Nr. 2641
TANEDRARS Ankunft
Das Ritual von Ankunft und Aufbruch – Alaska Saedelaere im Bann der Vier, die Eins sind
Michael Marcus Thurner
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Seit dem dramatischen Verschwinden des Solsystems mit all seinen Bewohnern hat sich die Situation in der Milchstraße grundsätzlich verändert.
Die Region um das verschwundene Sonnensystem wurde zum Sektor Null erklärt und von Raumschiffen des Galaktikums abgeriegelt. Fieberhaft versuchen die Verantwortlichen der galaktischen Völker herauszufinden, was geschehen ist. Dass derzeit auch Perry Rhodan mitsamt der BASIS auf bislang unbekannte Weise »entführt« worden ist, verkompliziert die Sachlage zusätzlich. Um die LFT nicht kopflos zu lassen, wurde eine neue provisorische Führung gewählt, die ihren Sitz auf dem Planeten Maharani hat.
Während Perry Rhodan in der von Kriegen heimgesuchten Doppelgalaxis Chanda gegen die aus langem Schlaf erwachende Superintelligenz QIN SHI kämpft, befindet sich Alaska Saedelaere in der Galaxis Escalian. Sie gilt als »Reich der Harmonie«, über das die in unbekannten Zeitabständen verschwindende und wieder erscheinende TANEDRAR gebietet. Saedelaere ist nun auserwählt, ein besonderes Ereignis aus nächster Nähe mitzuerleben: TANEDRARS ANKUNFT ...
Die Hauptpersonen des Romans
Alaska Saedelaere – Der Unsterbliche lernt die Grundlage Escalians kennen.
Kazerno Grundahl – Er versucht, sein Volk vor dem Untergang zu retten.
Lanistar von Breugelt – Der Lirbal begegnet einem Mythos.
TANEDRAR – Die Vier, die Eins sind.
1.
Im Jetzt
Die Realität sah so aus:
Glänzender, glitzernder Nebel breitete sich bodennah aus. Er verbarg die darunterliegenden Escalianer und zog Alaska Saedelaeres gesamte Aufmerksamkeit auf sich.
Der Nebel hatte keine Struktur und war kaum als einheitliche Decke wahrzunehmen; vielmehr zerfaserte und zerfiel er in unzählige Bilder, die kaum etwas miteinander zu tun hatten. Sie zeigten die Umrisse exotischer Tiere oder Gestalten, meist aber facettierte Splitter, die sich gegenläufig drehten und bewegten.
Sie wirkten wie der Schaum auf den Wogen einer stürmischen See. Wogen, die sich aufbäumten, zueinanderfanden, sich trennten, neuen Schwung nahmen.
Unergründliche Nicht-Substanz, konstatierte Saedelaere so nüchtern wie möglich. Sinnesverwirrend. Bar jeglicher inneren Struktur. Stürmisch und erschreckend. Nichts, dem man sich freiwillig anvertrauen wollte.
Ein Fisch tauchte aus dem Ozean. Er sprang hoch, breitete für Sekunden seine Flügel aus, spuckte pure Energie in die Luft und versank dann wieder in der immateriellen Unruhe. Ein hirschähnliches Wesen jagte ihm hinterher, dann ein Paar armloser breiter Tatzen, die spielerisch einen Wurm mit dicht behaartem Leuchtkörper verfolgten. Die ... Erscheinungen spielten Ringelreihen, ohne sich allzu weit von ihrem ursprünglichen Standort zu entfernen.
Denn die Erscheinungen gehören zu Escalianern. Sie sind an sie gebunden. – Oder sollte ich sagen, dass die Escalianer an sie gebunden sind?
Saedelaere fühlte den fremden Einfluss, der auch in ihm steckte. Er vermittelte ihm beruhigende Impulse. Solche, die mentale Stärke bewiesen, aber auch eine gewisse Zerrissenheit andeuteten. Und er hörte die Worte TANEDRARS: »Lausche mir nun, Alaska. Lausche meiner Geschichte und meinem Werden, und du wirst verstehen ...«
Zugleich erklangen die Worte auch als Echo in seinen Gedanken, das stärker und lauter wurde und schließlich die gesprochenen Worte völlig verschluckte. Lausche mir nun, Alaska. Lausche meiner Geschichte und meinem Werden, und du wirst verstehen ...
Laut fragte er: »Ich soll lauschen? Nur das? Nicht fragen? Ich darf nur Informationen aufnehmen, die du mir zugestehen willst?«
Die Stimme der Prinzessin – die geborgte Stimme TANEDRARS – glitt endgültig in den telepathischen Bereich, voll und süß und harmonisch, als spielten tausend Kirchenorgeln mit vollen Registern.
Ich kann mich dir vollkommen öffnen, aber ich fürchte, dass ein ungefiltertes Zusammentreffen unsere beiden Bewusstseine für mindestens einen von uns sehr schmerzhaft ausfallen dürfte.
Oh ja – Saedelaere wusste, dass Superintelligenzen als Wesen einer höheren Entwicklungsstufe in ihrer Denkstruktur nur begrenzt kausale und temporale Zusammenhänge benötigten. Wenn sie mit organischen Lebewesen kommunizierten, bemühten sie oft Schnittstellen oder kanalisierten ihre Denkvorgänge so, dass sie für Menschen erfassbar waren.
»Du hast recht. Mein Geist ist nicht unbeschränkt belastbar. Zudem habe ich einige schwere Zeiten hinter mir.«
TANEDRAR schwieg ohrenbetäubend und, wie Saedelaere es empfand, teilnahmsvoll. Dann sagte er: Ich weiß. Ich sehe. Da ist diese Hoffnung in dir, diese Sehnsucht ... und all die Masken, die du wie Schichten über dein Wesen gelegt hast.
Die Stimme lockte und verführte. Sie spielte ein Spiel, das er nur zu gut kannte. »Hast du Antworten parat, die mir bei meiner Suche weiterhelfen könnten?«
Gibt es denn Antworten auf deine Fragen, oder bewirken sie bloß weitere Ungewissheit, weitere Rätsel? – Die Suche nach der Kosmokratenbeauftragten Samburi Yura ist die Jagd nach einem Phantom. Du sehnst dich nicht nach ihr, du sehnst dich nach Allgemeingültigkeit. Du möchtest, dass die Gleichung deines Lebens ein logisches, nachvollziehbares Konstrukt ergibt.
»Das wäre schön«, gab Saedelaere zu. Er sah sich um, im Museumsraum an Bord des fliegenden Schauspielpalasts, der mit Gestalten aus dem Mahnenden Schauspiel vom See der Tränen ausstaffiert war. Die starr dastehenden Statuen oder Projektionen harmonierten auf seltsame Art und Weise mit den bewusstlos daliegenden Escalianern – und bildeten zugleich einen irritierenden Kontrapunkt zu den Harmoniebewahrern, den Essenzbröckchen TANEDRARS, die diese pseudomaterielle Suppe rings um ihn bildeten.
»Du bist seltsam«, ließ ihn die Superintelligenz wissen, nun ausschließlich mit der Stimme der Puppen-Prinzessin Arden Drabbuh, die minutenlang völlig entseelt neben ihm gestanden hatte. Es war wie ein Sturz in die Leere, nachdem er die umfassende Geistesstimme vernommen hatte. Die Puppe drehte Saedelaere den Kopf zu und lächelte ihn freundlich an. Wie ein Spielzeug aus swoonscher Qualitätsfertigung, das eben zum Leben erwachte.
»Das höre ich nicht zum ersten Mal.«
Arden tastete nach seiner Maske. Er wollte zurückweichen, ließ die Berührung dann aber geschehen. Er fühlte einen leichten elektrischen Schlag. Die Finger der lebendig gewordenen Puppe durchdrangen seine porzellanfarbene Maske und griffen nach dem Cappinfragment. Um dort zu verharren, ein oder zwei Ewigkeiten lang, wie ihm schien.
»Du bist wirklich seltsam«, flüsterte die Prinzessin dann. »Du könntest mir wehtun.« Sie drehte sich beiseite und spuckte einen Zahn aus. Ein känguruförmiges Geschöpf, der Escaran eines Soldaten in Uniform, schnappte danach und verleibte sich das winzige Stückchen Substanz gierig ein.
»Was möchtest du mir erzählen?«, hakte Saedelaere nach. Er war müde. Zu viele Bilder und Eindrücke quälten ihn. Er wollte die Augen schließen, sich an ein prasselndes Kaminfeuer erinnern und seine Gedanken für eine Weile allem Äußeren verschließen. Das hätte er sich verdient, Herrgott noch mal!
»Glaub mir, ein Leben ist niemals ein Konstrukt. Es ist nicht logisch. Lös dich von dieser Vorstellung und akzeptier das, was es dir bietet.«
»Ich soll dir also endlich zuhören?«, fragte er amüsiert zurück.
»Du enttäuschst mich. Ich fühle kosmisches Bewusstsein in dir – doch du gewährst ihm nicht jenen Raum, den es verdient.«
Alaska Saedelaere schwieg. Es gab nichts zu sagen. TANEDRAR zögerte seine Erzählung hinaus, als scheute die Superintelligenz davor zurück, sich ihm, einem einfach strukturierten Wesen, zu öffnen.
»Spürst du den Splitter in dir?«
»Splitter?« Saedelaere blickte verwirrt an sich hinab – und erinnerte sich.
TANEDRAR hatte ihm ein funkelndes Etwas übergeben, er hatte es angenommen. Hatte mit der Entscheidung gerungen, dieses Danaergeschenk anzunehmen – und war, ohne es zu wollen, von ihm vereinnahmt worden.
»Ich habe dich für eine Weile aus meiner Obhut entlassen«, sagte Arden Drabbuh. »Ich tat es, um dich von meinen lauteren Absichten zu überzeugen. Die Verbindung mit dem Splitter mag dir unangenehm sein oder dir gar Schmerzen bereiten. Doch die Intensität ist notwendig. Andernfalls könnte ich dir nicht zeigen, was ich zu zeigen habe.«
»Ich darf also wissen, dass du mich zu meinem Glück zwingst?«
»Du bist merkwürdig«, wiederholte der Avatar der Superintelligenz nachdenklich. Dann stellte sich Arden Drabbuh auf die Zehenspitzen, tastete streichelnd über seinen Oberkörper, näherte sich mit gespitzten Lippen seinem Gesicht.
Durchdrang die Maske.
Küsste ihn auf eine Art auf die Wange, die er niemals zuvor kennen gelernt hatte.
»Begleite mich auf eine Reise, seltsamer Mann«, hauchte sie ihm ins Ohr und nahm ihn mit sich.
Begleite mich!
Das süße Orgelbrausen trug ihn davon.
2.
Ein Blick zurück
Saedelaeres Blickfeld erweiterte sich. Er nahm Dinge wahr, die sonst weit außerhalb seines Wahrnehmungsbereiches lagen. Er genoss einen Rundumblick, ohne sich bewegen zu müssen. Er erkannte die fein konturierten Wege der Vergangenheit, und er sah dünne Fühler, die in manche mögliche Zukunftsvisionen nach vorn wuchsen. Der Unsterbliche fühlte Spuren höherdimensionaler Strukturen, die den Raum durchdrangen, für normale Sinne unsichtbar, und doch wichtiger Bestandteil alles Werdens und Vergehens.
Es war zu viel, viel zu viel! TANEDRAR überforderte ihn. Die Superintelligenz lud Myriaden Eindrücke auf seinem Bewusstsein ab, und es dauerte eine qualvolle Weile, bis sie endlich verstand, dass er unter dieser Ausweitung seiner Sinneskräfte zusammenbrechen würde.
Verzeih!, wisperte TANEDRAR. Ich dachte, du wärst darauf vorbereitet.
Saedelaere ächzte. Sein Geist ächzte. Denn mehr war er nicht mehr, nur noch Geist und Bewusstsein, mühsam in eine Klammer gepresst, die seinen Verstand zusammenhielt.
Er schwebte hoch, durchdrang – flutsch! – Materie, wunderte sich kurz über ihren bitteren Geschmack, den Geruch nach komplementären Farbmischungen und die seltsam verlaufenden Statikverläufe des riesigen Raumkörpers. Dann hatte er die Realität hinter sich gelassen.
Da unten blieb sein Körper zurück. Ein Klecks voll Leben, unbeseelt, kaum mehr wert als ein Sandkorn im Ozean. Er wartete darauf, dass die Essenz des von der Superintelligenz gepackten Alaska Saedelaere, er selbst, zurückkehrte. Dann würde er sich wieder in Bewegung setzen, funktionieren, sinnvoll handeln.
Stattdessen nahm er andere Dinge mit anderen Sinnen wahr. Sternenstaub. Marginale Substanzen. Anziehungskräfte, die von überall her nach ihm griffen. Hyperdimensionale Verwerfungen, in Stärke und Qualität unterschiedlich ausgeprägt; wütende Gesellen waren sie, die ihn als Reisegast TANEDRARS vereinnahmen wollten. Ein Schwarzes Loch, das in weiter Ferne Substanz und Strahlung fraß und so tat, als kümmerte ihn dieses Universum nicht so recht – obwohl es doch einer seiner exponiertesten Darsteller war. Neckisch umherwirbelnde Gaswolken, deren Vergangenheit im Chaos verborgen war. Die da und dort verklumpen würden, um zu Sternen zu werden, die wiederum Planeten gebaren.
TANEDRAR hatte die Seele eines Dichters. Die Superintelligenz fasste, was sie sah und empfand, in für Saedelaere nachvollziehbaren Bildern zusammen. Sie waren eigentümlich und kaum mit bisher gemachten Erfahrungen zu vergleichen. Doch wurden sie von einer tiefen, inneren Struktur zusammengehalten, die der Maskenträger akzeptieren konnte.
Der Schauspielpalast war nun ein rasch kleiner werdendes Gebilde, ein Berg aus Metall, dessen Zentralmassiv fast fünf Kilometer hochragte. Das Schiff des Craton Yukk, die DRUSALAI, war seitlich angedockt. Wie eine übergroße, hässliche Warze, die die Ästhetik des Palastes beeinträchtigte.
Schneller!, rief TANEDRAR nun, und es klang begeistert. Schneller!
Der Palast verschwand. Wurde zum Punkt unter Punkten, die wiederum das ausgefranste Gebilde eines Kugelsternhaufens ergaben. Zweihunderttausend Sonnen auf etwa hundert Lichtjahren verschmolzen zu einem feurigen Ball, nun, da sie sich weiter und weiter entfernten. Auch wenn diese Gestirne meist alt und verbraucht waren, waren sie doch von einer Vitalität, die TANEDRAR mit Freude erfüllte.
Wie viel Zeit verging während ihrer Reise? Oder hatte sich TANEDRAR gar aus dem Temporalverlauf ausgeklinkt? Superintelligenzen brauchten so banale Dinge wie den Unterschied zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht.
Aber ich kenne ihn und setze ihn ein!, meldete sich TANEDRAR völlig überraschend zu den vage gefassten Gedanken Alaska Saedelaeres zu Wort. Andernfalls könnte ich dir meine Geschichte nicht erzählen.
Die Reise nahm ihre Fortsetzung. Sie zoomten immer weiter zurück. Sternenballungen, die eben noch gewaltig groß gewirkt hatten, wurden nun zu Marginalien inmitten eines Gewirrs von Galaxien, deren Spiralen und Kreise sich rasend schnell drehten wie entzündete Feuerwerkskörper. Die Sterneninseln waren so klein – und dennoch bargen sie vielfältigstes Leben. Billiarden von Individuen, die ihrer Existenz eine Bedeutung zumaßen.
Bist du etwa anderer Meinung, Alaska Saedelaere?
»Es würde uns allen nicht schaden, ein wenig bescheidener zu sein und zu akzeptieren, dass wir bloß Marginalien in der Geschichtsschreibung eines Universums sind.« Er meinte, die Worte zu sagen. Doch wie konnte das möglich sein? Er war bloß Geist!
Er beschloss, die Auflösung dieses Rätsels hintanzustellen. Es gab andere, wichtigere Dinge, auf die er sich konzentrieren musste.
Das ist eine bemerkenswerte Einsicht.
Hatte er die Superintelligenz überrascht? Oder warum blieb sie auf einmal still und zog sich weiter von ihm zurück? Nun, da das Konglomerat von vier Sterneninseln, namentlich Netbura, Tafalla, Arden und Dranat, in den Fokus seiner Aufmerksamkeit geriet.
Das Reich der Harmonie ...
Im Schauspiel, das er vor einiger Zeit gesehen hatte, wurde es durch unterschiedliche Charaktere dargestellt: Netbura, durch den alten König personalisiert, wies die größte Ausdehnung auf. 140.000 auf 80.000 Lichtjahre. Tafalla, der Kanzler, durchdrang zum Teil die Nachbargalaxis, bei 106.000 auf 75.000 Lichtjahren. Die Prinzessin Arden, mit 32.000 auf 26.000 Lichtjahren wesentlich kleiner, lag fast auf einem Teil Netburas, während der Hofnarr Dranat, die kleinste Sterneninsel mit 15.000 auf 8600 Lichtjahren, die beiden Großgalaxien in deren Überlappungsgebiet vor geraumer Zeit durchstoßen hatte und nun allmählich wieder davondriftete.
»Der Narr hat sich einen kleinen, aber teuren Scherz erlaubt. Hat sich zwischen die beiden konkurrierenden Herrschaften geworfen, ihr Verhältnis zueinander durcheinandergebracht, Verwirrung gestiftet und läuft nun davon, um sich das Resultat seiner Arbeit zufrieden aus der Ferne anzusehen.«
So könnte man es interpretieren, meldete sich TANEDRAR.
»Doch der Hofnarr hat unter seiner eigenen Tat gelitten«, mutmaßte der Unsterbliche. »Er verlor an Form und innerem Zusammenhalt. Es lässt sich der Ansatz einer Ringstruktur erkennen. Der Hofnarr ähnelt nun einer Ringgalaxis.«
Diesmal schwieg die Superintelligenz. Sie überließ ihn seinen weiterführenden Überlegungen und unternahm stattdessen Eingriffe, die Saedelaere bewiesen, dass sie sich endgültig aus der Realität des Zeitenlaufs entfernt hatten.
König Netbura und Kanzler Tafalla, die beiden Riesen, lösten sich aus der gegenseitigen Umklammerung. Dort, wo sie ineinander verschränkt gewesen waren, zeigten sich nun Leerräume. Die Prinzessin Arden zog sich ebenfalls zurück, nach »oben« weg. Hofnarr Dranat hingegen näherte sich der künftigen Überlappungszone – und durchdrang sie. Das Chaos, das er verursachte, war mit menschlichen Sinnen nicht nachzuvollziehen. Wahrscheinlich auch nicht mit denen eines höheren Wesens.
Saedelaere verfolgte aufmerksam die Reise in die Vergangenheit. Er wagte es kaum, sich jene Zeiträume vorzustellen, die TANEDRAR ihm bewusst machte. Es musste sich um Dutzende Millionen Jahre handeln, womöglich sogar um Hunderte Jahrmillionen, die im Zeitraffer dargestellt waren.
Die Reise ging vor und zurück, vor und zurück, als suchte TANEDRAR einen ganz besonderen Zeitpunkt, auf den er ihn aufmerksam machen wollte. Die Superintelligenz schien Vergnügen daran zu finden, Alaska die Dramatik galaktischer Geschehnisse bewusst zu machen.
Irgendwann hielt TANEDRAR das »Bild« an. Hofnarr Dranat durchdrang eben die sich beinahe berührenden Randgebiete der beiden Großgalaxien.
Dies ist vor 9,8 Millionen Jahren deiner gewohnten Zeitrechnung geschehen.
Saedelaere fühlte, dass die Information bedeutend war. Aber wieso? Temporale und kausale Zusammenhänge ... inmitten des lautlosen Alles-zugleich-Orgeldenkens TANEDRARS fiel es ihm schwer, kohärent zu denken, obwohl er wusste, dass die Superintelligenz sich zurücknahm und seinen Geist in gewohnter Struktur ließ.
Es gab Zusammenhänge. Bilder, die weitaus größer waren als die gezeigten. Doch der Maskenträger wusste nicht, wie er sie einordnen sollte.
»Vor 9,8 Millionen Jahren ... war das nicht auch ein galaktopolitisch bedeutsamer Zeitpunkt, zumindest für die Völker der Frequenz-Monarchie und ihre Sterneninseln?«
Das Bild bewegte sich wieder: Dranat stieß in die beiden Galaxien Netbura und Tafalla vor.
Saedelaere fehlten wertvolle Informationen. TANEDRAR war offenbar nicht bereit, sie ihm zu liefern. Womöglich besaß er sie selbst nicht – oder aber er betrachtete sie als irrelevant.
Kräfte unvorstellbaren Ausmaßes bearbeiteten einander. Sterne und Planeten kollidierten nur in den seltensten Fällen. Doch das war gar nicht notwendig. Magnet- und Gravitationsfelder, in den beiden Großgalaxien und in Dranat ohnedies nur in einem heiklen Gleichgewicht gehalten, bewirkten Katastrophen unvorstellbaren Ausmaßes. Im Spannungsfeld der Urkräfte überlagerten sich hyperphysikalische Emissionen. Sie erzeugten ungekannte Phänomene, zerrissen Raum und Zeit, hinterließen lebensfremde Gebiete.
Solche, die womöglich den Chaotarchen gefallen hätten?, fragte sich Saedelaere. War Dranat bewusst auf den Weg geschickt worden, um das Entstehen von Leben in den beiden großen Galaxien einzudämmen? War der Hofnarr der eigentliche Bösewicht des Mahnenden Schauspiels?
TANEDRAR reagierte nicht auf seine – diesmal gedachte – Frage. Doch eine derartige Auflösung des Rätsels rings um die Superintelligenz und das Reich der Harmonie erschien ihm ohnedies falsch. Banal.
Er konzentrierte sich wieder auf die Darstellung jener Geschehnisse, die vor Jahrmillionen stattgefunden hatten. TANEDRAR zeigte ihm hochaktive Bereiche der einander durchdringenden Sterneninseln. Solche, in denen die Dichte interstellarer Materie größer war als anderswo. Lichtjahrgroße Wolken aus Wasserstoff und ionisiertem Plasma trafen aufeinander. Es kam zu Stoßwellen, Verdichtungen, zu verstärkter Zündung neuer Sonnen. Werden und Vergehen von Bereichen, in denen die Entstehung intelligenten Lebens möglich war, wechselten sich so rasch ab, dass es ihm unmöglich war, diese Prozesse zu verfolgen oder nachzuvollziehen.
Verstärkt wurde das Chaos im Brennpunkt dreier Galaxien durch ein Phänomen, das damals schon seit Jahrzehntausenden existierte, ergänzte TANEDRAR. Der Hyperphysikalische Widerstand hatte sich erhöht. Hyperstürme entstanden aus dem scheinbaren Nichts, ihre Anzahl wuchs progressiv an. Begleitet wurden diese rätselhaften Effekte von intergalaktischen Ver- und Entzerrungsphänomenen. Ein System von miteinander verbundenen Hyperraum-Aufrissen, Super-Transitwirbeln ähnlich, entstand, wohl durch eine Fügung des Schicksals. Materie, die Hunderte Millionen Lichtjahre entfernt verschluckt worden war, tauchte im Fokus der Aufrisse zwischen den drei Galaxien wieder auf, wie zerkaut und in eine beliebige Richtung ausgespien.
Fügung des Schicksals ... Der »Zufall« hatte in der terranischen Geschichtsschreibung stets eine große Rolle gespielt. Doch je intensiver Prozesse der Lebensentstehung untersucht worden waren, desto deutlicher hatte sich gezeigt, dass mancher Zufall das Ergebnis exakter Planung Hoher Mächte gewesen war.
Fremde haben damals sonderbare Aktivitäten entfaltet und diese vier Galaxien an andere, weit entfernte Sterneninseln gebunden. Bedauern machte sich in der mentalen Stimme TANEDRARS breit. Was genau geschah, entzieht sich leider meiner Kenntnis. Ich existierte noch nicht und konnte trotz intensiver Nachforschungen nichts über die damaligen Vorgänge in Erfahrung bringen.
»Du wurdest also erst später geboren?«