Die drei ???® Kids
Band 48
Mit Illustrationen von Harald Juch
KOSMOS
Umschlag- und Innenillustrationen von Harald Juch, Berlin
Umschlaggestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
Grundlayout: Friedhelm Steinen-Broo, eStudio Calamar
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© 2011, 2012, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
ISBN 978-3-440-13420-7
Satz: DOPPELPUNKT, Stuttgart
eBook-Konvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
»Hey, Freunde, habt ihr das schon gesehen?« Peter Shaw deutete aufgeregt auf eine der vielen Buden, die im Hafen von Rocky Beach aufgebaut waren. Dort wurde wie jedes Jahr im Herbst das große Fischerfest gefeiert, und natürlich waren auch die drei ??? mit dabei. Sie hatten Ferien und deswegen Zeit, sich die merkwürdigen Kuriositäten anzusehen, die sich im Laufe der Jahrhunderte in den Häusern der Fischer angesammelt hatten. Neben den Ausstellungen wurde auch ein ziemlich spannendes Geschicklichkeitsspiel angeboten, bei dem man das echte Schwert eines Schwertfisches erbeuten konnte. Peter Shaw war ganz wild darauf, den Wettbewerb in diesem Jahr zu gewinnen.
Doch im Augenblick war er von etwas ganz anderem fasziniert. Seine ausgestreckte Hand zeigte auf ein Ding, das wie das präparierte Skelett eines merkwürdigen Tieres aussah. Es war so lang wie eine Katze, aber viel flacher, und statt Beinen hatte es kurze krallenartige Klauen. »Was ist denn das, Freunde?«, fragte Peter erstaunt, während er sich über das Skelett beugte.
Bob Andrews und Justus Jonas schüttelten ratlos die Köpfe. »So etwas habe ich noch nie gesehen«, gab Bob zu.
»Na, wohl noch nie was von einer Schirvag gehört, du Landratte?«, dröhnte da die Stimme eines alten Fischers hinter dem Stand hervor.
»Äh … nein«, stotterte Peter. »Ist das der Name dieses Tieres?«
»Blödsinn«, kommentierte Justus trocken. »Ein Tier namens Schirvag gibt es nicht. Das wüsste ich.«
»Und wieso bist du dir da so sicher?«, erkundigte sich Bob und nahm seine Brille ab, um sie an seinem verwaschenen T-Shirt zu putzen, ehe er sie wieder aufsetzte und das seltsame Skelett erneut betrachtete. »Es gibt viele Tiere auf der Erde, deren Namen auch du noch nicht gehört hast, Just!«
»Aber was wir hier vor uns haben ist ein Fabelwesen, Freunde«, gab Justus zurück.
»Ein Wesen aus dem Reich der Fantasie?«, fragte Peter nach. »Das klingt ja schön und gut. Aber kannst du mir dann vielleicht erklären, wie dieses sehr real aussehende Skelett eines Fantasietieres auf diesen Tisch kommt? Hat es sich aus einem Schauermärchen in die wirkliche Welt materialisiert oder was?«
»So könnte man es durchaus sagen, Peter«, nickte Justus. »Aber bevor wir uns weiter in wenig sinnvolle Schlussfolgerungen verstricken, würde ich dich bitten, einen Blick auf den Namen dieses Standes zu werfen. Er steht direkt über dir!«
Peter legte den Kopf in den Nacken und sah nach oben. Tatsächlich stand auf einem alten Holzschild in großen Buchstaben: BESTES SEEMANNSGARN ZU EHRLICHEN PREISEN.
»Was soll das denn heißen?«, fragte Peter.
Justus lachte vergnügt. »Das ist doch klar. Seemannsgarn nennt man die Schauermärchen und wunderlichen Erzählungen der Seeleute. Und wenn hier echt wirkende Dinge wie dieses Skelett verkauft werden, dürfte das wohl bedeuten, dass wir es mit Sachen zu tun haben, zu denen Seeleute Geschichten erfunden haben. Dinge also, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Und das trifft dann wohl auch auf eine Schirvag zu. Trotzdem muss ich bekennen, dass ich das Wort noch nie zuvor gehört habe.«
Neugierig blickte Justus zu dem Fischer hinter dem Verkaufstisch. Dieser starrte den Jungen mit offenem Mund an. »Hey, so geschwollen habe ich ja noch niemanden erklären gehört, dass es sich an meinem Stand um Märchenfiguren handelt. Aber du hast recht. Eine Schirvag ist eine Schiffsratte von außergewöhnlicher Größe. Das Skelett habe ich aus verschiedenen Knochen zusammengebaut. Es klappert sogar, wenn man es schüttelt!«
»Cool!« Bob fuhr mit der Hand über das Skelett und schüttelte es leicht. Tatsächlich klapperten die Knochen leise.
»Und, wollt ihr es kaufen?«, fragte der Fischer grinsend. »Es kostet drei Dollar!«
Peter lächelte. »Ja, sehr gerne.« Er gab dem Mann das Geld, dann reichte er Justus die Schirvag. »Hier, das schenke ich dir für deine ewige Besserwisserei. Du bist auch so eine Art Schirvag. In deinem Fall heißt das allerdings nicht Schiffsratte von außergewöhnlicher Größe, sondern Schwachsinnsaufdecker von außergewöhnlicher Gabe!«
Mit einer kleinen Verbeugung reichte Peter seinem Freund das Gerippe. Dann drehte er sich um und zeigte auf den hinteren Teil des Festplatzes. »Da drüben findet gleich der Geschicklichkeits-Wettbewerb statt. Ob ich wohl dieses Jahr gewinne? Das wäre echt klasse, denn bisher hat mich Jerry Schlacks immer geschlagen.«
Bob grinste breit. »Dann sieht es auch dieses Jahr nicht besonders gut für dich aus, Peter. Schau mal, wer da hinten steht!«
Jerry Schlacks war ein etwas älterer Junge, mit dem sich Peter schon immer gut verstanden hatte. Er betrieb eine Surfbude an einem Strandabschnitt, der gleich hinter der Steilküste lag. Alle in Rocky Beach nannten dieses Strandstück einfach Jerrys Bucht. Jerry vermietete dort Surfbretter stunden- oder tageweise an Touristen und Wellenreiter, die nach Rocky Beach kamen. Im Pazifik vor seiner Strandbude herrschte eine sanfte Strömung, die den Ozean in großen langen Wellen auf die Küste zutrieb. Dort fiel es auch Anfängern leicht, das Surfen zu lernen. Peter hatte Jerry in der Schule kennengelernt, wo dieser ab und zu im Sportunterricht aushalf, wenn es um die Grundbegriffe des Wellenreitens ging.
»Ach ja, das ist wirklich Jerry!«, rief Peter, als er den hochaufgeschossenen jungen Mann mit der wilden blonden Mähne auf dem Kopf entdeckte. »Freunde, dann fürchte ich auch, dass es dieses Jahr wieder nichts mit dem Sieg im Piratenduell wird. Jerry ist der beste Surfer, den ich kenne, und er ist mir in allen Geschicklichkeitsspielen bisher immer haushoch überlegen gewesen.«
Die drei ??? liefen zu Jerry hinüber, der an einem Stand mit alten Schiffsausrüstungsgegenständen stand und gerade einen dicken Holzhammer in der Hand hielt. »Hey, Peter!«, rief er fröhlich, als er diesen ankommen sah. »Hast du so etwas schon mal gesehen?« Er schwenkte den Holzhammer durch die Luft. »Das ist ein alter Narkosehammer aus dem Medizinkoffer eines Schiffsarztes von vor über 150 Jahren. Damit hat man die Patienten damals vor einer schmerzhaften Behandlung mit einem Schlag auf den Kopf in Tiefschlaf versetzt.«
Mit einem breiten Lächeln begrüßte er auch Bob und Justus. Zusammen betrachteten die Freunde die Gegenstände, die an dem Stand ausgestellt waren. Neben dem Narkosehammer gab es noch das echte Holzbein eines Piraten, eine Knochensäge und ein Beißholz. Justus schüttelte abwehrend den Kopf. »Freunde, ich muss zugeben, dass ich mich außerordentlich glücklich schätze, heute und nicht im Jahr 1850 zu leben. So ein Beißholz hat man nämlich den armen Patienten bei Operationen in den Mund gesteckt, damit sie bei heftigen Schmerzen die Zähne darauf zusammenbeißen konnten!«
»Und was haben die Leute damals beim Zahnarzt gemacht?«, fragte Jerry grinsend.
Justus sah auf. »Nichts! Da mussten sie den Schmerz mit offenem Mund ertragen. Oder den Narkosehammer wählen …«
»Brrr!« Jerry schüttelte sich. »Das ist ja wirklich grausam gewesen.« Doch dann lachte er gleich wieder. »Hey, Peter, hast du schon gesehen, was es dieses Jahr für ein Wettspiel gibt?«
»Nein«, antwortete Peter, »was ist es denn?«
»Eine Seifenplanke!«, rief Jerry begeistert. »Ein schmaler Balken ist dick mit Schmierseife eingerieben, und über dieses Ding muss man einen sieben Kilo schweren Fisch von einem Ende zum anderen transportieren, ohne abzurutschen und runterzufallen.«
»Krass!« Bob machte einen Luftsprung. »Da mache ich auch mit! Los, Justus, du auch! Das ist ein super Spiel, da muss man sein Gleichgewicht bewahren.«
Justus sah zu dem hohen Balken hinüber, der zwischen zwei alten Fischerkähnen lag, die extra dafür an Land gehievt worden waren. Darunter war ein großer Haufen alter Netze aufgetürmt, in die man weich fiel, wenn man den Gang über den Balken nicht schaffte. Justus’ Blick ruhte eine Weile auf dem vor Schmierseife glänzenden Balken. »Ich glaube nicht, dass ich das Schwert eines Schwertfisches unbedingt brauche«, murmelte er. »Ich wüsste gar nicht, was ich damit anfangen soll …«
»Aber Just!«, rief Peter. »Es ist eine Trophäe! So etwas hängt man sich an die Wand und ist stolz darauf.«
»Oder man stellt es in seiner Bretterbude am Strand auf«, gluckste Jerry vergnügt. »Das macht Eindruck bei den Kunden, die ein Surfbrett mieten wollen. Letztes Jahr habe ich eine riesige Muschel gewonnen, und die Leute, die zu mir kommen, wollen immer wissen, wo die Muschel herkommt. In ein bis zwei Wochen werden noch mal eine Menge Surfer zu mir kommen und meine Schätze bewundern, denn jetzt beginnen wieder die berühmten Round Waves!«
»Ach, du meinst die sogenannte Rundwellenströmung, die einmal im Jahr vor der Küste von Rocky Beach für ganz außergewöhnliche Wellen sorgt?«, rief Peter.