Nr. 2649
Die Baumeister der BASIS
Ein riesiges Raumschiff entsteht neu – und seine Besatzung kämpft ums Überleben
Michael Marcus Thurner
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1469 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5056 christlicher Zeitrechnung. Seit dem dramatischen Verschwinden des Solsystems mit all seinen Bewohnern hat sich die Situation in der Milchstraße grundsätzlich verändert.
Die Region um das verschwundene Sonnensystem wurde zum Sektor Null erklärt und von Raumschiffen des Galaktikums abgeriegelt, eine neue provisorische Führung der LFT regiert vom Planeten Maharani aus die Menschenvölker der Milchstraße. Im Solsystem hingegen müssen die Menschen gegen dreierlei Feinde bestehen: die Spenta, die die Sonne verhüllt haben, die Fagesy, die die Terraner des Diebstahls von ALLDAR beschuldigen, und gegen die Sayporaner, die die Kinder der Menschheit »umformatieren«.
Perry Rhodan kämpft indessen in der von Kriegen heimgesuchten Doppelgalaxis Chanda gegen QIN SHI. Diese mysteriöse Wesenheit gebietet über zahllose Krieger aus unterschiedlichen Völkern und herrscht nahezu unangefochten in Chanda. Um ihre Macht zu brechen, benötigt Rhodan Unterstützung und Verbündete. Doch während er sie sucht, betreibt QIN SHI seine Invasionspläne weiter voran. Ihm in den Weg kommen dabei höchstens DIE BAUMEISTER DER BASIS ...
Die Hauptpersonen des Romans
Kaowen – Der Protektor sieht QIN SHI.
Tino – Er raucht seine letzte Pfeife.
Korech Zadur – Der Dosanthi macht einen skandalösen Vorschlag.
Trasur Sargon – Der Ertruser versucht das Leben der ihm Anvertrauten zu retten.
Marie-Louise Sak – Die Lebensmitteldesignerin durchschaut Tino.
1.
Kaowen
Magie ...
»Seht her und glaubt! Begreift die Wunder. Akzeptiert das Unverständliche. Erfahrt, dass Dinge existieren, für die es keine Erklärung gibt.«
Wusch!
Licht blendete die Kinder, und als sie die Augen wieder öffneten, meinten sie, den Schatten eines Para-Grafen durch eine Türritze entweichen zu sehen. Den Schatten jener mystischen Gestalt, an deren Existenz die Erwachsenen sie glauben machen wollten ...
Kaowen versuchte seine Erinnerungen beiseitezudrängen – doch das ließ sich nicht so einfach bewerkstelligen.
Da war dieser Magicus Ornath-vom-Sand gewesen, der ihn mit seinen Worten und Taten verzaubert hatte. Diese anachronistische Erscheinung, die damals allen Anordnungen und den Lehren der reinen Vernunft zuwiderhandelte; die durch die xylthischen Städte und Bauten zog, um die Kinder mit ihrer Magie zu verzaubern. Als »der alte Lichtfuchs« war er auch gehandelt worden; als Xylthe, der das Unmögliche hatte möglich werden lassen, mit einem Wink seiner Hände oder einem Blinzeln.
Kaowen erinnerte sich an das flaue Gefühl im Magen, als aus dem Nichts Flammen entstanden und Figuren durch den Raum tanzten, die man angreifen konnte, die sich warm und lebendig anfühlten – und dann von einem Moment zum nächsten verschwanden. Alle Kinder der Knebelschule hatten große Augen gemacht, hatten Ornath-vom-Sand so sehr bewundert wie gefürchtet, weil er sie in eine Welt des Unverständlichen geführt hatte.
Diese Zeiten waren lange, lange vorbei. Der alte Magicus war eines Tages nicht mehr aufgetaucht, die Erwachsenen hatten ihn mit keiner Silbe mehr erwähnt.
Später, als Kaowen die Karriereleiter hochkletterte, hatte er seine Beziehungen genutzt und nachgeforscht, was mit dem Alten geschehen war. Die Antworten waren erwartungsgemäß ausgefallen: Ornath-vom-Sand war als Antipropagandist verurteilt und in eine Besserungsanstalt gesteckt worden, um dort, seines Freiraums und seines Publikums beraubt, dahinzudämmern. Um irgendwann einmal friedlich einzuschlafen. Oder um wegen seines seltsamen Verhaltens hingerichtet zu werden; darüber verrieten die verfügbaren Daten nichts.
Damals war Kaowens Glaube an die Existenz von magischen Kräften endgültig gestorben. In der Realität war kein Platz für ein Wusch! und seltsame Lichteffekte. Keine seiner Fähigkeiten hatte den Alten retten können. Logik und Vernunft hatten gesiegt und den Glauben an das Übernatürliche vertrieben. Es gab bloß die Realität – und die sah höchst trübe aus.
*
Kaowen atmete flach durch die Nase. Beherrscht, aber doch so, dass die Besatzungsmitglieder der RADONJU wussten, dass sie ihm derzeit unter keinen Umständen zu nahe kommen sollten.
Es gab Feinde, die ihm eine Niederlage beigebracht hatten. Eine von viel zu vielen während der letzten Tage. Die Weltengeißel hatte sich aufgrund des Widerstands der Rebellen nicht ernähren können, und QIN SHI würde darunter leiden.
Kaowen hasste Niederlagen. Er hasste, bewiesen zu bekommen, dass auch er fehlbar war. Er war der Protektor der QIN-SHI-Garde, Anführer einer kampferfahrenen und elitären Militäreinheit. Ihm passierten keine Fehler, sie waren nicht Teil seines Weltbilds. Und nun geschah etwas, dem er liebend gern ausgewichen wäre.
QIN SHI lud ihn zum Rapport. Kaowen würde sich verantworten müssen und womöglich sein Leben verlieren.
Nicht zum ersten Mal, übrigens.
*
Die Umgebung wechselte abrupt. Die plötzlich entstandene Transitblase erlosch; umgeben vom letzten Hauch violetten Schimmers, war Kaowen auf einem Transitparkett materialisiert – unzweifelhaft im Inneren der Weltengeißel.
Die Plattform, unter deren transparenter Oberfläche das violette Wogen allmählich abebbte, befand sich in einem weitgehend abgedunkelten Saal unbekannter Größe. Erleuchtet war lediglich ein Bereich von etwa 20 Metern, das Dahinter entzog sich Kaowens Blicken.
Es war leicht zu erkennen, was er zu tun hatte. Eine schlanke hellgraue Zylindersäule, die weit in die Höhe ragte, zog die Aufmerksamkeit unweigerlich auf sich. Alles andere war bloß Beiwerk, technisches Gut, das Teil des Transitparketts war.
Zögernd tat der Protektor erste Schritte auf die Säule zu. Licht umschmeichelte sie, seltsame Schatten zeigten sich auf ihrer Oberfläche. Sie tanzten auf und ab, in einem Spiel, das aufregend und erschreckend zugleich wirkte.
Wollte QIN SHI in dieser Säule sein Gesicht zeigen? Stand Kaowen eine weitere direkte Begegnung mit seinem Auftraggeber, seinem Herrn und seinem Befehlshaber bevor?
Wie magisch angezogen trat er auf die Säule zu und blieb unmittelbar vor ihr stehen. Er hätte bloß die Arme auszustrecken brauchen, um das matt leuchtende Material zu berühren – doch er würde es nicht tun. Niemals! Dies wäre ein nicht wiedergutzumachender Frevel gewesen.
Die Kontaktaufnahme begann. Kaowen fühlte eine besondere Regung, eine Art Vibrieren. Es fing in seinem Inneren an und griff, vom Magen ausgehend, immer weiter um sich, bis es seinen gesamten Körper erfasste.
QIN SHI tastete ihn ab. Er überprüfte seine Gesinnung, seine körperliche Verfassung, die Übereinstimmung von beidem. Er wollte sichergehen, dass Kaowen ihm bedingungslos und für alle Zeiten gehörte.
Dann gab sich die Superintelligenz zu erkennen. Anfangs empfand Kaowen Ernüchterung, so wie immer, wenn er QIN SHI begegnete. Es war nicht viel Erhabenes und Großes in seinem Auftreten.
QIN SHI zeigte sich als Abbild. In Gestalt eines Gesichts, das sich auf der Oberfläche der Säule zeigte, überdimensional und perfekt proportioniert. Das Gesicht wuchs aus der Projektionsfläche hervor wie ein Wassertropfen auf einem Blatt, der allmählich der Flächenneigung folgte, hinunterrann, am Rand für eine Weile hängen blieb und schließlich zu Boden fiel. Im Fallen nahm er dann perfekte Tropfenform an und spiegelte auf seiner klaren Oberfläche all die Dinge ringsum.
Der Blick dieses gespiegelten Gesichts war unausweichlich. Er forderte und erheischte unbedingte Aufmerksamkeit.
Kaowen musste hart schlucken. Er hatte das dringende Bedürfnis, seine Augen zu schließen. Doch er wusste, dass ihn das Gesicht in der Schwärze verfolgen würde. Es war da und würde nicht mehr weichen, bis QIN SHI ihn aus dem Fokus seiner Aufmerksamkeit entlassen wollte.
Für dieses zwanghafte Interesse an der Erscheinung der Superintelligenz gab es keine Erklärung. Ihre Präsenz entzog sich jeglicher Beurteilung oder Bewertung. Sie war Kaowen um ein Vielfaches überlegen. Sie strahlte Macht und Kraft und Kompetenz aus, in einem Maß, das ein niederes Wesen wie er niemals würde begreifen oder erreichen können.
Der Protektor fühlte, wie seine Knie zitterten. Er verspürte den Drang, sich zu Boden zu werfen, und konnte nur unter Aufbietung aller Willenskraft mühsam widerstehen. Er starrte weiterhin in sein ins Riesenhafte vergrößerte Antlitz und wartete auf den Urteilsspruch QIN SHIS.
Nichts geschah. Es blieb ruhig im Raum. Irgendwo, in weiter Ferne, war ein sanftes Blubbern zu hören, als brächte jemand Tonnen sämigen Nahrungsbreis zum Kochen.
Kaowens Beine waren völlig verkrampft. Er entlastete sie, schüttelte sie aus und bewegte sich einen Schritt zur Seite. Die Blicke seines Alter Ego folgten ihm aufmerksam. Sie kannten keine Gnade, wie auch er seinen Untergebenen niemals Barmherzigkeit entgegengebracht hatte.
Was war an diesem Kaowen-Gesicht bloß so bemerkenswert anders als an seinem eigenen?
Er wischte sich Schweiß von der Stirn, dicke Tropfen, die sich am Knochenwulst oberhalb der Augen verfangen hatten. Die QIN-SHI-Erscheinung tat nichts dergleichen. Sie schwieg und beobachtete.
Sie zeigt mich in einer optimierten Form, stellte Kaowen fest. Die Züge sind stärker und energischer ausgeprägt. Da ist kein Zweifel zu erkennen. Dieser Protektor, den QIN SHI sich wohl wünscht, kennt keinerlei Unsicherheiten. Und zugleich wirkt er grausamer, schmerzlüsterner, unbarmherziger. Er ist eine zugleich verklärte und entstellende Vision meiner selbst.
Noch ein kleiner Schritt zur Seite, ein leises Räuspern, ein Zucken der Augenlider. Wiederum ließ ihn das Abbild spüren, dass es mit seinen Bewegungen nicht einverstanden war. Es erwartete, dass er ruhig blieb; wenn es sein musste, für die nächsten beiden Tage.
Nicht zum ersten Mal fragte sich Kaowen, ob sich QIN SHI all seinen Untergebenen mit deren eigenem Gesicht zeigte.
Wahrscheinlich schon. QIN SHI ist ein Wesen mit unzähligen Gesichtern.
Gleich darauf schoss ihm ein unbotmäßiger, fast ketzerischer Gedanke durch den Kopf: Hat die Superintelligenz überhaupt ein eigenes Gesicht – oder partizipiert sie bloß an ihren »Mitarbeitern«? Ist sie in ihrem ureigensten Inneren ein Parasit? Ein Gestaltwechsler, ein Identitätensammler? Leidet sie unter Echomimie, einer Zwangsstörung, die sie dazu bringt, Mimiken imitieren zu müssen?
Kaowen duckte sich. Er befürchtete, wegen des gedachten Frevels abgemahnt und bestraft zu werden. Zumal er ganz genau wusste, dass vor QIN SHI nichts verborgen blieb. Daran änderten auch die wiederholten Perioden der Inaktivität der Superintelligenz nichts.
Er fühlte sich ein weiteres Mal abgetastet. Kontrolliert. Durchleuchtet und in jeglicher Hinsicht durchschaut. Der Protektor wankte. Dieses Nichtstun und Warten machte, dass er innerlich zusammenzubrechen drohte, auch wenn er sich nach wie vor den Anschein gab, das Urteil QIN SHIS über seine fehlerhaften Leistungen anstandslos zu akzeptieren.
Durfte er die Superintelligenz in irgendeiner Form bewerten? – Es war anmaßend von ihm, sie nach Kriterien niederen Lebens zu beurteilen. Sie war, wie sie war.
Kaowen wusste nicht, warum sie so oder anders reagierte. Wann sie »schlief« und wann nicht. Wann sie ihm Aufmerksamkeit schenkte und wann sie ihn missachtete. QIN SHI war sein Gott. Seine Sonne. So weit weg von ihm und so weit über ihm stehend, dass es vermessen war, irgendwelche Maßstäbe anzulegen. Er war für QIN SHI bloß eine Fluse, die achtlos beiseitegewischt werden konnte.
Ein Zucken! Kaowen bemerkte, wie sich das eine Auge in der Darstellung ein klein wenig bewegte. Eine dunkelbraune Iris, die nahtlos in die schwarze Pupille überging, bewegte sich, als wäre eben etwas in diesem Auge zum Leben erwacht. Zu noch mehr Leben.
Doch es geschah nichts weiter. Kaowens gespiegeltes Gesicht blieb ruhig, wie auch er sich weiterhin darum bemühte, gelassen zu wirken. Kaowen musste geduldig bleiben und auf ein deutlicheres Lebenszeichen QIN SHIS warten, so schwer es ihm fiel.
Warum war er mit seinem Auftrag gescheitert? Warum hatte sich die Weltengeißel nicht kräftigen oder, wie die Superintelligenz es nannte, keine Aktivierung vornehmen können?
Seit vielen Jahrzehnten ging das riesenhafte Objekt im Auftrag QIN SHIS auf Beutezug. Um über einen ausgewählten Planeten herzufallen und das aufzunehmen, wonach ihn dürstete. Jeden achten Monat war es so weit, und stets hatte das Manöver geklappt.
»Rhodan!«, sagte Kaowen laut, und es klang wie ein derber Fluch. Er zuckte zusammen, als ein vielfach gebrochenes Echo aus der Dunkelheit zurückhallte, ihn umhüllte wie eine Klangsphäre, wie ein Publikum, das ihn hämisch auslachte. »Rhodan ...dan ...dan ... Rho... Rhodan ...«, spöttelten die wiedergegebenen Stimmen, ungeordnet, ohne jeden Rhythmus, hässlich und kalt, ihn verhöhnend. »...dan ...dan ...dan ...«
Der Terraner schien an seinem ganzen Unglück Schuld zu tragen. Schon die Aufbringung seines Schiffs, der BASIS, war unplanmäßig verlaufen. Der Raumer war aus nach wie vor unbekannten Gründen nicht in unmittelbarer Nähe der Werft APERAS KOKKAIA materialisiert, sondern fast siebentausend Lichtjahre davon entfernt. Die Eroberung hatte Mühen bereitet, und Teile der Schiffsbesatzung hatten in kleineren Schiffseinheiten entkommen können, um in Chanda punktuell für Probleme zu sorgen.
Doch dabei war es nicht geblieben: Kaowen hatte die BASIS zwar zur Werft verlegen, sie aber nicht sichern lassen können.
Diener QIN SHIS waren ins Innere des Schiffs vorgedrungen; für eine Weile hatte es den Anschein gehabt, als ginge wenigstens die Eroberung des Schiffs nach dem üblichen Schema vor sich. Doch mit einem Mal hatte sich das Blatt gewendet: Die BASIS war auseinandergefallen, in Dutzende Brocken. Die Fragmente waren seitdem in bläulich flimmernde, undurchdringliche Schutzschirme gehüllt, denen bisher nicht beizukommen war.
Eines hatte zum anderen geführt: Kaowen hatte das angeblich in der BASIS lagernde Multiversum-Okular nicht bergen können, und auch das Versteck des Anzugs der Universen blieb unbekannt.
Er hatte versucht, zumindest ein vom Verzweifelten Widerstand gestohlenes und auf einem Gasriesen verstecktes Transitparkett wiederzubeschaffen. Dazu hatte er Perry Rhodan instrumentalisiert – und wieder war er gescheitert. Er war gestorben. Hatte seinen Körper verloren. Hatte in einem von QIN SHI zur Verfügung gestellten Klonleib wiederbelebt werden müssen.
Zwei weitere Kunstkörper existieren noch in der Werft, der Originalkörper ...
Warum musste er an all diese Dinge denken, gerade in diesen Momenten, da er auf QIN SHIS Kommen wartete? Er sollte ruhig stehen und demütige Gedanken haben, ohne über all seine Verfehlungen nachzudenken ...
... ist auf Xylth im Zustand der suspendierten Animation sicher verwahrt ...
Woher kam dieses Wissen?
Kaowen zuckte zusammen. Er verstand mit einem Mal, und die Einsicht versetzte seinem ohnedies ramponierten Selbstbewusstsein einen weiteren Knacks: QIN SHI war bereits da! Er hatte sich in seine Gedanken geschlichen, hatte sich in seinem Ich festgesetzt – und machte nun, dass er über seine Fehler reflektierte. Die Superintelligenz will es so haben!
So rasch, wie ihn der Schock übermannt hatte, so rasch ließ er auch wieder nach. QIN SHI übte mentalen Druck auf ihn aus. Er lenkte Kaowens Gedanken dorthin zurück, wo er sie haben wollte.
Der Protektor fühlte Scham. Er ärgerte sich über sein mehrmaliges Versagen. Er suchte nach den Fehlern in seinem Verhalten und wurde durch diesen Dschungel an Entscheidungen gejagt, die er während der letzten Tage und Wochen getroffen hatte ... Wo hatte er gefehlt? Welche Umstände waren schuld, dass so viel schiefgelaufen war, seitdem die BASIS in Chanda materialisiert war?
Ich muss Buße tun, war ihm mit einem Mal klar. QIN SHI verlangte von ihm ein Opfer. All diese schmerzlichen Erinnerungshäppchen, mit denen ihn die Superintelligenz fütterte, waren ein Beginn jener Sühne, die er zu leisten hatte.
Vielleicht steckten irgendwo in seinen Erinnerungen Hinweise auf größere Zusammenhänge; auf einen Ansatz, wie er dem mutmaßlichen Hauptfeind Perry Rhodan beikommen konnte?
QIN SHI durchwühlte ihn. Bewirkte, dass er all die Wahrnehmungen während seines Scheiterns nochmals durchleben, all die Gefühle der Demütigung nochmals hinnehmen musste. Oh, die Superintelligenz genoss es, ihm sein Versagen deutlich zu machen, immer und immer wieder.
»Lass mich in Ruhe!«, rief er, wankend, vom riesigen Ebenbild betrachtet und durchschaut, von seinem eigenen Antlitz, das ihm bloß Verachtung schenkte. Und als er fühlte, dass QIN SHI noch mehr drängte und noch heftiger in ihm wütete, ließ Kaowen ein klägliches, flehentliches »Bitte!« folgen.
Er ertrug es nicht länger! Wer wollte schon in einer derart demütigenden und alles durchdringenden Weise auf seine Fehlbarkeit hingewiesen werden? Darauf, dass man bloß ein Nichts von Gnaden eines gottähnlichen Wesens war?
Die Superintelligenz gab sich erbarmungslos. Sie zeigte ihm die Augenblicke seines Todes und ließ ihn die Schmerzen nochmals erleben. Um ihm das Nichts des Todes zu demonstrieren. Um ihn daran zu erinnern, wie er wiedererweckt worden war, im Herzen der Weltengeißel.
Kaowen war aus der Nichtexistenz zurückgerufen worden, mithilfe einer Technik, die nicht von QIN SHI selbst entwickelt worden war, sondern auf Grundlagen beruhte, die Unbekannte geschaffen hatten.
So sagt es zumindest die Legende. Die Superintelligenz hat dieses Wissen angeblich auf einer ihrer Reisen vermittelt bekommen ...
Wer wusste schon, wie der Wissensaustausch auf der Ebene von Superintelligenzen funktionierte? Wie sie Dinge konstruierten oder schufen ... Es war einerlei. Derlei Dinge berührten Kaowen nicht weiter. Er wollte bloß weg von diesen schrecklichen Erinnerungen, die ihm QIN SHI aufoktroyierte.
Kaowen dachte an Ornath-vom-Sand, zum bereits zweiten Mal an diesem Tag. Beinahe hätte er gelacht angesichts der Umstände, die ihn eigentlich das Fürchten lehren sollten. War ein Vergleich zwischen dem alten, längst verblichenen Magicus und der Superintelligenz denn statthaft?
QIN SHI stellte seinen Untergebenen Mittel zur Verfügung, die bei ihnen ein ähnliches Staunen verursachten, wie er es einst verspürt hatte bei den Vorstellungen des alten Lichtfuchses Ornath-vom-Sand. Die Wirkung dieser Mittel war gleichzusetzen mit der von – scheinbar – magischen Gegenständen. Die Reinkarnations-Technik war so weit ausgereift, dass sie xylthischer Verstand nicht begriff.
QIN SHIS Wissen beruhte keinesfalls auf Magie – und dennoch konnte man mit seiner Hilfe Probleme wegzaubern. Es machte Wusch!, manchmal gab es grelles, blendendes Licht – und schon war die Arbeit getan. So simpel war das, so profan.
Die Superintelligenz ist kein Magier!, sagte er sich einmal mehr. Sie beschäftigt sich mit Gesetzmäßigkeiten, die womöglich anders gelagert sind als jene, mit denen wir es zu tun haben. Und ganz gewiss hat sie eine andere Sicht der Dinge. Aber auch QIN SHIS Macht kennt Grenzen.
Kaowen duckte sich instinktiv, kaum, dass er diesen Gedanken zu Ende gebracht hatte. Was ritt ihn bloß, die Unfehlbarkeit seines Auftraggebers infrage zu stellen? Und das, während er in der Weltengeißel stand, sein vielfach vergrößertes Abbild betrachtete und von der Superintelligenz durchleuchtet wurde?
Und wieder war die Antwort erschreckend einfach: QIN SHI brachte diese Dinge zutage. Er reizte und lockte ihn, um seine Integrität und Loyalität auszuloten, mit Mitteln, die Kaowen unverständlich blieben. Er war längst nicht mehr Herr über seinen Geist. Die Superintelligenz brachte ihn dazu, sein Innerstes vor ihm auszubreiten.
Das Spiegelbild grinste, während Kaowen keinesfalls zum Lachen zumute war.
Er dachte an seinen Tod zurück und daran, was er über die Wiedererweckung wusste. Die damit befassten Badakk hatten ihm erzählt, dass die Klonkörper dank einer spezifischen hyperphysikalischen Aufladung der integrierten blauen Chanda-Kristalle mit QIN SHIS Hilfe ein beim Exodus freigesetztes Bewusstsein übernehmen konnten. Und so war es mit ihm geschehen: Er war in einen der Reservekörper transferiert und dort wiedererweckt worden, um mit der Ganzheit seines bislang erworbenen Wissens weitermachen, weiterleben zu können.
Die Superintelligenz ließ ihn mit einem Mal sein Interesse an der Reinkarnation verlieren. Sie schubste ihn gedanklich vorwärts, hin zu einem weiteren Tiefpunkt seiner Karriere: