist sie verheiratet?«

»Noch nicht.«

Der Eunuch nickte. »Na schön, dieses Mal kommt dein Mann noch davon, weil mein Prinz nachsichtig ist und alle Gewalt ablehnt, aber sag ihm: Wenn so etwas noch einmal vorkommt, dann komme ich persönlich, um die Rechnung zu begleichen, und er wird den Tag seiner Geburt verfluchen.«

Einige Tage darauf kamen zwei Frauen ins Haus des Stickers. Unter ihren schwarzen Burkas trugen sie Ghararas in leuchtenden Farben, und ihre Gesichter waren stark geschminkt. Die Frau des Stickers erkannte sie sofort: Amman und Imaman, ehemalige Kurtisanen, die die Stadt und ihre Umgebung nach hübschen Mädchen absuchten, denen sie gute Umgangsformen, Tanz und andere Künste beibrachten, um sie dann den Harems der Aristokraten oder, wenn sie besonders talentiert waren, dem königlichen Harem anzubieten.

Man wurde schnell handelseinig. Zumal Muhammadi reumütig ihre Tat gestanden hatte und ihre Tante, die ihr Ziehkind nie besonders gemocht hatte, nun keinerlei Skrupel hatte, sie sich vom Halse zu schaffen. Zum Glück war ihr Mann, den die Tränen seiner Nichte vielleicht gerührt hätten, nicht anwesend. Entzückt und erstaunt über die schwere Börse, die ihr die Frauen in die Hand gedrückt hatten – so viel Geld für dieses magere Ding! –, wollte sie sie wenigstens noch über den schlechten Charakter des Mädchens aufklären, doch Amman und Imaman hörten ihr schon nicht mehr zu. Sie legten Muhammadi eine Burka um und drängten sie in den wartenden Palankin.

Muhammadi weinte nicht lange. Sie entdeckte eine faszinierende Welt. Ammans und Imamans geräumiges Haus lag mitten im Chowk, dem großen Basar der Altstadt mit seinen Ständen mit Kebabs und appetitlichen Naschereien, mit unzähligen Handwerkern, den berühmten Juwelieren, Schuhmachern, Parfümeuren und mit den Stickern, die die in ganz Indien berühmten Chikan-Stickereien herstellten. Und über dem Ganzen lag ein Duft nach Gewürzen und Jasmin. Hinter den durchbrochenen Balkongittern über den Läden konnte man die in bunte Seide gekleideten Prostituierten erkennen, die scheinbar gleichgültig den unschlüssigen Männern nachschauten und dabei Paan kauten.

Doch der Chowk war vor allem berühmt als das Viertel der Kurtisanen, großen Damen, die von den Männern der besten Gesellschaft aufgesucht wurden. In Lakhnau haben die Kurtisanen einen besonderen Status, weit über dem einer Prostituierten. Im Allgemeinen haben sie einen reichen Gönner und empfangen allabendlich Künstler und Aristokraten in ihrem Salon. Dort trinkt man, stärkt sich mit erlesenen Gerichten, hört Musik, rezitiert Gedichte und plaudert bis in die frühen Morgenstunden.

Einige Kurtisanen sind selbst Dichterinnen oder Musikerinnen. Und sie alle sind Gastgeberinnen mit einer so kultivierten Sprache und so verfeinerten Manieren, dass es üblich ist, junge Männer aus guter Familie zu ihnen zu schicken, damit sie den letzten Schliff erhalten.

Doch diese angesehene Position muss man sich hart und mit eiserner Disziplin erarbeiten. Wer mangels Talent oder Charakterstärke nicht die erforderliche Vollkommenheit erlangt, endet im billigeren Teil des Chowk, als zweitrangige Kurtisane oder, und das ist der Albtraum all dieser Frauen, als einfache Prostituierte.

Ammans und Imamans Haus konnte etwa zehn Schülerinnen beherbergen – mehr aufzunehmen hätte die Qualität dieser einzigartigen Ausbildung gefährdet. Die jungen Mädchen mussten um fünf Uhr morgens aufstehen, sich mit kaltem Wasser waschen und dann ihre Gebete verrichten, denn Religion und Moral spielten eine wichtige Rolle in ihrer Erziehung.

Nach einem leichten Frühstück begann der Unterricht, der sich bis zwei Uhr nachmittags hinzog. Lektionen in Anstand, Tanz und Gesang, dazu gab es allgemeine Musikstunden, und jede von ihnen musste mindestens ein Instrument spielen lernen: Sitar, Sarangi oder Tabla. Nach einem kargen Mittagessen wurde am Nachmittag Persisch gelernt, die Sprache des Hofes und der Dichter, wobei die Mädchen auch zu eigenen Dichtungen angeregt wurden. Das waren für Muhammadi die schönsten Stunden: wenn sie ihrer Fantasie und ihrer Empfindsamkeit – natürlich innerhalb der Grenzen der klassischen Poesie – freien Lauf lassen konnte.

Abends hatten die Mädchen frei, was sie umso mehr genießen konnten, als die beiden »Wohltäterinnen« dann oft ausgingen und potenzielle Kunden besuchten. Diese Freiheit wurde gefeiert, die Schülerinnen schminkten sich sorgfältig, tanzten in durchsichtigen Gewändern und spielten Szenen der Leidenschaft und Eifersucht, in denen sie ihre Rivalinnen ausstachen und die rasende Liebe eines Fürsten weckten, der sie mit Edelsteinen überhäufte. So erfanden sie jeden Abend eine neue Folge ihres Traums und lebten im Vorgefühl der glänzenden Zukunft, die Amman und Imaman den Begabtesten unter ihnen versprochen hatten. Und jede wusste, dass sie die Begabteste war.

Anfangs hatte sich Muhammadi an diesen Spielen beteiligt, sie waren ihr jedoch bald schal vorgekommen. Sie zog sich lieber zurück, um allein ihre Gedichte zu kalligrafieren oder sich stundenlang mit Mumtaz zu unterhalten, einem Mädchen, das wie sie selbst aus der Umgebung von Fayzabad stammte.

Die beiden Matronen hatten Mumtaz auf ihrer jährlichen Reise durch die entlegensten Dörfer des Reiches entdeckt. Von der Frische des jungen Mädchens begeistert, hatten sie den Eltern, einfachen Bauern, eine reiche Heirat in Aussicht gestellt. Und sie dann mit ein paar Geldstücken endgültig überzeugt.

Mumtaz war nun schon zwei Jahre in Lakhnau und hatte nach und nach begriffen, dass es für sie wohl nie einen reichen Gatten geben würde und sie sich höchstens eine Reihe vermögender Beschützer erhoffen durfte.

Doch das tat ihrer Fröhlichkeit keinen Abbruch, sie hatte ein glückliches Naturell und sah in allem nur das Gute. Muhammadi musste sie oft vor den kleinen Böswilligkeiten und der üblen Nachrede der anderen Mädchen warnen. Obwohl zwei Jahre jünger als Mumtaz, war sie scharfsinniger und konnte so den Listen der anderen leichter zuvorkommen.

Eines Tages – kurz nach Muhammadis vierzehntem Geburtstag – verkündeten Amman und Imaman ihren Schülerinnen eine große Neuigkeit: Der Thronfolger brauchte neue »Feen« für seinen Parikhana, am nächsten Tag sollten die Besten unter ihnen im Palast vorgestellt werden. Ohne längeres Nachdenken nannten sie drei Namen, Yasmin, Sakina und Muhammadi, und schon hatten sie den Raum verlassen, taub für das Flehen und die Proteste der übrigen Mädchen.

Mumtaz und Muhammadi verbrachten diese – vielleicht ihre letzte in diesem Haus – Nacht gemeinsam, sie weinten, sie träumten, und sie gaben sich das Versprechen, einander nie zu vergessen und sich wiederzusehen, was immer geschehe. Sich jetzt so zu verlieren, war für die beiden Mädchen, als verlören sie ein zweites Mal ihre Familie.

»Reg dich nicht so auf, wahrscheinlich nehmen die mich gar nicht«, flüsterte Muhammadi und küsste die Tränen ihrer Freundin weg.

»So ein Unsinn, ich weiß, dass du den König bezaubern wirst, du bist so schön! Du wirst sogar die höchsten Stufen erklimmen, das fühle ich – aber schwör mir, dass du mich dann zu dir rufst. Unter all den anderen Kurtisanen wirst du eine treue Freundin brauchen … Und ich habe nur dich.«

Muhammadi schwor es, dann schliefen sie erschöpft und in enger Umarmung ein.

Am nächsten Tag, als ich im Palast ankam … Vor elf Jahren … Als wäre es gestern …

Hazrat Mahal erinnert sich, welche Angst sie hatte, als sie mit ihren beiden Mitschülerinnen in den großen Salon des Harems eintreten musste. Dort wurden sie von etwa hundert Frauen erwartet, die alle wie Prinzessinnen gekleidet waren. Sie betrachteten die Mädchen und tauschten lachend Kommentare aus, die nicht sehr freundlich klangen.

Muhammadi stand mit gesenktem Blick da, der Lärm und das Lachen nahmen noch zu, und sie spürte, wie langsam Zorn in ihr aufstieg: Demütigungen hatte sie noch nie ertragen können, und wenn man ihr deshalb nachsagte, sie sei ein schwieriger Charakter und werde nie einen Mann finden, so war ihr das gleich. Ihr Vater hatte sie zu dieser Haltung erzogen: »Wir sind arm, aber wir stammen aus einer alten Familie, das darfst du nie vergessen, behalt unter allen Umständen deine Würde, auch wenn du einen hohen Preis dafür zahlen musst. Denn die Selbstachtung zu verlieren, ist das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann.« Ihr geliebter Vater … Er fehlte ihr so sehr. Wie gern wäre sie weit weg gewesen von diesem Palast, von diesen Frauen, die sie bereits aus tiefster Seele hasste!

»Nicht so laut, meine Damen! Sehen Sie nicht, dass Sie diese jungen Mädchen erschrecken?«

Eine melodische Stimme, doch der Ton war streng. Muhammadi blickte überrascht auf. Vor ihr stand ein schöner Mann in besticktem Kaschmir-Umhang und lächelte sie an. Und sie, sie konnte sich nicht rühren, sie brachte keine der so oft geübten Grußformeln über die Lippen, sondern starrte reglos zurück.

Amman und Imaman traten empört vor und zwangen sie zu einer Verbeugung.

»Bitte verzeihen Sie ihr, Majestät, dieses Mädchen ist eigentlich eine unserer vollkommensten Schülerinnen, doch Ihre Gegenwart, Majestät, wird ihr den Verstand geraubt haben!«

Der Prinz lachte. Er war vierundzwanzig Jahre alt und an seinen Erfolg bei Frauen gewöhnt, doch er wusste auch, wie geschickt Frauen darin sind, Liebe vorzuspiegeln. Doch die Unbeholfenheit und Verwirrung dieses bezaubernden Geschöpfs waren ganz sicher nicht geheuchelt. So viel Bewunderung schmeichelte ihm. Er fasste sich schnell und sagte zu den beiden Pensionsmüttern: »Ihre Schützlinge sind sehr charmant, doch lassen Sie sehen, ob sie auch Talent haben. Zum Jahrestag des Gottes Krishna habe ich mir ein neues Schauspiel ausgedacht, dafür brauche ich Tänzerinnen, die nicht nur schön sind, sondern wirklich Rhythmusgefühl haben.«

Er klatschte in die Hände, und sofort begann auf einer Estrade ein kleines Frauenorchester zu spielen.

Wie im Traum sah Muhammadi Sakina und Yasmin auf die Fläche gehen und dort anmutig zu einer mal fröhlichen, mal sinnlichen Musik tanzen; sie wollte mit ihnen tanzen, doch ihre Glieder waren wie aus Blei, sie blieb stehen und hörte, wie sich ringsum missbilligendes Gemurmel erhob.

Der Prinz brachte das Orchester mit einer abrupten Handbewegung zum Verstummen und fragte zornig: »Hast du nicht gehört? Ich habe dich gebeten zu tanzen!«

Muhammadi senkte den Kopf, Tränen standen ihr in den Augen. Monatelang hatte sie sich auf diesen Augenblick vorbereitet, in dem sich ihr Leben entscheiden sollte, und nun hatte sie alles verdorben …

»Warum tanzt du nicht?«, fragte der Prinz ungeduldig.

»Ich bin keine Tänzerin!«

Woher nahm sie den Mut für diese Antwort? Eine Frage, die sie sich anschließend oft stellte, bis sie zu dem Schluss kam, dass sie gerade in der verzweifeltsten Lage ihre Kraft und ihre Wahrheit fand. Denn in dieser Sekunde wurde ihr klar, dass sie zwar wie ihre Gefährtinnen tanzen gelernt hatte, dass der Tanz für sie jedoch nur eine Beschäftigung unter vielen war, nie hatte sie sich als … Tänzerin gesehen. Sie träumte von anderem.

Nun, da ohnehin nichts mehr zu retten war, fand sie noch die Kraft zu dem Zusatz: »Ich bin nicht Tänzerin, sondern Dichterin.«

Verblüfftes Schweigen ringsum, dann laute Rufe, die Wajid Ali Shah mit einer Handbewegung zum Verstummen brachte.

»Dichterin! Tatsächlich! Du bist ganz schön vermessen! Wie alt bist du?«

»Vierzehn Jahre, Hoheit.«

»Vierzehn Jahre! Du bist ungewöhnlich keck, und ich weiß nicht, ob ich mich ärgern oder ob ich lachen soll.«

Amman und Imaman mischten sich ein: »Bitte verzeihen Sie uns, Houzour, wir hätten nie gedacht … Dieses Mädchen ist verrückt geworden, wir werden sie bestrafen und fortschicken, eine solche Schande erleben wir zum ersten Mal …«

»Erst einmal werde ich sie bestrafen, indem ich ihr Gelegenheit gebe, sich öffentlich zu blamieren. Also setz dich her und sag uns eins deiner Gedichte auf. Aber ich warne dich, auch ich versuche mich in dieser Kunst und kenne alle Meister, du wirst mir nichts vormachen können.«

Der Eindruck, schwankend vor einem schwarzen Loch zu stehen, sie sieht nur noch Schatten, gleich wird sie fallen … Sie fällt …

»Nein!«

Von ihrem eigenen Schrei in die Wirklichkeit zurückgeholt, öffnete sie die Augen, sah ringsum die Gesichter der höhnisch lächelnden Frauen … Sie würde ihnen nicht die Freude machen, sich zu demütigen, sie dachte an ihren Vater und seine Worte, Mut sei die oberste Tugend. Also atmete sie tief ein und begann, von Sitarklängen begleitet, mit ihrem Gedicht. Ihre anfangs noch dünne Stimme festigte sich allmählich, zu einem Flüstern gesenkt oder vibrierend passte sie sich an den Rhythmus der Bilder an, die sie zu einem großen Fresko ausbreitete. Sie war nicht mehr in diesem Harem, in dem ihr alle übelwollten, sie war die schöne Frau, die von ihrem Geliebten auf einem ungestümen Pferd entführt wurde, sie war die verschneiten Berge und die blühenden Täler, die sie im Galopp durchquerten, sie war die Quelle, an der sich die Liebenden labten, und das Bett aus Moos, auf dem er sie sanft umarmte und auf die Rosenblütenlippen küsste.

Als sie eine Stunde darauf verstummte, herrschte tiefe Stille. Einige Frauen wischten sich verstohlen die Augen, der Prinz betrachtete sie nachdenklich.

Muhammadi begriff, dass sie gewonnen hatte. Plötzlich ließ die angestaute Spannung nach, und sie begann zu weinen.

3Hazrat Mahals Herkunft ist ungewiss. Sie könnte auch als Kind armer Leute in Farrukhabad zur Welt gekommen sein, zweihundertfünfzig Kilometer von Lakhnau entfernt. Dann wäre ihr Vater Wächter eines Mausoleums gewesen.

Kapitel 3

Amman und Imaman brachen auf und ließen die drei jungen Mädchen im Harem des Prinzen zurück.

Während Sakina und Yasmin täglich an den vom Prinzen persönlich geleiteten Proben teilnahmen, hielt sich Muhammadi, die nicht dazu eingeladen wurde, abseits. Niemand sprach mit ihr. Die Frauen, die im ersten Moment sehr von ihrer Dichtung berührt worden waren, hatten sich wieder gefasst. Sie konnten ihr nicht verzeihen, dass sie etwas anderes hatte sein wollen, und äußerten sich in ihrer Hörweite gern über die Unbeständigkeit Wajid Ali Shahs, der von einem Tag auf den anderen die Frau vergesse, die ihn eben noch gefesselt habe.

Ihre ehemaligen Gefährtinnen waren auch kein Trost: »Der Prinz ist ganz besessen von seinem neuen Ballett und furchtbar nett zu allen Tänzerinnen! Es war dumm von dir, ihm die Stirn zu bieten, er mag keine Frauen mit schwierigem Charakter, und die, die am längsten hier sind, meinen sogar, du könntest als Hausmädchen enden.«

Eine Woche verging, bis Wajid Ali Shah sie eines Abends in seine privaten Gemächer rufen ließ. In Gesellschaft einiger Freunde saß er in dicke Kissen gestützt da und rauchte eine herrliche, mit Goldeinlegearbeiten verzierte Wasserpfeife. Muhammadi blieb bestürzt an der Schwelle stehen.

»Nur keine Angst«, ermutigte der Prinz sie und lächelte. »Komm herein und rezitiere uns einige deiner Gedichte.«

So bestärkt, sammelte sie sich kurz und begann dann mit voller, vibrierender Stimme einen Lobgesang auf den größten aller Liebenden, den Großmogul Shah Jahan, der für die Frau, die er liebte, das Tadsch Mahal erbauen ließ, dieses Wunderwerk aus weißem Marmor. Während ihres langen, nur von bewundernden Ausrufen unterbrochenen Vortrags entfaltete Muhammadi ihr ganzes Talent und ihren ganzen Charme.

Spät in der Nacht gingen alle nach Hause, doch Wajid Ali Shah bat sie zu bleiben. »Wenn du willst«, sagte er leise.

Ob sie wollte? Das war der Augenblick, in dem sie sich in ihn verliebte.

Sie erinnert sich noch an die Nächte, in denen sie sich gegenseitig Gedichte vortrugen und sich bis zum Morgen liebten. Sie war entzückt von seinem Zartgefühl, er von ihrer Unschuld. Er schrieb sogar ein Gedicht für sie, das so begann:

»Durch welches Wunder konnten Amman und Imaman dieses bescheidene junge Mädchen hierherbringen? Ihrem ganzen Körper entströmt Rosenduft, sie ist eine Fee!«

Einige Wochen darauf war sie schwanger, und da gab er ihr den Titel »Iftikhar un Nissa«, »Stolz der Frauen«, denn er schätzte ihren Stolz, der sie von den anderen, oft sehr unterwürfigen Frauen unterschied.

Als Allah ihr endlich einen Sohn schenkte, glaubte sie sich vor allen Wechselfällen des Lebens geschützt. Doch es war ganz im Gegenteil der Anfang eines Krieges, des geheimen Krieges in den Harems. Die Waffen sind Gift und Unfälle, vor denen die Frauen ihre Kinder unablässig schützen müssen.

Zum Glück hat sie ihren treuen Mammoo! In dieser Welt der Eifersüchteleien und Intrigen ist der Eunuch ihr einziger Beschützer. Denn nun genießt sie die Gunst des Königs nicht mehr. Charmant und flatterhaft, wie er ist, hat er sich längst anderen Schönheiten zugewandt. Wenn sie sich seine Zuneigung bewahren will, muss sie ihn zerstreuen und amüsieren wie am heutigen Nachmittag, sie darf ihn ganz sicher nicht mit ihren Problemen behelligen.

Wajid Ali Shah selbst war es, der ihr Mammoo schenkte, genauer gesagt, er war damit einverstanden, dass sie seine Dienste für sich in Anspruch nahm. Damals wollte niemand den Eunuchen haben, es hieß, er bringe Unglück: Seine Herrin, eine der neuen Favoritinnen, war unter mysteriösen Umständen gestorben, und Mammoo wurde, wenn schon nicht der Komplizenschaft, so doch der Nachlässigkeit beschuldigt. Wajid Ali Shah hätte ihn fortschicken müssen, doch er hatte Bedenken. Unter allen Diener des Zenana war er der geschickteste, Mammoo konnte die schwierigsten Angelegenheiten entwirren. Daher war er einverstanden, als seine Frau Hazrat Mahal ihn unmittelbar nach der Geburt ihres Sohnes bat, ihr den Eunuchen als Haushofmeister zu überlassen, mehr noch, im Grunde war er erleichtert über diese unerwartete Lösung. Die anderen Frauen hatten versucht, Muhammadi davon abzubringen, sie sei zu gutgläubig, sagten sie, und der Eunuch nicht vertrauenswürdig, doch sie ließ sich nicht beirren. Sie tat es nicht nur aus Mitgefühl, obwohl seine düstere Zukunft durchaus Mitleid erregen konnte: Aus dem Palast geworfen, würde er überall vor verschlossenen Türen stehen und auf der Straße enden. Hazrat Mahal, die mit zwölf Jahren plötzlich allein dagestanden hatte, konnte ihm seine Verzweiflung nachfühlen. Vor allem jedoch hatte sie sich von ihrer Intuition leiten lassen. Sie hatte die Gabe, hinter die Fassaden zu sehen, was ihr ebenso viele Freundschaften wie heftige Abneigungen eingetragen hatte, und in dem Eunuchen hatte sie eine wache Intelligenz und starken Ehrgeiz erkannt, was ihn, wie sie vage spürte, zu einem wertvollen Bundesgenossen machen konnte. Was Mammoo anging, war die Sache klar: Die junge Dame hatte ihn gerettet, von nun an war er ihr mit Leib und Seele ergeben.

Hazrat Mahal hat ihren Entschluss keinen Tag lang bereut. Der Eunuch ersetzt ihr, die eingeschlossen im Zenana lebt, Augen und Ohren. Er durchstreift die Märkte von Lakhnau, plaudert in den Läden, in denen er Bekanntschaften geschlossen hat, und bringt seiner Herrin abends alle Gerüchte aus der Stadt mit – was man über den Herrscher sagt und was über die Engländer. Daher ist sie besser über die Stimmung auf der Straße informiert als sonst jemand, außer der Rajmata natürlich, die ein ganzes Heer von Informanten unterhält.

Gerade jetzt ist Hazrat Mahal besonders an den Gerüchten interessiert, sie fürchtet, dass die Unverfrorenheit des englischen Residenten kein Zufall ist, dass er entsprechende Anweisungen erhalten hat und sich schwerwiegende Dinge ankündigen. Daher kann sie ihre Ungeduld kaum zügeln, als der Eunuch endlich auftaucht.

»Nun, Mammoo Khan, was gibt es Neues?«

»Die Leute sind unzufrieden, weil die Angrez immer unverschämter werden. Frisch aus England gekommene Grünschnäbel kommandieren erfahrene alte indische Söldner herum und beschimpfen sie dabei auch noch als ›Neger‹4 oder ›Schweine‹. Wenn sie sich in den Chowk verirren, ist es noch schlimmer: Sie sind unfähig, eine Prostituierte von einer großen Kurtisane zu unterscheiden, also verschließen ihnen die Kurtisanen die Tür. Und dann machen die Angrez, die ja oft auch noch betrunken sind, Krawall!«

»Und was sagt man über Djan-e-Alam, den König?«

»Er ist immer noch so beliebt wie früher, aber man klagt darüber, dass er sich so selten zeigt. Die Leute trauern seinen wöchentlichen Prozessionen nach, allein schon weil dann jeder seine Bittschrift in die Silberbüchsen an den Flanken des königlichen Elefanten stecken konnte. Es wird behauptet, die Angrez hätten es ihm verboten und täten alles, um ihn von seinem Volk zu entfernen, doch er sei der König und dürfe nicht auf sie hören!«

»Das ist leicht gesagt!« Hazrat Mahal zuckt verärgert die Achseln. Bis jetzt hat sie sich hartnäckig geweigert, an ihrem Gatten zu zweifeln, denn das würde sie als schlimmsten Verrat empfinden, doch in letzter Zeit fällt es ihr immer schwerer, die Augen davor zu verschließen: Der König ist einen Kompromiss nach dem anderen eingegangen, und inzwischen sind es die Engländer, die entscheiden. Sie erinnert sich an die Reformen, die er als junger Mann zu Beginn seiner Regentschaft durchführte, damals reformierte er Armee, Justiz und Verwaltung. Sie weiß noch, wie begeistert er war, wie entschlossen, seinem Volk zu helfen … und wie er dann allmählich den Mut verlor angesichts der ewigen Einwände, Hindernisse und Warnungen und der verschleierten Drohungen des Residenten. Der König weiß, dass es einen teuer zu stehen kommen kann, wenn man die allmächtige Ostindiengesellschaft verstimmt: Zwei Drittel der indischen Königreiche und Fürstentümer sind bereits annektiert worden.

Deshalb flüchtete sich Wajid Ali Shah mit der ganzen Leidenschaft der Verzweiflung in seine Jugendlieben, die Musik und die Poesie. Er verbrachte seine Tage und Nächte damit, zu komponieren, zu dichten und zu tanzen. Nie war so viel fröhliches Treiben im Harem gewesen, ständig kamen neue »Feen« an, und es wurden immer raffiniertere Schauspiele geboten.

Sehr bald schon nahm der Resident Anstoß daran und beschwerte sich beim Generalgouverneur, Lord Dalhousie, über die »Ausschweifungen« an diesem Hof, dessen Herrscher nur noch an seine Vergnügungen denke und seine Aufgaben vernachlässige. Der Generalgouverneur drohte, und der König versuchte, alle Forderungen zu erfüllen, doch was immer er tat, nichts fand Gnade vor den Augen der Ostindiengesellschaft. Auch um dieser immer weniger lösbaren Situation zu entgehen, stürzte er sich von Neuem in einen Taumel der Vergnügungen.

Er ist unglücklich, er versucht sich zu betäuben … Ach, wenn ich doch mit ihm sprechen, ihn zum Widerstand ermuntern könnte, wenn ich ihm versichern könnte, dass sein Volk ihn liebt und ihn unterstützen wird … Doch er wird nicht auf mich hören, ich bin ja nur seine vierte Frau, selbst seine Mutter, die Rajmata, hat kaum noch Einfluss auf ihn …

4In der Tat belegen Dokumente dieser Zeit, dass die Inder auf Englisch häufig als »niggers« oder »negros« (sic!) bezeichnet wurden.