Nr. 2640
Splitter der Superintelligenz
Die Puppe der Prinzessin – Alaska Saedelaere im Schauspielpalast
Christian Montillon
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Seit dem dramatischen Verschwinden des Solsystems mit all seinen Bewohnern hat sich die Situation in der Milchstraße grundsätzlich verändert.
Die Region um das verschwundene Sonnensystem wurde zum Sektor Null erklärt und von Raumschiffen des Galaktikums abgeriegelt. Fieberhaft versuchen die Verantwortlichen der galaktischen Völker herauszufinden, was geschehen ist. Dass derzeit auch Perry Rhodan mitsamt der BASIS auf bislang unbekannte Weise »entführt« worden ist, verkompliziert die Sachlage zusätzlich. Um die LFT nicht kopflos zu lassen, wurde eine neue provisorische Führung gewählt, die ihren Sitz auf dem Planeten Maharani hat.
Während Perry Rhodan in der von Kriegen heimgesuchten Doppelgalaxis Chanda gegen die aus langem Schlaf erwachende Superintelligenz QIN SHI kämpft, befindet sich Alaska Saedelaere in der Galaxis Escalian. Sie gilt als »Reich der Harmonie«, über das die in unbekannten Zeitabständen verschwindende und wieder erscheinende TANEDRAR gebietet. TANEDRAR hält Kontakt zu ihren Untertanen über SPLITTER DER SUPERINTELLIGENZ ...
Die Hauptpersonen des Romans
Alaska Saedelaere – Der Maskenträger wird gefangen genommen.
Carmydea Yukk – Die Enkelin von Rhizinza Yukk sieht sich ihrem ärgsten Feind gegenüber.
Eroin Blitzer – Der Zwergandroide vermisst die LEUCHTKRAFT.
Craton Yukk – Ein Lirbal versteht seine Schwester nicht.
Prolog
Der Träumer
Ich male Muster in den Rauch, der aus ihren Augen strömt.
Die Muster vergehen, der Rauch zieht durch ein Fenster ab, das es nicht geben dürfte. Dahinter herrscht Dunkelheit, nur unterbrochen von einigen leuchtenden Punkten auf dem schwarzen Tuch, das das ganze Universum bedeckt.
Etwas nachdenklich schaue ich den letzten Schwaden nach: Sie verpuffen vor einem blauen, roten und gelben Sternenwirbel, den ich zuvor noch nicht gesehen habe. Er ist wunderbar und herrlich, doch längst nicht so schön wie die Frau, aus deren Augen eben noch der Rauch quoll.
»Wer bist du?«
Ich erhalte keine Antwort. Natürlich nicht, denn was ich sehe, ist nur eine Puppe. Nichts als ein künstliches, weiblich geformtes Objekt.
Das Schweigen währt allerdings nicht lange. Plötzlich spricht die Puppe. »Ich bin die Prinzessin Arden Drabbuh. Und ich bin viel mehr als das.«
Nun quillt der Rauch aus ihrem Mund, als würde sie von etwas verzehrt werden, von einem inneren Feuer.
Langsam drehe ich den Kopf, doch das unmögliche Fenster existiert nicht mehr. Wie sollte es auch – in der Außenhülle eines Raumschiffs? Selbst in einem Traum kann so etwas nicht geschehen. Nicht, wenn ich darüber nachdenke.
Denn ich bin ein Logiker.
Einsam, zerrissen und auf einer Odyssee in die Ewigkeit, verloren zwischen den Sternen unbekannter Galaxien. Ich suche etwas, um die Leere in mir zu füllen ...
... doch ich kann dich nicht finden, Samburi Yura!
Wo ist sie, die perfekte Gesandte der Kosmokraten, die mich zurückgelassen hat? Ich kann sie nicht finden, über Lichtjahrmillionen nicht!
Stattdessen sehe ich etwas in meinen Träumen, wunderschön und doch nur ein fader Abklatsch der Frau Samburi Yura – die Puppe der Prinzessin aus dem Mahnenden Schauspiel, das mir einst den Weg ins Reich der Harmonie wies.
Sie ist ebenso unlogisch wie das unmögliche Fenster, aber sie verschwindet nicht. Sie beugt sich zu mir, und ich spüre sogar den Atem auf meinem Gesicht, den sie nicht verströmen kann, weil sie nicht lebt.
Mein Gesicht! Wo ist meine Maske? Ich muss sie aufsetzen, muss ...
»In deinen Träumen brauchst du sie nicht, Alaska Saedelaere«, wispert die Puppe mir zu. »Nicht, wenn du mir gegenüberstehst.«
»Prinzessin?« Meine Frage klingt wie ein Hauch.
Ihr Lachen klirrt hell – Glas, das unter der hohen Stimme einer Opernsängerin fast zerbricht. Und sie wispert mir noch etwas zu; etwas, das mir endgültig klarmacht, dass ich nicht nur träume.
Ihre Lippen nähern sich mir, eben noch künstlich, doch nun lebendig und aus Fleisch, aus warmem Fleisch und Blut. Sie küsst mich.
Ich erwidere den Kuss.
Erster Teil: In der RHYLINE
Alaska Saedelaere
Sie küsste ihn, und er schreckte hoch. Der Traum zerplatzte, aber als Erstes stellte Alaska Saedelaere fest, dass er gar nicht geschlafen hatte.
Sein Atem strich über die Innenseite der Maske und über sein mit dem neuen Cappinfragment verschmolzenes Gesicht.
Er sah sich um. Dies war die Zentrale der RHYLINE. Eroin Blitzer stand neben ihm, der Zwergandroide, der ihm fast zu einem Freund geworden war. Nur dass Alaska Saedelaere, der Einsame, der Eigenbrötler, so leicht keine Fremden als Freunde annahm.
Wie war er in dieses Schiff gekommen, dessen Name er offensichtlich kannte – RHYLINE? Was war zuletzt geschehen?
Er erinnerte sich nicht daran, weil er sich nicht konzentrieren konnte. Alles verschwamm hinter den Augen der Puppe, aus denen Rauch strömte und die er immer noch vor seinem geistigen Auge sah.
Unwillkürlich hob der Maskenträger die Hand, die Fingerspitzen tasteten über die Lippen.
»Alraska?« Wie jedes Mal nutzte Blitzer die ein wenig verfälschte Form des Vornamens, die er – aus welchen Gründen, hatte Saedelaere nie verstanden – für die richtige hielt. »Was ist mit dir?«
»Hast du etwas an mir bemerkt während ...« Wie lange mochte er geträumt haben? »Während der letzten Minuten?«, setzte er neu an und ergänzte leise: »Habe ich geschlafen?«
»Geschlafen?« Die Stimme des zwergenhaften Wesens blieb so ausdruckslos wie immer. Die riesigen, kindlich wirkenden Kulleraugen im leicht gelblichen Gesicht schauten scheinbar ins Leere, als wolle der Blick irgendwo im Kosmos verschwinden. »Soll das ein Scherz sein? Wir haben Besseres zu tun, findest du nicht?« Der ausgemergelte Körper des Zwergandroiden reckte sich.
Besseres? Was meinte er damit? Saedelaere wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als die Empfindungen des Traumes – oder was immer es gewesen war – endlich langsam verblassten.
Die Desorientierung wich der Realität, die imaginäre Gestalt der Puppe löste sich nun auch in seinem Verstand und seiner Erinnerung zu Nebelstreifen auf. Die Augen – künstlich, tot und doch so lebendig – verschwanden zuletzt, und in dem Abschiedsblick lag die Verheißung der Wiederkunft: Wir sehen uns wieder, Maskenträger.
Alaska Saedelaere kam in der Zentrale der RHYLINE an, die er nie verlassen hatte. Er stand nur wenige Schritte vom Sessel des Kommandanten entfernt.
Die letzten Erinnerungen an die irrealen Bilder formten sich zu einem halb unbewussten Gedanken: Die Puppe war ein künstliches Wesen, das lebte, und für Eroin Blitzer gilt das gewissermaßen auch. Ein seltsamer Vergleich, der nicht recht passen wollte und der sich doch in Alaskas Überlegungen verhakte. Natürlich basierte die Existenz des Zwergandroiden auf völlig anderen Grundlagen.
Nach Sekunden, in denen Eroin Blitzers große Augen zu ihm aufsahen und er sich selbst als Spiegelung darin erkannte, räumte der Traum endgültig den Platz für die Wirklichkeit. Und diese sah alles andere als gut aus.
In der Zentrale herrschte Stille. Alle starrten das Holo an, das die Ergebnisse der Außenortung in ein Realbild verwandelte und unmissverständlich zeigte, dass die RHYLINE samt ihrer Besatzung am Ende war. Gefangen, festgesetzt und kurz davor, vom Feind geentert zu werden.
Das Holo zeigte die RHYLINE selbst im Zentrum, ein etwas umgebauter escalianischer Kampfraumer mit verlängertem Mittelteil. Schräg dahinter stand die planetengroße Anomalie, ein schwarzes Nichts, geformt wie eine perfekte Kugel, als wäre ein Planet aus der Wirklichkeit herausgerissen worden und nur ein Loch im Universum zurückgeblieben.
10.101,3 Kilometer Durchmesser, rechnete Saedelaeres SERUN automatisch die Messdaten um; eine im Grunde völlig unwesentliche Information, die Alaska jedoch deutlich machte, wie unglaublich seine zurückliegenden Erlebnisse waren.
Er war mit der RHYLINE unter dem Kommando des krötenartigen Piloten Rizinze Baro in die Anomalie eingeflogen, die im Inneren um ein Vielfaches größer war als von außen anmessbar – ein Unterschied wie der einer Erbse zur gigantischen Kugel einer Welt. Baro galt als der Einzige, der mithilfe seines modifizierten Schiffs ein solches kosmisches Phänomen anzusteuern und in es einzudringen vermochte.
So waren sie zu fünft aufgebrochen – er selbst und Baro, außerdem der Zwergandroide Eroin Blitzer und zwei besondere Wesen aus dem Reich der Harmonie: Carmydea Yukk, die Enkelin der Herzogin Rhizinza Yukk; und Swift, der sich als Saedelaers Freund in sein Vertrauen eingeschlichen und sich dann als Verräter erwiesen hatte. Swift saß nun in einer Isolationszelle gefangen, und Saedelaere hatte wieder einmal erleben müssen, dass man niemandem – niemandem! – zu leicht sein Vertrauen schenken durfte.
In der Anomalie waren sie auf SIL getroffen, ein Wesen, das dort von der negativen Superintelligenz QIN SHI eingekerkert worden war. Was allerdings beinahe noch erstaunlicher war, war etwas nur allzu Bekanntes: Saedelaere hatte dort ein Beiboot der BASIS entdeckt – ein terranisches Schiff, das sich unmöglich im Reich der Harmonie befinden konnte. Und doch war es eine Tatsache, die sich nicht leugnen ließ; ein Rätsel, um das sich Saedelaere würde kümmern müssen, wie auch um die Geheimnisse, die sich um SIL und QIN SHI rankten.
Doch momentan sah es nicht danach aus, als könne ihm dies je gelingen. Denn das Holo zeigte bei Weitem nicht nur die RHYLINE mit der schwarzen Kugel der Anomalie im Hintergrund.
Vielmehr gab es eine ganze Flotte von Raumern aus dem Reich der Harmonie, die die RHYLINE nach ihrer Rückkehr nicht nur abgefangen, sondern auch sofort in ein Fesselfeld eingeschlossen hatte – ein energetischer Strahl bannte ihr Schiff auf der Stelle.
Den Datenblöcken am Rand des Holos zufolge handelte es sich um escalianische Walzenraumer der Vabira-Klasse, wobei Vabira für das Wort Verkünder stand – Einheiten, die für die Harmonie eintraten und sie überall im Reich durchsetzten; notfalls mit Gewalt.
Bei einem Durchmesser von 310 Metern maßen sie 1040 Meter in der Länge. Bis auf einige Längskuhlen, die als Andockbuchten für Kleinraumer genutzt werden konnten, war die dunkle blaugraue Hülle völlig glatt.
»Baro!«, rief Carmydea Yukk, und ihre Stimme riss Saedelaere aus den Gedanken, mit deren Hilfe er sich nach den Bildern der Traumvision mühevoll in der Realität orientierte. »Tu etwas!«
»Was soll ich ...«
Carmydeas Maske, die sie wie jeder im Reich der Harmonie trug, verhinderte weitgehend, dass Saedelaere ihre Mimik sehen konnte. Ihre Stimme jedoch verriet ihre Verzweiflung ebenso deutlich, und immerhin lag die untere Hälfte ihres Gesichts frei; die Maske ähnelte in ihrem Fall eher einer Art überdimensionalem Band. Rote Feuersteine leuchteten auf verschlungenen Goldlinien. Das spitze Kinn stand vorwitzig und keck vor.
»Du hast doch ein weithin berühmtes Spezialschiff!« Sie schrie den Piloten beinahe an. Sie stand neben dem Krötenähnlichen, der sich in seinen Kommandanten- und Pilotensessel kauerte. Ein Teil ihres hüftlangen silbernen Haares strich über Baros Oberkörper, als sie sich umdrehte und über ihn beugte. »Eine Sonderanfertigung, mit der du das Wunder vollbringst, in Anomalien einzufliegen!«
»Und deshalb kann ich einfach so eine gegnerische Flotte besiegen, ja?« Der massige Körper des Piloten bebte, genau wie Carmydeas Stimme; sein Kehlsack blähte sich. Er gehörte dem Volk der Kandran an, die im Reich der Harmonie weitverbreitet waren.
»Wer spricht von besiegen?«, fragte Carmydea Yukk. »Wie wäre es stattdessen mit austricksen?«
Dazu ist es wohl zu spät, dachte Saedelaere.
»Dazu ist es wohl zu spät«, sprach Rizinze Baro exakt diese Worte aus, was Saedelaere kurz befremdete. Es war zweifellos nur ein Zufall, nicht mehr – diese Antwort lag in dieser Situation einfach nah; für einen Menschen ebenso wie für ein fremdartiges Krötenwesen.
Er konnte Carmydeas Verzweiflung nur zu gut nachvollziehen. Dem Militär des Reiches der Harmonie in die Hände zu fallen musste für sie das Schlimmste sein, was sie sich vorzustellen vermochte. Sie zählte zu den Anführern der Jyrescaboro, einer Widerstandsgruppe, die gegen das Reich intrigierte und es zu unterlaufen versuchte, um die herrschenden Strukturen zu verändern; eine dezidierte Feindin des Systems der Machthaber, das alles, was laut ihrer Definition »fremd« war, verfolgte.
»Wie ist deine Bewaffnung?«, fragte sie.
Ehe der Kandran antworten konnte, traf eine Funknachricht ein.
*
»Besatzung der RHYLINE«, tönte eine kalte, unpersönliche Stimme aus einem Lautsprecher der Steuerkonsole. »Im Namen des Reiches der Harmonie fordere ich sofortige Kapitulation. Ihr seid in unserem Traktorstrahl gefangen. Zwingt uns nicht, euer Schiff zu zerstören. Euch bleibt eine Kim, dann erwarte ich eure bedingungslose Unterwerfung.«
Die Funkverbindung brach nach diesem Ultimatum ab. Eine Kim, dachte Saedelaere. Etwa fünf Minuten.
Stille breitete sich aus, bis Saedelaere rief: »Baro, schaff Swift aus seiner Zelle herein! Schnell!«
Der Kommandant verlor zum Glück keine Zeit mit langen Diskussionen. Er eilte aus der Zentrale und kehrte rasch zurück, mit Swift im Schlepptau.
Der große, hagere, humanoide Dyonad lag unter einem energetischen Fesselfeld gefangen. Er war völlig nackt; die einzige und radikale Möglichkeit, sicherzustellen, dass er über keine versteckten Waffen verfügte. Seine hellblaue Haut schien fast zu leuchten im grellen Licht, das sich im Fesselfeld brach.
Swift gab eine Art Kichern von sich. Alaska empfand ihm gegenüber eine Mischung aus Enttäuschung und Verachtung. Haspelon, wie sein wahrer Name lautete, hatte in einer Zeit der großen Not sein Vertrauen erschleichen und ihn später töten wollen.
»Ihr solltet auf das Ultimatum eingehen«, forderte Swift. Kommandant Baro stieß ihn in eine Ecke. Dort fiel er hin, dank der energetischen Fesselung unfähig, sich zu rühren. »Sie werden nicht lange zögern, Verräter wie euch ...«
»Wer ist hier ein Verräter?« Carmydea Yukks Stimme klirrte wie Eis. »Noch ein Wort von dir, und ich reiße dir die Maske herunter!«
»Ausgerechnet du willst mir damit drohen, mich bloßzustellen? Du bist doch gegen das Reich der Harmonie, gegen das System! Warum trägst du überhaupt einen Blickschutz vor deinem Gesicht? Weshalb passt du dich an, Heuchlerin?« Er verzog die Lippen zu einem herablassenden Grinsen.
Seine Maske bedeckte das Gesicht nur oberhalb des Mundes bis zum Haaransatz über der hohen Stirn – in diesem einen, einzigen Punkt ähnelte er Carmydea. Sonst könnten die beiden unterschiedlicher kaum sein.
Die Maske lag hauteng an, ohne dass Haltebänder oder etwas Vergleichbares zu sehen gewesen wären. Die dunkelblaue Färbung des Materials ließ es wie eine zu Porzellan erstarrte Fortsetzung der hellblauen unteren Gesichtshälfte aussehen.
Über den Augenlöchern schnappten blutrot gefärbte, künstliche Membranen zu, ließen die dunkelgrünen Augen immer wieder stroboskopartig verschwinden – als wolle er der übrigen Besatzung spöttisch zublinzeln.
Carmydea starrte ihn an, mit der aufrechten Haltung einer Königin. »Du verstehst gar nichts.«
Sie wandte sich an Rizinze Baro, den Piloten, Kommandanten und Designer der RHYLINE; wenn jemand das Schiff kannte, dann er. »Du sagst also, es gibt keine Chance, den Traktorstrahlfesseln zu entkommen?«
»Keine.«
»Eure Zeit läuft ab!« Swift zog die dunkelblauen Lippen zurück, entblößte strahlend weiße Zähne. »Wollt ihr wirklich sterben?«
»Du sorgst dich um uns?«, fragte Saedelaere spöttisch. Er hatte sofort verstanden, worum es dem Verräter tatsächlich ging. »Wohl eher um dich, was? Oder hast du noch keinen Gedanken daran verschwendet, dass du bei einer Explosion des Schiffes ebenfalls ...«
»Natürlich weiß ich das!«, unterbrach der Gefangene. »Glaubst du, ich bin zu einem der wichtigsten Geheimagenten des Reiches der Harmonie geworden, weil ich dumm bin?«
»Sie werden uns nicht töten«, behauptete Saedelaere. »Wenn sie das wollten, hätten sie es längst getan. Sie wollen uns lebend.«
»Und sie dürfen uns nicht bekommen! Weißt du, was es heißt, ihnen in die Hände zu fallen? Es ist entsetzlich! Sie ...« Carmydea brach mitten im Satz ab; ein Teil ihrer königlichen Überlegenheit zerbröckelte. Die ängstliche junge Frau unter dieser Fassade kam zum Vorschein, die sich unter Einsatz all ihrer Kräfte zu einer Anführerin der Jyrescaboro-Widerstandsgruppe aufgeschwungen hatte.
»Ich weiß es«, betonte Saedelaere. »Denn genau das ist mir passiert. Ich war in ihrer Gewalt und wurde verhört – mit extrem scharfen Methoden. Oder Folter. Danach hat man mir das Gedächtnis genommen und ein ... Verräter hat sich in mein Vertrauen geschlichen!«
Er warf Swift einen verächtlichen Blick zu. »Oder denkst du, dass ich den Harmoniewächter Uyari Lydspor vergessen könnte, der dieses Folterverhör durchgeführt hat?«
»Es ist ...«, begann Swift, verstummte aber, als Carmydea drohend auf ihn deutete. »Sei still, oder ich bring dich zum Schweigen!«
Ohne ihr Zutun entstand ein Hologramm mitten in der Zentrale.
Eine humanoide Gestalt zeigte sich darin, wohl ein Lirbal wie Carmydea Yukk. »Eure Zeit ist abgelaufen. Also, wie fällt eure Entscheidung aus?«
»Wir müssen reden!«, forderte Saedelaere. »Es gilt ...«
»Falsche Antwort!«, erwiderte ihr Feind. Das Holo flackerte und erlosch; Funken blieben zurück und tanzten in der Luft.
Im nächsten Augenblick erklang ein Dröhnen. »Schutzschirmüberlastung!«, rief Kommandant Baro. »Sie schießen!«
Der gefesselte Swift ächzte gequält.
Im selben Moment schien die Zeit rund um Saedelaere stehen zu bleiben. Aus dem Funkentanz formte sich eine Gespenstergestalt mit großen, schönen, rauchenden Augen. Die Puppe der Prinzessin Arden Drabbuh, die Alaska aus dem Mahnenden Schauspiel vom Reich der Harmonie kannte – und aus seiner Traumvision.
Sagte ich nicht, dass wir uns wiedersehen?, rief sie ihm zu – nein, sie dachte die Worte nur, und sie formten sich direkt in seinem Kopf. Du wirst nicht sterben, und wenn diese Schiffe tausendmal feuern. Ich lasse es nicht zu.
Wer bist du?, fragte Saedelaere, doch er fühlte sich, als könnten diese Gedankenimpulse die Grenzen seiner neuen Maske nicht überqueren, die fast seinen gesamten Kopf umschloss.
Die Puppe lachte, ein Gedanke voller Humor und unwirklicher Weisheit. Sie gab nicht zu verstehen, ob sie ihn gehört hatte, und sie zeigte nicht die geringste Angst. In diesem Moment zwischen Leben und Tod sage ich dir, dass wir uns bald sehen werden.
Aber wir sehen uns doch jetzt, rief er oder wollte er rufen. Gib mir die Antworten, die ich brauche! Wer bist du wirklich? Das Bild der Prinzessin zerstob in Funken, die zu Boden rieselten und verblassten, ehe sie diesen erreichten.
Ein seltsam unwirklicher Gedanke stahl sich in Saedelaeres Verstand; er fragte sich, ob er immer noch träumte. Oder ob das, was er für die Realität hielt, der wahre Traum war.
Der Schlag, der in diesem Augenblick durch die RHYLINE ging, als sich das Schiff aufbäumte wie ein verwundetes, wildes Tier, fühlte sich nur allzu real an. Nach wie vor hing Swifts gequältes Ächzen in der Luft – Saedelaere schloss daraus, dass keine Zeit vergangen war, während er die Puppe gesehen und mit ihr gesprochen hatte.
Das Holo entstand nicht wieder. Stattdessen ertönte eine neue, unbekannte Stimme aus dem Funkempfänger.
»Kapituliert!«, forderte der Fremde, der sich nicht durch ein Bild zu erkennen gab. »Ihr habt keine Chance.«