Auch wenn ich weiß, dass alles in göttlicher Ordnung ist, schon immer war und immer sein wird, bin ich jetzt dennoch bereit, eine radikale Entschuldigung zu leisten an ………………, den/ die ich verletzt habe oder dem/der ich Schaden zugefügt habe.
Ich tue dies in dem Wissen und im Vertrauen darauf, dass es den Prozess auslöst, der meinen Schatten integriert und hoffentlich auch den Schmerz desjenigen lindert, den ich verletzt habe.
(Wenn Sie möchten, können Sie Ihre Entschuldigung ausdehnen und spezifischer sagen, wofür Sie sich entschuldigen und wie Sie sich damals gefühlt haben oder wie Sie sich jetzt fühlen, aber bitte keine Rechtfertigungen.)
Ich, ……………………………, heile meinen Schmerz und integriere meinen Schatten, und indem ich das tue, hebe ich meine Schwingung an.
Ich, ……………………………, löse den Ärger, die Angst und die Scham, die in meinem Energiefeld gebunden sind, auf, damit ich wieder Frieden in meinem Herzen fühlen kann.
Ich, ……………………………, tue dies in dem Bewusstsein, dass meine Entschuldigung vielleicht nicht akzeptiert wird und mir eventuell keine Vergebung gewährt wird. Ich tue es dennoch, mit offenem Herzen und ohne Erwartungen oder Anhaftungen an das Ergebnis.
Ich vergebe mir vollständig und akzeptiere mich als liebevolles, großzügiges und freiheitsliebendes Wesen. Ich lasse das Bedürfnis los, an Selbstkritik und Urteilen über mich selbst festzuhalten. Ich lasse die Vergangenheit los und erlaube der Liebe und Fülle, die in mir sind, frei zu fließen. Indem ich alles ans Licht bringe und den angerichteten Schaden wiedergutmache, bin ich ermächtigt, wieder ich selbst zu sein und mich selbst bedingungslos zu lieben und zu unterstützen, genau so, wie ich bin, in all meiner Kraft und Einzigartigkeit.
Ich gebe mich jetzt der höheren Macht hin, die ich als ………… ………… bezeichne, und vertraue in das Wissen, dass die Situationen, für die ich mich entschuldigt habe, sich weiterhin in Vollkommenheit und in Übereinstimmung mit der göttlichen Führung und den spirituellen Gesetzen entfalten werden. Ich erkenne meine Verbundenheit mit allen an und fühle mich selbst wieder ganz mit meiner höheren Macht verbunden. Meine wahre Natur, welche Liebe ist, wird wiederhergestellt, und ich handle in der Welt mit Liebe.
Ich schließe meine Augen, um die Liebe zu fühlen, die mein Leben durchströmt, und die Freude, die entsteht, wenn Liebe gefühlt und zum Ausdruck gebracht wird.
Datum:__________________ Unterschrift:________________
Colin Tipping ist Therapeut, Autor und Lehrer.
Bis Anfang der Achtzigerjahre war er Lehrbeauftragter an der London University und an der Middlesex University. 1984 ging er in die USA und gründete in Atlanta (Georgia) das Help-Program, ein ganzheitliches Heilzentrum für Krebskranke, und Together-We-Heal, Inc., ein Institut, das sich innovativen psycho-emotionalen Heilweisen widmet. Seine Synthese aus psychologischer und spiritueller Arbeit hat schon vielen Menschen auf der ganzen Welt geholfen, einen völlig neuen Blick auf die Ereignisse ihres Lebens zu werfen, und es ihnen ermöglicht, zu vergeben und Frieden zu finden.
Colin Tipping hält Vorträge und leitet Workshops und Zeremonien auf der ganzen Welt. Er hat mehrere Bücher, CDs, DVDs und Online-Programme veröffentlicht. Sein Bestseller zur Radikalen Vergebung Ich vergebe wurde in sieben Sprachen übersetzt (Deutsch, Niederländisch, Französisch, Spanisch, Polnisch, Russisch und Tschechisch).
Seit 2005 bietet die Akademie für Transformation im deutschsprachigen Raum Seminare, Workshops und Ausbildungen zum Coach in der Tipping-Methode an.
Viele Arbeitsblätter zu den verschiedenen Themen können Sie kostenlos von der unten angegebenen Website herunterladen. Außerdem finden Sie dort weiterführende Informationen zum Thema, eine Liste der Tipping-Coaches sowie Ankündigungen aller Veranstaltungen und Seminare.
Akademie für Transformation
Hessenstraße 21
D-35410 Hungen
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Ein Buch über Vergebung damit zu beginnen, wie man es vermeiden kann, vergeben zu müssen, mag seltsam erscheinen. Ein Großteil unseres Leidens könnte jedoch verhindert werden, wenn wir fähig wären, in bestimmten Situationen gar nicht erst verärgert zu sein oder uns angegriffen zu fühlen. Das ist mit »vorbeugender Vergebung« gemeint.
Ich bin nicht der Meinung, dass Vergebung durch eine rein gedankliche Entscheidung zu erreichen ist. Die Gründe dafür werde ich später erläutern. Ich glaube jedoch, dass man bewusst entscheiden kann, ob man sich in einer Situation als Opfer fühlt oder nicht. Dies hängt davon ab, wie man das, was einem geschieht, deutet – ob man es zu einer Geschichte von Tätern und Opfern macht oder nicht. (Dies gilt natürlich nicht für kleine Kinder.) Ein wichtiger Teil der Vergebung besteht darin, der Sache auf den Grund zu gehen und genau hinzuschauen: Wie deute ich, was mir im Leben zustößt?
Wenn es uns gelingt, im Augenblick des Geschehens zu erkennen, wie wir es auf eine ganz bestimmte Art und Weise deuten, können wir selbst entscheiden, ob wir uns darüber ärgern wollen oder nicht. Wir müssen diese Entscheidung jedoch sehr schnell treffen, bevor sich der erste Ärger verhärtet und zu etwas Dauerhaftem wird wie zum Beispiel Verstimmung oder gar Verbitterung.
Ärger kann etwas sehr Flüchtiges sein und schnell wieder verfliegen. Verbitterung hingegen hat die Tendenz, sich selbst zu verstärken, und führt dazu, dass wir uns im Kreise drehen. Wir erleben das, worüber wir uns geärgert haben, immer wieder und grübeln darüber nach, was wir hätten sagen oder tun sollen. Verbitterung lässt uns Rachegedanken ausbrüten oder dafür sorgen, dass die Schuldigen bestraft werden.
Verbitterung ist hartnäckig und kann nur durch Vergebung aufgelöst werden. Und dafür ist meiner Überzeugung nach nur Radikale Vergebung wirklich geeignet. Herkömmliche Vergebung reicht hier nicht aus (siehe Kapitel 2).
Ich sage nicht, dass diese Entscheidung leicht ist. Wenn wir uns entscheiden, ein Geschehen als empörend zu deuten, kann unsere Empörung durchaus aus der Überzeugung kommen, dass ein wichtiger Grundsatz verletzt wurde und es sozusagen unsere Pflicht ist, wütend oder aufgebracht zu sein. Wir fühlen uns im Recht. Sollen die Übeltäter, die uns so verletzt haben, etwa ungeschoren davonkommen?
Andererseits ist es gut möglich, dass unsere Empörung auf völlig unzutreffenden Informationen beruht. Das Ganze hat möglicherweise überhaupt nichts mit uns zu tun. Unter anderen Umständen würden wir uns vielleicht gar nicht darüber aufregen. Außerdem schadet zu viel Aufregung ohnehin der Gesundheit. Wie dem auch sei, wir haben die Wahl, ob wir aus dem, was geschehen ist, eine Opfergeschichte machen oder nicht.
Wenn wir etwas tun, was allgemein als falsch gilt, gehen wir natürlich davon aus, dass wir uns schuldig zu fühlen haben. In vielen Fällen ist unsere Schuld jedoch völlig unangebracht. Wir haben nichts getan, womit wir sie uns eingehandelt hätten (siehe Kapitel 6).
Wir entscheiden selbst, ob wir Schuld auf uns nehmen oder nicht. Ein wichtiger Schritt bei herkömmlicher ebenso wie bei Radikaler Vergebung besteht darin zu entscheiden, ob es angebracht ist, sich schuldig zu fühlen, oder nicht.
Diese Entscheidung ist bei der Radikalen Vergebung zwar eine völlig andere als bei der herkömmlichen Vergebung, bleibt aber immer unsere eigene Entscheidung. Wenn es uns gelingt, weniger empört zu sein, keine vorschnellen Urteile zu fällen und etwas weniger mit dem Finger auf andere Leute zu zeigen, kann unser Leben weitaus friedlicher verlaufen – und dann gibt es auch weniger zu vergeben.
Opfergeschichten sind nichts Ungewöhnliches. Wir können davon ausgehen, dass wir uns alle in vieler Hinsicht als Opfer sehen. Wir brauchen daher Vergebung, wie auch immer sie aussehen mag, um das Opferbewusstsein loslassen zu können.
Eine Opfergeschichte beruht auf der Überzeugung, dass wir auf eine bestimmte Weise von jemandem verletzt wurden und daher nicht in Frieden leben können. Die anderen sind für unser Unglück verantwortlich. All dies ist Teil dessen, was wir »Opferbewusstsein« nennen. Was können wir uns darunter vorstellen?
Opferbewusstsein ist eine Einstellung, die bewirkt, dass wir uns ständig als Opfer anderer sehen: unserer Mitmenschen, der Regierung, der Gesellschaft im Allgemeinen. Alles, was in unserem Leben nicht gut ist, hat seine Ursache in allem und jedem »da draußen«, statt »hier drinnen«. Auf uns selbst bezogen ist Opferbewusstsein die Überzeugung, dass »alles meine eigene Schuld« ist.
Ich bezweifle, dass das Opferbewusstsein ein Teil unserer frühen Stammeskultur war. Da das Überleben des Stammes auf Zusammenarbeit und gegenseitiger Abhängigkeit beruhte, konnte man es sich nicht leisten, Zeit damit zu vergeuden, sich gegenseitig zu beschuldigen und die Verantwortung auf andere abzuschieben. Wenn es Probleme gab, mussten sie unverzüglich innerhalb der Stammesgemeinschaft gelöst werden. Wahrscheinlich war man mit dem Prinzip vorbeugender Vergebung bestens vertraut.
Mit dem Aufkommen von Stadtstaaten vor etwa 15 000 Jahren wurde alles anders. Wo früher einvernehmliche Zusammenarbeit möglich gewesen war, hatten nun wenige Macht und Einfluss über viele. Das Volk verlor seine Autonomie, wurde ausgebeutet und entmachtet. Das Opferbewusstsein wurde zur vorherrschenden Lebensform. Daran hat sich bis heute nichts geändert.
Opferbewusstsein basiert auf Angst. Es führt zu Kriegen, Kämpfen, Gier, Eifersucht und all jenen Dingen, die dem Frieden und der Harmonie in der Welt entgegenstehen. Es entmachtet nicht nur die Opfer und die Unterdrückten, sondern auch diejenigen, die ihre Mitmenschen zu Opfern machen und Macht über sie ausüben. Opferbewusstsein vergiftet das Leben, körperlich, emotional und spirituell.
Noch vor zwanzig Jahren war das Interesse an Vergebung relativ gering. Das lag sicher auch daran, dass man dachte, um wirklich vergeben zu können, müsse man fast ein Heiliger sein. Für gewöhnliche Menschen war es jedenfalls zu viel verlangt. Dies hat sich jedoch geändert. Mittlerweile sind wir uns alle einig, dass jeder Mensch zumindest versuchen sollte zu vergeben. Wir wissen, dass Vergebung gut für uns ist.
Selbst wenn weiterhin unklar ist, wie man Vergebung erlangt, sind ihre positiven Auswirkungen unbestritten. Es gilt mittlerweile als sicher, dass ein Festhalten an Ärger und Verbitterung sehr schlecht für die Gesundheit ist und schwere Erkrankungen wie Krebs und andere hervorrufen kann, ganz zu schweigen von weniger lebensbedrohlichen, aber sehr unangenehmen Nebenerscheinungen. Verbitterung ist hochgiftig.
Eine weitere positive Auswirkung des Vergebens ist, dass man seine Energie anschließend auf die Gegenwart konzentrieren kann, statt an der Vergangenheit festzuhalten. An Verbitterung festzuhalten ist eine gewaltige Energieverschwendung. Wenn Sie vergeben, erhalten Sie diese Energie zurück und können sie verwenden, um Ihr Leben so zu gestalten, wie Sie es sich in Zukunft wünschen. Zweifellos werden sich dadurch auch Ihre zwischenmenschlichen Beziehungen, zu Hause wie am Arbeitsplatz, verbessern, weil der Umgang mit Ihnen nun sehr viel angenehmer ist.
Dies ist die Form von Vergebung, mit der wir aufgewachsen sind und die wir, weil sie so schwierig ist, weiterhin für etwas halten, das wenigen Menschen vorbehalten ist. Obwohl wir alle zu wissen glauben, was Vergebung bedeutet, ist der Begriff zumeist alles andere als klar.
Das Wörterbuch definiert Vergebung als »Loslassen von Zorn und Kränkung« und »Aufgeben von Rachegedanken.« Aber die Frage ist: Wie lässt man los? Gibt es eine Methode, die uns hilft, die Vergangenheit auf sich beruhen lassen? Ein Patentrezept gibt es nicht.
Vergebung ist häufig gleichbedeutend mit Entschuldigung. Doch können wir eine Schuld überhaupt vergeben? Das liegt nicht in unserer Macht. Es wäre eine Anmaßung, sich einzubilden, man könne die Schuld anderer vergeben.
Wir sagen: »Vergeben und vergessen.« Doch wie kann man etwas vergessen, das sich quasi ins Gedächtnis gebrannt hat. Sinnvollerweise müsste es heißen: »Vergeben und erinnern.« Denn nur, wenn wir uns erinnern, können wir lernen, Fehler nicht zu wiederholen.
Robert Enright und die Studiengruppe Menschliche Entwicklung (1991) definierten Vergebung so: »Nicht nur der Entschluss oder die Entscheidung, das eigene Recht auf Zorn und negative Urteile aufzugeben, sondern auch die Notwendigkeit, diese durch Mitgefühl, Großzügigkeit und Liebe zu ersetzen.«
Sich in Gedanken zu entschließen, die eigene Wut aufzugeben und sie durch Mitgefühl zu ersetzen, ist eine Sache. Dies auch umzusetzen, ist etwas völlig anderes. Emotionen werden vom limbischen System gesteuert, nicht von der Großhirnrinde. Mit Gedanken allein können wir nicht entscheiden, welche Gefühle wir haben und welche nicht. Mitgefühl ist keine freie Entscheidung. Man kann sich ebenso wenig entschließen, Mitgefühl zu haben, wie man den Entschluss fassen kann, jemanden zu lieben. Mitgefühl ist entweder da oder nicht.
Paul T. P. Wong sagt über Vergebung: »Im Herzen der Vergebung liegt der Wandel unserer Einstellung und unserer Gefühle, unserer Gedanken und aller rechtmäßigen Ansprüche. Wir allein entscheiden aus freien Stücken, nicht mehr nachtragend zu sein und alle Rachegelüste aufzugeben. Es ist das aufrichtige Bemühen einer verletzten Person, den Angreifer in einem neuen, positiveren Licht zu sehen.
Wir vergeben unseren Feinden, indem wir Mitgefühl für sie haben, und zwar unseren natürlichen Gefühlen der Bitterkeit, der Feindseligkeit und der Angst zum Trotz. Vergebung ist ein freiwilliger, bewusster Akt: Wir sehen über die Fehler und Schwächen unserer Feinde hinweg, tilgen alle ihre Schulden und schlagen ein neues Kapitel auf. Dies ist ein äußerst ehrgeiziges Vorhaben.« Dies ist eine sehr schöne und eloquente Erklärung, aber sie zeigt uns keine praktische Methode auf.
Die Absicht zu vergeben scheint nicht so sehr das Problem zu sein. Die Frage ist, wie man es anstellen kann. Niemand kann uns wirklich sagen, wie man Vergebung leben kann oder wie man sie erkennt, wenn man ihr begegnet.
Charles Griswold, Professor für Philosophie an der Boston University und Autor eines Buches mit dem Titel Forgiveness (»Vergebung«), geht noch einen Schritt weiter. Er besteht darauf, dass es eine Gegenseitigkeit zwischen dem Verletzten und dem Verletzenden geben muss. Zur Vergebung gehören zwei. Damit echte Vergebung stattfinden kann, sagt Professor Griswold, muss der Täter eine Entschuldigung anbieten, und die muss angenommen werden. Ohne eine wie auch immer geartete Wiedergutmachung oder Genugtuung vonseiten des Täters kann man nicht von Vergebung sprechen, meint er.
Pater William Meninger, Trappistenmönch aus Snowmass, Colorado, sagt das genaue Gegenteil. Er geht davon aus, dass Vergebung im Wesentlichen etwas ist, was wir für uns selbst tun müssen, unabhängig davon, ob der Täter irgendeine Art von Reue zeigt. Vergebung vollzieht sich im Innern.
Dem stimme ich zu. Ich würde sogar noch hinzufügen, dass es der Gipfel der Arroganz ist, jemandem zu sagen, dass man ihm vergibt. Die Person, der Sie so großzügig vergeben, ist sich möglicherweise nicht einmal bewusst, dass sie Ihnen etwas angetan hat. Diese Art von »Vergebung« ist nichts weiter als ein Manipulationsversuch und wird bei der anderen Person wahrscheinlich auf Ablehnung stoßen.
Die Definition von Charles Griswold nimmt dem Vergebenden regelrecht die Möglichkeit zu handeln, weil sie die Vergebung vom Täter abhängig macht. Dies verstärkt das Opferbewusstsein und macht das Opfer machtlos, versetzt es sogar in die Lage, sagen zu müssen: »Ich könnte ja vergeben. Doch du lässt es nicht zu.« Oder: »Weil du nicht vergibst, kann ich mich nie von diesen Schmerzen befreien.« Und was ist, wenn die Person nicht mehr lebt? Gibt es dann keine Vergebung? Wohl kaum.
Der Verwirrung liegt meiner Ansicht nach eine Vermischung von zwei Begriffen zugrunde: Vergebung und Versöhnung. Bei der Vergebung kommt es definitiv nur auf denjenigen an, der vergibt, während Versöhnung sicherlich auf Gegenseitigkeit beruhen muss. Sowohl der Verletzte als auch derjenige, der verletzt, müssen die Absicht haben, sich zu versöhnen. Beide Parteien müssen erkennen, dass einer von beiden verletzt wurde, und beide müssen den Wunsch haben, die Wunden zu heilen und die Beziehung zu reparieren.
Bei der Versöhnung ist das Opfer bereit, seinen Zorn und sein Bedürfnis nach Rache aufzugeben, und der Täter wird durch das Angebot einer Entschuldigung oder Wiedergutmachung seiner Schuld enthoben. Man kann annehmen, dass der Täter sich dabei auch selbst vergeben muss. Die Vereinbarung zur Versöhnung kann außerdem eine Art Wiedergutmachung oder sogar Entschädigungszahlungen beinhalten.
Wenn ein Ehepaar versucht, die zerbrochene Beziehung wieder zu heilen, um die Ehe zu retten, ist wahrscheinlich eher Versöhnung als Vergebung gefragt, selbst wenn einer von beiden etwas getan hat, für das Vergebung nötig wäre. Doch um aus der Beziehung wieder eine funktionierende Partnerschaft entstehen zu lassen, ist ein Geben und Nehmen erforderlich, das eher zur Versöhnung als zur Vergebung gehört.
Im Rahmen einer Versöhnung ist es oft erforderlich, dass man sich selbst und dem anderen vergibt. Das ist umgekehrt nicht der Fall. Versöhnung ist keine Voraussetzung für Vergebung.
Neben der Versöhnung gibt es viele andere Begriffe, die oft mit Vergebung verwechselt werden und zur Begriffsverwirrung beitragen. Worte wie Straffreiheit, Billigung und Entschuldigung werden oft im Zusammenhang mit Vergebung verwendet und verwässern die Bedeutung dieses Begriffes oft bis zu einem Punkt, an dem man nur noch von Pseudovergebung sprechen kann.
Wenn es schon so schwierig ist, sich auf eine Definition des Begriffes Vergebung (für andere) zu einigen, um wie viel problematischer muss es dann sein, wenn es um Selbstvergebung geht. In den folgenden Kapiteln werden wir einigen Problemen, die wir mit Selbstvergebung haben, auf den Grund gehen.
Die Diskussion über das Wesen der Vergebung wird wohl noch lange weitergeführt werden, doch in einem Punkt ist man sich weitgehend einig: Herkömmliche Vergebung ist extrem schwierig, und nur sehr wenigen Menschen gelingt es jemals, sie zu praktizieren. Einen Beweis dafür braucht es kaum. Wir brauchen nur in unserem eigenen Leben zu schauen, was passiert, wenn wir die Absicht haben, jemandem zu vergeben. Wirkliche Vergebung ist so selten, dass Menschen, denen sie tatsächlich gelingt, häufig Prominentenstatus erhalten und in Talkshows auftreten.
Ein Beispiel dafür ist die Frau, die in einer großen US-Talkshow zu Gast war und dort berichtete, sie habe dem Mörder ihres Sohnes vergeben. Nicht nur das, sie hat ihn sogar mehrmals in seiner Todeszelle besucht und ihn zum Essen in ihr Haus eingeladen. Oprah Winfrey, die Gastgeberin der Talkshow, machte keinen Hehl daraus, dass sie dies kaum glauben konnte. Ich nehme an, dass es 99,9 Prozent ihrer Zuschauer genauso ging. Ich nenne diese Art von Vergebung außergewöhnliche Vergebung, denn sie ist extrem selten.
Paul T. P. Wong fasst das Problem der herkömmlichen Vergebung folgendermaßen zusammen: »Vergebung ist nicht möglich, ohne das innere Ringen, das damit verbunden ist, alle Verbitterung und alle schmerzhaften Erinnerungen loszulassen. Dies ist häufig ein langer und schwieriger Prozess, da die alten Wunden oft viele Jahre lang nicht heilen. Vergebung braucht Zeit und ist mit harter Arbeit verbunden.«
Ich glaube, der Grund, warum es so lange dauert und so schwierig ist, besteht darin, dass wir bei der herkömmlichen Vergebung versuchen, zwei widersprüchliche Energien auszugleichen: den Wunsch zu vergeben und das Bedürfnis zu verurteilen. Das liegt daran, dass wir bei der herkömmlichen Vergebung mit beiden Beinen fest im Opferbewusstsein stehen bleiben.
Bei der herkömmlichen Vergebung wird vorausgesetzt, dass der Täter dem Opfer etwas »Böses« getan und das Opfer in der Folge darunter gelitten hat. Das Bedürfnis, die andere Person zu beschuldigen und verantwortlich zu machen, bleibt sehr stark erhalten, ganz gleich, wie stark der Wunsch nach Vergebung ist.
Es scheint mir, dass Vergebung so gut wie unmöglich ist, solange man sich aufgrund dessen, was passiert ist, als Opfer fühlt. Für die meisten Menschen steht dies jedoch außer Frage. Ich habe keinen Zweifel, dass diese beiden Energien nicht miteinander in Einklang gebracht werden können. Das erklärt, warum nicht nur Oprah Winfrey kaum glauben konnte, dass es dieser Frau gelungen war. Ich konnte es auch nicht glauben. Das Bedürfnis zu verurteilen ist in 99,9 Prozent aller Fälle stärker.
In den kommenden Kapiteln werden wir einige begriffliche und existenzielle Fragen behandeln, die mit Selbstvergebung zu tun haben. Ich bin froh, dass keines dieser Probleme mit Definition oder Methodik die Radikale Vergebung betrifft. Da Radikale Selbstvergebung und Selbstakzeptanz auf den gleichen Prinzipien beruhen, sind auch sie nicht von diesen Problemen betroffen.
Im dritten Teil werde ich genau erklären, was es mit der Radikalen Vergebung auf sich hat, vor allem hinsichtlich der Selbstvergebung. Doch fürs Erste soll eine kurze Beschreibung der Merkmale genügen, die diese Form der Vergebung von der herkömmlichen Vergebung unterscheidet.
Diese Form von Vergebung ist etwas völlig anderes als die herkömmliche Vergebung, sowohl in Bezug auf die Grundvoraussetzungen als auch hinsichtlich der Schnelligkeit und Leichtigkeit, mit der positive Ergebnisse erzielt werden können. Die Merkmale der Radikalen Vergebung sind:
a) Sie erfordert keine besonderen Begabungen oder Fähigkeiten. Jeder kann sie praktizieren, selbst die größten Skeptiker. Sie funktioniert immer. Radikale Vergebung basiert auf der Annahme, dass es keinen Zufall gibt und dass unsere Seele die Geschicke unseres Lebens zugunsten unserer spirituellen Entwicklung bestimmt hat. Es ist aber nicht notwendig, daran zu glauben. Erforderlich ist nur die Bereitschaft, die Möglichkeit, dass es so sein könnte, zuzulassen.
b) Da sich all dies auf der Energieebene abspielt, geschieht es jenseits der Grenzen von Zeit und Raum. Was die Radikale Vergebung für alle Beteiligten sowie für die Ereignisse, die ursprünglich zu den Verstimmungen geführt haben, bewirkt, ist nicht an Zeit und Entfernungen gebunden.
c) Es gibt bei der Radikalen Vergebung keinen zwangsläufigen Konflikt zwischen dem Bedürfnis zu verurteilen und dem Wunsch zu vergeben, da aus spiritueller Sicht nichts Falsches passiert ist und es daher nichts zu vergeben gibt. Es gibt keine Verurteilung. Deswegen ist auch keine Vergebung erforderlich. Darum geht es überhaupt nicht.
d) Aus diesen Gründen befreit uns die Radikale Vergebung vom Opferbewusstsein. Aus spiritueller Sicht gibt es keine Opfer und keine Täter – nur Lehrer und Lernende.
e) Anders als die herkömmliche Vergebung beinhaltet die Radikale Vergebung eine einfache, bewährte und praktische Methodik. Sie stellt Werkzeuge zur Verfügung, mit denen jeder, der es möchte, einen radikalen Vergebungsprozess durchlaufen kann oder auch mehrere – jederzeit, überall und aus allen möglichen Gründen.
Die Werkzeuge sind unkompliziert und einfach anzuwenden. Sie erfordern kein Training und keine besonderen Fähigkeiten. Bei ihrer Anwendung spielt der Verstand nur eine Nebenrolle. Die eigentliche Vergebung spielt sich nicht auf der gedanklichen Ebene ab. Radikale Vergebung wird von unserer spirituellen Intelligenz bewirkt, einem Teil von uns, der unser wahres Wesen kennt und direkt mit der universellen Intelligenz verbunden ist. (Wenn Sie Ihre universelle Intelligenz als Gott bezeichnen, stimmen Sie mit den meisten Weltreligionen überein, die alle davon ausgehen, dass nur Gott uns vergibt, nicht wir selbst.) In diesem Sinne könnte man sagen, dass die Werkzeuge der Radikalen Vergebung eine weltliche Form des Gebets sind. Sie funktionieren aber auch für Atheisten und Agnostiker. Niemand ist ohne spirituelle Intelligenz. Jeder besitzt sie zu einem bestimmten Grad.
f) Bei der Radikalen Vergebung liegt die Entscheidung, loszulassen, den Groll aufzugeben, Mitgefühl zu empfinden und all die anderen Dinge zu tun, die man angeblich zu tun hat, nicht bei Ihnen selbst (Ihrem Ego). All dies geschieht automatisch, wenn Sie von ihren Werkzeugen Gebrauch machen.
g) Die Werkzeuge führen Sie durch fünf Phasen:
Die ersten drei Phasen sind allen, die mit herkömmlicher Vergebung vertraut sind, bekannt, während die beiden letzten Radikale Vergebung als etwas völlig anderes auszeichnen. Sie entspringen einer völlig anderen Weltsicht und machen Radikale Vergebung zu mehr als Vergebung. Wer sie erlebt, sieht die Welt mit anderen Augen und öffnet sich für eine völlig neue Einstellung dem Leben gegenüber. Im vierten Teil werden wir die einzelnen Phasen im Detail vorstellen.