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Rüdiger Rossig
 (Ex–) Jugos

Junge MigrantInnen aus Jugoslawien und seinen
Nachfolgestaaten in Deutschland

Der Autor:

Rüdiger Rossig, geboren 1967 in Mannheim, bereist (Ex-) Jugoslawien seit Mitte der achtziger Jahre. Nach ersten journalistischen Schritten beim Mannheimer Morgen spezialisierte er sich auf den Balkan und zog 1990 nach Berlin, um an der Freien Universität Südosteuropäische Geschichte zu studieren. Die Jahre von 1995 bis 1998 verbrachte er als Mitarbeiter von UN und OSZE in Kroatien und Bosnien-Herzegowina. Seitdem lebt Rossig wieder in Berlin. Er ist Redakteur und Autor der Tageszeitung taz und der in englischer Sprache erscheinenden Monatsblätter The Atlantic Times, The German Times und The Asia Pacific Times.

Mehr Info: www.ruediger-rossig.de.

Der Fotoredakteur:

Nihad Nino Pušija, geboren 1965 in Sarajevo, begann seine Karriere 1986 bei der Tageszeitung Oslobođenje (Befreiung). Nach zwei Jahren fand er, dass er dort in Sachen Fotografie nichts Neues mehr lernen konnte und, begann zu reisen: in die USA, nach Italien, England, Belgien … und schließlich nach Deutschland, wo er wegen der Balkankriege blieb und begann, die Situation der Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien zu dokumentieren. Fotoprojekte: Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Haus der Kulturen der Welt, Museum Europäischer Kulturen, Roma Kunst Pavillon, La Biennale di Venezia 2007 u. v. a.

Mehr Info: www.fotofabrika.de

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© 2008 Archiv der Jugendkulturen Verlag KG, Berlin

Alle Rechte vorbehalten

Herausgeber:

Archiv der Jugendkulturen e.V.

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10965 Berlin

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Fax: 030 - 691 30 16

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Einzelkunden und Mailorder: www.jugendkulturen.de

Lektorat: Klaus Farin

Gestaltung: Nadine Kazimiersch

Fotoredaktion: Nihad Nino Pušija

Druck: werbeproduktion bucher (www.werbeproduktionbucher.de)

ISBN Print: 978-3-940213-46-4
ISBN E-Book: 978-3-940213-90-7

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Das Berliner Archiv der Jugendkulturen e. V. existiert seit 1998 und sammelt vor allem authentische Zeugnisse aus den Jugendkulturen selbst (Fanzines, Flyer, Musik etc.), aber auch wissenschaftliche Arbeiten, Medienberichte etc., und stellt diese der interessierten Öffentlichkeit in seinen derzeit 300 m2 umfassenden Bibliotheksräumen kostenfrei zur Verfügung. Darüber hinaus gibt das Archiv der Jugendkulturen eine eigene Zeitschrift – das Journal der Jugendkulturen – sowie eine eigene Buchreihe mit sechs Titeln jährlich heraus, in denen sowohl sachkundige WissenschaftlerInnen, JournalistInnen u. a. über Jugendkulturen Forschende als auch Szene-Angehörige selbst zu Wort kommen. Das Archiv der Jugendkulturen e. V. legt großen Wert auf eine enge Kooperation mit Angehörigen der verschiedensten Jugendkulturen und ist daher immer an entsprechenden Angeboten, Reaktionen und Material jeglicher Art interessiert.

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Weitere Infos unter www.jugendkulturen.de

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I. Wie die Jugos nach Deutschland kamen

Von Gastarbeitern und Jugoviči

Lob der Jugošvabe

Es war zweimal ein Land

„Ich bin 1968 für ein Jahr nach Berlin gekommen. Dieses Jahr ist bis heute nicht zu Ende gegangen“

Der Krieg in den Kochtöpfen

II. Wie die Rockmusik und damit westliche Popkultur und Jugendkulturen nach Jugoslawien kamen

Der erste Hit hieß „Lächeln“

Was würdest Du geben, um an meinem Platz zu sein?

In meinem Stadtteil gibt es keine Probleme

Zwielicht-Zone

III. Wie die YU-gos nach Deutschland kamen

Krieg in Europa!

„Wir waren die YU-gos“

- film -

Dum Dum – Rock und der Krieg in (Ex)-Jugoslawien

„Mittlerweile gibt nur noch ganz wenige Flüchtlinge“

- der letzte blick aufs tacheles -

IV. Wie aus Jugos Bosnier, Kroaten, Serben, vor allem aber Deutsche wurden – und aus Deutschen Jugos

„Wir waren die Punks, der Kontrapunkt zu den nationalen Communities“

„Die Jugoszene hat begonnen, die Sachen nur noch zu konsumieren“

Verblassende Verbundenheit

Bring mich weg aus dieser Stadt

Don’t happy, be worry

- zombie -

„Wir wollen die ex-jugoslawischen Subkulturen sichtbar machen“

„Ich habe früher immer die Türken beneidet“

„Berlin ist mein Zuhause“

„Bosnien war für mich ein unbekanntes Land”

„Ich hab’ keine Nerven mehr für Serbien“

„Wir waren nicht wirklich gefährlich für das Regime”

Die Lust am Straßenbau

„Die Rockmusik-Szene stirbt langsam aus, dafür kommen die HipHopper“

Tod dem Turbo-Folk!

„Ich bin Halbdeutsche. Die andere Hälfte habe ich noch nicht definiert“

München - eine Weltstadt mit Migrationshintergrund

Nachwort

Danksagung

Glossar

Quellen

Eine kleine Auswahl (ex-) jugoslawischer Tipps & Adressen

Vorwort

Durfte sich Kosovo für unabhängig erklären? Und dürfen wir diesen neuen Staat anerkennen? Die Diskussion um diese Fragen beschäftigt zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Bandes Medien, internationale Organisationen und Politiker in aller Welt. Und dabei scheint es vielen Beobachtern nur logisch, dass nach Slowenien, Kroatien, Bosnien, Makedonien, Serbien und Montenegro nun auch die international verwaltete, nur noch nominell zu Serbien gehörende Provinz in die staatliche Souveränität entlassen werden soll. Als letzter Teil Ex-Jugoslawiens. Und sei es nur, um den Zerfall des Balkanstaates endlich zu beenden.

Hinter dieser Logik steckt eine Hoffnung: Klappe zu – Affe tot. Und das kann nicht einmal verwundern. Seitdem das gemeinsame Jugoslawien 1991 zu zerbrechen begann, beschäftigt der Zerfall dieses Staates die Welt und vor allem den Westen Europas. Krieg in Slowenien, Krieg in Kroatien, Krieg in Bosnien, der Krieg der Nato gegen Serbien wegen Kosovo, Scharmützel in Makedonien … und immer wieder: Flüchtlinge, Flüchtlinge, Flüchtlinge. Jetzt scheint es, als bestünde die Hoffnung, dass diese balkanischen Querelen endlich enden.

Warum also jetzt, 17 Jahre nach dem Ende Jugoslawiens, ein Buch über Ex-Jugoslawinnen und Ex-Jugoslawen? Noch dazu über solche, die zu jung sind, um den gemeinsamen Staat der Slowenen, Kroaten, Bosnier, Serben, Montenegriner und Makedonier selbst erlebt zu haben?

Es gibt keinen Staat namens Jugoslawien mehr – aber dadurch sind die Gemeinsamkeiten der Menschen in und aus den post-jugoslawischen Ländern nicht verschwunden. Dazu gehört für Bosnier, Kroaten und Serben natürlich vor allem die gemeinsame Sprache. Hinzu kommt eine Ess-, Trink- und Feierkultur, die auch Menschen zu schätzen wissen, die nicht aus Ex-Jugoslawien stammen. Zudem sind seit Jahren Filme, Musik und Literatur aus dem ehemaligen Land auch in Westeuropa und Nordamerika schwer in Mode. Der Balkan-Hype zieht sich von den Kino-Klassikern des Regisseurs Emir Kusturica über die Kompositionen Goran Bregovićs bis zu den durchtanzten Nächten in Clubs in New York, London oder Paris, die Soundsystems wie Balkan Beats aus Berlin beschallen.

Jugoslawen existiert nicht mehr – aber seine Kultur besteht weiter. Und die Subkulturen der jungen ExJugoslawen zeigen gar neue Blüten. Junge Bosnier, Kroaten, Makedonier, Serben, Slowenen und auch Kosovo-Albaner, die im Ausland auf andere junge Ex-Jugoslawen treffen, stellen immer wieder fest, dass sie bezüglich Musikgeschmacks, Literatur, Filmen und subkulturellen Vorlieben mehr verbindet als trennt.

Auch auf der negativen Seite verbindet junge Menschen aus allen Teilen des verblichenen Balkanstaates nach wie vor so Einiges. Vor allem haben sie viele gemeinsame Probleme: Armut, Arbeitslosigkeit – mit Ausnahme von slowenischen und kroatischen Staatsangehörigen –, Visapflicht und damit einhergehend die Abkoppelung vom europäischen Mainstream. Insofern lebt das alte Jugoslawien in vielerlei Hinsicht bis heute weiter: als Widergänger, der Europa an sein bis heute anhaltendes Versagen bei der Befriedung und Integration des Balkans erinnert.

Ein Negieren dieser post-jugoslawischen Gemeinsamkeiten ist nicht nur unnötig. Im Sinne des europäischen Zusammenwachsens ist es kontraproduktiv. Die post-jugoslawische Kultur ist kein Menschen mordender Zombie. Das, was den Balkanstaat überlebt hat, erinnert eher an eine geradezu gemütliche Ruine, in der sich in Ermangelung anderer Behausungen in den vergangenen eineinhalb Jahrzehnten allerlei Volk allerlei Nischen geschaffen hat. Das gilt in- und außerhalb der ehemaligen Landesgrenzen. Der Krieg hat Jugoslawien zerstört – und die jugoslawische Kultur mit den Menschen, die vor ihm flohen, internationalisiert.

Einige dieser Menschen werden auf den folgenden Seiten vorgestellt. Alle sind mit Ex-Jugoslawien verbunden, und alle leben in der „Diaspora“: hier bei uns in der Bundesrepublik Deutschland. Dabei besteht kein Anspruch, die ex-jugoslawische Szene hierzulande vollständig darzustellen. Das würde wesentlich mehr Platz erfordern. Insofern ist dieses Buch weniger eine Bestands- als eine Momentaufnahme aus sehr bewegten Zeiten.

Rüdiger Rossig, Berlin im September 2008

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Parfümierter Spiegelanhänger in einem Taxi in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Nicht nur in dieser Form wirkt der 1980 verstorbene jugoslawische Präsident Josip Broz genannt Tito bis heute verehrt.

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Den Schlüssel zum Westen hatten von allen Bürgern der sozialistischen Länder nur die Jugoslawen: SFRJ-Reisepass

I. Wie die Jugos nach Deutschland kamen

Von Gastarbeitern und Jugoviči

„Jugoslawen? Die gibt es doch gar nicht mehr!“ So oder ähnlich klingt heute meist die deutsche Reaktion, wenn von Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien die Rede ist. Seit den Kriegen der neunziger Jahre ist hierzulande bekannt, dass viele Bosnier, Kroaten, Makedonier, Serben und Slowenen nicht gerne an ihren verblichenen gemeinsamen Staat erinnert werden. Was damals genau in Ex-Jugoslawien passiert ist, bleibt umstritten. Mit dem balkanischen Chaos der neunziger Jahre kennt sich kein normaler Mensch aus. Und schließlich will man politisch korrekt sein und niemanden beleidigen. Jugoslawen? Bloß nicht!

Das war nicht immer so. Bevor Jugoslawien 1991 in Krieg und Chaos zerfiel, wussten außerhalb dieses Landes nur Spezialisten, dass die Jugoslawen tatsächlich Bosnier und Herzegowiner, Kroaten, Makedonier, Montenegriner, Serben und Slowenen waren. Und Muslime, Katholiken und Serbisch-Orthodoxe. Von Albanern, Ungarn, Romi oder anderen Minderheiten ganz zu schweigen. Für die meisten Deutschen waren die Menschen aus der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (Socijalistička Federativna Republika Jugoslavija, SFRJ) schlicht und ergreifend „Jugos“. Und so heißen sie und ihre Nachfahren bis heute für die Eingeborenen wie für die griechischen, italienischen, portugiesischen, spanischen und türkischen Kolleginnen und Kollegen.

Dabei hatten viele heutige Ex-Jugoslawinnen und Ex-Jugoslawen schon vor dem Zerfall des gemeinsamen Staates mit dieser Benennung ihre Probleme. Weniger, weil der Begriff Jugos die nationalen, sprachlichen und religiösen Unterschiede im Herkunftsland außen vor ließ. Das störte die Arbeitsmigranten, die seit Ende der sechziger Jahre aus Jugoslawien nach Westdeutschland kamen, schon deshalb nicht, weil sich die allermeisten von ihnen zumindest im Ausland durchaus als Jugoslawen einstuften. Vielmehr roch und riecht Jugos nach Grillfleisch und „Rakija“ genanntem Schnaps, nach Unterentwicklung und dörflicher Herkunft, Billigtourismus und schlechter Volksmusik. Nach Armut und nach „Balkan“ – also genau den Dingen, denen die „Gastarbeiter“ aus dem Staate Titos entkommen wollten.

Egal, ob sie von Hause aus katholische Slowenen oder Kroaten, muslimische Bosnier, orthodoxe Serben, Montenegriner oder Makedonier waren: Die meisten Menschen aus der SFRJ, die sich auf den Weg in die reiche Bundesrepublik Deutschland machten, kamen aus den armen, unterentwickelten Regionen Jugoslawiens. Zwar machten sich auch einige Gastarbeiter aus großen Städten wie Zagreb, Sarajevo oder Belgrad auf den Weg nach Westen – die überwiegende Mehrheit aber stammte aus kleinen, ländlichen Gemeinden. Der Hauptgrund für die Auswanderung aus dem Jugoslawien der sechziger Jahre waren die Armut und Perspektivlosigkeit in den strukturschwachen ländlichen Gebieten Kroatiens, Bosniens und Serbiens. Bis dahin hatten die Menschen in den Dörfern und Kleinstädten ihre Hoffnungen auf sozialen Aufstieg in einen Umzug in eine der Städte des eigenen Landes gesetzt. Aber mit dem Ende des sozialistischen Aufbaus war die Aufnahmekapazität der urbanen Zentren Jugoslawiens erschöpft. Die wirtschaftliche Dynamik, die die Wirtschaft der SFRJ in den fünfziger Jahren geprägt hatte, verlangsamte sich im Verlauf der Sechziger immer mehr. Plötzlich gab es Arbeitslosigkeit.

Da tat sich mit der Anwerbevereinbarung zwischen den Regierungen in Bonn und Belgrad von 1968 eine neue Möglichkeit auf: Statt ohne bezahlte Beschäftigung auf dem Dorf oder in tristen sozialistischen Vorstädten zu sitzen, konnten junge, arbeitswillige Jugoslawen für ein paar Jahre ins wirtschaftlich boomende Westdeutschland gehen – mit der Perspektive, anschließend als gemachter Mensch nach Hause zurück zu kehren.

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Der zweimillionste Gastarbeiter ist eine Jugoslawin: Vera Rimski (19) aus Novi Sad wird am Mittwoch, dem 8. März 1972 auf dem Münchner Hauptbahnhof von Josef Stingl, dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, mit Blumen begrüßt
SV-Bilderdienst/dpa

Der Weg Westdeutschlands von der Trümmerlandschaft von 1945 bis zum Wirtschaftswunderland der sechziger Jahre wurde von zwei großen Zuwanderungsschüben geebnet: Nach dem Zweiten Weltkrieg strömten zunächst ca. zwölf Millionen deutsche Flüchtlinge und Vertriebene in die drei westlichen Besatzungszonen. Nach der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 bis zur Sperrung der innerdeutschen Grenze wanderten zudem ca. 3,1 Millionen Deutsche aus der DDR in die BRD ab. Aber damit war nach dem Mauerbau am 13. August 1961 Schluss.

Um den nun entstehenden Mangel an Arbeitskräften auszugleichen, wurden seit Mitte der sechziger Jahre immer mehr ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter angeworben: Italiener, Griechen, Spanier, Portugiesen, Türken und Jugoslawen.

Das schien ein Geschäft auf Gegenseitigkeit zu sein: Jugoslawien verringerte seine Arbeitslosigkeit und erhielt von den Arbeitsmigranten gleichzeitig wertvolle Devisen. Und die Bundesrepublik bekam ihren Mangel an Arbeitskräften in den Griff. Vom ersten Jahr der Vollbeschäftigung 1960 bis zum Ausbruch der Weltwirtschaftskrise 1973, die die damalige sozial-liberale Bundesregierung zu einem Anwerbestopp veranlasste, wuchs die ausländische Erwerbsbevölkerung in Westdeutschland von rund 280.000 auf 2,6 Millionen Menschen an. Vom ersten Anwerbeabkommen 1968 bis 1989 entwickelten sich die Jugos nach den Türken zur zweitgrößten Community mit 12,5 Prozent der Ausländer in der Bundesrepublik.

Der westdeutsche Alltag von den Siebzigern bis 1991 spiegelte diese Tatsache wider: In jeder Telefonzelle der alten Bundesrepublik befand sich ein Aufkleber, auf dem die Bedienung des Gerätes auf Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Türkisch und Serbokroatisch beschrieben wurde – neben der jeweiligen Staatsfahne. Erst als Jugoslawien 1990/91 in seine nationalen Bestandteile zerfiel, verschwand das blauweiß-rote Banner mit dem roten Stern in der Mitte. Und weil sich die serbokroatisch sprechenden Post-Jugos nicht auf eine neue Fahne – die bosnische, kroatische oder serbische – einigen konnten, fehlt die Beschreibung in ihren Sprachen in den heutigen deutschen Telefonzellen ganz.

Zuzüge aus dem ehemaligen Jugoslawien sowie den Nachfolgestaaten

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Warten auf Papiere: Gastarbeiter in der Annahmestelle des Arbeitsamtes im Keller des Hauptbahnhofs von München
SV-Bilderdienst/Neuwirth F.

In den achtziger und frühen neunziger Jahren gab es in jeder größeren Ortschaft ein jugoslawisches oder „Balkan“-Restaurant. Die Gäste waren einerseits Gastarbeiter, die sich in den Jugo-Restaurants zum Stammtisch trafen, und andererseits von der balkanischen Küche und vom Adria-Urlaub begeisterte „Švabe“ (Schwaben). Diesen Begriff benutzte man in den südslawischen Gebieten der österreichischen Monarchie für Siedler aus den deutschsprachigen Teilen Europas. Dass die Bezeichnung auf die allermeisten Westdeutschen nicht nur nicht zutrifft, sondern für manche sogar beleidigend sein kann, interessiert die Gastarbeiter aus der SFRJ und ihre Nachfahren bis heute nicht.

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Zeitgleich zur Arbeitsmigration von Jugos in die Bundesrepublik entdeckten die Westdeutschen Jugoslawien als Reiseziel: Sprung von der „Alten Brücke“ im bosnischen Mostar, 1987

Zeitgleich zur Arbeitsmigration von Jugos in die Bundesrepublik hatten die Westdeutschen Jugoslawien als Reiseziel entdeckt. Aufgrund der anhaltend guten wirtschaftlichen Entwicklung gedieh die deutsche Tourismus-Branche prächtig. So lernten Millionen Bundesbürger Jugoslawien kennen: ein ziemlich liberales sozialistisches Land mit einer wunderschönen Adriaküste, politisch dank Block- und Reisefreiheit wohl akzeptiert zwischen den Staaten der Welt – und zudem im Vergleich zum traditionellen deutschen Urlaubstraumland Italien auch noch wirklich preiswert. So kamen sich die Deutschen und ihre jugoslawischen Gastarbeiter näher. Herta und Helmut besuchten Svetlana und Zvonko in deren Heimatort oder stellten sich gleich einen Wohnwagen auf das Grundstück an der Küste, das ihre jugoslawischen Kollegen vom in Deutschland verdienten Geld gekauft hatten.

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Neujahr zu Hause erleben: Am 31. Dezember 1971 warten ausländische Arbeitskräfte aus Süd- und Südosteuropa auf dem Münchner Hauptbahnhof auf die Abfahrt. Wegen des erhöhten Bedarfs hatte die Bahn verstärkt Sonderzüge eingesetzt
SV-Bilderdienst/Neuwirth F.

Gerade weil viele Arbeitsmigranten in ihren Herkunftsländern bauten und auch verbal betonten, dass sie dorthin zurückkehren wollten, ging man noch lange nach dem Anwerbeabkommen auf deutscher Seite davon aus, dass die ausländischen Arbeitskräfte nach dem Ende ihrer Arbeitsverträge tatsächlich wieder nach Hause fahren würden. Dass die Jugoslawen den Begriff Gastarbeiter phonetisch in ihre südslawischen Sprachen aufnahmen – in allen Teilen Ex-Jugoslawiens heißen Migranten, die im Westen arbeiten, bis heute „Gastarbajter“ – ist ein Statement: Die deutsche und die jugoslawische Seite waren sich über die grundsätzlichen Modalitäten der Migration in die Bundesrepublik einig. Sie sollte zeitlich begrenzt sein. Aber so lief das nicht.

Aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Jahre ging die Bundesregierung nach dem Anwerbestopp von 1973 davon aus, dass weiterhin 200.000 bis 300.000 ausländische Arbeitskräfte pro Jahr das Land verlassen würden, während gleichzeitig kein neuer Zulauf stattfinden würde. Tatsächlich geschah etwas ganz anderes: Die Zahl der erwerbstätigen Ausländer der Bundesrepublik nahm zwar tatsächlich zwischen 1973 und 1979 von 2,6 auf 1,8 Millionen ab. Aber die Gesamtzahl der in Westdeutschland lebenden ausländischen Staatsbürger blieb im gleichen Zeitraum stabil – und begann dann sogar zu steigen. Es wurde erkennbar, dass zumindest ein Teil der Gastarbeiter vorhatte, in Deutschland zu bleiben: Sie zogen aus den Ausländerwohnheimen in Mietwohnungen, holten ihre Familien nach und begannen, Kinder zu zeugen. 1980 lag die Zahl der in Deutschland lebenden Migranten um eine Million höher als 1973. Das Thema „Ausländer“ wurde zum Politikum.

Im Gegensatz zu ihren aus der Türkei stammenden Kolleginnen und Kollegen spielten die Jugos in der Ausländer-Debatte der achtziger und neunziger Jahre keine Rolle. Weder rechte Politiker noch der rechts-extreme Mob griffen jemals Jugoslawen an. Offenbar hielten selbst diejenigen Deutschen, die Ausländer im Allgemeinen als Problem empfanden, Gastarbeiter aus der SFRJ für integrationsfähig. Dazu trug auch bei, dass die Jugos nur in wenigen Fällen zusammenhängende Wohnbezirke bildeten. Viele lebten in Orten, in denen es außer ihnen gar keine Ausländer gab. Zudem war das sozialistische Jugoslawien ja vielen Westdeutschen aus dem Urlaub bekannt.

Und: Die jugoslawische Alltagskultur war der der Bundesrepublik vielerorts nicht allzu fremd. Das ist wohl auch ein Grund für die vielen deutsch-jugoslawischen Mischehen und die Kinder aus diesen: Jugo-Kinder oder „Jugoviči“.

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Lob der Jugošvabe

Der Journalist und Buchautor Nicol Ljubić erzählt in „Heimatroman oder Wie mein Vater Deutscher wurde“ die Geschichte eines jugoslawischen Arbeitsmigranten und seiner Familie.

Nicol Ljubić ist ein „Jugošvabo“: Der Vater des 1971 geborenen Journalisten und Buchautors kam Ende der Fünfzigerjahre aus Jugoslawien nach Deutschland und heiratete eine „Švabica“. Jugošvabe gibt es in Deutschland Hunderttausende. Sie sind durch Eltern, Verwandtenbesuche und Urlaube in der Kindheit irgendwie mit dem Balkan verbandelt, können aber oft die dortigen Sprachen nicht: Zu Hause sprach man Deutsch.

Jugošvabe gehören in exjugoslawischen Kreisen immer irgendwie dazu – aber selten ganz. Das führt zu zweierlei Reaktion: Die eine Sorte Jugošvabe legt den Bezug zum Herkunftsland der Eltern oder des Elternteils irgendwann völlig ab. Manche germanisieren ihre Nachnamen: Aus Ljubić wird Lubitsch. Der Autor von „Heimatroman oder Wie mein Vater Deutscher wurde“ gehört zu der anderen Art: Nicol Ljubić interessiert sich für die Welt, aus der sein Vater kommt.

Nun ist Dragutin Ljubić, genannt Drago, nicht irgendein Arbeitsmigrant vom Balkan, der in Mann-, Rosen- oder Rüsselsheim hängen geblieben ist. Der Mann, der in seiner Jugend „Grizzly“ genannt wurde, ist intelligent, vielseitig begabt, flexibel und zielbewusst. Was Drago anpackt, das macht er gut. Daher endet die Reise des Autoschlossers aus Zagreb auch nicht irgendwo in Deutschland, sondern führt den Flugzeugmechaniker Ljubić und seine Familie durch halb Europa bis nach Afrika.

Dabei ist Vater Ljubić nicht nur in den Augen des Sohnes, sondern – von ein paar sprachlichen Besonderheiten abgesehen – ganz offensichtlich ein waschechter Deutscher: Er ist fleißig, pünktlich und in einer Art pedantisch, die man spießig nennen könnte. Auch deswegen hielt der Sohn die abenteuerlichen Geschichten des Vaters über dessen Weg nach Deutschland lange für Legenden.

Überhaupt ist dem in der satten Bundesrepublik geborenen Nicol Einiges unklar geblieben. So meinte er, der Tito-Kommunismus sei der Grund für die Migration seines Vaters gewesen. Die Armut, in der Drago aufgewachsen ist, nimmt er erst wahr, als er das Leben seines alten Herrn recherchiert – und das in Begleitung desselben. Von Kroatien aus befahren Sohn und Vater dessen Migrationsstrecke von Jugoslawien über Italien, Korsika und Frankreich bis nach Deutschland.

Nicol Ljubić‘ Reisebericht ist eine fesselnde Schilderung nicht nur der imposanten Persönlichkeit, die Vater Drago zweifelsohne ist. „Heimatroman oder Wie mein Vater Deutscher wurde“ ist auch eine Reise durch ein Europa Ende der Fünfzigerjahre. Dem Sohn gelingt es immer wieder, die Welt, in der sein Vater aufwuchs, mit der bundesdeutschen Wohlstandsgesellschaft querzuschneiden, in er selbst groß werden durfte – und dabei zu erklären, wie aus seinem kroatischen Vater ein Deutscher wurde.

Detailliert und liebevoll beschreibt Ljubić die kleine Wohnung der Tante im kroatischen Zagreb, das baufällige Haus, in dem der Vater mit Eltern und Geschwistern lebte, das Dorf, aus dem die Großeltern in die große Stadt gezogen waren – die der Vater wiederum verließ, um anderswo sein Glück zu suchen. Geschickt, weil scheinbar unbewusst, lässt Ljubić ein paar Mal die Übersetzung kroatischer Sätze weg – und macht so sein eigenes Nichtverstehen der Vatersprache für den Leser nachvollziehbar.

Nicol Ljubić‘ Heimatroman ist mehr als eine Vater-Sohn-Geschichte. Ein Reisebericht, eine wunderschöne Erzählung – und die Hommage eines Jugošvabo an die Migranten, die in den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren aufgrund ihres Fleißes, ihrer Intelligenz und ihrer Adaptionsfähigkeit fern der Heimat den Aufstieg in die Mittelschicht geschafft haben.

Nicol Ljubić: Heimatroman oder Wie mein Vater Deutscher wurde. DVA, München 2006, 210 Seiten, 17,90 Euro

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Titos Arbeitszimmer, Mausoleum „Haus der Blumen“ Belgrad, Winter 2007
Roland Gerhardt

Es war zweimal ein Land

Die Idee eines gemeinsamen Staates der Jugo- oder zu Deutsch „Süd“-Slawen entstand Anfang des 19. Jahrhunderts. Zunächst fand sie keinen großen Widerhall. Slowenen und Kroaten lebten seit Jahrhunderten in der Habsburger Monarchie, Bosnier, Serben, Montenegriner und Makedonier im Osmanischen Reich. Sicher hatte es immer wieder Aufstände gegeben – aber die richteten sich eher gegen die sozialen Umstände, in denen die Südslawen lebten, als gegen die „fremden“ Herrscher. Tatsächlich nahmen viele der zukünftigen Jugoslawen diese gar nicht als fremd wahr, denn das Konzept nationaler Staaten war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht auf dem Balkan angekommen. Wie im europäischen Mittelalter lebte man unter dem Herrscher, den man je nach Glauben von Gott, Allah oder Jahwe erhalten hatte. Und scherte sich um Politik nur dann, wenn man selbst von ihr betroffen war.

Erst als im Verlauf des 19. Jahrhunderts immer offensichtlicher wurde, dass weder Wien noch Istanbul in der Lage waren, adäquat auf die Anforderungen der heraufziehenden kapitalistischen Moderne zu reagieren, gewann die Idee eines gemeinsamen Staates der Südslawen Anhänger. Montenegro und Serbien waren zu diesem Zeitpunkt bereits unabhängige Staaten geworden. Aber im Rest des Osmanischen Reiches und in den österreichischungarischen Gebieten gab es für die Panslawisten keine Möglichkeiten, ihr politisches Ziel zu propagieren. Einige Polit-Jugoslawen bildeten terroristische Gruppen, die einen Zusammenschluss aller südslawischen Gebiete der Habsburgermonarchie mit Serbien anstrebten und von dort aus unterstützt wurden.

Am 28. Juni 1914 erschoss der 20-jährige Gavrilo Princip den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand von Habsburg in der bosnischen Hauptstadt Sarajevo. Der Krieg, der dem Attentat folgt, zerstörte nicht nur das deutsche Kaisertum und den russischen Zarismus, sondern auch das Osmanische Reich und den Staat der Habsburger. 1918 wurde ein südslawischer Staat unter serbischer Führung gegründet: das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Doch schon bald zeigte sich, dass die Unterschiede zwischen den ex-osmanischen und den ehemals österreichisch-ungarischen Teilen des ersten Jugoslawiens die slawisch-nationalen Ähnlichkeiten überwogen. Die politische Szenerie entwickelte sich zu einem Tauziehen zwischen Kroaten und Serben. Bald gehörten Mordanschläge auf politische Gegner zum Alltag.

Als Hitlerdeutschland Jugoslawien 1941 angriff, fiel das Königreich der Südslawen binnen weniger Tage auseinander. Slowenien wurde zwischen Deutschland und Italien aufgeteilt, das auch Montenegro und Teile Dalmatiens erhielt. Im übrigen Kroatien und in Bosnien wurde ein Nazi-Vasallenstaat unter der katholisch-faschistischen „Ustaša“ (Aufständische)-Bewegung gegründet. Teile der nordserbischen Vojvodina gingen an Ungarn, in Serbien installierten die Nazis eine Marionettenregierung. Makedonien fiel an das mit Hitler verbündete Bulgarien.

Unter anderem, weil alle Besatzer rücksichtslos mit der lokalen Bevölkerung umgingen, regte sich schon bald nach der Besetzung Jugoslawiens Widerstand. Aber die verschiedenen Widerstandsgruppen – allen voran die serbischen „Četnici“ (Freischärler) – vertraten jeweils nur eines der jugoslawischen Völker. Einzig die bis dahin politisch unbedeutende Kommunistische Partei Jugoslawiens (Komunistička Partija Jugoslavije, KPJ), die von dem „Tito“ genannten Kroaten Josip Broz geführt wurde, hatte ein trans-jugoslawisches Programm und war für alle Völker und Religionen des Landes offen.

Das multinationale Konzept und die organisatorische Geschlossenheit der KPJ, der mit hohen Opfern und ohne Rücksicht auf eigene Verluste geführte Widerstand der kommunistischen „Partisanen“ sowie die scharfe Reaktion der Besatzungsmächte führten die Tito-Bewegung zum Erfolg. Bereits im November 1943 hatten die Partisanen sich zu Siegern des Krieges erklärt und Anspruch auf die politische Führung Nachkriegs-Jugoslawiens angemeldet. Im Mai 1945 kontrollierten sie das gesamte Staatsterritorium. Nun begann die KPJ mit dem Aufbau ihres Gesellschaftsmodells.

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In den ersten Jahren nach 1945 folgten die jugoslawischen Kommunisten dabei strikt dem Vorbild der Union der Sozialistischen Sowjet-Republiken (UdSSR). Ihre Gegner wurden enteignet, verhaftet und vertrieben. Jugoslawien wurde eine Volksrepublik nach sowjetischem Muster. Doch 1948 kam es zum Bruch mit Moskau. Sowjetführer Josef Stalin hatte versucht, sich in die inneren Angelegenheiten Jugoslawiens einzumischen. Das hatten die Sowjets zuvor bereits mit einigem Erfolg in anderen kommunistisch beherrschten Ländern getan. Doch im jugoslawischen Fall lagen die Dinge anders als in Ungarn, Polen oder der Tschechoslowakei, die die Sowjetarmee von den deutschen Besatzern befreit hatte. Jugoslawien war der einzige europäische Staat, der sich selbst von der Besetzung durch die Achsenmächte befreit hatte. Dementsprechend selbstbewusst war die kommunistische Führung des Landes. Sie verweigerten sich der sowjetischen Dominanz – und wurden zur Strafe aus der Familie der sozialistischen Staaten verstoßen.

Der Bruch mit der Sowjetunion veränderte Jugoslawien in den Jahren nach 1948 grundsätzlich und nachhaltig. Ständig bedrängt von der Angst vor einem möglichen Angriff der Sowjetunion und der von ihr dominierten Nachbarstaaten des Ostblocks, begannen die jugoslawischen Kommunisten, sich dem Westen anzunähern. Zuerst nahmen sie militärische Unterstützung an. Die wirtschaftliche Annäherung – zunächst ebenfalls in Form von Hilfslieferungen, die sich im Laufe der Zeit in wirtschaftliche Verbindungen bis hin zu westlich-jugoslawischen Gemeinschaftsbetrieben entwickelten – folgte schnell. Doch als die westlichen Staaten ihrerseits versuchten, Einfluss auf die jugoslawische Politik zu nehmen, gründete Tito 1955/56 zusammen mit dem indischen Staatschef Nehru und dem ägyptischen Präsidenten Nasser die Bewegung der blockfreien Staaten, die bis zum Ende des Kalten Krieges 1989/90 eine nicht zu unterschätzende Rolle in der ansonsten in Ost- und Westblock geteilten Welt spielte.

Auch innenpolitisch entwickelte sich das sozialistische Jugoslawien anders als die anderen kommunistisch beherrschten Länder. Im Bewusstsein ihrer uneingeschränkten Macht hatten Tito und die KPJ bereits in den frühen fünfziger Jahren ihren direkten Einfluss auf Medien und kulturelles Leben im Lande eingeschränkt. 1952 wurden die täglichen Direktiven der Parteiführung für die Medien abgeschafft – ein Schritt, den die anderen kommunistischen Parteien Osteuropas bis 1989 nicht taten. 1953 wurde den jugoslawischen Jazzmusikern erlaubt, ihre eigene Vereinigung zu gründen. In anderen sozialistischen Ländern war Jazz noch Jahre später verboten oder konnte nur ein Nischendasein fristen. In den sechziger Jahren öffneten die jugoslawischen Kommunisten die Grenzen. Die Jugoslawen waren die einzige Bevölkerung eines sozialistischen Landes, die frei reisen durfte.

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SFRJ-Staatswappen

Das heißt nicht, dass Titos Jugoslawien ein demokratisches Paradies gewesen wäre. Eher schon könnte man die SFRJ als sozialdemokratischen Polizeistaat bezeichnen. Es gab zu allen Zeiten politische Gefangene – aber diesen ging es besser als in jedem anderen kommunistischen Land. Weder gab es freie Wahlen noch existierten politische Parteien neben der mittlerweile zwecks äußerlicher Abgrenzung zu den Regimes in Osteuropa in „Bund der Kommunisten Jugoslawiens“ (Savez Komunista Jugoslavije, SKJ) umbenannten Partei Titos – aber innerhalb dieser und der von ihm kontrollierten Gewerkschaften und Massenorganisationen gab es vielfach die Möglichkeit zur Kritik. Zwar kontrollierten die Kommunisten weiterhin die Medien – aber sie ließen wesentlich mehr Offenheit zu als in allen anderen sozialistischen Staaten. Zeitweise ermunterte das Regime politische Kritik regelrecht und verhielt sich positiv zu wilden, nicht von der Partei genehmigten Demonstrationen – aber Tito ließ auch mehrfach die Panzer der Jugoslawischen Volksarmee (Jugoslavenska Narodna Armija, JNA) auffahren, um oppositionelle Bewegungen zu zerschlagen.

Das Regionale Enwicklungsgefälle in Jugoslawien Indices des Sozialprodukts pro Kopf der Bevölkerung (Jugoslawien = 100)

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