Inhaltsverzeichnis

 

 

 

 

Der Triumph des Todes

 

 

 

 

Heute ist Schule, klar, aber er ist meilenweit vom Klassenzimmer entfernt. Er ist lieber hier, wer wollte es ihm verdenken, im Schatten dieses alten Rostkolosses – eine Metropolis aus Stahl und Beton und abblätternder Farbe und kurz geschnittenem Gras und, schräg über den Anzeigetafeln, riesigen Chesterfield-Packungen mit zwei, drei vorstehenden Zigaretten.

Sehnsucht im großen Maßstab, so wird Geschichte geschrieben. Dieser Junge hier hat überschaubare Wunsche, aber er gehört zu der sich sammelnden Menge, den anonymen Tausendschaften in Bussen und Zügen, Menschen in dicht gedrängten Schlangen, die auf der Drehbrücke den Fluss überqueren, und auch wenn dies keine Völkerwanderung oder Revolution ist, keine tiefe Erschütterung der Seele, sie bringen die Körperhitze einer großen Stadt mit, ihre kleinen Träumereien und Enttäuschungen, das unsichtbare Etwas, das den Alltag heimsucht – Männer in Filzhüten und Matrosen auf Landgang, das streunende Durcheinander ihrer Gedanken, alle auf dem Weg zu einem Spiel.

Der Himmel ist tief und grau, vom trüben Grau anrollender Brandung.

Er steht bei den anderen am Bordstein. Mit vierzehn ist er der Jüngste, und an dem gereizten, schiefen Aussehen, das er sich

Nervös warten sie darauf, dass die Besitzer von Eintrittskarten die Drehkreuze freimachen, das letzte lockere Fangrüppchen, die Bummler und Herumlungerer. Sie beobachten die späten Taxis aus der Innenstadt und die pomadisierten Männer, die flink an die Schalter treten, Wettbankiers und Dinnerklubgecken und aufgetakelte Broadwaygrößen, die sich die Schuppen von den Mohairärmeln pflücken. Die Jungs stehen am Bordstein und schauen, ohne zu starren, mit der säuerlichen Miene von Straßenschluris zu. Das ganze Tohuwabohu hat sich gelegt, das Vorspielgebabbel und -gewirbel, Verkäufer, die die proppenvollen Bürgersteige abkämmen, Spielprotokolle und Fähnchen schwingen und in den althergebrachten Singsang verfallen, abgerissene Männer, die Anstecker und Mützen aufdrängen, sie alle haben sich inzwischen zerstreut, zurück auf ihre Zimmerchen in den abgetretenen Straßen.

Sie stehen am Bordstein und warten. Ihre Augen werden grimmig, strahlen weniger hell. Einer nimmt die Hände aus den Hosentaschen. Sie warten, und dann preschen sie los, einer von ihnen, ein Ire, prescht los, er ruft Geronimo.

Vier Drehkreuze stehen gleich hinter den beiden Kassen. Der jüngste der Jungen ist auch der magerste, Cotter Martin heißt er, ein Schlaks in Polohemd und Latzhose, und er versucht, sich

Cotter sieht die ersten Springer über die Stangen gehen. Zwei von ihnen prallen in der Luft zusammen und landen verrenkt, der Länge nach, am Boden. Ein Kartenabreißer nimmt den einen in den Schwitzkasten, und seine Mütze kommt ins Rutschen, gleitet ihm am Rücken herab, und er greift mit blindem Schwung danach, zur gleichen Zeit – alles passiert zur gleichen Zeit – schaut er nach den anderen Hürdenspringern, um nicht getreten zu werden. Sie rennen und überspringen die Hürden. Eine hirnlose Form des Fliegens, und die Körper, dicht an dicht, schaffen den buchstäblichen Durchbruch. Sie springen zu früh oder zu spät und krachen in die Pfeiler und die Drehstangen, klettern einander auf den Rücken wie Comicfiguren, und was für Trottel müssen sie in den Augen der Leute am Hotdog-Stand auf der anderen Seite der Drehkreuze sein, was für schreckliche Versager – von einer Schlange starren sie herüber, überwiegend Männer, ihre Kiefer zermalmen das schwitzende Fleisch, Fettblasen zerlaufen ihnen auf der Zunge, und der gute Mann am äußersten Ende erstarrt, nur seine Hand produziert weiter automatische Bewegungen, verschmiert Senf mit einem Pinsel.

Das Geschrei der Jungs prallt von dem dicken Beton ab.

Cotter meint einen Weg zum rechten Drehkreuz erspäht zu haben. Er wirft alles ab, was er für diesen Sprung nicht braucht. Einige springen gerade, einige wollen es noch, einige müssen

Dann springt er ab und ist in der Luft, er fühlt sich geschmeidig und unzerknittert und irgendwie geschäftsmäßig, als landete er gerade aus Kansas City mit einer Aktentasche voller Bankauszüge. Er hat den Kopf eingezogen, sein linkes Bein überwindet die Stangen. Und einen ausgedehnten und hellwachen und sprunghaften Augenblick lang sieht er haargenau, wo er landen, wohin er wegrennen wird, und obwohl er weiß, dass sie hinter ihm her sein werden, sobald sein Fuß den Boden berührt, obwohl er in den nächsten Stunden in Gefahr schweben wird – stets wachsam nach rechts und links spähend –, erfüllt ihn jetzt weniger Angst.

Er kommt schwerelos auf und geht leichtfüßig an dem Kartenabreißer vorbei, der noch nach seiner heruntergefallenen Mütze tastet, und er weiß mit absoluter Sicherheit – weiß es endgültig, so tief man etwas nur wissen kann, er spürt, wie das Wissen in seinem Läuferherzen hämmert –, dass er uneinholbar ist.

Da kommt ein Klotz von der Stadtpolizei mit Knarre, Handschellen, Taschenlampe und Schlagstock, alles baumelt an sei

Mit so etwas überrascht er sich selber immer wieder, etwas Angeberischem, beflügelt von einer unerwarteten Laune.

Er rennt eine überdachte Rampe hoch und in ein Gefüge aus Trägern und Pfeilern und flutendem Licht hinein. Er hört die lauter werdenden letzten Akkorde der Nationalhymne und sieht das große offene Hufeisen der Haupttribüne und das Gras, ein Anblick, der ihm jedes Mal mitzuteilen scheint, dass er aus seinem Leben hinausgetreten ist – der glatte Schimmer, der sich in Schwüngen und Kurven von der geharkten Erde des Innenfeldes nach außen zu der hohen grünen Umzäunung zieht. Erregend, wenn etwas so offen daliegt. Er läuft nun sehr viel langsamer und reckt den Hals, um die Sitzreihen zu mustern, sucht nach einer unauffälligen Lücke hinter einem Pfeiler. Er biegt in einen Gang von Block 35 ab, taucht ein in Hitze und Geruch der gedrängten Fans, in den Rauch, der unter der zweiten Tribüne hängt, er hört das Reden, dringt ein in das tiefe Summen, er hört die Aufwärmwürfe in den Fängerhandschuh knallen, eine Serie von Knallern, der ein Kometenschweif von Nebengeräuschen folgt.

Dann verlierst du ihn in der Menge.

 

In der Radiokabine ist von der Menge die Rede. Sieht nach fünfunddreißigtausend aus, und wie willst du das feststellen. Man denke nur an die bewegte Geschichte jeder Mannschaft und den Glauben und die Leidenschaft der Fans und wie diese Kräfte überall in der Stadt ineinander verflochten sind, man denke nur an das Spiel selbst, auf Leben und Tod, das dritte von drei Play-off-Spielen, man braucht nur die Namen Giants und Dodgers zu

Der Tontechniker sagt: »Den ganzen Tag sieht es nach Regen aus. Das schlägt auf die Stimmung. Die Leute sagen, scheiß drauf.«

Der Sendeleiter hängt eine Decke in die Kabine, um seine Crew von den Burschen zu trennen, die gerade von KMOX aus Saint Louis gekommen sind. Müssen sie eben zusammenrücken, kein Platz, sie woanders unterzubringen.

Er sagt zu dem Techniker: »Vergiß nicht, es hat keinen Vorverkauf gegeben.«

Und der Techniker sagt: »Außerdem haben die Giants gestern haushoch verloren, das ist ein echtes Problem, denn jede schlimme Niederlage stürzt die Fans in tiefe Depressionen. Glaub mir, ich kenne das von da, wo ich wohne. Es ist niederschmetternd für die Leute. Als würden sie zu Zehntausenden sterben.«

Russ Hodges, der Kommentator der Spiele für WMCA, ist die Stimme der Giants – Russ hat einen überanstrengten Kehlkopf und eine fette Erkältung in den Knochen, und er sollte sich eigentlich keine Zigarette anstecken, aber er tut es trotzdem: »Das ist ja alles gut und schön, aber ich glaube nicht, dass es eine logische Erklärung gibt. Wenn du es mit der Masse zu tun hast, ist nichts vorhersehbar.«

Russ reckt jetzt energisch das Kinn, aber er hat auch etwas von einem unkomplizierten Jungen an sich, mit seinen Augen,

Er schaut hinaus aufs Spielfeld mit den spitzen Ecken und der mehr als ausgleichenden Weiträumigkeit des Außenfeldes. Die große viereckige Longines-Uhr, die aus dem Klubhaus emporragt. Farbtupfer überall, freskohaft die Hüte und Gesichter und die grüne Haupttribüne und die braungelben Wege zwischen den Bases. Russ schätzt sich glücklich, hier zu sein. Tag der Tage, und er, Russ Hodges, bringt das Spiel, und es läuft in den Polo Grounds – diesen Namen liebt er, ein kostbares Echo von Dingen und Zeiten, bevor das Jahrhundert in den Krieg zog. Er findet, jeder, der hier ist, sollte sich glücklich schätzen, denn etwas Großes steht bevor, heute steigt was. Na gut, vielleicht nur seine Temperatur. Aber er denkt daran, wie sein Vater ihn mal nach Toledo mitnahm, zum Kampf Dempsey gegen Willard, und war das eine große Sache, so viel Ehrfurchtgebietendes, der vierte Juli und dreiundvierzig Grad und eine Menge hemdsärmeliger Männer mit Strohhüten, viele von ihnen hatten unter den Hüten und bis auf die Schultern herab ausgebreitete Taschentücher, als hätten sie sich als Araber verkleidet, und was für eine Tracht Prügel holte sich der dicke Jess in dem weiß glühenden Ring ab, wie spritzten ihm Schweiß und Blut vom Gesicht, immer wenn Dempsey zuschlug.

Wenn du so etwas siehst, ein Ereignis, das zu einer Nachrichtenmeldung wird, dann fühlst du dich als Vehikel eines feierlichen Stückchens Geschichte.

Im zweiten Inning schlägt Thomson einen Slider in gerader Linie über die Third Base hinweg.

Lockman schwenkt auf einen Bogen ein, als er zur Second Base rennt, den Blick zum linken Außenfeld gerichtet.

Pafko nähert sich der Wand, um einen Abpraller anzunehmen.

Thomson trottet in anständigem Tempo um die First Base, beim Laufen leicht vorgebeugt.

Pafko wirft geschickt zu Cox.

Thomson steuert mit gesenktem Kopf die Second Base an, erreicht sie mühelos und erblickt Lockman, der auf der Base steht und ihn wie verzaubert anstarrt, als läge ihm eine Frage auf der Zunge.

Seit Tagen bleierner Himmel und die ganze Sendezeit der letzten Woche, die Halsschmerzen und der Husten, Russ ist fiebrig und verschwitzt – Zugfahrten und Nerven und kein bisschen Schlaf, und er beschreibt das Spiel in seiner vertrauten, gemütlichen Weitschweifigkeit, der Kartoffeln-mit-Soße-Stimme, die heute ein bisschen kratzig ist.

Cox lugt unter seiner Mütze hervor und wirft den Ball aus der Hüfte zu Robinson.

Sieh mal, Mays – schlendert zur Home Plate und lässt seinen Schläger am Boden schleifen.

Robinson nimmt den Wurf an und wirbelt zu Thomson herum, der schüchtern etwa anderthalb Meter von der Second Base entfernt steht.

Das mögen die Leute, wie Pafko das Papier vor die Füße fällt oder über seine Schulter segelt, an seiner Mütze hängenbleibt. Die Wand ist fast fünf Meter hoch, also ist er gut außer Reichweite der am weitesten vorgestreckten Hand, sie müssen sich damit zufriedengeben, ihn in ihrem Papier zu baden.

Nicht weit von der Spielerbank der Giants sitzen vier Männer in Leos höchsteigener Prominentenloge und schauen zu, als Robinson Thomson durch Berührung mit dem Ball »Aus« macht. Zu drei Vierteln sind sie aus dem Showgeschäft, Frank Sinatra, Jackie Gleason und Toots Shor, Trinkkumpane seit Adam und Eva, und sie haben einen gut gekleideten Mann mit einer Bulldoggenfresse dabei, einen gewissen J. Edgar Hoover. Was hat der oberste Sicherheitspolizist der Nation mit diesen Rüpeln am Hut? Tja, Edgar hat einen Gangplatz, und es scheint ihm bestens zu gehen, er grinst über das derbe Geplänkel, das pausenlos zwischen Schmalzdackel, Scherzbold und Spelunkenwirt hin und her geht. Auf dem Rennplatz wäre er lieber, aber in dieser Gesellschaft hat er schon gute Laune, egal an welchem Ort. Er hat gerne Kinostars und berühmte Sportler um sich oder Klatschpäpste wie Walter Winchell, der sich heute auch das Spiel anschaut, er sitzt bei den hohen Tieren der Dodgers. Ruhm und Heimlichkeit sind die entgegengesetzten Enden derselben Faszination, das statische Rauschen des Libidinösen in der Welt, und Edgar reagiert auf Leute, die diese Energie anzapfen können. Er möchte gern ihr treuergebener Freund sein, Hauptsache, ihr verborgenes Leben steht in seinen Geheimakten, gesammelte Gerüchte samt Register, in Wirklichkeit verwandelte Schattenfakten.

Gleason sagt: »Was hab ich euch gesagt, Kumpels, heute ist Dodgerstag, das spür ich in meinen Brooklynknochen.«

»Was für Knochen?«, sagt Frank. »Alles vom Suff verrottet.«

Thomsons ganzer Körper sackt zusammen, verliert Kraft und Festigkeit, und Robinson ruft »Time!« und trägt den Ball zum Werferhügel, in seinem typischen Gang übern großen Onkel, als könnte er nicht geradeaus laufen.

Frank sagt: »Sehr wixig.«

Bei dem Thema wird Edgar nervös. Er ist empfindlich, wenn’s um seine Größe geht, obwohl er zum sicheren Mittelfeld gehört. In den letzten Jahren hat er an Gewicht zugelegt, und wenn er sich beim Anziehen im Spiegel sieht, dickleibig und buddhaköpfig, dann erwidert ein kleiner runder Mann seinen Blick. Dass das stimmt, haben die Schreihälse von der Presse berichtet, als könnte einer seine Phantomqualen allein durch die Kraft des Wünschens veröffentlichen lassen. Und es ist eine Tatsache, dass Agenten, die größer als der Durchschnitt sind, heutzutage kaum Chancen auf einen Posten im Hauptquartier haben. Außerdem ist es eine Tatsache, dass der Zwerg, von dem sein Kumpel Gleason redet, der Einmeterzehn-Sportsmann, der vor sechs Wochen mit einer Bravourleistung, übrigens nach Edgars Ansicht auch ein Akt politischer Subversion, einmal für die Saint Louis Browns zum Schlag gekommen ist – dass dieser Knabe Eddie Gaedel heißt, und wenn sich Gleason an den Namen erinnert, wird er blitzschnell Eddie mit Edgar verknüpfen, und dann wird es Witze über kleine Männer setzen, dass es nur so qualmt, schlimmer als die sprichwörtlich dampfende Kacke. Gleason hat mit Beschimpfungssketchen sein Debüt gemacht und nie mehr damit aufgehört – er macht’s umsonst und aus Spaß, und zerstörte Existenzen pflastern seinen Weg.

Toots Shor sagt: »Du willst wohl dein Leben lang ein Dämel bleiben, Gleason. Es steht doch erst eins-null. Die Giants haben in dieser Saison nicht dreizehneinhalb Punkte Rückstand aufgeholt, um am letzten Tag alles zu vergeigen. Das ist das Jahr der Wunder. Keiner hat Worte dafür, was dieses Jahr passiert ist.«

Er sagt: »Mays ist der Mann.«

Und Frank sagt: »Heute ist Willies Tag. Überfällig, dass der heute loslegt. Hat mir Leo am Telefon gesagt.«

Gleason mimt recht passabel einen zugeknöpften Tommie: »Du willst mir doch nicht im Ernst nahebringen, dass dieser Knabe, der sich gerade ans Wicket begibt, irgendetwas Bemerkenswertes zustande bringen wird.«

Edgar, der die Engländer hasst, wirft sich lachend vornüber, selbst als Jackie atemlos von seinem Hot Dog abbeißt und zu husten und zu würgen beginnt, Fitzelchen von Fleisch und Brot in die Landschaft prustet, Klümpchen und Krümelchen, lauter winzige Spitballs.

Dabei sind es die unsichtbaren Formen des Lebens, an denen Edgar am meisten verzweifelt, und er wendet sich von Gleason ab und hält die Luft an. Er möchte am liebsten in die nächste Toilette rennen, einen zinkverkleideten Raum mit einem ovalen Stück unberührter Seife, einer Kaskade heißen Wassers und einem flauschigen Handtuch, das kein Mensch vor ihm je benutzt hat. Natürlich gibt es so etwas nicht in der Nähe. Bloß noch mehr Bazillen, ein alles durchdringendes Umfeld von pathogenen Keimen, Mikroben, schwebenden Kolonien von Spirochäten, die miteinander verschmelzen und sich wieder trennen und sich ausdehnen und umschlängeln und verschlingen, ganze Zugladungen voll Masse, die von den Leuten herausgerotzt wird, tödlicher Urschleim.

Die Menge, der stetige Lärm, das Atmen und Brausen, ab und zu ein Bassgebrumm, das Gefühl, zum selben Geschlecht zu

Und Sinatra: »Jack, ich hatte dir doch gesagt, du sollst im Wagen bleiben, bis du aufgegessen hast.«

Mays holt mit mäßigem Schwung aus, trifft den Ball aber von unten und schickt nur einen routinemäßigen Flugball in den tief hängenden Oktobertag. Der Laut, als der Eschenholzschläger auf den Ball trifft, erreicht Cotter Martin auf der linken Außenfeldtribüne, wo er sich hingesetzt hat, die knochigen Schultern gekrümmt. Er beobachtet Willie, nicht den Ball, und sieht, wie er quasi achselzuckend um die First Base läuft, dann seinen Handschuh vom Rasen aufhebt und wieder zu seiner Position trabt.

Die Bogenlampen werden eingeschaltet, was Cotter überrascht, plötzlich fühlt er sich anders, empfindet seinen Streich noch lebhafter, die aufblitzende Frische, es zu tun und nicht erwischt zu werden. Der Tag ist jetzt anders, ernsthaft und bedroht, regengehetzt, und er betrachtet Mays auf der zentralen Außenfeldposition, ein Bantamgewicht in all dem weiten Raum, eindeutig Kindergröße, und er fragt sich, wie der Kerl seine Würfe hinkriegt, mit solcher Kraft wirbelt und schleudert. Er schaut sich das Spielfeld gern im Scheinwerferlicht an, auch wenn er Regen befürchten muss, auch wenn es erst Nachmittag ist und der Gesamteffekt nicht derselbe wie bei einem Nachtspiel, wenn das Feld und die Spieler von der Nacht, die sie umgibt, voll

Wie der Läufer eine Schlitterbremsung macht, als er bei der First Base in die Kurve geht.

Die leeren Sitze waren die erste Überraschung für Cotter, lange vor dem Licht. Auf seiner Pirsch durch die Tribünen sah er die ganze Zeit leere Sitze, zu viele, um einfach anzunehmen, dass die Leute gerade ein Bier holten oder eins wegbrachten, und er fand eine Lücke zwischen ein paar Typen im Anzug, und nun kann er nur sein Glück hinnehmen, die Bequemlichkeit eines richtigen Sitzes, ohne sich Gedanken darüber zu machen, warum es so viele davon gibt.

Der Mann links von ihm sagt: »Wie wär’s mit ein paar Erdnüssen, hm?«

Der Erdnußverkäufer kommt gerade wieder durch, ein Münzen auffangender Gaukler, etwa achtzehn, schwarz und geschmeidig. Die Leute kennen ihn von früheren Spielen und vergangenen Innings und werden wach und wühlen nach Kleingeld. Sie wollen Erdnüsse, hey, hier, eine Tüte, und werfen Münzen mit Daumenschnippen und Diskusbögen, und die Hände des Verkäufers scheinen das fliegende Metall einzuatmen. Er hat Magnethaut, fängt die Zehnermünzen akrobatisch im Fluge und lässt den Leuten die Erdnusstüten vor die Brust segeln. Es ist eine effekthascherische Show, aber Cotter wittert eine versteckte Gefahr. Der Kerl macht ihn sichtbar, stellt ihn bloß in seinem Räubernest. Ist es nicht seltsam, wie die gemeinsame Hautfarbe den Raum zwischen ihnen überspringt? Keiner hat Cotter

Der Mann meint: »Na, was sagst du?«

Cotter hebt ablehnend die Hand.

»Magst du eine Tüte? Na los.«

Cotter beugt sich weg, eine Hand geht zur Körpermitte, um anzudeuten, dass er schon gegessen hat oder dass er von Erdnüssen Krämpfe kriegt oder dass seine Mutter ihm eingeschärft hat, sich nicht mit irgendwelchem Fraß vollzustopfen, verdirb dir nicht den Appetit aufs Abendessen.

Der Mann fragt: »Und welche ist deine Mannschaft?«

»Giants.«

»Was fürn Jahr, wie?«

»Dieses Wetter, weiß nicht, schlecht, wenn man im Rückstand ist.«

Der Mann schaut zum Himmel. Er ist etwa vierzig, glatt rasiert und brillantinefrisiert, aber auf eine lässige Weise, in einer lockerleichten Art, die Cotter mit Kleinstadtleben im Kino verbindet.

»Ach, ist doch erst ein Punkt Rückstand. Die kommen schon wieder. Nach so einer Saison lassen die sich nicht von einem bisschen Wetter aufhalten. Und was zu trinken?«

Männer an den Toiletten, gehen rein und raus, ziehen auf dem Rückweg von der Rinne ihren Reißverschluss hoch, und andere Männer nähern sich der langen Rinne, denken darüber nach, wo sie stehen wollen, neben wem und neben wem nicht, Gestank und Schimmel des alten Baseballstadions haben sich hier verewigt, seit Generationen Fluten von Bier und Scheiße und Zigaretten und Erdnussschalen und Desinfektionsmitteln und Pisse, das geht weit in die Millionen, und sie denken nach, auf die ganz gewöhnliche Art, die dem Menschen hilft, durchs Leben zu rut

Der Mann links rutscht auf seinem Platz herum und spricht über die Schulter zu Cotter herunter, flüstert listig: »Und die Schule? Machst wohl Privatferien?« Und ein Grinsen gleitet über sein Gesicht.

Cotter sagt: »Genau wie Sie«, und erntet wie aus der Pistole geschossen ein Lachen.

»Ich wäre aus dem Gefängnis ausgebrochen, um dieses Spiel zu sehen. Wird übrigens sogar in die Gefängnisse übertragen. Sie stellen in den Stadtgefängnissen Radios in die Zellenblocks.«

»Ich war schon früh da«, sagt Cotter. »Ich hätte morgens zur Schule gehen und dann abhauen können. Aber ich wollte alles sehen.«

»Ein echter Fan. Musik in meinen Ohren.«

»Sehen, wie die Leute hier einlaufen. Wie die Spieler beim Spielereingang reingehen.«

»Ich heiße übrigens Bill Waterson. Und ich hätte mich mit Freuden unerlaubt von der Truppe entfernt, musste ich aber gar nicht. Hab nämlich meine eigene kleine Firma. Baugeschäft.«

Cotter überlegt, was er als nächstes sagen soll.

»Wir bauen den Leuten das Haus, in dem sie gerne leben.«

Der Erdnussverkäufer, den Gang hoch zum nächsten Block unterwegs, erspäht Cotter und lächelt kurz und wissend. Der Junge denkt, gleich gibt’s Ärger. Dieses Quakmaul wird ihn gleich eklig bloßstellen. Ihre Blicke treffen sich ganz kurz, als der Verkäufer die Treppen hochgeht. In vollem Tempo zupft er superschnell eine Tüte hervor und fluppt sie lässig zu Cotter hinüber, der sie mit einer Hand schnappt, in einer ebenso hingewischten Bewegung wie der Wurf. Der Augenblick ist einfach

»Hast ja doch noch eine abgekriegt«, sagt Bill Waterson.

Cotter rollt den Faltverschluss der braunen Tüte auf und hält sie Bill hin. Sie sitzen da, pellen die Erdnüsse und reiben die stoffartige braune Haut mit einer rollenden Bewegung von Daumen und Zeigefinger ab, essen den öligen, salzigen Kern und werfen die Schalen zu Boden, ohne die Augen vom Spiel zu lassen.

Bill sagt: »Wenn du mal wieder einen sagen hörst, er wäre im siebten Himmel, denk an das hier.«

»Jetzt fehlen uns nur noch ein paar Runs.«

Er schiebt Bill noch einmal die Tüte zu.

»Die punkten schon noch, das kommt. Nur keine Angst. Du wirst dich freuen, dass du die Schule geschwänzt hast.«

Da steht Robinson am Rand des Außenfeldrasens, schaut sich an, wie der Schlagmann ankommt, und denkt träge, Wieder eins von Leos teutonischen Landeiern.

»Es gibt ein Gesetz unter Männern«, erklärt Bill, »und es besagt, weil du deine Erdnüsse mit mir teilst, bin ich dazu verpflichtet, uns beiden eine Limonade zu kaufen.«

»Das klingt einleuchtend.«

»Gut. Also abgemacht.« Dreht sich auf seinem Platz und reißt einen Arm hoch. »Ein paar Sportsfreunde machen es sich gemütlich.«

Stanky der Boxer hockt auf der Spielerbank.

Mays versucht, einen Ohrwurm aus dem Kopf zu kriegen, sein schwermütiges Gesicht ist leicht aufgedunsen, irgendein Werbegedudel, das er neulich im Radio gehört hat.

Der Balljunge kommt etwas verträumt die Treppe herunter und lässt Darks schwarzen Schläger ins Gestell gleiten.

In den mittleren Innings kehrt sich das Spiel wie nach innen. Alle bekommen etwas Abwartendes, eine formlose Unruhe, die

Am anderen Ende des Spielfelds ist Branca oben auf dem Aufwärmplatz der Dodgers zu sehen, ein breiter Mann mit spitzen Zwergenöhrchen und angespannten Armen, der mühelos wirft und gerade Lockerungsübungen macht.

Mays denkt hilflos, Klick-Klick, Drücken-Ziehen, schon ist die neue Klinge drin.

Auf den Tribünen geht Special Agent Rafferty die Treppe zu den Logen hinter der Spielerbank der Heimmannschaft hinunter. Er ist ein untersetzter Mann mit einem üppigen Schopf rötlicher Haare, und er bewegt sich mit der Geradeausmiene von einem, der sich durch nichts ablenken lassen will. Er bewegt sich energisch, aber nicht panisch, auf die Loge des Direktors zu.

Gleason hat zwei sudelige Becher vor seinen Füßen aufgepflanzt, und an beiden Enden seiner geballten Faust schaut ein Hot Dog hervor, den er ganz vergessen hat. Er redet mit sechs Leuten auf einmal, und sie lachen und stellen Fragen, Logenbesitzer mit Dauerkarten, altgediente Fans mit spindeldürren Gattinnen. Sie merken, dass er schon halb bedallert ist, und bewundern seine Scharfsinnigkeit, die feinen Spitzen von Beleidigung und Spott. Sie wollen beschimpft werden, und Jackie tut es gerne, überspielt seinen beschwipsten Zustand mit der detaillierten Karikatur eines Betrunkenen. Er legt sich schwere Lider und einen knurrigen Ton zu, macht sich lustig über das Wischmoptoupet eines Mannes und veralbert einen zweiten wegen der Ellbogenflicken auf seinem Tweedjackett. Die Frauen genießen das sehr und wollen immer mehr. Sie beobachten Gleason, sie schauen auf Sinatra, wie er wohl reagiert, sie beobachten das Spiel, sie hören Jackie zu, der Dauerpointen aus seiner Fernsehshow bringt, sie beobachten, wie der Senf an seinem Daumen herunterläuft, und trauen sich nicht, es ihm zu sagen.

Als Rafferty Mr Hoovers Gangplatz erreicht hat, stellt er sich

Wie es scheint, hat die Sowjetunion an irgendeinem geheimen Ort innerhalb ihrer eigenen Grenzen einen Atomtest durchgeführt. In ungeschminkten, einfachen Worten: Sie haben eine Bombe gezündet. Unsere Aufklärungsinstrumente sagen das ganz unmißverständlich – es ist eine Bombe, eine Waffe, ein Kriegsgerät, es erzeugt Hitze und Druck und Erschütterung. Das ist keine friedliche Nutzung von Atomenergie, um Wohnungen zu beheizen. Es ist eine rote Bombe, die eine große weiße Wolke ausspuckt wie irgendein Donnergott des alten Eurasiens.

Edgar hält das heutige Datum im Geiste fest. Der 3. Oktober 1951. Er registriert das Datum. Er prägt sich das Datum ein.

Er weiß, dass dies nicht völlig unerwartet kommt. Es ist ihr zweiter Atomtest. Aber die Nachricht ist schlimm, das setzt ihm zu, er muss an die Spione denken, die die Geheimnisse verraten haben, die Aussicht, dass Atomsprengköpfe an die kommunistischen Streitkräfte in Nordkorea geschickt werden. Er spürt, wie sie immer näher kommen, aufholen, überholen. Das setzt ihm zu, verändert ihn äußerlich, während er dasteht, zieht die Haut straffer über sein Gesicht, versiegelt seinen Blick.

Rafferty steht auf dem Teil der Rampe, der unterhalb von Mr Hoover liegt.

Ja, Edgar hält das Datum fest. Er denkt an Pearl Harbor, mal gerade zehn Jahre her, er war an jenem Tag auch in New York, und die Nachricht schien in der Luft zu flimmern, alles im Blitzlichtgewitter, jeder Alltagsgegenstand heiß und aufgeladen.

Jetzt das, denkt er. Die eigene Hitze der Sonne, die ganze Städte verschlingt.

 

Gleason dürfte eigentlich gar nicht hier sein. Genau in diesem Moment findet in einem Studio in Midtown eine Probe statt, und da sollte er sein, bei der Vorbereitung der Sketchserie »The Honeymooners«, die zum ersten Mal in exakt zwei Tagen gesendet wird. Ein Stoff so recht nach Jackies Geschmack, es geht um einen Busfahrer namens Ralph Kramden, der mit seiner Frau Alice in einer armseligen Wohnung in Brooklyn lebt. Gleason findet nichts dabei, eine Probe zu versäumen, um ein paar Fans auf der Tribüne zu unterhalten. Aber Sinatra fühlt sich unbehaglich, all diese Leute, die ihnen die Rückenlehnen abschlabbern. Er ist rituelle Distanz gewohnt. Er will den Menschen nur unter zuvor abgesprochenen Umständen begegnen. Heute hat Frank seinen Italo-Geheimdienst nicht dabei. Und selbst mit Jackie an einer Flanke und Toots an der anderen – ein paar Schweinepriester, die als natürliche Schranke dienen – drängen sich die Leute unablässig heran, demonstrieren ihr Mitteilungsbedürfnis. Er sieht, wie einer nach dem anderen beschließt, dass er unbedingt mit ihm reden muss. Steife Grinsefratzen eiern auf ihn zu. Und wie sie ihn als Bezugspunkt für alles nehmen, was passiert. Einer da unten macht einen schönen Spielzug, sie starren Frank an, wie er wohl reagiert. Der Bierverkäufer stolpert auf einer Stufe, sie starren Frank an, ob er es wohl bemerkt hat.

Er beugt sich hinüber und sagt: »Jack, es ist wirklich großartig, hier zu sein, aber könntest du dir vielleicht mal ein Handtuch übers Gesicht hängen, damit diese Leute sich wieder auf das Spiel konzentrieren können?«

Die Leute wollen, dass Gleason was aus seiner Show bringt. Sie rufen ihm die Sätze zu, die er bringen soll.

Der Fänger ackert sich aus der Hocke hoch, die Falten seines geröteten Nackens sind staubverkrustet. Er hebt seine Maske an, damit er ausspucken kann. Er ist gepolstert und hat überall Stoßstangen, die Lippen rau und schrundig und sonnenschuppig. Das ist das Äußerste, was er sich erlaubt, in der Öffentlichkeit auszuspucken. Seine Spucke schwappt und wabbelt, als sie den Staub trifft, wird sandbraun.

Russ Hodges ist für die mittleren Innings auf die Fernsehseite rübergegangen, er redet weniger, orientiert sich an den Geschehnissen auf dem Monitor. Zwischen den Innings bietet ihm der Statistiker von seinem Hühnchensandwich an, das er als Lunchpaket mitgebracht hat.

Er sagt zu Russ: »Woher der Wehmutsblick heute?«

»Wusste gar nicht, dass ich einen Blick habe. Überhaupt einen. Ich fühle mich gar nicht dazu in der Lage. Hohläugig vielleicht.«

»Nachdenklich«, sagt der Erbsenzähler.

Das stimmt, und er weiß es auch, Russ ist wehmütig und schweift ab, und das ist so verdammt komisch, seine Stimmung den ganzen Tag schon, so ein Zurücklehnen, ein altes knarziges Zurücksinken, wie ein grauhaariger Mann in einem Schaukelstuhl.

»Hühnchen mit was?«

»Mayonnaise, würd ich sagen.«

»Komisch, wissen Sie«, sagt Russ, »aber ich glaube, es liegt an Charlotte, dass ich heute so aus der Wäsche gucke.«

»Der Dame oder der Stadt?«

»An der Stadt natürlich. Ich habe in einem Studio Jahre damit zugebracht, wichtige Oberliga-Spiele nachzuerfinden. Im Hintergrund klackerte der Telegrafenlocher, und das ganze Drumherum saugte sich Schwadroneur Hodges zu neunundneunzig Prozent aus den Fingern. Ich will Ihnen mal was sagen, Pfadfin

»Echten Baseball.«

»Das, was bei Tageslicht passiert.«

Einer gibt dir ein Stück Papier voller Buchstaben und Zahlen, und du musst ein Baseballspiel daraus machen. Du bestimmst das Wetter, erfüllst die Spieler mit Leben, lässt sie schwitzen und motzen und sich die Hosen hochziehen, und es ist bemerkenswert, denkt Russ, wie viel irdische Erregung, wie viel Sommer und Staub man schon aus einem einzigen, flachen lateinischen Buchstaben heraufbeschwören kann.

»Was Maglie da wirft, ist aber alles andere als eine Stümperkurve«, sagt er ins Mikro.

Als er noch Geisterspiele kommentierte, verlegte er die Handlung auch gern auf die Tribünen, erfand etwa einen Jungen, der hinter einem Foul Ball herrennt, einen karottenschöpfigen Knirps mit hochstehender Tolle (ich bin schamlos, wie), der sich den Ball schnappt und ihn hochhält, diese Hundertdreißig-Gramm-Kugel aus Kork, Gummi, Zwirn, Rosshaar und Spiralnähten, einen Souvenir-Baseball, eigentlich ein unbezahlbares Objekt, das die gesamte Geschichte des Spiels jedes Mal zu rekapitulieren scheint, wenn man es wirft oder schlägt oder berührt.

Er steckt sich den letzten Bissen Sandwich in den Mund und leckt den Daumen ab und erinnert sich wieder daran, wo er ist, weit weg von dem fensterlosen Raum mit dem Telegrafisten und den Morsebotschaften.

Drüben auf der Radioseite sagt der Sendeleiter: »Hast du letzte Woche in der Zeitung die Sache mit Einstein gelesen?« Der Techniker: »Welcher Einstein?«

»Albert, der mit dem Haar. Irgendein Reporter hat gesagt, er soll doch mal die Wahrscheinlichkeitsrechnung für die heiße

»Was weiß der denn schon davon?«

»Anscheinend nicht viel. Letzten Freitag hat er sich für die Dodgers entschieden, dass die die Giants rausschmeißen.«

Der Techniker redet durch die Decke mit seinem Kollegen von KMOX. Die Neuheit dieser Decke bringt die Leute dazu, sich im Knastjargon zu unterhalten. Wenn sie auf schwarzen Dialekt umschalten, bringt der Sendeleiter sie zum Schweigen, aber kurz darauf sind sie wieder dabei und mimen ein paar zugekiffte Neger im rauchigen Murmeln irgendeines Kellers. Natürlich nicht laut genug, um vom Mikro erfasst zu werden. Ein Atmogeräusch, wie zufälliges Stimmengewirr auf den Mannschaftssitzen – ein Knistern, eine Struktur, eine Verästelung des Spiels.

Unten in den Logen wollen sie, dass Gleason sagt: »Ihr seid ein Spi-pi-pi-pitzenpublikum.«

Russ geht wieder zur Radioseite zurück, nachdem die Giants in ihrer Hälfte des sechsten Innings versagt haben, immer noch ein Punkt Rückstand. Er ist froh, dass er kein Thermometer dabeihat, er könnte in Versuchung geraten, es zu gebrauchen, und das wäre demoralisierend. Es ist ein milder Tag, ein Glück, und der Regen bleibt aus.

Der Sendeleiter: »Bleibt spannend bis zum Schluss, Russ.«

»Hoffentlich mach ich nicht dicht. Mein Kehlkopf fühlt sich an wie im Schraubstock.«

»Wir sind hier beim Funk, Kumpel. Kannste nicht dicht machen. Denk dran, was da draußen los ist. Die knutschen ihre kleinen Kofferradios.«

»Davon geht’s mir auch nicht besser, vielen Dank.«

»Die kleben an ihren Empfängern, gottverdammich. Du bist Al Murrow aus London, und du musst über den Blitz berichten.«

»Schone deine Stimme.«

»Tu was ich kann.«

»Dieses Spiel ist überall. Jeder Dow-Jones-Ticker schnattert den Stand mit den Börsennotizen raus. Jede Bar in der Stadt, garantiert. Die schmuggeln Radios in die Konferenzräume. Bei Schrafft’s unterbrechen sie angeblich die Musikberieselung, um den Spielstand durchzugeben.«

»All die netten Damen mit ihren abgestimmten Twinsets und vornehmen Schnittchen.«

»Schone deine Stimme«, sagt Al.

»Haben die Tee mit Honig auf der Speisekarte?«

»Die essen und trinken Baseball. Der Kommentator bei den Pferderennen in Belmont informiert zwischendurch über den neuesten Stand. Und den hörst du auch in Taxis und beim Friseur und beim Arzt.«

Alle warten auf den Werfer, sein Gesicht ist eine einzige Vorahnung, der Oberkörper vorgestreckt, die Handschuhhand baumelt auf Kniehöhe. Er liest das Zeichen wieder und wieder. Er liest das Zeichen. Der Schlagmann zappelt auf seiner Position herum. Dieser Teufelskerl hat einen Wahnsinnswurf drauf.

Der Shortstop tritt von einem Fuß auf den anderen, um die Trance des Wartens zu durchbrechen.

Das ist das Gesetz der Konfrontation, getreulich befolgt und jedem trantütigen Werfer ins Gesicht geschrieben, seit es Mannschaften gibt, die Superbas und die Bridegrooms heißen. Der Unterschied kommt, wenn der Ball geschlagen wird. Dann ist nichts mehr wie zuvor. Die Männer geraten in Bewegung, springen aus der Hocke auf, und alles gehorcht dem Kieselhüpfen des Balls, den Drehungen und Backspins und Luftströmungen. Es gibt Koeffizienten des Luftwiderstandes. Es gibt Rücktriftwirbel. Es gibt lauter Dinge, die unwiederholbar Anwendung finden, die Erinnerung der Muskeln, das Pumpen des Blutes, Staubpartikel

Und auch die Menge befindet sich in diesem verlorenen Raum, die Menge, die sich in jener Tausendstelsekunde wandelt, wenn der Schläger und der Baseball aufeinandertreffen. Ein Rascheln aus Murmeln und Flüchen, Leute, die leise stöhnend keuchen, deren Gesichter sich verändern, während sich auf dem Rasen das Spiel entfaltet, ihr ganzes Blickfeld einnimmt. John Edgar Hoover steht mitten unter ihnen. Er schaut von dem breiten Gang oben an der Rampe zu. Er hat Rafferty gesagt, dass er bleibt. Bringt doch nichts, wenn er weggeht. Das Weiße Haus wird es in weniger als einer Stunde verkünden. Edgar hasst Harry Truman, er würde gern miterleben, wie der sich, gefällt von Brustschmerzen, auf dem Parkett windet, aber das Timing des Präsidenten kann er kaum kritisieren. Wenn wir es zuerst bekanntgeben, hindern wir die Sowjets daran, dem Ereignis ihre eigene hübsche Wendung zu geben. Und wir besänftigen die öffentliche Besorgnis zu einem gewissen Maß. Die Leute werden begreifen, dass wir die Nachricht unter Kontrolle haben, wenn schon nicht die Bombe. Das ist durchaus ein Grund zur Sorge. Edgar betrachtet die Gesichter um ihn her, sie sind offen und hoffnungsfroh. Er möchte die Nähe eines Mitbürgers spüren, die Übereinstimmung. Nichts hat all diese Menschen, geprägt durch Sprache und Klima und Lieder und Frühstücksgewohnheiten und die Witze, die sie erzählen, und die Autos, die sie fahren, je so miteinander verbunden wie dies: in der Spalte der Zerstörung zu sitzen. Er versucht, ein Zugehörigkeitsgefühl zu empfinden, den zugedrehten Hahn seiner alten Seele zu öffnen. Aber da ist ein Zustand der Verbitterung, den er nie zu benennen wusste, und sobald er durch den moralischen Niedergang, der sich überall abspielt, eine Bedrohung von außen erfährt, entdeckt er darin etwas Stabilisierendes für seinen Zustand, eine aufbauende Kraft. Natürlich protestiert sein Magengeschwür. Aber er hat