Die Familie Bennet hat nicht weniger als fünf Töchter unter die Haube zu bringen. Dabei erweist sich besonders die kluge und schöne Elizabeth als Problemfall. Doch auch ihre Schwestern haben mit Enttäuschungen, Intrigen und Vorurteilen zu kämpfen. So dreht sich ein wild wirbelndes Heiratskarussell, das nach vielen Komplikationen schließlich beim Happy-End zum Stehen kommt.
Stolz und Vorurteil
Roman
Aus dem Englischen übersetzt von Helga Schulz
Es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, daß ein alleinstehender Mann, der ein beträchtliches Vermögen besitzt, einer Frau bedarf.
Wie wenig die Gefühle und Ansichten eines solchen Mannes bei seinem ersten Erscheinen in einer Gegend auch bekannt sein mögen, diese Wahrheit sitzt so fest in den Köpfen der Familien in der Nachbarschaft, daß er sogleich als das rechtmäßige Eigentum der einen oder anderen ihrer Töchter betrachtet wird.
»Mein lieber Bennet«, sagte dessen Gattin eines Tages zu ihm, »hast du schon gehört, daß Netherfield Park endlich verpachtet worden ist?«
Mr. Bennet erwiderte, das habe er nicht.
»Aber so ist es«, entgegnete sie, »Mrs. Long war nämlich gerade hier und hat mir alles erzählt.«
Mr. Bennet sagte nichts dazu.
»Willst du denn gar nicht wissen, wer es gepachtet hat?« rief seine Frau ungeduldig.
»Du möchtest es mir doch erzählen, und ich habe nichts dagegen, es zu hören.«
Das war Aufforderung genug.
»Also, mein Lieber, Mrs. Long sagt, daß Netherfield von einem sehr vermögenden jungen Mann aus dem Norden Englands gepachtet worden ist; und daß er am Montag in einer vierspännigen Kalesche hierherkam, um sich den Besitz anzusehen; und er war so begeistert davon, daß er sofort mit Mr. Morris übereinkam, es noch vor Michaeli in Besitz zu nehmen, und einige seiner Diener sollen schon Ende nächster Woche dort sein.«
»Wie ist denn sein Name?«
»Bingley.«
»Ist er verheiratet oder ledig?«
»Oh, natürlich ledig, mein Lieber! Ein alleinstehender Mann mit einem großen Vermögen – vier- oder fünftausend im Jahr. Was für eine wunderbare Sache für unsere Mädchen!«
»Wieso das, was haben sie damit zu tun?«
»Mein lieber Bennet«, entgegnete seine Gattin, »wie kannst du nur so schwer von Begriff sein! Du solltest wissen, daß ich daran denke, er könnte eine von ihnen heiraten.«
»Will er sich deshalb hier niederlassen?«
»Deshalb! Unsinn, wie kannst du so etwas sagen! Aber es ist doch sehr wahrscheinlich, daß er sich in eine von ihnen verliebt! Und darum mußt du ihm deine Aufwartung machen, sobald er hier ist.«
»Dafür sehe ich keine Veranlassung. Du kannst ja mit den Mädchen hingehen, oder du läßt sie allein gehen, was vielleicht noch besser wäre, denn da du ebenso hübsch bist wie sie alle, magst du Mr. Bingley vielleicht von allen am besten gefallen.«
»Du schmeichelst mir, mein Lieber. Gewiß hatte auch ich mein Teil Schönheit, aber ich gebe nicht vor, jetzt noch etwas Besonderes zu sein. Wenn eine Frau fünf erwachsene Töchter hat, sollte sie aufhören, an ihre eigene Schönheit zu denken.«
»In solchen Fällen hat eine Frau oft keine Schönheit mehr, an die sie denken könnte.«
»Aber mein Lieber, du mußt Mr. Bingley unbedingt besuchen, wenn er hierherkommt.«
»Das kann ich beim besten Willen nicht versprechen.«
»Aber denk doch an deine Töchter. Bedenke nur, was für eine Partie eine von ihnen machen würde. Sir William und Lady Lucas sind entschlossen hinzugehen, nur aus diesem Grund; du weißt, im allgemeinen besuchen sie keine Neuankömmlinge. Wirklich, du mußt hingehen, wir können ihm doch unmöglich selber unsere Aufwartung machen, wenn du es nicht tust.«
»Du nimmst das bestimmt allzu genau. Ich wage zu behaupten, daß Mr. Bingley sehr erfreut sein wird, euch zu sehen; und ich werde ihm durch euch ein paar Zeilen zukommen lassen, um ihn meiner aufrichtigen Zustimmung zu versichern, eines der Mädchen, welches er auch wählen möge, zu heiraten; doch möchte ich ein gutes Wort für meine kleine Lizzy einlegen.«
»Ich ersuche dich, das nicht zu tun. Lizzy ist kein bißchen besser als die anderen; ganz gewiß ist sie nicht halb so hübsch wie Jane und auch nicht halb so fröhlich wie Lydia. Aber du gibst ihr ja immer den Vorzug.«
»Keine von ihnen hat viel Empfehlenswertes«, erwiderte er, »sie sind alle genauso töricht und unwissend wie andere Mädchen, aber Lizzy besitzt etwas mehr Intelligenz als ihre Schwestern.«
»Mr. Bennet, wie kannst du so schlecht über deine eigenen Kinder reden? Es macht dir Vergnügen, mich zu quälen. Du hast kein Erbarmen mit meinen schwachen Nerven.«
»Du irrst dich, meine Liebe. Ich habe großen Respekt vor deinen Nerven. Sie sind meine alten Freunde. Ich habe dich voller Hochachtung seit mindestens zwanzig Jahren von ihnen reden hören.«
»Ach, du weißt ja nicht, was ich leide!«
»Aber ich hoffe, du wirst darüber hinwegkommen und noch viele junge Männer mit viertausend Pfund im Jahr in unsere Gegend kommen sehen.«
»Das wird uns gar nichts nützen, selbst wenn zwanzig davon hierherkämen, weil du ihnen ja keinen Besuch abstatten wirst.«
»Wenn es zwanzig sind, meine Liebe, dann kannst du dich darauf verlassen, daß ich allen meine Aufwartung machen werde.«
Mr. Bennet bestand aus einer so seltsamen Mischung aus gelegentlicher Heftigkeit, Schlagfertigkeit, sarkastischem Humor, Zurückhaltung und Kaprice, daß die Erfahrungen von dreiundzwanzig Ehejahren für seine Gattin nicht ausgereicht hatten, sein Wesen zu begreifen. Das ihre war weniger schwer zu ergründen. Sie war eine Frau von geringer Einsicht, wenig Kenntnissen und launenhafter Gemütsart. Wenn sie unzufrieden war, bildete sie sich ein, sie sei nervös. Ihre Lebensaufgabe war es, die Töchter zu verheiraten – ihre Freude, Besuche zu machen und Neuigkeiten zu erfahren.
Mr. Bennet gehörte zu den ersten, die Mr. Bingley ihre Aufwartung machten. Er hatte es die ganze Zeit beabsichtigt, obgleich er seiner Gattin bis zum letzten Augenblick versicherte, daß er nicht gehen würde; und bis zum Abend des Tages, an dem er den Besuch gemacht hatte, wußte sie auch nichts davon. Es wurde dann auf folgende Weise enthüllt. Als Mr. Bennet sah, daß seine zweite Tochter damit beschäftigt war, ihren Hut mit einem Besatz zu versehen, sagte er plötzlich zu ihr: »Ich hoffe, er wird Mr. Bingley gefallen, Lizzy.«
»Es ist uns nicht möglich zu wissen, was Mr. Bingley gefällt«, sagte ihre Mutter ärgerlich, »da wir ihn ja nicht besuchen werden.«
»Aber du vergißt, Mama«, sagte Elizabeth, »daß wir ihn bei den Gesellschaften treffen werden und daß Mrs. Long versprochen hat, ihn vorzustellen.«
»Ich glaube nicht, daß Mrs. Long so etwas tun wird. Sie hat doch selbst zwei Nichten. Außerdem ist sie egoistisch und scheinheilig, ich halte nicht viel von ihr.«
»Ich auch nicht«, sagte Mr. Bennet, »und ich bin froh zu hören, daß du nicht auf ihre Dienste angewiesen bist.«
Mrs. Bennet geruhte nicht zu antworten; aber unfähig, an sich zu halten, fing sie an, eine ihrer Töchter auszuschimpfen.
»Um Himmels willen, Kitty, huste nicht unentwegt! Nimm doch ein wenig Rücksicht auf meine Nerven. Du wirst sie mir noch zerreißen.«
»Kitty besitzt aber auch keinen Takt mit ihrem Husten«, sagte ihr Vater, »sie hustet immer zur unrechten Zeit.«
»Ich huste schließlich nicht zu meinem Vergnügen«, entgegnete Kitty gereizt.
»Wann soll denn euer nächster Ball sein, Lizzy?«
»Morgen in vierzehn Tagen.«
»Jawohl, so ist es«, rief ihre Mutter, »und Mrs. Long kommt erst am Tag davor zurück, es wird ihr also unmöglich sein, ihn einzuführen, denn sie kennt ihn ja selbst noch nicht.«
»Dann wirst du, meine Liebe, deiner Freundin gegenüber im Vorteil sein und ihr Mr. Bingley vorstellen können.«
»Unmöglich, Mr. Bennet, unmöglich, wo ich selbst nicht mit ihm bekannt bin; wie kannst du mich nur so zum besten halten!«
»Deine Umsicht ehrt dich. Eine vierzehntägige Bekanntschaft ist gewiß sehr kurz. Nach zwei Wochen kann man nicht wissen, was für ein Mensch er wirklich ist. Aber wenn wir nicht den Mut dazu haben, wird es jemand anders tun; und schließlich müssen Mrs. Long und ihre Nichten ihre Chance bekommen. Deshalb werde ich – da Mrs. Long es als einen Freundschaftsdienst ansehen wird und du diese Aufgabe ablehnst – die Sache selbst übernehmen.«
Die Mädchen starrten ihren Vater an. Mrs. Bennet sagte nur: »Unsinn, was für ein Unsinn!«
»Was hat dieser energische Protest zu bedeuten«, rief er. »Betrachtest du die Sitte des Vorstellens und das Gewicht, das darauf gelegt wird, als Unsinn? Da kann ich dir aber gar nicht zustimmen. Was sagst du dazu, Mary? Denn ich weiß, du bist eine junge Dame, die tiefe Betrachtungen anstellt, und du liest dicke Bücher und fertigst dir Auszüge daraus an.«
Mary wollte etwas sehr Verständiges sagen, wußte aber nicht, wie.
»Während Mary ihre Gedanken ordnet«, fuhr Mr. Bennet fort, »laßt uns zu Mr. Bingley zurückkehren.«
»Ich habe Mr. Bingley satt«, rief seine Gattin.
»Das zu hören bedaure ich, aber warum hast du mir das nicht früher gesagt? Hätte ich es heute morgen gewußt, hätte ich ihm heute bestimmt nicht meine Aufwartung gemacht. Das ist sehr unglücklich, aber da ich es tatsächlich getan habe, können wir der Bekanntschaft nun nicht mehr entgehen.«
Die Verblüffung der Damen war genau das, was er sich gewünscht hatte, dabei übertraf Mrs. Bennets womöglich noch die ihrer Töchter; doch als der erste freudige Tumult vorüber war, erklärte sie, daß sie so etwas die ganze Zeit über vermutet habe.
»Wie gut das von dir war, mein lieber Mr. Bennet! Aber ich wußte, ich würde dich schließlich überzeugen. Ich war mir sicher, daß du deine Mädchen zu sehr liebst, um eine solche Bekanntschaft geringzuschätzen. Ach, wie bin ich froh! Und was für ein hübscher Scherz das war, daß du heute morgen hingegangen bist und bis jetzt kein Wort davon gesagt hast.«
»Na, Kitty, nun kannst du husten, soviel du Lust hast«, sagte Mr. Bennet; damit ging er, der Begeisterungsausbrüche seiner Frau überdrüssig, aus dem Zimmer.
»Was für einen großartigen Vater ihr Mädchen habt«, sagte sie, als die Tür wieder geschlossen war. »Ich weiß nicht, wie ihr ihm – oder übrigens auch mir – jemals seine Güte vergelten könnt. In unserem Alter ist es nicht so angenehm, jeden Tag neue Bekanntschaften zu machen, das kann ich euch sagen, aber um euretwillen würden wir alles tun. Lydia, mein Schatz, obgleich du die jüngste bist, glaube ich bestimmt, daß Mr. Bingley beim nächsten Ball mit dir tanzen wird.«
»Oh!« sagte Lydia beherzt, »davor ist mir nicht bange, ich bin zwar die jüngste, dafür aber die größte.«
Der Rest des Abends wurde mit Mutmaßungen darüber verbracht, wie bald Mr. Bingley wohl Mr. Bennets Besuch erwidern würde, und mit dem Beschluß, wann man ihn zum Dinner einladen würde.
Jedoch was Mrs. Bennet mit Unterstützung ihrer fünf Töchter über diesen Gegenstand auch herausbekommen konnte – es reichte nicht aus, um ihrem Gatten eine wirklich befriedigende Beschreibung Mr. Bingleys zu entlocken. Sie fielen auf die verschiedenste Weise über ihn her – mit unverblümten Fragen, mit raffinierten Spekulationen und unbestimmten Vermutungen, doch er entzog sich der Geschicklichkeit von ihnen allen; so waren sie schließlich genötigt, den Informationen aus zweiter Hand von ihrer Nachbarin, Lady Lucas, Glauben zu schenken. Ihr Bericht fiel äußerst günstig aus. Sir William war von ihm begeistert gewesen. Er war noch ziemlich jung, erstaunlich gutaussehend, außerordentlich sympathisch, und als Krönung des ganzen beabsichtigte er, bei der nächsten Gesellschaft mit vielen Freunden dabeizusein. Nichts konnte erfreulicher sein! Gern zu tanzen war ein sicherer Schritt auf dem Wege, sich zu verlieben, und man setzte sehr lebhafte Hoffnungen auf Mr. Bingleys Herz.
»Wenn ich nur eine meiner Töchter glücklich in Netherfield verheiratet sehen kann«, sagte Mrs. Bennet zu ihrem Gatten, »und alle anderen gleichermaßen gut versorgt, dann bleibt mir nichts mehr zu wünschen.«
Nach ein paar Tagen erwiderte Mr. Bingley den Besuch Mr. Bennets, und die beiden saßen etwa zehn Minuten zusammen in der Bibliothek. Mr. Bingley hatte gehofft, daß es ihm vergönnt sein würde, einen Blick auf die jungen Damen zu werfen, von deren Schönheit er viel gehört hatte, doch er bekam nur den Vater zu sehen. Die Damen hatten etwas mehr Glück, denn es bot sich ihnen die Gelegenheit, von einem oberen Fenster festzustellen, daß er einen blauen Mantel trug und auf einem Rappen gekommen war.
Eine Einladung zum Dinner wurde bald darauf abgesandt; und Mrs. Bennet hatte bereits einen Plan für die Speisenfolge aufgestellt, der ihrer Haushaltung Ehre machen sollte, als eine Antwort eintraf, die es erforderlich machte, alles zu verschieben. Mr. Bingley sei genötigt, am nächsten Tag in die Stadt zu fahren, und würde deshalb auf die Ehre verzichten müssen, ihrer Einladung Folge zu leisten, usw. usw. Mrs. Bennet war ziemlich aus der Fassung gebracht. Sie konnte sich nicht vorstellen, was Mr. Bingley so bald nach seiner Ankunft in Hertfordshire in der Stadt zu tun haben könnte; sie fürchtete schließlich, daß er vielleicht ständig von einem Ort zum anderen jagte und sich niemals in Netherfield richtig niederlassen würde, wie er es sollte. Lady Lucas linderte ihre Besorgnis ein wenig, indem sie den Gedanken aufbrachte, er sei nur deshalb in London, um recht viele Leute für den Ball herbeizuholen; und bald folgte auch das Gerücht, daß Mr. Bingley zwölf Damen und sieben Herren zu der Gesellschaft mitbringen würde. Eine solche Anzahl Damen betrübte die Mädchen, sie waren jedoch erleichtert, als sie am Tag vor dem Ball hörten, daß er statt zwölf Damen nur sechs aus London mitgebracht habe – seine fünf Schwestern und eine Cousine. Und als die Gruppe den Festsaal betrat, waren es schließlich zusammen nur fünf – Mr. Bingley, seine zwei Schwestern, der Gatte der älteren und ein weiterer junger Mann.
Mr. Bingley sah gut aus und besaß die Umgangsformen eines Gentleman; er hatte ein sympathisches Gesicht und ein ungezwungenes, natürliches Wesen. Die Schwestern waren elegante Frauen mit einem Auftreten von unzweifelhafter Lebensart. Seinem Schwager, Mr. Hurst, sah man lediglich den Gentleman an; doch sein Freund, Mr. Darcy, zog – durch seine elegante, hohe Gestalt, seine schönen Gesichtszüge, seine vornehme Haltung und durch das Gerücht, das innerhalb von fünf Minuten überall die Runde machte, daß er zehntausend Pfund im Jahr habe – bald die Aufmerksamkeit des ganzen Saales auf sich. Die Herren bezeichneten ihn als einen stattlichen Mann, die Damen erklärten, er sähe viel besser aus als Mr. Bingley, und den halben Abend lang betrachtete man ihn voller Bewunderung – bis sein Benehmen einen Abscheu hervorrief, der das Blatt seiner Beliebtheit wendete, denn man entdeckte, daß er hochmütig war, sich der Gesellschaft überlegen glaubte und an nichts Gefallen fand; und sein ganzer großer Besitz in Derbyshire konnte ihn nicht davor bewahren, ein äußerst abstoßendes, übellauniges Gesicht zu haben und es nicht wert zu sein, mit seinem Freund verglichen zu werden.
Mr. Bingley hatte sich bald mit allen wichtigen Leuten im Saal bekanntgemacht; er war lebhaft und freimütig, ließ keinen Tanz aus, war ärgerlich, daß der Ball so früh zu Ende war, und sprach davon, daß er auf Netherfield bald selbst einen geben werde. Solche liebenswürdigen Eigenschaften mußten für sich sprechen. Was für ein Gegensatz zwischen ihm und seinem Freund! Mr. Darcy tanzte nur einmal mit Mrs. Hurst und einmal mit Miss Bingley, lehnte es ab, irgendeiner anderen Dame vorgestellt zu werden, und verbrachte den Rest des Abends damit, im Saal umherzuwandern und gelegentlich mit einem seiner eigenen Freunde zu sprechen. Von seinem Charakter hatte man nun eine feste Meinung. Er war der hochmütigste, unangenehmste Mann der Welt, und jedermann hoffte, daß er niemals wieder erscheinen würde. Zu denen, die am leidenschaftlichsten gegen ihn eingenommen waren, gehörte Mrs. Bennet, deren Abneigung gegen sein allgemeines Betragen sich zu einem ganz besonderen Groll verschärfte, weil er eine ihrer Töchter beleidigt hatte.
Elizabeth Bennet war durch den Mangel an Herren genötigt, während zweier Tänze sitzenzubleiben; während dieser Zeit hatte Mr. Darcy einmal ganz in ihrer Nähe gestanden, so daß sie seine Unterhaltung mit Mr. Bingley mitanhören konnte, der für ein paar Minuten dem Tanz fernblieb, um seinen Freund zum Mitmachen zu bewegen.
»Komm, Darcy«, sagte er, »ich will, daß du tanzt. Ich sehe dich nicht gern hier so stumpfsinnig allein herumstehen. Du solltest wirklich lieber tanzen.«
»Das werde ich nicht! Du weißt, wie ich das verabscheue, wenn ich mit meiner Partnerin nicht gut bekannt bin. Bei einer Gesellschaft wie dieser wäre das unerträglich. Deine Schwestern sind bereits vergeben, und es ist keine andere Frau im Saal, mit der zu tanzen nicht eine Strafe für mich wäre.«
»So anspruchsvoll wäre ich nicht«, rief Bingley, »nicht für ein Königreich! Auf Ehre, mir sind noch nie so viele liebenswürdige Mädchen in meinem Leben begegnet wie an diesem Abend, und einige von denen, die du hier siehst, sind sogar ungewöhnlich hübsch.«
»Du tanzt mit dem einzigen schönen Mädchen im Saal«, sagte Mr. Darcy mit einem Blick auf die älteste Miss Bennet.
»Oh, sie ist das herrlichste Geschöpf, das ich je erblickt habe! Aber da sitzt eine ihrer Schwestern direkt hinter dir – sie ist sehr hübsch, und ich darf wohl sagen, auch sehr liebenswürdig. Laß mich meine Partnerin bitten, euch bekanntzumachen.«
»Welche meinst du?« Er drehte sich um, sah Elizabeth einen Moment an, wandte sich aber ab, als er bemerkte, daß er ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte, und sagte kühl: »Sie ist passabel, aber nicht schön genug, um mich in Versuchung zu bringen; ich bin nicht in der Stimmung, Damen Bedeutung zuzumessen, die von anderen Männern nicht beachtet werden. Du solltest lieber zu deiner Partnerin zurückkehren und dich ihrer Gunst erfreuen, du verschwendest nur deine Zeit mit mir.«
Mr. Bingley folgte seinem Rat. Mr. Darcy entfernte sich, und Elizabeth blieb mit nicht sehr freundlichen Gefühlen für ihn zurück. Sie erzählte die Geschichte jedoch sehr temperamentvoll ihren Freundinnen, denn sie hatte ein lebhaftes, spielerisches Naturell, das sie an allem Absurden Vergnügen finden ließ.
Der Abend war insgesamt für die Familie sehr erfreulich verlaufen. Mrs. Bennet hatte gesehen, daß ihre älteste Tochter von den Netherfield-Leuten viel bewundert wurde. Mr. Bingley hatte zweimal mit ihr getanzt, und auch von seinen Schwestern war sie ausgezeichnet worden. Jane war ebenso beglückt darüber wie ihre Mutter, wenngleich auf eine stillere Art. Elizabeth freute sich für Jane. Mary hatte gehört, wie sie Miss Bingley gegenüber als das gebildetste Mädchen der ganzen Nachbarschaft erwähnt wurde; und Catherine und Lydia waren so glücklich gewesen, niemals ohne Tanzpartner zu sein, und das war alles, wonach sie bisher bei einem Ball zu trachten gelernt hatten. So kehrten sie in guter Stimmung nach Longbourn zurück, dem Dorf, in dem sie lebten und dessen bedeutendste Einwohner sie waren. Mr. Bennet war noch auf, als sie ankamen. Wenn er las, achtete er nicht auf die Zeit, und diesmal spielte ein gut Teil Neugier mit, etwas über das Ereignis des Abends zu erfahren, das so glänzende Erwartungen geweckt hatte. Er hatte eigentlich gehofft, daß all die Absichten seiner Frau auf den Fremden enttäuscht würden, aber er erkannte bald, daß er etwas ganz anderes zu hören bekam.
»Oh, mein lieber Bennet«, rief sie, als sie das Zimmer betraten, »wir hatten einen herrlichen Abend, es war ein ganz vortrefflicher Ball. Ich wünschte, du wärst dort gewesen. Jane wurde so bewundert, es hätte nicht besser sein können. Alle haben gesagt, wie gut sie aussieht, und Mr. Bingley fand sie sehr schön und hat zweimal mit ihr getanzt – denk dir nur, mein Lieber, er hat tatsächlich zweimal mit ihr getanzt; und sie war das einzige Mädchen im Saal, das er zweimal aufgefordert hat. Zuallererst hat er Miss Lucas aufgefordert. Ich war so ärgerlich, als er mit ihr zum Tanz antrat; aber er hat sie überhaupt nicht bewundert – wahrhaftig, niemand kann das, nicht wahr –; aber er schien ganz begeistert von Jane, als er sie beim Tanz sah. Und er erkundigte sich, wer sie sei, und wurde ihr vorgestellt, und dann bat er sie um die nächsten Tänze. Die dritten tanzte er mit Miss King und die vierten mit Maria Lucas und die fünften wieder mit Jane und die beiden sechsten mit Lizzy, und den Boulanger ...«
»Wenn er nur irgendwelches Mitgefühl mit mir gehabt hätte«, rief ihr Gatte ungeduldig, »dann hätte er nicht halb soviel getanzt! Um Himmels willen, erzähl mir nichts mehr über seine Partnerinnen. Hätte er sich doch nur gleich beim ersten Tanz einen Knöchel verstaucht!«
»Oh, mein Lieber«, fuhr Mrs. Bennet fort, »ich bin ganz entzückt von ihm. Er sieht so ungemein gut aus! Und seine Schwestern sind reizende Frauen. Ich habe noch nie in meinem Leben etwas so Elegantes gesehen wie ihre Kleider. Ich möchte behaupten, daß die Spitze auf Mrs. Hursts Kleid ...«
Hier wurde sie erneut unterbrochen. Mr. Bennet protestierte gegen jegliche Beschreibung von Putz. Sie war deshalb genötigt, sich auf einen anderen Aspekt der Sache zu verlegen, und so berichtete sie mit viel Bitterkeit und einiger Übertreibung von der empörenden Unverschämtheit Mr. Darcys.
»Aber ich kann dir versichern«, fügte sie hinzu, »daß Lizzy nicht viel verliert, wenn sie seinem Geschmack nicht genügt, denn er ist ein ganz schrecklicher, unangenehmer Mensch, der es nicht wert ist, daß man ihm zu Gefallen ist. So überheblich und eingebildet ist er, daß es ganz unerträglich war. Er wanderte nur hin und her und kam sich mächtig erhaben vor! Sieht nicht einmal gut genug aus, um mit ihm zu tanzen! Ich wünschte, du wärst dabeigewesen, mein Lieber, um ihm einen deiner Dämpfer zu verpassen. Ich verabscheue den Mann.«
Als Jane und Elizabeth allein waren, offenbarte die erstere, die sich zuvor mit ihrem Lob für Mr. Bingley zurückgehalten hatte, ihrer Schwester, wie sehr sie ihn bewunderte.
»Er ist geradeso, wie ein junger Mann sein sollte«, sagte sie, »verständig, freundlich und voller Leben; und ich habe niemals zuvor so treffliche Umgangsformen gesehen – so viel Ungezwungenheit bei solch perfektem Benehmen!«
»Und gut sieht er auch aus«, erwiderte Elizabeth, »was man von einem jungen Mann ebenfalls erwarten sollte, wenn irgend möglich. Seine Person ist somit vollkommen.«
»Ich fühlte mich sehr geschmeichelt, als er mich zum zweiten Mal zum Tanz aufforderte. Ein solches Kompliment hatte ich niemals erwartet.«
»Nein? Aber ich hatte es für dich erwartet. Das ist der große Unterschied zwischen uns beiden. Dich überraschen Komplimente immer, und mich niemals. Was konnte natürlicher sein, als daß er dich nochmals aufforderte? Er mußte ja sehen, daß du fünfmal so hübsch bist wie jedes andere Mädchen im Saal. Deshalb gebührt ihm kein Dank für seine Galanterie. Nun ja, er ist gewiß sehr liebenswürdig, ich erlaube dir, ihn zu mögen. Du hast so manchen dümmeren Menschen gemocht.«
»Liebe Lizzy!«
»Oh, du neigst nämlich viel zu sehr dazu, die Leute ganz allgemein zu mögen. Du siehst niemals Fehler in einem Menschen. In deinen Augen ist alle Welt gut und liebenswürdig. Ich habe dich noch nie in meinem Leben von jemandem Schlechtes reden hören.«
»Ich möchte nicht vorschnell über einen Menschen urteilen, aber ich sage immer, was ich denke.«
»Das weiß ich, und das ist es, was mich verwundert. Bei deinem gesunden Menschenverstand so völlig blind zu sein für die Torheiten und das absurde Benehmen anderer! Aufrichtigkeit zu heucheln ist nur allzu verbreitet, dem begegnet man überall. Aber aufrichtig zu sein ohne Prahlerei oder Absicht – im Charakter eines jeden nur das Gute zu sehen, es noch besser zu machen und das Schlechte zu verschweigen – das ist deine Sache allein. Und so magst du also die Schwestern dieses Mannes ebenfalls, nicht wahr? Ihr Benehmen gleicht aber nicht dem seinen.«
»Gewiß nicht, nicht zu Anfang. Aber wenn man mit ihnen spricht, sind es sehr einnehmende Damen. Miss Bingley soll bei ihrem Bruder leben und ihm den Haushalt führen, und ich müßte mich sehr irren, wenn wir mit ihr nicht eine ganz reizende Nachbarin bekämen.«
Elizabeth hörte schweigend zu, war aber nicht überzeugt; das Verhalten der Schwestern auf dem Ball war nicht dazu angetan gewesen, allgemein zu gefallen; und von schärferer Beobachtungsgabe und weniger leicht zu beeinflussen als ihre Schwester, dazu mit einem Urteilsvermögen ausgestattet, das nicht von Aufmerksamkeiten ihr gegenüber beeinträchtigt war, neigte sie kaum dazu, viel von ihnen zu halten. Es waren in der Tat sehr elegante Damen, und es mangelte ihnen nicht an guter Laune, wenn sie zufrieden waren, und auch nicht an der Fähigkeit, liebenswürdig zu sein, wenn es ihnen beliebte, doch waren sie hochmütig und selbstgefällig. Sie sahen recht gut aus, hatten in einer der ersten privaten höheren Schulen der Stadt ihre Bildung erworben, besaßen ein Vermögen von zwanzigtausend Pfund, pflegten mehr auszugeben, als sie sollten, und mit Leuten von Rang zu verkehren; sie fühlten sich deshalb in jeder Hinsicht berechtigt, eine hohe Meinung von sich zu haben und eine geringe von anderen. Sie stammten von einer angesehenen Familie im Norden Englands – ein Umstand, der sich ihrer Erinnerung tiefer eingeprägt hatte als die Tatsache, daß das Vermögen ihres Bruders und ihr eigenes durch Handel erworben war.
Mr. Bingley hatte von seinem Vater ein Vermögen in Höhe von fast einhunderttausend Pfund geerbt; dieser hatte die Absicht gehabt, ein Landgut dafür zu kaufen, war aber darüber hinweggestorben. Mr. Bingley beabsichtigte ebenfalls zu kaufen, und von Zeit zu Zeit suchte er auch nach einer geeigneten Grafschaft dafür, aber da er nun über ein angemessenes Haus verfügte und die Freiheiten eines Landgutes genoß, schien es all denen, die sein unbekümmertes Wesen am besten kannten, zweifelhaft, ob er nicht den Rest seines Lebens in Netherfield verbringen und den Kauf der nächsten Generation überlassen würde.
Seinen Schwestern lag sehr daran, daß er ein eigenes Besitztum erwarb. Doch obgleich er sich jetzt nur als Pächter niedergelassen hatte, war Miss Bingley keineswegs abgeneigt, seiner Tafel vorzustehen; und Mrs. Hurst, die einen Mann von mehr Lebensart als Vermögen geheiratet hatte, war nicht weniger geneigt, sein Haus auch als ihr Heim zu betrachten, wenn es ihr beliebte. Mr. Bingley war noch keine zwei Jahre volljährig gewesen, als er durch eine zufällige Empfehlung verlockt wurde, sich Netherfield House anzusehen. Und er sah es sich an, von außen und von innen, eine halbe Stunde lang, war erfreut über die Lage und die wesentlichen Räume, war zufrieden mit dem, was der Eigentümer zum Lob des Hauses sagte, und griff sofort zu.
Ihn und Darcy verband eine sehr beständige Freundschaft, trotz des großen Gegensatzes ihrer Charaktere. Darcy war Bingley wegen seines unbekümmerten, freimütigen und nachgiebigen Wesens zugetan, obgleich dessen Veranlagung keinen größeren Gegensatz zu der seinen bilden konnte, mit der er doch keineswegs unzufrieden zu sein schien. Darcys Freundschaft bewirkte, daß Bingley volles Vertrauen in ihn setzte und er die höchste Meinung von dessen Urteilsvermögen hatte. An Verstandeskraft war Darcy ihm überlegen. Bingley mangelte es keineswegs an Verstand, aber Darcy war intelligent. Doch gleichzeitig war er hochmütig, reserviert und sehr anspruchsvoll, und sein Benehmen war trotz seiner Wohlerzogenheit nicht gerade anziehend. In dieser Hinsicht war Bingley seinem Freund gegenüber sehr im Vorteil. Er konnte gewiß sein, daß er, wo immer er hinkam, wohlgelitten war, Darcy dagegen erregte ständig Anstoß.
Die Art und Weise, in der sie über die Gesellschaft in Meryton sprachen, war durchaus charakteristisch. Bingley war niemals zuvor in seinem Leben angenehmeren Leuten und hübscheren Mädchen begegnet; alle waren äußerst freundlich und aufmerksam zu ihm gewesen, es hatte keine Förmlichkeiten, keine Steifheit gegeben, er hatte sich bald mit allen im Saal vertraut gefühlt; und was Miss Bennet anging, so konnte er sich keinen Engel vorstellen, der schöner war. Darcy dagegen hatte eine Ansammlung von Leuten gesehen, in der es wenig Schönheit und keine Lebensart gab; an keinem von ihnen hatte er das geringste Interesse verspürt und von niemandem Aufmerksamkeit oder Vergnügen erfahren. Er erkannte an, daß Miss Bennet hübsch sei, doch lächle sie zuviel.
Mrs. Hurst und ihre Schwester gaben dies zu – doch trotzdem bewunderten und mochten sie Miss Bennet und erklärten, daß sie ein reizendes Mädchen sei und sie nichts dagegen einzuwenden hätten, sie näher kennenzulernen. Miss Bennet war somit als ein reizendes Mädchen anerkannt, und ihr Bruder fühlte sich durch solches Lob dazu berechtigt, von ihr zu denken, was ihm beliebte.
Nur eine kurze Wegstrecke von Longbourn entfernt wohnte eine Familie, mit der die Bennets besonders befreundet waren. Sir William Lucas hatte früher in Meryton einen Handel betrieben, bei dem er ein ziemliches Vermögen erworben hatte, und war durch eine Ansprache an den König während seiner Amtszeit als Bürgermeister in den Ritterstand erhoben worden. Diese Auszeichnung hatte ihn vielleicht allzu stark beeindruckt. Sie hatte ihn mit Abscheu vor seinem Handel und seinem Wohnsitz in einem kleinen Marktflecken erfüllt. So hatte er beides aufgegeben und war mit seiner Familie in ein Haus gezogen, das etwa eine Meile von Meryton entfernt lag und seit der Zeit den Namen Lucas Lodge trug; dort konnte er mit Vergnügen über seine eigene Bedeutung nachdenken und sich, unbehindert durch ein Gewerbe, einzig und allein damit beschäftigen, zu aller Welt zuvorkommend zu sein. Denn obgleich ihn sein Rang mit Stolz erfüllte, machte er ihn nicht hochmütig; im Gegenteil, er war für jedermann ganz Aufmerksamkeit. Von Natur aus friedfertig, freundlich und gefällig, hatte ihn seine Vorstellung bei Hofe in St. James geradezu liebenswürdig gemacht.
Lady Lucas war eine sehr gute Frau und nicht zu klug, um eine geschätzte Nachbarin für Mrs. Bennet zu sein. – Sie hatten mehrere Kinder. Die älteste von ihnen, eine verständige, intelligente junge Frau von etwa siebenundzwanzig Jahren, war Elizabeths vertraute Freundin.
Daß die Miss Lucas’ und die Miss Bennets zusammenkamen, um einen Ball durchzusprechen, war eine absolute Notwendigkeit; und am Morgen nach der Gesellschaft kamen die ersteren nach Longbourn, um ihre Erlebnisse mit den Bennets auszutauschen.
»Sie haben einen guten Anfang gehabt gestern abend, Charlotte«, sagte Mrs. Bennet mit höflicher Selbstbeherrschung zu Miss Lucas. »Sie waren Mr. Bingleys erste Wahl.«
»Ja – aber ihm schien seine zweite besser zu gefallen.«
»Oh – Sie meinen wohl Jane, weil er zweimal mit ihr tanzte. Es schien tatsächlich, als gefiele sie ihm – wirklich, ich glaube es schon. Ich hörte etwas darüber, aber ich weiß kaum noch, was es war – etwas über Mr. Robinson.«
»Sie meinen vielleicht, was ich zwischen Mr. Bingley und Mr. Robinson mitangehört habe; habe ich Ihnen nichts davon erzählt? Daß Mr. Robinson ihn fragte, wie ihm unsere Gesellschaften in Meryton denn gefielen und ob er nicht meine, daß es sehr viele hübsche Damen im Saal gebe, und wer für ihn die hübscheste sei? Und wie er augenblicklich auf die letzte Frage antwortete – Oh, die älteste Miss Bennet ohne jeden Zweifel, darüber kann es nur eine Meinung geben.«
»Auf mein Wort! – Na, das war tatsächlich eine sehr entschiedene Äußerung – das scheint ja, als ob ..., aber, wissen Sie, das mag alles zu nichts weiter führen.«
»Was ich mitangehört habe, war besser, als was du gehört hattest, Eliza«, sagte Charlotte. »Mr. Darcy zuzuhören macht nicht so viel Freude, wie es bei seinem Freund der Fall ist, nicht wahr? – Arme Eliza! – Nur gerade passabel zu sein.«
»Sie sollten es Lizzy lieber nicht einreden, durch seine unfreundliche Behandlung verärgert zu sein. Er ist ja ein so unangenehmer Mensch, daß es schon ein ziemliches Unglück wäre, ihm zu gefallen. Mrs. Long erzählte mir gestern abend, daß er eine halbe Stunde lang dicht neben ihr gesessen hat, ohne auch nur einmal den Mund aufzutun.«
»Bist du da ganz sicher, Mama? – Beruht das nicht auf einem kleinen Irrtum?« fragte Jane. »Ich habe ganz bestimmt gesehen, wie Mr. Darcy mit ihr sprach.«
»Ja, weil sie ihn schließlich fragte, wie ihm Netherfield gefiele, und er nicht umhin konnte, ihr eine Antwort zu geben; aber sie sagte, er schien sehr ärgerlich darüber zu sein, daß er angesprochen wurde.«
»Mr. Bingley erzählte mir«, sagte Jane, »daß er niemals viel spricht, außer mit seinen vetrauten Freunden. Mit ihnen ist er außerordentlich liebenswürdig.«
»Davon glaube ich kein Wort, meine Liebe. Wenn er so liebenswürdig wäre, hätte er doch mit Mrs. Long gesprochen. Aber ich kann mir schon denken, wie das war; jeder sagt, er würde vom Stolz verzehrt, und ich glaube wohl, ihm war irgendwie zu Ohren gekommen, daß Mrs. Long keine Equipage hält und mit einer Mietkutsche zum Ball gekommen war.«
»Ich würde nichts dabei finden, daß er nicht mit Mrs. Long gesprochen hat«, sagte Miss Lucas, »aber ich wünschte, er hätte mit Eliza getanzt.«
»Ein andermal würde ich an deiner Stelle auch nicht mit ihm tanzen, Lizzy«, sagte ihre Mutter.
»Ich denke, Mama, ich kann dir ohne weiteres versprechen, daß ich nie mit ihm tanzen werde.«
»Sein Stolz«, sagte Miss Lucas, »beleidigt mich nicht so sehr, wie es Stolz sonst oft tut, denn es gibt eine Entschuldigung dafür. Es ist doch nicht verwunderlich, daß ein so glänzender junger Mann mit Familie, Vermögen – und in jeder Hinsicht begünstigt – eine hohe Meinung von sich hat. Er hat – wenn ich das so sagen darf – ein Recht darauf, stolz zu sein.«
»Das ist ganz richtig«, erwiderte Elizabeth, »und ich könnte ihm leicht seinen Stolz verzeihen, wenn er den meinen nicht verletzt hätte.«
»Stolz«, bemerkte Mary, die sich etwas auf die Gültigkeit ihrer Überlegungen einbildete, »ist, glaube ich, eine sehr verbreitete Schwäche. Nach allem, was ich jemals gelesen habe, bin ich überzeugt, daß er tatsächlich sehr verbreitet ist, daß die menschliche Natur besonders dazu neigt und daß es sehr wenige unter uns gibt, die nicht aufgrund der einen oder andern Eigenschaft, ob sie nun wirklich oder eingebildet ist, ein Gefühl der Selbstgefälligkeit nähren. Eitelkeit und Stolz sind verschiedene Dinge, obgleich die Worte oftmals als bedeutungsgleich verwendet werden. Ein Mensch kann stolz sein, ohne eitel zu sein. Stolz bezieht sich mehr auf unsere Meinung von uns selbst, Eitelkeit auf das, was andere von uns denken sollen.«
»Wenn ich so reich wäre wie Mr. Darcy«, rief einer der Lucas-Jungen, der mit seinen Schwestern mitgekommen war, »wäre mir egal, wie stolz ich bin. Ich würde mir eine Meute Fuchshunde halten und jeden Tag eine Flasche Wein trinken.«
»Dann würdest du eine Menge mehr trinken, als du solltest«, erklärte Mrs. Bennet, »und wenn ich dich damit sehen sollte, würde ich dir die Flasche augenblicklich wegnehmen.«
Der Junge protestierte, daß sie das nicht tun dürfe; sie blieb dabei zu erklären, daß sie es doch tun würde, und erst mit dem Aufbruch der Gäste endete der Streit.
Die Damen von Longbourn statteten denen in Netherfield bald einen Besuch ab. Dieser wurde in geziemender Form erwidert. Miss Bennets angenehme Art gewann das Wohlwollen Mrs. Hursts und Miss Bingleys, und obgleich sie die Mutter unerträglich fanden und die jüngeren Schwestern nicht wert, daß man mit ihnen sprach, wurde den beiden älteren gegenüber der Wunsch geäußert, sie näher kennenzulernen. Jane nahm diese Aufmerksamkeit mit dem größten Vergnügen an, aber Elizabeth sah in der Art und Weise, wie die Damen jedermann behandelten – ihre Schwester kaum ausgenommen – eine Herablassung, und sie konnte sie nicht leiden; dennoch hatte deren Freundlichkeit Jane gegenüber als solche ihren Wert darin, daß sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach aus der Bewunderung ihres Bruders für sie ergab. Es war ganz allgemein offenkundig, daß er sie, wann immer sie sich begegneten, tatsächlich bewunderte; und für Elizabeth war es gleichermaßen offenkundig, daß sich Jane ganz der Neigung, die sie ihm von Anfang an entgegengebracht hatte, überließ und auf dem besten Wege war, sich zu verlieben; doch sie dachte mit Vergnügen daran, wie unwahrscheinlich es war, daß dies von anderen entdeckt würde, da Jane mit starken Gefühlen ein sehr ruhiges und gleichmäßig heiteres Gemüt verband, das sie vor dem Verdacht Zudringlicher schützte. Elizabeth erwähnte das gegenüber ihrer Freundin Miss Lucas.
»Es ist vielleicht angenehm«, entgegnete Charlotte, »in einem solchen Fall die Öffentlichkeit täuschen zu können, aber manchmal ist es auch ein Nachteil, so sehr zurückhaltend zu sein. Wenn eine Frau ihre Zuneigung mit der gleichen Geschicklichkeit auch vor deren Gegenstand verbirgt, versäumt sie vielleicht die Gelegenheit, ihn zu fesseln; und dann wird es nur ein schwacher Trost sein zu glauben, daß die Leute davon ebensowenig ahnen. In fast jeder Zuneigung gibt es soviel Dankbarkeit oder auch Eitelkeit, daß es nicht ungefährlich ist, auch nur eine dem Selbstlauf zu überlassen. Wir können uns jeder Neigung zu Anfang ganz ungezwungen hingeben – eine leichte Vorliebe ist ganz natürlich; aber es gibt sehr wenige von uns, die genügend Mut haben, sich ohne Ermunterung wirklich zu verlieben. In neun von zehn Fällen ist es für eine Frau besser, mehr Zuneigung zu zeigen, als sie empfindet. Bingley hat deine Schwester zweifellos gern, aber er wird vielleicht niemals mehr tun, als sie gern haben, wenn sie ihm nicht weiterhilft.«
»Aber sie hilft ihm weiter, soweit es ihre Natur zuläßt. Wenn ich ihre Zuneigung zu ihm erkennen kann, müßte er ja in der Tat ein Dummkopf sein, wenn er sie nicht ebenfalls wahrnehmen würde.«
»Du mußt bedenken, Eliza, daß er Janes Veranlagung nicht so gut kennt wie du.«
»Aber wenn eine Frau für einen Mann eingenommen ist und sich nicht bemüht, es zu verbergen, muß er es doch herausfinden.«
»Vielleicht ist es so, wenn er sie oft genug sieht. Aber obgleich Bingley und Jane einigermaßen häufig zusammenkommen, ist es niemals länger als für ein paar Stunden, und da sie einander immer nur in einer großen, zusammengewürfelten Gesellschaft sehen, können sie unmöglich die ganze Zeit miteinander sprechen. Jane sollte deshalb keine halbe Stunde, in der sie über seine Aufmerksamkeit verfügen kann, ungenutzt lassen. Wenn sie sich seiner sicher ist, kann sie sich in Muße verlieben, soviel sie möchte.«
»Dein Plan ist recht gut«, erwiderte Elizabeth, »wenn es um nichts anderes geht als den Wunsch, sich gut zu verheiraten; und wenn ich entschlossen wäre, einen reichen Mann zu bekommen, oder überhaupt irgendeinen, glaube ich wohl, daß ich es so machen würde. Aber das ist nicht Janes Einstellung, sie handelt nicht nach einem Vorsatz. Noch kann sie sich nicht einmal über die Stärke ihrer eigenen Zuneigung sicher sein, oder über deren Berechtigung. Sie kennt ihn doch erst zwei Wochen. In Meryton hat sie vier Tänze mit ihm getanzt, an einem Vormittag hat sie ihn in seinem Haus besucht und hat seitdem viermal in Gesellschaft mit ihm diniert. Das reicht wirklich noch nicht aus, um seinen Charakter kennenzulernen.«
»Nicht, wie du es darstellst. Hätte sie lediglich mit ihm diniert, so mag sie vielleicht herausgefunden haben, ob er einen gesunden Appetit hat; aber du mußt bedenken, daß sie außerdem vier Abende zusammen verbracht haben – und vier Abende können eine Menge bewirken.«
»Ja, diese vier Abende haben es ihnen ermöglicht, in Erfahrung zu bringen, daß sie beide Vingt-et-un lieber spielen als Kommerz; aber ich kann mir nicht vorstellen, daß dabei von anderen wichtigen Eigentümlichkeiten viel zutage kam.«