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Das Buch

Das Manuskript, etwa 400 handschriftliche Seiten, befand sich im Besitz von Margot Honecker. Die Aufzeichnungen entstanden in der fünfeinhalb Monate währenden Haft in Berlin-Moabit. Sie sind sowohl Berichte vom Tage, Repliken auf Zeitungsbeiträge, Reaktionen auf den Prozess sowie auf medizinische Untersuchungen. Auf einer dritten Ebene hält der Autor gleichsam Zwiesprache mit seiner Frau, die zu jener Zeit schon in Chile lebt. Die Tagebuchaufzeichnungen sind ein zunächst privates, aber durchaus allgemeines zeitgeschichtliches Zeugnis. Sie geben Auskunft über das Innenleben eines ehemaligen Staatsmannes, der, schon todkrank, von einer gnaden- und seelenlosen Justiz zu Tode gehetzt werden soll. Nach fast zwei Jahrzehnten sind viele Namen und Zusammenhänge auch geschichtskundigen Lesern kaum noch präsent. Sie werden in ausführlichen Anmerkungen erläutert.

Der Autor

Erich Honecker (1912-1994), geboren und aufgewachsen in Neunkirchen im Saarland in einer Bergarbeiterfamilie. Mit 10 wurde er Mitglied der Kommunistischen Kindergruppe, mit 14 des Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD), mit 17 der KPD. Besuch der Leninschule in Moskau 1930/31. Antifaschistischer Widerstand, Haft von 1935 bis 1945. Nach dem Krieg Mitbegründer der Freien Deutschen Jugend (FDJ) und dessen Vorsitzender bis 1955. Besuch der Parteihochschule in Moskau bis 1957. Nach seiner Rückkehr Mitglied des Politbüros und ZK-Sekretär. 1971 Erster, ab 1976 Generalsekretär des ZK der SED, Vorsitzender des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates bis zum 18. Oktober 1989. Von Moskau im Sommer 1992 ausgeliefert, 169 Tage U-Haft in der JVA Berlin-Moabit, Ausreise nach Chile am 13. Januar 1993. Dort verstorben am 29. Mai 1994.

Erich Honecker

Letzte Aufzeichnungen

Mit einem Vorwort von Margot Honecker

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Das erste Blatt der Aufzeichnungen

Vorwort

Von Margot Honecker

Lange habe ich gezögert, diese letzten Aufzeichnungen Erich Honeckers aus der Hand zu geben. Sie sind stellenweise wie in einem vertrauten Gespräch mit mir und der Familie geschrieben. Ich meinte, dass man Privates, etwas, das auch Empfindungen offenbart, besser im privaten Raum belassen sollte.

Mein Mann begann mit diesen Aufzeichnungen mit dem Tag seiner Einlieferung ins Gefängnis Moabit. Er schrieb auf Anraten seines Verteidigers Friedrich Wolff eine Art Tagebuch, das auch Aufschluss geben sollte über den Prozess. Er hatte keine Schreibmaschine, er schrieb mit der Hand. Mit dem Fortschreiten seiner Krankheit schwanden seine Kräfte, wurde seine Schrift immer schwerer lesbar. Seine Gedanken sprangen auch. Manches blieb fragmentarisch, und einige Bemerkungen sind nur mit der Hetze, dem enormen Druck, der auf ihm lastete, zu erklären.

Nach den ersten ärztlichen Untersuchungen in Berlin war ihm gesagt worden, dass der bösartige Tumor in der Leber sich aggressiv weiterentwickelte. Erich Honecker wollte sich mit der ihm verbliebenen Kraft und Lebenszeit vor allem auf den Prozess konzentrieren.

Wenn ich mich, auch dem Rat guter Freunde folgend, nun doch entschloss, die Aufzeichnungen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, so deshalb, weil sie nicht nur einen wahrhaften Einblick geben in einen kurzen Lebensabschnitt im kämpferischen Leben Erich Honeckers, sondern auch in einen in der deutschen Geschichte schwerwiegenden Zeitraum. So könnten die Aufzeichnungen hilfreich sein in der politischen Auseinandersetzung mit der Geschichte, indem sie einige Wahrheiten ins Licht rücken inmitten der Lügen, Fälschungen und Verleumdungen, die nun schon seit über zwei Jahrzehnten verbreitet werden. Und alles deutet darauf hin, dass auch weiterhin Heerscharen aufgeboten werden, geschichtliche Wahrheiten unter den Teppich zu kehren, den Sozialismus zu diskreditieren, Kommunismus und Kommunisten zu verteufeln. Nichts ist dieser herrschenden Klasse in ihrem Selbsterhaltungswahn heilig, sie kennt keine ethischen Normen, ihre Hassgesänge entspringen nun mal ihrer Klassenmoral. Unsere Gegner agieren so, weil sie nicht akzeptieren können, dass eine andere Gesellschaft als die, in der wir zurzeit leben, nötig und möglich ist. Sie können nicht verzeihen, dass eine andere Gesellschaft als die ihre auf deutschem Boden errichtet wurde, die immerhin 40 Jahre existierte und in dieser Zeit ihre Herrschaft über ganz Deutschland verhinderte.

Jene, die in den Diensten des zeitweilig über den Sozialismus triumphierenden Kapitalismus stehen, von geschichtlichen Wahrheiten überzeugen zu wollen, ist vergebliche Mühe und nicht mein Anliegen. Mir begegnen immer wieder Menschen, vor allem jüngere, die nachdenklich geworden sind, ob diese kapitalistische Gesellschaft eine Zukunft hat. Es sind Menschen, die sich historischen Wahrheiten nicht verschließen.

Zum Nachdenken anregen könnten auch diese Aufzeichnungen, die aus Anlass des bevorstehenden 100. Geburtstages Erich Honeckers erscheinen. Seinen 80. Geburtstag verbrachte er in Moabit. Damals wurde seine schwere Erkrankung öffentlich. Ich rief von Chile aus zur Solidarität mit meinem Mann auf und erklärte: »Ich bin mir sicher, mein Mann wird, so lange er lebt, nicht nur sich und seine Genossen verteidigen, sondern auch das Unrecht anklagen, das zehntausendfach den Bürgern der DDR angetan wurde, indem man aus der demokratischen, friedlichen Wiedervereinigung eine Okkupation der DDR machte.«

Ich habe mich in diesem Urteil nicht geirrt.

Die Aufzeichnungen enthalten Fakten und Hinweise, die den politischen Prozess gegen Honecker und Genossen in Erinnerung rufen. Es ging dabei nicht um Juristisches, nicht um Personen: Es ging um Politik.

Nachdem das kapitalistische Deutschland das sozialistische Deutschland unterworfen hatte, demonstrierte der kapitalistische Staat, wie er mit Menschen umzugehen gedenkt, die eine andere als diese Gesellschaft wollen. Warum sonst fanden Ermittlungsverfahren und Prozesse statt gegen Grenzsoldaten, Juristen, Angehörige des MfS, Sportler und andere Personen, die der DDR dienten? Gegen mehr als 100.000 Bürger der DDR wurden Beschuldigungen erhoben, rund 85.000 juristische Verfahren wurden eingeleitet, von denen die meisten im Sande verliefen, die aber die betroffenen Familien oft ins Unglück stürzten. Auch wenn man es nicht wahrhaben wollte – und es waren damals viele, die durch die konterrevolutionären Ereignisse irritiert waren –, bleibt es eine unbestreitbare Tatsache, dass die juristische Verfolgung eine politische Abrechnung der BRD mit der DDR darstellte. Der Kapitalismus maßte sich an, über den Sozialismus zu Gericht zu sitzen.

Die herrschende Politik tat und tut alles, um diese gesellschaftlichen Zusammenhänge zu verschleiern und zu leugnen. Nicht alle ließen sich beirren, Klardenkende sahen diese Zusammenhänge. Auch im bürgerlichen Lager gab es Persönlichkeiten, die die Prozesse kritisch verfolgten. Günter Gaus, einst Ständiger Vertreter der BRD bei der DDR, verstand sich als radikaler Demokrat. Er glaubte an diese Ordnung und vertrat sie mit Überzeugung. Als Honeckers Prozess endete, schrieb Gaus, dem dieser gesellschaftliche Kontext sehr bewusst war, am 22. Januar 1993: »Der Wille, die DDR-Geschichte juristisch aufzuarbeiten, hatte die unvermeidliche Zuspitzung auf Totschlag zur Folge. Der Prozess setzte erstens voraus, dass Honecker die Mauer allein und aus Böswilligkeit gebaut hatte und also anzuklagen sei. Das ist geschichtslos. Wahr ist, an der Elbe 1961 existierte tatsächlich die gefährlichste Militärgrenze der Welt. Dass Honecker das auch gesagt hat, macht ja noch nicht, dass es falsch ist. Und es ist auch wahr, der Kalte Krieg wurde 1961 von beiden Seiten heftig geführt und hatte eine Zuspitzung erreicht, dass die Alliierten – wie an ihrem Verhalten abzulesen – ganz froh waren über den Bau der Mauer.«

In einem anderen, früheren Text hieß es dazu bei Gaus: »Lag nicht doch Krieg auf den Straßen von Berlin am damaligen 13. August? Und falls er drohte – und alle Welt meinte, er drohe –, war dann der Mauerbau ein unverhältnismäßiges Mittel zu seiner Verhinderung?«

Gaus warf die Frage nach der Mitverantwortung der Bundesrepublik auf und meinte darum in jenem Beitrag zum Ende des Honecker-Verfahrens, dass »wirkliche Schuld« erst noch verhandelt werden müsse. »Ich denke aber, dass der Bau der Mauer der falsche Punkt ist. Denn es hat, zweitens, keinen Sinn, so zu tun, als sei die DDR eine abtrünnige Provinz der Bundesrepublik gewesen. Es gab zwei voneinander unabhängige deutsche Staaten, von der ganzen Welt anerkannt.«

Über zwei Jahrzehnte sind vergangen. Es braucht seine Zeit, bis die Wahrheit sich durchsetzt. Ein ungetrübter Blick auf Vergangenheit und Gegenwart wird verhindert durch den Nebel, den die herrschende Politik über den tatsächlichen Verlauf der Geschichte verbreitet. Tatsachen lassen sich aber nicht auf Dauer leugnen.

Tatsache bleibt: So lange das sozialistische Deutschland existierte, gab es keinen rabiaten Sozialabbau. So lange das andere Deutschland existierte, wurde Deutschland daran gehindert, seine Söhne wieder in Kriege zu schicken.

Heute gibt es wieder ein kapitalistisches Großdeutschland, das seinen Nachbarn und der Welt erneut Unbehagen einflößt in seinem Streben nach Vorherrschaft. Unbehagen nicht zuletzt auch deshalb, weil schon wieder Nazis ihr Unwesen treiben können. Die Wurzeln des Faschismus wurden in der alten BRD nie ausgerottet. Und sie werden mit der blindwütigen Diskreditierung des Sozialismus, dem törichten unheilvollen Antikommunismus, wiederbelebt.

Ein ungetrübter Blick auf unsere Geschichte, auf die Vergangenheit und auf die Gegenwart sollte nachdenklich machen, Nachdenken befördern, Schlussfolgerungen für Gegenwart und Zukunft liefern.

Erich Honecker hielt an der Überzeugung fest, dass auch in Deutschland erneut gesellschaftliche Kräfte auf den Plan treten werden, die andere Verhältnisse erstreiten werden. Obgleich schwerkrank, ist er bis zum Ende seines Lebens für seine Überzeugung eingetreten.

Auch davon sprechen diese Aufzeichnungen.

Margot Honecker,
Santiago de Chile, Dezember 2011

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Die JVA Berlin-Moabit

29. Juli 1992

Berlin in Sicht. Die Stadt liegt in der Abendsonne. Ich sehe den Fernsehturm, um den Walter so gekämpft hat. Ich freue mich noch immer, dass ich ihn dabei unterstützte. Er hatte dabei einen schweren Stand. Aber schließlich doch die Mehrheit.

So sah es unter der »Diktatur« aus, in der Demokratie, die sozialistisch war.

Der Turm steht immer noch auf Berliner Boden. Wie ich hörte, soll noch die »Eigentumsfrage« von Grund und Boden geklärt werden. Ja, daran haben wir wohl damals nicht gedacht. Ich weiß auch nicht, wem er gehört. Früher gehörte er dem Volk.

Die Landung in Tegel war gut. Die Aufnahme korrekt. Der Leitende der Aktion Sicherheit stellte sich vor. Er hatte alles im Griff.

Noch im Flugzeug erfolgte eine ärztliche Untersuchung: Herz/Lunge o.k., Blutdruck 90/180, Puls 130.

Danach ging im Mercedes die Fahrt nach Moabit. Am Straßenrand stehen Menschen, ich sehe Transparente, rote Fahnen, höre Rufe von Freund und Feind. Die freundlichen Worte überwiegen. In der Turmstraße großer Empfang, Rufe von unseren Berlinern. Tor auf – wir sind auf dem Hof des Haftkrankenhauses.

Im Krankenhaus erfolgt die Einkleidung. In der U-Haft hat man ja das Recht auf eigene Kleidung.

Um meine Bilder muss ich kämpfen. Zwei Fotos von den Enkeln hat man mir abgenommen.

Bin mit einem Sinto in der Zelle. Wir verstehen uns gut. Das Einschlafen fiel mir schwer. Ich habe noch eine Tablette genommen. In Zukunft wird dies wohl wegfallen.

30. Juli

Nach dem Frühstück – mein Sinto versorgt mich wie einen guten Freund –, kommt das Geburtstagskind (70 Jahre) Dr. Friedrich Wolff. Kurze Information und Verständigung. Dann Landgericht Berlin, im Saal 500 Verlesung des Haftbefehls. Ich erkläre, dass ich heute dazu keine Bemerkungen habe. Ende.

Danach zum Amtsgericht Tiergarten im gleichen Gebäude in einem anderen Saal. Verzichte in Anwesenheit von Dr. Wolff auf Verlesung des Haftbefehls. Eine Komödie. Mit den Preisen in der HO-Wandlitz habe ich nie etwas zu tun gehabt. Der Haftbefehl wird mir ausgehändigt. Habe auch dazu keine Bemerkung gemacht.

Wir stellen fest, dass man mir im Landgericht den falschen Haftbefehl ausgehändigt hat und kehren darum zum Saal 500 zurück.

Nach 57 Jahren sehe ich den Komplex Moabit also wieder von innen. Weihnachten 1935 hatte mich die Gestapo aus ihrer Zentrale in der Prinz-Albrecht-Straße hierher gebracht. Anderthalb Jahre war ich damals hier in Untersuchungshaft. Für wie lange wird es diesmal sein?

Es sind dieselben Flure und die gleichen Gänge. Ich habe noch die Rufe von damals im Ohr: »G 3 zur Vernehmung!« Später saß ich dem Untersuchungsrichter des »Volksgerichtshofes« Hans-Joachim Rehse gegenüber. Er fällte über zweihundert Todesurteile gegen Antifaschisten. Dafür wurde er in den späten 60er Jahren vom Berliner Landgericht wegen Beihilfe zum Mord verurteilt, doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil mit der Begründung auf, Rechtsbeugung sei nicht nachweisbar. »Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus«, sagten wir damals, als die Entscheidung von Karlsruhe uns in der DDR erreichte. Der Mörder Rehse starb unmittelbar nach seinem Freispruch. Nicht ein Nazirichter wurde damit rechtskräftig in der Bundesrepublik verurteilt. Nicht einer.

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Seite aus Honeckers holländischem Reisepass, ausgestellt am 22. Januar 1934 für den Seemann Marten Tjaden. Rechts unten die Ausreise aus der Tschechoslowakei am 20. November 1935. Am 4. Dezember, zwei Wochen später, wurde er in Berlin verhaftet und Weihnachten nach Moabit überstellt

Und diese Justiz wird nun über mich und meinesgleichen zu Gericht sitzen.

31. Juli

Mein Sinto muss umziehen. Wir sind sprachlos. Höhere Gewalt. Ich bedauere die Trennung. Er war ein Mann mit vielen Erfahrungen und Kenntnissen. Die Sinti hatten und haben es immer schwer. Eine Überraschung: Er kennt Rechtsanwalt Becker. Jetzt harre ich der Dinge, die heute kommen sollen. Alles andere liegt ja in der Zukunft.

Gestern hatte ich das Glück, nach so langer Zeit Erich Mielke zu sehen. Eine Krankenschwester begleitete ihn beim Rundgang auf dem Hof. Ich rief ihn von oben an. Keine Reaktion.

Ich nochmals: »Erich!« Diesmal mit »Rot Front!«, dass es über den ganzen Hof schallte.

Wieder nichts. Keine Kopfbewegung, kein suchender Blick. Offensichtlich wollte er nicht reagieren. Ich kann und will nicht glauben, dass er so fertig ist.

Am Nachmittag kommt Rechtsanwalt Becker. Wir besprechen etwa ein Dutzend Themen, die meine unmittelbare Situation betreffen.

1. Verbindung mit meiner Frau

2. meine Rente

3. mein Konto

4. unsere Sachen aus der Hütte

5. Jagdwaffen und zwei -fahrzeuge

6. Telefonat mit Manfred und Erika

7. kein Buch

8. Bilder der Enkel

9. mein Lebenslauf in den Gestapo-Akten.

Zum Prozess:

Wie kam es zur Spaltung Deutschlands?

Wie kam es zur Mauer?

Chronologie der Reisepläne und -absagen in die BRD.

Gorbatschow 1984 und 1986/87 dagegen.

1. August

In der Nacht habe ich schlecht geschlafen. Ich soll im Haus verlegt werden. Die andere Zelle soll besser und sicherer sein.

Der Rundfunk meldet, dass Margot nach 30 Stunden Flug in Santiago de Chile eingetroffen sei. Wegen Nebels habe die Maschine nicht landen können und musste nach Argentinien zurückkehren. Sie sei von Sozialisten begrüßt worden. Die Nachricht von der glücklichen Landung ist eine Erlösung für mich.

In Deutschland wird die Hetzjagd gegen Dich, meine Kleine, fortgesetzt. Das schmerzt. So ist es mit dem »Vermächtnis der Widerstandskämpfer«, auf dem – wie ich den Erklärungen zum 20. Juli entnahm – die BRD ruht. Sie ruht bis jetzt, wie die Dinge zeigen, noch auf dem alten antikommunistischen Fundament. Deine Leistungen in der Illegalität, als andere braun waren und ihren »Führer« liebten, der die Juden unterdrückte, sie vergaste – ob Kind, ob Greis –, das alles ist vergessen und zählt nicht mehr. Deine Leistungen als Pionierleiterin über ein Jahrzehnt, die antifaschistische Erziehung der Jugend nach 1945, als Ministerin für Volksbildung: Das interessiert nicht. Stattdessen krähen sie von Zwangsadoptionen und anderen Dingen, derer Du Dich angeblich schuldig gemacht hast.

Die Justiz der BRD hat kein Recht, über Dich, die Du Deinem Staat treu und erfolgreich gedient hast, zu Gericht zu sitzen. Wir haben den deutschen Militarismus wohl doch nicht überzeugend genug dargestellt. Aber die Erfahrungen jetzt mit ihm zeigen, dass wir ihn richtig eingeschätzt hatten. Bin gespannt, was das »Komitee für Gerechtigkeit« dazu zu sagen hat.

2. August

Mein Blutdruck ist 200 zu 160, so hoch wie noch nie.

Die Leute von der taz sind gut. Bringen jeden Tag eine Zeitung heraus, obwohl auch sie nicht in Ordnung ist.

3. August

Suche wegen des Bluthochdrucks das Krankenhaus Moabit auf. Werde vom Personal gut aufgenommen und behandelt.

Prof. Dr. Volker Taenzer, ein Radiologe, untersucht meine Leber. Ich sehe die dunklen Stellen auf dem Röntgenbild. Er fragt nach den Röntgenbildern aus Moskau, um zu vergleichen. Ich habe sie nicht.

Vor der Untersuchung musste ich viel trinken. Zum Glück verfüge ich über die Erfahrungen von zwei Operationen und weiß, wozu das nötig ist. Die Menge hielt meine Blase dennoch nicht aus.

Wie ich höre, kennt Professor Taenzer Prof. Wolff und Prof. Althaus aus der Charité gut. Sie hatten mich damals behandelt.

Ich höre im Rundfunk die gute Nachricht, dass das Parlament in Chile Margot den Aufenthalt bewilligt hat.

Ich denke oft an Margot, an Robi und meine Lieben.

4. August

Das Leben geht seinen Gang. Ich lese jetzt viel und höre Rundfunk. Die Welt ist verrückt – und Russlands Staatsbank bewegt Rubel, pro Monat etwa 250 Milliarden. Jelzin besorgt den Ausverkauf. Ich muss den Säufer nicht mehr fürchten – im Unterschied zu den Russen.

 

5. August

Meine Anwälte informieren mich, dass es morgen einen Haftprüfungstermin im Saal 500 geben werde. Sie und auch die 27. Strafkammer haben ihn beantragt. Die Mediziner sollten sagen, ob ich haft-, vernehmungs- und verhandlungsfähig sei.

Ich weiß, dass dies den Regeln des »Rechtsstaats« entspricht. Die Frage aber ist doch eine ganz andere: Ist der Prozess, den man mir und den anderen Mitgliedern des Politbüros machen will, überhaupt zulässig, also rechtens? Vorgestern hat Augstein im Spiegel erklärt: »Der Haftbefehl gegen Honecker hätte gar nicht erst erlassen werden dürfen.«

Inzwischen gehen Briefe und Telegramme aus Berlin und ganz Deutschland ein. Ich bekomme Post aus Frankreich, Griechenland, Norwegen, Schweden, Dänemark, aus den Niederlanden, England, Spanien, selbst aus den USA. Sie zeigt, dass die DDR nicht vergessen ist. Die Solidarität ist groß. Am meisten aber freue ich mich über den Brief aus Israel, den mir Dr. Wolff übergab. Geschrieben hat ihn Sarah Fodorová, die ich 1935 laut Stern an die Gestapo verraten haben soll. Den Brief hat er von einem Berliner bekommen, der in Israel zu Besuch war. Dieser traf dort Sarah Fodorová, die unter dem Namen »Wiener« in Tel Aviv lebt und aus der Presse von meinem Schicksal erfahren hat. Auch von diesen Anschuldigungen, dass ich sie damals in Moabit angeblich ans Messer geliefert habe. Ich bezweifle, dass jene Zeitungen ihren Brief drucken werden, die mich als »Verräter« an den Pranger stellten. Es ist doch klar: kein positives Wort zu diesem Verbrecher!

Sarah war damals standhaft und mutig. Sie ist es auch jetzt. Ich versuche mich an sie zu erinnern, wie sie damals aussah, und stelle mir vor, wie sie heute – mehr als 50 Jahre nach unserem Prozess vorm »Volksgerichtshof« – aussehen könnte.

6. August

Der Haftprüfungstermin findet in nicht öffentlicher Sitzung statt. Daran nehmen auch meine Anwälte Becker und Wolff teil, Ziegler ist noch bis zur nächsten Woche im Urlaub. Die beiden sind klasse.

Der Vorsitzende Bräutigam stimmt drei Offizialverteidigern zu, d. h. meine drei Anwälte werden zum Verfahren zugelassen. Eine Beschränkung, so fürchtete wohl der Richter, hätte ihm als kleinlich ausgelegt und als Indiz gewertet werden können, dass es sich um ein politisches und nicht um ein rechtsstaatliches Verfahren handelte. Diesen Eindruck will er unbedingt vermeiden.

Prof. Volkmar Schneider vom Institut für Rechtsmedizin der Freien Universität Berlin war mit dem Gutachten beauftragt worden. Er trägt mündlich vor, dass ich zweifelsfrei haft- und vernehmungsfähig sei. Allerdings sagt er nicht, ob ich auch im Prozess verhandlungsfähig sei. Bräutigam setzt daraufhin die Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft aus. Er wolle erst entscheiden, wenn ihm Schneiders Gutachten schriftlich vorliegt.

Die anderen Fragen – Besuche, Post usw. – werden zu meiner Zufriedenheit gelöst.

Nach zweieinhalb Stunden endet die Sitzung. Vor dem Saal warten noch immer die Journalisten. Das Interesse ist groß. Ich bekomme eine Ahnung, wie das bei der Eröffnung der Hauptverhandlung sein wird. Es lässt mich nicht unberührt, aber es regt mich auch nicht sonderlich auf. Vielleicht ist die relative Gleichgültigkeit auch die Folge der Medizin, die ich gegen den Bluthochdruck bekomme.

7. August

Heute ist ein großer Tag, mein Schwager ist zu Besuch. Bei allem Elend, was die Kolonialherren gebracht haben, gibt es auch gute Momente. Wir reden über Politik. Ich denke, dass jetzt immer klarer wird, was die DDR, was der Warschauer Pakt, was die Sowjetunion für die Welt bedeuteten. Die Welt gerät aus den Angeln. Der Widerstand gegen die imperialistische Politik wächst. Das wird so weitergehen. Unser Prozess wird dazu beitragen.

Ich hätte nicht gedacht, dass mein aufrechter Gang, mein erhobenes Haupt, meine klare Haltung so wirkt. In den Briefen und Telegrammen heißt es, dass ich damit Mut mache und dass das gut sei.

Gegen 16 Uhr bestätigt mir Dr. Rex, der Chefarzt des Haftkrankenhauses, meine Vermutung. Der Tumor ist bösartig. Er wäre wohl nicht gekommen, wenn es nicht ernst wäre. Ich solle, sagt er, auch mit den Anwälten reden. Und dann nennt er mir den Namen eines Experten.

Ich schreibe Margot einen Brief. Wann ich ihn absende, weiß ich noch nicht. Ich schreibe ihn mehr für mich als für sie. Vielleicht kann ich mit ihr auch telefonieren, wenn alles klar ist. In zwei Monaten werde ich wissen, wie schnell sich alles weiterentwickelt.

Ich muss umdisponieren. Diese Schlacht muss noch geschlagen werden. Mehrere Rechtsanwälte haben sich gemeldet, die mich und meine Genossen verteidigen wollen. Also um unsere Sache steht es nicht schlecht.

Soeben kam die Meldung von Möllemann, er wolle jetzt über die Lage der Wirtschaft im Osten reden. Auch über die Abwanderung und die von Bonn verursachte Perspektivlosigkeit?

Mein Buch habe ich noch immer nicht gesehen. Der kleine, aber mutige Verlag schafft es nicht allein, die Nachfrage ist groß. Man fragt, besonders in Berlin, in den Buchhandlungen nach dem Buch. 60.000 Exemplare in drei Auflagen sollen schon verkauft worden sein. Ich werde eine weitere Auflage vorbereiten und ergänzen. Jetzt sehe ich Ursachen, Wirkungen und Zukunft klarer und werde das darlegen.

Es ist jetzt 20.20 Uhr. Habe noch Briefe gelesen, sortiert und beantwortet.

8. August

Ich bin gestern spät eingeschlafen, aber sehr früh dennoch gut aufgewacht. Ich kann nur schwer wegstecken, was jetzt alles auf mich einstürmt. Das Leben geht weiter. Wie, das muss ich mir noch überlegen.

Ich denke an Dich und hoffe, dass Du bei den Kindern jetzt Ruhe findest. Du hast sie nötig. Niemand hat dies mehr bemerkt als ich.

Ich habe noch einmal den Leitartikel im Neuen Deutschland vom 1./2. August gelesen »Der Hochverräter«. Herzerfrischend. Es wäre schön, wenn Du ihn auch einmal lesen könntest. Er wurde von Hermann L. Gremliza (51), Herausgeber der in Hamburg erscheinenden Monatszeitschrift konkret, geschrieben.

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Tagebuchaufzeichnung vom 9. August 1992

9. August

Heute ist wieder ein heißer Tag. Bin in der Nacht um drei Uhr aufgewacht. Hatte ein krampfhaftes und starkes Ziehen am Herzen oder in der Herzgegend. Schlief auch nicht mehr ein. War schweißgebadet.

Meine Gedanken sind jetzt bei euch. Ich wünsche Dir, liebe Margot, dass Du Dich im Kreis der Familie erholen kannst. Ich kann mir vorstellen, wie Robi Dich in seine Arme nahm und sich darüber freute, dass die Oma wieder da ist. Nach dem Frühstück habe ich die fast 800 Seiten der Anklageschrift durchgearbeitet. Aus den Gestapoakten, den Papieren des Volksgerichtshofs und Lippmanns Buch haben sie einen schönen Lebenslauf von mir zusammengeschustert. Auch der schlaue Staatsanwalt Przybylski aus der DDR wird zitiert. Schändliche Leute durch die Bank.

Danach habe ich eine Zeugenliste für den Prozess zusammengestellt – von Kirchschläger bis Kohl. An erster Stelle denke ich selbstverständlich an Gorbatschow und von Weizsäcker und Kohl. Will sehen, was die Rechtsanwälte dazu sagen.

Der Prozess soll zwei Jahre dauern. Solange ich lebe, werde ich mich offensiv verteidigen. Dies bin ich in erster Linie den Bürgern der DDR schuldig.

Es ist Sonntag, deshalb ist keine Bewegung im Haus. Keine Rufe, kein Türenknallen. Hans Wauer und Erika wollen mich heute besuchen und die Eva Ruppert.

Aus dem Rundfunk kommt auch nichts Neues.

Gestern habe ich die drei Nummern der UZ drei Mal gelesen. Auch den Artikel »Erich im Originalton« und die Erklärung von Willi Stoph.

Habe die Thesen gelesen zum Parteitag der DKP. Ja, ich begreife nun, was die DDR für die DKP war, ich denke schon gar nicht weiter.

Aber warum jetzt diese Angriffe auf uns? Dass es in der Führung der SED Verräter, Schufte gegeben habe – das behaupten inzwischen alle. Nun also auch sie. Und Fehler hat nur die SED gemacht. Warum haben Mies und Weber die DDR nicht gegen Gorbatschow verteidigt? Sie hatten doch die beste Beziehungen zu ihm und zu Jakowlew, dem Vorkämpfer der Perestroika …

Inzwischen sollten auch die Letzten begriffen haben, dass die KPdSU unter Leitung von Gorbatschow die Sowjetunion und den Warschauer Pakt dem Imperialismus ausgeliefert hat. Jetzt fängt womöglich alles wieder von vorne an, vielleicht hat der Dritte Weltkrieg schon begonnen.

10. August

Heute waren Wolff und Ziegler hier. Wir haben alles besprochen, was in Verbindung mit dem Prozess steht. Die Akten soll ich noch bekommen.

Die Hitze macht mir stark zu schaffen.

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Die JVA Berlin-Moabit in der Sommerhitze

11. August

Heute kann ich erstmals wieder durchatmen. Die Nacht war frisch, das wirkt sich auf alle Körperfunktionen positiv aus.

Im Radio melden sie, dass Gorbatschow nach Berlin kommt, um Ehrenbürger der Stadt zu werden. Welch doppelbödige Moral ist hier am Werke? Der ehemalige Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion wird von denselben Leuten ans Herz gedrückt, die einen anderen Generalsekretär einsperren. Ich hoffe, dass die Bürger der Hauptstadt der DDR ihm für seinen Verrat angemessen danken. Für die Zerschlagung der Betriebe, die Beseitigung der Arbeitsplätze, für die Massenarbeitslosigkeit, für die Einsetzung der Wessis in alle Ämter der neuen Bundesländer, für den Ruin der ostdeutschen Wirtschaft, die Abwicklung der Akademiker usw.

Und in Jugoslawien soll es nun weitergehen, ich höre schon die ersten Siegesfanfaren im Rundfunk. Dabei kann niemand behaupten, dass Rest-Jugoslawien mit Serbien und Montenegro eine Festung des Kommunismus darstellte.

Und was wird mit Afghanistan? Die Meldungen heute sprechen von einem Feuerregen von Raketen, und Granatwerfer, Panzer und Flugzeuge sind im Einsatz, es gibt Tote ohne Ende.

Die Türkei schießt auf die Kurden, Israel auf die Palästinenser. Was ist in dieser Welt los? Und alles, weil wir kapituliert haben.

Gestern las ich ein Material über die Beziehungen der DDR zum RGW. Darin hieß es, mehr als Frage formuliert, dass ich möglicherweise die Idee einer Konföderation mit der BRD im Kopf gehabt hätte oder so ähnlich. Natürlich, so etwas hatte ich, hatten wir immer im Hinterkopf. Wir waren doch nicht so stur, wie der Gegner uns immer unterstellte. Ich habe auch in Bonn davon gesprochen.

Vor dem europäischen Haus, von dem jedoch Gorbatschow schwafelte, grauste mir. Und dann sein Berater, dieser Jakowlew, der wenigstens offen war und sagte, wer seiner Meinung nach an allem schuld sei: Marx. 1917 sei mit Lenin als Marxisten das ganze Unheil über die Welt gekommen.

Was hat dieser Gorbatschow nur für ein Gewissen? Ich kann mich an den Perestroika-Kleinbürger noch gut erinnern, als er mir seine Strategie und Taktik erläuterte und die Rolle, die seine Frau Raissa dabei spielen sollte. Und daran, wie er im Kreis der Generalsekretäre ängstlich darauf bedacht war, von uns gelobt und geliebt zu werden. Sein Ansehen war ihm immer wichtig. Einmal habe ich ihn zu beruhigen versucht, weil er im Selbstzweifel war. Ihm war der Beifall aus dem Westen allerdings wichtiger.

Mit ihm ging erst seine Funktion, dann die ganze KPdSU verloren. Jetzt lebt er von seinen Geldgebern, der Dollar wiegt nun mal schwerer als der Rubel. Alle kalten Krieger von Reagan bis Bush stellen sich schützend vor ihn. Gorbatschow hat offenbar nicht bemerkt, wie er zum Schuft wurde.

Eine Konföderation mit der BRD wäre in jedem Fall besser gewesen, um Gorbatschows »Abmachung« à la Kohl zu verhindern.

Ein Wort noch zu den 40 Jahren DDR. Die 40 Jahre waren nicht nur SED, das waren ja auch 40 Jahre CDU, LDPD, NDPD, DBD, das waren Götting und Gerlach und Homann und Goldenbaum. Goldenbaum war der DDR treu, Gerlach war es schon 1949 nicht, ganz zu schweigen von der Zeit davor. Man sollte der KPD und der SED danken, dass sie nach 1945 zur Stelle waren. Nur ein Pieck konnte mit J. W. Stalin sprechen, bei ihm intervenieren. Er hat es getan, ich weiß es. Die deutschen Kommunisten waren nicht verantwortlich für die sowjetischen Ungeheuerlichkeiten und nicht für die faschistischen Verbrechen, das waren Hitler, Göring, Goebbels, Heß, diese ganze braune Pest. Sie haben die Welt in den Krieg gepeitscht – sie sind in die Sowjetunion wie die Barbaren eingefallen. Die Deutschen hatten allen Grund, der SED zu vertrauen, sie war die einzige Partei, die sie aus den Trümmern führte. Ja, man muss es klar sagen, die deutschen Kommunisten unter Führung von Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht und die deutschen Sozialdemokraten unter Führung von Otto Grotewohl und Max Fechner haben nach der Befreiung 1945 in der sowjetischen Besatzungszone mit Hilfe der Roten Armee den Weg in eine menschliche Zukunft gebahnt. Was wäre aus Europa ohne die Gründung der DDR und deren Einfluss geworden? Diese Frage sollte man sich stellen und ehrlich beantworten, bevor man die DDR verteufelt.

Der heutigen Meldung über den Krieg in Jugoslawien, werden schon bald die ersten Anzeigen folgen: Mein Sohn, unser Sohn ist gefallen. Zweieinhalb Jahre nach der Annexion der DDR, das geht schneller als nach dem Anschluss des Saarlandes an das »Reich« 1935. Da dauerte es noch vier Jahre bis zum Beginn des Krieges. Alles Dinge zum Überlegen. Aber wer überlegt heute schon? Einige vielleicht. Es ist eine Minderheit.

Wenige merken, dass der Prozess gegen die Partei- und Staatsführung der DDR ein Teil der Kriegsvorbereitung ist. Wird zum Schluss etwas von Deutschland übrig bleiben? Bei einem Dritten Weltkrieg wohl nichts mehr.

Es ist jetzt 12.30 Uhr. Soeben waren die Ärzte da – alles okay. Mehr wissen sie wohl nicht.

Der Besuch von Rechtsanwalt Ziegler war sehr nützlich, und der von Professor Schneider, dem Leiter der Gutachtergruppe, eher nicht. Da wird nichts anderes herauskommen als die Freigabe zum Abschuss, wie ich bereits in Moskau zum Ausdruck brachte.

Ich habe soeben die taz mit der Meldung von Konnis Tod gelesen. Deshalb greife ich noch mal zur Feder. Sehr oft habe ich in diesen Tagen an ihn denken müssen, aber das jedoch keinesfalls erwartet. Seine Frau hat meine volle Anteilnahme. Im Übrigen, das habe ich schon in Lobetal gesagt, war es ein Fehler von mir, dem Politbüro und dem Sekretariat, ihn wegen seines Auftretens bei einigen Intellektuellen ablösen zu lassen. Ich habe zwar kameradschaftlich mit ihm vorher gesprochen, aber die Entwicklung hat gezeigt, dass trotz aller Argumente die Ablösung falsch war. Das zeigte sich auch im Februar 1990, als er mich dringend sprechen wollte, aber das Gespräch nicht zustande kam. Er war ein aufrechter und ehrlicher Genosse. Wenn es geht, werde ich in Erinnerung bringen, dass Konrad Naumann es war, der die Initiative zum Bau des Nikolai-Viertels ergriff und durchsetzte. Das Viertel ist ein Denkmal für ihn und die Kulturpolitik der SED-Bezirksleitung der Hauptstadt der DDR. Ich habe ihn nie als Konkurrenten betrachtet, da mir ein solches Denken nicht entspricht. Jedenfalls wäre er besser als Krenz gewesen, nicht zu reden vom Verräter Schabowski.

Ein zweiter Punkt. Hier gibt es eine große Aufregung über ein gruseliges Bild von mir in der gestrigen taz – so kann man es auch machen. Für das Kriminalgericht ergab sich daraus ein Problem. Wegen »Erich mit erhobener Faust« gingen viele Telefonanrufe bis zur Geschäftsstelle des »Honecker-Gerichts« ein.

Ich beginne mich bereits innerlich auf den Prozess vorzubereiten und mache Notizen.