von
Gabriele Jansen
Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht, Köln
2., neu bearbeitete und erweiterte Auflage
eine Marke der Verlagsgruppe Hüthig Jehle Rehm GmbH
www.cfmueller.de
Zeuge und Aussagepsychologie › Herausgeber
Praxis der Strafverteidigung
|
Begründet von |
Rechtsanwalt Dr. Josef Augstein (†), Hannover (bis 1984) Rechtsanwalt Prof. Dr. Werner Beulke, Passau Prof. Dr. Hans-Ludwig Schreiber, Göttingen (bis 2008) |
Herausgegeben von |
Rechtsanwalt Prof. Dr. Werner Beulke, Passau Rechtsanwalt Prof. Dr. Dr. Alexander Ignor, Berlin |
Schriftleitung |
Dr. Felix Ruhmannseder, Wien |
Zeuge und Aussagepsychologie › Autorin
Gabriele Jansen ist Rechtsanwältin und Fachanwältin für Strafrecht in Köln
Kontakt: kanzlei@rechtsanwaeltin-jansen.de
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Es ist nahezu eine Binsenweisheit, dass der Zeugenbeweis das gebräuchlichste, aber auch das problematischste Beweismittel ist. Weniger ausgeprägt sind ein tieferes Wissen um die vielfältigen Gründe unrichtiger Zeugenaussagen und die Bereitschaft, diese bei der Würdigung von Zeugenaussagen in Rechnung zu stellen. Auf der Grundlage des Diktums von der Beweiswürdigung als „ureigener“ richterlicher Tätigkeit beherrschen bis heute alltagstheoretische Vorstellungen von der Glaubhaftigkeit bzw. Unglaubhaftigkeit einer Aussage die forensische Praxis. Das gilt selbst in den schwierigen Fällen beispielsweise des Wiedererkennens oder wenn Aussage gegen Aussage steht, bei denen das Bundesverfassungsgericht die Beachtung aussagepsychologischer Erfahrungsregeln für geboten erachtet.
Dem Strafverteidiger eröffnet die weitverbreitete Ignoranz dieser Erfahrungsregeln ein weites Betätigungsfeld, das er im Interesse seines Mandanten bestellen kann und auch muss. Es gehört zu den Pflichten eines Verteidigers, möglichen Fehlern in Zeugenaussagen nachzuspüren und diese im Rahmen des rechtlich Möglichen zu thematisieren. Gegebenenfalls muss er unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung auf die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens hinwirken. Selbst wenn ein solches Gutachten vorliegt, kann sich der Verteidiger nicht zurücklehnen, sondern muss das Gutachten seinerseits auf mögliche Fehler hin, die nicht eben selten sind, kontrollieren.
Für all diese Bereiche einer verantwortungsvollen Verteidigungstätigkeit bietet das Buch von Gabriele Jansen, das jetzt in 2. Auflage vorliegt, ein einzigartiges, unverzichtbares Hilfsmittel. Ohne Übertreibung darf man sagen, dass es bereits die Erstauflage zu einem „Klassiker“ der Praxis der Strafverteidigung gebracht hat. Die Verfasserin, die als Strafverteidigerin mit besonders breiter Erfahrung im Bereich der Beurteilung von Zeugenaussagen hohes Ansehen genießt, hat es verstanden, die wichtigsten Erkenntnisse der modernen Aussagepsychologie in gut verständlicher Form aufzubereiten und auch für den nicht einschlägig ausgebildeten Praktiker handhabbar zu machen. In der 2. Auflage hat sie ihre Darstellung nicht nur auf den neuesten Stand gebracht und um zahlreiche Praxistipps ergänzt, beispielsweise in Form weiterer Checklisten, sondern den Text auch inhaltlich erweitert. So setzt sie sich beispielsweise mit der möglichen Einflussnahme von Opferhilfeeinrichtungen auf Zeugenaussagen gesondert auseinander.
Das Buch ist Ratgeber für die Praxis und zugleich Nachschlagewerk. Die vielfältigen gezielten Literaturhinweise nicht nur in den Fußnoten, sondern im laufenden Text, ermöglichen es dem interessierten Leser, sich rasch in Spezialmaterien einzuarbeiten und Forschungsergebnisse in die alltägliche Arbeit einzubringen. Die Verfasserin hat in bewunderungswürdiger Weise Pfade in den Dschungel der aussagepsychologischen Fachliteratur geschlagen, die es dem Benutzer ermöglichen, darauf zu wandeln und sich ihrer zu bedienen. Hinzu kommt die sorgfältige Analyse der gesamten einschlägigen Rechtsprechung. Jeder Strafverteidiger und jede Strafverteidigerin, aber auch alle anderen Akteure im Bereich der Strafrechtspflege werden aus der Lektüre des Buches großen Nutzen ziehen.
Mit dem Dank an die Verfasserin verbindet sich der Wunsch, dass der Neuauflage der ihr gebührende Erfolg beschieden sein möge.
November 2011
Passau Werner Beulke
Berlin Alexander Ignor
Vorwort der Herausgeber
Abkürzungsverzeichnis
Einführung
Teil 1Zeugenaussage
I.Einführung in die Aussagepsychologie
1.Historie
2.Aufgabe und Zielsetzung aussagepsychologischer Begutachtung
3.Methodisches Prüfkonzept
a)(Nicht) erlebnisbezogene Aussage
b)Hypothesengeleitete Begutachtung
c)Psychologische Glaubhaftigkeitsprüfung
4.Aufzeichnung der Originalaussage
5.BGH-Rechtsprechung zu aussagepsychologischen Gutachten
a)BGH 1954
b)BGH-Grundsatzentscheidung 1999
c)Nachfolgeentscheidungen
6.Qualität aussagepsychologischer Gutachten
7.Ausweitung des Anwendungsbereichs der Aussagepsychologie
8.Aussagepsychologische Fachliteratur
II.Glaubwürdigkeit des Zeugen – Glaubhaftigkeit der Aussage
III.Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Beurteilung von Zeugenaussagen – unter Berücksichtigung aussagepsychologischer Aspekte
1.Die „ureigenste Aufgabe“ des Gerichts
a)Grundwissen des Richters
b)Aussage gegen Aussage
2.BGH-Rechtsprechung: Gutachten ist Indiz für die Glaubhaftigkeit der Aussage
3.BGH-Rechtsprechung zur Hypothesenbildung
4.BGH-Rechtsprechung zur Beurteilung der Aussagekompetenz
a)Aussagekompetenz bei kindlichen Zeugen
b)Aussagekompetenz bei psychischen Auffälligkeiten
c)Erinnerung
d)Erfindungskompetenz
5.BGH-Rechtsprechung zur Fehlerquellenanalyse
a)BGH-Rechtsprechung zur Entstehungsgeschichte der Aussage
aa)Kindliche Zeugen
bb)Erwachsene Zeugen
cc)Mitbeschuldigter
dd)Beschuldigter – Einlassung
ee)Beschuldigter – falsche Alibibehauptung
b)BGH-Rechtsprechung zur Motivationslage
6.BGH-Rechtsprechung zur Aussageanalyse
a)BGH-Rechtsprechung zu Merkmalen in der Aussage
b)BGH-Rechtsprechung zur Aussagekonstanz
7.BGH-Rechtsprechung zum Aussageverhalten
a)Zögerliches Anzeigeverhalten
b)Körpersprache
c)„Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht“
8.BGH-Rechtsprechung zu Merkmalen in der Aussage des Beschuldigten
IV.Gutachteneinholung
1.Zur Beurteilung der Aussagekompetenz
a)Eigene Sachkunde des Gerichts
b)Hinzuziehung eines Sachverständigen
c)Auswahl des Sachverständigen
2.Zur Beurteilung der Aussagequalität
a)Eigene Sachkunde des Gerichts
b)Begutachtungsanlässe
aa)Begutachtungsanlässe aus aussagepsychologischer Sicht
bb)Begutachtungsanlässe nach der BGH-Rechtsprechung
c)Auswahl
aa)Zuständigkeit für die Auswahl
bb)Aussagepsychologe
3.Leiten und Lenken des Sachverständigen, § 78 StPO
V.Aussagepsychologischer Sachverständiger
1.Zum Begriff des „Sachverständigen“
2.Der „Rechtspsychologe“
3.Nr. 70 RiStBV
VI.„Besondere“ Zeugen
1.Zeuge vom Hörensagen = Aussageempfänger
2.Opferzeuge
3.Nebenkläger als Zeuge
4.Der durch die Presse gesteuerte Zeuge
Teil 2Zeugenvernehmung
I.Vernehmungsbedingungen
1.Ort der Vernehmung
2.Videovernehmung
3.Dauer der Vernehmung
4.Anwesenheit Dritter bei der Vernehmung
5.Hinzuziehung eines Sachverständigen zu der Vernehmung
6.Anwesenheit des Beschuldigten bei der Vernehmung des Zeugen
a)§ 168c StPO
b)§ 247 StPO
7.Ausschluss der Öffentlichkeit in der Hauptverhandlung
8.Gerichtliche Zeugenbegleitung
9.Hilfsorganisationen i. S. d. § 406h StPO
10.Zeugenschutzprogramme
11.Belastungserleben von Kindern vor Gericht
II.Durchführung der Vernehmung
1.Vorladung
2.Person des Vernehmenden
a)Spezialkenntnisse
b)Geschlecht des Vernehmenden
c)Einstellung zum Deliktsbereich
d)Subjektive Einschätzung des Erkennens von Täuschungen
e)Aussagepsychologische Kenntnisse
3.Mehrere Fragesteller bei der Vernehmung
4.Erwartung an die Vernehmung
5.Kommunikationsprozess zwischen Fragendem und Befragtem
6.Einzelvernehmung § 58 Abs. 1 StPO
7.Vernehmungsablauf
a)Informatorisches Vorgespräch
b)Belehrung zur Wahrheit § 57 StPO
c)Angaben zur Person
d)Belehrung nach § 52 StPO
e)Belehrung nach § 55 StPO
f)Unterrichtung über den Untersuchungsgegenstand
g)Schriftliche Aussage
h)Aufzeichnungen des Zeugen als Gedächtnisstützen
i)Aktenkenntnis des Zeugen
k)Zweiteilung der Vernehmung in Bericht und Befragung
aa)Berichterstattung
bb)Befragung
cc)Vorhalte
l)Wiederholte Befragung
m)Voreinstellung des Vernehmenden
n)Reihenfolge der Befragung des Zeugen
o)Kinder
aa)Wiederholtes Befragen
bb)Autorität des Befragers
cc)Fragerechte bei kindlichen Zeugen
dd)Anwesenheit einer Vertrauensperson bei der Vernehmung
ee)Informatorisches Vorgespräch
ff)Belehrung des kindlichen Zeugen zur Wahrheit, § 57 StPO
gg)Verwandtschaftsverhältnis des kindlichen Zeugen zu dem Beschuldigten
hh)Unterrichtung über den Untersuchungsgegenstand, § 69 Abs. 1 S. 2 StPO
ii)Berichterstattung
kk)Altersadäquate Befragung
ll)Vorhalte an kindliche Zeugen
III.Inhalte der Vernehmung
1.Aussageentstehung und Aussageentwicklung – Suggestionseffekte
a)Erstaussage – (Erst-)Aussageempfänger
b)Vernehmung des Aussageempfängers als Zeugen
c)Inhalt der Vernehmung zur Aussageentstehung
2.Materiell-rechtliche Vorwürfe
3.Alternative Erklärungen für das Zustandekommen der Aussage
4.Aussagebestimmende Motive
5.Identifizierung von Beschuldigten
IV.Ausdrucksverhalten während der Aussage
V.Dokumentation der Vernehmung
1.Informatorisches Vorgespräch
2.Protokollerstellung
3.Verwendung von Vordrucken
4.Zeitpunkt der Protokollerstellung
5.Unterschrift auf dem Protokoll
6.Aufzeichnung auf Tonträger
7.Videovernehmung, Videoaufzeichnung
8.Eindrucksvermerk
Teil 3Aussagepsychologische Begutachtung
I.Formelles
1.Auftrag
2.Anknüpfungstatsachen
a)Akteninhalt als Anknüpfungstatsachen
b)Protokolle über polizeiliche Aussagen des zu begutachtenden Zeugen
c)Vermerke von Aussageempfängern
d)Polizeiliche Vermerke über Vernehmungen
e)Beeinflussung des Sachverständigen durch das Aktenstudium
3.Freiwilligkeit der Begutachtung
4.Keine Belehrungspflicht des Sachverständigen gegenüber Zeugen
5.Rahmenbedingungen der Begutachtung
a)Ort der Begutachtung
b)Häufigkeit/Dauer
c)Entspannte Gesprächsatmosphäre
d)Anwesenheit Dritter
e)„Ausklang“
6.Exploration
a)Keine Standardisierung der Exploration
b)„Warming up“ – Rapport
c)Hypothesenbildung
d)Exploration zur Aussagekompetenz
e)Exploration zur Aussageentstehung
f)Exploration zum Tatvorwurf
aa)Erstattung eines freien Berichtes
bb)Befragung
g)Audio- und Videoaufnahme der Exploration
7.Informatorische Befragung Dritter
8.Berücksichtigung von Außenkriterien
9.Eigene Ermittlungen
II.Unterscheidung erlebnisbegründeter von nicht erlebnisbegründeter Aussage
1.Bewusste (intentionale) Falschaussage
2.Unbewusste Falschaussage (Irrtum)
III.Hypothesengeleitete Aussagebeurteilung
1.Hypothesengeleitetes Vorgehen – Nullhypothese
2.Ausschlussmethode
3.Relevante und eng am Sachverhalt ausgerichtete Hypothesenbildung
4.Pseudodiagnostisches Hypothesentesten – Konfirmatorische Teststrategie
5.Hypothesenbildung ist kein abgeschlossener Prozess
IV.Spezifizierungen der Nullhypothese
1.Hypothese: Vollständig erfundene bewusste Falschaussage (Fantasiehypothese)
a)Keine Wahrheitsprüfung
b)Bewusste Falschaussage als Leistung
c)Qualitäts-Kompetenz-Vergleich
d)Täuschung
aa)Erkennen von Täuschungen
bb)Täuschungsfähigkeit
cc)Täuschungsstrategien
e)Merkmalsorientierte Inhaltsanalyse
aa)Methodik
bb)Glaubhaftigkeitsmerkmale
cc)Selbstpräsentation
f)Motivation zur bewussten Falschaussage
g)Voraussetzung der bewussten Falschaussage
h)Zurückweisung der Hypothese der bewussten Falschaussage
2.Hypothese: Teilweise erfundene bewusste Falschaussage
3.Hypothese: Übergang von der bewussten zur autosuggestiven Falschaussage
4.Hypothese: Aggravation, Entharmlosung, Modifikation
a)Persönlichkeitsspezifische Besonderheiten
b)Persönlichkeitsstörungen
aa)Borderline Persönlichkeitsstörungen
bb)Dissoziale Persönlichkeitsstörungen
cc)Histrionische Persönlichkeitsstörungen
c)Jugendliche
5.Hypothese: Übertragung
6.Hypothese: Induktion
7.Hypothese: Suggestion
a)Prüfung der Suggestionshypothese
b)Beurteilung der Suggestionshypothese
c)Hypothese: Autosuggestion
d)Hypothese: Bewusste/unbewusste Fremdsuggestion
V.Die aussagepsychologische Leitfrage – fallübergreifende Analysebereiche
VI.Aussagekompetenz
1.Wahrnehmung
a)Aufmerksamkeit des Zeugen
b)Erwartungen des Zeugen
c)Art des erlebten Ereignisses
d)Erfahrung
e)Motivation
f)Wirklichkeitskontrolle
g)Reality monitoring – Realitätsüberwachungskriterien
h)Wahrnehmungsfehler, -beeinträchtigungen
i)Kindliche Zeugen
k)Wahrnehmungsbeeinträchtigung bei Drogenkonsum, Alkoholeinfluss
2.Erinnerung/Gedächtnis
a)Gedächtnisarten
aa)Episodisches – autobiografisches Gedächtnis
bb)Kurzzeit-, Arbeits- und Langzeitgedächtnis
cc)Implizites – explizites Gedächtnis
b)Erinnerung an das Ereignis
c)Erinnerung an Emotionen
d)Sich ähnelnde Ereignisse
e)Lücken konstruktiv schließen
f)Stress
g)Subjektive Gewissheit
h)Verfälschung von Gedächtnisinhalten – Nachträgliche Informationen
aa)Falschinformationseffekt
bb)Pseudoerinnerung – gezielte Einflussnahmen
i)Kindliche Zeugen
k)Ältere Menschen
l)Erinnerungsstörungen bei psychischen Störungen
m)Vergessen/Verdrängen/Traumatische Erfahrungen
aa)Vergessen
bb)Verdrängen
cc)Traumatische Erfahrungen
n)Entstehung eines Verdachts in therapeutischen Gesprächen
3.Wiedergabe
a)Fehler – Irrtum bei der Wiedergabe
b)Kindliche Zeugen
c)Erheblich intelligenzgeminderte Personen
d)Psychische Auffälligkeiten
4.Untersuchungsmethoden
a)Testverfahren
aa)Projektive Verfahren
bb)Standardisierte Verfahren
cc)Bildgebende Diagnostik und neuropsychologische Testverfahren
dd)Prüfung der Übertragbarkeit der Testergebnisse auf die konkrete Aussage
b)Überprüfung der Fantasiefähigkeit
c)Überprüfung der Erinnerungsfähigkeit
d)Deliktspezifische Kenntnisse des Zeugen – Sexualanamnese
e)Suggestibilitätsprüfungen
f)Fallneutrale Exploration
g)Begutachtungsrelevante Zeiträume
h)Krankenakten
VII.Qualitäts-Kompetenz-Vergleich – Erfindungskompetenz
VIII.Fehlerquellenanalyse
1.Entstehungsgeschichte der Aussage
a)Suggestive Einflüsse auf die Aussage des Zeugen – Feststellung und Beurteilung –
aa)Suggestive Einflussnahmen
bb)Induzierung von Stereotypen
cc)Gruppen- oder Konformitätsdruck
dd)Feedback/Reaktion des Aussageempfängers
ee)Autorität des Befragers
ff)Extreme Mangelsituation
gg)Ankündigung positiver oder negativer Konsequenzen
hh)Belohnung erwarteter Antworten
ii)Nachträgliche andere Bewertung
kk)Änderung der Opfer-Rolle in eine aktive Zeugen-Rolle
ll)Aufforderung zu Konfabulation
mm)Appetenz-Aversions-Konflikt
b)Suggestive Befragung
aa)Offene Fragen
bb)Fragen mit möglicher suggestiver Wirkung
cc)Empfindungen des Vernehmenden
dd)Voreinstellung des Befragers – Theorie der kognitiven Dissonanz – Confirmation bias
c)Befragung als Lernprozess – Wiederholtes Befragen
d)Befragungsprozess
e)Beeinflussung durch das Aktenstudium
f)Aufdeckungsarbeit
g)Anatomische Puppen
h)Parteilicher Umgang mit dem Opfer durch Hilfevereine
i)Zur Rolle ärztlicher Einrichtungen bei der Verdachtsabklärung
k)Geständnis und Widerruf
2.Motivationsanalyse
IX.Realkennzeichenanalyse – Kriterienorientierte Inhaltsanalyse
1.Anwendungsbereich
2.Methodische Voraussetzungen
3.Keine Anwendung bei suggerierter Aussage
4.Zur Realkennzeichenanalyse in der Grundsatzentscheidung des BGH
5.Validität der Realkennzeichen
6.Spezielle Fragestellungen
7.Simulierbarkeit von Realkennzeichen
8.Realkennzeichen im Einzelnen
a)Allgemeine Merkmale
aa)Logische Konsistenz
bb)Quantitativer Detailreichtum
cc)Unstrukturierte Darstellung
b)Spezielle Merkmale
aa)Raum-zeitliche Verknüpfungen
bb)Interaktionsschilderungen
cc)Wiedergabe von Gesprächen
dd)Schilderungen von Komplikationen im Handlungsablauf
c)Inhaltliche Besonderheiten
aa)Schilderung ausgefallener Einzelheiten
bb)Schilderung nebensächlicher Einzelheiten
cc)Phänomengemäße Schilderung unverstandener Handlungselemente
dd)Indirekt handlungsbezogene Schilderungen
ee)Schilderung eigener psychischer Vorgänge
ff)Schilderung psychischer Vorgänge des Beschuldigten
Schilderung des Erlebens von phänomenaler Kausalität
Schilderung multimodaler Wahrnehmungen
Schilderung von Wirklichkeitskontrolle
d)Motivationsbezogene Inhalte
aa)Spontane Verbesserung der eigenen Aussage
bb)Eingeständnis von Erinnerungslücken
cc)Einwände gegen die Richtigkeit der eigenen Aussage
dd)Belastungen/Entlastungen des Beschuldigten
ee)Unterscheidung zwischen nicht-motivationalen und motivationalen Merkmalen
e)Deliktspezifische Aussageelemente
9.Konstanzanalyse
a)(In)Konstanzen
b)Präzisierbarkeit
X.Berücksichtigung von Außenkriterien
XI.Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage
XII.Dokumentation der Begutachtung
1.Benennen der Anknüpfungstatsachen
2.Benennen des Ortes der Begutachtung/der Anzahl der Explorationsgespräche
3.Benennen der Hypothesen
4.Benennen der Untersuchungs-, Testverfahren
5.Trennung von Datenbericht und psychologischer Interpretation
6.Dokumentation des Explorationsgespräches
XIII.Überprüfung des Gutachtens
XIV.Methodenkritische Stellungnahmen
XV.Besonderheiten
1.Gutachten ohne Exploration
2.Vorübergehende Vernehmungsunfähigkeit des Zeugen
3.Zeitablauf
4.Nur mündlich erstattetes Gutachten
5.Antrag auf Beiziehung der Unterlagen des Sachverständigen
6.Aufbewahrung der Untersuchungsmaterialien
7.Vorläufiges Gutachten
8.Begutachtung des Beschuldigten
9.Erstattung der Gutachtenkosten
10.Verhaltensauffälligkeiten
Teil 4Prozesse
Anhang
Literaturverzeichnis
Stichwortverzeichnis
A. | Auflage |
Abs. | Absatz |
BayObLG | Bayrisches Oberlandesgericht |
Bd. | Band |
BGH | Bundesgerichtshof |
BGHSt | Entscheidungen des Bundesgerichtshofes |
BGHR | BGH-Rechtsprechung in Strafsachen, hrsg. von Richtern des Bundesgerichtshofes (seit 1987) |
BKA | Bundeskriminalamt |
BT-Drs. | Bundestagsdrucksache |
BVerfGE | Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts |
CAT | Children Apperception Test |
d.A. | die Autorin |
DRiZ | Deutsche Richterzeitung |
et al. | und andere |
e.V. | eingetragener Verein |
FamRZ | Zeitschrift für das gesamte Familienrecht |
ff. | fortfolgende |
FPPK | Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie (Zeitschrift) |
FPR | Familie, Partnerschaft, Recht (Zeitschrift) |
FS | Festschrift |
ggf. | gegebenenfalls |
GVG | Gerichtsverfassungsgesetz |
i.Ü. | im Übrigen |
JGG | Jugendgerichtsgesetz |
KK | Karlsruher Kommentar |
Krim | Kriminalistik (Zeitschrift) |
LR | Löwe-Rosenberg |
m.w.N. | mit weiteren Nachweisen |
MRK | Menschenrechtskonvention |
MschrKrim | Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform |
NJW | Neue Juristische Wochenschrift |
NStZ | Neue Zeitschrift für Strafrecht |
NStZ-RR | NStZ-Rechtsprechungs-Report Strafrecht (Zeitschrift) |
OLG | Oberlandesgericht |
PdR | Praxis der Rechtspsychologie (Zeitschrift) |
PFT | Picture-Frustration-Test |
R&P | Recht und Psychiatrie (Zeitschrift) |
Rn. | Randnummer |
RG | Reichsgericht |
RGSt | Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen |
RiStBV | Richtlinien für Straf- und Bußgeldverfahren |
S. | Seite |
StGB | Strafgesetzbuch |
StPO | Strafprozessordnung |
StraFo | Strafverteidiger Forum |
StV | Strafverteidiger |
TAT | Thematischer Apperception Test |
u.U. | unter Umständen |
UA | Urteilsausfertigung |
Vgl. | Vergleiche |
z.B. | zum Beispiel |
ZStW | Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft |
1
Zeuge als häufigstes Beweismittel. Der Zeuge ist das häufigste Beweismittel im Strafprozess. Streitet die Aussage des Beschuldigten gegen die des Zeugen, entscheiden oft seine Angaben über Einstellung oder Anklage, Freispruch oder Verurteilung. Dann kommt es entscheidend auf die Qualität seiner Aussage an.
2
Überzeugungsgrundlage. In der Regel hat sich der Strafjurist die Beurteilung der Zeugenaussage grundsätzlich auch ohne Fachkenntnisse zuzutrauen. Hierin wird er durch jahrzehntelange gefestigte Rechtsprechung gestärkt, wonach die Beurteilung von Zeugenaussagen ureigenste Aufgabe des Tatrichters ist. Gleichwohl entsteht in der Praxis häufig der Eindruck, dass er bei der Beurteilung jedoch nicht auf wissenschaftliche aussagepsychologische Erkenntnisse zurückgreift, sondern sich vornehmlich auf seine Lebenserfahrung und Menschenkenntnis verlässt und bei der Überzeugungsbildung vor allem auch seiner Eindrucksbildung folgt. Insbesondere ist oft nicht bekannt, wie sehr z. B. die Voreinstellung des Befragers Einfluss auf die Aussage haben kann. Vielfach vollziehen Richter auch nur die Ermittlungsergebnisse nach und versuchen den Zeugen auf seine polizeilichen Aussagen festzulegen, ohne um die Bedeutung der Entstehungsgeschichte der Aussage zu wissen und diese aufzuklären.
3
Aussagepsychologische Literatur. Seit Ende der neunziger Jahre gibt es zahlreiche aussagepsychologische Fachbücher, die z. T. jedoch zwischenzeitlich vergriffen und in juristischen Bibliotheken meist nicht zu finden sind, aber auch eine Vielzahl von Neuerscheinungen, die in die 2. Auflage eingearbeitet sind.
Daneben finden sich auch zahlreiche aktuelle – in diesem Buch angesprochene – psychologische Aufsätze.
4
Strafjuristen sind bei der Suche nach Entscheidungen und strafrechtlicher Literatur an systematische Zusammenstellungen gewöhnt, die in der Aussagepsychologie so nicht zu finden sind.
Dass dem Juristen die aussagepsychologische Literatur nicht leicht zugänglich ist, ist die Idee geschuldet, für den Strafjuristen eine systematische Zusammenstellung zu fertigen, die als Nachschlagewerk auch für den Psychologen interessant sein kann.
5
Mit Blick auf die stete Ausweitung des Opferschutzes sind in dieser Auflage Hilfsorganisationen, die den „parteilichen Umgang“ mit dem Zeugen propagieren besonders in den Blick genommen worden, da diese beratend vor und nach Anzeigenerstattung tätig werden und die damit einhergehende potentielle Einflussnahme auf den Inhalt der Aussage bislang nicht hinreichend aussagepsychologisch und rechtlich diskutiert ist.
2. Auflage. Auch mehr als zehn Jahre nach der BGH – Grundsatzentscheidung zu den wissenschaftlichen Anforderungen, die an aussagepsychologische Gutachten zu stellen sind, haben sich die aussagepsychologischen Fachkenntnisse der Justiz, aber auch vieler Gutachter nicht wesentlich verbessert. Mein Eindruck ist, dass Sachverständige augenscheinlich den Anforderungen des BGH genügen wollen, tatsächlich offenbaren viele Gutachten aber mangelnde Kenntnisse einer am Sachverhalt orientierten Hypothesenbildung und ein mangelndes Verständnis von dem aussagepsychologischen Suggestionskonzept. Vor allem autosuggestive Einflüsse werden vielfach nicht erkannt. Manche Sachverständige scheitern schon an einer hinreichenden Explorationstechnik. Mit der Hypothesenbildung „steht und fällt“ das Gutachten; deshalb ist ihr in der 2. Auflage eine ausführliche Darstellung gewidmet, die sich in Teil 3 III (Rn. 357 ff.) und IV (Rn. 376 f.) findet.
In Literatur und Rechtsprechung sind bislang die möglichen Einflussnahmen durch Mitarbeiter sog. Opferhilfeeinrichtungen, die damit werben, „parteilich für Opfer“ zu sein, zum Teil konkret Einfluss auf die Entscheidung zur Anzeigenerstattung nehmen und sich auch eine Verdachtsabklärung zutrauen, nicht diskutiert. Wegen der besonderen Bedeutung potentieller Einflussnahme auf die Zeugenaussage erfolgt in Teil 3 VIII „Fehlerquellenanalyse“ (Rn. 656 ff.) eine ausführliche Darstellung der Problematik.
In der 2. Auflage ist die Darstellung der aussagepsychologisch relevanten Rechtsprechung sowie der rechtspsychologischen Fachliteratur auf den neuesten Stand gebracht.
Neu hinzugefügt wurden im Text einzelne Hinweise, die Hilfestellungen im Umgang mit aussagepsychologischen Fragestellungen geben sollen, und gegenüber der ersten Auflage wurde die Anzahl der Checklisten erweitert.
6
Das Buch gliedert sich in vier Teile.
Im ersten Teil (Teil 1 – Rn. 7 ff.) werden aussagepsychologische Gesichtspunkte zur Zeugenaussage dargestellt. Er befasst sich mit der Einführung in die Aussagepsychologie (Teil 1 I – Rn. 13 ff.), mit dem Unterschied zwischen der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit der Aussage (Teil 1 II – Rn. 45 f.), der Aussagebeurteilung in der BGH-Rechtsprechung (Teil 1 III – Rn. 47 ff.), der Gutachteneinholung (Teil 1 IV – Rn. 100 ff.), dem aussagepsychologischen Sachverständigen (Teil 1 V – Rn. 142 ff.) und „Besonderen“ Zeugen (Teil 1 VI – Rn. 145 ff.).
Im zweiten Teil (Teil 2 – Rn. 159 ff.) geht es um die Zeugenvernehmung. Es werden die Vernehmungsbedingungen (Teil 2 I – Rn. 166 ff.), die Durchführung der Vernehmung (Teil 2 II – Rn. 181 ff.), die Inhalte der Vernehmung (Teil 2 III – Rn. 246 ff.), das Ausdrucksverhaltens während der Aussage (Teil 2 IV – Rn. 264 ff.), die Dokumentation der Vernehmung und deren Auswertung unter aussagepsychologischen Gesichtspunkten (Teil 2 V – Rn. 275 ff.) dargestellt.
Der dritte Teil (Teil 3 – Rn. 297 ff.) enthält Ausführungen zur aussagepsychologischen Begutachtung, im Einzelnen zu Formellem (Teil 3 I – Rn. 298 ff.), zur Unterscheidung zwischen erlebnisbegründeter und nicht erlebnisbegründeter Aussage (Teil 3 II – Rn. 352 ff.), zur hypothesengeleiteten Aussagebeurteilung (Teil 3 III – Rn. 357 ff.), zur Spezifizierung der Nullhypothese (Teil 3 IV – Rn. 376 ff.), zur aussagepsychologischen Leitfrage (Teil 3 V – Rn. 453 f.), zur Aussagekompetenz (Teil 3 VI – Rn. 455 ff.), zum Qualitäts-Kompetenz-Vergleich (Teil 3 VII – Rn. 592 ff.), Fehlerquellenanalyse (Teil 3 VIII – Rn. 594 ff.), zur Realkennzeichenanalyse (Teil 3 IX – Rn. 678 ff.), zur Berücksichtigung von Außenkriterien (Teil 3 X – Rn. 742 ff.), zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Aussage (Teil 3 XI – Rn. 746 ff.), zur Dokumentation der Begutachtung (Teil 3 XII – Rn. 754 ff.), zur Überprüfung des Gutachtens (Teil 3 XIII – Rn. 769 ff.), zu methodenkritischen Stellungnahmen (Teil 3 XIV – Rn. 773 ff.) und zu Besonderheiten (Teil 3 XV – Rn. 776 ff.).
Der vierte Teil (Teil 4 – Rn. 788 ff.) stellt die beiden spektakulärsten Prozesse dar, in denen aussagepsychologische Gesichtspunkte bei der Vernehmung kindlicher Zeugen und aussagepsychologischer Gutachten eine Rolle gespielt haben; das sog. Montessori-Verfahren und das sog. Wormser Mißbrauchsverfahren wie auch dem Pascal-Prozess.
Die Entscheidungen werden im Text nach dem Aktenzeichen und in der Fußnote nach den Fundstellen, die BGH-Nack entnommen sind, benannt. Inhalte der Grundsatzentscheidung des BGH zu den wissenschaftlichen Anforderungen, die an aussagepsychologische Gutachten zu stellen sind, werden wegen ihrer besonderen Bedeutung besonders hervorgehoben und farblich unterlegt. Zur einfacheren Handhabung und nicht zuletzt dem aussagepsychologischen Grundsatz folgend, dass es auf das tatsächlich Gesagte (hier Geschriebene) und nicht auf das von dem psychologischen Laien dazu Zusammengefasste, Um- und Selbstformulierte ankommt, werden die psychologischen/psychiatrischen Ausführungen in ihrem genauen Wortlaut zitiert.
I.Einführung in die Aussagepsychologie
II.Glaubwürdigkeit des Zeugen – Glaubhaftigkeit der Aussage
III.Höchstrichterliche Rechtsprechung zur Beurteilung von Zeugenaussagen – unter Berücksichtigung aussagepsychologischer Aspekte
IV.Gutachteneinholung
V.Aussagepsychologischer Sachverständiger
VI.„Besondere“ Zeugen
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Die Constitutio Criminalis Carolina war das erste deutsche Gesetz, das das Strafrecht und das Strafprozessrecht reichsgesetzlich regelte und das zwischen Haupt- und Hilfstatsachen unterschied. Damals konnte ein Beschuldigter nur verurteilt werden, wenn er geständig war oder – anders als heute – durch zwei „einwandfreie“ Zeugenaussagen überführt wurde. Da die geschichtliche Entwicklung die Untauglichkeit gesetzlicher Beweisregeln gezeigt hat, wurde mit der 1877 eingeführten Vorschrift des § 260 StPO (heute wortgleich § 261 StPO) eine deutliche und bewusste Abkehr von gesetzlichen Beweisregeln des Inquisitionsprozesses vollzogen.
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Heute entspricht es – wenn Aussage gegen Aussage steht – gefestigter Rechtsprechung des BGH, dass ein Beschuldigter aufgrund einer einzig ihn belastenden Aussage verurteilt werden kann. Diese Aussage muss eine hochwertige Qualität aufweisen.
Den Strafjuristen wird vor allem die Rechtsprechung des BGH zur Aussageanalyse durch den Tatrichter interessieren.
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In Teil 1 I (Rn. 13 ff.) wird eine Einführung in die Aussagepsychologie gegeben.
Dazu gehört die Darstellung der „Historie“ der Aussagepsychologie, der „Aufgabe und Zielsetzung aussagepsychologischer Begutachtung“, des methodischen Prüfkonzepts. Es folgt eine Befassung mit der „Aufzeichnung der Originalaussage“, der „BGH-Rechtsprechung zu aussagepsychologischen Gutachten“, der „Qualität aussagepsychologischer Gutachten“, der „Ausweitung des Anwendungsbereiches der Aussagepsychologie“ ein Überblick über die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Aussagepsychologie auf erwachsene Zeugen, Aussagen von (Mit)Beschuldigten, Ausländer und die Identifizierungsaussage.
Zuletzt folgt eine ausführliche Darstellung der aussagepsychologischen Fachliteratur.
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In Teil 1 II (Rn. 46 ff.) wird der Unterschied zwischen der Glaubwürdigkeit der Person und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussage aufgezeigt.
In ersten Phasen der Aussagepsychologie als Wissenschaft stand nicht die Beurteilung der Aussage zu dem eigentlichen Geschehen, sondern die Persönlichkeit des Zeugen im Vordergrund. Lange Zeit ist auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung von der Glaubwürdigkeit des Zeugen die Rede. Heute geht es nach dem aktuellen wissenschaftlichen Stand allein um die Qualität der Aussage.
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In Teil 1 III (Rn. 47 ff.) ist die BGH-Rechtsprechung zu aussagepsychologischer Begutachtung, also zur Aussagetüchtigkeit und -kompetenz, zur Fehlerquellenanalyse und zur Aussageanalyse dargestellt.
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In Teil 1 IV (Rn. 100 ff.) wird die BGH-Rechtsprechung zur Gutachteneinholung aufgezeigt, in Teil 1 V (Rn. 142 ff.) geht es um den aussagepsychologischen Sachverständigen, vor allem um den Rechtspsychologen und in VI um „besondere“ Zeugen, nämlich um Zeugen vom Hörensagen, die der Aussagepsychologe Aussageempfänger nennt, Opferzeugen, die Nebenkläger als Zeugen und mit Blick auf die zunehmende Kontaktaufnahme von Zeugen zu Pressevertretern zu dem von der Presse gesteuerten Zeugen.
Teil 1 Zeugenaussage › I. Einführung in die Aussagepsychologie
Teil 1 Zeugenaussage › I › 1. Historie
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Aussagepsychologische Gutachten werden in der höchstrichterlichen Rechtsprechung erstmalig im Jahr 1954 (in BGH [5 StR 416/54][1]) erwähnt. Danach sind Sachverständige zu bestellen, wenn die Zeugenaussagen von Kindern oder Jugendlichen die alleinigen oder wesentlichen Beweismittel darstellen. Damit sind aussagepsychologische Gutachten seit mehr als 50 Jahren als Beweismittel in Strafverfahren dem Grunde nach anerkannt.
Ausführliche Abhandlungen zu „historisch-psychologischen Betrachtungen der Zeugenaussage“ finden sich bei Kühne[2], die auf die Werke zu den Anfängen der Aussagepsychologie Anfang des letzten Jahrhunderts von Binet[3], Stern[4] und Münsterberg[5] hinweist, wie auch bei Müller-Luckmann[6], Köhnken[7]und Steller[8], Steller/Böhm[9] ziehen Bilanz über „50 Jahre Rechtsprechung des BGH zur Aussagepsychologie“.
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Erste bis dritte Phase. William Stern[10] verstand schon 1902 die Aussage als geistige Leistung und zugleich als Verhörsprodukt. „Dieser Titel beschreibt das Konzept der Aussagepsychologie: Eine Aussage wird als Leistungsprodukt aufgefaßt, das nicht nur abhängig ist von personalen Merkmalen (geistige Leistung), sondern auch durch situative Merkmale bedingt sein kann, z. B. durch Merkmale der Befragungsumstände (Verhörsprodukt)“, erläutern Steller/Volbert[11] dazu.
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Stern
Aussage = Geistige Leistung + Verhörsprodukt
Mitte des letzten Jahrhunderts wurden psychologische Sachverständige immer häufiger in gerichtlichen Verfahren hinzugezogen. Sie beschränkten sich nicht wie bis dahin auf das Aktenstudium, sondern nahmen auch zunehmend eigene Untersuchungen an Zeugen vor mit dem Ergebnis, dass Aussagen minderjähriger Zeugen über an ihnen verübten Unzuchtshandlungen in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle der Wahrheit entsprachen[12]. Undeutsch[13] stellte diese Erkenntnis erstmalig 1953 und dann wiederholt weiter begründet in seinen späteren Veröffentlichungen 1956, 1957, 1959, 1965 und 1966 vor[14].
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Vierte Phase. Undeutsch forderte 1953 auf dem 19. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Köln dazu auf, die Glaubhaftigkeit der Aussage in den Mittelpunkt der Glaubwürdigkeitsbeurteilung zu stellen. Er läutete damit eine neue Phase der Aussagepsychologie ein, die heute die Glaubhaftigkeitsbegutachtung bestimmt. Die von ihm aufgestellte Hypothese lautete: Aussagen über tatsächlich Erlebtes unterscheiden sich inhaltlich systematisch von erfundenen Aussagen (von Steller 1997 als Undeutsch-Hypothese[15] benannt).
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Undeutsch-Hypothese
Aussagen über tatsächlich Erlebtes
unterscheiden sich inhaltlich systematisch von
Aussagen über Erfundenes
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Überblick über die Entwicklung der (deutschsprachigen) Aussagepsychologie
Bei Greuel[16] findet sich ein Überblick über die Entwicklung der (deutschsprachigen) Aussagepsychologie im letzten Jahrhundert:
Zeitraum | Bezeichnung | Methodischer Zugang | Publikations-Beispiele | Zentrale Konstrukte |
---|---|---|---|---|
1900 – 1930 | Experimentelle Frühphase | Laborexperi-mente Wirklichkeits-Versuche | William Stern (1902)[17] | Aussagegenauigkeit Aussagetüchtigkeit Aussagezuverlässigkeit Inwieweit kann die normale Zeugenaussage als eine korrekte Wiedergabe des objektiven Sachverhalts gelten? |
1930 – 1945 | Abstinenzphase | – | – | – |
1945 – 1980 | Erfahrungs- und Entwicklungsphase | Forensische Sachverständigentätigkeit Experimentelle Forschung | Undeutsch (1967)[18] Arntzen (1971)[19] Trankell (1971)[20] Köhnken (1989)[21] | Strikte Trennung zwischen Glaubwürdigkeit der Person und Glaubhaftigkeit der Aussage Aussagequalität Glaubwürdigkeitsmerkmale |
80er Jahre | Evaluations-Studien Validierungs-Experimente | Experimentelle Validierungs-Phase | Steller (1988) Ceci & Bruck (1993)[22] Volbert & Pieters (1996)[23] | Aussagequalität Aussagetüchtigkeit Aussagezuverlässigkeit Merkmalsorientierte Aussageanalyse Suggestive Beeinflußbarkeit und Verfälschbarkeit (kindlicher) Aussagen |
90er Jahre | Simulationsstudien Theoretische Modellbildungen | Integrationsphase | Greuel et al. (1998)[24] Steller/Volbert/ Wellershaus (1993)[25] Sporer (1997)[26] Stadler (1997)[27] Steller & Volbert (1997)[28] | Aussagetüchtigkeit Aussagequalität Aussagezuverlässigkeit |
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Viele Jahre hatte die Justiz keinerlei Interesse an aussagepsychologischen Forschungserkenntnissen gezeigt. Es wird vermutet[29], dass das vor allem an der „fehlenden Lebensnähe“ der vorwiegend im Labor durchgeführten Experimente gelegen hat[30].
Arntzen hat Anfang der neunziger Jahre die praktische Verbreitung der Aussagepsychologie gefördert[31].
Wissenschaftliche Fortentwicklung erfuhr die Aussagepsychologie insbesondere durch Arbeiten von Professor Köhnken, Professor Steller, Professor Volbert und Professor Greuel und deren Mitarbeiter. Näheres zu deren Veröffentlichungen findet sich unter Punkt 8, Rn. 44.
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Suggestionsforschung. Greuel[32] spricht von der Suggestionsforschung als dem aussagepsychologischen Forschungsthema ab 1980.
Die Anfänge der Suggestionsforschung gehen auf Arbeiten von Binet[33], Münsterberg[34], Stern[35] und Stern/Stern[36] Anfang des letzten Jahrhunderts zurück. Stern[37] sprach – wie schon oben erwähnt – 1902 von der Aussage nicht nur als geistiger Leistung sondern auch als Verhörsprodukt, so dass schon damals die Bedeutung der Entstehungsgeschichte der Aussage erkannt wurde.
Seit den 80er Jahren sind vor allem aus dem anglo-amerikanischen Raum zahlreiche Forschungsprojekte bekannt, die sich mit Suggestionseffekten insbesondere bei kindlichen Zeugen beschäftigen.
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Veröffentlichungen zur Suggestionsproblematik finden z. B. bei Ceci & Bruck[38]; Goodman et al.[39]; Sporer & Bursch[40]; Volbert[41]; Volbert & Pieters[42], Yapko[43], in Greuel/Fabian/Stadler[44] und Greuel[45]. Schade[46] zeigt die Bedeutung der Aussageentstehungsgeschichte am Beispiel des Wormser-Mißbrauchsverfahrens und verdeutlicht das weitreichende aussagepsychologische Suggestionskonzept anhand anschaulicher Beispiele.
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Köhnken[47] berichtet über Forschungsergebnisse, wonach suggerierte Informationen in das Gedächtnis „implantiert“ werden können, die als tatsächlich selbst erlebt empfunden werden, wobei die beeinflussten Personen subjektiv von der Richtigkeit der Falschinformationen überzeugt sind.
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Greuel[48] stellt in ihrer Habilitationsschrift die Grundlagen und den Stand der Suggestionsforschung sowie eine hypothesenzentrierte Auswertung empirischer Befunde dar. Es geht dabei nicht um „generelle Suggestibilität“ sondern um die Beantwortung der Frage:
„Unter welchen spezifischen Suggestionsbedingungen können Aussagen über spezifische Erlebnisrepräsentationen in welcher spezifischen (und forensisch relevanten) Hinsicht beeinflusst werden?“[49]
Im Handbuch der Rechtpsychologie ist der aktuelle Stand der Forschung in dem Beitrag von Volbert „Suggestion“ aufgezeigt, die sich in zahlreichen Veröffentlichungen mit Fragen der Suggestion und Suggestibilität befasst hat[50].
Interessant sind auch die Beiträge zur Beeinflussbarkeit älterer Menschen[51] und zur Langzeitentwicklung suggerierter Pseudoerinnerungen bei Kindern[52].
Beachtenswert – denn äußerst praxisnah – erscheint die von Volbert[53] aufgezeigte „Wandlung“ der bewussten Falschaussage zur Falschaussage aufgrund autosuggestiver Prozesse.
(Straf-)Juristen wissen meist nicht um den Umfang des Suggestionskonzepts. Dies mag daran liegen, dass ihnen die Prüfung der Entstehungsgeschichte der Aussage nicht vertraut ist und juristische Lehrbücher sich vielfach auf die Darstellung suggestiver Frageformen beschränken.
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Kindliche Zeugen – Jugendliche Zeugen. Lange Zeit wurde Kindern die Fähigkeit, verlässliche Zeugen zu sein, abgesprochen, weil sie Fantasiertes von Erlebtem noch nicht unterscheiden könnten, sie erhöht suggestibel seien und keine zusammenhängende und geordnete Darstellung des Geschehens erbringen könnten[54].
Müller-Luckmann[55], Undeutsch[56], Kühne[57], Endres/Scholz/Summa[58] und Steller[59] zeigen die historische Entwicklung der Beurteilung kindlicher Zeugenaussagen seit Mitte des 19. Jahrhunderts auf.
Nach einer Entscheidung des Reichsgerichts[60] konnten auch Kinder Zeugen sein, wenn von ihnen eine verständliche Aussage zu erwarten war.
In der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts wurde in der aussagepsychologischen Forschung erkannt, dass in der ganz überwiegenden Mehrzahl der Fälle die Angaben von Kindern der Wahrheit entsprechen[61]. In einem Grundsatzurteil hat der BGH[62] 1955 klargestellt, dass „Kinderaussagen nicht häufiger unglaubwürdig sind, als die Aussagen von Erwachsenen, dass Kinder oft sogar die besten Zeugen sind“.
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Mitte der achtziger/Anfang der neunziger Jahre gewann die Frage der Beeinflussbarkeit von Kindern wieder an Bedeutung. Auslöser waren in dieser Zeit gegründete Selbsthilfevereine, die sich die Aufdeckung des sexuellen Missbrauches zum Ziel gesetzt hatten. Die dort kreierte – höchst suggestiv wirkende – Aufdeckungsarbeit löste eine Debatte um den „Mißbrauch mit dem Mißbrauch“[63] aus.
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Aufdeckungsarbeit. Anfang der neunziger Jahre meinten selbsternannte Kinderschutzvereine, allen voran „Wildwasser e.V.“ und „Zartbitter e.V.“, durch nicht entsprechend qualifizierte Mitarbeiter mit Hilfe anatomisch korrekter Puppen und selbst kreierter einseitig parteiisch ausgerichteter Befragungs- und Deutungsweise den sexuellen Missbrauch „aufdecken“ zu können. Verfahren wie das sog. Montessori-Verfahren in Münster und kurz danach die spektakulären Wormser Mißbrauchsverfahren Mitte/Ende der neunziger Jahre haben nicht nur die Unzulänglichkeit ideologisch gesteuerter Aufdeckungstechniken deutlich gemacht. In diesen Verfahren wurde die Justiz durch Hinzuziehung wissenschaftlicher ausgewiesener Sachverständiger in dieser Ausführlich- und Deutlichkeit erstmals über die Erkenntnisse der modernen Aussagepsychologie informiert. Im Vordergrund stand damals das aussagepsychologische Suggestionskonzept[64].
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Eine bestimmte Altersgrenze, ab der die Zeugenkompetenz von Kindern noch nicht bzw. schon gegeben ist, lässt sich nicht festlegen. Ab dem dritten Lebensjahr steigt die sprachliche Fähigkeit und die Wirklichkeitserfassung kontinuierlich an[65]. Nach Arntzen[66] können kindliche Äußerungen in diesem Alter in der Regel Angaben von älteren Personen aber nur „stützen“. Die Grenze wird im Allgemeinen bei etwa vier Jahren angenommen. Unterschiede bestehen in der Einschätzung von Kindern im Alter von vier bis fünf Jahren. Nach Arntzen[67] sind Kinder im Alter von viereinhalb Jahren nur unter günstigen Umständen aussagetüchtig. Das OLG Zweibrücken[68] sieht Kinder, die jünger als 4 ½ Jahre sind, kaum als aussagetüchtig an.
Nach Volbert/Steller[69] können Kinder zwischen drei und vier Jahren mit minimaler Unterstützung schon eine halbwegs zusammenhängende Aussage über ein vergangenes Ereignis machen, vier bis fünfjährige Kinder sollen schon über Ereignisse berichten können, die ein oder zwei Jahre zurückliegen.
Greuel[70] erläutert zum autobiographischen Gedächtnis: „In der aktuellen Diskussion wird … das Ende der Kindheitsamnesie auf dreieinhalb bis vier Jahre datiert (Malinoski, Lynn & Sivec 1998). Einschränkend muß hier jedoch darauf hingewiesen werden, daß für einen spezifischen Bereich von Kindheitserinnerungen, namentlich für trauma memories, diese Altersgrenze angezweifelt wird. So problematisieren Browne, Scheflin und Hammond (1998), daß es, eingedenk der defizitären Erkenntnisbasis bezüglich der (möglichen) Distinktheit des Trauma-Gedächtnisses, zu einfach sei, das vierte Lebensjahr generell als cut-off-point für die Kindheitsamnesie anzunehmen.“
Undeutsch[71] schreibt 1967: „Als höchst bedenklich galten von alters her ‚Mädchen um die Zeit der Geschlechtsreife‘, wenn sich ihre Aussagen auf geschlechtliche Vorgänge beziehen. Es heißt, daß um diese Zeit ihre Phantasie besonders lebhaft sei und mit Vorliebe um geschlechtliche Dinge kreise.“
Volbert[72] gibt eine grobe Orientierung nach Altersangaben (unter 4, 4-5 und ab 6 Jahre) zur Beurteilung der Aussagetüchtigkeit.
Teil 1 Zeugenaussage › I › 2. Aufgabe und Zielsetzung aussagepsychologischer Begutachtung
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In der gerichtlichen Fragestellung geht es bei der aussagepsychologischen Begutachtung um die Erlebnisfundiertheit der Aussage.
Aufgabe und Zielsetzung psychologischer Begutachtungen zur Glaubhaftigkeit von Aussagen – vgl. Greuel[73] – „kann aus Sicht der empirischen Wissenschaft immer nur darin bestehen, Wahrscheinlichkeitsaussagen darüber zu treffen, ob und ggf. inwieweit eine Aussage einem subjektiven Erlebnis in der Wachwirklichkeit entspricht bzw. mit diesem korrespondiert“.
Teil 1 Zeugenaussage › I › 3. Methodisches Prüfkonzept
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Der Aussagepsychologe spricht nicht von „wahrer“ oder „unwahrer“, sondern von erlebnisbezogener oder nicht erlebnisbezogener Aussage.
Die erlebnisbezogene Aussage entspricht der „wahren Aussage“. Der Zeuge spricht über etwas, was er tatsächlich erlebt hat.
Die nicht erlebnisbezogene Aussage entspricht der „unwahren Aussage“. Hier irrt der Zeuge, er spricht über etwas, was er nicht bzw. so nicht oder in anderem Zusammenhang als dem geäußerten erlebt hat.
Bei der nicht erlebnisbezogenen Aussage hat sich der Zeuge die Aussage komplett oder teilweise ausgedacht (Lüge) oder der Inhalt der Aussage ist ihm von einem anderen suggeriert worden (Fremdsuggestion) oder er hat ihn sich selbst „eingeredet“ (Autosuggestion). Bei suggerierten Aussagen geht der Zeuge subjektiv – fehlerhaft – davon aus, dass das Ereignis stattgefunden hat.
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Um herauszufinden, ob die Aussage des Zeugen erlebnisbezogen ist oder nicht, bildet der Aussagepsychologe verschiedene Hypothesen. Ausgangshypothese ist die sog. Nullhypothese: die Aussage hat keinen Erlebnisbezug. Hierzu bildet er Spezifizierungen, er sucht – dem Sachverhalt nach – nach naheliegenden Begründungen für den fehlenden Erlebnisbezug: „die Aussage hat keinen Erlebnisbezug, weil …“.
Erklärungen für den mangelnden Erlebnisbezug können z. B. darin bestehen, dass die Aussage ganz oder in wesentlichen Teilen erlogen ist, oder dass sie dem Zeugen suggeriert wurde oder er sie sich selbst eingeredet hat. Vielfach wird es auch vorkommen, dass Zeugen zunächst lügen und sich die Lüge dann so lange einreden, bis sie selbst von dem erlogenen Sachverhalt überzeugt sind (Verlauf der bewussten zur autosuggestiven Falschaussage[76]).
Die jeweilige Prüfung unterliegt unterschiedlichen Prüfkriterien. So kann z. B. die Realkennzeichenanalyse nicht zwischen erlebnisbezogenen und suggerierten Aussagen unterscheiden. Hierbei kommt es entscheidend auf die Analyse der Aussageentstehung und -entwicklung an. Die Realkennzeichenanalyse findet – neben der Motivationsanalyse – bei der Unterscheidung zwischen einer erlebnisbezogenen und einer ausgedachten, also bewusst falschen Aussage, Anwendung[77].
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Die psychologische Glaubhaftigkeitsprüfung von Zeugenaussagen ist nach dem heutigen Stand der theoretischen Entwicklungen und der empirisch-psychologischen Forschung, wie sie auch der BGH in der Grundsatzentscheidung aufgreift, im Wesentlichen unter den folgenden Aspekten vorzunehmen:[78]
32-
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• | Hinsichtlich der Aussagevalidität Dazu gehören Merkmale und Bedingungen der Aussagesituationen, die die Zuverlässigkeit und Qualität der Aussage beeinflussen können („Fehlerquellenanalyse“), wie die Entstehung (Genese) und die weitere Entwicklung der Aussage sowie unter Umständen eine Analyse der „Motivationslage“ |
Hinsichtlich der Aussagequalität Die konkrete(n) vorliegende(n) Aussage(n) selbst sind schließlich hinsichtlich solcher Merkmale zu untersuchen, in denen sich erlebnisbegründete Aussagen systematisch von solchen unterscheiden, denen kein selbsterlebtes Ereignis zugrunde liegt (sogenannte „Glaubhaftigkeitskriterien“ oder „Realkennzeichen“). Dabei ist die Aussage- und Erfindungskompetenz zu beachten. Dazu gehören solche Merkmale, die sich auf aussagepsychologische Besonderheiten des Zeugen beziehen[79]. |
Greuel et al., Steller, Steller/Volbert, Köhnken [84]Rn. 297 ff.
Gerrig/Zimbardo