Copyright © 2012 Bosworth Music GmbH, Berlin
(part of the music sales group)
ISBN: 978-0-85712-833-1
Alle Texte und Bilder sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ohne Zustimmung des Verlags ist unzulässig. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Ausgenommen hiervon sind Kritiker, denen es gestattet ist, unter Angabe der Quelle auszugsweise zu zitieren. Alle Rechte vorbehalten.
Trotz intensiver Bemühungen konnten die Copyrightinhaber einiger Fotos nicht festgestellt werden. Wir wären dankbar, wenn diese Copyrightinhaber sich bei uns melden würden.
www.musicroom.de
Information Page
Einleitung
Teil I: Wie alles begann
Teil II: Der Marsch auf Waterloo
Teil III: Der richtige Zeitpunkt
Teil IV: Das ist unser Schicksal
Nachwort zur Neuausgabe
Auswahldiskografie
Quellenangaben
Danksagung
Abbas unglaublicher Erfolg ist die Geschichte von vier Musikern aus einem fernen Land im Norden Europas, die gemeinsam mit ihrem rastlosen und eigenwilligen Manager auszogen, die Welt zu erobern. Sie ist eine äußerst persönliche Geschichte, und dennoch zugleich auch eine sehr öffentliche, mit den klassischen Zutaten einer großen nordischen Saga, die alles in sich vereint: Triumphe und Tragödien, Armut und Reichtum, Romantik und Herz-schmerz, begleitet von brillanter PopMusik, die um die ganze Welt ging.
Einer der beiden Instrumentalisten Abbas war Autodidakt, mit unbändigem Ehrgeiz und rigoroser Entschlossenheit, der die Gruppe immer wieder voran-trieb. Der andere ein begnadeter Songwriter, der die Genialität und das Talent von seinem Großvater geerbt hatte. Von den beiden Sängerinnen entwickelte sich die eine, vollkommen unfreiwillig, zu einem vergötterten Sexsymbol, das am Ende nicht im Stande war, den unglaublichen Ruhm zu verkraften. Die andere, eine Vollwaise, hatte die Gabe, sich selbst immer wieder neu zu erfinden, bis sie schließlich zu einer leibhaftigen Prinzessin wurde. Für ihren Manager hatte die unermüdliche und aufreibende Arbeit, die er investierte, kombiniert mit dem eisernen Willen, die Gruppe zu dem zu machen, was sie letztendlich auch wurde, äußerst fatale Konsequenzen.
An der Spitze des Pop-Himmels waren und sind die Beatles unter all den Größen der Pop-Musik diejenigen, die während und nach ihrer Karriere die meisten Schallplatten verkaufen konnten, gefolgt von Elvis Presley, der den zweiten Rang einnimmt. Dank des andauernden Revival-Booms, der keine Anzeichen des Nachlassens erkennen lässt, sind Abba heute auf dem besten Weg, neben einigen wenigen anderen Bands den dritten Platz zu übernehmen. Mehr als zwei Jahrzehnte nach ihrem letzten gemeinsamen Auftritt ist die Liste der wieder aufgelegten Abba-Songs immer noch eine der umsatzstärksten in der Geschichte der Pop-Musik. Als Band waren sie zwischen 1972 und 1982 aktiv und brachen bereits in dieser Periode sämtliche Verkaufsrekorde. Doch der Sampler ABBA Gold, 1992 als CD erschienen, ging weltweit mehr als 20 Millionen Mal über den Ladentisch und wurde somit zum meistverkauften Abba-Album aller Zeiten. Allein im Jahre 1999 setzten Abba weltweit circa 6,5 Millionen Schallplatten um. Ihr Gesamtverkauf beläuft sich heute auf mehr als 300 Millionen Stück.
Abba blieben bis heute fast überall auf der Welt beliebt, sogar in den Ländern, in denen der größte Teil der westlichen Pop- und Rock-Musik niemals eineChance hatte, sich durchzusetzen. In den Vereinigten Staaten, die während abbas aktiver Zeit immer als ihr schwächstes Territorium galten, sind sie heute so populär wie nie zuvor und sie verkauften das ABBA Gold-Album dort mehr als jedes andere ihrer früheren Alben. In Australien sind sie inzwischen populärer als die Beatles. In Großbritannien und in vielen anderen Ländern ist das Musical Mamma Mia! bereits Monate im Voraus ausverkauft.
Inzwischen hat sich bestätigt, dass Abbas Popularität sich nicht nur auf eine zufällige Revival-Erscheinung stützt, sondern dass sie immer konstant geblieben ist. Besonders aber in der Schwulenszene wird das Pop-Quartett über die Maßen verehrt. Nachdem es sicher scheint, Abba selbst nie wieder auf der Bühne bewundern zu können, mehren sich die Gründungen von Revivalbands, die versuchen, sämtliche Hits der Gruppe so getreu wie möglich nachzuspielen. Sogar die junge Generation entdeckt nun Abbas Musik für sich und fast alle europäischen Hitfabriken nehmen sich das schwedische Quartett zum Vorbild. Im heutigen Sprachgebrauch könnte man Abba getrost als Megakult bezeichnen.
Es scheint in Bezug auf Abbas phänomenale Popularität umso überraschender, dass dieses Buch wirklich die erste ausführliche Biografie über die vier schwedischen Ausnahmemusiker ist. Es gab zwar schon einige chronologisch aufgebaute, tagebuchähnliche Berichte ihrer Karriere, sowie Fotobände und ein oder zwei hastig zusammengestellte, ziemlich wertlose und oftmals unkorrekte Bücher, doch niemand hat bisher, aus welchen Gründen auch immer, den Versuch unternommen, einen objektiven und sorgfältig recherchierten über-blick ihrer Geschichte abzufassen.
Abbas Heimat Schweden hat keine besonders reichhaltige rockliterarische Tradition vorzuweisen und die anerkannten britischen und amerikanischen Musikjournalisten sind vorwiegend an anglo- und afroamerikanischen Künstlern interessiert. Abbas bürgerliches Vorstadtimage und ihre vermeintlich aufgesetzt glamouröse Ausstrahlung scheint somit für die wenigsten Autoren Stoff genug zu bieten, um ein Buch darüber zu verfassen.
Doch Abbas Geschichte ist mindestens ebenso interessant wie jede andere, und sie zu erzählen ist schon lange überfällig. über weite Strecken liest sie sich tatsächlich wie ein spannender Roman, in dem es um den täglichen über-lebenskampf geht, um die überwindung von unsäglicher Armut in einer Zeit der schweren Krise, unter der die schwedische Landbevölkerung litt. In dem über ein uneheliches Kind berichtet wird, das in den Wirren des Zweiten Weltkriegs das Licht der Welt erblickt, in dem über tödliche Krankheiten, Selbstmordversuche, jugendliche Eltern, rekordverdächtige Verkaufszahlen, Fanhysterie, katastrophale Geschäftsverträge und vieles mehr erzählt wird-auseiner Zeit, noch bevor Abba überhaupt Abba waren. Als die Welt 1974 erstmals etwas von Abba erfuhr, nämlich nach dem Sieg beim Grand Prix d’Eurovision mit ihrem Erfolgshit Waterloo, da waren die vier Bandmitglieder bereits zehn Jahre lang mit mehr oder minder großem kommerziellen Erfolg als Live- und Studiomusiker beschäftigt.
Von elementarer Wichtigkeit ist aber auch das historische und kulturelle Umfeld, aus dem jeder einzelne stammt. Wenn Abba ein Produkt des neuen schwedischen Optimismus der Nachkriegsjahre waren, das sich über die gesamte westliche Welt ausbreitete, so spiegelt ihre Geschichte auch die Entwicklung in Schweden wider, die parallel dazu mit der Erholung der ganzen Nation, vom Sieg über die Armut und die wirtschaftliche Stagnation angefangen, bis hin zu einer hochentwickelten industriellen Gesellschaft einherging.
Eine große Rolle spielt auch die geografische Lage des Landes. Schweden ist während der meisten Monate im Jahr kalt und dunkel und so ist es sicher nicht verwunderlich, dass auch die schwedische Bevölkerung von einem Hauch Kälte und Düsterheit umgeben ist. Die Schweden sind arbeitsam und pragmatisch, immer ein wenig reserviert, mehr als andere in sich gekehrt und stets darauf bedacht, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Darum ist es umso erstaunlicher, dass diese Nation eine der weltbekanntesten und beliebtesten Pop-Gruppen hervorgebracht hat.
Doch obwohl Abbas Musik oft mit einem strahlenden Lächeln und einer glanzvollen Aura präsentiert wurde, so war immer auch ein starker Kontrast zwischen ihren lebensbejahenden Darbietungen und den traurigen und wehmütigen Untertönen in ihren Songs zu spüren, selbst wenn sie die fröhlichsten Melodien anstimmten. Aber auch dieser melancholische Charak-terzug, der nicht zuletzt mit Schwedens geografischer Lage zusammenhängt, ist typisch für einen Großteil der Bevölkerung.
Auf dieser skandinavischen Halbinsel im Norden Europas, wurde in frostigem Klima und dunklen Herbst-und Wintertagen eine besondere Form des nordischen Blues geboren. Das wehmütige Flüstern in den Wipfeln der Tannen der ausgedehnten schwedischen Wälder ist in fast jedem volkstümlichen Lied deutlich spürbar und selbst in der Pop-Musik ein immer wiederkehrendes, charakteristisches Element.
Abbas eigene Entwicklung ist tief mit der Geschichte und der geografischen Lage des Landes verwurzelt. Die Grundsatzerklärung „Bündnisfreiheit im Frieden und Neutralität im Krieg“ verhalf Schweden zu fast zweihundert Jahren Frieden und wurde eines der hervorstechendsten Merkmale der schwedischen Außenpolitik. Dem Land wurde somit international die Rolle des Vermittlers zwischen den gegensätzlichen ideologischen und politischen Systemen zugedacht. Da Schwedens ureigene Struktur von Homogenität und\sozialer Kommunikation bestimmt wird, war diese Nation für eine derartige Aufgabe wie geschaffen.
Abbas Erfolg basierte nicht zuletzt auf eben jenen Rahmenbedingungen, die im Staatsgefüge ebenso aussichtsreich schienen wie in der Orientierung dieser Pop-Gruppe. Es war eine Philosophie, die ganz von dem Gedanken geprägt war, dass in einer demokratischen und dynamischen Gesellschaft jede Stimme ihre Berechtigung hat, um gemeinschaftlich erfolgreich zu sein - der „schwedische Weg“, wie Björn Ulvaeus es einmal so treffend formulierte. Somit wird deutlich, dass Abba sicher nicht über Nacht zu solch einem sensationellen Ruhm kamen. Sie waren durchaus keine gewaltige Explosion in der Welt der Pop-Musik. Sie mögen vielleicht über ihr eigenes privates Waterloo gesungen haben, als sie ihren internationalen Durchbruch schafften, doch es war keineswegs eine wilde und blutige Schlacht, die sie an diesen Punkt brachte.
Die Gruppe Abba war stark genug, ihr eigenes Potential selbst zu erkennen und voranzutreiben, indem sie die positiven und unterstützenden Einflüsse der schwedischen Kultur mit offenen Armen aufnahmen und die störenden und negativen Vorgänge, die ihnen den Wind aus den Segeln hätten nehmen können, schlichtweg ignorierten. Ihr unerschütterlicher Wille, auch außerhalb der Grenzen ihrer Heimat musikalisch anerkannt zu werden, war vermutlich der entscheidende Grund für ihren sensationellen weltweiten Erfolg.
Der überlieferung nach sind die berühmte Arbeitsmoral und der Pragmatismus der Schweden ganz besonders in der südlichen Provinz Småland vor-zufinden. Somit ist es fast schon zwangsläufig, dass zwei Abba-Mitglieder in genau diesem Gebiet zur Welt kamen: Björn Ulvaeus und Agnetha Fältskog. Doch vielleicht noch entscheidender für den Werdegang der Band ist die Tatsache, dass auch ihr Manager Stig Anderson ganz in der Nähe geboren und aufgewachsen ist, und zwar in Västergötland, dessen Einwohnern man einen ebensolchen Geist nachsagt.
Man könnte fast meinen, dass es für die Vier eine völlig bewusste Entscheidung war, sich zehn Jahre lang erst einmal innerhalb Schwedens einen guten Namen und eine stabile Basis zu schaffen, um auf der sicheren Seite zu sein, bevor man sich in das internationale Musikgeschäft wagte. Als sie sich jedoch schließlich zu einer kompakten Gruppe formierten, entdeckten sie irgendwann selbst, dass die magische Ausstrahlung jedes einzelnen und die Fähigkeit, den anderen zu ergänzen, eine Gabe war, die nur diejenigen besaßen, die etwas ganz Großes zu leisten im Stande waren.
Björn Ulvaeus wurde das Rückgrat der Gruppe, ihr inoffizieller Chef, ihr Kritiker, ihr Sprecher und immer mehr ihr begnadeter Texter. Benny Andersson war der musikalische Motor, der intuitive Komponist, ein unkomplizierter Bursche inmitten einer nie versiegenden Quelle von Melodien. Anni-Frid „Frida“ Lyngstad war die dunkle Schönheit mit einer außergewöhnlichen Stimme, einer Mischung aus Kraft und Verwundbarkeit auf ihrem märchenhaften Weg von tiefster Armut zum glanzvollen Reichtum. Agnetha Fältskog war das blonde, schlichte Mädchen, das ganz gegen ihren Willen zu einem Superstar gemacht wurde, zum Lieferanten für Liebeskummer und zum erotischen Blickfang der Gruppe.
Abbas Bestrebungen, die Spitze der Welt zu erreichen, wurden aber entscheidend von dem „fünften Abba-Mitglied“ in die Tat umgesetzt. Manager Stig Anderson war eine schwankende Mischung aus willensstarker Entschlossenheit, dem unentwegten Drang sich beweisen zu müssen und einer abgöttischen Liebe zum Showgeschäft. Aufgrund der Struktur der Band und der Art, wie sie funktionierte, machten ihn seine Ausdauer, seine Beharrlichkeit und sein Glaube an die Gruppe derart unersetzlich, wie es kaum einem Manager in der Pop-Geschichte jemals vergönnt war.
Die meisten bekannten Bands stießen sich ihre Hörner ab, indem sie durch die vielen kleinen Clubs tingelten, in der Hoffnung, irgendein talentsucher würde sie entdecken und ihnen einen Plattenvertrag anbieten. Doch bei Abba war das anders. Die Gruppe entstand ganz allmählich durch Stig Andersons Aktivitäten in seiner eigenen Produktionsgesellschaft. Eigentlich geschah diese Zusammenführung rein zufällig und es war ganz sicher ein gewagtes Experiment, als „Polar Music“ begann, mit diesem Quartett Schallplatten zu produzieren und zu veröffentlichen. In den Anfangszeiten war Stig sogar der Co-Autor ihrer Songs und nur ein paar Jahre später waren sie schon derart miteinander verwoben, dass die gesamte komplexe Struktur dieser wechselseitigen Beziehungen sie vollkommen voneinander abhängig machte. Dass dieses Verhältnis nach der Trennung der Gruppe im Streit auseinanderbrach und alles ihren Händen entglitt, ist ein Schicksal, wie es viele andere, ähnlich strukturierte Bands in der ganzen Welt ebenso erlitten haben.
Neben den Hochzeiten, den Scheidungen und den unglaublichen Verkaufszahlen ihrer Schallplatten, die bisher die Schlagzeilen der Medien bildeten und Abbas öffentliches Image formten, gibt es aber durchaus noch andere Wahrheiten. Ihre professionelle Showfassade konnte lange Zeit und auf ungewöhnliche Weise die wahren Gesichter und die Realität ihrer Lebensumstände verstecken, die sich hinter den Menschen verbargen, die dieses unglaubliche Phänomen erst möglich machten. Doch oftmals sind es nicht die Mitglieder von Abba, die etwaige Unstimmigkeiten wieder in das rechte Licht rücken. Kurioserweise sind es die internationalen Medien, die sich dazu berufen fühlen, genau dies für sie zu tun, und ignorieren dabei die seltenen Versuche der Band, einen kleinen Einblick in ihr wahres, nie erzähltes Leben geben zu wollen.Vielleicht aber hat diese Geschichte auch nur darauf gewartet, von einem ebenfalls pragmatischen Schweden erzählt zu werden, der sie in ihrer ungeschminkten und facettenreichen Herrlichkeit wiedergibt. Zumindest ist es das, was ich versuchen wollte. Ich hoffe, es ist mir gelungen.
Carl Magnus Palm
Stockholm, Mai 2001
Die Stadt Västervik liegt in der südschwedischen Provinz Småland. Västervik hat rund 20.000 Einwohner und in ihrem gesamten Umland leben nicht einmal doppelt so viele Menschen. Doch diese kleine Stadt am baltischen Meer wurde zur Geburtsstätte außergewöhnlich vieler berühmter Persönlichkeiten. Die Jazz- und Schlagersängerin Alice Babs beispielsweise arbeitete in den Sechzigern und Siebzigern sehr erfolgreich mit Duke Ellington zusammen. Stefan Edberg war Anfang der Neunziger zwei Jahre lang die Nummer 1 in der Tennis-Weltrangliste. Doch es gibt noch eine weitere Person, die ihre wichtigsten Jahre in Västervik verbrachte und sogar den Ruhm von Babs und Edberg in den Schatten stellte.
Der Sohn von Gunnar und Aina Ulvaeus, Björn Kristian Ulvaeus, wurde am 25. April 1945 auf Hisingen geboren. Diese Insel liegt an der schwedischen Westküste, in der Nähe von Göteborg, der zweitgrößten Stadt des Landes. Bekannt geworden durch das Volvowerk, die Schiffswerften und seine Position als wichtigster Hafen Skandinaviens ist dies der Ort, an dem Björn in den letzten chaotischen Tagen des Zweiten Weltkriegs das Licht der Welt erblickte.
Gunnar Ulvaeus und seine beiden Brüder Esbjörn und Lennart waren mit dem in Schweden weit verbreiteten Nachnamen Andersson geboren worden. Als die drei jedoch volljährig wurden und ihr Elternhaus verließen, entschlossen sie sich, ihre Namen zu ändern, um sich von der übrigen Welt abzugrenzen. So nannte sich Esbjörn fortan Ulfsäter, während Gunnar und Lennart den Namen Ulvaeus annahmen.
Gunnar war ein sehr geselliger und humorvoller Mensch mit einem regen Interesse an Literatur. Er mochte besonders die klassischen schwedischen Dichter, und selten sah man ihn ohne seinen obligatorischen Gedicht-band in der Hand. Doch er war auch ein großer Fan von amerikanischen Westernromanen in der Originalsprache, und es kam vor, dass er zu lesen begann und das Buch erst wieder beiseite legte, wenn er die letzte Seite verschlungen hatte.
Während des Krieges, als Leutnant der Infanterie, lernte Gunnar Aina Bengtson kennen. Aina war ein äußerst zuvorkommendes und freundliches Mädchen, das als Verkäuferin in einem Chemikalienhandel arbeitete. Sie heirateten im Jahr bevor Björn geboren wurde, und 1946, kurz nach Endedes Zweiten Weltkriegs, zog die kleine Familie dann nach Hunnebostrand, einem kleinen Fischerdorf nördlich von Göteborg. Hier gründete der ehrgeizige Gunnar eine kleine Bootswerft und Aina gab ihren Job auf, um sich ganz um den Haushalt und Gunnar und Björn kümmern zu können. Dann im März 1948 kam ihre Tochter Eva zur Welt.
Björn litt als kleines Kind hin und wieder unter Hustenanfällen, war aber ansonsten ein gesunder und lebhafter Junge. Er hielt sich sehr gern auf der Werft seines Vaters auf und arbeitete mit, wo er nur konnte. Mit Vorliebe half Björn beim Anstreichen der Boote, wobei er sich natürlich zum Entsetzen seiner Mutter oft von oben bis unten bekleckerte.
Schon früh bewies er seinen ihm scheinbar angeborenen Geschäftssinn, der ihn im weiteren Leben einmal auszeichnen sollte. Einmal „verkaufte“ er seine kleine Schwester an einen der Werftarbeiter, weil es ihm auf die Nerven ging, dass sie ihm überall hin folgte. Doch kurz darauf bedauerte er den Handel wieder und machte ihn rückgängig. Diese eher unbedeutende Episode war aber auch die einzige nachweisbare Geschwisterrivalität, die zwischen Björn und Eva jemals stattfand.
Als Björn fünf Jahre alt war, kämpfte Schweden mit einer schweren Rezession und der Betrieb seines Vaters schlitterte aufgrund der gesunkenen Nachfrage in eine tiefe Krise. Gunnar tat alles, was in seiner Macht stand, doch der Bankrott war unvermeidlich. Er verlor eine Menge Geld und war gezwungen, in Göteborg eine Stelle als Verkäufer für Industrieglas anzunehmen, um seine Familie weiter ernähren zu können. Das war ein harter Schlag für sein Selbstbewusstsein und für seine Träume; ein erniedrigender Rückschritt, den der kleine Björn nur schwer verstehen konnte.
Doch schon bald kam Hilfe, und zwar in Gestalt von Gunnars älterem Bruder Esbjörn. Esbjörn Ulfsäter arbeitete vier Jahre lang als Handelsvertreter für verschiedene Unternehmen, bevor er Mitte der Dreißiger eine Stelle in der Papiermühle von Västervik annahm. Er arbeitete so hart und konsequent, dass er nach einiger Zeit die Möglichkeit bekam, die Firma zu kaufen und sie als alleiniger Inhaber zu führen. Gegen Ende der vierziger Jahre warf die Mühle so viel ab, dass man Esbjörn getrost als wohlhabenden Mann bezeichnen konnte. Er bot seinem Bruder Gunnar, von dessen finanziellen Schwierigkeiten er durchaus wusste, eine Stellung in der Verwaltung seines Betriebs an. Dieser war sehr dankbar über das Angebot und ging 1951 mit Frau und Kindern nach Västervik. Nach einigen Jahren in unterschiedlichen Wohnungen zog die Familie Ulvaeus in ein Appartement in der zentral gelegenen Norrtulls-gatan, nicht weit von der Küste entfernt.
Sie waren aber nicht die einzigen, die in diesen ersten Jahrzehnten nach dem Krieg nach Västervik zogen. Dank der aufstrebenden Industrie in diesem Gebiet verdoppelte sich zwischen 1940 und 1970 die Einwohnerzahl der Stadt. Zusätzlich zog die malerische Lage am Meer und die Schifffahrt die Menschen in diese Gegend. Die vielen kleinen Holzhäuser und das historische Rathaus aus dem Jahre 1795 vervollständigten den idyllischen Charakter der Ortschaft.
Nach ihren frühen, etwas turbulenten Jahren in der Region um Göteborg konnten Björn und seine Schwester jetzt eine ruhige Kindheit genießen, gesichert und begleitet von dem allgemeinen Aufschwung des Landes. Während sich die meisten europäischen Länder nur sehr langsam von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs und der Zerstörung der Wirtschaft erholen konnten, entwickelte sich das neutrale Schweden enorm und konnte dabei von der Exportschwäche der anderen Länder zunehmend profitieren.
Wenn man in Betracht zieht, wie stark das Land unter der Großen Depression gelitten hatte, so war das schon eine recht erstaunliche Entwicklung. Der Wendepunkt kam Mitte der Dreißiger, als die Sozialdemokraten die Regierung bildeten und von nun an für die nächsten vierzig Jahre die Geschicke des Landes leiten sollten. In den folgenden Jahrzehnten entwickelte sich Schweden zu einem gut organisierten Staat, der auf dem sogenannten „Schwedischen Modell“ aufbaute. Es basierte vorwiegend auf einem ausgeklügelten Wirt-schaftssystem und auf der Strukturierung eines Arbeitsmarkts, der durch die gleichberechtigte Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen und den Gewerkschaften bestimmt wurde. Ganz entscheidend jedoch war das eng-maschige soziale Netz des Landes, dessen Philosophie am besten mit dem schwedischen Ausdruck „folkhemmet“ (Volksheimat) beschrieben wird. Hiernach gilt die Gesellschaft als die „Heimat“ aller schwedischen Bürger und muss sich folglich auch um ihre Belange bei Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter kümmern.
Von den kommenden Generationen wurde erwartet, die ihnen gebotenen Möglichkeiten zu nutzen und dann in die Tat umzusetzen. So auch im Hause von Gunnar und Aina Ulvaeus, in dem Björn nun derjenige war, der es besser machen sollte. Das Scheitern der geschäftlichen Träume seines Vaters gab ihm zusätzlichen Ansporn. Esbjörn Ulfsäter besaß eine eigene Papiermühle und Lennart Ulvaeus wurde Geschäftsführer eines deutschen Unternehmens in der Papierbranche. Gunnar jedoch musste sich lediglich mit der Rolle eines Angestellten in der Fabrik seines Bruders begnügen.
„Da ich selbst mit dem Schiffsbau ein Vermögen verloren hatte, wünschte ich mir, dass mein Sohn eines Tages ein weltberühmter Schiffbauer mit der bestmöglichen Ausbildung werden sollte“, erklärte er später. Aina Ulvaeus bestätigte dies: „Ich kann mich daran erinnern, dass Björn mit der zweitbesten Note in einer Klassenarbeit nach Hause kam. Sein Vater sagte:,Warum nur die zweitbeste, wenn es die beste sein könnte?‘“
Der junge Björn war ein ziemlich durchschnittlicher Schüler. Wie die meisten seiner Kameraden war er ein unbeschwertes Kind, mehr an Fußball und Eishockey interessiert als an seinen Hausaufgaben. Seine Lieblingsfächer waren Physik, Schwedisch und Englisch und er fing schon sehr früh damit an, Gedichte zu schreiben. Für diese Entwicklung war seine damalige Lehrerin verantwortlich, eine exzentrische alte Dame, die darauf bestand, dass sich die Schüler ihrer Klasse an jedem Wochenende irgendwelchen künstlerischen Dingen widmeten. „Die Ideen flogen mir nur so zu“, erinnerte sich Björn später, „und die ganze Zeit saß unsere Lehrerin an ihrem Pult und putzte Fische!“
Musik spielte im Haus der Familie Ulvaeus nur eine untergeordnete Rolle. Gunnar konnte zwar ein wenig Mandoline spielen, aber „ehrlich, es klang nicht sehr gut“, sagte Björn. Die Familie besaß keinen Plattenspieler, daher war das Radio ihr Hauptlieferant für populäre Musik, das aber, nach heutigen Standards zu urteilen, nur wenig von dem sendete, was man gemeinhin als leichte Unterhaltung bezeichnen kann.
Manchmal konnte man am Sonntag, zwischen endlosen Berichten über die Landwirtschaft, die Show „En glad ton på grammofon“ (Eine fröhliche Melodie aus dem Grammophon) hören, ein dreißigminütiges Programm, in dem neben einigen aktuellen Hits auch populäre Volksmusik gespielt wurde. Diese Sendung wurde erstmals in den späten Vierzigern ausgestrahlt und entwickelte sich dann in den Fünfzigern zum Begleiter einer ganzen Generation. Sie war damals die einzige Möglichkeit für Kids wie Björn, so etwas wie Pop-Musik zu hören.
Pop-Musik war in Schweden zu dieser Zeit gleichbedeutend mit dem sogenannten „Schlager“, der bei „En glad ton på grammofon“ massiv vertreten war. Das Wort,Schlager’ ist deutschen Ursprungs und in Schweden seit den zwanziger Jahren durchaus gebräuchlich. Er hat seine Wurzeln in den unterschiedlichsten Stilrichtungen, angefangen von den deutschen Militärmärschen, über die österreichischen Operetten, die italienische und osteuropäische Folklore, bis hin zum französischen Chanson, jedoch noch ohne den Einfluss des amerikanischen Jazz oder des Rhythm ’n’ Blues. In Schweden selbst fügten sich auch noch Elemente einheimischer Volksmusik mit ein.
Die Schweden waren in den Fünfzigern immer noch ein recht einfaches und ländliches Volk und der weit verbreitete Wunsch nach „besseren Zeiten“ spiegelte sich auch in der populären Musik wider. Aus eben diesem kulturellen Umfeld stammen die ersten musikalischen Erinnerungen des jungen Björn Ulvaeus. Thory Bernhards, ein zu dieser Zeit in Schweden sehr bekannter Sänger, hinterließ bei ihm einen besonders prägenden Eindruck. Die sentimentale Walzerballade Vildandens sång (Das Lied der Wildenten) war ein Volkslied, das Bernhards im Jahre 1952 äußerst populär machte. Es handelt sich dabei um die herzzerreißende Liebesgeschichte eines Wildentenpaares, in der am Ende der Erpel von einem Jäger erschossen wird. Ein pathetischer Vortrag, begleitet von einem Akkordeon, einem Klavier und einer Violine als Melodieuntermalung.
„Das Lied war in dem Sommer, als ich meine Cousins an der Westküste besuchte, ein Riesenhit“, erinnerte sich Björn später. „Ich hörte es im Radio und empfand es als unglaublich traurig. Das war der erste Song, der mich richtig faszinierte.“ Auch die ebenso sentimentalen Alice Babs-Versionen der Songs Mockin’ Bird Hill von Les Paul & Mary Ford und A Dear John Letter von Jean Shepard hinterließen bei Björn einen unauslöschlichen Eindruck. Diese Kombinationen aus sanften Melodien und einfachen Texten waren es, die ihn begeisterten.
Weitaus weniger beeindruckend empfand er seinen Blockflötenunterricht, den er in den Fünfzigern nur widerwillig besuchte. Blockflötenstunden sind seit den vierziger Jahren in Schweden ein Teil des Musikunterrichts und sollen auf das Erlernen eines „richtigen“ Instruments wie zum Beispiel Klavier oder Geige vorbereiten. Björn langweilte sich furchtbar, begann den Unterricht zu schwänzen und spielte lieber draußen mit seinen Freunden. „Es brachte mir einfach nichts“, sagte er zurückblickend.
Stattdessen führte Björns Weg in die Welt der Musik über den Skiffle, der in England Mitte der fünfziger Jahre aufkam und sich schnell in ganz Europa verbreitete. „Mein Cousin Joen war ein Jahr älter als ich und sehr musikalisch. Schon sehr früh begann er damit, Instrumente wie Trompete und Klavier zu lernen. Er spielte dann immer bei Familientreffen und ich war schwer beeindruckt von ihm. Irgendwann entdeckte er dann den Skiffle für sich und kaufte eine Menge LPs, hauptsächlich aber die von den eher unbekannteren Gruppen wie beispielsweise den Vipers statt von den populären Künstlern wie Lonnie Donegan.“
Der Skiffle kam erstmals 1957 nach Schweden. Im selben Jahr zu Weihnachten machte Björn für sich persönlich eine wichtige Entdeckung, als er im Haus der Familie Ulfsäter zusammen mit Joen am Flügel saß. „Ich fühlte, dass Musik etwas Fantastisches ist. Als ich an diesem Abend mit meinen Eltern nach Hause ging, begann ich sie zu löchern:,Bitte, ihr müsst mir irgendetwas geben, auf dem ich spielen kann!‘“ Und im folgenden Frühjahr, an seinem dreizehnten Geburtstag, bekam Björn seine erste akustische Gitarre, zu dieser Zeit ein recht ungewöhnliches Geschenk. Für Björn aber war dies einer der glücklichsten Momente seines Lebens.
So wie die Beatles in ihren Anfängen und wie unzählige andere britische Bands, die in den Sechzigern populär wurden, gründeten auch Björn und Joen eine Skiffleband mit der klassischen Besetzung aus Gitarren, selbstgebautem Bass und Waschbrett. „Ich war absolut begeistert davon, Musik zu machen und sie öffentlich zu spielen“, erinnerte sich Björn.
Durch die Band lernte Björn den Bassisten Tony Rooth kennen. Tony ging mit Joen Ulfsäter in die gleiche Klasse und wurde bald Björns bester Freund. „Joens Vater war sehr reich und sie besaßen ein riesiges Haus“, erinnert er sich. „Dort gab es einen Keller, in dem wir musizieren konnten und so viel Krach machen durften, wie wir wollten.“ Björns Vater unterstützte die Jungs ebenfalls, indem er es ermöglichte, dass Tonys Bass in der Papiermühle gebaut werden konnte.
Das Repertoire der Band kam hauptsächlich von Joens Skiffleplatten. „Damals wurden die Texte noch nicht auf den Plattenhüllen abgedruckt“, sagte Björn, „und unser Englisch war nicht gut genug, um alles zu verstehen, was da gesungen wurde. Also haben wir einfach phonetisch experimentiert.“ Zu einem großen Teil war das auch die Arbeitsweise vieler bekannter schwedischer Rock-Musiker in den späten Fünfzigern. In den Hits von Elvis Presley, Buddy Holly oder Gene Vincent gab es oft Worte oder Phrasen, die man in keinem englischen Wörterbuch finden konnte. „Das zeigt doch, wie unwichtig der Text manchmal war“, bemerkte Björn. „Er musste nur richtig klingen und sich reimen. So haben wir damals eben angefangen.“
Im sicheren, idyllischen und aufstrebenden Schweden der späten Fünfziger waren die oftmals provozierenden Texte des Rock für die Plattenkäufer kaum zu verstehen. Die Wurzeln dieser Musik und ihre Bedeutung für die Rebellion der Teenager bedeuteten noch nicht so viel. In den schwedischen Jugendmagazinen wurde der Rock ’n’ Roll erstmals in der zweiten Hälfte des Jahres 1956 erwähnt, und da auch nur als Ableger des Jazz: eine neue Verrücktheit aus Amerika. Rock ’n’ Roll als eigenständige Musikrichtung gewann in Schweden erst gegen Ende des Jahres 1957 Bedeutung und die Ablehnung der schwedischen Radiosender war dafür auch nicht besonders hilfreich. Der erste Radiosender speziell für das jugendliche Publikum nahm zwar schon Anfang dieses besagten Jahres seine Arbeit auf, doch die Macher erklärten öffentlich, dass, obwohl es ihre Absicht sei, für jeden Geschmack etwas zu senden, „es sicher ist, dass wir den Rock ’n’ Roll ablehnen werden!“ Der Jazz erschien passender für die Zuhörer, zumindest nach Meinung dieser Leute.
Für Björn Ulvaeus gab es den Konflikt zwischen Jazz und Rock eigentlich nicht. Er wusste nur, dass er von der Musik fasziniert war und unbedingt in der Skiffleband seines Cousins Gitarre spielen wollte. Es dauerte jedoch einige Zeit, bis er das Instrument einigermaßen beherrschte. „Ich kaufte mireines dieser Bücher, in denen die Akkorde als Diagramm mit Punkten dar-gestellt werden, von denen man genau ablesen kann, welche Saite man auf welchem Bund greifen muss. Anfänglich kam ich damit nicht klar, und ließ die schwereren Teile weg. Da kamen dann schon recht eigenartige Akkord-gebilde heraus.“
Seiner Mutter Aina fiel es oft nicht leicht, die amateurhaften Versuche ihres Sohnes auf der Gitarre zu ertragen. „Manchmal zog ich mir einfach meinen Mantel an und verließ das Haus, damit ich mir das nicht anhören brauchte“, amüsiert sie sich heute noch. Björn meinte später, dass es wohl wirklich eine Tortur für seine Eltern bedeutet haben musste, ihn in ihrem Hause üben zu lassen.
Im August 1956 wechselte Björn in die Mittelschule und seine Noten verbesserten sich von Jahr zu Jahr. Obwohl er zwar kein Musterschüler war, gehörte er aber auch gewiss nicht zu den jugendlichen Unruhestiftern. Björn war einfach nur ein netter Junge aus bürgerlichem Haus mit einem für sein Alter schon sehr ausgeprägten Intellekt.
Tony Rooth resümierte: „Wenn ich über den jungen Björn nachdenke, fällt mir sofort wieder ein, dass er äußerst intelligent war. Seine Noten waren ausgezeichnet und ich stellte fest, dass er bestimmt nicht mehr Zeit mit dem Lernen verbrachte, als die anderen auch. Für Sprachen war er ein Naturtalent. Unsere Englischlehrerin, die damals schon fast vierzig Jahre in ihrem Beruf war, erzählte mir einmal im Vertrauen, dass sie nie einen so guten Englisch-schüler wie ihn gehabt hatte.“
Als Joen Ulfsäter beschloss, dass seine Band mit dem Skiffle aufhören sollte, um sich stattdessen mit dem traditionellen Jazz oder dem Dixieland zu befassen, entwickelte Björn auch für diese Musik ein Gespür und wechselte von der Gitarre zum Banjo. Es war eine bei schwedischen Skifflefans ziemlich verbreitete Entwicklung. Wie der Name schon sagt, ist der „Traditional Jazz“ eine Wiederbelebung des ursprünglichen New Orleans Jazz der zwanziger Jahre, und Teenager, die diese Art von Musik spielten, konnten sich der Unterstützung der älteren Generationen sicher sein.
Obwohl uns der Rückblick zeigt, dass die Jugend der westlichen Welt Mitte und Ende der Fünfziger den Rock ’n’ Roll zu ihrer Lieblingsmusik wählte, sollte man daran denken, dass Björn und seine Freunde gut erzogene Jungs aus der Mittelschicht waren. In diesem bürgerlichen Umfeld, sei es in Schweden oder sonst wo, galt Rock-Musik als „einfache“ Musik für die Arbeiterklasse, nicht direkt unmoralisch, aber sicher von niedrigerer Kultur.
Der Rock ’n’ Roll, der langsam auch von Schweden Besitz ergriff, wurde fast ausschließlich von weißen Künstlern wie Elvis Presley dargeboten, während für die meisten Rock-Fans die schwarzen Musiker immer noch unbekannt waren. Björn, der in seinem Herzen immer ein Rock-Fan blieb, bekannte später: „Ich mochte natürlich Elvis. Mit Leuten wie Chuck Berry konnte ich nichts anfangen. Seine Musik wurde in meinen Kreisen nicht gespielt, ich ahnte anfangs nicht einmal etwas von seiner Existenz. An den Oberschulen in den kleinen schwedischen Städten hörte man eigentlich gar keine Rock-Musik. Man hörte ausschließlich Folklore, Dixieland und Skiffle.“
Mit der bemerkenswerten Ausnahme von Little Richard, der damals auch hier zwei Hits hatte, bestätigen die Statistiken Björns Erinnerungen. Elvis Presleys erster Hit in Schweden war sein im Januar 1957 erschienener Titel Hound Dog, Chuck Berry hingegen tauchte bis zu seinem Memphis Tennessee im Mai 1963 niemals irgendwo in den schwedischen Charts auf.
Ende der Fünfziger war Björn auf der Gitarre gut genug geworden, um die aktuellen Hits singen zu können und sich dabei zu begleiten. Wo er auch immer hinging, hatte er seine Gitarre dabei. „Ich spielte und sang für jeden, der es hören wollte, in der Schule oder sonst wo“, erzählt er heute noch stolz. Wenn seine Familie auf dem Land das traditionelle Mittsommer-nachtsfest feierte, spielte Björn Songs wie Teddy Bear oder You Are My Sunshine. Wie alle jungen Gitarristen auf der ganzen Welt entdeckte auch er bald, dass das Gitarrenspiel mit Gesang eine immense Anziehungskraft auf die Mädchen ausübte. Mit seinem einnehmenden Wesen und seinem Charme war er in der Schule bald sehr beliebt und hatte schon sehr früh seine ersten Erfahrungen mit Frauen.
Im Sommer 1959 wurde der vierzehnjährige Björn durch die Vermittlung seines Onkels alleine nach London geschickt, um dort drei Wochen in einer Papiermühle zu arbeiten. Obwohl Auslandsreisen in den vergangenen zehn Jahren schon zur normalität geworden waren, war eine solche Reise für einen Jungen seines Alters, noch dazu ganz allein, recht ungewöhnlich. Auf dem Schiff, das ihn nach England brachte, unterhielt Björn seine Mitreisenden mit seinen Interpretationen der neuesten Hits wie zum Beispiel Diana von Paul Anka. Zweifellos war sein Vertrauen in seine künstlerischen Fähigkeiten enorm gewachsen.
Alleine in der britischen Metropole zu sein, war ein faszinierendes Abenteuer für Björn, das sich auch sehr positiv auf seine persönliche Entwicklung auswirkte. „Zu Beginn fühlte ich mich verschüchtert und elend. Ich wohnte damals in einem kleinen Hotel in der Nähe des Sloane Square. Aber es war für mich ein guter Weg, mein Selbstvertrauen zu erlangen, da ich niemanden hatte, an den ich mich wenden konnte.“
In London nahm Björn die Gelegenheit wahr, seine Kenntnisse des traditionellen Jazz zu erweitern. Er besuchte die Jazzclubs in der Oxford Street und gingzu Konzerten von bekannten Musikern dieser Zeit, wie Acker Bilk und Chris Barber. Es sei eine aufregende Erfahrung für ihn gewesen, schilderte er, „London war damals ganz anders als heute. Wenn ich nach einem Konzert nach Hause ging, lief ich stundenlang alleine durch die Straßen, ohne ein ungutes Gefühl und ohne mich zu fürchten.“ Björn hatte enorm an Selbstbewusstsein zugelegt, als er zurück nach Schweden kam und wieder in die Schule ging.
Mit der schwedischen Wirtschaft ging es weiter aufwärts, und die Papiermühle in Västervik entwickelte sich zu einem der größeren Industriebetriebe in der Region. Unter der Leitung von Björns Onkel Esbjörn mauserte sie sich schnell zur treibenden Kraft der Recyclingbranche in Schweden und bot Gunnar Ulvaeus einen sicheren Job im Unternehmen seines Bruders. Aina nahm unterdessen eine Teilzeitstelle in einem Schuhgeschäft an, als Björn und seine Schwester Eva alt genug waren.
Da die schwedische Industrie aufblühte, wollten Björns Eltern ihn im zivilen Schiffsbau unterbringen. Er wusste, dass ihre überlegungen prinzipiell richtig waren, doch in ihm reiften völlig andere Gedanken. Obwohl er sich fleißig um seine Studien kümmerte, zogen ihn sowohl die Musik als auch die Kunst im Allgemeinen immer mehr in ihren Bann. Als Björn dann im August 1960 auf das Gymnasium wechselte, wurde seine Liebe zur Musik durch das wieder erwachte Interesse an der Poesie entscheidend ergänzt. „Zu dieser Zeit las man in den Schulen häufig Gedichte“, erzählt Björn. „Vor einigen Jahrzehnten betrachtete man die großen Dichter in Schweden wie Idole, und ein wenig von diesem Gefühl war in meiner Schulzeit immer noch zu spüren.“
Björn wurde in seiner Schule sogar zum Führer der mysteriösen und streng geheimen „Delta-Sigma-Gesellschaft“ ernannt. Mädchen waren in dieser Gruppe nicht zugelassen und wurden stattdessen als Objekte romantischer Verehrung behandelt. Björn schrieb zu der Zeit mit Begeisterung Liebes-gedichte und gab sie dann den Mädchen, die ihn interessierten. „Die Sprache war schon ein wenig übertrieben blumig“, sagte er später über diese jugendlichen Annäherungsversuche. Von jedem Mitglied der „Delta-Sigma-Gesellschaft“ wurde erwartet, dass er zu den allwöchentlichen Treffen ein Gedicht mitbrachte und Björn stellte fest, dass er diese Herausforderung liebte. „Damals schrieben auch viele meiner Mitschüler Gedichte. Ich glaube, diese Regelmäßigkeit und das Erlernen der Zusammenhänge der Strukturen und des Versmaßes haben mir bei meiner späteren Arbeit sehr geholfen.“
Parallel zur Ausbildung und zur Poesie spielte er weiter in der Jazzband. Die Mitglieder nahmen die Sache richtig ernst und kleideten sich auch nach der Dixieland-Mode mit Dufflecoats und Schuhen mit dicken Gummisohlen. Die Band trat regelmäßig in den örtlichen Jazzclubs auf, war aber auch durchausin der Lage, für Tanz- und Unterhaltungsmusik zu sorgen, wenn dies gewünscht wurde. Tony Rooth weiß noch zu berichten, dass sie auch auf privaten Partys spielten: „Da Joens Vater der Besitzer der Papiermühle war, kam er viel mit den anderen großen Bossen aus Västervik zusammen. Da kam es dann schon mal vor, dass wir in der Villa irgendeines Direktors spielten. Die Leute saßen herum, rauchten Zigarren, tranken Brandy oder Champagner. Dann gaben sie uns für unsere Darbietungen etwas Geld und versorgten uns mit Essen und Getränken.“
Eine der Bands, die um die Gunst der Jugend in Västervik kämpften, war eine Skiffleband mit dem Namen Mackie’s Skiffle Group. Anfang der Sechziger hatte sich die Gruppe bereits zu einer Folkband entwickelt und änderte den Namen auf The Partners. Der Bandleader Hansi Schwarz und seine Mitmusiker Johan Karlberg und Håkan Hven ließen sich dabei von der in Amerika aufkommenden Folkmusikbewegung inspirieren. Ihre Ideen holten sie sich von Gruppen wie The Brothers Four und dem Kingston Trio, die ihren Durchbruch mit ihrer Version des traditionellen Standards Tom Dooley feierten. Langsam aber stetig löste die Folkmusik in Schweden den Jazz ab und wurde schon bald die angesagte Musikrichtung für die Jugendlichen aus der Mittelschicht.
1961, als Björn sechzehn Jahre alt war, verließ sein Cousin Joen Västervik, um in einer anderen Stadt zu studieren. Dies führte unweigerlich zur Auflösung der Jazzband. Inzwischen hatten die Partners ein eklatantes Problem mit ihrem untalentierten Bassisten, dem es schwer fiel, selbst die einfachsten Grundlagen zu verstehen und zu erlernen. „Hansi hatte bemerkt, dass unsere Band auseinanderbrach und wollte Tony als Bassisten haben“, erinnert sich Björn, „doch Tony sagte:,Okay, ich mache aber nur mit, wenn mein Freund Björn auch dabei ist!’ Ich glaube nicht, dass Hansi sehr glücklich darüber war, da er schon drei Gitarristen hatte und wirklich nicht noch einen vierten brauchte.“
Die Versuchung ist natürlich groß, Spekulationen darüber anzustellen, was geschehen wäre, wenn sich Tony nicht so sehr für seinen Freund eingesetzt hätte. Vielleicht wäre Björn dem Wunsch seiner Eltern gefolgt, hätte seine Gitarre an den Nagel gehängt, sich seinen Studien gewidmet und wäre später doch Schiffbauingenieur geworden. Björn selbst ist überzeugt, dass er mit der Musik nicht aufgehört hätte. „Vielleicht wäre ich ein paar Jahre später Mitglied in einer Pop-Gruppe geworden oder hätte selber eine gegründet. Als die Beatles ihren Durchbruch hatten, wusste ich genau, so etwas hätte ich auch gern getan.“
Doch damals im Jahre 1961 bestand Tony, der immer wieder betonte: „Björn und ich sind die besten Freunde“, auf seiner Bedingung und schließlich gabHansi widerwillig nach. Die neue Besetzung der Partners bestand somit dann aus Hansi Schwarz, Johan Karlberg, Håkan Hven und Björn, die sich an Gitarre und Banjo abwechselten, sowie Tony Rooth am Bass.
Hansi Schwarz stammte aus Deutschland und zog erst im Jahre 1958 nach Schweden. Durch den amerikanischen Soldatensender AFN, der in seiner Heimat regelmäßig ausgestrahlt wurde, bekam er weitaus mehr Einblick in die amerikanische Pop-Musik als seine schwedischen Freunde. Die deutschen Jugendlichen wollten ganz schnell das alte, nationalistische System hinter sich lassen und nahmen die amerikanische Teenagerkultur sofort mit offenen Armen auf. Hansi war ein eifriger Plattensammler und kaufte jede Folkplatte, die er bekommen konnte, wobei das Kingston Trio zu seinen Favoriten zählte. Diese amerikanische Formation war und blieb immer sein Vorbild, als er in den späten Fünfzigern seine erste Band gründete.
Hansi teilte sich mit Håkan Hven eine heruntergekommene 2-Zimmer-Wohnung, einen Katzensprung von der Universität entfernt. Die Band traf sich dort häufig und hörte Schallplatten. „Im Appartement befanden sich ein Herd und ein Waschbecken mit kaltem Wasser, das war fast schon alles“, sagte Hansi, „aber wir konnten dort proben und mussten uns keinen übungsraum suchen. Wir trafen uns fast täglich. Ich sagte immer:,Keiner darf vor acht Uhr herkommen, denn ich muss zuerst meine Hausaufgaben machen, aber dann können wir spielen.‘“
Die Partners interessierten sich nicht für schwedische Folklore, die sie für altmodisch hielten. Ihr Programm bestand fast nur aus den amerikanischen Folkstandards wie Where Have All The Flowers Gone, Sloop John B. und Good News. „Die alten schwedischen Lieder behielten wir aber vorsichtshalber im Repertoire, wenn die etwas betagteren Damen mal danach fragten“, lächelte Björn.
Für Björn war der Beitritt zu den Partners ein entscheidender Wendepunkt in seinem Leben, denn er erkannte, dass er hier seine ihm angeborene Intelligenz weitaus konstruktiver und effizienter einsetzen konnte, als einfach nur von Schule zu Schule zu gehen und am Ende nichts zu erreichen, was für ihn einen echten Sinn ergab. Obwohl er in der Band das jüngste Mitglied war, offen-barten sich Björns Führungsqualitäten bereits unmittelbar nachdem er den Partners beigetreten war, und schon bald traf er sämtliche Entscheidungen über die Gestaltung des Programms und der Arrangements alleine. „Wenn wir probten, war ich meistens derjenige, der bestimmte, welche Songs wir ins Repertoire nahmen, wie sie arrangiert wurden, wie wir die Stimmen setzten und diese Dinge. Es war eine ganz natürliche Entwicklung.“
Die neue 5-Mann-Besetzung der Partners trat meist auf Schulfesten und Tanzabenden auf, die vom örtlichen Jugendzentrum veranstaltet wurden.Dadurch, dass sie regelmäßig zusammenspielten und sich von den unfähigen Mitgliedern ihrer früheren Gruppen getrennt hatten, entwickelten sie sich zu einer wirklich guten Band. Langsam wurde neben den Einflüssen des Kingston Trios auch die Bedeutung der Everly Brothers (All I Have To Do Is Dream, Wake Up Little Susie) spürbar, deren Gesangsharmonien und Gitarrenriffs schon die Beatles inspiriert hatten. „Wir spielten bei Schulfesten als Pausenfüller und stellten fest, dass die Zuhörer uns wirklich mochten“, erklärte Tony.
Der Mut der Band, so etwas zu versuchen, war die eine Sache, ernsthaft etwas mit dieser Musik zu erreichen, aber eine völlig andere. Hansi Schwarz hatte eine Menge Pläne mit der Gruppe, und er erinnerte sich noch genau an die wachsende Frustration, als der Erfolg auf sich warten ließ. „Als Bandleader sorgte ich dafür, dass wir bei verschiedenen Talentshows mitmachen konnten. Das hatte allerdings wenig Sinn, weil es keine reinen Musikwettbewerbe waren. Da traten wir dann gegen niedliche sechsjährige Mädchen an, die etwas vortanzten. Solche Darbietungen wurden natürlich vorgezogen. Wir kamen dann immer nur auf den zweiten oder den dritten Platz.“
Als sich die Band nach und nach im regionalen Bereich immer weiter in den Vordergrund spielte, stellten sie fest, dass eine andere Gruppe, die schon landesweit bekannt war, auch unter dem Namen The Partners auftrat. Deswegen war eine Umbenennung notwendig, und sie entschieden sich für The West Bay Singers. West Bay ist die englische übersetzung von Västervik.
Im Sommer 1963 sorgten die Beatles in Schweden erstmals für Aufregung, doch der Kontrast zwischen der Folkmusikszene und dem britischen Pop war ebenso stark wie schon zuvor derjenige zwischen dem Jazz und der amerikanischen Rock-Musik. Björn betrachtete diese neue und wilde Pop-Musik mit Interesse, doch er sah absolut keine Chance, die Folkpuristen der West Bay Singers in diese Richtung steuern zu können.
Als Håkan Hven im Frühsommer 1963, ein Jahr vor den anderen Bandmitgliedern, die Schule beendete, verließ er die Gruppe, da er zum Militärdienst eingezogen wurde. Björn sagte: „Er war unwahrscheinlich talentiert, doch es gab keine Diskussionen über seinen Verbleib in der Gruppe. Er war weg, und das war es.“ Håkan blieb aber mit der Band in enger Verbindung und schrieb im Laufe der Zeit noch einige Texte für sie.
Auf vier Mann reduziert, klemmte sich die Band im Juli 1963 in einen alten Volvo und startete eine sechswöchige Urlaubsreise durch Europa, die sie selbst als „Tournee“ bezeichneten. In den vergangenen zwei Jahren hatten sie sich nicht nur zu einer stabilen musikalischen Formation entwickelt, sondern sie wurden auch die besten Freunde, die sogar ihre intimsten Gedanken miteinanderteilten. „Wir vier verstanden uns wirklich gut“, bestätigte Tony Rooth. „Auch als wir Jahre später noch gemeinschaftlich lange Tourneen unternahmen und in den Hotels die ganze Zeit zusammen waren, blieb das so und wir fuhren auch weiterhin zusammen in den Urlaub.“
Die Jungs hatten Ferienjobs angenommen, um ihre Reise finanzieren zu können. Björn, Hansi und Tony arbeiteten in der Papiermühle, während Johan Karlberg einige Wochen im Autogeschäft seines Vaters mithalf. Als sie endlich aufbrachen, hatten sie 1.000 Kronen Taschengeld zusammengekratzt. Für Unterkunft und Verpflegung sollten die Auftritte sorgen.