Bei der Übersetzung dieses Buches haben wir versucht, uns so nahe wie möglich an der ursprünglichen Stilistik des Autors zu orientieren. Dies umfasst neben dem ursprünglichen Schreibstil unter anderem auch die Verwendung verschiedener Zeiten und den Gebrauch von direkter und indirekter Rede.
Impressum
Deutsche Erstausgabe
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
‚The Life of James Brown’ bei Omnibus Press.
Copyright © 1996 by Omnibus Press
Copyright © 2007 update by Omnibus Press
Copyright © 2008 by Bosworth Music GmbH, Berlin, für die deutsche Erstausgabe
Copyright © 2010 Bosworth Music GmbH, Berlin
(part of the music sales group)
ISBN: 978-0-85712-294-0
Deutsche Übersetzung: Susanne Pastorini
Lektorat: Monika Krämer
Satz und Layout: Anet Scheuer
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Information Page
Einleitung
Vorwort
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Auswahldiskografie
James Brown hatte sich die Bedeutung von Weihnachten stets zunutze gemacht. In den Tagen vor dem Fest war es ihm zur Tradition geworden, jedes Jahr Spielzeug an Kinder in Augusta, Georgia, zu verschenken, und sein umfangreicher Backkatalog umfasste spezielle Weihnachtsalben und viele saisonale Single-Veröffentlichungen wie Let’s Make Christmas Mean Something This Year, Santa Claus Goes Straight To The Ghetto und Let’s Unite The Whole World At Christmas. So gesehen lag im traurigen und vorzeitigen Tod des scheinbar unerschöpflichen, nicht aufzuhaltenden und unverwüstlichen James Brown, der am ersten Weihnachtsfeiertag 2006 starb, etwas Unvermeidbares und Angemessenes. Es war allerdings keineswegs so, dass er seinen Tod geplant hätte. Ganz im Gegenteil, der Terminplan des Schwerstarbeiters im Showbusiness war ausgebucht bis zum folgenden Sommer und sein neues Album zum Teil bereits fertig-gestellt. Doch der Körper, der in den Fünfzigern, Sechzigern und Sieb-zigern auf den Bühnen weltweit an seine Grenzen gegangen und in den darauffolgenden Jahrzehnten durch Drogen verwüstet worden war, die James genommen hatte, um körperliche Schmerzen zu lindern und seine Dämonen zu verjagen, war anderer Meinung und setzte schließlich einer der prägendsten Karrieren der Nachkriegsjahre ein Ende.
Tatsächlich wurde im ersten Satz der Einleitung zu der 1996 veröffentlichten Erstausgabe dieses Buches die Feststellung getroffen, dass nur wenige Künstler einen nachhaltigeren Effekt auf die Richtung der afro-amerikanischen Musik nach dem Zweiten Weltkrieg gehabt hatten als Brown. Sein Einfluss war in der Tat noch umfassender gewesen, da die von ihm in den Sechzigern etablierten Funk-Rhythmen von weißen Rock-und Pop-Acts adaptiert worden waren und bis nach Europa, Afrika und Fernost gelangten. Er war zum Universal James geworden, wie der Titel eines seiner späteren, weniger bedeutenden Alben lautete.
Die wegweisenden Arrangements des Sängers und seiner Gruppen in der Periode zwischen 1965 und 1972 hatten der afroamerikanischen Musik, einer ohnehin bereits vielfältigen Gattung in der Geschichte, ein völlig neues Genre hinzugefügt. Der ursprünglichste Sänger, der jemals ohne jegliche Unterstützung eines Major Labels in den weißen Popmarkt einge-drungen war und sich den Status eines Bestseller-Acts in Schwarzamerika erworben hatte, hatte den „Funk“-Stil erfunden, aus dem Sly Stone und George Clinton maßgebliche Varianten entwickelten. Dank dem Durchsi-ckerungs-Effekt des Boogaloo diente seine Musik bis heute als Wegweiser für weite Bereiche der westlichen Populärmusik. Vierzig Jahre später sind viele der Tanzsounds im neuen Jahrhundert direkte Abkömmlinge seiner revolutionärsten Stile.
Im Laufe seiner 73 Jahre hat Mr. Brown, wie er es vorzog genannt zu werden, zweimal seine Autobiografie niedergeschrieben. Das vorliegende Buch wurde aus einem alternativen Blickwinkel heraus und von einem objektiveren Standpunkt aus verfasst, hat allerdings nicht das Ziel, dasselbe für ihn zu machen wie die Texte von Albert Goldman für Elvis Presley und John Lennon. Eigentlich hätte Mr. Cliff White diesen Band schreiben sollen, der unvergleichliche Archivar und Experte in Bezug auf den Godfather of Soul. Für seine Sleeve Notes zu dem 1991 erschienenen, aus vier CDs bestehenden Box-Set Star Time erhielt er zusammen mit seinen Co-Autoren (Harry Weinger, Alan Leeds und Mr. Brown) einen Grammy. Da er allerdings hüfthoch in unveröffentlichten Interviews, noch nicht abgehörten Tapes und ungelesenen Zeitungsausschnitten steckte und sein Interesse an einem Buch daher abgeflaut war, reichte er dieses Vorhaben an mich weiter. Cliff hatte für mich für meine Titelgeschichte in der britischen Zeitschrift Black Music geschrieben, und hier war seine Revanche.
Zunächst einmal einige allgemeine Eindrücke von Mr. Brown via Mr. White, der im Gegensatz zu meinen Begegnungen, die auf einem professionelleren Niveau von Journalist/Autor zu Interviewtem stattgefunden hatten, recht gute persönliche Kenntnisse hatte. Man musste nicht allzu häufig im James-Brown-Lager herumhängen oder sich in der Gesellschaft der stetig zunehmenden Armee seiner ehemaligen Mitarbeiter aufhalten, um die Information weitergeben zu können, dass er ein reizbarer und zuweilen extrem unangenehmer Kerl war. Diese Offenbarung war stets von einem „Aber …“ begleitet.
Mr. White, der seit 1973 am Rande des JB-Zirkusses herumgeflattert war, hatte Mr. Brown mehrmals in explosiver Aktion gesehen: irrational, manipulativ, polarisierend, rachsüchtig, außerordentlich egozentrisch, pervers und nachdrücklich einschüchternd, mit einem Temperament, das sich in Türenknallen äußerte und das man fühlen und sehen konnte – das entlang eines Flurs, um die Ecke, eine Treppe hinunter und von den Wänden eines weit entfernten Zufluchtsortes widerhallte, wo das nächste Opfer darauf wartete, in die Gladiatorenarena zitiert zu werden. Wenn das sprunghafte Temperament von James Brown alles wäre, was es zu sagen gibt, na, dann könnten wir dieses Buch doch sogleich beenden.
Mit einem seltenen Understatement sagte Mr. Brown einmal: „Ich bin kein gewalttätiger Mensch. Ich kann allerdings gewalttätig werden.“ Er hätte besser zugeben sollen, ein übellauniger, unverbesserlich emotionaler, leibhaftiger Schläger zu sein. Wenn sich die Nadel der roten Zone näherte, war es an der Zeit, das zu ertragen und den Mund zu halten. Er konnte rücksichtslos und brutal sein. Eine Liste von Personen, die seinen physischen Angriffen ausgesetzt war, wäre nicht gerade kurz und würde sich nicht nur auf die männliche Gattung beschränken. Er war ebenso dafür verantwortlich, seine Ehefrauen und Freundinnen zu misshandeln wie auch seine männlichen Kollegen und Feinde zu verletzen, seien Letztere nun tatsächlich existent oder nur in seiner Einbildung vorhanden.
Es gibt eine ganze Reihe von oberflächlich erklärenden Theorien über den gründlich unterprivilegierten, ungeheuer armen, ungebildeten, zerlumpten schwarzen Zwerg, der ohne viel Liebe, Behaglichkeit, elterliche Führung und ohne richtiges Zuhause im tiefsten geteilten Süden buchstäblich für sich selbst kämpfen musste, und wie er es schaffte zu überleben, ganz zu schweigen davon, einer der erfolgreichsten und bedeutendsten schwarzen Entertainer des Jahrhunderts zu werden. Ziehen Sie aufgrund der Tatsachen Ihre eigenen Schlüsse. Wie er allerdings hinzufügt, wurde Mr. White in den 29 Jahren seiner Bekanntschaft mit Mr. Brown stets mit Zuvorkommenheit und Freundlichkeit und, wie er vermutete, auch mit Freundschaft empfangen.
Die meisten Musiker, die für Mr. Brown gearbeitet hatten, haben behauptet, dass er ihre musikalischen Ideen ohne angemessene Anerkennung oder finanzielle Entlohnung verwendet habe. Für fast jeden, der für Mr. Brown arbeitete, lief es letztendlich darauf hinaus, dass sich eine Anti-pathie gegen ihn entwickelte oder man seiner Gesellschaft überdrüssig wurde; bei einer zu engen Vertrautheit im Arbeitsumfeld kann das allerdings auch dem Gleichmütigsten unter uns passieren, gar nicht zu reden davon, wie verheerend das Miteinander von feurigen und kreativen Temperamenten sein kann, wenn man unterwegs ständig auf Tuchfühlung ist. Einige entwickelten bittere Gefühle, anderen tat er sogar leid. Doch trotz alledem hatte jedermann ungeheuren Respekt vor seiner Leistung, selbst wenn einige das Gefühl hatten, er sei in ihrem Kielwasser geschwommen.
Und was genau war nun die Leistung von James Brown?
Obwohl Statistiken unzulängliche Vermittler sein können, sind sie doch eine brauchbare Ausgangsbasis. Hinsichtlich der Charts-Hits in Amerika war James Brown der bei weitem erfolgreichste afroamerikanische Recording Artist in der Geschichte des Platten-Entertainments. Zusammen mit den Elvis Presleys, den Beatles und Bing Crosbys der weißen Popwelt stand er ganz oben. Es geht hier nicht um die weltweiten Verkäufe von einzelnen Platten, sondern um permanente und konsequente Soul-Power, mittels derer er einen Hit nach dem anderen hervorgezaubert hat.
James Brown hatte die schwarzamerikanische Musik nahezu fünfzehn Jahre lang dominiert. Und fünfzehn Jahre später hatte man ihn dermaßen oft gesampelt, dass seine Originalaufnahmen international gesehen häufiger als die Musik irgendeines anderen Popstars zu hören waren. Vernünftigen und verbindlichen Schätzungen zufolge hat die Anzahl von JB-Samples – zerstückelt, zunächst ohne Credits und unbezahlt, wobei sich häufig ein Jive-Fan den Spaß gemacht hat, seinem funkigen Riff eine Techno-Phantasie oder einfache, intuitive „Unh!“s zu überlegen – die Dreitausender-Marke überschritten. Man hörte oft, das Sampling sei ein Tribut gewesen. Vielleicht war es in gewisser Weise die wohlverdiente Strafe für einen Mann, der seine besten Licks angeblich seinen Musikern verdankte. Zumindest hatte Mr. Brown Leute engagiert, alles echte Musiker, damit sie sein Draufgängertum unterstützten, und die von ihnen kreierte Musik war einzigartig, inspiriert und phänomenal kraftvoll.
Zusätzlich zu seiner Chart-Power und dem unermüdlichen Tourneeplan trieb ihn seine zielstrebige Entschlossenheit voran, und er wurde zu einer Ikone für das sich verändernde Gesicht, das Schicksal und die Sehnsüchte Schwarzamerikas. Sein Aufstieg zum Ruhm traf unmittelbar mit der amerikanischen Bürgerrechtsrevolution zusammen, und er wurde schließlich zum Repräsentanten des amerikanischen Traums, indem er aus unvorstellbarer Armut und brutaler Segregation emporstieg und persönlich riesigen unternehmerischen Erfolg hatte, wobei es schien, als hielte er sein Schicksal fest in der Hand. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere, während der zweiten Hälfte der Sechziger und den frühen Siebzigern, spielte James Brown eine eigenständige Rolle in der Musikbranche, die niemals wieder erreicht werden wird, da wir in einer völlig anderen Zeit leben. Die Gesell-schaft hat sich verändert und die Musikbranche ebenfalls. Musik wird heute anders gemacht, vermarktet, vertrieben und verkauft.
In den wenigen Jahren vor dem Wechsel James Browns vom Independent-Label King zum internationalen Unternehmen Polydor 1971 war er darum bemüht, den Status quo zu kippen und gleichzeitig ein Teil davon zu werden. Seine Ziele waren traditionell typisch amerikanisch, seine Leistung für das Establishment jedoch ein Alarmzeichen. Hier war ein unkonventioneller afroamerikanischer Entertainer, buchstäblich ein Hinterwäldler, der musikalisch ganz plötzlich noch nie dagewesene Schritte vollzog, nationalpolitisch auf die Pauke haute, seine Karriere selbst kontrollierte, eine Entourage von ungefähr fünfzig Leuten führte und ernährte, in seinem Privatflugzeug quer durch die Nation flitzte, die Ghettos um sich versammelte, Rundfunksender aufkaufte und die Lancierung von personenbezogenen Lebensmittelmarken und Soul-Food-Restaurants ankündigte. Hier war ein äußerst ernstzunehmender Herausforderer.
In Wirklichkeit war er politisch gesehen recht naiv, und viele seiner geschäftlichen Unternehmungen waren nicht unbedingt ein durchschla-gender Erfolg. Für das Establishment war er niemals eine wirkliche Bedrohung, da er an dieses glaubte und unbedingt dazugehören wollte. Trotz alledem schien es so, als wäre er eine Zeitlang außer Kontrolle geraten. Es ist schon als halbes Wunder zu bezeichnen, dass im nervösen Klima Ende der Sechziger kein Attentat auf ihn verübt wurde – von einer oder der anderen Seite der beiden getrennten Rassen. Sicherlich hatten militante Black Panthers Zweifel an seiner Loyalität geäußert, als er während dieser unsicheren Zeiten nicht mit ihnen zusammenarbeiten wollte, während das weiße politische Establishment wahrscheinlich schlussfolgerte, dass der Einfluss von James Brown begrenzt sei und er nicht bedrohlich genug war, um eine Märtyrerschaft zu rechtfertigen. Oder vielleicht war es auch seine große Popularität, die ihn rettete.
Auf dem Höhepunkt der amerikanischen Bürgerrechtsunruhen hätte ein Angriff auf das Leben von James Brown sicherlich massive nationale Rassenaufstände ausgelöst. Stattdessen war er dazu ausersehen, die Flut von Zorn, Verlust und Schmerz zu unterdrücken, die nach der Ermordung von Dr. Martin Luther King hochgekocht war. Desgleichen konnten auch militante Schwarze die Popularität Browns nicht auf die leichte Schulter nehmen. Zwar mochten sie von seiner Verneigung vor dem Establishment angewidert sein, doch wie sollten sie in der Lage sein, die Bruderschaft zusammenzuhalten, wenn sie ihrem musikalischen Sprecher, dem offensichtlichsten nationalen Sprecher Schaden zugefügt hätten? Also überlebte James Brown angesichts der nahenden Siebziger in dieser heiklen Balance.
Mitte der Siebziger geriet seine Welt aus den Fugen. Hits hatte er ebenfalls keine mehr. Zu diesem Zeitpunkt setzten seine starke Paranoia und die Konspirativtheorien ein, und er begann mit dem Konsum von illegalen Betäubungsmitteln. In den Achtzigern konnte er ein großes, wenn auch kurzfristiges Comeback feiern, das ihm außerdem die so sehr erhoffte Akzeptanz des Establishments einbrachte. Doch seine Unfähigkeit, entweder den Alterungsprozess zu akzeptieren oder sich in die neue Rolle des Elder Statesman des Funk hineinzufinden, eine Rolle, die er Mitte der Neunziger mit Begeisterung spielte, bedeutete, dass sein musikalischer Abstieg so weit fortgeschritten war, dass es ihm nicht mehr möglich war, seine neue Musik mit derselben Vitalität zu füllen wie zuvor.
Die beiden Autobiografien von James Brown hießen The Godfather Of Soul, die der Autor Bruce Tucker für ihn zusammenstellte und die 1986 zuerst in den USA veröffentlicht wurde, und I Feel Good: A Memoir Of A Life In Soul mit einer Einführung von Marc Eliot, dem Biographen von Barry White, Donna Summer und anderen, die 2005 erschien. Wie die meisten Autobiografien und in der Tat viele „autorisierte“ Biografien besitzen diese Bücher ihren Teil an Halbwahrheiten, Selbstrecht-fertigungen und Geschichtsumschreibungen. In Godfather Of Soul zum Beispiel behauptete Brown in einem Gespräch über die Hitplatte von The 5 Royales, Think: „King Records wollte, dass ich das 1960 in derselben Session wie You’ve Got The Power aufnehmen sollte, aber ich wollte das nicht. Ich wusste, dass es The 5 Royales schaden würde. Ich habe abge-wartet, bis sie [The 5 Royales] Please Please Please aufgenommen haben und habe dann gedacht, dass es in Ordnung wäre, Think aufzunehmen.“ Die originalen Tapesessions dieser Aufnahmen sind noch intakt und zeigen auf, dass James Brown And The Famous Flames dreizehn Takes von Think inklusive der Hit-Veröffentlichung aufgenommen hatten, und zwar in derselben Session wie You’ve Got The Power am 20. Februar 1960. Warum er sich dafür entschieden hatte, diese Tatsache zu ignorieren, ist nicht klar. Seiner eigenen Version der Ereignisse scheint ein völlig unnötiger Versuch zugrunde zu liegen, seine Neuinterpretation des Songs der anderen Gruppe zu rechtfertigen. In diesem Falle hätte er zu Recht damit prahlen können: „Wir haben es uns gepackt, es verändert und sie ausein-andergenommen!“
Trotz dieser Mängel ist Godfather Of Soul, die erste Epistel von Mr. Dynamite, zum Teil eine überraschend unverblümte und detaillierte Darstellung von jemandem, der schon zu Lebzeiten eine Legende war, und stellte insofern für nachfolgende Biographen ein Dilemma dar. Eine vollständige Darstellung seines Lebens wird augenscheinlich nicht viel Neues hervor-bringen. Da wir uns nicht erdreisten können, uns mit den Erinnerungen Mr. Browns an sein Privatleben und vor allem seine frühen prägenden Jahre messen zu können oder diese in Frage zu stellen, wird es hier kaum berührt. Nach einer sehr kurzen Zusammenfassung jener Jahre beginnt dieses Buch in Toccoa, Georgia, wo James Brown im Juni 1952, einen Monat nach seinem 19. Geburtstag, aus dem Gefängnis entlassen wurde.
Die darauffolgenden wenigen Jahre sind hauptsächlich Mr. Bobby Byrd gewidmet, der die Gruppe gründete, die mit einigen Veränderungen dann zu James Brown And The Famous Flames wurde. Auf Veranlassung von Bobby half die Familie Byrd Brown dabei, auf Bewährung entlassen zu werden und gab ihm die nötige Stabilität, seine launenhafte Unberechen-barkeit in die richtigen Bahnen zu lenken. Bobby und James wurden enge Freunde und formten eine symbiotische Beziehung, die mit einigen Unterbrechungen bis in die Siebziger andauerte. Bobby Byrd ist das Spiegelbild von James Brown. Der offene, unkomplizierte Mann mit seiner ruhigen, sanften Natur und seinem Sinn für Humor wird von den verschiedenen Charakteren, die in der James-Brown-Story eine Rolle spielen, generell geschätzt. Außerdem, wie er selbst als Erster zugibt, sind seine Erinne-rungen ein wenig unzuverlässig, was präzise Daten, Namen und Chronologie betrifft. Er ist aber ein aufrichtiger Mensch mit einem großen Fundus an Geschichten über die frühen Jahre, die er mit nur wenigen Unterbrechungen aus seiner Perspektive heraus erzählt.
Einige Teile dieses Buches, die die Mitte der fünfziger bis zur Mitte der sechziger Jahre behandeln, werden jenen bereits vertraut sein, die James Browns Doppel-LP/CD-Compilation Roots Of A Revolution (Polydor) oder seine Autobiografien besitzen. Wichtige Ereignisse werden in nahezu der gleichen Reihenfolge und mit ebensolchem Nachdruck sowohl im 1983 zu Roots Of A Revolution von Mr. White verfassten Booklet erwähnt als auch in Browns erster Autobiografie 1986. Da das Manuskript-Copyright des originalen Booklets bei Mr. White liegt, wiederholen wir hier einige der nötigen Details.
Bei der Vorbereitung zu der Erstausgabe dieses Buches geschah ein Missverständnis, das vielleicht sogar des Godfathers of Soul selbst würdig gewesen wäre, und ich bin froh und erleichtert, dass ich das bei der ersten Gelegenheit richtigstellen kann. Ein Protokoll eines Interviews mit Ralph Bass, dem Produzenten und Talentscout von King Records, der in den Fünfzigern das Demo von James Brown abgehört und darauf bestanden hatte, dass das Label ihn unter Vertrag nahm, tauchte im Archiv auf; ich hatte angenommen, dass es zu den Recherchen von Cliff White gehörte. Falsch. Das Interview wurde von Harry Weinger, dem Fackelträger von James Brown bei Universal Records und Neuauflagenproduzent einer ganzen Reihe von unentbehrlichen CDs im Soul, R&B und anderen Genres geführt und ist und bleibt sein Copyright. Mithin wurde die im Interview beschriebene Episode aus dem Buch entfernt. Man kann sie allerdings in den Sleeve Notes zum Box-Set Star Time noch nachlesen. Und ich entschuldige mich nochmals bei Mr. Weinger für das Missverständnis.
Dass der Autor in der persönlichen Schuld von James Brown steht, kann man bis in eine Zeit zurückverfolgen, als ich Mitte der Sechziger Drummer in einer sogenannten britischen „Soul“-Band war; ich bekenne mich schuldig, zahlreiche Bühnenversionen von JB-Klassikern wie unter anderem I’ll Go Crazy, Think, (Do The) Mashed Potatoes, Night Train, Out Of Sight, I Got You (I Feel Good) und Mashed Potatoes USA durch die Mangel gedreht zu haben. Während ich das niederschreibe, kann ich fühlen, wie meine Handgelenke an Umfang gewinnen, sich die Muskeln in den Vorderarmen anspannen, sich die Schultern zu einem steinharten Buckel versteifen und wir mit funkigem Tempo immer wieder in den Chorus zu Think hineinstürmen, schneller als die Natur und selbst James Brown persönlich es vorgesehen hatten. Stellen Sie sich den Widerstreit zwischen Erleichterung und dem Gefühl des Betrogenseins vor, als ich The James Brown Orchestra auf der Bühne mit mehr als nur einem einzigen mickrigen Drummer sah, um diese donnernden Rhythmen zu schaffen. Andererseits: Selbst wenn ich meine eigenen Bemühungen um das Zehnfache verstärkt hätte, hätte das nicht den geringsten Unterschied gemacht.
Einen längeren Text über James Brown schrieb ich zum ersten Mal im Februar 1973. Ich war Journalist geworden und gehörte zur Belegschaft des Londoner Melody Maker. Ich flog nach Hamburg zu seiner Show in der Musikhalle und verfasste einen Artikel mit dem Aufmacher The real Black Moses unter Verwendung des von Isaac Hayes adaptierten Titels. Fast fünfunddreißig Jahre später scheint dies noch immer ein angemessenes Pseudonym für James Brown zu sein, einen Mann, der sich selbst viele verschiedene Spitznamen verliehen hatte. Trotz aller menschlichen Fehler, ganz besonders Egoismus und Rücksichtslosigkeit, ohne die er sich wohl nie an die Spitze seines Berufes hätte katapultieren können, war James Brown in der Tat ein Moses-ähnlicher Führer des afroamerikanischen Volkes – ganz ohne Frage in der Musik und für kurze Zeit auch ein Vorbild und Überflieger in einer feindseligen Gesellschaft.
Und nun, meine Damen und Herren: It’s Showtime! Doch bevor ich mich daranmache, den Schwerstarbeiter zur Strecke zu bringen, müssen wir zunächst einmal die Namen nennen, ohne deren Hilfe, Geplauder, Zeit, Rat und Unterstützung dieses Buch nicht hätte entstehen können. Zuallererst geht mein Dank an James Brown für die Musik und seine Karriere. Was davon nun außergewöhnlicher war, ist schlecht zu sagen. Ohne beides wären wir heute hier nicht zusammengekommen. Zweitens danke ich Cliff White, der seinen Glauben daran hochgehalten und Fakten und Akten des Funk gehamstert hat und dessen reichhaltiges Archiv auf Papier, Tapes und in Gehirnzellen den Motor in Bewegung hält. Drittens verbeuge ich mich tief vor Chris Charlesworth und Omnibus Books für ihre Geduld und ihr Verständnis.
Für die Kumulation der Interviews im zuvor genannten Archiv und einige meiner eigenen mit den facettenreichen Musikern von James Brown geht mein Dank an Bobby Byrd, Vicki Anderson und das ganze Nest der Byrds, die vielen großartigen Bläser, insbesondere Maceo Parker, Fred Wesley und Alfred „Pee Wee“ Ellis, den unnachahmlichen Williams „Bootsy“ Collins, Tony Cook, „Sweet“ Charles Sherell, Danny Ray. Und an die vielen weiteren Damen in dieser Story, vor allem an Martha High, Marva Whitney und die verstorbene Yvonne Fair. Und an jene, die seit der Erstveröffentlichung dahingeschieden sind, vor allem Lyn Collins, St. Clair Pinckney und Alphonso „Country“ Kellum.
Ebenfalls müssen wir jenen Männern danken, die in der Brownschen Organisation eine nicht-musikalische Rolle gespielt haben: seinem ersten Manager Barry Trimier, Alan Leeds und Bob Patton, jenen, die den Funk niemals abgeschrieben haben wie Harry Weinger und Bill Levenson, Bill Millar, Danny Adler, Trevor Swain, Steve Jackson, Renee Odenhoven, Steve Richards, Tom Payne, Andrew Simons und Neil Slaven.
Danken muss ich zweien meiner jetzigen Kollegen bei der Zeitschrift MOJO, dem Chefredakteur Phil Alexander, und Lois Wilson, Mitarbeiterin und ebenfalls Soul-Fan, die beide so freundlich waren, mir Kopien der von ihnen geführten Interviews zu überlassen, während wir unmittelbar nach Weihnachten 2006 in aller Eile einen James-Brown-Tribut für MOJO zusammenstellten. Schlussendlich noch Dank und freundliche Grüße an Linda White und Catherine, Rebecca und Ella Brown, unsere eigenen „berühmten Flammen“.
Macon, Georgia, 1971.
Die 5th Street in Macon, Georgia, ist eine schlaftrunkene, alte, langsam verfallende Durchgangsstraße zwei Blocks östlich von der Kreuzung 3rd und Cherry im Herzen der Stadt. Im Blickpunkt steht ein stillgelegter Bahnhof. Hochmütiger als seine Nachbarn steht der in die Jahre gekommene Haufen aus Backstein und rostigem Stahl als Monument der Vergangenheit, als Frachtwaggons von den Produkten innerstädtischen Handels überquollen und Generationen hoffnungsvoller Migranten auf der Suche nach dem New Deal durchreisten, am Rande der Straße. Mittlerweile ist er verlassen und vergessen. Keine Busse stören die trostlose Ruhe seines alten Rivalen, des Greyhound-Bus-Depots, eine leere, gekachelte Hülle, deren Kunden lediglich Kakerlaken sind.
Am anderen Ende der Stadt rollen die großen transkontinentalen Busse in einen modernen Kopfbahnhof, und jenseits der Stadtgrenzen wird es im Flughafen von Macon immer lebhafter, wenn weniger geduldige Generationen zu ihrem jeweiligen Ziel düsen. Vielspurige Highways bilden ein Netz von Mobilität und Umleitungen durch die Stadt und um sie herum. Motels, Restaurants, Bars und Eisdielen säumen Meile um Meile diese Routen und locken die Autofahrer auf der Hinfahrt zu einem letzten Stop oder hoffen darauf, den einlaufenden Verkehr aufzufangen, bevor er die Stadtmitte erreicht.
In den anliegenden Vorstädten leben Familien zwischen landschaftlich verschönerten Anwesen und wöchentlichen Besuchen in den Einkaufszentren ihr Leben. Hier gibt es gute Schulen, Fabriken und Büros, Unterhaltungsstätten. Es ist ein vertrautes Muster. In größeren, berühmteren Städten werden die Zentren vielleicht vom Tourismus profitieren, aber Macon besitzt keine nationalen Monumente, schönen Parks oder spek-takulären Gebäude, obwohl das Rathaus kurzfristig das Staatskapitol beherbergte. Das war allerdings im vorigen Jahrhundert und interessiert niemanden mehr. Mit Ausbreitung der Stadt wurde ihr Herz ruhiger. Und während die Gesichter in den Vorstädten fast ausschließlich weiß sind, so sind sie doch in der 5th Street und um die 5th Street herum vorwiegend schwarz.
Dem ungenutzten Bahnhof gegenüber lehnen gleichermaßen heruntergekommene Gebäude Schulter an Schulter, nur kraftlos gestützt von Plakattafeln, die als Krücken dienen. Der Block beherbergt noch immer die vertrauten Einrichtungen einer solchen Straße – ein Hotel, eine wahre Rattenfalle, einen Friseur, einen kleinen Plattenladen, dessen Geräusche das einzige Lebenszeichen im gesamten Block sind, eine Tankstelle und eine alte Holzhütte mit der hochtrabenden Bezeichnung „Bryan’s Grill“. Und wo die Straße sich erweitert und neben dem nun überwucherten Frachthof eine Kurve bildet, steht ein schmutzig-weißer einstöckiger Bau zwischen zwei leerstehenden Grundstücken wie der letzte gelbliche Zahn in einem ansonsten blanken Kiefer.
Ein Torbogen aus Ziegelsteinen umrahmt die verschlissenen Türen und Fensterläden des Gebäudes, die an diesem Samstag im Sommer 1971 weit offenstehen, da die Luft trotz der frühen Vormittagsstunden um 11 Uhr bereits heiß, flau und drückend ist. Im Inneren fegt ein alter Mann den abgenutzten Boden und arbeitet sich methodisch an den verschrammten Tischen und wackligen Stühlen vorbei, sammelt langsam ein Häufchen Zigarettenkippen und leere Flaschen am anderen Ende des Raums vor einer provisorischen Theke. Neben der Theke erstreckt sich eine Trenn-wand von der hinteren Wand bis zur Mitte des Raums. Auf der einen Seite drängen sich Tische und Stühle auf dem Boden. Vor der Bar ist der andere Bereich bis auf eine Jukebox und zwei Flippermaschinen leer. Die Vorderseite des Raums ist eine große Fläche, die sich quer durch das Gebäude erstreckt, wo man niedrige Paletten zu einer Art Bühne aufgeschichtet hat.
Der alte Mann hält eine Zeitlang inne und lehnt sich auf den Besen, um Atem zu schöpfen. Er hat es im Leben nie besonders leicht gehabt, doch seit kurzem scheint sich sogar sein eigener Körper gegen ihn zu wenden. Einige Monate zuvor hatte es auf Messers Schneide gestanden, als er sich nicht sicher gewesen war, ob er den Boden jemals wieder würde fegen können. Damals hatte er den Kampf gewonnen, und nun steht er da, ergeht sich in Erinnerungen und mustert den Raum, der das letzte Viertel-jahrhundert sein zweites Zuhause geworden ist. Ein zufälliger Zuschauer könnte ihn für den Hausmeister halten, aber die ersten Stammgäste, die hereinkommen, kennen ihn recht gut. Sein Name ist Clint Brantley, und das hier ist sein Club, The Two Spot.
Clint sammelt den Abfall auf und geht hinter die Theke, um Bier- und Sodaflaschen für die jungen Brüder zu öffnen, die sich im Raum verteilt haben. Ein paar Minuten lang plaudert er mit ihnen und lächelt nach-sichtig über ihren Jive und ihre Prahlereien. Weniger mitteilsam allerdings ist er bezüglich der Show, die heute Abend stattfinden soll. Es heißt, es soll etwas Großes, etwas ganz Großes passieren. „Bleibt einfach in der Nähe. Wer weiß?“ Er zuckt mit den Schultern und verschwindet nach hinten in die Küche, um das Abendessen vorzubereiten.
Die Kerle nehmen ihre Getränke und gehen ihrer Lieblingsbeschäftigung im Two Spot nach. Einer füttert die Jukebox: Es mag ja ein alter Club sein, er hat aber die neuesten Sounds zu bieten. Zwei beharken sich an den Flippermaschinen. Die anderen sitzen einfach um die Bühne herum oder an den offenen Türen, wo sie den vorbeigehenden Mädchen anerkennend hinterherpfeifen. Es ist Mittagszeit an einem dunstigen Samstag in Georgia, und sie stimmen sich auf den besten Abend der Woche ein.
Nach ungefähr einer Stunde werden Dehnübungen gemacht, und sie schlendern hinaus ins helle Sonnenlicht, um einen Bissen zu essen, sich im Park in den Schatten zu setzen oder sich auf dem Bürgersteig unten am Mulberry Hill zu fläzen und die Welt vorbeiziehen zu sehen. Man verabredet sich für später im Club.
So um 10 Uhr abends wird es im Two Spot lebhaft. Im Club befinden sich mittlerweile rund vierzig Leute, und es kommen immer mehr. Oben auf der Bühne hat eine ortsansässige Gruppe bereits angefangen, eins ihrer langen, harten, schweißtreibenden Sets zu spielen. Die Betonung liegt auf dem Rhythmus. Hoch oben im Norden und quer durch die Nation haben weichere Klänge und komplexere Produktionen die Soul-Charts erobert, aber hier mag man es noch immer scharf und simpel, schwere Rhythmen, aber präzise und dicht, bodenständige Gesänge, Emotionen aus dem Bauch heraus. Mit einem Wort – funky.
Der Sänger heute Abend ist Jimmy Braswell, ein Liebling aus dem Ort, der zwei Platten aufweisen kann, aber bis dato keine Hits. Wie auch andere Schmalspurgruppen unterhalten Jimmy und seine Band die Leute damit, souveräne Versionen von Hits anderer Leute herunterzuhämmern. Das Publikum möchte tanzen, trinken und sich amüsieren, und sie wollen Melodien, die sie wiedererkennen. Manchmal am Abend lässt Jimmy einige seiner eigenen Songs einfließen, aber meistens nehmen er und die Band die verschiedenen Sounds und Stile der Hitparaden und machen daraus einen endlosen Strom von rauen Rhythm’n’Blues-Songs im Südstaaten-Stil.
Bald darauf ist der Club so überfüllt wie an jedem anderen Samstagabend. Fast einhundert lärmende Stammgäste tanzen, sitzen an den Tischen, lachen und scherzen und lehnen sich vor, um ihren Nachbarn gutgemeinte Spötteleien zuzurufen. Zwei oder drei „Kellner“, die man von den Kunden nicht unterscheiden kann, reichen an den Tischen Soul-Food-Spezialitäten herum. Ein ständiger Strom von Leuten drängelt sich durch die Tanzenden hindurch zur Theke oder hinaus auf die Straße, um frische Luft zu schöpfen.
Kurz nach Mitternacht wird es noch unruhiger. Drüben an der Tür scheint die Menge ganz plötzlich größer geworden zu sein. Rufe und schrille Schreie wehen von draußen herein. Immer mehr Kunden kommen herüber, um zu sehen, was passiert, oder lehnen sich über die Tische und bemühen sich, durch das Gewühl hindurch einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Die Tanzenden hören auf, sich im Kreis zu drehen, die Männer an der Theke vergessen die Bestellungen und alle Köpfe drehen sich in Richtung Tür. Die Band spielt weiter, allerdings nur halbherzig. Niemand hört zu, und auch die Bandmitglieder wollen sehen, was dort in der Ecke passiert. Die Menge reißt sich los von der Tür und fließt schwerfällig zurück in den Club. Sie teilt sich wie das Rote Meer und lässt von der Straße aus einen schmalen Durchgang frei. Durch diesen menschlichen Korridor stolziert ein kleiner, entschlossen dreinblickender Mann in Schwarz.
Viel kann man nicht von ihm sehen, doch er beherrscht unmittelbar den Raum. Jedermann trägt seinen besten Partyanzug, doch seiner ist eleganter und auf seine untersetzte, tadellos propere Figur maßgeschneidert. Die meisten in der Menge tragen irgendeinen Schmuck, und viele sind kost-spieliger gekleidet als der Neuankömmling. Doch seine wenigen Stücke sind groß und echt und riechen förmlich nach einem kleinen Vermögen. Mehr als alles andere ist es sein Gesicht, das ihn von den anderen unter-scheidet. Es ist ein Gesicht voller Kontraste. Das kräftige Kinn wird von hohen, fleischigen Wangen unterstrichen. Ein breiter Mund, den nun ein einnehmendes Lächeln umspielt, das einen erstklassigen Zahnarzt erkennen lässt. Dieses Lächeln, das Lächeln eines Löwen, wird allerdings von seinen durchdringenden, wachen, selten sanften Augen Lügen gestraft. Es ist kein schönes Gesicht unter dem hoch aufgetürmten, schwarzen, exquisit frisierten Afro-Busch; es ist aber im wahrsten Sinne des Wortes ein anziehendes Gesicht. Ein Gesicht, das Aufmerksamkeit und Respekt verlangt. Ein Gesicht, das in den wenigen Jahren zuvor überall auf der Welt bekannt geworden ist. Bitte heißen Sie Mr. Dynamite, Soul Brother Number One, The Hardest Working Man In Show Business willkommen … JAAY-YAMES BROWN!
Heute ist er zu seinem ersten Basislager auf seinem Weg zum Gipfel des Soul zurückgekehrt. Die Ankunft Browns im Two Spot ist wahrhaftig die Rückkehr des siegreichen Helden. Während er die stürmische Begrü-ßung würdigt, wird ein Kellner hergeschickt, um den Ehrengast und seine kleine Entourage zu einem hastig freigemachten Tisch zu geleiten, wo sich Brantley ihnen anschließt. Die Band findet ihren Rhythmus wieder, die Kunden kämpfen sich zu ihren Tischen zurück und der Club kehrt wieder zum Partyrhythmus zurück, diesmal allerdings um einiges begeisterter. Das ist nicht länger ein Samstagabend wie jeder andere.
Es spricht sich herum. Innerhalb von wenigen Minuten ist die Menge auf das Doppelte der normalen Kapazität des Clubs angeschwollen. Die Bodenfläche ist bald blockiert von erwartungsvollen Fans, die zumeist damit zufrieden sind, nur dazustehen und Brown zu beobachten. Andere rangeln um die besten Plätze, um mit dem Star reden zu können. An dieses Spielchen ist er gewöhnt. Normalerweise ist das nichts weiter als eine rituelle Begrüßung, ein oder zwei stilisierte Phrasen. Ab und zu ist eine saure Traube dabei, die sich hat volllaufen lassen und auf einen Streit aus ist. Aber nicht hier. Im Two Spot in Macon, Georgia, hat es James Brown verdammt noch mal nicht nötig, irgendjemandem etwas zu beweisen. Sie alle wissen, woher er kommt.
In dieser entspannten Atmosphäre lebhafter, aber respektvoller Kame-radschaft hält er für eine Weile für seine Verehrer Hof, bevor er sich auf die Mahlzeit konzentriert, die vor ihm steht. Als die gehäuften Teller mit Hähnchenschenkeln auf ein Gewirr von spindeldürren Knöchelchen reduziert sind, gönnt er sich eine Mentholzigarette und wirft einen grübleri-schen Blick auf die Bühne. Bei jedem Besuch eines Nachtclubs wird er darum gebeten, wenigstens eine Nummer mit der Hausband zusammen zu singen. In den meisten Fällen lehnt er ab, da er es vorzieht, sich zu entspannen und Kontakte zu knüpfen. Das ist verständlich, da bei einem Auftritt mit unbekannten, ungeübten Musikern Vorsicht geboten ist. Aber nicht bei Clint.
Wie auf ein Stichwort hin lässt der Leader die Band innehalten und bittet ihn auf die Bühne. Brown wird feierlich durch die Menge geleitet und organisiert eilig eine Konferenz, damit er weiß, welche seiner Hits die Jungs von der Band am besten kennen. Dann greift er sich das billige, undeutlich klingende Mikrophon. Weitere Präliminarien gibt es nicht. Keine schnoddrige Einleitung. Kein höfliches „Hallo“. Auch mit der Band gibt es keine weitere Abstimmung. Sie haben ihm versichert, damit klarzukommen, und das müssen sie nun beweisen. Folgen wird er ihnen nicht. Sie sollen gefälligst versuchen, mit ihm Schritt zu halten.
Er dreht sich schnell zum Publikum herum und schleudert eine Frage heraus, die von der Rückwand des Clubs abprallt und jeden im Raum trifft.
„Was wollen wir?“
Die ekstatische Antwort kommt sofort.
„SOUL POWER!“
Das ist seine aktuelle Platte auf der Spitzenposition der nationalen Soul-Charts, deren Verkäufe bereits die zweite Million erreicht haben.
„Was brauchen wir?“
„SOUL POWER!“
„Was fehlt uns?“
„SOUL POWER!“
Brown und die Menge werfen sich das Wort hin und her und bilden einen rhythmischen Singsang, der mit jedem Call und Response an Intensität gewinnt. „Soul Power … SOUL POWER … soul power … SOUL POWER … power to the people … POWER TO THE PEOPLE … soul power … SOUL POWER … soul power … SOUL POWER.“
„UND LOS JETZT!“
Bei diesem letzten gekreischten Befehl legt die Band mit dem Riff los wie ein Jumbojet, der dem Himmel entgegendonnert.
Der echte James Brown möge sich bitte erheben! Die Hauptperson dieses Buches gibt nur zwei Rollen zu: Da ist zum einen JAMES BROWN!! Der singende, tanzende, international berühmte Entertainer, Unternehmer, Friedensstifter und Bewusstseinsbilder, der zwischen Ende der Fünfziger und Anfang der Siebziger Hit auf Hit auf Hit aus immer wertvoller werdendem Metall schmiedete. Obwohl der „hardest working man in show business“ Mitte der Neunziger an einem Punkt angekommen war, an dem sich seine sporadischen Plattenveröffentlichungen nur sehr spärlich verkauften – und hätte sagen können, dass man ihn nicht hätte verhaften können, obwohl ihm das leider noch passieren sollte –, blieb sein Einfluss dennoch mächtig: Er war zum „Hardest Working Sample“ im Showbusiness geworden.
Zum anderen ist da James Brown, der getriebene, wild entschlossene, mit Fehlern behaftete Mensch, der dieses Los mit sich herumträgt, der allem Anschein nach am 3. Mai 1933 in einer Baracke auf dem Lande außerhalb von Barnwell in South Carolina geboren wurde, nahe an der Staatsgrenze des Savannah Rivers von Augusta in Georgia. Das behauptet er, und wir haben keinen gegenteiligen Beweis gefunden.
Andere allerdings bezweifeln das. Einige der engsten Mitarbeiter Browns haben angedeutet, dass er irgendwann ein Jahr von seinem wahren Alter abgezogen habe. Sofern es während seiner Verhaftung, Gefängnisstrafe und Bewährung als Teenager in rechtlicher Hinsicht keinen Haken gegeben hat, der diese leichte Veränderung gerechtfertigt hätte, scheint dieser Trick doch eher unwahrscheinlich. Wenn man auf jung machen will, dann ist doch ein einziges Jahr völlig unerheblich.
In weiten Teilen der Presse wurde ebenfalls berichtet, dass James Brown in Wirklichkeit am 17. Juni 1928 in Pulaski, Tennessee, geboren wurde. Dieses Gerücht wurde zuerst 1966 in Großbritannien im Daily Mail Book Of Golden Discs unterstützt. Journalisten sind schnell dabei, alles zu glauben, was sie lesen, und viele haben das Pulaski-Datum wiederholt. Tatsächlich hat sogar Penthouse 1986, als es Brown unter die Top 25 der wichtigsten Amerikaner gewählt hatte, Tennessee 1928 als seinen Geburtsort und sein Geburtsjahr genannt. Es gibt, oder gab, sicherlich einen musikalischen James Brown in Pulaski, Tennessee, und es existieren „James Brown Production“-Aufnahmen mit Pulaski-Aufdruck auf Plattenlabels. Aber nichts davon klingt auch nur entfernt nach DEM James Brown.
In seiner Ghostwriter-Autobiografie sagt DER James Brown, dass er eigentlich weder James noch Brown hätte heißen sollen, sondern nach dem ursprünglichen Namen seines Vaters Joe Gardner Jr. Aber nun war er James Brown, und mit diesem Namen befand er sich in allerbester Gesellschaft.
Jedes örtliche Telefonbuch wird mit J. Browns überreich gesegnet sein, viele davon heißen James, Jim und Jas. Auch in der internationalen Musik-industrie gibt es mehrere bekannte James Browns, so unter anderem einen Countrysänger, der in den Fünfzigern für MGM Aufnahmen gemacht hatte, einen Keyboard-Sessionär aus Memphis, einen britischen KlassikCellisten, einen britischen Rockjounalisten und natürlich diesen Mann aus Pulaski. Man kann sich zwar kaum vorstellen, dass jemand JAMES BROWN mit irgendeinem anderen James Brown verwechseln könnte, aber hier sind entscheidende Beweise. Als es, na ja, irgendwie groovy war, auf die Kraft der Astrologie zu setzen, führte die Hauptperson dieses Buches in seinen Act eine Sternzeichen-Routine ein. Bedauerlicherweise gelang es niemandem, ihn davon zu überzeugen, das doch sein zu lassen, als diese Routine überflüssig geworden war. Er rief stets nach einem Trommelwirbel für Stier. Der 3. Mai ist Stier, der 17. Juni würde ihn zum Zwilling machen. James Brown mag Ihnen vielleicht die Sinne verwirren, er würde aber niemals mit einem Sternzeichen Unfug treiben. Er ist Stier.
Zweitens: Wäre er 1928 geboren, wäre er bei seiner ersten Verhaftung 21 Jahre alt gewesen und 24 bei seiner Entlassung. Tatsächlich war er rechtlich gesehen ein Minderjähriger, unter 21, als er 1958 auf Bewährung freigelassen wurde.
Drittens: Als James 1970 Deidre Jenkins zu seiner zweiten Braut erkor, lud er die Truppenmitglieder Bobby Byrd und Vicki Anderson zu einer Doppelhochzeit ein. Byrd und „Mommie-O“ hatten bereits eine Weile zusammengelebt, bevor sie sich zur traditionellen Version entschlossen. Die Vision Vickis von einer großen Zeremonie in Augusta oder New York zerschlug sich, als James auf einer stillen und ursprünglichen kleinen Feier bestand. Er zitierte sie in ein schäbiges Rathaus in Barnwell, South Carolina, seinem Geburtsort.
Augusta in Georgia ist mittlerweile als die Heimat der amerikanischen, jährlich stattfindenden Golfmeisterschaften weltberühmt geworden, und Barnwell in South Carolina wurde in Gil Scott-Herons Song South Carolina als Lager für Atommüll unsterblich gemacht. 1933 hatte noch keiner dieser beiden Orte Ruhm oder traurige Berühmtheit erlangt, obwohl Augusta nicht unbedingt als Kaff bezeichnet werden konnte. Ländlich ja, ebenso wie heute. Damals allerdings war es eine aufstrebende und betriebsame Stadt.
Gegründet wurde Augusta 1735, zwei Jahre, nachdem der Staat Georgia in Savannah durch das Ausschiffen von „Schuldnern und anderen Pechvögeln“, wie es in einer altertümlichen Enzyklopädie hieß, aus dem England König George II. kolonisiert wurde. Die Siedler benannten das Gebiet nach dem König und Augusta nach einer seiner fünf Töchter – ob nun als Tribut oder Rache, bleibt dahingestellt. Anschließend machten sie sich daran, Negersklaven aus Afrika zu importieren und gleichzeitig die indigene Bevölkerung abzuschlachten. Die überlebenden Cherokee- und Creek-Indianer wurden zwischen 1832 und 1838 „aus dem Staat entfernt“.
Nach dem kleinen Rückschlag, als Augusta im amerikanischen Bürgerkrieg 1861-65 auf der Verliererseite stand, blühte die Stadt auf und wurde zu einem der größten Zentren der Baumwollproduktion im Süden und einer der vielen beliebten winterlichen Urlaubsorte im Süden der USA für jene, die dem harscheren Klima im Norden entfliehen wollten. Weiße Ausflügler natürlich. Mittlerweile hatte ein Großteil der schwarzen Bevölkerung begonnen, als Migranten in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen, die Ostküste hinauf. Angelockt wurden sie durch diverse Versprechen, in Washington, Philadelphia, New York und so weiter Arbeit zu finden. Von den zukünftigen Ghettos für die Habenichtse hatten sie keinerlei Ahnung.
Zu seiner besten Zeit hat James Brown für eine Weile einen ähnlichen Schritt getan und in den Sechzigern seine Basis im New Yorker Viertel Queens aufgeschlagen. Das war jedoch nie sein wirkliches Zuhause. James Brown ist zuallererst Amerikaner, und damit basta. Ein Apfelkuchen, wie nur eine Präsidentenmutter ihn backen kann. Dicht auf den patriotischen Amerikaner folgt dann der echte Südstaatler James Brown. Ende der Fünfziger zielte er auf ein breites amerikanisches Publikum ab, so groß wie nur eben möglich damals. Mitte der Sechziger war ihm auf einmal bewusst geworden, dass es da draußen einen riesigen internationalen Markt gab. Hin und wieder in seiner Karriere hat er Aufnahmen mit den Songs anderer Leute gemacht oder orchestrale Arrangements verwendet und später mit Produzenten von außen gearbeitet, um unterschiedliche Ziele zu verfolgen, zuweilen mit Erfolg. Wenn man ihn allerdings im richtigen Licht betrachtet und sich das Gros seiner wichtigsten Aufnahmen anhört, dann kann man nicht umhin zu bemerken, dass, wenn man ihn in Ruhe arbeiten lässt, seine Musik Südstaatenmusik ist – es sei denn, man ist blind und taub. In New York fühlte er sich nicht wohl, und als die Siebziger heraufdämmerten, verlegte er seine Basis wieder zurück in die Heimat.
Es gibt noch einen dritten Aspekt im Brownschen Make-up, der das Gleichgewicht erschüttert und ihm Probleme ohne Ende bereitet. Er ist eine eklektische Mischung aus amerikanischen Indianern – Cherokee und Azteken, wie er Cliff White einmal erzählte – und Afrikanern sowie Fernostasiaten, wenn seinem eigenen Zeugnis Glauben geschenkt werden kann. Sein Vater bewältigte das Problem der Vorurteile, indem er den Weißen gegenüber respektvoll auftrat und sie gleichzeitig leidenschaftlich verabscheute. Aber trotz all seiner krausen politischen Gedanken und der Assoziierung mit den Siebzigern ist James Brown im Grunde genommen ein stolzer Mensch gewesen, seit er zum ersten Mal auf seinen Platz verwiesen wurde.
Die Art und Weise seines Aufwachsens hätte aus einem frühen Roman von Alice Walker oder Toni Morrison stammen können. Er wurde in einer Art von ländlicher Armut groß, die für jeden, der das nicht selbst erlebt hat, zum Klischee geworden ist. Als Brown vier Jahre alt war, verließ ihn seine Mutter und ging nach Norden, und er begegnete ihr erst wieder, als er zum Star geworden war und im Apollo und Madison Square Garden in New York auftrat. Er lebte in aus einem einzigen Raum bestehenden Hütten, wo immer sein Vater Arbeit fand – auf Farmen, in Tankstellen, in einer Sägemühle, in Warenhäusern, er arbeitete im Straßenbau und auf Highways. Da er die meiste Zeit allein war, brachte er sich das Mundharmonikaspielen bei. „Mein Vater hat mir für 10 Cent eine Mundharmonika gekauft, und ich habe in nur anderthalb Tagen gelernt, wie man darauf spielt.“
Nachdem er sich jahrelang damit abgequält hatte, seinen Sohn allein zu erziehen, schickte der hart arbeitende, unter Druck stehende Vater nach Tante Minnie, die ihn dabei unterstützen sollte. Sie war es gewesen, die seinem Sohn Leben eingehaucht hatte, nachdem er halbtot geboren worden war. Als James sechs war, verließ ihn sein Vater, und Tante Minnie und er zogen in ein Haus im Terry, dem schwarzen Viertel von Augusta. Das Haus wurde von einer weiteren Tante namens Handsome Washington, genannt Honey, geleitet. Es war eine Pension, ein Spielclub (lassen Sie mit James Brown nicht die Würfel rollen), eine Trinkhalle und ein Puff. Auch eine gute Mahlzeit war dort zu haben.
Brown hatte ein gutes Gehör und fügte seinem autodidaktischen Repertoire an Instrumenten eine Orgel hinzu. „Ich war acht Jahre alt“, erzählte er Cliff White in einem Videointerview. „Mein Vater arbeitete in einem Möbelgeschäft, und an der Orgel brach ein Bein ab. Sie wollten sie hinauswerfen, haben sie dann aber ihm gegeben. Er brachte sie mit nach Hause, und wir bauten aus einer Käsekiste ein neues Bein. Er hat sie um ungefähr elf Uhr morgens mit nach Haus gebracht, und als er dann um sechs Uhr abends nach Hause kam, konnte ich schon eine Melodie darauf spielen.
Dann spiele ich noch Bass, ich spiele Gitarre und ein bisschen Saxophon. Alles selbst beigebracht. Ich spiele etwas Trompete; das habe ich vom Waldhornspielen bei den Pfadfindern gelernt.“