Nr. 2642
Der Maskenschöpfer
Ein Lirbal durchlebt die Jahrtausende – er spiegelt das Wesen einer Geistesmacht
Michael Marcus Thurner
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Seit dem dramatischen Verschwinden des Solsystems mit all seinen Bewohnern hat sich die Situation in der Milchstraße grundsätzlich verändert.
Die Region um das verschwundene Sonnensystem wurde zum Sektor Null erklärt und von Raumschiffen des Galaktikums abgeriegelt. Fieberhaft versuchen die Verantwortlichen der galaktischen Völker herauszufinden, was geschehen ist. Dass derzeit auch Perry Rhodan mitsamt der BASIS auf bislang unbekannte Weise »entführt« worden ist, verkompliziert die Sachlage zusätzlich. Um die LFT nicht kopflos zu lassen, wurde eine neue provisorische Führung gewählt, die ihren Sitz auf dem Planeten Maharani hat.
Während Perry Rhodan in der von Kriegen heimgesuchten Doppelgalaxis Chanda gegen die aus langem Schlaf erwachende Superintelligenz QIN SHI kämpft, befindet sich Alaska Saedelaere in der Galaxis Escalian. Sie gilt als »Reich der Harmonie«, über das die viergeteilte Superintelligenz TANEDRAR gebietet. Auskunft über ihre Entwicklung gibt DER MASKENSCHÖPFER ...
Die Hauptpersonen des Romans
Alaska Saedelaere – Der Unsterbliche begegnet dem Maskenschöpfer.
Fartokal Ladore – Der Lirbal muss als eigenständiger Denker agieren.
TAFALLA – Das Geisteswesen lässt sich auf die Hohen Mächte ein.
TANEDRAR – Die Vier, die Eins sind.
1.
Die Puppe Arden beobachtete Alaska Saedelaere. In den Glasaugen, die tot hätten sein sollen, glomm sanftes Interesse. Das Interesse der Superintelligenz TANEDRAR.
»Geht es dir besser?«, fragte sie.
Sie zog aus dem Nichts eine Steinschale und einen Mörser hervor, zerbröselte und zerstampfte schwarzes Pulver, vermengte es mit Speichel und schmierte sich den Brei unter die Nasenlöcher. Mit sichtlichem Genuss sog sie das Zeugs ein. Die Augenlider klapperten, die Lasur der holzgeschnitzten
Ohren zeigte feine Risse.
»Ich fühle mich bereit.«
»Bereit wofür?«
»Du wolltest mir den Rest eurer Lebensgeschichte erzählen.«
»Tatsächlich?« Die Puppe Arden erhob sich steif. »Nun – mir ist die Lust an der Fortsetzung unserer Unterhaltung vergangen.«
Alaska Saedelaere zählte im Stillen bis zehn. Er musste sich in Geduld üben. TANEDRAR litt gehörig unter Problemen, die unter anderem mit dem Ritual von Ankunft und Aufbruch zu tun hatten. Weiterhin hatte das Puppenwesen angedeutet, dass die Schwierigkeiten TANEDRARS mit dem Kosmonukleotid TRYCLAU-3 in Zusammenhang standen.
»Vielleicht gibt es einen anderen, der an deiner Stelle sprechen möchte?«
Arden neigte den Kopf zur Seite, als müsse sie nachdenken. »Nein«, sagte sie dann, und aus ihrer süßen Stimme wurde wieder ein Choral, der einen vagen Eindruck davon verschaffte, was TANEDRAR ausmachte.
»In dir stecken Mentalsubstanzen unzähliger Lebewesen. Ihr habt die Vitalkräfte von Bewohnern vierer Galaxien eingesammelt und für eure Zwecke genutzt. – Keiner von ihnen möchte etwas sagen?«
»Mir gefällt dein Tonfall nicht!«
Ardens Hände fingen Feuer. Sie betrachtete die Flammen, lange und nachdenklich, bevor sie sich entschied, etwas dagegen zu tun. Sie blies die Backen auf und pustete so kräftig, dass Saedelaere Mühe hatte, auf den Beinen zu bleiben.
Das Feuer erlosch. Die Hände waren zu leicht glosenden Stümpfen verkommen, aus denen jeweils ein unbeschädigter Finger hervorstach.
Der Mittelfinger, konstatierte Alaska Saedelaere leidenschaftslos. Entspricht dies etwa dem ganz besonderen Humor dieser ganz besonderen Superintelligenz?
»Ich bitte um Entschuldigung«, sagte er laut.
»Wofür?«
Arden blickte ihn fragend an. Anscheinend hatte die Superintelligenz den Faden verloren. Womöglich war sie in Gedanken ganz woanders. Bei Billiarden Lebewesen, die soeben das Ritual der Ankunft miterlebten und feierten und damit vermittels der Escaran mit ihr in Kontakt traten.
Da kann man schon ein wenig durcheinandergeraten ...
»Ich habe keine Lust, diese Unterhaltung fortzusetzen«, sagte Arden und gähnte. »Aber ich kenne jemanden, der gern mit dir plaudern möchte.«
Saedelaere beobachtete die Puppen-Frau und blieb still. Die geistige Instabilität der Superintelligenz war offensichtlich. Er tat gut daran, sie nicht weiter zu provozieren.
»Da ist dieser ... wie heißt er noch gleich ... ach ja, Fartokal Ladore. Er wird dir sagen, was du wissen möchtest.«
»Danke!« Er nickte und sah zu, wie jegliches Leben aus Arden wich. Die Puppe fiel leblos zu Boden und verschwand in jener Nebelsuppe, die nach wie vor einen Teil des Museums des fliegenden Schauspielpalasts bedeckte.
Saedelaere blieb ruhig. Zeit mochte für die Superintelligenz von untergeordneter Bedeutung sein. Womöglich musste er sich auf eine längere Wartefrist einstellen.
Nun – Geduld war eine seiner besonderen Tugenden.
Nachdenklich betrachtete er jenen Splitter, den er von TANEDRAR als Geschenk erhalten hatte – aber Geschenken gegenüber war er misstrauisch geworden; in diesem Fall war er zumindest gefragt worden, während Samburi Yura ihm ihr Geschenk gewissermaßen aufoktroyiert hatte. Dennoch hätte er in diesem Augenblick lieber mit ihr als mit TANEDRAR gesprochen.
Samburi Yura, die letzte Enthonin, die Beauftragte der Kosmokraten ... Sie und ihr Geschenk waren die Ursache dafür, dass Alaska Saedelaere sich nun im Reich der Harmonie aufhielt. Bisher hatte er erfahren, dass »Reich der Harmonie« eher ein Programm denn gesellschaftliche Realität war und dass selbst TANEDRAR keineswegs in sich harmonisch und ausgeglichen war: TANEDRAR – die Vier, die Eins sind. Vier Geisteswesen, vage zusammengekoppelt zu einer Superintelligenz. Im Auftrag der Hohen Mächte sonderte sich immer wieder eines dieser Geisteswesen ab ...
Der Splitter TANEDRARS, der »Escaran«, ein leuchtendes, normalerweise unsichtbares Gebilde, wurde während der Ankunft für alle sichtbar. Dieser Begleiter wies ihn als zum Reich der Harmonie zugehörig aus. Ob er Saedelaere auch derart konditionierte, dass er Fremde nicht mehr leiden mochte? Und warum erhielt nicht jeder Escalianer einen solchen Begleiter?
Viele Fragen waren nach wie vor unbeantwortet ...
Eine geisterhafte Gestalt hob sich aus dem Nebel. Sie waberte formlos, wirbelte plötzlich ungestüm umher, schoss hoch zur Decke und blieb dort in einer dunklen Ecke kleben wie ein dicht gewebtes Spinnennetz.
»Du bist Fartokal Ladore?«, fragte Saedelaere.
Er erhielt keine Antwort. Doch das Gespinst sank ein wenig tiefer. Es umklammerte einen der beiden hölzernen, mit seltsamen Schnitzarbeiten bedachten Stützbalken, der als optische Trennung zwischen Vestibül und Hauptraum diente.
»Arden meinte, dass du mit mir reden würdest.«
Wiederum keine Antwort. Das Gespinst drehte und wendete sich, als versuchte es, eine besondere Gestalt anzunehmen.
Alaska Saedelaere wartete. Offenbar handelte es sich bei Fartokal Ladore um einen Bewusstseinssplitter der Superintelligenz, der unvermutet ausgespien worden war, eine Art Körperlichkeit erhalten hatte und nur wenig damit anzufangen wusste.
Ich habe schon seltsamere Dinge erlebt und ungewöhnlichere Geschöpfe kennengelernt. Auf einer Skala von eins bis zehn der fremdartigsten Begegnungen, die ich jemals erlebt habe, bekommst du bestenfalls eine Vier, Fartokal Ladore.
Das Gespensterwesen gewann allmählich an Substanz. Woher es diese bezog, blieb Saedelaere unklar, und es kümmerte ihn auch nicht sonderlich. Er mochte Logiker und Verfechter strenger Vernunft sein; doch sein Geist war oft genug an die Grenzen des Glaubhaften gestoßen. Er akzeptierte, was er sah, und versuchte keinesfalls, das »Dahinter« zu ergründen.
»Bin ... müde, so müde«, sagte das Geschöpf mit kaum verständlicher Stimme.
Es hatte ein Gesicht ausgeformt, mit offen stehendem Mund. Dahinter, im Inneren, zeigten sich Bänder und Streifen, die womöglich Muskeln darstellen sollten und sich beim Sprechen in die Länge zogen.
Er versucht, ein Gesicht zu rekonstruieren. Oder eine Maske. – Erinnert er sich etwa an seine frühere Existenz, an sein früheres Aussehen?
Das Etwas schwebte nun weit zu Saedelaere herab, bis es auf dessen Kopfhöhe anhielt. In gewisser Weise ähnelte es einer Tragödienmaske, wie sie in Schauspielen des antiken Griechenland gebräuchlich gewesen waren.
»Der letzte Auftritt«, sagte dieselbe Stimme wie zuvor, nun aber deutlich kräftiger.
»Die letzte Darstellung. Dann kommt Ruhe. Und Harmonie.«
»Ich verstehe dich nicht.« Saedelaere betrachtete fasziniert, wie sich die eben noch starre Maske zu einem Geflecht aus – scheinbarer – Haut und Muskeln wandelte. Es verlieh seinem Gegenüber eine ausgeprägte Physiognomie. Die eines nicht mehr ganz jungen, aber keinesfalls alten Humanoiden.
»Hör mir einfach zu. Das Verständnis wird sich einstellen. Wenn du verständig bist.«
Das Gespinst einer übermannsgroßen Maske sank tiefer wie ein Blatt, das vom Baum fiel. Es blieb auf einem gut gepolsterten Schemel liegen, der scheinbar unter der Last ächzte.
»Ich bin ... ich war Fartokal Ladore. Ich war ein Maskenschöpfer. Wohl der beste meiner Zeit.«
»Wie lange ist das her?«, fragte Saedelaere.
»Mehr als zehntausend Jahre deiner Zeitrechnung, Mensch.« Das Gesicht grinste, das Lächeln wirkte traurig. »Bist du bereit für die Geschichte meines Lebens?«
»Ja.«
»Dann lass uns beginnen, bevor meine Erinnerungen vollends verblassen ...«
2.
Fartokal Ladore betrat sein Geschäft durch den gesicherten Verbindungstunnel. Die Messgeräte zeigten eine geringfügige Partikelverunreinigung in den Ladenräumen an, die er mithilfe der Dim-Filter problemlos in den Griff bekommen würde. Die Säuberung würde ihn weniger Zeit kosten als an den meisten anderen Tagen.
Fartokal ließ den Schutzanzug an, während er die notwendigen Handgriffe routiniert setzte. Er begann seine Arbeit, ohne zu jammern, ohne zu klagen.
Das Summen und Brummen der überall im Geschäft angebrachten Warngeräte versiegte allmählich. Er wusste ganz genau, wo er ansetzen und wie er vorgehen musste. Die gründliche Dekontaminierung der Räumlichkeiten, der Austausch der Pollenfilter in der Umwälzanlage und das Ausspritzen der Einrichtung mit dem Hochdruck-Dampfgerät waren Aufgaben, die ihm nicht einmal ein müdes Lächeln entlockten. Er kannte kein anderes Leben als dieses.
Besorgt blickte Fartokal in die Vorratskammer. Der Vorrat an Filtern, Dimms, Saugsocken, Chlor- und Jodtabletten sowie elektrostatischen Neutralisatoren ging allmählich zur Neige. Er würde eine größere Bestellung aufgeben müssen, an diese monopolkapitalistischen Verbrecher der »Heimatreinigung«, die mehrmals innerhalb kurzer Zeit die Preise für die überlebensnotwendigen Arbeitsgeräte und Ersatzteile erhöhten.
Er zog die UV-Filter hoch und wagte einen Blick nach draußen. Die Sonne ging eben auf. Rotgelbe Schlieren zeigten sich hinter den Zwiebeltürmen des Palastviertels. Partikelwolken wurden mit den stürmischen Morgenwinden über die Plätze und durch die Straßen der Stadt gefegt. Sie glitzerten unheilvoll.
Fartokal seufzte. Die Geschäfte würden schlecht gehen an diesem Tag. Die Wetter-Spezialisten der Heimatreinigung prophezeiten stürmisches Wetter und gaben die Empfehlung aus, die Wohnhäuser und Bunkeranlagen tunlichst nicht zu verlassen.
Fartokal Ladore hätte gar nicht aufzusperren brauchen. Er mochte ein anerkannt guter Maskenschöpfer sein – doch an einem Tag wie diesem würde sich kaum jemand in sein Geschäft verirren.
Er zog die Maske zurecht und schüttelte den Kopf. Allein der Gedanke, zu Hause zu bleiben und den Tag mit Müßiggang zu verbringen, bereitete ihm Schmerzen.
Er war mit seiner Arbeit verheiratet. Er verstand die Maskenschöpfung als Herausforderung an seinen Intellekt. Seine Findigkeit und sein Verständnis für die stetig wechselnden Anforderungen, die das Leben auf Lirbe mit sich brachte, hatten ihn zu einem der geschicktesten und gefragtesten Maskenschöpfer des Planeten werden lassen. Der Beruf war sein Leben. Er hatte sich niemals für Vertreter des anderen Geschlechts interessiert, auch wenn Dutzende Damen des Höheren Standes ihm unzweideutige Angebote gemacht hatten.
Die Ladenräumlichkeiten waren sauber, alle Filter gewechselt. Es wurde Zeit, dass er die Schauräume dekorierte.
Fartokal folgte bei der Auswahl der Masken seiner Intuition, wie immer. Er räumte die klinisch sauberen Tresore leer, unterzog seine Ware einer an und für sich nicht mehr notwendigen Kontrolle und einer Ultraschallreinigung und legte sie Stück für Stück vor sich hin.
Da war das brokatbestickte und mit Tiefzirkonen belegte Modell »Adgerce«. Die Edelsteine leuchteten in kräftigem Grün. Adgerce war in Kreisen des niederen Adels ein besonders beliebtes Modell. Es wirkte elegant, war aber bei Weitem nicht so kostspielig wie Masken der »Upgerce«-Serie.
Ja. Drei von ihnen, ins rechte Licht gerückt, würden ihre Wirkung auf Passanten nicht verfehlen – falls es welche geben würde.
Willkürlich wählte er einige Stücke aus den unteren Preiskategorien aus, um sie in der »Schmuddelecke« unterzubringen. Diese Dinger, auch wenn sie keinesfalls zu seinen Lieblingen zählten, bezahlten die Rechnungen.
Neugierige Normalsterbliche, die von seinem Ruf als exklusiver Maskenschöpfer geblendet waren und bloß mal den teuersten Laden der Stadt von innen sehen wollten, ließen sich gern blenden. Sie entdeckten die Masken in der Schmuddelecke, meinten ein Schnäppchen zu machen und kauften einen Aludur-Verschnitt oder einen etwas aufgepeppten Komtabel-Plastigonar, um im Freundeskreis damit prahlen zu können, Kunde bei Fartokal Ladore zu sein. Sie gingen dabei an finanzielle Schmerzgrenzen – und oftmals darüber hinaus.
Um Masken zu erstehen, deren Gewinnmargen erfreulich hoch waren, während die wahrhaft exklusiven Modelle manchmal nur wenig Geld brachten. Zumal es die Mitglieder des Geldadels vorzüglich verstanden, Preise zu drücken.
»Ein Hoch auf die arbeitende, rechtschaffene Bürgerschaft«, murmelte Fartokal, während er die letzten Modelle in den Auslagen verstaute und die Beleuchtungskörper justierte.
Es war fertig. Wie immer deutlich vor der eigentlichen Ladenöffnungszeit.
Er nahm eine weitere Strahlungsmessung vor, entriegelte die Tür, schaltete die Sicherungen ein und zog seine Geschäftsmaske über, tunlichst darauf bedacht, dass ihn niemand dabei beobachten konnte.
Wer soll mir schon dabei zusehen? Die Straßen sind leer. Jene armseligen Streuner, die in den Schatten der Gebäude Zuflucht gefunden und sich den Unbilden des Wetters ausgesetzt haben, werden sich kaum für die Vorgänge in meinem Geschäft interessieren.
Benlie Arcenthea huschte draußen vorbei und winkte ihm grüßend zu, den Rüschenkragen aufgestellt wie immer, mit panisch wirkenden Blicken wie immer.
Fartokal winkte zurück, doch es war wohl schon zu spät. Benlie arbeitete nebenan in der Reinigungs- und Messhalle. In der Bekleidungs-Abteilung. Um immer wieder angelieferte Kleidungsstücke zu untersuchen und bei Bedarf einer gründlichen Reinigung zu unterziehen.
Es war eine stupide Arbeit, und sie war eine stupide Frau. Doch sie vergaß niemals, ihn zu grüßen.
Er begann sein Frühstück. Brot und Gemüseaufstrich waren garantiert sauber; so versprach es zumindest der Hersteller.
Konnte man den Lebensmittelfabrikanten überhaupt vertrauen? In letzter Zeit waren immer wieder Gerüchte aufgekommen, dass in den Produktionshallen bei Weitem nicht so penibel gereinigt wurde, wie es die Vorschriften erforderten.
Fartokal zögerte, erhob sich dann und unterzog das Frühstück einer Prüfung im dafür vorgesehenen Brutkästchen. Das Freizeichen ertönte bereits nach wenigen Atemzügen. Er brauchte keinerlei Bedenken zu haben.
Ein Informationssignal ertönte. Jemand näherte sich seinem Laden. Die Außenkameras erfassten den Mann und begannen mit einem Physiognomie- und Maskenabgleich. Es waren unruhige Zeiten, viel Gesindel trieb sich herum. Die Ordnungskräfte taten ihr Bestes, doch sie waren chronisch unterbesetzt. Sie beschützten die Paläste des Hochadels und patrouillierten, wann immer ihnen die Zeit blieb, durch die Verkaufsstraßen der Innenstadt. Dennoch konnte es passieren, dass Lirbal der unteren Schichten Verzweiflungstaten begingen.
Ging es denn wirklich bergauf mit ihnen, wie Kanzler und König immer wieder behaupteten?
Fartokal meinte zu wissen, dass insbesondere jüngere Lirbal jegliche Perspektive verloren hatten und sich nicht am Arbeitsprozess und am schwierigen Wiederaufbau beteiligen wollten. Viele Jugendliche saßen in übel beleumundeten Spelunken und trugen Masken, mit denen sie ihrem Protest gegen die Lebensumstände Ausdruck verliehen.
Die Tür öffnete sich. Fartokal zuckte zusammen. Sein armes, altes Herz schlug laut und heftig.
Er erhob sich und warf einen Seitenblick auf die Überwachungsbildschirme. Der Abgleich war zu Ende. Nach Meinung des Erkennungsprogramms bestand keinerlei Gefahr. Bei dem Kunden handelte es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um einen Adjutanz-Beamten, der im Palast für Wiederaufbau Dienst tat.
»Willkommen bei Fartokal«, sagte er, legte das angebissene Brot beiseite und trat in den Verkaufsraum. »Womit kann ich dir dienen?«
»Meine Maske«, nuschelte der Beamte, »sie ist schadhaft. Der Blick-Zoom ist ausgefallen, und einige Messgeräte in der äußeren Schale zeigen unmögliche Werte an.«
Ein Standardfall also. Solche Schäden in der Masken-Software waren in Fachkreisen hinlänglich bekannt. »Nun, ich kann dein Gerät gern zur Reparatur übernehmen. Doch ich erledige derlei Arbeiten nicht selbst. Ich gebe schadhafte Masken an einen Fachmann weiter ...«
»Ich dachte, du wärst der Fachmann schlechthin?«, unterbrach ihn der Beamte schroff.
»Ich bin Maskenschöpfer«, sagte Fartokal so ruhig wie möglich. »Ich erschaffe neuartige Modelle. Ich beliefere meine Kunden mit Vorschlägen und Ideen und arbeite mit den besten Werkstoffen. Ich setze Trends. Ein Maskenschöpfer ist ein Handwerker, der von seiner Kreativität und seinem Geschick lebt.«
»So? – Nun, ich hörte, dass dein Stern am Untergehen sei. Dass es Jüngere gebe, die dir den Rang ablaufen würden.«
»Sagt man das?« Fartokals Herz raste. Am liebsten hätte er dem Unverschämten die Maske vom Gesicht gerissen und ihm einen Satz Ohrfeigen verpasst! »Meine Geschäfte gehen gut. Ich bin der Lieferant des Hochadels.«
»Erzähl mir nichts! Ich arbeite an einer Kostenstelle, die Überblick über den finanziellen Haushalt der vier größten Palastministerien hat. Deine Umsätze in diesen Häusern sind um mindestens dreißig, wenn nicht gar vierzig Prozent zurückgegangen.«
»Was willst du von mir?« Vor Fartokals Augen tanzten weiße Pünktchen. Er hasste diesen unverschämten Kerl.
»Sieh zu, dass meine Geschäftsmaske bis morgen repariert ist. Und mach es gratis. Dann betreibe ich gern Mundpropaganda für dich. Wie gut der Service sei, was du von deiner Arbeit verstündest. Dass man das Budget für Neuanschaffungen wieder mal erhöhen könnte. Du verstehst ...?«
»Ich verstehe.«
Der Kretin hatte recht. Die Geschäfte liefen längst nicht mehr so gut wie früher. Irgendwann war ihm das Moment des Handelns entglitten. Aalglatte Maskenschöpfer mit an und für sich bescheidener Kreativität hatten neue Verkaufsmethoden ins Spiel gebracht. Sie hatten begonnen, ihre Produkte aggressiv zu bewerben und die Preise zu drücken. Hatten erklärt, dass eine neue Zeit angebrochen sei, in der die Masken-Ästhetik keine Rolle spielte und die Funktionalität erhöht werden sollte.
Wie sehr sie sich doch irrten! Die Lirbal hatten stets einen Sinn für Schönheit gehabt. Doch diese widerlichen Kerle, denen einzig und allein am Profit gelegen war, sprachen ihnen diese Gabe ab. Sie lenkten die Käufer vom Wesentlichen ab und machten ihm eine nicht zu unterschätzende Zahl potenzieller Klienten abspenstig.