Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juni 2012
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Die Geschichte «Urlaub mit Kluftinger» erschien unter dem Titel «Das geheimnisvolle Zimmer» bereits in: Volker Klüpfel/Michael Kobr, «Zwei Einzelzimmer, bitte! Mit Kluftinger durch Deutschland» [Piper Verlag 2011].
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Umschlaggestaltung any.way, Hannah Krause
Umschlagabbildung Rudi Hurzlmeier
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ISBN Printausgabe 978-3-499-25886-2 (1. Auflage 2012)
ISBN E-Book 978-3-644-46541-1
www.rowohlt.de
ISBN 978-3-644-46541-1
Horst Evers
Die Freunde haben ein Ferienhaus gemietet. An der Ostsee. Ein großes Ferienhaus. Und jetzt müssen wir mit ihnen da Urlaub machen. «Weil es sich sonst ja nicht lohnt.»
Das war die offizielle Begründung. Also mit diesen Worten wurden wir gefragt, ob wir nicht mit in dem Haus Ferien machen wollen. «Weil es sich sonst ja nicht lohnt.»
Alleine kriegen sie das Haus nicht genügend bewohnt. Wenn zu wenig Leute darin wohnen, fühlt sich das Haus unterfordert. Das sollte man nicht zulassen. Das ist wie mit Kindern in der Schule. Die darf man auch auf keinen Fall unterfordern. Sonst fangen die an, sich zu langweilen, werden unaufmerksam, machen Quatsch, sind abgelenkt, kriegen irgendwann überhaupt gar nichts mehr mit, werden dann immer schlechter in der Schule, bis sie völlig den Anschluss verlieren, keinen Abschluss hinkriegen, auf die schiefe Bahn geraten und dann beispielsweise mit Drogen handeln.
So, und damit dieses Ferienhaus an der Ostsee eben nicht irgendwann anfängt, mit Drogen zu handeln, müssen wir da jetzt also mit in den Urlaub. Damit sich das auch lohnt. Das Haus auffüllen.
Wie bei Einkäufen, wo man dann auch noch das eine oder andere dazunimmt, damit der Weg sich gelohnt hat. Also man ist los, weil man Milch und vielleicht noch Klopapier brauchte, aber am Ende nimmt man dann auch noch irgendwelchen Quatsch dazu, damit sich der Weg gelohnt hat. Ich habe mehrere Sorten Beuteltee zu Hause, die ich nur besitze, weil sich der Weg ja sonst nicht gelohnt hätte.
Es gibt riesige, weltweit agierende Unternehmen, deren Geschäftsmodell komplett auf den «Weil sich ja sonst der Weg nicht gelohnt hätte»-Käufen basiert.
IKEA zum Beispiel. Da wurden schon ganz seriöse Untersuchungen angestellt, die belegen, dass die «Weil man jetzt grad mal da ist, nehmen wir das doch schnell mal mit»-Käufe bei IKEA rund siebzig Prozent des Gesamtumsatzes ausmachen. Das ist deren Trick. Ich kenne ein Paar, das bei denen ein Schlafsofa kaufen wollte, kein schönes gefunden hat und stattdessen mit sonstigen Einrichtungsgegenständen und Wohnacccessoires im Wert von ca. 1,75 Schlafsofas nach Hause gekommen ist. Ein halbes Jahr später haben sie dann doch ein Schlafsofa bei IKEA gekauft, weil das (wörtliches Zitat!) einfach am besten zu der restlichen Einrichtung ihrer Wohnung passt.
Wobei es sich ja auch für den Kaufgegenstand wahrscheinlich gar nicht so toll anfühlt, nur gekauft worden zu sein, weil sich sonst der Weg nicht gelohnt hätte. Also ich vermeide schon seit längerem den Blickkontakt mit meinen vielen Teebeutelpackungen. Ich spüre auch so, wie sie mich enttäuscht und vorwurfsvoll anstarren:
«Warum? Warum sind wir hier? Seit Jahren. Warum hast du uns gekauft? Hat dies alles irgendeinen Sinn? Komm, brüh uns auf! Übergieß uns mit heißem Wasser. Damit das Elend hier endlich ein Ende hat. Verbrüh uns! Oh ja, verbrüh uns!»
Eine ehemalige Freundin hat sich von mir mal mit den Worten getrennt, ich hätte sowieso nur auf dem Weg gelegen, also quasi, eigentlich hätte sie ohnehin einen meiner Freunde gewollt. Da der aber noch besetzt war, habe sie die Zwischenzeit eben erst mal mit mir überbrückt. Ich sei quasi so was wie ein Wartesemester gewesen.
Na ja, da ich seinerzeit in Beziehungsfragen aber ohnehin eher die Haltung «Erst mal nehmen, was man kriegen kann!» hatte, fand ich das gar nicht so schlimm. Ich würd’s genau so wieder machen.
Und deshalb habe ich auch keine Probleme, dieses Ferienhaus vollzumachen. So weiß ich doch wenigstens, dass die Ferien einen echten tieferen Sinn haben.
Natürlich ist so ein Mehrgenerationen-Urlaub nicht immer einfach. Zwar sind es in unserem Falle nur zwei Generationen, also Eltern und Kinder, aber schon das kann manchmal zu unüberbrückbaren Interessenkonflikten führen. So wie am Morgen des dritten Urlaubstages. Alle Eltern sind müde, wollen im Haus bleiben, lesen und dösen und vielleicht sogar noch mal hier und da versehentlich ein bisschen wegschlafen. Alle Kinder wollen an den Strand. Streit liegt in der Luft.
Ich sage, es reiche doch, wenn ein Erwachsener mit den Kindern an den Strand gehe. Alle sind begeistert und jubeln. Die anderen Eltern bedanken sich, dass ich mich bereit erklärt habe, mit den Kindern an den Strand zu gehen.
Fühle mich missverstanden. Nein, nein, versuche ich zu erklären, welcher der vier Erwachsenen an den Strand gehe, müsse noch entschieden werden, man könne ja losen.
Julia guckt genervt. Sie macht vier Zettel, schreibt auf jeden der vier Zettel einen Namen, faltet sie, legt sie in eine leere Schale, hält mir diese dann hin und sagt:
«Gott, ich weiß zwar nicht, welchen Sinn dieses Losen haben soll, aber wenn du dich dann besser fühlst …»
Ziehe ein Los. Mist, mein Name. Beklage mein Pech. Na ja, meint Julia, das sei schon Pech, zum Teil liege es aber sicher auch daran, dass sie auf alle vier Zettel meinen Namen geschrieben habe.
Rund anderthalb Stunden später sitze ich mit den vier Kindern am Strand. Das heißt, ich sitze; die Kinder sind sofort ins Wasser gestürmt. Es ist sehr heiß. Ich würde auch gern ins Wasser, aber einer muss ja auf die Wertsachen aufpassen. Alle lachen, planschen und haben Spaß. Nur ich sitze wieder da, muss auf die Wertsachen aufpassen und schwitze. Tolle Wurst.
Es dauert eine Weile, dann habe ich endlich eine Art Idee und setze sie auch direkt in die Tat um. Packe mein Portemonnaie, das Handy und die restlichen Wertsachen in eine Plastiktüte und verschließe sie ganz, ganz fest, quasi luftdicht. Grabe dann mit der Strandplastikschaufel ein etwa fünfzig Zentimeter tiefes Loch, lege den Beutel dahinein, schütte alles wieder zu und breite das große Handtuch drüber. So, das sollte als Tresor eigentlich reichen. Jetzt kann ich endlich auch ins Wasser. Bin stolz auf meinen Einfall. Wieder mal ein schönes Beispiel für Lebensqualität durch Intelligenz.
Das Wasser ist viel zu kalt. Stelle fest, das Konzept Ostsee hat durchaus auch Schwächen. Am Strand zu heiß, im Wasser zu kalt. Im Restaurant würde man sich beschweren. Und versalzen ist sie auch, aber hallo! Wer immer die Ostsee zubereitet hat, muss total verliebt gewesen sein. Hätte jetzt gerne ein Eis, um mich von innen an die Wassertemperatur anzunähern, aber das Geld ist ja vergraben. Die Kinder müssen auf Toilette, das kostet fünfzig Cent. Verdammt. Erlaube ihnen, unauffällig in die Ostsee zu pinkeln, dann wird die vielleicht auch ein bisschen wärmer.
Beiße dann die Zähne zusammen und gehe endlich richtig weit raus ins Wasser. Stürze, falle hin, schüttele mich und muss dann zugeben, es ist großartig. Einfach ganz, ganz großartig. Was immer man dafür tun musste. Für diesen Moment, für das in das Meer Springen hat sich immer alles gelohnt. Es gibt kaum ein größeres und verlässlicheres Glücksgefühl. Vergesse alles um mich herum.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, als ich endlich wieder zurück an den Strand kehre. Viel Zeit wahrscheinlich, und vermutlich bin ich auch ziemlich weit nach links abgedriftet, also zumindest, wenn man sich an unserem Lagerplatz mit den Handtüchern orientiert.
Die Kinder liegen da und spielen «Ich sehe was, was du nicht siehst». Sie teilen mir mit, dass sie mit den Handtüchern und allem gute fünfzig Meter nach rechts gezogen sind, weil es hier mehr farbige Sachen zum Sehen und Spielen gibt. Ich starre sie an.
Wo denn das Problem sei, fragen sie, der Strand sei doch überall praktisch vollkommen gleich. Sage, genau das ist das Problem.
Gehe den Strand runter und suche nach der Stelle, wo ich die Wertsachen vergraben habe. Es ist aussichtslos. Aber dann sehe ich eine junge Frau, die sich auf ihrem Handtuch bräunt, und ich bin mir mit einem Mal ziemlich sicher. Ich fürchte sie liegt genau auf unseren Wertsachen.
Na ja, hilft ja nichts. Gehe zu ihr und frage:
«Entschuldigung, aber dürfte ich einmal kurz unter Ihnen graben?»
Sie schaut mich an, als hätte ich gefragt, ob ich mir mit ihren Nagellack die Glatze streichen dürfe. Aber nein, das stimmt so nicht, sie schaut noch viel, viel irritierter, also eigentlich schaut sie genau so, als hätte ich gefragt, ob ich unter ihr graben darf.
Erkläre ihr alles. Sie lacht, richtig herzlich mir zugewandt lacht sie. Dann graben wir zusammen und haben dabei gehörigen Spaß. Wäre ich noch auf dem Markt, denke ich, dann wäre genau das die Methode, jemanden kennenzulernen.
Die Kinder haben mittlerweile auch alle anderen Kinder am Strand informiert und dazu gebracht, nach meinem Tresor zu suchen. Der ganze Strand besteht aus Löcher grabenden Kindern, sogar die Eltern machen teilweise mit. Die Strandaufsicht kommt, fragt, was los ist. Nachdem ich alles erklärt habe, machen sie eine Durchsage. Jetzt kommen auch von der Promenade und anderswoher unzählige Menschen, die mal den Idioten sehen wollen, der sein Wertsachenloch nicht wiederfindet. Alle graben, aber es ist sinnlos, wir finden den Tresor einfach nicht.
Julian, der elfjährige Sohn unserer Freunde, nimmt mich zur Seite, weil er mir etwas Dringendes sagen will. Er druckst herum. Na ja, eigentlich sei ihnen schon beim Umziehen der Strandsachen das frisch gegrabene Loch aufgefallen, da hätten sie die Wertsachen gleich ausgegraben und mitgenommen. Und als ich dann so erschrocken war, hätten sie sich total gefreut, dass ihr Scherz so gut funktioniert, weshalb sie erst mal nichts gesagt hätten. Und dann ging das Graben los, und das sei ja auch erst mal sehr schön gewesen, sodass sie die gute Stimmung auch nicht hätten kaputt machen wollen. Aber jetzt sei die Sache doch vielleicht ein wenig aus dem Ruder gelaufen.
Denke, das trifft sich sehr gut, dass wir nun alle gute Gründe haben, erst mal niemandem von dieser Geschichte zu erzählen.
Wir beschließen, unauffällig unseren Kram zusammenzusuchen und die nächsten Tage vielleicht lieber an den etwas abgelegenen Weststrand zu gehen.
Als wir heimkommen, sind die anderen schon im Aufbruch: Am Strand solle richtig was los sein, rufen sie. Irgendeine Goldgräberaktion oder so was, vielleicht finden sie ja den Schatz. Wünsche ihnen viel Glück und bin alles in allem doch sehr zufrieden mit unserem Tag am Meer. Eigentlich ist ja doch alles gut gegangen, nur die Tüte war wohl doch nicht ganz so luftdicht oder vielmehr sanddicht wie erwartet, aber wie man ein Handy entsandet, wäscht, trocknet, es dann wieder absolut fachmännisch zusammenbaut und wie man später dem Handyhersteller zu erklären versucht, das Handy sei absolut von alleine kaputtgegangen, das ist noch mal eine ganz andere Geschichte.
Das Haus hat jedenfalls während des Urlaubs einen sehr zufriedenen und extrem bewohnten Eindruck gemacht. Insofern hat es sich schon wirklich gelohnt.
Rita Falk
Gleich wie ich aus dem Streifenwagen steig und in die Metzgerei reinkomm, ist ein Remmidemmi da drinnen, das kann man kaum glauben. Die Oma ist da und der Heizungspfuscher Flötzinger und das Metzgerpaar Simmerl selbstverständlich auch. Alle sind ganz aufgeregt und reden mit Händen und Füßen und wild durcheinander.
«Habe die Ehre, Dorfgendarm», sagt der Simmerl, während er ein Messer wetzt.
«Ah, gut, dass du kommst, Bub. Ich hab nämlich was gewonnen», schreit die Oma, wie sie mich sieht, und wedelt ziemlich siegessicher mit einem Prospekt. «Stell dir vor, einen Kurzurlaub hab ich gewonnen. Und sogar einen für zwei Personen. Bei einem Kreuzworträtsel. Kürbiskernsuppe war das Lösungswort. Was sagst dazu, Franz?»
«Kürbiskernsuppe, soso», sag ich und schau erst mal rein orientierungsbedingt in die heiße Vitrine.
«Hast du das gehört, Franz? Einen Urlaub hat sie gewonnen, einen für zwei Personen», sagt der Flötzinger relativ aufgeregt.
«Ja, das ist doch wunderbar. Machst mir zwei schöne Fleischpflanzerlsemmeln, Gisela», sag ich.
«Ist schon recht, Eberhofer», antwortet sie und schreitet zur Tat.
«Und, wo soll’s hingehen?», frag ich, ohne die Gisela dabei aus den Augen zu lassen.
«Nach Österreich», sagen der Simmerl und der Flötzinger direkt gleichzeitig.
«Nach Österreich, ja, da schau her! Das wird ihr gefallen, der Oma», sag ich und beiß voll Inbrunst in meine Semmel.
«Wird es nicht», sagt der Flötzinger und sucht einen zustimmenden Blick aus dem näheren Umfeld. «Weil sie nämlich gar nicht hinwill.»
«Will sie nicht?», frag ich.
«Nein!», sagt der Flötzinger.
«Und warum nicht, wenn ich fragen darf?»
«Weil sie weder zum Törggelen mag noch zum Rafting. Ist aber beides im Programm. Und außerdem gibt’s noch ein Livekonzert, Open Air, verstehst. Davon hat sie aber auch relativ wenig, weil sie ja taub ist.»
Dem Flötzinger seine Informationen schmettern wie Maschinengewehrsalven durch die Metzgerei.
«Du willst da also nicht hin?», frag ich die Oma.
«Nein, will sie nicht», sagt der Flötzinger.
Ich verdreh die Augen in alle Richtungen.
«Nein, Bub. Das ist doch ein Schmarrn. Warum soll ich mit einem depperten Schlauchboot enge Wasserschluchten hinunterdonnern? Das ist doch was für junge Leut und nix für so eine alte Schachtel. Für euch zum Beispiel. Nimmst halt einen von deinen Spezln mit. Vielleicht den Flötzinger. Oder den Simmerl von mir aus.»
«Der Simmerl bleibt da!», unterbricht sie die Gisela.
«Und dann macht’s euch ein schönes Wochenende, gell. Schau, dir tut das doch auch gut. Dann kannst einmal ein bisserl ausspannen und deinen ganzen Stress von der schweren Polizeiarbeit vergessen», sagt die Oma weiter und schlenzt mir die Wange. Wo sie recht hat, hat sie recht.
«Ein Wahnsinnswunderwochenende!», sagt der Flötzinger ganz versonnen.
«Aha. Und wann soll’s losgehen?», frag ich nach.
«Wie viel bin ich schuldig?», will sie vom Simmerl wissen, der ihr eine Tüte übern Tresen reicht.
«Lass gut sein, Lenerl», sagt er gönnerhaft und zwinkert mit den Augen.
«Den Simmerl, den nimmt er definitiv nicht mit, dass das klar ist!», mischt sich dann die Gisela wieder ein. «Weil der Simmerl nämlich nächstes Wochenende endlich mal wieder sein Scheißschlachthaus weißelt. Und zwar picobello. Das hat er mir versprochen.»
«Hehehe!», knurrt sie der Gatte jetzt an.
«Ja, versprochen ist versprochen», sagt der Flötzinger und erntet gleich tödliche Blicke von direkt hinterm Tresen.
Die Oma wirft einen Blick in die Runde, zuckt mit den Schultern und geht.
Ich schau mir den Prospekt mal näher an. Hochglanz, farbig. Sehr schön. Lauter junge, dynamische, fröhliche Menschen. Am Tisch, im Boot, in der Sauna, im Pool und natürlich auch auf der Tanzfläche. Die meisten davon sogar echt fesche Weiber. Das kommt gut. Gar keine Frage. Und auch der Text: Wir gratulieren Ihnen zu einem unvergesslichen Wochenende. Dort, wo Österreich am schönsten ist!
«Ja», sag ich. «Das klingt gut. Da fahren wir hin!»
Dann beginnt ein Gekeife, so was hab ich noch niemals erlebt. Weil der Flötzinger und der Simmerl jetzt drüber streiten, wer mich begleiten darf, und die Gisela ständig plärrt, dass der Simmerl hier bleibt und aus! Weil mir das bald zu blöd wird, leg ich mein Geld auf den Tresen und geh.
In den Tagen vor unserem wunderbaren Kurzurlaub bekomm ich Anrufe der abartigsten Sorte. Der Simmerl bedroht mich mit Leberkäsentzug auf Lebenszeit, wenn ich ihn nicht mitnehm. Und der Flötzinger mit Selbstmord, weil er seine Familie beim besten Willen nicht länger ertragen kann und dringend eine Auszeit braucht. Und die Gisela sagt, wenn ich ihren Gatten mitnehm, dann fährt sie mit meiner Susi nach Italien. Und zwar mindestens vier Wochen lang. Aber mir persönlich ist das alles vollkommen wurst, ich fahr jedenfalls am Freitag um fünf. Und fertig.
Wie ich am Freitag von der Arbeit heimkomm, hockt der Flötzinger bereits auf einem Koffer im Hof. Kaum dass er mich sieht, hopst er auch schon wie ein Kleinkind durch den Kies auf mich zu.
«Was ist mit dem Simmerl?», frag ich gleich beim Aussteigen.
«Es können doch eh nur zwei, und außerdem hast du es doch selber gehört, Franz, dass er nicht darf. Seine Gisela, die lässt ihn doch nicht weg, jede Wette. Niemals im Leben», sagt der Flötzinger und hievt sein Gepäck in den Kofferraum. Ich hol dann auch meine Sachen. Es ist Viertel nach fünf, wie wir uns auf den Weg machen. Die Sonne scheint, AC/DC dröhnt aus den Boxen und alles ist wunderbar. Kurz nach der Ortsausfahrt von Niederkaltenkirchen drück ich aufs Gaspedal und tret durch. Schließlich will man ja keine Sekunde versäumen von so einem Gratiswahnsinnswunderwochenende, gell.
Aber genau das wär uns ein paar Augenblicke später beinah zum Verhängnis geworden. Urplötzlich wächst nämlich mitten aus der Bundesstraße ein Berg. Ich tret die Bremse durch, dass alles nur so quietscht, und komm gut eine Handbreit vor dem Berg zum Stehen. Der Flötzinger knallt an die Frontscheibe.
«Ja sag einmal, spinnst du?», brüllt er mich an und hält sich das Hirn.
Ich starre durchs Fenster. Es ist kein Berg, sondern ein unheimlich dicker Mann mit Sonnenbrille und Kappe, der jetzt zurückstarrt und mir irgendwie bekannt vorkommt. Er bewegt sich auf uns zu, so schnell, wie sein Umfang es erlaubt. Dabei macht es den Eindruck, als bekäm er seine Haxen nicht recht auseinander. Schließlich reißt er die Hintertür auf, quetscht sich ins Wageninnere und legt sich ganz flach auf die Rückbank.
«Was kann ich für Sie tun?», frag ich, weil mir nix Besseres einfällt, und dreh mich ganz langsam zu ihm um. Dumm, dass ich die Dienstwaffe zu Hause liegen hab lassen.
«Fahr los!», brummt der Typ aus dem Hinterhalt raus, und auch die Stimme kommt mir irgendwie bekannt vor.
«Mensch, Simmerl! Was machst du denn hier?», fragt der Flötzinger jetzt und lüftet damit das Geheimnis um den sonderbaren Neuzugang.
«Fahr los!», brüllt der Simmerl erneut, und ich tu, wie mir geheißen. Dann beginnt er zu erzählen. Von den letzten Tagen. Und von seiner Gisela. Mit welcher Raffinesse sie versucht hat, ihm dieses Wochenende zu vergeigen. So hätte sie wohl alle Koffer versteckt und auch seinen Pass. Hätte seine gute Garderobe komplett in die Reinigung gebracht und sogar den Wagen zur Inspektion angemeldet. Dieses Miststück, sagt er. Aber weil er ja auch kein Depp ist, weiß er natürlich, dass er weder einen Pass noch einen Wagen braucht für einen Trip nach Tirol. Und so hat er sich einfach eine Sonnenbrille gekauft und ein paar neue Klamotten, hat alle übereinander angezogen und ist damit schnurgerade an der Metzgerei vorbeigelatscht in Richtung Bundesstraße. Und jetzt hockt er auf meiner Rückbank und grinst, der Sauhund.
«Und wo willst du jetzt schlafen? Der Gutschein ist doch nur für zwei Personen», sagt der Flötzinger brummig.
«Ja, wir nehmen halt ein Einzelzimmer dazu und teilen durch drei. Wo ist das Problem?», sagt der Simmerl, während er den dritten von vier Pullis ablegt.
Der Flötzinger dreht die Musik wieder lauter. T. N. T., singt der Brian. Und wir drei singen mit.
Rossbachhof steht auf dem Schild vom Hotel, genau über der großartigen Terrasse. Wir hieven das Gepäck aus dem Wagen, blinzeln kurz in die herrliche Sonne und begeben uns dann zum Empfang. Na gut, so ein kurzer Blick rein ins Panorama ist davor schon noch erlaubt. Diese wunderbaren Berge. Und die wunderbaren Wiesen mit den wunderbaren Kühen. Und der wunderbare Rossbach. Und die wunderbaren Mädels, die dort um den großen Tisch hocken und ratschen und lachen. Mit Trägertops und ganz engen Jeans. Ja, die Aussichten sind wirklich fabelhaft hier. Aber dann gehen wir auch schon rein. Eine dralle Brünette auf dem Lebenszenit und im Dirndl begrüßt uns recht freundlich.
«Servus, miteinander, ich bin die Mizzi», sagt sie, und dann beäugt sie unseren Gutschein.
«Ah, Gratulation, ihr habt’s das Kreuzworträtsel geknackt und den Aufenthalt hier gewonnen!», lacht sie.
«Die Oma hat das Rätsel geknackt», sag ich.
«Kürbiskernsuppe war das Lösungswort, ja, da muss man erst einmal draufkommen, gell», sagt sie weiter und blättert in ihrem Empfangsbuch. «Zimmer achtzehn, Doppelzimmer mit Balkon.» Sie dreht sich um und schnappt einen Schlüssel vom Haken.
«Wir sind zu dritt», sag ich zu ihr. Sie schaut sich um, zwischen dem Simmerl und mir hin und her und zuckt mit den Schultern. Jetzt erst fällt mir auf, dass der Flötzinger fehlt. Ich geh zurück nach draußen, und da steht er vor der Tür und genießt noch immer den wunderbaren Ausblick direkt auf den Weibertisch.
«Flötzinger», ruf ich und wink ihn herbei. Er kommt ganz langsam auf mich zu und hat diesen wirren Blick intus, den er immer hat, wenn irgendwo knackiges Weibsvolk lauert.
«Wir sind zu dritt», wiederhol ich beim erneuten Eintreffen am Empfangstresen. Die Mizzi schaut hinter mich genau auf den Flötzinger und runzelt die Stirn. Irgendwie scheint sie nicht zu kapieren.
«Wir brauchen noch ein Einzelzimmer dazu», helf ich ihr auf die Sprünge. Der Simmerl kratzt sich am Bauch, der Flötzinger starrt versonnen durchs Fenster und das Dirndl ins Buch.
«Das tut mir leid», sagt sie und schüttelt den Kopf. «Wir haben kein freies Einzelzimmer mehr.»
Na bravo.
«Doppelzimmer?»
«Weder noch. Wir sind voll bis unters Dach.»
Der Flötzinger findet den Weg zurück in die Erdumlaufbahn.
«Na, Sie werden doch wohl irgendwo ein freies Plätzchen haben hier für unsern Dicken da», sagt er und setzt sein verführerischstes Lächeln auf. Oder zieht er eine Grimasse? So genau lässt sich das nicht einordnen.
«Bedaure», sagt die Mizzi leise und seufzt. Der Flötzinger sendet vorwurfsvolle Blicke in Richtung Simmerl.
«Geben Sie uns einfach den Schlüssel, wir kommen schon klar», sagt der Simmerl jetzt.
«Wie ihr meint. Da ist eh ein Diwan drin in euerm Zimmer, vielleicht haut sich da einer drauf.» Dann rückt sie den Schlüssel raus. «Die Mehrkosten müsst ihr aber schon übernehmen. Auch für das ganze Sonderprogramm, Rafting und so. Der Gutschein gilt ja nur für zwei.»
«Jaja», sag ich und schnapp mein Gepäck.
«Zweihundertneunundneunzig macht das.»
«Das passt, kann man prima durch drei teilen», sagt der Simmerl auf dem Weg zum Aufzug.
«Kann man nicht», sagt der Flötzinger.
«Apropos Rafting», ruft sie noch hinter uns her. «Der Toni, der kommt morgen um acht. Das ist ein staatlich geprüfter Bootsführer. Er macht eine kurze Einweisung mit euch. Und um neune geht’s dann los!»
Der Diwan im Zimmer hat circa die Größe von einem Handtuch. Von einem Gästehandtuch, genau genommen. Der Simmerl sagt, er weigert sich, darauf zu schlafen, was eh lächerlich ist, denn da hätt grad mal eine seiner Arschbacken Platz. Der Flötzinger haut sich gleich fett auf eine der Doppelbetthälften und lässt einen ziehen. Damit hat er sein Revier markiert und keiner will’s ihm mehr abspenstig machen. Ich geh mal raus auf den Balkon. Auf dem Nebenbalkon ist ein goldbrauner Typ in Badehosen, und er macht mit seinem Adoniskörper Bewegungen, die mir schon beim Zuschauen den Schweiß auf die Stirn treiben.
«Man muss sich fit halten. Gesundheit ist das Wichtigste», ruft er zu mir rüber und fächert mit den Armen.
Ich lächle artig und nicke.
«Von nix kommt nix, sag ich immer», ruft er weiter und trommelt wie Tarzan auf seine Brust. Er nervt. Und ich wünsch ihm alles Mögliche. Und das bringt mich auf eine Idee. Also zieh ich mein Telefon aus der Hosentasche und täusche einen Anruf vor.
«Aha. Sind Sie sicher?», sag ich in den Hörer. «Verdacht auf Salmonellen, unglaublich… nein, nein, von mir erfährt keiner was, solange der Verdacht nicht bestätigt ist… Genau. Aber ich werde sicherheitshalber dann doch lieber abreisen.»
Dann dreh ich mich ab und winke dem Goldfasan vis-à-vis noch kurz rüber. Er steht stumm da, wischt sich mit dem Handtuch übers Gesicht und verschwindet schnell im Zimmer.
Unser Kellner schaut aus wie der Hansi Hinterseer. Zu unserem Glück singt er nicht. Dafür singt das Nockalm Quintett umso lauter. Open Air quasi. Was keinesfalls besser ist.
Das Gröstl aber ist Spitzenklasse und der Wein keinen Deut schlechter, vom Apfelstrudel ganz zu schweigen. Der Weibertisch ist auch anwesend, aber mehr auf das jodelnde Fünferpack fixiert, wie man an den Schmachtblicken ganz klar ausmachen kann. Die Dralle von vorher kommt zu uns an den Tisch, setzt sich neben den Simmerl und schmeißt eine Runde Himbeergeist. Und zwar direkt von den Himbeeren aus ihrem eigenen Garten. Selbstgebrannter, sagt sie. Außerdem sagt sie noch, es wäre überraschend ein Gast abgereist und somit ein Zimmer frei. Gleich nebenan. Das könnten wir haben. Dann geht sie an den Weibertisch.
«Die Jungs da drüben sind mit einem Gutschein hier», erzählt sie ihnen. «Weil sie ein Kreuzworträtsel geknackt haben. Kürbiskernsuppe war das Lösungswort.»
Damit dürfte sie bei den Mädels jeglichen Hauch von Interesse an uns ins Nirwana geschickt haben.
Um Punkt acht in der Früh kommt der Toni und auch der schaut aus wie der Hansi Hinterseer und er redet auch so. Er strahlt übers ganze Gesicht und schwärmt von den Erfahrungen, die er seit Jahren mit dem Raften gemacht hat. Weil halt überhaupt jeder einzelne Muskel im Körper und jede einzelne Gehirnzelle dabei beansprucht wird. Und überhaupt Teamgeist und Vertrauen und pipapo. Dann zeigt er uns die Neoprenanzüge und auch die Helme. Wir sollen uns jetzt umziehen. Und in zehn Minuten würd es dann auch schon losgehen.
Um halb zehn wälzt sich der Simmerl noch immer auf der Erde, und wir versuchen zu dritt den Reißverschluss von seinem Anzug zu schließen. Wie er da so am Boden liegt, der Simmerl, in diesem schwarzglänzenden hautengen Teil und mit dem grünen Helm, da erinnert er mich irgendwie an eine Aubergine. Ja, genauso schaut er grad aus, wie eine Riesenaubergine. Und dann, wie der Anzug endlich hinten zu ist, macht’s vorne einen Knall und das Teil ist von oben bis unten aufgerissen. Jetzt wird er aber sauer, der Toni. Dem Simmerl ist das peinlich, das sieht man. Erst recht, wie er merkt, dass ausgerechnet die Weiberrunde von gestern drüben am Schlauchboot steht. Ebenfalls neoprenverpackt und offensichtlich schon länger auf die Abfahrt wartend. Also beschließt der Toni ein bisschen genervt, in diesem einen speziellen Ausnahmefall auf die Anzugpflicht zu verzichten. Eine Schwimmweste tut’s auch, sagt er, und die hat er Gott sei Dank etwas größer. Dann schnappen sich alle ein Paddel und endlich geht’s los.
Wir sind zu zehnt, wenn man den Toni mal mitzählt. Der hockt als staatlich geprüfter Bootsführer natürlich hinten und ruft ständig irgendwelche Anweisungen nach vorne. Anfangs geht’s recht gemächlich zur Sache und ich frag mich, wozu der ganze Humbug mit Neopren und Helm und Weste. Wie aber der Flötzinger plötzlich von hinten direkt an mir vorbei ins Wasser knallt, ist es mir dann schon ziemlich klar. Sekunden später knallen alle anderen ebenso ins Wasser. Alle außer dem Simmerl. Der hockt wie einbetoniert in diesem Schlauchboot und grinst runter ins Wasser. Einen Moment jedenfalls. Dann kentert das Boot und mit ihm der Simmerl. Der Toni brüllt wieder Anweisungen durch die Gegend, und nach und nach und unter enormen Kraftaufwendungen schaffen’s dann alle wieder ins Schlauchboot.