Filmgenres
Herausgegeben von
Thomas Koebner
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Philipp Reclam jun. Stuttgart
Filmgenres
Kriminalfilm
Philipp Reclam jun. Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten
© 2005, 2012 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart.
Gesamtherstellung: Reclam, Ditzingen. Made in Germany 2012
RECLAM, UNIVERSAL-BIBLIOTHEK und
RECLAMS UNIVERSAL-BIBLIOTHEK sind eingetragene Marken
der Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart
ISBN 978-3-13-960130-4
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-018408-0
www.reclam.de
Inhalt
Vorbemerkung
Abkürzungen
Einleitung
Dr. Mabuse, der Spieler (Teil 1: Der große Spieler – Ein Bild der Zeit / Teil 2: Inferno – Ein Spiel um Menschen unserer Zeit)
Der Schuss im Tonfilmatelier
M – Eine Stadt sucht einen Mörder / M – Mörder unter uns
Emil und die Detektive
Der kleine Caesar
Scarface, das Narbengesicht
Der dünne Mann / Mordsache »Dünner Mann« / Der Unauffindbare
Die 39 Stufen
Die Spur des Falken
Tote schlafen fest
Rächer der Unterwelt
Der dritte Mann
Asphaltdschungel
Der Fremde im Zug / Verschwörung im Nordexpress
Bei Anruf Mord
Das Fenster zum Hof
An einem Tag wie jeder andere
Die zwölf Geschworenen
Zeugin der Anklage
Fahrstuhl zum Schafott
Vertigo – Aus dem Reich der Toten
Im Zeichen des Bösen
Anatomie eines Mordes
Augen der Angst
Psycho
Der Teufel mit der weißen Weste
Liebesgrüße aus Moskau
Stahlnetz: In der Nacht zum Dienstag
Topkapi
Blow up
Die Gentlemen bitten zur Kasse
In der Hitze der Nacht
Bonnie und Clyde
Die Braut trug schwarz
Der eiskalte Engel
Bullitt
Der Anderson Clan
Dirty Harry
Brennpunkt Brooklyn
Klute
Jagdrevier
Der Tod kennt keine Wiederkehr
Der amerikanische Freund
Der Tod löscht alle Spuren
Beverly Hills Cop – Ich lös’ den Fall auf jeden Fall
Der einzige Zeuge
Zahn um Zahn
Der Name der Rose
Hitcher – Der Highway-Killer
Zwei stahlharte Profis
Die Anwältin
Der Bruch
Die Katze
Dick Tracy
Vertrag mit meinem Killer
Das Schweigen der Lämmer
Basic Instinct
Natural Born Killers
Pulp Fiction
Fargo
Sieben
Fallen Angels
Der Totmacher
Lost Highway
Jackie Brown
Cop Land
Traffic
Lantana
Minority Report
8 Frauen
Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
Register der Filmtitel
Vorbemerkung
Jede Darstellung des Kriminalfilmgenres muss von vornherein Abstand von der Idee nehmen, die Zahl der Filme auch nur im Ungefähren abschätzen zu können. Denn nicht nur im Kino, sondern auch im Fernsehen zeigt das Genre eine machtvolle Präsenz, und längst ist die wissenschaftlich-publizistische Debatte über den Fernsehkriminalfilm und dessen serielle Formen umfangreicher als die Diskussion des Genres in seinen Kinoversionen.
Im Kinokriminalfilm sind die Motive, Formen und die sich als Subgenres verstehenden Varianten jedoch prägnanter als im Fernsehfilm und TV Movie vorzufinden, das Kino bildet einige Varietäten radikaler aus als das Fernsehen, das aufgrund seiner starken Verankerung im Zuschaueralltag andere Akzente setzt. Auch lässt sich auf der Leinwand Schaulust und Angstlust beim Zuschauer in sehr viel stärkerem Maße hervorrufen als auf dem Bildschirm.
Die hier vorgestellte Auswahl von Filmen versucht die Spannbreite des Genres mit seinen klar ausgeprägten Subgenres und Stilrichtungen sichtbar zu machen. Dabei werden zum einen die im Diskurs über den Krimi kanonisierten genreprägenden Prototypen und Schlüsselfilme noch einmal neu gesehen, zum anderen werden Filme einbezogen, die für interessante Randpositionen im Übergang zu anderen Genres oder zum Autorenfilm stehen und damit die Wirkungsmacht des Genres veranschaulichen.
Jede Auswahl von Filmen ist anfechtbar, viele als unverzichtbar geltenden Filme konnten nicht berücksichtigt werden. Die Beiträge stammen vor allem von jungen Autoren und Autorinnen, die sich mit Kompetenz und ihrem Interesse am Genre mit den Filmen auseinandersetzen und dabei unterschiedliche Näherungsweisen wählen. Der Band will Neugier wecken und den Wunsch erzeugen, sich mit den teilweise älteren Beispielen des Genres erneut zu beschäftigen und in ihnen etwas von kinematografischer Fabulierlust selbst zu erleben.
Dank gilt der technischen Abteilung des Zentrums für Medienkommunikation der Universität Hamburg, die das Projekt mit der Bereitstellung zahlreicher Videokopien für die Betrachtung und Analyse unterstützt hat, sowie Vlado Tinchev und Katja Thomas für das Erstellen des Registers. Besonderer Dank gilt nicht zuletzt auch Katja Schumann, ohne deren unermüdliche redaktionelle Mitarbeit der Band nicht erschienen wäre.
Im Herbst 2004
Knut Hickethier
Folgende Abkürzungen wurden verwendet: R = Regie, B = Buch, K = Kamera, M = Musik, D = Darsteller, s/w = schwarzweiß, f = farbig, min = Minuten, m = Meter; AUS = Australien; BRD = Bundesrepublik Deutschland; D = Deutschland; DDR = Deutsche Demokratische Republik; F = Frankreich; I = Italien; GB = Großbritannien; S = Schweden; SF = Finnland; USA = Vereinigte Staaten von Amerika
Einleitung
Das Genre des Kriminalfilms
Der Kriminalfilm ist von allen Filmgenres quantitativ das umfangreichste. Darin manifestiert sich seine funktionelle Bedeutung für Individuum und Gesellschaft. Das Kriminalgenre handelt von den Überschreitungen der gesellschaftlich gegebenen Regeln und der Verfolgung und Ahndung des Gesetzesbruchs. Indem es das Verbrechen und seine Aufklärung zum Thema macht, trägt es auf unterhaltende Weise zur Sicherung des Status quo der Gesellschaft bei.
Balance zwischen Verbrechensfaszination und Ordnungssicherung
Neben dem Kriminalroman ist der Kriminalfilm die zentrale mediale Form, in der sich das Genre realisiert und den gesellschaftlichen Veränderungen immer wieder neu anpasst. Grundlegend ist für das Genre eine Balance zwischen der Verletzung der Normen und ihrer Wiederherstellung, zwischen Unordnung und Ordnung, zwischen der Ausübung des Verbrechens und seiner Bekämpfung. Auch wenn sich in einzelnen Subgenres die Gewichte zwischen diesen Polen verschieben können, wenn einzelne Filme ganz auf die Wiederherstellung der Ordnung verzichten, die Existenz dieser Balance bildet den Erfahrungshintergrund des Publikums.
Der Grenzverstoß spricht die heimlichen Bedürfnisse der Zuschauer und Leser nach einem Ausbruch aus der Ordnung, nach dem Ausleben von geheimen Wünschen und dem Beschäftigen mit dem Unerlaubten an. Er setzt uns in Erregung und erzeugt Spannung, weil er eine Gefährdung und damit letztlich etwas Unerhörtes darstellt.
Die Wiederherstellung der Ordnung durch das Aufdecken des Tathergangs und die Überführung des Täters beruhigt und stellt klar, dass sich der Ausbruch aus den gesellschaftlichen Normen nicht lohnt und der Zuschauer in ihrem Befolgen gut fährt und sich auf der richtigen, wenn auch vielleicht langweiligen Seite befindet. Die Erregung der Gefühle soll eben – so eine Hauptaufgabe der Medien – an ein Produkt gebunden bleiben. Die Balance von Unordnung und Ordnung auf der Ebene der Handlung und der Narration entspricht beim Publikum der Balance von Spannung und Entspannung, Erregung und Befriedung der Gefühle. Obwohl die Zuschauer das Schema der Kriminalgeschichten schon hundert- oder tausendmal gesehen haben, bei dem zu Beginn die Regelverletzung (meist ein Mord, der die Fallhöhe steigert) und am Ende die Überführung des Täters steht, obwohl das Muster also mehr als bekannt ist, hat sich die Attraktion des Genres ungebrochen gehalten, sucht das Publikum in immer neuen Variationen nach der Bestätigung des Schemas.
Die modernen Gesellschaften wiederum sind darauf angewiesen, dass die Medien – und hier besonders Film und Fernsehen in der sinnlich attraktiven audiovisuellen Form – den Verstoß gegen die Normen des Zusammenlebens und das erneute Inkraftsetzen der Normen anschaulich und nachdrücklich darstellen und beides wieder und wieder emotional einprägsam vorführen.
Der Kriminalfilm sorgt als massenmediale Form auf unterhaltende Weise für die Stabilität der Verhältnisse, gerade weil er immer wieder aufs Neue ihr Infragestellen durch Einzelne thematisiert. Denn letztlich erzählt jeder Kriminalfilm davon, wie die Verunsicherung durch den Einbruch des Verbrechens in die Welt beseitigt, wie die Wunde am sozialen Körper geheilt wird. Doch die Bestätigung des Bestehenden ist wenig unterhaltend; von der ungebrochenen Fortdauer der Ordnungen zu hören ist langweilig. Deshalb spielt der Kriminalfilm mit den Reizen des Verbrechens als Zeichen einer abenteuerlichen Herausforderung und leuchtet mit Vorliebe in die Abgründe der ausbrechenden Seele, in die Verirrungen der Beziehungskonflikte. Er spielt mit der Vorstellungskraft und der Fantasie der Zuschauer, er schürt die verschiedenen Formen des Begehrens – um sie am Ende umso nachhaltiger zu bekämpfen und zu disziplinieren.
Das zugrunde liegende Schema von Gut und Böse ist nur in den Anfängen des Kriminalfilms bzw. in spezifischen Subgenres, z.B. im Spionagefilm während des Zweiten Weltkriegs, sowie in den comic-haften Figurenzeichnungen einzelner Filme wirklich durchgehalten. Die Geschichte des Genres kennt viele Versuche, den naheliegenden Manichäismus immer wieder zu unterlaufen, nicht ›schwarzweiß‹, sondern eher in Graustufungen zu erzählen, ›gebrochene‹ Helden einzuführen, zu differenzieren und dadurch das strikte Schema abzuschwächen und den Geschichten Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Begann der Kriminalfilm in seinen stummen Anfängen und Filmserien als eine Schilderung des kriminellen Milieus als eines speziellen Sektors im ›Dschungel‹ der Metropolen, so war die eigentliche Botschaft des Kriminalfilms bald danach die, dass es keine spezifisch kriminellen Milieus gibt, sondern dass das Verbrechen überall stattfinden kann und insbesondere unter der Maske des Biedermanns besonders häufig auftritt. Die geordneten Verhältnisse, so erzählt der Kriminalfilm, sind im Kern oft verrottet, das Verbrechen lauert hinter dem schönen Schein – und es bedarf der Beharrlichkeit der Ermittler und Aufklärer, des unbeirrbaren Gerechtigkeitssinns Einzelner, damit die Wahrheit ans Licht kommt.
Zu den master narratives des Genres gehört allerdings auch der unfähige Polizist, die korrupte Behörde, die eine Aufklärung der Tat fast verhindert hätten. Auch hier sind es unbeirrte Einzelne, die gegen allen Widerstand der Institutionen dem Recht doch noch zu seinem Sieg verhelfen. Hinter dem Einsatz dieser Genremuster und Handlungsstereotypen steckt die besondere ordnungspolitische Botschaft, dass selbst bei so schlecht bestallten staatlichen Ordnungskräften das organisierte Verbrechen letztlich keine Chance hat.
Genregeschichte als Mediengeschichte
Wie alle großen Genres ist das Kriminalgenre in sämtlichen erzählenden und darstellenden Medien präsent. Kriminalgeschichten gibt es als Buch und Theaterstück, als Kalendergeschichte, in Illustrierten, als Film, Hörspiel und Radioserie, als Fernsehspiel und Fernsehserie, als Video- und Computerspiel und im Internet. Jedes neue Massenmedium hat sich des Genres bemächtigt und seine eigenen medialen Formen entwickelt.
Verbrechensdarstellungen gibt es seit der Antike in zahlreichen Varianten. Belehrung durch Unterhaltung ist als Konzept nirgends so konkret zu erleben wie in der Kriminalgeschichte. Die eigentliche Ausformung der Kriminalgenres setzt jedoch erst im 19. Jahrhundert ein, als die Erklärung von Tathergang und Täter keine Gottesbeweise und keine Willkür mehr zuließ, sondern auf rationale Nachvollziehbarkeit und Stimmigkeit des Tathergangs, damit auch auf Indizien, Beweise und Geständnisse setzte. Das Genre setzt die Existenz eines zumindest in Ansätzen rational argumentierenden Justizwesens voraus und ist auf strukturelle Weise mit der Durchsetzung eines naturwissenschaftlichen Weltbildes und eines rationalen Denkens verbunden, ohne dass es selbst deshalb vom Grundgestus der Fiktionalität Abstand nimmt. Die Spuren, die der Mensch bei jedwedem Agieren in der Welt hinterlässt (auch diese hinter dem Krimi stehende Auffassung entspringt dem 19. Jahrhundert), bedürfen des erkennenden Geistes: Das Ingenium des Detektivs – wie z.B. Sherlock Holmes – fügt die am wenigsten zusammenpassenden Details zu einem stimmigen Puzzle zusammen und bringt sie zum Sprechen. Am Ende fügt sich alles zu einem klaren Bild, das aus den zahlreichen Indizien eine – allerdings häufig in kuriosen Volten miteinander verknüpfte – plausible Geschichte entstehen lässt.
Die Geschichte des Kriminalgenres ist über Edgar Allan Poe und Conan Doyle mit der Entwicklung der Massenpresse und des Zeitschriftenwesens verbunden. Wo die Zeitung die neuen Nachrichten über katastrophische und andere Einbrüche in die Normalität der Gesellschaft als aktuelle Nachricht bringt, wo der Bericht über die konkreten Verbrechen auf die Sensationsneugierde eines breiten Lesepublikums stößt, bietet die fiktionale Kriminalgeschichte einen bereits zu seinem Ende gebrachten Fall. In den Verbrechensgeschichten der Journale wird der Einbruch in die Ordnung am Ende immer wieder beseitigt. So wie der Film seit seinen Anfängen nicht nur ein Medium der Fiktionen und Träume, sondern auch eines der Repräsentation der realen Welt war, fand sich im Kino neben den Wochenschauberichten von großen Kriminalfällen immer auch ein Platz für das fiktionale Kriminalgeschehen. Mit dem Film gewann die Kriminalunterhaltung eine neue Erzählinstanz, die zur enormen Verbreitung des Genres in der massenmedialen Unterhaltung beitrug.
Bereits für die Frühgeschichte des Kinos lassen sich Kriminalfilme nachweisen. Die 1910er Jahre kennen die Kriminalfilmserien, die sich an die Detektiv- und Verbrechensgeschichten der Kolportagehefte als Serienliteratur anlehnen. In den zwanziger Jahren bildet das Genre eigene filmische Formen aus: in den USA mit dem Subgenre des Gangsterfilms, in Deutschland mit künstlerisch anspruchsvollen Einzelproduktionen wie M – Eine Stadt sucht einen Mörder (1931).
Die Innovationen im Genre verbinden sich seit seinen Anfängen wiederholt mit den Namen von Autoren und mit der literarischen Erzählung. Mit der Etablierung des Kinos kommt der Regisseur mit der filmischen Narration hinzu. Von Fritz Lang über Alfred Hitchcock reicht die Linie bis zu Quentin Tarrantino, die mit immer neuen ›Genrereformen‹ verbunden sind. Doch neben den Werken dieser auteurs gibt es ein breites Angebot von Filmen, die sich als Varianten genrebildender Grundmuster darstellen. Autorenschaft und Genreverpflichtung stehen deshalb gerade beim Krimi in einer engen Wechselbeziehung.
Die große Masse der Kriminalfilme, die die Basis der massenmedialen Fiktionen darstellt und von der Filmhistoriografie kaum wahrgenommen wird, hat ihre Weiterführung in der heute fast unüberschaubaren Menge der Fernsehkriminalfilme gefunden. Sie gilt vielen Kritikern als Ausdruck einer industrialisierten Produktion. Im deutschen Fernsehen wurden der Kriminalfilm und die Kriminalfilmserie seit den achtziger Jahren zu dominanten Formen des audiovisuellen Erzählens. Der industrialisierte Kriminalfilm, der in hohem Maße mit standardisierten Genremustern arbeitet und dessen Variationsbreite gering bleibt, entsteht vor allem in der seriellen Kriminalfilmproduktion, was nicht ausschließt, dass auch im einzelnen Fernsehfilm und in der Fernsehspielserie künstlerisch avancierte Produktionen vorkommen können.
Genresystematik
Das Kriminalfilmgenre hat seit Beginn des 20. Jahrhunderts zahlreiche Wandlungen durchlebt und sich damit immer wieder den gesellschaftlichen Situationen angepasst. Die Vielzahl der filmischen Kriminalgeschichten führte zu einer Binnendifferenzierung und zur Herausbildung eigener Subgenres. Diese nehmen zum Grundproblem der Verletzung der Normen und ihrer Wiederherstellung unterschiedliche points of view ein. Sie bilden selbst wiederum eigene Regeln aus und werden in den Diskursen über die Kriminalunterhaltung von Autoren, Regisseuren, Kritikern wie vom Publikum als Orientierung verheißende Untergruppen des Kriminalfilms erkannt. Folgende Subgenres lassen sich unterscheiden:
(1) Im Detektivfilm ist die Tat zumeist vor Beginn der Filmhandlung geschehen. Die Detektion konzentriert sich auf die Rekonstruktion des Tathergangs und die Suche nach dem Täter. Ermittlung und Aufklärung hat der Detektiv auf seine Fahnen geschrieben. Die Welt des Detektivs, teilweise mit dessen privaten Verstrickungen und persönlichen Vorlieben, tritt in den Vordergrund. Aus der britischen Tradition des Krimis kommend, ist der Detektiv anfangs zumeist ein vermögender Privatgelehrter (ein armchair detective wie Sherlock Holmes, Miss Marple, Hercule Poirot). In den dreißiger Jahren wird dieser Typus im amerikanischen Film (film noir) durch den Privatdetektiv (private eye) abgelöst, der in der Großstadt eine schlecht gehende Agentur unterhält, sich hart, cool und ohne Gefühle gibt (hardboiled), aber einen Punkt der inneren Verletztheit besitzt (The Maltese Falcon, 1941). Die spektakulären Effekte im Kriminalfilm der Frühzeit wurden in den zwanziger Jahren mehr und mehr durch psychologische Motivierungen ersetzt. Der Detektiv kam dem Verbrecher zunehmend dadurch auf die Schliche, dass er sich in seine Psyche hineinversetzte. Der Detektiv schnürte als einsamer und letztlich immer misstrauischer Wolf durch den Großstadtdschungel und blieb dem Täter (als seinem Opfer) auf der Spur. Als Einzelkämpfer und Verteidiger der Gerechtigkeit stieß er jedoch immer häufiger auf eine Welt, die undurchsichtig war und deren Schlechtigkeit er nicht mehr ausräumen konnte.
So plausibel diese Entwicklung des Detektivs auch aus einer ästhetischen Perspektive ist, hat es daneben auch immer den erfolgreichen Detektiv im Kriminalfilm und vor allem in der Serienunterhaltung gegeben. In der Serie ist es schon medienstrukturell notwendig, dass jede Folge erfolgreich abgeschlossen wird, damit in der nächsten Folge ein neuer Fall in Angriff genommen werden kann. Ein ständig scheiternder Detektiv ist letztlich keine brauchbare Serienfigur.
Um das Schema zu variieren, wurde das Personal der Ermittler und Aufklärer um zahlreiche Berufsgruppen erweitert: Rechtsanwälte, Journalisten, Ärzte oder Pfarrer, die sich zur Detektion berufen fühlen und die durch ihr Berufsumfeld der Detektion eine je besondere Färbung geben. Wo jeder zum Täter werden kann, kann auch jeder zum Aufklärer und Ermittler werden. Der Detektiv oder Kommissar klärt nicht nur auf, sondern nimmt auch die Verfolgung nach dem oft flüchtigen Täter auf. Die Verfolgungsjagd wird zum Stereotyp des Genres (beispielhaft in Bullitt, 1968), sie ist als Bewegung und Aktion selbst das filmische Gestaltungsmittel schlechthin. Hier werden Autos zu Schrott gefahren, Helikopter zum Absturz gebracht, Eisenbahnzüge demoliert.
(2) Ist im Detektivfilm der Privatdetektiv als Privatperson und Einzelgänger unterwegs, so arbeitet im Polizeifilm der Polizist (als Polizeidetektiv wie als Kommissar) innerhalb eines Apparats und kann Mitarbeiter, Mittel und Institutionen einsetzen. Der Polizist löst in den fünfziger Jahren zunehmend den Privatdetektiv als dominanten Ermittler ab, er steht für eine durch Institutionen existierende Gesellschaft. Er schafft qua Amt und Bezahlung Ordnung; auch wenn er scheitert, existiert die Institution der Polizei ungebrochen weiter.
Eines der Grundmuster ist die hierarchische Struktur des Apparats, die dazu führt, dass der ehrliche kleine Polizist die Aufklärung des Falls gegen die ignoranten Vorgesetzten durchsetzen muss und dafür keinen Dank erhält. Der Dienst für die Gemeinschaft speist sich aus anderen Werten als das Verletzen der Normen durch den Verbrecher. Kontinuität, Berechenbarkeit, Standfestigkeit, Unbeirrbarkeit sind die Kennzeichen des Hüters der Ordnung, umgekehrte Werte werden dem Störer der Ordnung, dem Verbrecher zugewiesen.
Die institutionelle Verfolgung des Täters wurde zum bestimmenden Prinzip der Krimiunterhaltung seit den fünfziger Jahren. Vor allem in den zahlreichen Fernsehkriminalfilmen (z.B. in der Tatort-Reihe) tritt die Arbeit des Polizeiapparats in den Vordergrund. Stellt diese sich anfangs als eine funktionierende staatliche Gewalt dar, thematisiert der Polizeifilm zunehmend die Unfähigkeit des Apparats, Ordnung zu garantieren. Im Apparat aber sind noch einzelne, oft in Jahren erfahrene Kommissare verblieben, die dann doch noch gegen alle Widerstände die Täter stellen. Die pessimistische Prognose: Wenn diese in den Ruhestand gehen, funktioniere die Aufklärung nicht mehr.
Der Kinokriminalfilm, vor allem amerikanischer Herkunft, zeigt seit den siebziger Jahren die Gesellschaft als unfähig, Verbrechen zu bekämpfen, so dass der einzelne Cop zu einem ›legalisierten Killer ohne Privatleben‹ (Norbert Grob) wird. Dirty Harry (1971) ist hier schulbildend gewesen. Verstärkt werden auch Korruption und Kriminalität innerhalb des Polizeiapparats gezeigt, der sich zu einer eigenen Gesellschaft innerhalb der Gesellschaft entwickelt hat. Wenn das Verbrechen überall stattfinden kann, dann auch innerhalb der Polizei, und – Steigerung der Perfidie – der Aufklärer selbst kann der Täter sein. Die waffenfixierte Welt der Polizei erscheint deshalb im Genre zunehmend als die eigentliche Bedrohung der Gesellschaft, z.B. in den Sjöwall/Wahlöö-Verfilmungen.
(3) Der Gangsterfilm stellt die Welt des Verbrechens in seinen Mittelpunkt, sowohl die des einzelnen Täters als auch die des organisierten Verbrechens. Er vertritt eine Welt unterhalb der bürgerlichen Gesellschaft, die Welt der Schatten, in denen nicht nur Glücksspiel, Drogen, Prostitution, sondern auch Raub und Mord zu Hause sind. Nachdem Josef von Sternbergs Underworld (1927) den Gangster als Außenseiter zeigte, wird ab Anfang der dreißiger Jahre der Gangsterfilm mit Little Caesar (1931) zu einem eigenen Subgenre, dessen Elemente sich dann im film noir wiederfinden. Es ist die Welt der großen Bosse wie Al Capone, der Bandenkämpfe und Straßenschlachten. Seit den siebziger Jahren entstehen immer neue Varianten der Schilderung der Gangsterwelt: Von Bonnie and Clyde (1967) über The Godfather (1972) reicht die Linie bis zu Once upon a Time in America (1984), in dem die Welt der Gangster dargestellt wird. Hier ist deshalb oft auch vom caper movie die Rede, das sich um die Aktionen unterschiedlicher Gangster dreht, die einen Coup durchführen oder in Kriege miteinander verwickelt sind. Die Akzentuierung des Blicks auf die Welt des Verbrechens wird von einer letztlich pessimistischen Sicht auf die Gesellschaft geprägt, in der nur noch der etwas wird, der sich rücksichtslos durchschlägt und auch vor einem Mord nicht zurückschreckt.
Der Gangsterfilm der frühen dreißiger Jahre thematisiert vor allem das organisierte Verbrechen. Im Kino der fünfziger und sechziger Jahre ist die Verbrechensdarstellung stärker eine, in der der Einzeltäter in den Mittelpunkt gerückt wird: Der raffinierte Einbruch und gerissene Diebstahl stehen hier im Vordergrund (Rififi, 1954; Topkapi, 1963). Aber auch im französischen film noir der sechziger Jahre finden sich andere Akzentuierungen des Subgenres (z.B. Le doulos, 1962).
Eine weitere Variante des Gangsterfilms entsteht seit den siebziger Jahren um die Figur des Serienmörders. Im Serienkillerfilm wird häufig auf reale Beispiele zurückgegriffen. Prototyp wird neben vielen anderen das Beispiel des Serienmörders Henry Lee Lukas (American Psycho, 2000). Der Serienkiller stellt das ultimativ Böse dar, bei dem die Frage nach den Gründen oft sinnlos ist, weil die Wahl der Opfer nur vordergründig nach bestimmten Merkmalen erfolgt. Sadismus, ritualhaftes Morden, Kannibalismus, triebhaftes Verhalten stehen im Mittelpunkt der Geschichten. Neben den Psychokillern und Amokläufern gibt es Monstren und mythische Killerfiguren, als Spezialfälle mörderische Frauen und mörderische Pärchen. Zu den deutschen Filmen dieses Subgenres zählt z.B. Nachts, wenn der Teufel kam (1957). Die neueren Schlüsselfilme sind vor allem The Silence of the Lambs (1991), Natural Born Killers (1994) und Se7en (1995) sowie der eher dokumentarisch wirkende Der Totmacher (1995).
(4) Der Gerichtsfilm legt den Schwerpunkt auf die Gerichtsverhandlung, in der die Fäden der Aufklärung eines Verbrechens zusammengeführt und durch in der Regel überraschende Wendungen die Lösung ermittelt wird. Das courtroom drama ist ein vor allem amerikanisches Genre, das sich aus der besonderen Bedeutung der Gerichtsverhandlung innerhalb der Justiz erklärt. Für den Kriminalfilm wird die Fokussierung des Geschehens auf einen Raum und eine begrenzte Zeit sowie die letztlich finale Dramaturgie entscheidend: Am Ende steht das ›Schuldig‹ oder ›Unschuldig‹ der Geschworenen. Der Prozess erinnert an das antike Drama mit seinem Chor (hier das Prozesspublikum), seinen Peripetien und seiner Lösungsfindung. Die Detektion wird vom Richter betrieben, Staatsanwalt und Verteidiger sind parteilich und versuchen in einer Art Wettkampfdramaturgie das Urteil in ihrem Sinne zu beeinflussen. Zwar kommen Gerichtsprozesse in vielen Kriminalfilmen vor, als eigenes Subgenre aber ist es ebenso mit vielen Beispielen vertreten: von Affäre Blum (1948) über Body of Evidence (1992) lassen sich Beispiele bis zu A Time to Kill (1996) finden. Twelve Angry Men (1957) und Witness for the Prosecution (1958) wurden zu Prototypen dieses Subgenres. Der Gerichtsfilm gilt manchen auch als ›Metagenre‹, weil er im Inszenierungsmedium Spielfilm die Inszenierung selbst thematisiert und inszeniert. Die Bedeutung des Gerichtsfilms hat in den siebziger und achtziger Jahren zugenommen, neben den fiktionalen Formen gibt es auch dokumentarische Varianten, etwa zum Nürnberger Prozess und zu den Auschwitzprozessen, im Fernsehen ist das Genre vor allem in jüngster Zeit in den daily court shows (wie z.B. Barbara Salesch) vertreten.
(5) Der Gefängnisfilm hat das Leben im Gefängnis und Zuchthaus zum Gegenstand, erzählt von den oft inhumanen Haftbedingungen, schildert die sozialen Beziehungen der Gefangenen untereinander, die Abhängigkeiten von internen Hierarchien, die Abkehr von kriminellem Verhalten, aber auch Ausbruchsversuche und Revolten. Riot in the Cell Block 11 (1954), Birdman of Alcatraz (1962) sind Schlüsselfilme wie Papillon (1973) und Die Verrohung des Franz Blum (1973). Auch in diesem Subgenre ist eine Tendenz zur pessimistischen Sicht auf die Verhältnisse zu erkennen, dass Gefängnis und Zuchthaus weniger zur Sühne und Reue dienen, sondern mehr dazu beitragen, ein kriminelles Milieu zu verfestigen und für dieses zu sozialisieren. Der kathartische Effekt für das Publikum kann aber wiederum gerade darin bestehen, dass hier möglichst drastisch von den Schrecken in den Haftanstalten erzählt wird.
(6) Gegenüber den bisher genannten Subgenres, die sujetbezogen sind und eine Akzentverschiebung auf der Achse ›Verbrechen – Detektion – Bestrafung‹ innerhalb des Kriminalfilms zum Gegenstand haben, geht es beim Thriller um eine Akzentuierung der Spannung (suspense), also der Relation von Film und Zuschauer. Grundsätzlich lassen sich zwei Möglichkeiten, Spannung zu erzeugen, unterscheiden: Entweder hat der Zuschauer den gleichen Informationsstand wie die Figuren im Film, oder er weiß mehr als die Filmfiguren. Der Zuschauer forciert seine Anteilnahme an einzelnen Filmfiguren, diese wird durch inszenatorische und dramaturgische Strategien gesteigert. Letztlich geht es um die Erzeugung einer lustvoll erlebten Angst (thrill) beim Zuschauer, ähnlich wie sie auch bei anderen Unterhaltungsformen (z.B. bei einem Drahtseilakt) erzeugt werden kann. Neben Alfred Hitchcocks Thirty-Nine steps (1935), Robert Siodmaks The Spiral Staircase (1945) gehören Filme wie Hitchcocks Psycho (1960) und Vertigo (1958) zu den Schüsselfilmen. Der Krimi als Psychodrama entwickelt sich vor allem in den letzten Jahrzehnten zu einer besonderen Form der Kriminalgeschichte, die z.B. mit The Silence of the Lambs (1991) viele andere Genreelemente abstreift und ganz diesem psychischen Kampf nachspürt.
Dabei wird deutlich, dass sich das Subgenre weiter differenziert: So lässt sich vom Psychothriller der Politthriller unterscheiden, in dem die Akteure ganz oder teilweise nicht mehr nur aus individuellen Antrieben, sondern im Auftrag staatlicher Instanzen oder krimineller Organisationen handeln. Politthriller, wie sie z.B. Costa-Gavras oder Yves Boisset drehen, sind parteiliche Filme, die authentische oder der Realität nahe kommende Ereignisse aufgreifen und vom klaren Gegeneinander engagierter Einzelner (Polizisten, Journalisten, Politiker) und Diktatoren, Geheimdiensten, mafiösen Organisationen usw. leben. Gekämpft wird gegen Unterdrückung, Folter, Korruption. Weil hier häufig auch Journalisten als Einzelkämpfer in den Mittelpunkt rücken, ist deshalb auch vom Medienthriller gesprochen worden.
(7) Der Spionagefilm schreitet diese Differenzierung weiter aus, in ihm geht es um die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Staaten und um die illegale Informationsgewinnung beim Gegner, die häufig mit verbrecherischen Handlungen kombiniert sind: Vom Auskundschaften ist der Weg über die Sabotage zum Mord nicht weit. Vom Spionagefilm aus kommt es auch zu einer Überlagerung mit dem Agentenfilm und dem Genre des Kriegsfilms. Spionage ist im Film grundsätzlich die des Gegners, die eigene Spionage wird selten positiv dargestellt (Ausnahme: der DDR-Film For eyes only, 1963). Neben dem Auskundschaften ist das Motiv der Täuschung für das Subgenre spezifisch, der Identitätswechsel bildet ein zentrales Motiv wie auch der Einsatz von technischen Apparaturen zur verdeckten Beobachtung und Aufzeichnung von Geheiminformationen. Neben frühen Beispielen wie Fritz Langs Spione (1927) und den frühen Hitchcock-Filmen Thirty-Nine steps (1935) und Foreign Correspondent (1940) prägten vor allem die James-Bond-Filme wie z.B. From Russia with Love (1963) das Subgenre. Die verbrecherischen Organisationen sind ebenso wie Bond technisch hochgerüstet. Bond führte zu einer comic-artigen Profilierung des Spions, die ähnlich auch bei den Lemmy Caution- und Jerry Cotton-Kinofilmserien zu beobachten sind. Die Welt der Spione wurde zunehmend in Filmen wie The Spy who Came in from the Cold (1965) und The Three Days of the Condor (1975) entmystifiziert, das Genre selbst häufig parodiert.
(8) Der film noir wird zunächst als ein Stil des amerikanischen Films der vierziger und fünfziger Jahre verstanden, in dem Kriminalromane von Dashiell Hammett, Raymond Chandler und anderen verfilmt wurden (The Maltese Falcon, 1941). Als ein zeitlich begrenztes Phänomen (»Schwarze Serie«) wird er auch als ein Subgenre verstanden. Zunehmend wurde er als ein filmisches Prinzip definiert, das sich über die fünfziger Jahre hinaus ausdehnte. In den sechziger Jahren lässt sich auch für den französischen Film die Ausprägung eines film noir feststellen, in den letzten Jahren ist davon gesprochen worden, dass sich der film noir auch als ein Stil bzw. als ein Darstellungsprinzip etabliert habe. Dafür wird dann der Begriff des neo-noir verwendet, bzw. es wird von einer méthode noire (Röwekamp) gesprochen (z.B. Pulp Fiction, 1994). Elemente des ursprünglichen film noir sind die im Zweiten Weltkrieg und danach erfahrene Identitätskrise, der Rollenkonflikt zwischen den Geschlechtern, Werteverlust und eine desillusionierte Sicht auf die Zukunft. Als Stil greift er Formen der expressionistischen Lichtgestaltung, der Rückblende und der Subjektivierung der Erzählperspektive auf. Als Subgenre bildet er durch seine Zeichnung der Ermittler und anderer Figuren, vor allem der Frauen als femmes fatales (z.B. Double Indemnity, 1943), eine eigene Gruppe von Filmen mit identifizierbaren Elementen und Motiven, als Methode einer ›Verdichtung‹ filmsprachlicher Mittel.
Subgenres zeichnen sich dadurch aus, dass sie einerseits die das Kriminalgenre determinierende Balance von Verbrechensdarstellung, Tatermittlung, Verfolgung des Täters und Wiederherstellung der Ordnung variieren und modifizieren, andererseits sich aber selbst wiederum durch die Ausformulierung eigener Motive und Erzählstrategien als Form verdichten. Die Subgenres werden deshalb vereinzelt auch als eigene, separate Genres behandelt, wodurch jedoch der Zusammenhang des Kriminalgenres verloren geht. Gerade beim Kriminalfilm ist durch die immense Zahl der Produktionen die Neigung zu einer Verfestigung der Subgenres zu erkennen (vgl. z.B. die Genreuntersuchungen von Seeßlen). Es steht jedoch auch nicht zufällig am Ende der Typologie der Subgenres der film noir, weil er wiederum Tendenzen der Auflösung fester Typologien sichtbar macht, die den gegenwärtigen Film immer stärker prägen.
Der Differenzierungsprozess innerhalb des Kriminalgenres, der aufgrund eines offensichtlich großen gesellschaftlichen Bedarfs an Filmen über Normverstoß und Normbestätigung existiert, hat weitere Untergruppen entstehen lassen, die sich jedoch weniger klar als eigene Subgenres ausgebildet haben. Dazu zählen:
– Formen wie die Kriminalkomödie, die vor allem als Gaunerkomödie (z.B. Peter Voss, der Millionendieb, 1958; The Pink Panther, 1964; Beverly Hills Cop, 1984, oder Der Bruch, 1988) augeprägt ist. Selten geht es hier um Morde, die Grenzüberschreitungen beschränken sich zumeist auf Diebstahl und Raub, wobei es in der Regel die Vermögenden trifft. Die Gentlemanverbrecher (Die Gentlemen bitten zur Kasse, 1966) sind hier zu Hause, aber auch der Robin Hood, der für die Bedürftigen kämpft;
– regionale Ausformungen des Kriminalfilms, die den Milieuaspekt vertiefen und im Grenzgebiet zum Großstadtfilm (z.B. in den St.-Pauli- und Reeperbahn-Filmen), zum Straßenfilm (z.B. in Die Halbstarken, 1956) und zum Heimatfilm angesiedelt sind;
– der Kinderkriminalfilm (am bekanntesten Emil und die Detektive, 1931) und der
– historische Kriminalfilm, bei dem die Geschehen in einer Zeit vor der Existenz des Mediums Film angesiedelt werden (z.B. Der Name der Rose, 1986).
Das Erzählen von Verbrechen ist so attraktiv, dass Spannungsdramaturgien auch von anderen Genres eingesetzt werden und Kriminalität als Motiv in vielen Genres verwendet wird. Das Genre neigt damit zur Entgrenzung, es mutiert zum Metagenre. Bei manchen Filmen ist die Zuordnung zu einem Genre ungewiss: Sind RoboCop (1987) und Minority Report (2002) Kriminal- oder Science-Fiction-Filme, lässt sich High Noon (1952) nur als Western oder unter dem Aspekt der Verbrechensbekämpfung nicht auch als historischer Polizeifilm verstehen? Kaum ein Film im Kino kommt heute ohne einen Gesetzeskonflikt aus, im Fernsehen ist die Krimifizierung der anderen Genres sprichwörtlich.
Der Realismus des Kriminalgenres
Für den Kriminalfilm zentral sind Probleme des jeweils gegenwärtigen Zusammenlebens, wobei es nicht um eine vordergründige, abbildrealistische Darstellung nachprüfbarer Verhältnisse geht. Die Darstellung des Alltags interessiert im Kriminalfilm wenig, es geht in ihm grundsätzlich um eine Grenzüberschreitung des Erlaubten, und hier interessiert den Zuschauer vor allem das Potenzial an Überschreitung, nicht so sehr, ob diese auch wirklich real in allen Details wie geschildert stattgefunden hat.
Zwar besteht besonders in der deutschen Kriminalfilmgeschichte in den fünfziger und frühen sechziger Jahren eine Orientierung an der Pitaval-Tradition, den Sammlungen authentischer historischer Kriminalfälle. Sie ist in den frühen Fernsehkriminalfilmserien (z.B. Stahlnetz, ab 1958) zu finden. Doch die Authentizität des Verbrechens und seiner Aufklärung (mit dem stereotypen Hinweis ›nach den Akten der Kriminalpolizei‹) spielte für die Krimiunterhaltung letztlich nur eine geringe Rolle. Auch wenn in der Öffentlichkeit die Kritik an der verfälschten Darstellung der Polizeiarbeit im Kriminalfilm über Jahrzehnte hinweg anhielt, verfehlte sie dennoch das spezifische Realismusprinzip des Kriminalgenres. Denn dieses besteht stärker auf der strukturellen und mentalen Ebene als auf der der Identität von Geschehensabläufen, Ausstattungsdetails und Figurenzeichnungen. Der Rückgriff auf reale Fälle dient auch mehr dazu, dem jedem Genre eigenen Drang zur Schematisierung und Standardisierung durch das Hinzufügen neuer Erzähldetails, Handlungsmuster und Motive entgegenzuwirken und mit dem Versprechen auf Authentizität dem Publikum einen zusätzlichen ästhetischen Reiz zu verschaffen.
Strukturell ist der Realitätsbezug darin zu finden, dass der Kriminalfilm zum einen gesellschaftliche Bereiche (z.B. Wirtschaft, neue Medien) fokussiert, in denen aktuelle Verbrechen die gesellschaftliche Aufmerksamkeit erregen; zum anderen, indem eine Art allgemeine Handlungslogik vorgeführt wird (z. B. dass die Polizeiarbeit gesellschaftlich noch besonders honoriert wird und dass die Drahtzieher nicht gefasst werden). Mental besteht der Zusammenhang zwischen Genrefilm und der Zuschauerrealität darin, dass in zugespitzter Form eine Weltsicht formuliert wird, ein Bild von Gesellschaft gezeichnet wird, das jenseits des plot eine spezifische gesellschaftliche Konstellation als natürlich behauptet bzw. als ›Natur der Gesellschaft‹ angeboten wird. So erzeugt der Kriminalfilm oft den Eindruck der Undurchsichtigkeit der Verhältnisse, werden fatalistische oder pessimistische Verhaltensweisen als einzig mögliche gezeigt, wird der Eindruck erweckt, dass es keine Gerechtigkeit geben könne, sich nur der Stärkere durchsetze, dass es eines Helden bedürfe, der mit Stärke und notfalls außerhalb der geltenden Gesetze für Ordnung sorge usf. Der Realismus des Kriminalfilms besteht deshalb nicht in einzelnen erzählerischen und darstellerischen Details, sondern in den Prämissen seiner Geschichten, in den tiefer zugrunde liegenden Strukturen einer großen Basiserzählung von Welt. Der Kriminalfall ist die Metapher für die Befindlichkeit der Gesellschaft.
Im Kriminalfilm lassen sich verschiedene soziale Bereiche darstellen, aus deren Konflikten sich Stoffe für die Geschichten ergeben, die durch die Zuspitzung der Problemlagen auf das Publikum emotional eindringlich wirken können. Zwar kann tendenziell alles zum Anlass für einen Kriminalfilm werden – die genauere Betrachtung des Genres zeigt jedoch, dass die Bausteine, aus denen sich die Kriminalgeschichten zusammensetzen, letztlich begrenzt sind. Das begründet auch die Genrehaftigkeit des Kriminalfilms.
Wie ein Seismograph reagiert der Kriminalfilm auf die Veränderungen der Gesellschaft, insbesondere auf die Veränderungen der realen Kriminalität. Er nimmt dabei nicht nur die Modernisierungen des Verbrechens und seiner Bekämpfung auf, sondern steigert diese noch durch fantasievolle Ausgestaltungen. Die einzelnen Subgenres des Kriminalfilms sind in unterschiedlicher Weise vom Kontext ihrer Entstehungszeit abhängig. Die politischen Varianten wie der Spionagefilm erwiesen sich für den Wandel der Zeiten stärker anfällig als die Genres wie der Thriller oder der psychologische Kriminalfilm, die von individuellen Normverstößen handeln.
Der Kriminalfilm macht in seinen avanciertesten Produktionen bislang Ungedachtes öffentlich denkbar, er kann als Anregung für reale Verbrechen dienen, ebenso aber auch den Ausbau der öffentlichen Sicherheitssysteme legitimieren helfen. Der Kriminalfilm ist damit Teil eines großen Diskurses über Kriminalität und Sicherheit in einer Gesellschaft.
Detektion zwischen Erkenntnisprinzip und Erzählstrategie
Die Detektion (die Ermittlung) zielt darauf, hinter dem vordergründigen Schein der Verhältnisse danach zu suchen, was zu diesem Verbrechen geführt hat, also die nicht offenkundigen Sachverhalte und Beziehungen aufzudecken und damit den Tathergang zu rekonstruieren und den Täter zu ermitteln. Spurensuche, Kombinationsgabe, Wahrscheinlichkeitserkundung stehen für das Erkenntnisinteresse des Menschen, das im Kriminalfilm seine spielerische Variante auslebt. In der Detektion als Prinzip steckt letztlich ein anthropologisches Verhalten: Erkenntnissuche, Enträtselung, Wahrheitssuche.
Der Kriminalgeschichte wird eine eigene Rationalität der fiktionalen Argumentation nachgesagt. Die Detektion bedient sich der Form des Schließens, und Umberto Eco und Thomas A. Sebeok haben den Krimi als Vehikel genommen, um Formen des logischen Schließens zu erörtern und zu veranschaulichen. Die Spurensuche des Detektivs und die Analyse der Indizien führen trotz der Vielfalt der Richtungen, in die Spuren und Indizien weisen, am Ende unfehlbar zu einer einzigen Lösung: Das Fährtenlesen endet schließlich beim Täter. Schon in der Literatur erweist sich diese These von der Herrschaft der Logik im Kriminalgenre als reine Fiktion, als nachhaltig wirkende Produktionslegende, um die erzählerischen Strategien der Urheber zu verdecken. Denn was Thema des Krimis ist, praktiziert der Autor gegenüber dem Leser und Zuschauer: Weil er seine Geschichte vom Ende her erzählt und er um die Lösung weiß, muss er zuvor die Hinweise auf diese Lösung in der Erzählung unauffällig machen, muss sie verstecken. Leser und Zuschauer versetzen sich in ihrem Rezeptionsprozess in die Rolle des Detektivs, der die Spuren im Text sucht – und vielleicht begründet sich in dieser erzählstrategischen Aktivierung des Lesers und Zuschauers auch der Erfolg des Kriminalgenres. Was als ›Logik des Kriminalgenres‹ ausgegeben wird, ist also zum großen Teil die ›Logik‹ der Narration, das Spiel mit Wahrscheinlichkeiten, mit der Führung von Handlungslinien, mit dem Hervorheben und Verschweigen von kausalen Abfolgen.
Der Kriminalfilm erzählt nicht nur, er zeigt: Das Verbrechen drängt ins Bild, so wie sich die Detektion in Szene setzt. Zwar spielt schon die Erzählliteratur mit dem erzählerischen Auslassen, doch in dem zentralen Medium der visuellen Narration geht es immer wieder um das Nicht-Gezeigte, um das Nicht-Zeigbare, Ausgeklammerte, Verschwiegene (exemplarisch z.B. in Blow up, 1966). Im Kriminalfilm, der die Kamera zu seinem Erzähler macht, wird das Erzählen durch das Nicht-Zeigen zum genrespezifischen Merkmal, geht es um das, was hinter dem offenkundigen Bild des Geschehens stattgefunden hat. Slavoj Žižek und andere haben wiederholt beschrieben, dass das Zentrum leer ist, der Mord, die Leiche nicht mehr vorhanden ist, aber das Geschehen bestimmt, dass um diesen leeren Platz herum das ästhetische Spiel organisiert wird – und dass gerade diese Leerstelle ein Kennzeichen der Moderne ist.
Das häufigste Muster der Kriminalgeschichte ist der whodunit. ›Wer war es?‹ ist dessen stereotype Frage, die unerbittlich auf eine Antwort drängt und die Erzählung determiniert. Die Rationalität der Ermittlung ist die der dramaturgischen Konstruktion, die vor allem im Kriminalfilm offenkundig wird. Die Aufklärung des expositionell etablierten Mordes wird für das Ende des Films in Aussicht gestellt, die Handlungsführung verläuft (auch in den scheinbar ausgelegten Umwegen) zielgerichtet auf die Auflösung hin, wird von einem Zwang zur Finalität beherrscht: Der Detektiv stellt sich damit als Herr der zeitlichen Rekonstruktion dar. Er löst das geheimnisvolle Dunkel um die Tat auf, gibt eine Deutung des zumeist vorgängigen Geschehens, die durch ihre Plausibilität überzeugen soll. Der Detektiv scheidet Wichtiges von Unwichtigem, ordnet verwirrte Chronologien, stellt Kausalitätsketten in der Abfolge von Geschehen her und folgt dem Prinzip der psychologischen Wahrscheinlichkeit.
Die institutionellen Varianten des Detektivs, der Polizist und der Kommissar, haben die Detektion um die Möglichkeiten des Apparats ergänzt. Traditionell erzeugt und bestätigt er den Zuschauern die Existenz von Alltagsgewissheiten. Zunehmend wird jedoch die Glaubwürdigkeit des Polizeiapparats in Zweifel gezogen, verhindern in vielen vor allem amerikanischen Kinofilmen Korruptionsfälle, Durchstechereien und Inkompetenz die Effizienz des Apparates und stellen damit auch das Prinzip der Aufklärung als Haltung und Gewissheit in Frage.
Systemstabilisierung durch das düstere Bild des Gangsterfilms
Von der Ökonomie des Genres als Erzählform war es naheliegend, dass das Modell des omnipotenten Detektivs à la Conan Doyle, dem es gelang, jede Wunde, die die Kriminalität am sozialen Körper schlug, wieder zu heilen und die absurdeste Konstruktion aufzudecken, nicht von Dauer sein konnte, weil sie ein ständig nach neuen Variationen gierendes Publikum irgendwann langweilen musste. Auch widersprach ein solches göttliches Prinzip, alle Rätsel lösen zu können, jeder Lebenserfahrung.
Zum einen lösen sich die Balancekonstruktionen scheinbar völlig auf, verschieben sich immer mehr in Konstruktionen der Absurdität. Schon immer war es eine Folge des Detektionskonzepts, das eine Unausweichlichkeit des Zusammenspiels von Spurensicherung und intelligenter Interpretation propagierte, dass umgekehrt auch das Verbrechen als scharf kalkulierte Konstruktion auftreten konnte. Diesen Verschiebungen konnte das Kriminalgenre nur dadurch begegnen, dass es als neues Konzept auf die Macht des Zufalls setzte, die jeden Versuch eines perfekten Mordes zuschanden werden ließ (Fahrstuhl zum Schafott, 1957). Von hier ging der Weg in völlig zufallsgesteuerte Geschehenswelten, in denen sich auch die Wertigkeiten von Gut und Böse auflösten (Fallen Angels, 1995) oder in einem artifiziellen Zusammenbruch einer Welt endeten (Fargo, 1996).
Zum anderen verlor sich der Glaube an die Ordnung stiftende Kraft der Rechtsorgane. Vor allem in den amerikanischen Produktionen des Gangsterfilms, im Gefängnisfilm sowie in zahlreichen neueren Polizeifilmen wurde diese genrespezifische Grundgewissheit vom Sieg der Ordnung, von der Behauptung des Rechts und der Gerechtigkeit brüchig. Schon in Dirty Harry (1971) und den folgenden Selbstjustizfilmen (Ein Mann sieht rot, 1974) entstand das Bild einer gegenüber dem Verbrechen hilflosen Gesellschaft, dem der einzelne Polizist nur noch begegnen kann, indem er selbst gewalttätig wird und rücksichtslos zurückschießt. Im amerikanischen Kriminalfilm der siebziger und achtziger Jahre zeichnete sich zunehmend ein Zustand um sich greifender Rechtlosigkeit und Gewalt ab. Nicht die Polizei, sondern das Recht des Stärkeren schuf neue Ordnungen und neue Selbstverständlichkeiten, selbst Morde wurden einfach hingenommen (Pulp Fiction, 1994).
Diese Tendenz im Kriminalfilm korrespondiert mit einer wachsenden Unsicherheit und Aggressivität in der Gesellschaft der Zeit. Gespiegelt werden latente Ängste, und Bedürfnisse nach Sicherheit und Ordnung werden freigesetzt. Letztlich haben solche Filme auch eine systemstabilisierende Funktion, weil sie die Forderung nach einem starken Staat stützen, der für Sicherheit sorgen soll. Die Lösung der Probleme wird dabei nicht mehr innerhalb der filmischen Fiktion gesucht, sondern außerhalb, in der Realität der Zuschauer.
Sicherlich bestehen kulturelle Unterschiede gegenüber den amerikanischen Prototypen. In deutschen Kriminalfilmen wird zwar auch erzählt, dass sich viele White-collar-Verbrechen der polizeilichen Ermittlung und staatlichen Verfolgung entziehen. Doch es gibt die aggressive Zuspitzung, wie sie in den amerikanischen Selbstjustizfilmen zu finden ist, im deutschen Film nicht. Hier bleibt es bei der resignativen Erkenntnis der Ermittler und dem Vertrauen auf eine höhere Gerechtigkeit.
Gut und Böse als nach außen verlegte Konstruktionen des Subjekts
Der Raum zwischen Verbrechen und Ermittlung, zwischen den Subgenres des Detektivfilms und des Gangsterfilms ist in den dreißiger Jahren ausgeschritten, als Alfred Hitchcock eine weitere axiale Konstruktion in das Genre einführt. Der Film mit seinen Figuren wird zum Gegenspieler des Zuschauers, der psychische Korrelate zu den Figuren des Films entstehen lässt, der über die Sympathie-und Antipathieverteilung, über suspense und thrill seine Psyche der Modellierung durch den Kriminalfilm aussetzt. Slavoj Žižek und andere haben gerade an Shadow of a Doubt (1943) und Strangers on a Train (1951) gezeigt, wie die Doppelung der Figuren, wie der Dualismus in den Motiven und Handlungsteilen diese Konstruktion von Gut und Böse vielfach aufnimmt und als Struktur zu einem selbstverständlichen Muster werden lässt. Vom Zuschauer wird diese Externalisierung des Dualismus von Gut und Böse als polare Konstruktion des Subjekts kaum noch bewusst wahrgenommen, sie hat sich als Konstituens von Welt in unserem Denken längst etabliert.
Mit ihm setzt sich generell eine psychologisierende Konstruktion von Verbrechen und Ermittlung in der Kriminalunterhaltung durch. Über sie gelangt sie in die allgemeine, auf die Realität gerichtete Wahrnehmung, so dass sie als eine Form der Plausibilisierung uns heute selbstverständlich geworden ist. Keine Tat ohne ein inneres Motiv! Wo es Morde ohne Motive gibt, etwa bei Serienkillern, wächst das Grauen vor solchen (letztlich nicht erklärbaren) Einbrüchen in die Ordnungen der Welt und ihrer Dinge.
Internationalität und Regionalität