Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
„Abba—The Complete Guide to their Music“
bei Omnibus Press, London.
Copyright © 2005 by Omnibus Press, London
Copyright © 2007 by Bosworth Music GmbH, Berlin (für die deutsche Ausgabe)
Copyright © 2010 by Bosworth Music GmbH, Berlin
(part of the music sales group)
ISBN: 978-0-85712-334-3
Deutsche Übersetzung: Cecilia Senge
Lektorat, Update und Überarbeitung: Elisa Reznicek
Satz und Layout: mufos.de
Coverdesign: Chloë Alexander
Fotos: LFI, Hulton Deutsch Collection, CORBIS, BBC/Redferns, Andre Csillag,
Rex Features, Glenn A. Baker, David Redfern, Neil Genower
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Information Page
EINLEITUNG
ALBEN
Ring Ring
Waterloo
ABBA
Arrival
ABBA—The Album
Voulez-Vous
Super Trouper
The Visitors
AUFNAHMEN IN SPANISCHER SPRACHE
Gracias Por La Música
Abba Oro—Grandes Exitos
ABBA LIVE
ABBA Live
COMPILATIONS
Greatest Hits
Greatest Hits Vol. 2
The Singles—The First Ten Years
ABBA Gold: Greatest Hits
More ABBA Gold—More ABBA Hits
Thank You For The Music
The Definitive Collection
The Complete Studio Recordings
RARITÄTEN
I’ve Been Waiting For You (erweiterte Version) …
Live 77
Sång Till Görel
Take A Chance On Me (Alternative Abmischungen 1 und 2)
Hovas Vittne & Tivedshambo
Hole In Your Soul (Live)
Summer Night City (Live)
Stikkan Anderson Väljer Polars Pärlor: Agnetha, Björn, Benny, Anni-Frid På Svenska
ABBA AUF VIDEO/DVD
The Winner Takes It All—The ABBA Story
The Definitive Collection
ABBA Gold: Greatest Hits
ABBA In Concert
The Last Video
Super Troupers
ABBA The Movie
SOLOKARRIEREN VOR UND NACH ABBA
Björn & Benny
Agnetha
Frida
ABBA sind sicherlich eines der größten Rätsel in der Geschichte des Pop. Im Jahre 2004, 30 Jahre nachdem sie mit Waterloo den Grand Prix d’Eurovision de la Chanson1 gewonnen und sich in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gesungen hatten, überreichte man ihnen eine Auszeichnung für nahezu 360 Millionen weltweit verkaufter Platten. Damit haben sie sich einen Platz in der Weltrangliste der erfolgreichsten Künstlern der Unterhaltungsmusik erobert. Mehr noch—sie sind zu Mitgliedern einer exklusiven „Superliga des Musikbusiness“ geworden, die von den Beatles und Elvis Presley angeführt wird. ABBA folgen auf den Fuß. Gleichzeitig ist es jedoch nicht sehr wahrscheinlich, dass ABBA in der Liste der Top-1000-Alben auftauchen würden, sollten die Musikkritiker der Welt eine solche jemals zusammenstellen. Und selbst wenn, würde es sich vermutlich um ein Album ihrer größten Hits handeln. Daher ist es keine Überraschung, dass zu der Zeit, als dieses Buch entstanden ist, ABBA Gold mit über 25 Millionen verkauften Exemplaren ihr erfolgreichstes Album ist. Als die Gruppe 2003 ziemlich unerwartet in der vom Rolling Stone ausgegebenen Liste der 500 bedeutendsten Alben aller Zeiten als Nummer 180 auftauchte, handelte es sich hierbei wiederum um eine Compilation, nämlich The Definitive Collection.
Als Resultat der enorm hohen Verkäufe von ABBA Gold würde man ABBA heutzutage vermutlich als „Singles-Band“ bezeichnen und damit andeuten, dass ihre regulären Studioalben Sammlungen im Motown-Stil mit drei Hit-Singles und reichlich Füllmaterial gewesen seien. Und doch besetzte jedes einzelne ihrer Alben von Arrival angefangen die Spitzenposition in den englischen AlbumCharts. Ein Hinweis auf die durchgängig hohe Qualität der Songs auf diesen Alben. Wer sich die Zeit nimmt, Alben wie Arrival, Voulez-Vous oder Super Trouper genau anzuhören, wird darauf viele Titel entdecken, die ebenso eingängig, gut produziert und mitreißend sind wie jene berühmten Hit-Singles, die mittlerweile mehr als nur vertraut scheinen.
Andererseits gibt es in der Geschichte von ABBA jedoch nur wenige Elemente, die sich mit dem traditionellen Karriereverlauf einer Popband decken würden, die dazu gemacht ist, Erfolg zu haben. Tatsächlich hatten sie sich nicht einmal als Gruppe im üblichen Sinne formiert—Freunde, die zusammen spielen und Auftritte bestreiten, einen Plattenvertrag bekommen, berühmt werden—nein, sie waren ganz einfach als Resultat eines ihrer vielen Studioprojekte zusammengekommen. Alles begann mit einem zufälligen Aufeinandertreffen zweier aufstrebender Komponisten im Sommer 1966. Björn Ulvaeus war Mitglied in der Folk-Gruppe The Hootenanny Singers, Benny Andersson bei der Popgruppe The Hep Stars. Damals gehörten beide Bands zu den Top-Acts in Schweden. Aus der ersten Begegnung der Musiker erwuchs eine Freundschaft, die schließlich dazu führte, dass die beiden gemeinsam komponierten.
Gegen Ende des Jahrzehnts hatten sich die Hep Stars getrennt und die Hootenanny Singers waren mehr oder weniger eine Studioband geworden. Seit die Hootenanny Singers 1963 beim Schallplattenlabel Polar Music einen Vertrag unterzeichnet hatten, pflegte Björn eine enge Freundschaft zum Musikverleger und Eigentümer des Labels Stig Anderson. Nachdem Benny ins Team aufgenommen worden war, begannen Stig und sein Partner, der Schallplattenproduzent Bengt Bernhag, die beiden jungen Komponisten nach Kräften zu fördern. Bernhag starb im Sommer 1971, und Stig bot Björn die Position des hauseigenen Produzenten von Polar Music an. Björn bestand darauf, auch Benny zu engagieren. Als Stig geltend machte, er könne sich zwei Produzenten nicht leisten, bot ihm Björn an, sein eigenes Gehalt zu teilen. Der für seine Knauserigkeit berüchtigte Stig erklärte sich rasch damit einverstanden.
Zwei Jahre zuvor, im Jahr 1969, als Björn und Benny dabei waren, ihre berufliche Partnerschaft zu festigen, hatten sich beide zufällig gleichzeitig auf eine Liebesbeziehung eingelassen. Benny verliebte sich in Anni-Frid Lyngstad, auch als Frida bekannt, und zwischen Björn und Agnetha Fältskog entwickelte sich ebenfalls eine Romanze. Beide Frauen waren ehemalige Sångerinnen in einer Tanzband, und verfolgten bis zu diesem Zeitpunkt Solokarrieren. Im Frühjahr 1970 verlobten sich die Pärchen.
Für Benny und Björn waren die späten 60er und frühen 70er Jahre eine ziemlich undankbare Periode. Ihr größter Wunsch war es, dem Rampenlicht Adieu zu sagen und als Komponisten und Produzenten zu arbeiten. Die Fanhysterie im Zusammenhang mit den Hep Stars und den Hootenanny Singers war ihnen lästig geworden und sie wollten keinesfalls weiter auftreten. Doch irgendwie träumten sie auch davon, zeitgenössische englische Popmusik zu machen, die vielleicht auch jenseits Schwedens funktionieren könnte. In dieser Hinsicht waren das Vertrauen, das ihnen Stig Anderson schenkte, und seine weitblickenden Ambitionen den ihrigen weit überlegen. Es waren jedoch unsichere Zeiten und so blieb Björn und Benny keine andere Wahl, als jede Gelegenheit wahrzunehmen, die sich ihnen bot. Eine Kabarettshow? Kein Problem! Musik für einen Softporno? Hier, bitte! Songs in schwedischer Sprache für den Soft-Pop/Easy-Listening-Markt? Aber selbstverständlich!
Zwischen 1970 und 1972 veröffentlichten die beiden als Duo Björn & Benny ein Album sowie eine Reihe von Singles, von denen in Schweden einige zum Hit wurden. Einen Großteil ihrer damaligen Musik könnte man als „Schlager“ bezeichnen: spezifisch europäische, melodiöse Unterhaltungsmusik, die nicht besonders anspruchsvoll ist. Auf Großbritannien übertragen wäre das Genre als eine Mischung von Hits im Engelbert-Humperdinck-Stil und flotten, munteren Beiträge für den Grand Prix d’Eurovision de la Chanson wie Puppet On A String oder Boom Bang-A-Bang zu bezeichnen. Björn und Benny waren sich allerdings ihrer begrenzten Fähigkeiten als Sånger bewusst und kamen nicht umhin zu bemerken, dass immer dann, wenn ihre Verlobten den Background-Gesang beisteuerten, die Hits ein wenig erfolgreicher wurden. Im Laufe des Jahres 1971 machten Andersson und Ulvaeus immer wieder Aufnahmen für ihr zweites Duo-Album, häufig mit Unterstützung der Mädchen, die als Background-Sångerinnen fungierten. Einige dieser Songs wurden als Single veröffentlicht, andere wiederum waren für das Album vorgesehen und blieben einstweilen in der Schublade.
Inmitten all dieser verschiedenen Projekte ergab sich schließlich eine neue Gelegenheit. Einige Jahre zuvor hatten Björn und Benny Aufnahmen für einen recht dubiosen Softporno mit dem Titel Ingas Verführung gemacht. Einer der Songs in diesem Film war She’s My Kind Of Girl, der im Frühjahr 1970 zugleich als Björn & Bennys erste Single veröffentlicht worden war. In Schweden war diese ein Flop, doch zwei Jahre später bekam ein japanischer Verleger Wind von der Sache und war der Meinung, dass der Titel mit seiner irgendwie orientalisch anmutenden, melancholischen Melodie in seinem Land zum Hit werden könnte. Im Frühjahr 1972 wurde She’s My Kind Of Girl in Japan veröffentlicht und kam unter die Top Ten. Dieser Erfolg bekräftigte Benny und Björn in ihrem Bestreben, sich den eigenen Wunschtraum zu erfüllen: englischsprachige Songs aufzunehmen, die auf dem internationalen Parkett bestehen konnten. Wie gewöhnlich fragten sie ihre Verlobten, ob sie nicht Lust hätten, bei diesem Vorhaben mitzuwirken. Dieses Mal gab es jedoch einen Unterschied: Björn und Benny waren der Meinung, dass der Beitrag der Mädchen über den bloßen Background-Gesang hinausgehen sollte und sie stattdessen gemeinsam mit ihnen die Leadvocals singen sollten.
Das Ergebnis war People Need Love, das mittlerweile als die erste richtige ABBA-Single betrachtet wird, obwohl das Quartett als Björn & Benny, Agnetha & Anni-Frid bezeichnet wurde (als Künstlerin wurde Frau Lyngstad erst bei der Veröffentlichung des Albums Ring Ring zu „Frida“). Diese Bezeichnung der Akteure war ein Hinweis darauf, wie die vier Freunde ihre Zusammenarbeit zu diesem Zeitpunkt bewerteten:„Agnetha & Anni-Frid“ waren auf der neuen Single von „Björn & Benny“ nichts weiter als Gastmusiker. Tatsächlich hatten die beiden Frauen damals keinen Vertrag mit Polar Music—man hatte sie lediglich von anderen Labels „ausgeliehen“.
Sechs Jahre nach der ersten Zusammenarbeit von Björn und Benny begann schließlich ein weiterer langsamer Prozess, in dessen Verlauf die vier Freunde zu ständigen Mitgliedern einer Gruppe namens ABBA wurden. Erst Ende 1975 jedoch, 18 Monate nach ihrem Durchbruch mit Waterloo, wurde die Band als solche für ihre individuellen Mitglieder zur musikalische Priorität. Wenn man das berücksichtigt, werden jene Leser, die mit dem Gesamtwerk ABBAs nicht wirklich vertraut sind, herausfinden, dass die chronologische Auseinandersetzung mit den Alben eine echte musikalische Reise bedeutet: von Naivität und Entdeckung über die eigentliche Durchführung bis hin zu Reife und Erfüllung.
Die folgenden Bücher und Internetressourcen haben mir seinerzeit wertvolle Informationen für die Entstehung dieses Buches geliefert:
Bingham, Peter und Dolan, Bernadette: Abbamania Volume 2: The Solo Years—Agnetha & Frida (Vinyl Addicts, UK, 1998)
Tobler, John: ABBA Gold—The Complete Story (Century 22, UK, 1993)
ABBA—The Releases: www.visitors.demon.nl
ABBA World: www.abba-world.net
ABBAMAIL: www.abbamail.com
Die nachfolgenden Personen haben ihr Wissen und ihre Zeit uneigennützig eingebracht und somit maßgeblich zur Entstehung dieses Buches beigetragen. Ihnen sei ganz herzlich gedankt: Frank Axelsson, Örjan Blix, Michael Cain, Filip Jensen, Ian Jones, Yvon Jouandon, Chris Kimberley, Ivor Lyttle, Erik Menkens, Gunnar Moe, Leif Thorsson und Björn Waldenström.
Mein ganz spezieller Dank gebührt Ian Cole. Durch sein enormes Wissen und seinen Einblick in die Welt von ABBA sowie seine Kommentare und Vorschläge bei mehreren Manuskriptentwürfen hat er einen unschätzbaren Beitrag geleistet.
Webseite des Autors: www.carlmagnuspalm.com
Die offizielle Webseite von ABBA lautet
ABBA—The Site: www.abbasite.com
Anmerkungen zum Text:
1. Im gesamten Buch gibt es Hinweise auf die Lizenzverträge, die Stig Anderson mit Schallplattenfirmen rund um die Welt geschlossen hat. Um die größtmögliche Aufmerksamkeit und Sorgfalt beim globalen Vertrieb und bei der Promotion der ABBA-Platten zu gewährleisten, hat Stig in weiser Voraussicht die seiner Meinung nach beste Plattengesellschaft für das jeweilige Gebiet ausgesucht, anstatt einen Vertrag mit einem einzigen Label zu schließen und das Beste zu hoffen. Erst seit Anfang der 90er Jahre, nachdem Stig seine Unternehmen an die später von Universal Music übernommene PolyGram verkauft hatte und sämtliche Lizenzen ausgelaufen waren, befindet sich der ABBA-Katalog unter einem Dach.
2. Die acht Studioalben der Band ABBA sind im Laufe der Jahre auf zahlreichen CDs veröffentlicht worden. Die letzte Neuauflage des Katalogs fand im Jahre 2001 statt, als die Alben mit erweiterten Booklets inklusive neuer Liner Notes, sämtlichen Songtexten und diversen Updates bei den Extras erschienen. Einige der Alben—Ring Ring, Waterloo und ABBA—The Album— waren sogar noch nie zuvor mit Bonustracks veröffentlicht worden. Mit Blick auf die acht Studioalben sind die Veröffentlichungen aus dem Jahr 2001 jene, die in dieser Diskografie behandelt werden (wenn nicht anders angemerkt). Das Hauptanliegen der Diskografie ist es allerdings, dem Leser anhand der aufgeführten Labels und Katalognummern aufzuzeigen, welche Ausgaben im 21. Jahrhundert tatsächlich erhältlich sind.
3. Sofern nicht anders angegeben, zeichnen sich für sämtliche Songs Benny Andersson und Björn Ulvaeus als Komponisten und Produzenten verantwortlich.
1 Nach diversen Änderungen im Konzept läuft der Grand Prix mittlerweile unter dem Namen Eurovision Song Contest
POLAR MUSIC POLS 242, Originale schwedische Ausgabe, 26. MÄRZ 1973
POLYDOR 843 642-2 (CD), Englische Erstveröffentlichung, 09. APRIL 1992
Die erste Session für das Debütalbum von ABBA fand am 29. März 1972 statt; der letzte bekannte Aufnahmetermin war der 15. März 1973, also bis auf zwei Wochen ein volles Jahr später. Was war der Grund für diese, am Standard der 70er Jahre gemessen, außergewöhnlich lange Aufnahmeperiode? Waren es die unglaublich komplexen Arrangements und die vielschichtigen Harmonien, die fein abgestimmt werden mussten? Verbrachten Björn und Benny übermäßig viel Zeit damit, beim Komponieren eigentlich perfekte musikalische Schnipsel auszusortieren, um sicherzustellen, dass nur Songs von Spitzenqualität dabei herauskamen? Offen gestanden wird jeder Hörer des Albums Ring Ring zum Schluss kommen, dass die Gründe für die lange Reise bis zur Fertigstellung der LP wohl anderswo zu suchen sind. Zwar waren die Songs zweifellos melodiös und luden zum Mitsummen ein, aber Meisterwerke waren nicht wirklich darunter. Auch die Arrangements waren recht einfach: Schlagzeug, Bass, Gitarre, Piano, vielleicht ein Mellotron oder ein anderes Keyboard-Instrument, überlagert von Gesangsdarbietungen, die nur gelegentlich mit Overdubs versehen worden waren.
Der Grund für den überlangen Reifeprozess war in den Begleitumständen zu suchen, die sich aus dem Konzept des Albums ergaben. Es war ganz einfach so, dass zu Beginn der Sessions für Ring Ring ABBA noch nicht als Band im eigentlichen Sinne existierten. Man könnte sogar behaupten, dass selbst bei der Veröffentlichung des Albums noch keine solide musikalische Einheit vorlag. Zu diesem Zeitpunkt mühten sie sich noch immer unter dem unbeholfenen Namen Björn & Benny, Agnetha & Frida ab: Die Mädchen waren auf dem Album des Duos Björn & Benny buchstäblich nur Gastsängerinnen. Die Entscheidung für ein gemeinsames Album wurde getroffen, nachdem People Need Love—der erste Song, den sie zusammen aufgenommen und veröffentlicht hatten—im Sommer 1972 zu einem kleinen Hit wurde. Nach dem Auf und Ab in der musikalischen Partnerschaft von Björn und Benny seit ihrer ersten Begegnung 1966 war es mittlerweile klar, dass die weiblichen Stimmen das stärkste Element der Aufnahmen war und daher alle vier Musiker bei einem Album kooperieren sollten. Dennoch war dies lediglich ein Nebenprojekt für alle Beteiligten: auch während der Aufnahmen veröffentlichten sie weiter eigenständige Alben, und Frida und Agnetha konnten sich als Solokünstlerinnen großer Hits erfreuen. Außerdem lag das Hauptgewicht des Gruppenalbums trotz der gesanglichen Überlegenheit der Frauen noch immer auf den Leadstimmen von Björn und Benny, wodurch der Eindruck gefestigt wurde, dass die Frauen nur Gastmusiker waren.
Die erste Veröffentlichung, die in den Herbstsessions entstanden war, war He Is Your Brother. Der Titel wurde zum Radiohit, schaffte es allerdings nicht in die Verkaufscharts. Im Verlauf der Aufnahmen erhielten Björn, Benny und Stig Anderson—der häufig Textbeiträge lieferte—die Einladung, einen Beitrag für den schwedischen Vorentscheid des Grand Prix einzureichen, der im Februar 1973 stattfinden sollte. Man gab sich große Mühe, einen Song mit internationalem Flair zu schreiben. Das Ergebnis war Ring Ring.
Die Sessions für das Album begannen erst Ende September 1972, und Björn und Benny hatten alle Hände voll zu tun damit, auch für andere Künstler Songs zu schreiben und zu produzieren. Das bedeutete, dass sie die Aufnahmen dazwischenschieben mussten, wann immer ihre anderweitigen Verpflichtungen es zuließen. Bezeichnenderweise wurden die Aufnahmen auf drei verschiedenen Stockholmer Studios verstreut: Metronome, Europa Film und KMH. „Die Sachen, die wir für uns selbst produzierten … hatten für uns keinen Vorrang“, bemerkte Björn viele Jahre später. „Es waren die Produktionen für andere Künstler, die gemacht werden mussten.“ Dies war nicht nur der Grund, warum sich die Fertigstellung des Albums so lange hingezogen hatte, sondern warum auch einige Songs eigentlich aufgewärmte, ursprünglich für andere Künstler geschriebene Flops waren—in einem Fall war der Titel sogar bereits drei Jahre alt. Auch die Tatsache, dass Ring Ring als einziges ABBA-Album einen Songbeitrag von Agnetha enthält, und zwar die Ballade Disillusion, sollte nicht unerwähnt bleiben. Ein weiterer Grund für die Verzögerung ist möglicherweise Agnethas Schwangerschaft, die nahezu die gesamte Aufnahmeperiode andauerte. Am 23. Februar, nur einen Monat vor der Veröffentlichung des Albums, brachte sie ihres und Björns erstes Kind zur Welt, eine Tochter namens Linda.
In heutigen Maßstäben gemessen, klingt Ring Ring ein wenig schwach und holprig, wie es so durch eine häufig wunderliche Poplandschaft im MOR-Stil2 hinkt. Dennoch ist bereits etwas von der künftigen ABBA-Magie zu spüren; am deutlichsten vielleicht beim europäischen Klang des poppigen Titeltracks. Obwohl der Song beim Vorentscheid durchfiel, wurde er zum größten Hit des Jahres 1973 in Schweden. Zwei Wochen in Folge stand die schwedische Ring Ring-Single auf Platz 1, die englische Version auf Platz 2 und das Album auf Platz 3 der kombinierten Singles-und AlbumVerkaufscharts, die in Schweden damals üblich waren. In seinen unterschiedlichen Formen verkaufte sich Ring Ring tatsächlich besser als solch zeitgenössische Welteroberer wie Led Zeppelins Houses Of The Holy, Alice Coopers Billion Dollar Babies und Pink Floyds Dark Side Of The Moon. Welches Urteil im Laufe der Zeit auch immer über die LP Ring Ring gefällt wurde: damals galt sie als höchst unterhaltsame Songsammlung. Dieses Übergangsalbum war für ABBA notwendig, damit sie das „Schlager“-Territorium hinter sich lassen und sich als „Pop“-Künstler etablieren konnten. Und welche Kritik man an den eigentlichen Darbietungen auch immer haben mag, nette Melodien zum Mitsummen gab es allemal—wie immer.
Für das englische Publikum war Ring Ring beinahe zwei Jahrzehnte lang eine unbekannte Größe. Im März 1973 besaß die Gruppe in England noch nicht einmal einen Plattenvertrag—das sollte noch sechs Monate dauern—und nach dem Durchbruch ABBAs war man vermutlich nicht der Meinung, dass das Album eine Veröffentlichung in Großbritannien verdienen würde. Darüber hinaus war fast die Hälfte des Albums—He Is Your Brother, Ring Ring, Nina, Pretty Ballerina, People Need Love und Another Town, Another Train— auf dem 1976 in England veröffentlichten Album Greatest Hits enthalten, dem Spitzenreiter der britischen Charts des Jahres 1976, von dem schließlich annähernd drei Millionen Exemplare verkauft wurden. Wahrscheinlich wurden die Ring Ring-Tracks auf der Greatest Hits als die Highlights des ersten Albums betrachtet, so dass eine Veröffentlichung der kompletten LP überflüssig schien.
1988, 15 Jahre nach der Erstveröffentlichung, wurden schließlich sämtliche Songs in England bereitgestellt. Sie wurden in Kombination mit den Tracks aus dem Album ABBA Live auf der Doppel-LP The Collection Volume 2, Castle CCSLP 198 (bei der CD-Version, Castle CCSCD 198, wurden die schwedischen Versionen von Ring Ring und Rock ‚n‘Roll Band weggelassen) veröffentlicht. Allerdings erschien Ring Ring als eigenständiges Album erst nach dem Kauf der weltweiten Rechte für den ABBA-Katalog durch PolyGram in England. Die Rechte hatten zuvor bei dem CBS-Label Epic gelegen. Zu diesem Zeitpunkt—1992—war die Ära der Vinylplatten praktisch vorbei, so dass die Veröffentlichung nur auf CD erfolgte.
Die nachfolgende Titelaufstellung bezieht sich auf die aktuelle internationale CD-Version des Albums.
BENNY ANDERSSON, STIG
ANDERSON, BJÖRN ULVAEUS
NEIL SEDAKA, PHIL CODY
Das Album beginnt mit seinem stärksten Track. Björn, Benny und Stig Anderson schrieben Ring Ring als schwedischen Beitrag zum Grand Prix d’Eurovision de la Chanson 1973. Es hatte große Hoffnung bestanden, dass der Song den Durchbruch auf dem internationalen Markt bedeuten könnte. Aus diesem Grunde machte sich Stig seine internationalen Verlagskontakte zu Nutze und bat Neil Sedaka und dessen Partner Phil Cody einen - für internationale Ohren—glaubwürdigen Text zu verfassen. Obwohl man den Beitrag von Sedaka und Cody nicht unbedingt als große Poesie bezeichnen kann, war ihr Text durchaus funktional: er entsprach den Maßstäben der Popmusik.
Außerdem bedeutete der Song einen Wendepunkt auf der Suche ABBAs nach einem eigenen Sound. Bei der Aufnahmesession zu Ring Ring am 10. Januar 1973 leistete Toningenieur Michael B. Tretow seinen vielleicht prägnantesten Beitrag. Michael war im Metronome-Studio angestellt und hatte Björn und Benny Ende der 60er Jahre kennen gelernt. Bald darauf entdeckten die drei Männer, dass sie einen gemeinsamen Traum verfolgten: sie wollten die schwedische Popmusik von ihrem Minderwertigkeitskomplex befreien und Platten produzieren, die ebenso überzeugend klangen wie jene aus England oder den USA.
Michael hatte soeben die von Richard Williams geschriebene Phil-Spector-Biographie Out Of His Head gelesen und dabei entdeckt, wie es Spector gelungen war, seine berühmte „Klangmauer“ zu schaffen. Das Buch enthüllte, dass Spector fünf Gitarren, drei Klaviere, zwei Drumsets und weitere Instrumente genommen hatte, sämtliche Instrumente in ein Studio gepackt hatte und sie alle zur selben Zeit spielen ließ. Michael war sich bewusst, dass diese Aufnahmemethode zu kostspielig wäre und schlug daher vor, die übliche kleine Gruppe von Studiomusikern zu verwenden. Diese sollten ihre Parts aber auf genau dieselbe Weise zweimal spielen, so dass man schließlich zwei instrumentale Spuren erhielt. Durch eigene Experimente kam er außerdem zum Schluss, dass der Sound zusätzliche Tiefe bekam, wenn man die Bandgeschwindigkeit der einzelnen Spuren geringfügig veränderte.
Björn und Benny waren erpicht darauf, Michaels Over-dub-Methode auszuprobieren—mit sensationellem Ergebnis. Da auch die Leadvocals von Agnetha und Frida mehrmals übereinander gelegt wurden—im Mix sozusagen vergraben und fast als Instrumente behandelt wurden—erhielt man eine Aufnahme, die man als typisch für Spector bezeichnen konnte. Sie schien durch die nordische Pop-Ästhetik der frühen 70er Jahre gefiltert. Das Gefühl von Entdeckung und Spaß in dieser Aufmerksamkeit erheischenden Bubble-Gum-Kreation ist heutzutage fast genauso ansteckend wie damals. Mit Sicherheit hatte Ring Ring einen völlig anderen Klang als jede andere schwedische Aufnahme.
Die englische Ring Ring-Version wurde im Februar 1973 in Schweden als Single veröffentlicht und kletterte auf Platz 2. Außerdem war sie die erste Veröffentlichung der Gruppe in England. Sie erschien im Oktober desselben Jahres auf Epic, war allerdings ein totaler Flop, der niemals in die Charts kam. Einem 1974 veröffentlichten Remix dieser Version erging es ein wenig besser (siehe The Definitive Collection im Kapitel Compilations).
Another Town, Another Train dürfte durch seine Einbeziehung in das Greatest-Hits-Album für englische Hörer recht vertraut klingen. Der Titel war allerdings so gut wie nirgendwo ein besonders großer Hit. Diese recht angenehme Mid-Tempo-Nummer, einer der melodiösesten Tracks des Albums, lebte von Björns Leadvocals und dem munteren Mellotronspiel von Benny. Die Aufnahmen begannen Ende 1972 oder Anfang 1973.
AGNETHA FÄLTSKOG,
BJÖRN ULVAEUS
Disillusion ist im ABBA-Katalog insofern einzigartig, als dass es die einzige Komposition von Agnetha ist, die jemals eines der Alben beehrte. Agnetha, seit ihren frühen Teenagerj ah-ren eine überaus produktive Komponistin, erreichte mit ihrer ersten Single, der Eigenkomposition Jag Var Sä Kär (Ich war so verliebt), Platz 1 in den Charts und lieferte den Beweis dafür, dass sie ein Ohr für eingängige Melodien hatte. In den frühen 70er Jahren hatte sie in ihren Kompositionen einem Großteil ihrer Connie-Francis-Tendenzen abgeschworen und suchte ihre Inspiration eher bei Musikern wie Carole King und Elton John. Diese am 14. März 1973 aufgenommene Klavierballade war trotz gewisser Schwächen bei der Aufnahme ein vielversprechender Schritt in diese Richtung. Bereits auf diesem Album etablierte sich Agnetha als „Königin des Herzschmerzes“. Ihr 1975 erschienenes Soloalbum Elva Kvinnor I Ett Hus (Elf Frauen in einem Haus) enthielt eine schwedische, weitaus besser produzierte Version von Disillusion mit dem Titel Mina Ögon (Meine Augen). Bedauerlicherweise hörte Agnetha damit auf Songs zu schreiben, als ABBA erfolgreich wurden, und obwohl Björn und Benny sie drängten, weitere Beiträge zu leisten, hatte sie nie das Gefühl, ihre Songs seien für ABBA passend oder auch nur gut genug. Tatsächlich sind seit 1975 nur eine Hand voll Kompositionen von Agnetha Fältskog aufgetaucht.
Die erste richtige Single von ABBA, aufgenommen am 29. März 1972, wurde von Blue Mink inspiriert, einer Gruppe, die Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre in Großbritannien eine Reihe von Hits gehabt hatte. Ihr Einfluss wurde auf zwei Ebenen deutlich: einerseits im Austausch von männlichen und weiblichen Leadvocals, der sich durch den gesamten Song zog, anderseits im Thema des Songs, das weitgehend aus Bitten um Frieden und Harmonie bestand—mit Blick auf die Rassenproblematik, aber auch in globaler und anderweitiger Hinsicht. Für die vier Mitglieder war das der erste jugendorientierte Pophit seit Jahren, wobei Agnetha und Frida diesem Genre nie wirklich nahegestanden hatten. Aus diesem Grund war die Platte hauptsächlich ein Beweis dafür, dass die Viergruppe über die notwendige Power verfügte.
Dieser aus dem Jahre 1970 stammende Song, der von Björn und Benny als eine Art Soulpop-Versuch für eine Single mit dem Sånger Billy G-son produziert wurde, wird häufig als der ultimative Tiefpunkt im ABBA-Katalog betrachtet. Im Laufe der Jahre wurde dem Titel eine Bridge hinzugefügt und das Tempo der ABBA-Version vom 15. März 1973 erheblich gedrosselt. Als Komposition ist I Saw It In The Mirror nicht einmal schlecht; die Aufnahme wird jedoch von den gemeinschaftlichen Leadvocals von Björn und Benny zu Grunde gerichtet, die vermutlich zum Miserabelsten gehören, was die beiden jemals einer Platte angetan haben. Mit einer gefühlvolleren gesanglichen Interpretation von Agnetha und Frida hätte das dezente Arrangement des Songs, mit einem ungewöhnlich entspannten Benny am E-Piano und dem effektiven Bass-Spiel des Sessionmusikers Mike Watson, zu einem Höhepunkt werden können. Doch es wurde zum Tiefpunkt.
Thank You For The MusicDancing QueenNina, Pretty BallerinaGreatest-Hits