Arlt, Marianne: Pubertät ist, wenn die Eltern schwierig werden. Tagebuch einer betroffenen Mutter, Freiburg: Herder, 19. Aufl. 2004
Grüner, Thomas u. Hilt, Franz: Bei Stopp ist Schluss! Werte und Regeln vermitteln, Lichtenau: AOL, 3. Aufl. 2004
Kaniak-Urban, Christine u. Lex-Kachel, Andrea: Wenn Geschwister streiten. Lösungswege, die funktionieren, München: Kösel 2005
Kast, Verena: Abschied von der Opferrolle. Das eigene Leben leben, Freiburg: Herder, 5. Aufl. 2005
Klosinski, Gunther: Pubertät heute. Lebenssituationen, Konflikte, Herausforderungen, München: Kösel 2004
Martens, Gabriela: Streit gehört dazu. Wie wir Konflikte in der Familie verstehen und lösen, München: Kösel 2005
Murphy-Witt, Monika: Konsequente Eltern – glückliche Kinder. Der Ratgeber für eine liebevolle Erziehung und ein entspanntes Familienleben, München: Südwest 2003
Nolting, Hans-Peter: Störungen in der Schulklasse. Ein Leitfaden zur Vorbeugung und Konfliktlösung, Weinheim: Beltz, 3. Aufl. 2003
Preuschoff, Gisela u. Axel: Gewalt an Schulen. Und was dagegen zu tun ist, Köln: Papyrossa, 4., vollst. überarb. u. erw. Aufl. 2000
Rhode, Rudi u. Meis, Mona Sabine: Wortlos sprechen. Körpersprache: Körperwahrheiten – Körperlügen, Zürich: Oesch 2004
Rhode, Rudi, Meis, Mona Sabine u. Bongartz, Ralf: Angriff ist die schlechteste Verteidigung. Der Weg zur kooperativen Konfliktbewältigung, Paderborn: Junfermann 2003
Rogge, Jan-Uwe: Kinder brauchen Grenzen, Reinbek: Rowohlt-TB, 25. Aufl. 2004
Schmidt, Peter: Stehen Sie drüber! Sich sekundenschnell von negativen Gefühlen befreien, Landsberg: mvg 2002
Walker, Jamie: Gewaltfreier Umgang mit Konflikten in der Grundschule. Grundlagen und didaktisches Konzept, Spiele und Übungen für das 1. bis 4. Schuljahr, Berlin: Cornelsen 1995
Wunsch, Albert: Abschied von der Spaßpädagogik. Für einen Kurswechsel in der Erziehung, München: Kösel, 2. Aufl. 2004
Wunsch, Albert: Die Verwöhnungsfalle. Für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit, München: Kösel, 9. Aufl. 2005
Wüschner, Peer: Pubertät. Das Überlebenstraining für Eltern, Frankfurt /M.: Eichborn 2003
Zeltner, Eva: Kinder schlagen zurück. Jugend-Gewalt und ihre Väter, Oberhofen: Zytglogge, 2. Aufl. 1994
Beginnen wir dieses Kapitel über das Markieren von Grenzen mit einer alltäglichen Szene aus einem x-beliebigen Supermarkt. Der Konflikt beginnt mit der lauthals vorgetragenen Begierde: »Mama, ich will ein Eis.« Die Entgegnung der Mutter folgt unmittelbar: »Nein, wir hatten vereinbart, dass es heute kein Eis gibt!«
Mit ihrem »Nein« begrenzt die Mutter den Wunsch des Kindes nach Eis. Und wenn sie ihren Satz in einem klaren und deutlichen Tonfall und mit einer unmissverständlichen Körpersprache äußert, sendet sie obendrein die versteckte (das heißt nicht verbalisierte) Botschaft an ihr Kind: »An meinem klaren Ton kannst du hören, dass ich es ernst meine. Ich wünsche keine weiteren Diskussionen oder gar Streitigkeiten über dieses Thema. Und an meinem energischen Auftreten kannst du erkennen, dass du auch keinerlei Chance hast, deinen Wunsch nach Eis erfüllt zu bekommen. Daher akzeptiere diese Grenzziehung, sonst werde ich weitere Maßnahmen ergreifen, die unangenehm für dich werden!«
Die Mutter schlägt mithilfe ihrer offenen und versteckten Botschaften zwei Fliegen mit einer Klappe: Sie begrenzt nicht nur den Wunsch nach Eis, sondern auch jedes weitere Betteln und Quengeln des Kindes.
Stellen Sie sich als Kontrast den mütterlichen Satz »Nein, wir hatten vereinbart, dass es heute kein Eis gibt« in einem weinerlich-leidenden Ton vor. Zum besseren Verständnis streuen wir Füllwörter und Dehnungen ein, die diese Lesart erleichtern: »Och neeeiiiin, wir hatten doch vereinbart, dass es heute kein Eis giiibt.«
Der jammernde Unterton lässt die mütterliche Klarheit und Entschiedenheit aus dem ersten Beispiel vermissen. Die Grenze wirkt schwammig und schlecht
gesichert. Das Jammern der Mutter fungiert als Einladung an das Kind, gegen die undeutlich markierte Grenze in Form von weiteren Angriffen anzurennen. Der Ton macht die Musik: Aus dem »Stopp!« wurde ein »Stöppchen«.
Noch etwas wird klar: Die Formulierung »wir hatten doch vereinbart« weist darauf hin, dass die Mutter bereits im Vorfeld des Einkaufs den Konflikt im Supermarkt vorhergesehen hat. Vermutlich hat sie schon des Öfteren Erfahrungen mit ihrem Sprössling gesammelt, wie dieser sich verhält, sollte er das begehrte Eis in einer Kühltruhe entdecken. Um also zu vermeiden, dass dieser Streit im Supermarkt entflammt, hat die Mutter kurz vor dem Verlassen des Hauses ihrem Kind deutlich zu verstehen gegeben: »Du hattest gestern schon ein Eis. Und eben erst hast du ein paar Bonbons gegessen. Deswegen gibt es heute kein Eis. Und ich möchte auch kein Gequengel im Supermarkt. Ist das klar?« »Ja, Mama.«
Die Zustimmung des Kindes soll das Aufkeimen einer Auseinandersetzung im Supermarkt verhindern. Denn ein in der Öffentlichkeit lauthals ausgetragener Eltern-Kind-Konflikt ist unangenehm. Die Angst vor sozialer Beschämung ist groß, wird doch ein schreiendes, brüllendes oder quengelndes Kind von Zuschauern üblicherweise als schlecht erzogen wahrgenommen: Die Eltern haben versagt in ihrer Erziehung. Das Schreien wird den Eltern angelastet – nicht dem Kind!
Doch alle guten Vorsätze des Kindes sind vor Ort wie weggeblasen: »Mama, ich will ein Eis!«, so tönt es, dass die Regale im Supermarkt fast wackeln. Der Geist des Kindes ist willig, doch das Fleisch ist schwach ...
Erweist sich mit diesem Aufschrei die im häuslichen Schutz getroffene Vereinbarung als nutzlos? Nein. Sie kann helfen, den Konflikt im Supermarkt zu verkürzen.
Denn Erklärungen und Begründungen, warum es heute kein Eis gibt, hat die Mutter ihrem Kleinen bereits im Wohnzimmer gegeben. Diese im
Supermarkt zu wiederholen, wäre nicht nur unnötig und zeitraubend, sondern auch kontraproduktiv. Also kann die Mutter sich im Supermarkt darauf beschränken, einfach nur zu betonen: »Es gibt kein Eis. Denk an die Abmachung. Und jetzt Schluss!«
Das bedeutet: Ist eine Grenzziehung bereits im Vorfeld erklärt und begründet worden, kann sie in der aktuellen Auseinandersetzung kurz und knapp ausfallen.
Im Gegensatz zu dem Konflikt um das Eis im Supermarkt sind die meisten Grenzverletzungen nicht so leicht vorhersehbar. Begründungen für Grenzziehungen müssen dann – wie das folgende Beispiel zeigt – den Kindern und Jugendlichen im aktuellen Streit gegeben werden.
Ein Jugendlicher besucht die Jugendeinrichtung eines öffentlichen Trägers und parkt sein Mofa direkt vor der Eingangstür. Ein Sozialarbeiter spricht den Jungen an:
»He, Sven, ist das dein Mofa vor der Tür?«
»Warum?«
»Weil es im Weg steht. Setz es bitte weg. Wir haben doch einen Parkplatz.«
»Warum das denn? Das stört doch gar nicht!«
»Doch. Andere müssen drum herumgehen und außerdem ist das ein Fluchtweg.«
»Da kommt man doch locker drum herum. Was soll denn der Scheiß?«
»Ich möchte keinen Ärger mit der Feuerwehr oder dem Ordnungsamt. Wir hatten schon oft Schwierigkeiten mit denen und die kosten Zeit und Nerven. Komm, setz es bitte weg.«
»Aber das steht doch gar nicht im Weg.«
»Doch, setz es bitte weg.«
Vermutlich wird das Geplänkel zwischen Sozialarbeiter und Sven noch eine Weile dauern, bis der Jugendliche entnervt und mürrisch das Mofa auf den Parkplatz setzt. Die Grenzziehung ist mühsam und kostet den
Sozialarbeiter Zeit und Energie. Aber er weiß: Der Jugendliche kennt die Gründe nicht, warum er sein Mofa auf den Parkplatz setzen soll. Also legt er ihm diese dar. Durch die Begründung mindert der Sozialarbeiter den Druck auf den Jugendlichen und vermittelt ihm die versteckte Botschaft: »Ich handle nicht willkürlich und um dich zu schikanieren, sondern weil ich meine guten Gründe habe. Mir ist wichtig, dass du sie verstehst.« Die Begründung einer Grenzziehung signalisiert Wertschätzung.
Und noch eine weitere – versteckte – Botschaft wird durch das Aufzeigen der eigenen Beweggründe für die Grenzziehung kommuniziert: »Ich möchte, dass du die Gründe, die ich dir nenne, nachvollziehen kannst und dass du die Grenze aus Einsicht beachtest. Du sollst aus freiem Willen das tun, was ich von dir möchte, und nicht, weil ich dich durch Druck dazu bewege.«
Natürlich lässt sich bezweifeln, ob der Jugendliche die Gründe des Sozialarbeiters tatsächlich nachvollziehen kann
und sich zu Eigen macht. Aber er spürt, dass der Sozialarbeiter ihn nicht persönlich treffen und ärgern will, sondern aus triftigen Gründen handelt. Auch wenn Sven diese Gründe nicht übernimmt: Er setzt sein Mofa nicht aus Angst vor dem Sozialarbeiter und dessen Konsequenzen auf den Parkplatz, sondern weil er die Führungsposition und die Autorität des Sozialarbeiters respektiert. Er handelt aus freiem Willen, und nicht, weil ihn der Sozialarbeiter dazu gezwungen hat.
Wie würde der Konflikt verlaufen, sollte die Grenzziehung des Sozialarbeiters begründungslos erfolgen? Wir setzen voraus, dass der Jugendliche die Gründe, warum er sein Mofa vor der Tür nicht abstellen darf, tatsächlich nicht kennt:
»He, Sven, ist das dein Mofa vor der Tür?«
»Warum?«
»Setz es bitte weg. Wir haben einen Parkplatz.«
»Warum das denn! Das stört doch gar nicht.«
»Setz es bitte weg. Ich habe das doch wohl klar gesagt, oder!?!«
»Was soll denn der Scheiß! Sind Sie jetzt hier auch noch Polizist?«
»Ich habe hier das Hausrecht, und das gilt auch für draußen. Also bitte!«
»Spinnt ihr jetzt komplett, oder was? Was ist, wenn ich es nicht wegsetze?«
»Setz es jetzt sofort auf den Parkplatz.«
»Jetzt dreht ihr völlig am Rad. Mein Gott, ich park um – dann bin ich aber auch gleich wieder weg!«
Natürlich ist der Sozialarbeiter in der Einrichtung weisungsbefugt und muss, rein juristisch betrachtet, einem Jugendlichen nicht jede Grenzziehung begründen.
Aber durch das Weglassen der Begründung läuft er Gefahr, dass die Markierung der Grenze als willkürliche Schikane und als Befehl missverstanden wird. Der Jugendliche fühlt sich gedemütigt und schießt zurück. Druck erzeugt Gegendruck.
Und wenn der Jugendliche nach heftiger Auseinandersetzung sein Mofa tatsächlich auf den Parkplatz stellt, dann aus Angst vor dem angedrohten Hausverbot, und nicht, weil er die Grenze oder den Sozialarbeiter respektiert. Folglich wird das Wegsetzen seines Mofas von Sven als Niederlage in einem Machtkampf empfunden. Und die erlittene Niederlage sitzt tief: Bei der nächsten Kleinigkeit wird es erneut zwischen dem Sozialarbeiter und Sven zum Streit kommen, denn dieser sinnt auf Rache. Die Beziehung zwischen den beiden Kontrahenten ist – zumindest vorläufig – gestört.
Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die Begründung einer Grenzziehung sein kann: Sie vermittelt Respekt und verwandelt einen willkürlich erscheinenden Befehl in eine nachvollziehbare Aufforderung. Und schließlich kann die Begründung einer Grenzziehung dazu beitragen, dass Verhärtungen und unnötige Kämpfe um Gesichtsverlust und Autorität vermieden werden. Dabei ist es zwar wünschenswert, aber nicht zwingend notwendig, dass die in die Grenzen verwiesene Person die Gründe einsieht und für sich übernimmt. Sie sollte jedoch erkennen, dass die Grenzen setzende Person aus für sie wichtigen Gründen handelt.
Um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Grenzen und Regeln herauszuarbeiten, bleiben wir zunächst beim Beispiel des Streits um das Mofa im Eingangsbereich der Jugendeinrichtung. Unterstellen wir einmal, dass immer wieder Zweiräder in diesem Eingangsbereich geparkt werden. Die jeweils Dienst habenden Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter müssen ständig nervenaufreibende Diskussionen mit den betreffenden Jugendlichen führen.
In einer Teamsitzung der Jugendeinrichtung wird daher beschlossen, zwecks Arbeitserleichterung
den bestehenden Regelkatalog um eine weitere Regel zu erweitern: »Im Eingangsbereich der Jugendeinrichtung dürfen weder Fahrräder noch Mofas oder Motorräder geparkt werden.« Ein großes Plakat im Eingangsbereich weist auf die neue Regel hin; auf einem weiteren Karton wird die Begründung (= Fluchtweg) direkt hinzugefügt. Und zunächst scheint es, als hätten die Jugendlichen die Regel verinnerlicht, denn der Eingangsbereich bleibt einige Tage frei von Fahrzeugen.
Doch etwa zwei Wochen nach Aufhängung des Plakats ist es wieder so weit: Ein Jugendlicher parkt sein Motorrad in unmittelbarer Nähe des Eingangs. Der Dienst habende Sozialarbeiter ermittelt den Eigentümer und spricht ihn an:
»Kevin, ist das dein Motorrad vor der Tür?«
»Welches Motorrad?«
»Die blaue Maschine.«
»Wieso?«
»Setz sie bitte weg. Du kennst die Regel: Im Eingangsbereich keine Motorräder.«
»Aber was soll das denn jetzt? Die stört doch nicht. Außerdem hau ich doch sowieso gleich ab.«
»Setz sie bitte jetzt weg.«
»Aber warum das denn?«
»Die Regel nebst Begründung steht groß im Eingangsbereich. Und das weißt du. Komm, park dein Motorrad eben um, dann lass ich dich sofort in Ruhe.«
»Scheißregel. Ja, ist ja schon gut.«
Wenn Sie dieses Konfliktgespräch über den Regelverstoß mit dem ersten Dialog zwischen dem Sozialarbeiter und dem Jugendlichen vergleichen, dann fällt auf, dass – im Gegensatz zu oben – hier auf die Begründung der Regel verzichtet wird. Der Sozialarbeiter geht davon aus, dass Kevin sie gelesen hat. Folglich beschränkt er sich darauf, begründungslos auf die Regel zu verweisen und den Konflikt dadurch abzukürzen.
Die Verwandlung einer Grenze in eine Regel bringt allen Betroffenen Vorteile:
Die Mutter des nach Eis lechzenden Kindes tut gut daran, nach der dritten lautstarken Auseinandersetzung im Supermarkt die Grenze in eine Regel zu verwandeln, um sich künftig nervenaufreibende Szenen zu
ersparen. Sie nimmt sich in einem günstigen Moment die Zeit, um mit ihrem Kind über die Eis-Problematik zu sprechen. Dabei begründet sie ausführlich, warum sie den Konsum von Eis zu begrenzen trachtet. Zusätzlich legt sie fest, wie oft sie dem Kind den Verzehr von Zucker erlaubt: »Jeden Tag gibt es eine Süßigkeit. Wenn du bereits ein Stück Schokolade hattest, gibt es an dem Tag kein Eis.« Und sie wird künftig ihr Kind vor jedem Einkauf darauf hinweisen: »Denk an die Regel: Du hattest eben schon Gummibärchen. Im Supermarkt gibt es kein Eis und auch kein Geschrei!«
Sollte die Mutter aber die Erfahrung machen, dass das Aufstellen dieser Regel die Auseinandersetzungen im Supermarkt nicht unterbindet, dann wird sie klugerweise eine weitere Regel nebst Konsequenz aufstellen: »Wenn es im Supermarkt Ärger gibt, obwohl klar ist, dass du kein Eis bekommst, dann gibt es auch am nächsten Tag keine Süßigkeit.« Und auch diese Zusatzregel wird sie ihrem Kind ruhig und ausführlich begründen.
Schauen wir hinter die Kulissen des mütterlichen Regelwerks, dann entdecken wir wieder einmal ein feines Netz von versteckten Botschaften. Durch die Blume gibt die Mutter ihrem Kind zu verstehen: »Mein Liebes, ich weiß, dass du im Supermarkt den Wunsch nach Eis haben wirst. Verleihst du deinem Wunsch nach Eis lautstark Ausdruck, wirst du größere Nachteile in Kauf nehmen müssen. Du wirst sowohl dein Eis nicht bekommen als auch am nächsten Tag auf deine dir laut Vereinbarung zustehende Süßigkeit verzichten müssen. Du hast die Wahl: ein eisfreier Tag oder sogar zwei Tage ohne Eis. Für dich, mein Kind, ist es eine ganz einfache Kosten-Nutzen-Rechnung. Rechne gut!«
An dieser versteckten, aber nicht notwendigerweise auch verbalisierten Botschaft wird deutlich, wie wichtig das konsequente Auftreten und Verhalten der Mutter für die Entscheidung des Kindes ist, ob es im Supermarkt quengelt oder nicht:
Das bedeutet: Werden Regelverstöße konsequent geahndet, treten sie seltener auf.
Immer wieder können wir erleben, wie gerne sich Kinder und Jugendliche ein eigenes Regelwerk geben und darin verantwortungsvoll festlegen, nach welchen Prinzipien sie ihr Miteinander gestalten möchten. Denn Regeln bieten Handlungssicherheit und Verbindlichkeit, Klarheit und Halt. Die Einsicht in die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit von Grenzen und Regeln ist bei (fast) allen Kindern
und Jugendlichen vorhanden. Unsere scheinbar entgrenzte Jugend sucht nach Strukturen, die ihnen Orientierung und Sicherheit bieten.
Also sollten wir, wann immer es geht, Kinder und Jugendliche offensiv in den Prozess der Regelaufstellung einbinden. Denn je stärker wir Erwachsenen uns bei der Erstellung eines Regelwerks zurücknehmen, desto mehr Verantwortung übernehmen die Kinder und Jugendlichen für die Gestaltung ihres Zusammenlebens. Im Idealfall beschränkt sich unsere Rolle auf die Moderation dieses Regelfindungsvorgangs.
Doch Sie werden unser Buch vermutlich nicht deswegen gekauft haben, weil Sie ständig mit einsichtigen und verantwortungsvollen Kindern und Jugendlichen zu tun haben. Und selbst verantwortungsbewusste Kinder und Jugendliche sind – wie wir unten noch zeigen werden – aus den unterschiedlichsten Gründen mit der Aufstellung vieler Regeln schlichtweg überfordert. Wir sollten also deren Grenzen erkennen und immer dann, wenn sie bei der Erstellung eines Regelwerks zu scheitern drohen, diese entlasten:
Ob Vater oder Mutter, Erzieherin oder Sozialarbeiter, ob Referendarin oder Lehrer, ob Pflegepersonal in einer psychischen Einrichtung oder Betreuerin bei der Hausaufgabenhilfe – wir müssen
uns eingestehen, dass wir uns in einer verantwortlichen Position befinden. Die jeweilige Führungsrolle muss angenommen und besetzt werden. Dazu sind wir nicht nur gesetzlich und arbeitsrechtlich, sondern auch moralisch und pädagogisch verpflichtet. Wenn wir der Meinung sind, dass Regeln notwendig und die Kinder oder Jugendlichen mit deren Aufstellung überfordert sind, dann stellen wir sie auf und begründen sie. Und sollten die von uns aufgestellten Regeln verletzt werden, dann ist es unsere Aufgabe, dafür zu sorgen, dass sie wieder in Kraft treten.
Wenn wir Erwachsenen die »Chefs im Ring« sind, dann handelt es sich nicht um gleichberechtigte Beziehungen zwischen uns und unseren Kindern und Jugendlichen, sondern um hierarchische Strukturen: Das Bedürfnis der Mutter, die Gesundheit ihres Kindes durch Zuckerbeschränkung zu schützen, wiegt schwerer als das Bedürfnis des Kindes, zweimal am Tag Süßigkeiten zu essen. Und das Interesse des Lehrers an einem störungsfreien Unterricht ist gewichtiger als das Interesse eines Schülers nach einer Unterhaltung mit seinem
Nachbarn. Dass der störungsfreie Unterricht nicht in erster Linie dem durchaus legitimen Interesse des Lehrers nach Ruhe und Entspannung dient, sondern vor allem dazu führen soll, dass alle Schülerinnen und Schüler optimal lernen können, versteht sich von selbst.
Daraus folgt: Wir sind in der Verantwortung und haben die Pflicht, Regeln aufzustellen, die ganz wesentlich auch im Interesse der Kinder und Jugendlichen sind. Und wenn zu erwarten ist, dass es künftig trotz Regelaufstellung zu Verstößen kommen wird, dann ist es ratsam, direkt auch die darauf folgenden Konsequenzen aufzuzeigen.