TESTOSTERON
MACHT
POLITIK
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1. Auflage 2012
© 2012 by Braumüller GmbH
Servitengasse 5, A-1090 Wien
Druck: Druckerei Theiss GmbH, A-9431 St. Stefan im Lavanttal
ISBN Printausgabe 978-3-99100-068-6
ISBN E-Book: 978-3-99100-071-6
Widmen möchte ich dieses Buch zwei Männern:
meinem Vater, einem liebenswerten Chaoten trotz allem,
und Wolfgang, der von den Höhen und Tiefen des Lebens einiges versteht
Will man die Politik verstehen, muss man die Natur des Menschen begreifen. Diese Einsicht lehrte mich so manche berufliche Erfahrung. Die großen geopolitischen Zusammenhänge im Kampf um Rohstoffe und die Geschichte des Orients sind faszinierend. Das Studium der nationalen Ideen, Rechtssysteme und Religionen der Völker im Nahen Ostens sowie der militärischen Dimensionen aller Energiepolitik ist nützlich und wichtig. Doch beim Beobachten einiger politischer Konferenzen aus der Nähe und in Jahren des Unterrichts internationaler Beziehungen gelangte ich immer stärker zu der Überzeugung, dass wir uns mit den dahinter wirkenden Menschen und nicht nur mit Zahlen von Truppen, Erdölreserven und ähnlich relevanten Daten befassen müssen. Dies mag banal klingen, ist es aber nicht. Denn die sogenannte Chemie zwischen Menschen in Politik und Wirtschaft unterschätzen politische Analysten gerne bzw. wird sie zwecks medialen Zeitvertreibs oft falsch eingeschätzt.
Spricht man von Testosteron und Männern in der Politik, fallen sogleich Dutzende Beispiele. Die Affäre um den früheren Chef des Weltwährungsfonds IWF, Dominique Strauss-Kahn, der offensichtlich mit seiner Schwäche für stete Eroberung in eine Falle tappte, trat 2011 eine Debatte um hormongetriebene Männer in wichtigen Positionen los. Der damalige italienische Premier Silvio Berlusconi und seine Affären mit Minderjährigen boten Stoff für Justiz und Politklatsch. Auch Arnold Schwarzenegger, der ehemalige Gouverneur von Kalifornien, gelangte mit seinen wohl hormonell bedingten Fehltritten in die Schlagzeilen. Die US-Öffentlichkeit weidete sich Ende der 1990er-Jahre an Details möglicher sexueller Akte ihres damaligen Präsidenten Bill Clinton im Oval Office. Dass mächtige Männer die gesamte Geschichte hindurch auch als Frauenhelden wirkten, diskret oder öffentlich, ist hinlänglich bekannt. Der frühere US-Außenminister Henry Kissinger, kein Washingtoner Beau, verstand sich selbst als solcher und zitierte gerne den Satz: „Macht ist das beste Aphrodisiakum.“ Der von ihm verehrte Staatsmann Clemens Metternich pflegte in der Tradition des 18. Jahrhunderts Liebschaften aller Art, so auch als Diplomat in Paris mit der Schwester Napoleons, was wohl auch seine dienstlichen Recherchen erleichterte. Und die Weltpolitik der Antike war ebenso wenig frei von Affären, wenn man an Kleopatra, Julius Cäsar und Marcus Antonius denkt. Als von der Existenz des Geschlechtshormons Testosteron noch niemand etwas wusste, war doch bereits der Zusammenhang zwischen Macht, Erfolg und einer gewissen, in der Natur begründeten Männlichkeit sichtbar.
Dieses Buch handelt aber nicht von diesen teils hinlänglich bekannten historischen und zeitgenössischen Personen. Vielmehr interessiert mich die mögliche Rolle des Hormons Testosteron, wenn es um das Verhalten einer größeren Menge von Männern geht. Als im Vorjahr die arabischen Revolutionen begannen, verfolgte ich mit Staunen, Freude und Sorge die Ereignisse. Endlich wurde in diesen verknöcherten Diktaturen, die der Westen als Garanten der Stabilität hofierte, etwas aufgewirbelt. Die Jugend hatte einen Damm an Unterdrückung und Angst durchbrochen. Die Menschen insgesamt begehrten auf. Es gab viele Gründe für diese Revolutionen, die ich in näher darstelle.
Ein Thema ging mir aber von Anbeginn nicht aus dem Kopf, da ich es über Jahrzehnte beobachtet hatte: die Unmöglichkeit Hunderttausender Männer zu heiraten bzw. eine Freundin zu haben, ihre Sexualität leben zu dürfen. Die Hürden ergeben sich aus den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zwängen, was die teure Hochzeit anbelangt. Die strenge Sittenmoral in einigen islamischen Ländern untersagt außereheliche Beziehungen zwischen Mann und Frau, woran sich jene nicht halten, die es sich leisten können. Daraus resultiert eine tiefe sexuelle Frustration. In vielen Debatten während jenes arabischen Frühlings diskutierte ich mit sehr unterschiedlichen Gesprächspartnern die Tatsache, dass dieser nicht ausgelebte Trieb einer der vielen Faktoren für diesen politischen Flächenbrand war. Denn es handelt sich um eine Form männlicher Energie, die das Geschlechtshormon Testosteron entstehen lässt.
Im Sommer reiste ich für Interviews nach Ägypten, um diese Beobachtungen zu überprüfen. Dutzende von Gesprächen mit Soziologen, Säkularen und Religiösen, Aktivisten vom Tahrir-Platz, Frauen und Männern, Journalisten etc. führten mich auf interessante Fährten. Die große Mehrheit bestätigte meine These. Ja, auch ihrer Einschätzung nach war und ist sexuelle Frustration einer der Motoren für den massiven Zorn, der diesmal eben zu einer regelrechten Revolution führte. Gestärkt in dem Gefühl, nicht auf einer völlig falschen Spur zu sein, begann ich meine Literatursuche. Hatte ich noch vor Jahren den ägyptischen Schriftsteller Nagib Machfus nicht verstanden, so waren seine Romane auf einmal wertvolle Inspiration. Denn diese Lektüre führte mich in ein Kairo, das ungezwungener über die Sehnsüchte der Männer und der Frauen dachte. Machfus führt den Leser durch ein Ägypten, das noch nicht von politischem Islam durchtränkt war, sondern noch den Geist seiner alten Zivilisation atmete. Im Herbst unternahm ich eine Reise in den Libanon, wo ich dieses Thema mit einigen Kollegen und Freunden intensiv diskutierte. Auch hier fand ich viel positives Echo auf diese These. Eher skeptisch zeigten sich einige deutsche Politologen, die dieser Revolution nur höhere Motive abgewinnen wollten.
Die arabischen Revolutionen sind in meinen Augen ein aktuelles, sehr eindrucksvolles historisches Ereignis, das es erlaubt, Ursachen für Volksaufstände aus der Nähe zu studieren. Freiheitsdurst und die soziale Frage zeichnen sämtliche Revolutionen aus, wie ich in beschreibe. Inwiefern sexuelle Unzufriedenheit Revolutionäre im März 1848 in den damaligen europäischen Revolutionen motivierte, ist wohl nur indirekt über die Literatur hypothetisch zu beantworten. Dass es auch damals Heerscharen junger Männer gab, die sich einen Ehestand nicht leisten konnten und gegen die Verhältnisse ihrer Zeit rebellierten, ist eine Tatsache. In den Theaterstücken von Johann Nepomuk Nestroy finden sich zahlreiche Protagonisten, die emsig nach Heirat und damit Status streben. Über die Revolutionen hinausgehend lässt sich in viel früheren Zeiten die Gewaltbereitschaft junger Männer aus einer gewissen Langeweile und sozialen Umständen heraus studieren. Man denke nur an die Kreuzzüge. Die Kirche erkannte, dass es nützlicher wäre, die von Testosteron strotzenden jungen Männer, die sich in Europa in Bandenkriegen die Köpfe einschlugen, mit ihrer Kampfbereitschaft im Namen des Kreuzes gegen die „Ungläubigen“ umzulenken.
Inwieweit diese männliche Energie namens Testosteron die Aggression von Männern, die keine berufliche und familiäre Verantwortung tragen, mit aufbaut und verstärkt, wird in näher untersucht. Hier versuche ich die Ergebnisse meiner Recherchen im Bereich der Endokrinologie, der Hormonforschung, darzustellen und mit politischer Gewalt in Verbindung zu bringen. Interessant ist zum Beispiel, dass Vaterschaft nachweislich den Testosteronspiegel senkt, zumindest für eine gewisse Periode, wenn sich der Vater dann auch um den Nachwuchs kümmert. Ohne in einen biologischen Determinismus zu verfallen, erweisen sich die Studien über Testosterongehalt und Verhaltensweisen doch als teils aufschlussreich. Zudem sollten wir dieses Hormon nicht nur negativ sehen, denn es schafft auch Verantwortung und Fürsorge. Noch weiß aber die Medizin, die alles andere als eine exakte Wissenschaft ist, zu wenig über die komplexen Zusammenhänge zwischen Hormonen, der Gehirnforschung und dem möglichen Verhalten des Menschen.
Aber wir werden immer wieder zu Zeugen, wie menschliche Triebe Machtgefüge bewegen, ob im Gemeinderat eines kleinen Dorfes oder in der Staatskanzlei einer Großmacht. Diese Überlegungen sind in enthalten. Ich wirkte als gewählte Mandatarin einige Jahre in der Kommunalpolitik, was mir viel über Politik und Entscheidungsfindung beibrachte, denn in diesem Mikrokosmos traf ich auf Situationen, die mir aus der internationalen Politik wohlbekannt waren: das Aufeinandertreffen ehrgeiziger Kleingeister voller Komplexe, anständiger oder weniger anständiger Mitläufer, Alphamännchen, Profiteure und da und dort eine Handvoll Idealisten. Einige internationale Bühnen durfte ich aus unmittelbarer Nähe erleben, ob im diplomatischen Dienst, als Korrespondentin oder u. a. als Vortragende auf so mancher Konferenz. Es menschelt überall, Intrigen werden gestrickt, sogenannte Entscheidungsträger, die offensichtlich eine Portion zu viel Testosteron in sich tragen bzw. diese schlecht kanalisieren können, schrecken nicht vor Konfrontation und Chaos zurück. Völlig banale Entscheidungsprozesse enden dank rivalisierender Abteilungsleiter, ob nun in einer nationalen oder internationalen Bürokratie, in schwer durchschaubaren Resultaten. Wir sind offensichtlich Primaten unter Primaten, die ihre Reviere verteidigen.
Um daher politisches und wirtschaftliches Geschehen besser zu begreifen, möge man sich als Autodidakt in Psychologie üben, ein wenig die Tierwelt beobachten und mit Gelassenheit und Humor auf das Treiben blicken, ohne in Zynismus und Verzweiflung abzugleiten. Viele weise Menschen, ob sie nun in der Führung eines Staates oder eines Unternehmens in vorderer oder hinterer Reihe tätig sind, haben dies getan und tun es noch. Die Lektüre gut geschriebener Biografien oder Autobiografien ist aufschlussreich, um all die menschlichen Details historischer Ereignisse zu erfassen. Doch es geht vielleicht über Psychologisches und – wem es vergönnt ist – die hohe Kunst des philosophischen Verständnisses hinaus. Historiker und politische Analysten erliegen leicht der Versuchung, den Menschen als vernunftbegabtes Wesen zu überschätzen. Sie erstellen eine oft willkürliche Chronologie der Ereignisse, hängen dieser eine Reihe von Theorien um und interpretieren dann so manches in einen Prozess hinein, das wenig mit den eigentlichen Tatsachen, Motiven und Abläufen zu tun haben mag. Was uns antreibt, liegt oft in ganz anderen Sphären. Der Fortpflanzungstrieb ist aber offensichtlich neben der Nahrungssuche ein wichtiger Antrieb allen Lebens.
Wurde die Demografie lange als Faktor internationaler Beziehungen vernachlässigt, so gewinnt diese Wissenschaft konsequent an Bedeutung. Der hohe Anteil junger Menschen in der Bevölkerungspyramide der meisten arabischen Staaten gilt schon lange als Risiko für eine soziale Explosion. Ein besonderes Problem stellt nun verstärkt in einigen Weltregionen das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern infolge selektiver Abtreibung dar. Männerüberschüsse in großen asiatischen Staaten wie China und Indien resultieren in aktuellen und zukünftigen Generationen heiratswilliger Männer, denen zahlenmäßig keine Frauen mehr gegenüberstehen. Mit dieser Entwicklung und den möglichen Folgen für neue Konflikte, die auch zu zwischenstaatlichen Kriegen führen könnten, möchte ich mich in befassen. Frauenraub ist keine exklusive Praxis der alten Römer und Wikinger. Frauenhandel in Asien ist eng verbunden mit diesem Defizit an Mädchen infolge der Präferenz der Gesellschaft für Söhne. Vor bald 20 Jahren las ich den Roman „Le premier siècle après Béatrice“ des libanesisch-französischen Schriftstellers Amin Maalouf, der genau von diesem Problem, nämlich der Verquickung archaischer Werte mit moderner Medizin und den daraus folgenden Tragödien, erzählt. Die Erinnerungen an jene Lektüre waren auch Teil meiner Motivation für dieses Buch.
Nun wäre es aber bei aller Neugierde für die mögliche Verbindung zwischen den Hormonen und der Politik verwegen, historische Wendezeiten auf Hormoncocktails herunterzubrechen und das Testosteron als Ursache aller Kriege und Revolutionen entlarven zu wollen. Eine solche sehr verkürzte Sichtweise ist unzulässig. Auch wenn einige Naturwissenschaftler dazu neigen, menschliche Handlungen als bloße Funktion eines biochemischen Ablaufs, ob nun hormonell oder doch neurobiologisch, erklären zu wollen, so gibt es den freien Willen des Menschen. Der Mensch hat es letztendlich in der Hand, sich als Objekt seiner Hormone, Gene und Lebensumstände zu sehen oder sich zum Subjekt aufzuschwingen und selbstbestimmt sein Schicksal zu gestalten. Das Mittel hierzu ist der freie Wille.
Im Schlusskapitel möchte ich daher die These ein wenig relativieren und von der Masse wieder zum Individuum kommen. Wir sind nicht bloß hormongesteuerte Triebwesen, sondern können unsere Neigungen und Sehnsüchte in einem gewissen Umfang kontrollieren. Es ist aber zweifellos Selbstdisziplin vonnöten. Wir wissen, dass Sport den Testosteronspiegel senkt, dass eine inhaltsvolle und befriedigende Arbeit Interessen umlenken kann. Die Suche nach dem Sinn, wie sie der Arzt Viktor Frankl (1905–1997) in seinen Therapien einsetzte, ist die Aufgabe jedes Einzelnen. Letztendlich sind es die Lebensumstände, die vieles entscheiden. Und hier ist auch wieder die Politik im Großen wie im Kleinen gefordert, die Möglichkeiten zu schaffen, dass Menschen etwas aus ihrem Leben machen können, ohne damit alle Verantwortung auf die öffentliche Hand abschieben zu wollen. Denn wie Frankl sagte: „Sinn muss gefunden werden, kann nicht erzeugt werden.“ Revolutionen brechen nicht aus, weil ein Teil der Bevölkerung sexuell frustriert sein mag. Es sind die gesellschaftlich-wirtschaftlichen Umstände, die irgendwann die Menschen auf die Barrikaden bringen, weil ihr Zorn überbordet. Dies war so in der Vergangenheit und dies wird auch die Turbulenzen unserer gegenwärtigen Umbruchszeit beherrschen.
Sind Männer eher bereit, sich vor heranrollende Panzer zu werfen als Frauen? Waren im März 1848 in Wien und Paris oder im Juni 1989 auf dem Tiananmen-Platz in Peking mehr junge Männer als Frauen auf den Barrikaden? Wird „Occupy Wall Street“ von mehr Männern als Frauen in Bewegung gehalten? Es wäre völlig verfehlt, alle Revolutionen in einen Topf zu werfen, so wie es auch kurzsichtig ist, Männer als kriegerisch und Frauen als friedliebend zu pauschalisieren. Dennoch darf der Versuch gewagt sein, einen kleinen roten Faden durch einige Kriege und Revolutionen zu ziehen und hierbei eine Verbindung zur Rolle des Testosterons, also der hormonellen Beeinflussung, zu ziehen.
Eine grundsätzliche sprachliche Anmerkung sei vorausgeschickt. Ein Buch wie das vorliegende bietet viele Angriffsflächen, da der Vorwurf der Verallgemeinerung rasch bei der Hand sein mag. Doch wenn hier von „den Männern“ die Rede ist, dann geht es nicht um alle Männer schlechthin, sondern um gewisse Mehrheiten und Tendenzen. Was das Binnen-„I“ und die geschlechtsneutrale Rechtschreibung, wahrlich eine Besonderheit der geplagten deutschen Sprache, anbelangt, so vermeide ich diese. Es entspringt einer persönlichen Erfahrung, dass dies wenig zum gleichberechtigen Miteinander von Mann und Frau beiträgt. Das Wissen um die unterschiedlichen Begabungen und Neigungen und diese in wechselseitigem Respekt wahrzunehmen, bringt uns als Menschen wohl ein Stückchen weiter.
Es ist mir klar, dass ich mich mit dieser These auf dünnes Eis begebe. Ich darf daher all jenen Menschen mein aufrichtiges Merci aussprechen, die mich in diesem Vorhaben bestärkt und konkret unterstützt haben. Bei den Lesern darf ich mich für das Interesse an diesem Zugang zur Politik bedanken. Mein Dank gilt dem Braumüller Verlag, den Geschäftsführern Konstanze und Bernhard Borovansky, für ihr Vertrauen in meine Arbeit. Harald Knill hat als inspirierender Gesprächspartner und Lektor dieses Textes wesentlichen Anteil. Marie-Therese Pitner zeichnet für das Lektorat verantwortlich und verwandelte mit scharfem Blick das Manuskript in ein Buch. Alexandra Schepelmann steckt hinter dem gelungenen Buch-Cover. Es war Eva Feitzinger, die den Kontakt zwischen uns herstellte. Besonders danken für ihre Zeit und Interesse am Thema darf ich folgenden Menschen: Wolfgang Meilinger (Leibnitz), Tyma Kraitt (Wien), Walter Gehr (Wien), Abdallah Zakhia und seinen Kindern Elsa und Clement (Amchit / Libanon), Nathalie Melki (Beirut / Libanon), Mariette Fayad (Edde / Libanon), Kristin Jankowski (Kairo), Ebtihal Shedid (Kairo), Hosny Abdelrehiem (Alexandria / Ägypten), Adham Hamed (Wien – Kairo), Thomas Nader (Kairo – Wien), Thomas Kukovec (Leibnitz – Beirut), Emma Schmidt (Wien), Grete Schorn (Seibersdorf), Doris Gruber (Reichenau), Vera Macinkovic (Mannersdorf – Banja Luka / Bosnien-Herzegowina), Julieta Rudich (Wien – Montevideo / Uruguay), Lisi Raatz (Steinbrunn), Eugen Plas (Wien), Rula Draskovich (Güssing – Tripolis / Libyen), Philipp Harnoncourt (Graz), Roswitha Reisinger-Schwind (Wien), Philippe Ricoux (Bordeaux – Jois) Maria Kulhanek (Wien). Als passionierte Hörerin der Dokumentationen auf Ö1 darf ich auch all jenen meinen Respekt zollen, die Wissenschaft für den Laien aufbereiten, ob im Radiokolleg oder auf science orf.
Karin Kneissl, Seibersdorf im Februar 2012
„Der erfolgreiche Revolutionär wird zum Staatsmann, der gescheiterte zum Kriminellen.“
Erich Fromm, Psychoanalytiker und Philosoph (1900–1980),
Die Furcht vor der Freiheit, dt. Übersetzung 1945
Der Krieg gehört zu den ältesten Konstanten der Menschheitsgeschichte, die Revolution hingegen ist relativ modern. Die ersten großen Revolutionen finden sich in England 1688 als „Glorious Revolution“, in der Unabhängigkeitserklärung der USA 1776, gefolgt von der Französischen Revolution und der langen Liste des 19. und 20. Jahrhunderts: die bürgerlichen 1848er-Revolutionen in fast ganz Europa, die Pariser Commune 1871, Russland 1905 und 1917 und China 1912 bis hin zur Ungarischen Revolution 1956 und der zunächst Iranischen, dann Islamischen Revolution 1979, um nur einige zu nennen. Im Jahr 2011 erschütterte nach einer jahrzehntelangen Atempause und diversen samtenen Revolutionen des Jahres 1989 in Ost- und Mitteleuropa der Arabische Frühling die internationale Politik. Gegenwärtig brauen sich mit Bewegungen wie „Occupy Wall Street“ oder „Los Indignados“ (Die Empörten) revolutionäre Gewitterwolken in den USA und Europa zusammen. Der Volkszorn kocht ob sozialer Not und Wut auf die herrschenden Systeme. Das Gespenst der Anarchie geht nicht nur in Griechenland um. Kein europäisches Land ist angesichts hoher Verschuldung, gesellschaftlicher Spaltung und wachsender Arbeitslosigkeit immun. Auch in Russland ist eine neue Generation bereit, auf die Barrikaden zu gehen. China sorgt sich um einen Volksaufstand nach dem Vorbild der arabischen Jasmin-Revolutionen. „Lust auf Jasmintee zu haben“ wurde zum geflügelten politischen Wort, das die chinesische Zensur im Land der Hochkultur des Tees im Internet blockt. Es gärt und der Begriff Revolution ist wieder in aller Munde.
Unter Revolution versteht man die völlige Umwälzung der Verhältnisse schlechthin. Die Französische Revolution gilt bis heute als Inbegriff einer solchen Veränderung. Während sie für die einen Blutvergießen, Terror und Ende aller Ordnung bedeutet, verstehen die anderen unter ihr Gerechtigkeit und Neubeginn. Der Traum von der Freiheit ist mit dem Wesen der Revolution von Anfang an verbunden. Die soziale Frage gesellte sich alsbald zum revolutionären Gedankengut und überlagerte andere Ideen. Bereits in der Französischen Revolution wurde das Ziel vom Wohlbefinden des Volkes gepredigt. Wir finden dies später im kommunistischen Gedankengut als totalitär verkleideten Volkswillen. Die Franzosen Maximilien Robespierre und Antoine de Saint-Just erkannten die Bedeutung der Armut als Revolutionsmotor, denn nur mit leerem Magen werden Aufstände gemacht. Saint-Just prägte den Satz: „Les malheureux sont la puissance de la terre“ (Die Unglücklichen sind die Macht auf der Erde). Von diesen Unglücklichen und Unzufriedenen wird in diesem Buch aus einem neuen Blickwinkel die Rede sein.
Umsturz, Gewalt und der Kampf um Macht werden meist von Männern gestaltet. Warum ist dem so? Liegt der Grund darin, dass es Frauen meist verboten war, öffentlich zu wirken? Ein Blick auf die Französische Revolution zeigt das Gegenteil, denn Frauen spielten zu Beginn 1789 eine wichtige Rolle. Die Philosophin Hannah Arendt schreibt in ihrem Grundsatzwerk „Über die Revolution“ aber fast durchwegs von den „Männern der Französischen Revolution“. In vielen nachfolgenden Umstürzen, die wir nur auszugsweise betrachten wollen, sind Männer zweifellos die wesentlichen Akteure. Dies trifft ganz besonders auf die Revolutionen von 1848 und eben auch auf die arabischen Revolutionen zu. Mit diesem Buch darf eine Hypothese aufgestellt werden, dass es hierfür vielleicht auch tiefere biologische Gründe geben mag.
Männer sind oftmals die besseren Revolutionäre, weil sie bereit sind, sich für eine Sache blindlings aufzuopfern. Der Mann fokussiert seine Energie viel konzentrierter auf eine Sache als die Frau, die meist einen Sachverhalt ganzheitlich, also von mehreren Seiten untersucht. Männer entscheiden sich viel spontaner als Frauen, die wohl überlegter an so manches herangehen. Und dies hat nichts mit Erziehung zu tun, sondern sehr viel mit Biologie und mit der Evolution. Vor allem junge Männer sind von einer Risikobereitschaft erfüllt, die ihre Mütter und Ehefrauen oft zur Verzweiflung oder zumindest zum stummen Kopfschütteln bringt. Frauen nehmen Übermenschliches auf sich, um ihre Kinder zu schützen und zu ernähren. Aber es sind Burschen, die als Demonstranten in den ersten Reihen marschieren und Kopf und Kragen riskieren, die nicht nur im Sommer 1914 voller Begeisterung für Gott, Kaiser und Vaterland in den Krieg zogen. Einer von sehr vielen Faktoren, die Männer hierbei bewegen mögen, liegt eventuell in den Hormonen begründet. Es ist das Hormon Testosteron, welches das männliche Lebewesen zum Manne macht. Und dieses Geschlechtshormon sorgt für eine bestimmte männliche Energie, die auch in der Gestaltung von Politik, wie eben einem revolutionären Aufbruch, eine gewisse Rolle spielen mag. Ein kleiner Streifzug durch das revolutionäre Geschehen soll einen Einblick in diesen behaupteten Zusammenhang vermitteln. Dass Revolutionen oftmals in Gewalt enden, ist wiederum eine andere Geschichte. Es soll daher hier nicht versucht werden, Revolutionen als Teil menschlichen Fortschritts zu erklären, vielmehr geht es um das Engagement von Männern in diesen historischen Ereignissen.
Sich zu messen und zu vergleichen ist eine Eigenschaft und Praxis, die sich öfter bei Buben als bei Mädchen findet. Dieser Wettbewerbsgeist begleitet die Heranwachsenden in vielen Lebensphasen, auch wenn sich infolge von Bildungsmaßnahmen manches verflacht hat. Doch Männer lieben es, in Arbeit und Freizeit eine stete Konkurrenz zu üben, die zweifellos das Leben etwas anstrengend macht. Die Menschheit wiederum verdankt diesem Streben nach Höher, Weiter, Mehr viele Errungenschaften unserer Zivilisation, Erfindungen wie auch politische Veränderungen. Es geht um die Optimierung eines Status, den der jeweilige Zeitgeist bestimmt. Dieser war in archaischen Gemeinschaften an der Anzahl der Herden ablesbar. Die Größe der Kinderschar bestimmt in traditionellen Gesellschaften bis in unsere Zeit das Ansehen des Mannes. Hinzugekommen sind Jahreseinkommen und PS des Autos. Solche Aussagen sind zweifellos pauschal und voller Vorurteile, doch handelt es sich um mehr als bloß Klischees.
Ein inneres Zusammenwirken zwischen Testosteron und Status haben Mediziner in zahlreichen Studien immer wieder bestätigt. Die biologischen Hintergründe werden wir in näher beleuchten. Unabhängig von der Sicht auf das Testosteron – ob negativ als das „Hormon für Aggression und Dominanz“ oder eher positiv als das „Hormon der Fürsorge und Verantwortung“ –, dreht es sich stets um Status. Und es sind nicht zuletzt wiederum die Frauen, die Männer mit bestimmtem Status bzw. potenziell erfolgreichem Lebensweg auswählen, um ihre Nachkommenschaft versorgt zu wissen. Der Mann als Beschützer und Ernährer, die Frau als Mutter und zu beschützendes Wesen sind uralte, von der Evolution vorgegebene Rollenbilder. Wir haben an ihnen gefeilt und einiges verändert, aber Konstanten halten sich auch in der Globalisierung. Die Familie mit einer breiten Skala akzeptierter Formen gewinnt zum einen neu an Gewicht, denn in schwierigen Umbruchszeiten bietet die Verwandtschaft soziale Auffangnetze, die der Staat nicht garantieren kann. In einer Welt, wo Millionen in Flucht und Migration überleben müssen, helfen Familienbande, denen schon oft der Untergang prophezeit wurde.
Parallel dazu erleben wir zum anderen eine wachsende Verunsicherung unter Männern, wie mit neuen Rollenbildern und veränderten wirtschaftlichen Bedingungen, Aufteilung von Verantwortung in der Familie und nicht zuletzt Arbeitslosigkeit und fehlenden Perspektiven umzugehen ist. Unter dem Titel „Männer in der Krise“ erscheinen Bücher, Artikel und mehren sich die Debatten. Das Thema war bereits 1848 aktuell, wie das 1949 erschienene Werk „Men in Crisis: the Revolutions of 1848“ detailliert darstellt. Ich beziehe mich später im Text auf diese Quelle. Es gibt also wahrlich nichts Neues unter der Sonne. Die deutsche Journalistin Ute Scheub sieht im Bröckeln alter Systeme rund um Männlichkeit Gefahren für die gesamte Gesellschaft, wenn sie über die Folgen gedemütigter Männer schreibt, die zu Hohlfiguren werden, weil sie ihre Rolle nicht mehr finden, weil es ihnen an männlichen Vorbildern in Familie und Schule fehlt: „Wenn gekränkte Männer unter den Einfluss radikaler Führer geraten, können sie zu ‚rasenden Patriarchen‘ werden (…). Sie glauben, Krieg führen zu müssen, weil erst der Krieg sie wieder zu ‚richtigen Männern‘ macht.“
Der Kampf um Status wird, wie so oft zu Wendezeiten, aufs Neue geführt. „Übersehen zu werden und sich dessen bewusst zu sein, ist unerträglich“, schreibt John Adams (1735–1826), einer der Gründungsväter der USA und deren zweiter Präsident. Der Schriftsteller Bert Brecht wusste auch um das Unglück der Armut, selbst wenn die Not des Elends gestillt ist, aber das Leben keine Spuren in der Welt hinterlässt. Seine Verse bringen diese Trauer um das Leben im Abseits auf den Punkt: „Denn die einen sind im Dunkeln / Und die andern sind im Licht. / Und man sieht die im Lichte / Die im Dunkeln sieht man nicht.“
Hannah Arendt greift die Betrachtungen von Adams auf und analysiert sie folgerichtig: „Das revolutionäre Pathos, das in diesen Worten zum Ausdruck kommt, die Überzeugung, dass der Fluch der Armut nicht nur in der Not, sondern auch in der Dunkelheit liegt, ist im Schrifttum der Neuzeit sehr selten. (…)“ Vom Trieb, sich auszuzeichnen, den Adams für die Amerikanische Revolution verwendete, war in der Folge dann nur mehr wenig zu spüren. Der Endzweck des Politischen, so Arendt, blieb dann stets die Selbsterhaltung der Gesellschaft. Man ignorierte aber die Meinung von Adams, dass „einer der Hauptzwecke des Staates darin besteht, die Leidenschaft, sich auszuzeichnen, in geregelte Bahnen zu lenken“.
Junge Menschen wollen zu jeder Zeit der Geschichte aus der Bedeutungslosigkeit heraustreten, auch dies kann in Kombination mit so vielen anderen Motiven ein Auslöser für revolutionäres, für gewalttätiges Handeln sein. Dies trifft auf junge Männer umso mehr zu, wenn Risiko, rascher Aufstieg und Waffen im Spiel sind. Aus der Langeweile des Alltags flüchten, jemand sein, etwas kontrollieren – und warum nicht mit Waffengewalt? Es ist ein stets wiederkehrendes Phänomen in Kriegsgebieten, vor allem wenn Paramilitärs und nicht staatliche Armeen die Kriegshandlungen beherrschen: der Aufstieg vom Niemand zum Jemand dank Waffe und Anarchie. Während des Bürgerkriegs im Libanon erlebte ich in den späten 1980er-Jahren die Beherrschung des Landes durch Milizen und ihre Söldner. Die Höhe des Soldes war für die jungen Kämpfer teils wichtiger als die ideologische Ausrichtung der Miliz, Terrororganisation, Befreiungsbewegung, wie immer man sie bezeichnen will. So kämpften auch manche Christen in muslimischen Verbänden, wenn diese besser zahlten. Die Biografien einiger junger Männer beobachtete ich aus der Nähe, ihre Sturm-und-Drang-Zeit in der Miliz und ihren harten, oft missglückten Weg zurück als Zivilist in die Normalität. Ein Mann ohne Arbeit oder in unbedeutender Funktion wird durch seine Aufnahme in einen solchen Kampfverband zum Gruppenmitglied, was allein schon Geborgenheit gibt. Ausgestattet mit Sonnenbrille, Maschinengewehr und Jeep erfolgt rasch der soziale und oft auch finanzielle Aufstieg. Der Kämpfer genießt Ansehen, findet gar bald eine Freundin, der Anführer hat die Schönste. Eine Gruppe von Milizionären kontrolliert dann einen Straßenzug, treibt Schutzgelder ein und terrorisiert den Rest. Eine solche Entwicklung erlebten wir in den 1990er-Jahren an vielen Kriegsschauplätzen in Europa, so am Balkan oder im Kaukasus.