Inhalt
1. Auflage
© 2012 by carl’s books, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: semper smile, München
Bildredaktion: Dietlinde Orendi
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-08228-4
Inhalt
VORWORT
Im Jahr 2004 gab der Berliner Dichter Steffen Jacobs ein Buch mit deutschsprachigen Gedichten aus vier Jahrhunderten heraus. Sie stammten allesamt von humoristischen und sonstwie gewitzten Autoren, von Ringelnatz und Morgenstern also, von Goethe und Gernhardt und vielen vielen Unbekannteren, auch ich war mit einigen Reimen vertreten. Das Buch hieß »Die komischen Deutschen« und präsentierte Landsleute, die so absichtsvoll wie lustvoll Komisches, Lustiges, Witziges schrieben und schreiben.
Auch »Komische Deutsche« versammelt, wie der Titel vermuten lässt, komische Deutsche, allerdings vorwiegend solche, die sich gar nicht komisch finden, und das aus gutem Grund: Sie sind tatsächlich gar nicht komisch. Zumindest glauben sie das und könnten es durchaus belegen: Sie schreiben keine komischen Gedichte, sie gehen einer Tätigkeit nach, die sie für äußerst ernsthaft halten, und ihre Witze sind miserabel.
Trotzdem bringen sie uns zum Lachen, weil sie, in der alltagssprachlichen Wortbedeutung, trotzdem komisch sind. Sie machen komische Sachen, formulieren seltsame Sätze, setzen sich wunderliche Ziele und führen ein erstaunliches, zum Teil bizarres Leben. Sie fallen auf, weil sie auffallen möchten, denn ihre Lieblingsplätze sind die Spalten der Presse, die Redaktionen der Radios, »das große Maul des Fernsehens« (Eckhard Henscheid). Es sind die Prominenten der Bühnen Kultur, Sport, Kirche, Unterhaltung, Wirtschaft und Politik, lustige Vögel wie Sarrazin, komische Käuze wie Guttenberg und Wulff oder die Verrückte Koch-Mehrin, die überführt wurden und unverdrossen schamlos weiterbrummen wie der gleichfalls endlose Michael Schumacher; es sind irr schillernde Knaller auf grauen Posten wie Angela Merkel, Heidi Klum und Guido Westerwelle; und es sind, weil keine Spitze ohne Eisberg, vieleviele andere Deutsche, die sich da tummeln und spreizen in ihren sonderbaren Vereinen und Geheimbünden: die Eheleute, die Sparer und die Christen, die Rekruten und Revolutionäre, die Journaille und andere Werber, die mit dem komischen Namen, die mit der lustigen Brille und all die, die es verdienen. Und natürlich die Unschuldigen. Die ganz besonders.
Wir beginnen mit dem »ADAC«.
SO LEBEN DIE ANDERN
Monat für Monat verschickt der Allgemeine Deutsche Automobil-Club rund elfeinhalb Millionen Exemplare seiner Mitgliederzeitschrift ADAC Motorwelt. Das zeigt: Es ist die größte deutsche Hochbegabtenillustrierte. Und ihre Leser sind vielleicht der weltweit größte Eselshaufen aller Zeiten. Wo immer acht Deutsche beieinander hocken, hockt ein mieses kleines Clubmitglied dabei, entzieht der Stimmung alle Freude und verpestet die Gesamtsituation. Das ist ja kein Geheimnis. Doch welcher Art ist dieser Mitbürger im Kleinen? Mit welchen Dingen, Hobbys etc. umgibt er seine, um es einmal höflich auszudrücken, widerliche Saugestalt?
Abb. 1
Aufschluß geben die Anzeigenseiten der Vereinszeitschrift. In fast jeder ADAC Motorwelt schaltet die Planeta Hausgeräte GmbH ganzseitige Vierfarbanzeigen. Angepriesen wird der extrem indiskutable Massage- und Relax-Sessel Präsident, eine Kombination aus repräsentativem Sessel, Massage-Sessel, Ruhe-Liege und Massage-Liege. Mit Stereo-Radio und Kassettendeck. Und eines Tages war es dann soweit: Die Anzeige erhielt den Zusatz »Der meistgekaufte Massagesessel Europas«. Laut aktueller ADAC-Preisliste Nr. 68 kostet eine dieser Anzeigen rund 114 000 Euro. Bei elf Anzeigen macht das über eine Million Geld! Conclusio: Die wurden innerhalb des einen Jahres komplett rückerwirtschaftet. Der Clubberer kauft nämlich jedes Gelumpe weg, sobald sein Heftchen es ihm regelmäßig offeriert. Dann freilich hat er diesen Schmuck am Hals, muss damit leben. Das geht so:
6 Uhr. Im wackeligen Mitglieds-Bausatzeigenheim für 96.742 Euro ab Oberkante Kellerdecke lungert morgens ein bewegungsarmes Etwas mürrisch auf dem Präsident, lässt sich seinen Aknerücken schrubbeln und hat Pläte, Pläte, noch mal Pläte – sogar die Frau! Pro Heft durchschnittlich zwanzig teure Motorwelt-Anzeigen umkreisen dieses Clubanliegen. Im Angebot sind juckende, teils schwitzpickeligste Haare auf die feine Art, HERRliche Haare, Laser-Transplantation, Haare statt Glatze, Haarverpflanzungen, Haare für Anspruchsvolle, Eigenhaar durch Kleinst-Transplantate, Haare ästhetisch verpflanzt, Oben-ohne-Saison beendet, Haare sofort und so weiter und so weiter. Es ist der reine Antiglatzeninteresseclub. Der Allgemeine Doofe Ausfall-Club!
Abb. 2
Punkt 6 Uhr 30 wuchtet sich die Hauptperson mittels einer Aufstehhilfe vom Blödensessel auf die unfassliche Henkel Ideal-Gesundheitsliege, und hereingeschneit kommt, mit dem räudigsten aller vorstellbaren Frühstückswagen, seine hübsche aufgeschlossene Frau und Beifahrerin. Bestellt hat er sie beim Reutlinger happy contact. Herren gesucht! Frauen aus ganz Deutschland suchen laufend Herren. Auf dem Frühstückswagen liegt die verlogene Dose Muskel-Aufbaustoff der Firma Koelbel-Trainingsforschung, das schurkische Roth-Heildrogen-Tonikum für Männer über 50, ein zurückerlangter Führerschein mit eingefressenen Blutresten, ein Höpfner-Maßhemd mit integriertem Würgestreifenschlips sowie natürlich Herrchens Adler-Autofahrerhose mit vergrößerbarer Bundweite. Auf dass der schwabbelige Clubsack bloß hinter seinen Gurt passt!
Abb. 3
Um 7 Uhr bricht die Hölle los. Frau Glatze schmeißt den Garvens-Zimmerspringbrunnen grad in dem Moment an, in dem das Herrchen pfeifend und wie herzkrank in die AET-Knie-Medical-Bandage klettert; vom vielen Autofahren sind ja gleichfalls die Gelenke samt der Bänder weich, verkümmert und leicht faulig. Doch schon piepst es streng: Der elektronische Mäusejäger (Jork) hat sich selber angemacht; Mäuse, Ratten, Marder und pesttragende Wildtäuberiche hetzen durch das depressive Sesselheim, derweil ein ganz und gar aus Hass bestehendes Mitgliedsehepaar verloren in den Brockhaus starrt, und nun stinkt’s unfassbar schlimm und unerträglich. Zum Glück fällt, potz!, die Ehefrau schräg um, denn der Kahle hat den ComTex-Elektroschocker an sie drangehalten – aus Rache, dass sie den kraft seiner bloßen Außenform jähzornigstmachenden Venta-Raumluftwäscher noch nicht eingeschaltet hat. Und den verqueren Raumlufttrockner aus dem Hause Kälte Kaut auch nicht. Es ist immer das gleiche.
7 Uhr 15: Zäh, mit wirrem Blick und rülpsend, krabbelt der zwergwüchsige Herr Haarlos in die Mario-Bertulli-Zauberschuhe, und endlich ist die ganze nickelige Körpermasse bis zu sieben Zentimeter größer, hat Erfolg bei Frauen und im Beruf. Wenn nur der tief eingewachsene Zehennagel nicht so unbarmherzig ans Dornwarzendutzend zwickte! Also her mit dem Schweizer Pediküre-Hifi Elektro-Maniquick, der Grützhügel und Schorfbeulen schön schmerzhaft runterschleift.
7 Uhr 30: Zeit fürs Auto. Ungustiös bis widerwärtig ist sein Äußeres, abscheulich dünsten maßgeschneiderte Lammfellbezüge der Firma Hund todkranke Luft in die ans Eigenheim genähte Overmann-Betongarage. Bewährt hat sich seit Jahren folgendes: Sobald »Er« aus dem Haus ist, greift »Sie« voll Gram und Selbstmitleid zum weltweit schleimigsten unter allen Gegenständen, dem Haushalts-Dampfreiniger des Nordhorner Tien-Versands. Schrubbelt und bedampft das abstoßend böse Eigenheim, bis alles wieder blitzblank sauber strahlt – ohne Wischen, ohne Nachpolieren. Sogar die goldene Olympia-Gedenkmünze in höchster Prägequalität blitzt rein und fein, und die Ehefrau will längst schon kotzen über all ihr unsagbares Pech und Unglück. Da aber brüllt die Warnkamera der heimeigenen Detektiv- und Selbstschutzausrüstung! Denn die gleichfalls suizidbereite Katze sprang vom Fensterbrett, jetzt zappelt sie im quälerischen Katzenauffangnetz der Firma Boy-Netze. So geht der Morgen hin.
13 Uhr: In seiner Mittagspause fährt der Ehemann zur Uzman imp.-exp. und kauft sich ein Metallsuchgerät mit Metallunterscheidung. Sicheres Aufspüren von Gold, Silber, Münzen, Waffen, Orden usw. ist dem verlausten Saubatzen nun möglich. Doch auf dem Rückweg braust das Maushirn stolz in eine Unfallstelle, zählt zum Personenschaden. Nichts bleibt der Ehefrau und Krähe, als beim Versand in.pro. – Alles was Autos Spaß macht anzurufen und den grad erst nachbestellten Ultraschall Park Boy II wieder abzubestellen. Statt dessen ordert sie eine Rundumgarnitur Rollstühle, denn eines ist dem Clubmitglied auf Lebenszeit verboten: Strecken von über zwanzig Metern zu Fuß zurückzulegen. Die erste Lebensphase verbringt er in der Limousine; nach dem stets herbeigesehnten Unfall steigt er heilfroh in andere Modelle um: in den Elektro-fix von Adler, den schnellen Butler von der Firma Tünkers, das TGR-Modell mit Rollschub und Lenkhilfe, den alber-Wendetreppenrollstuhl sowie die Wenn die Treppe zum Problem wird-Treppenlifts von TLG und Hiro-Lift. Ei, wie’s da rundgeht!
17 Uhr: Auch das noch: Der frisch verschraubte Krüppelzwerg kommt aus dem Krankenhaus, steigt in den Elektro-Fix, greift sich seinen Goldsuchboy und will im Eigenheim nach Schätzen bohren, rollt aus Versehen in den Gartenpool und geht beinah’ zu Tode. Ach, hätte die Angeheiratete und Dampfputze nur die Vöroka-Schwimmbad-Überdachung ausgefahren! Doch der verbohrte Gipswinzling überlebt, aus Rache schießt er mit dem ComTex-Luftgewehr mit Zielfernrohr drei Tauben tot.
Abb. 4
20 Uhr: Ein schöner, sanfter Abend könnte durch das Höllenheim vibrieren, wenn das Clubehepaar nicht wieder und erneut von Darmsenkung gestichelt würde. Vom Absacken des Dickdarmendes in die Genitalgewebezonen! Iiihh! Helfen könnte jetzt nur noch ein pieksend pralles Top-Spranzband mit Schenkelriemen. Da aber kriecht das Wunschpaar tiefer in die Motorwelt und liest: Bruch-Slips. Neu – nach modernster Erkenntnis – ohne Feder und harte Druckkissen – sieben Tage kostenlos zur Probe! Au ja! Und dann ungewaschen wieder zurück! Von der bloßen Vorstellung wird beiden astrein schlecht, und schnell geben sie die Bestellung auf.
Ausblick und Moral: Das ADAC-Mitglied ist eigentlich ganz prima. Vom Ansatz her ein armes kleines dickes lahmes kahles Ferkelchen ohne jede Aussicht auf Verbesserung, durchbraust es seine erste Lebenshälfte in Autos mit Lammfellbezug, die zweite auf Treppenlift und Rollis. Sein mit Gedenktalern und Katzenauffangnetzen zubarrikadiertes Heim sieht voll super aus und stinkt, und wenn die hoffnungslose Ehefrau drei Wünsche hätte, ihr würde keiner einfallen. Blass bläst sie reinigende Dämpfe durch die Stube, umtänzelt irr den unterm Zimmerspringbrunnen angeleinten Mäusejäger, derweil ihr hühneraugenübersäter Glatzenmann in seine Schummelschuhe steigt, um im Vorgarten Gold zu suchen.
Gott, was für ein Paradies!
Soll man also eintreten? Ja selbstverständlich. Denn das Schlimmste ist nicht, diesen elfeinhalb Millionen Glückspilzen anzugehören. Schlimmer ist es, von ihnen überfahren zu werden.
(Quelle: Anzeigen der ADAC Motorwelt )
GEWINNER DES JAHRES 2011–2040: DER WULFF
Wer war der erste Mann im Staat?
Wer stand für Würde und Format?
Wer war die Made im Salat?
Der Wulff, der Wulff, der Wulff
Wer hatte einen Freundeskreis?
Wer kannte Ware, Hehler, Preis?
Wer war die Fliege1 im Geschmeiß?
Der Wulff, der Wulff, der Wulff
Wer schenkte uns den Lachanfall?
Wer strahlte noch bei Stromausfall?
Wer war die Sau1 im Schweinestall?
Der Wulff, der Wulff, der Wulff
Wer hat bewegt, gerührt, geführt?
Wer war zu Großem auserkürt?
Wer nimmt das Geld, das ihm gebührt?
Der Wulff, der Wulff, der Wulff
Wer freut uns so in Tun und Wort?
Wer saß demnach am rechten Ort?
Wer stürze diesen Gauck! Sofort!
Der Wulff, der gute1 Wulff!
nach den Regeln der Metrik zweisilbig, jedoch inhaltlich Quatsch. Lies besser jeweils: »der Bio-Sonnenblumenkern«
SIE ABER, ERNST AUGUST PRINZ VON HANNOVER,
klagten kürzlich auf Rückgabe adelseits zusammengeraubter und später re-enteigneter ostdeutscher Schlösser und Äcker im Wert von 1000 Milliarden oder wenigstens 100 Mio Euro und wollten sich mithin einen Gutteil der Solizwangsabfuhr beziehungsweise der neuen Bundesländer in natura einsacken, doch daraus wurde im ersten Anlauf nichts. Zwar legten Sie dann, wie man las, »neue Beweismittel aus Moskau« vor, aber wiederum: niente und Schluss des Verfahrens. Adel allerdings verpflichtet, und so ist Ihre Niederlage, werthes Prinzenfröschchen, der Menschheit Bammel. Denn welches grundimpertinente Bürger- und Proletenschwein wird’s diesmal büßen? Welchen armen Zeitungsesel und sonstwie Ihrer Sittlichkeit zu nahe Kommenden werden Sie nun wieder komplett verhauen und in die Notaufnahme boxen? Den Erstbesten halt? Oder haben Ihro Benimmmogul dazugelernt und pissen lieber vollrohr ans verantwortliche Verwaltungsgericht Magdeburg? Vollrohr und wie im Rausch der Expo Hannover superblau?
Bitte sagen Sie jetzt nichts.
APROPOS, KARL LAGERFELD!
»Ich liebe es, viel Raum zu haben, nichts ist groß genug für mich. Sie könnten mich allein lassen in Versailles – es würde mir nicht als zu groß vorkommen. In Paris wohne ich auf 1800 Quadratkilometern«, pardon: »Quadratmetern und finde das zu klein.« Nun liefert aristokratische Schamlosigkeit seit je das Vorbild aller bürgerlichen und also proletarischen Abgreifutopien – aber sooo groß? Herrgottnochmal, Karl! Da findest doch selbst Du die Sonnenbrille nicht wieder.
Gib’s halt zu!
HUHU, NACHRICHTENMAGAZIN FOCUS !
Da man Dein kürzliches Titelblatt immerhin fast 1,4 Sekunden angucken musste, um die dort stehende Frage zu lesen: »Test: Gehen Sie intelligent mit Ihrer Zeit um?«: offenbar nö.
SIE WIEDERUM, DURS GRÜNBEIN,
beantworteten die Autorenrundfrage des Feuilletons der Süddeutschen Zeitung »Wann stehen Sie morgens auf?« überaus konzis, ja knallig: »Ich stehe niemals auf. Wer aufsteht, ist verloren. / Das Bett, die Wiege der Erkenntnis, nehm ich mit, / Den Tag durchträumend, scheinbar wach. / Man hat mich ungefragt geboren, / Und niemand fragt mich, ob ich sterben will. / So leb ich hin und bald ist es vollbracht.« Kurzum: gegen halb sieben; und also in der Tat ein bisschen früh.
Schlafen S’ halt mal aus!
UND SIE, VEREHRTER ABENTEURER RÜDIGER NEHBERG,
planen laut Klatschpresse jetzt endlich so was: »Der Abenteurer lässt sich nachts im brasilianischen Urwald abseilen und muss allein ohne Essen und Ausrüstung zur Zivilisation zurückfinden.«
Nein, müssen Sie nicht.
Abb. 5
LETZTE RUHE
Vor Gräbern sagen Menschen weinend amen.
Der Tod entreißt den Lebenden das Glück.
Wo Leben war, verbleiben nurmehr Namen:
Herr Stender und die Eheleute Fick.
Nach Wilhelm starb die Emma. Und wir lesen:
Einst hieß sie Holz. Dann nahm ihr Gott den Mann.
Verwitwet sie; und unbestimmt sein Wesen,
So vornamlos, wie’s nur ein Stender kann.
Sie weinte laut. Dann kam ein neues Sehnen.
Sie nahm sich einen Fick, und der war gut.
Doch sagt mir, was zum Teufel unter denen
Das fromme Fräulein Bertha Hofmann tut?
Nebst beiden Ficks ruht ja auch Emmas Schwager
Und Stender-Jonni tot in Berthas Grab!
Bezahlten ihre Kinder denn fürs Lager
Der armen Mutter nichts, seitdem sie starb?
Die erste Mahnung wollte noch versöhnen.
Nichts kam zurück. Da wurd’ der Ton schnell barsch:
»Wir schichten auf, wenn Sie nicht schleunigst löhnen.«
Die Kinder schrieben: »Leckt uns doch im Arsch!«
Wie wurde da der Friedhof bitterböse!
Und unterm Stender wär’ noch gar was frei …
Geb’ Gott, dass niemals eine Jenni Möse
Die Nummer vier in diesem Bunde sei!
MEHR INHALT WAGEN
Zum Imagewandel der A. Merkel
Von »Kohls Mädchen« zur interimen »Königin Europas« und, nach einer kleinen Krise, erneut landweit Beliebtesten und strahlenden Number One: Seit Elisabeth I. (1533–1603) stellte keine Regentin ihre Seele und Erscheinung so kompromisslos in den Dienst des Staates wie die deutsche Bundeskanzlerin, die ebenfalls nur eines möchte: »meinem Land dienen«. Manche fürchten, sie werde sich bald gleichfalls Kopfhaut und Gesicht rasieren respektive tünchen.
Abb. 6
Denn nun schon sieben ellenlange Jahre verdutzt sie sich und uns; und schaute bis zum ersten stilberaterintensiven Frisur- und Garderobenwechsel auch just so aus: wie jemand, den das eigene Amt, die eigene Relevanz gekreuzigt oder eben kreuzverdutzt zurücklässt: Vater, warum hast du das getan? Warum in drei Teufels Namen schlugst du mich zur ersten großdeutschen Bundeskanzlerin und laut Quatschzeitung Forbes »mächtigsten Frau der Welt«, noch vor Hillary Clinton und Heidi Klumpf?
Bis dahin nämlich, bis zur optischen Neupositionierung 2006 ff litt sie sichtlich, und der senkrechte Sturz ihrer Mundwinkel, der sparsame Glanz ihrer Augen adelten sie, denn die Welt ist weder gut noch schön. Wie schrecklich jene Masken, deren manisches Grinsen und falsche Immerbestgelauntheit den Schrecken spiegelnd potenzieren! Und wie anders Merkel die Frühe! Mit Fug hätte man kaum sagen können, dass sie überhaupt aussah; sondern aus ihr lugte wie aus einem Medium die conditio humana als wenn nicht blitzblankes Verhängnis, so doch schärfere Gedrücktheit, ja Sterbensmüdigkeit unterm Druck der Existenz nicht nur drüben in der Sowjetzone, sondern allüberall auf Erden.
Ein Antlitz wie ein Leidenstuch.
»Darf das Kanzler werden?« titelte, in einem scheinbar uncharmanten und doch hellen Augenblick, die Satirezeitschrift Titanic, als die Kanzlerkandidatenkür zur Bundestagswahl 2000 noch unentschieden stand zwischen ihr, der verschlossen dämmernden Ostwesenheit, und dem ungleich lärmenderen Bayernbrummerl Stoiber. In einem uncharmanten: Noch diese ganzmimisch gähnende und wie ins tiefste Wachkoma entrückte frühe Merkel war ja allemal bezaubernder als ihre männlichen Förderer und Neider rund um Helmut Kohl. Hell aber war der Titanic-Titel, weil ihm schwante, dass diese auf den zweiten Blick denn doch zu hadesschwere Miene einen Abgrund verdeckte, einen so pechschwarzen, dass Merkel selbst bis heute jeden Einblick scheut.
In George Lucas’ berühmter Star-Wars-Trilogie ist die verkörperte »Macht« eine Fratze, monströs und grausam, und wer sich ihr verschreibt, löscht in sich alles Gute, gewinnt aber Klarheit: Man weiß, wo man steht. Den Willen zur Macht scheint Merkel mehr als anderes zu besitzen, wenn auch beide, Wille und Merkel, tun als wüssten sie’s nicht.
Just dies machte Merkels frühes Image aus: Plötzlich saß da eine Doktorin der Physikalischen Chemie herum, die aus der abgewickelten DDR-Akademie der Wissenschaften, aus den Schwaden und Ruinen eines überrollten Ostens in die Befehlszentren des Westens geplumpst war wie eine saure Spreewaldgurke in eine Staude überreifer Krummbananen; die sie freilich nun, eine nach der anderen, fraß und daran, unterm Jubel der Geschluckten, zunahm an Gewicht und Kraft. Dass sie dort saß, war aber keinesfalls einer Strategie, einem Plan, einer Überlegung gedankt, sondern einem bis dato unbekannten Dritten zwischen Traum und Zufall, Quatsch und Fügung, Schicksal und Versehen – real zwar und handgreiflich, doch vielmehr surreal, abstrus und, vor allem andern, schrecklich sinnlos.
Bis zur Reichsmauernacht 1989 war Angela Merkel ja politisch weder tätig noch im Kleinsten interessiert, sondern brütete über Dissertationen wie dem »Mechanismus von Zerfallsreaktionen mit einfachem Bindungsbruch und Berechnung ihrer Geschwindigkeitskonstanten auf der Grundlage quantenmechanischer und statistischer Methoden«, leistete als »Sekretärin für Agitation und Propaganda« bei der Freien Deutschen Jugend FDJ eine »Kulturarbeit, die mir Spaß machte« (Merkel) und war aber weder in der SED noch einer der sogenannten Blockparteien aktiv. Und in der DDR-Opposition schon gar nicht. Erst als der Westen mit der DDR auch Merkels Akademie der Wissenschaften wegwarf, wurde die Bedrohte ruckzuck EDV-Verwalterin und gleich drauf Chefsachbearbeiterin bei einem »Demokratischen Aufbruch«, den, kaum gegründet, die West-CDU ans Händchen genommen und von allem linken Gut gereinigt hatte. So wurde Merkel, einfach weil sie eh vor Ort gestrandet und woanders grad nix frei war, eine eifrige und sogar überzeugte CDU-Politikerin – warum, wusste niemand und am wenigsten sie selber, die mit diesem Dreh, wie Biographen melden, auch ihre Freunde und tendenziell grünlinken Eltern konsterniert zurückließ.
Und es ging, weil’s nun schon begonnen hatte, wie verhext so weiter, prototypisch 1990: Wer bei der letzten DDR-Volkskammerwahl im März mit seinem Demokratischen Aufbau 0,9 Prozent (!) holt, im April dann logischerweise stellvertretende Regierungssprecherin wird und als solche bei den Vereinigungsverhandlungen ihren späteren Vater Helmut »Birne« Kohl begrüßt; wer im August selben Jahres auch formal zur CDU wechselt und tags drauf Ministerialrätin im Bundespresseamt wird (3. Oktober); wer, immer noch Oktober, Direktkandidatin für den ihr komplett unbekannten Bundestagswahlkreis Rügen sein darf, den sie, weil sie dort halt kein Schwein kennt und auch das Wetter mitspielt oder wer, mit 50 v. H. einsackt und darum im Dezember urplötzlich Kohls Bundesministerin für Physikalische Chemie und EDV, pardon: Frauen und Jugend ist: So eine mag schon glauben zu sein, was die deutsche Presslandschaft, auf dass sie was zu loben habe, damals einig in ihr sehen wollte und trotz aller leisen Meckerei bis heute will: eine »Physikerin der Macht«. Wahlweise »Margaret Thatchers Schwester« (Die Zeit).
Abb. 7
Und fürwahr bärenstark ist die Phalanx der Leichen, mit denen Schwester Angela ihren Aufstieg pflasterte. Degradiert und/oder weggehauen wurden von und unter ihr in dieser Reihenfolge: Klaus Töpfer, Volker Rühe, Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble, Friedrich Merz und Edmund Stoiber und viele unbekannte andere; und nicht nur Kohl hatte seinem vermeintlichen Lieblingsfundstück, wo es ging, geholfen. Er aber so sehr, dass Merkel noch bis 2006 andererseits »Kohls Mädchen« hieß und Titanic sie im Oktober 2006 flankierend als das echtere, weil leidgeprüftere Wiener Entführungsopfer Natascha Kampusch enttarnte: »Ich musste Kanzler zu ihm sagen!«
Und so schaukelte das Merkel-Image noch des ersten Kanzlerjahres 2005 zwischen Machtphysikerin und Mädchen recht halt- und lustlos hin und her; was sollte so ein Journalist um Gottes willen auch Trefflicheres schreiben? Sie tat und konnte ja schon damals nichts, initiierte und entschied nichts, in quantenmechanischen Zerfallsreaktionen schien sie hörbar heimischer als in Politik, Soziologie, Ökonomie, Rhetorik, Grammantik, Semantik und, hierin Kohl gewieft beerbend, sinnreicher Sprache überhaupt. Einleuchtend also, dass ihre demoskopische »Beliebtheit« sich zwischen 2003 und den ersten Pleiten nach dem großen Bankenüberfall etwa verhundertfachte und zu jener Zeit elf Zehntel der Deutschen, wurden sie nur blöd genug gefragt, ihre Kanzlerin rundweg »alles richtig« machen sahen, sie, die zwischenzeitlich überhaupt auch »Königin Europas« wurde (Die Zeit) – so pathologisch kann Mitleid sein.
Und so unhintergehbar Präsenz. Dass Merkel offenbar nicht wegzutun und also, wo nicht zu begrüßen, zu ertragen sei, ist in Wahrheit die erste ihrer Qualitäten, weit vor der zweiten, ihrer tragischen Verfallenheit an Fußball. Wer sie während der jüngsten EMs und WMs in Japan, Österreich/Schweiz und Deutschland nur einmal im Fernsehen jubeln sah, flehte um sofortiges Ausscheiden der Deutschen, so schmerzend ungelenk und gar irgendwie verkehrtherum schob diese grausame Herrscherin ihr Unterarmpaar in die Höhe und hüpfte erdschwer wie ein krankes Huhn – es war einmalig.
Und wie wenig einmalig ihre sprachlichen Entäußerungen! Seit ihrer Kanzlerschaft präsentierte sie, der Weise Eckhard Henscheid hat’s gezählt, »4037mal mit geringfügigsten Varianten« und also fehlerfrei den Satz »Lassen Sie uns unser Land gemeinsam nach vorn bringen«. Gelegentlich wagte sie sich weiter vor und bezauberte dann vollends: »Jeder von uns ist ein Stück weit fassungslos«, nämlich am 11. 9. 01 offenbar ein bisschen erschüttert, weil: »Wir müssen unheimlich aufpassen, dass am Schluss nicht Enttäuschungen erwartet werden« (Parteitagsrede 2006); oder später nach den Bombenterrortoten im ägyptischen Dahab, »bei dem unschuldige Menschen aus ihrem Urlaub gerissen wurden« und also vorzeitig heimmussten; und so weiter und so fort. Denkt aber so ein Mädchen? Formuliert so eine Königin und kalte Physikerin der Macht?
Mitnichten. Sondern ein irgendwie baumgroßes Herzchen tief in einer Frau, die einst gut daran tat, »die negativ gestimmten Debatten über ihr Äußeres zu beenden« und damit »die Inhalte ihrer Auftritte wieder in den Vordergund zu rücken« (Süddeutsche Zeitung). Auf dass, o süße Dialektik, wir ihren Quark etwa zum laufenden Finanzweltkrieg nun quasi ungeschminkt serviert bekommen: »Ich bin noch nicht so weit, dass ich sage: Mit 250 Milliarden Euro kann man nichts machen.« (14. 12. 11)
Na eben. Und zwei Tage später meldete das Fernsehen, Merkel sei, nach ihrer kleinen Krise wg. FDP-Verschwund und Horstl Seehuber oder wem, endlich wieder die beliebteste Politikerin nicht grad Europas; aber Deutschlands allemal.
GEWINNERIN DES MONATS MAI 2011: ANGELA MERKEL
Des Maienmonats schlimmste Tat
Verbrach Herr Ahmadinedschad:
Er ließ Frau Merkel warten
Vorm Luftraum über dem Iran.
Wenn so was Schule macht, ja dann:
Dann hamwer schlechte Karten.
Dann könnte sein, die Frau büßt ein
Die Lust am Fliegen allgemein.
Dann wird das Böse siegen!
Denn weilt sie stets im Vaterland,
Dann raubt sie ihm den Restverstand.
Weltherrscher! Lasst sie fliegen!