Für Coco, Johanna und meine liebste Anna
Braendle, Christoph: Onans Kirchen / Christoph Braendle
Wien: Czernin Verlag 2012
ISBN: 978-3-7076-0400-9
© 2012 Czernin Verlags GmbH, Wien
Umschlaggestaltung: sensomatic
Produktion:
ISBN E-book: 978-3-7076-0400-9
ISBN Print: 978-3-7076-0399-6
Alle Rechte vorbehalten, auch das der auszugsweisen Wiedergabe
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So beginnt mein neues Leben: afrikanischen Boden um zehn Uhr dreißig Ortszeit erstmals berührt. Habe mich hingekniet, habe den Boden geküsst und hätte am liebsten laut singen mögen: He! Ho! Waldhüter, ihr, Schlafhüter mitsammen, so wacht doch mindest am Morgen! Die Uhr am Flughafengebäude zeigte fünf Uhr fünfzehn, fünf Uhr fünfzehn wahrscheinlich seit Anbeginn ihrer Zeit. Fröhlich vor mich hin pfeifend bin ich ins Taxi gestiegen. Der Flug war lang gewesen, aber trotzdem angenehm. Die Zollformalitäten: ein Kinderspiel. Wo kommen Sie her?, fragte man. Ich weiß es nicht, antwortete ich. Wo gehen Sie hin? Ich weiß es nicht. Wie lange werden sie bleiben? Auch das weiß ich nicht. Hauptsache, ich bin gelandet. Hauptsache, ich bin da. Das Wetter: trocken und heiß. Die Leute: nett und freundlich. Erste Überraschung: hörte Kirchenglocken von fern.
Und jetzt! First Avenue, Fife Street, Independence. Hochhäuser, elegante Boulevards und Jakarandablütenmeere. Ich gehe, schreite, stolziere. Ich schaue, staune und versuche, Eindrücke festzuhalten. Nichts ist elend oder wild, und ich gewöhne mich schon daran, dass ich fast ausschließlich Schwarze sehe, was mich nicht aufregen kann, weil auch Schwarze bloß Menschen sind.
Habe schon lange nicht mehr so viel gelacht. Die Leute sind freundlich. Sie verstehen einen Scherz. Fühle mich wunderbar. Dieses Leben hier, es ist … freier. Fröhlicher. Ah! Afrika. Hier ist so viel Welt.
Man wird sich auf die vielen Abenteuer einlassen. Nur ja nicht auf die Karte Sicherheit setzen, nur ja nicht auf das kleinste Risiko.
Im Übrigen geht es mir wirklich blendend! „Regionaldirektor Südliches Afrika“: eine schwierige, aber wichtige Sprosse auf der Karriereleiter inklusive Beförderung und sehr, sehr, sehr gutem Gehalt. Ja, mir geht es ausgezeichnet. Die Euphorie ist mit Händen zu greifen. Sie trug mich in die Stadt – eigentlich hätte mich Lang vom Flughafen abholen müssen – und ins Meikles natürlich, das traditionsreiche Fünfsternehaus, dessen Gäste wissen, wer sie sind.
Und das andere? Die europäische Vergangenheit? Liegt sie in Schubladen, die geschlossen wurden, damit der Inhalt keinen Schaden nimmt? Adieu, Tafelrunde! Wir hatten unseren Spaß. Wir haben nichts zu bereuen, haben genossen, was zu genießen war, und es bis zur Neige ausgekostet. Aber jetzt ist das vorbei, es beginnt eine neue Zeit. Nur Galahad ist am Hauptsitz geblieben. Lance zog es nach Buenos Aires, Tristan ist in New York, Gawain in Moskau. Und Parsifal? Parsifal erobert Afrika! Wer findet den Gral? Die Tafelrunde hat sich gegenseitig Bericht zu erstatten. Mit einem Tagebuch löse ich das Versprechen ein.
Meikles. Die Bar des Hotels. Hier versammeln sich abends Weiße, die in der Hauptstadt leben, um sich zu betrinken und über die Schwarzen zu lästern. Sie vermuten in mir einen Verbündeten. Fischen Sie?, fragen sie mich.
Ich antworte, mir mache das Töten von Tieren keinen Spaß. Ich ernte Gelächter. Weil ich ein Scherzbold bin?
Den ganzen Tag lang kreuz und quer durch die Stadt geschlendert, um in der neuen Heimat heimisch zu werden. Inzwischen ist es Abend und Nacht geworden. Habe im Restaurant des Hotels gespeist; allein. Lang hat sich noch immer nicht gemeldet – ich sitze in der Bar.
Bei den wenigen Schwarzen, die hier verkehren, handelt es sich vor allem um Nutten. Eine heißt Angela. Sie stammt aus Nigeria. Sie bittet mich um Feuer und fragt, woher ich komme.
Aus Europa, antworte ich, aber eigentlich bin ich schon Afrikaner.
Sind Sie Bure?
Ich spreche von der Seele.
Europa ist schön, sagt Angela. Sind Sie verheiratet?
Ich lache. Weil mir ein Kollege in den Sinn kommt, der bei jeder Gelegenheit behauptet, ein Mann sollte nicht eine Frau unglücklich machen, wenn er zehn Frauen glücklich machen könne.
Angela fragt, ob ich viele Frauen glücklich gemacht habe.
Viele auch nicht, sage ich.
Sie schlägt vor, auf mein Zimmer zu gehen. Als ich ablehne, schmollt sie. Also bestelle ich eine Flasche Champagner. Sie hat zwei Kinder, ihr Mann ist vor drei Jahren gestorben. Dann muss sie weiter, sie ist nicht wegen des Vergnügens hier.
Nutten! Immer entdecken sie den neuen Mann zuerst. Ich habe nie für Sex bezahlt und gedenke, das auch in Zukunft so zu halten. Nutten können mir nicht geben, was ich will: die Leidenschaft, das Herz. Immerhin war Angela das aufregendste Erlebnis des heutigen Tages.
Es ist schön, Zeit zu haben und Gedanken festzuhalten, die sich unter der Oberfläche der Bilder verbergen.
Der persönliche Charakter dieses Tagebuchs erlaubt, dass ich nichts verschweige. Statt Angela mit nach oben zu nehmen, habe ich mir selber geholfen. Die älteste Plage der Menschheit ist ein harmloses Glück, das niemandem Schaden bringt. Und die afrikanische Nacht, die afrikanische Luft und die afrikanischen Gerüche stacheln meine Sinne besonders heftig an. Nun, man wird einen Menschen finden, mit dem man teilen kann, was man mitteilen will. Die unfassbare Flut der Eindrücke. Schau, die Farben! Hörst du, spürst du, riechst du auch …?
Habe endlich Lang getroffen. Die üblichen Höflichkeitsfloskeln. Er weiß, dass ich mich sofort um seine Position beworben habe, als bekannt wurde, dass er in den Hauptsitz zurückkehren und dort die letzten Jahre vor seiner Pensionierung verbringen will.
Obwohl mich auch New York und Buenos Aires reizten. Nun, New York hat Tristan gekriegt, Lance ist in Buenos Aires. Galahad bleibt in der Zentrale. Er war immer ehrgeizig. Aber man wird sehen, wer von uns fröhlichen Rittern der Tafelrunde es am weitesten bringt. Meine Perspektiven sind klar. Zum Ende dieses Jahrtausends „Regionalleiter Südliches Afrika“. Im nächsten Jahrtausend: Aufstieg ins illustre Gremium der Unternehmensführung. Die Zukunft sieht glänzend aus. Ich darf hochzufrieden sein.
Habe Lang erzählt, dass ich Afrika mit einer Fotografie und einem Unfall verbinde. Mein Vater hatte hoch oben in einem Bücherregal versteckt, was nicht für mich bestimmt gewesen war, vor allem eine Schachtel mit Briefen und der Fotografie einer Schwarzen, nackt, mit Speer. Habe ihm erzählt, wie ich beim Versuch, an die Schachtel zu kommen, abstürzte. Das Regal mitriss. Mir die Stirn blutig schlug. Das Blut tropfte auf die Fotografie der Schwarzen, auf ihre Brust und ihre Schenkel. Das Bild hat sich in mein Gedächtnis gebrannt …
Lang interessiert das nicht im Geringsten. Interessant, interessant, sagt er zwar, nackte Negerinnen mit Speeren werden Sie hier keine finden, jedenfalls nicht in der Stadt. Schon habe ich ihn zu entschuldigen, er muss los.
Und die Geschäfte?, frage ich.
Deswegen machen Sie sich keine Sorgen, antwortet Lang, der ganze verfluchte Laden könnte nicht in besserer Ordnung sein. Ich überlasse Ihnen Munashe, famoser Bursche, aber jetzt muss ich wirklich los, das Büro werden Sie finden, auf dem Schreibtisch liegt ein Dokument, Sie müssen nur noch unterschreiben, aber jetzt …
Lang schüttet sich während des kurzen Gesprächs mit Whisky voll und klagt, dass seine Frau schon den vierten Container füllt, um ein ganzes Hottentottendorf mit nach Hause zu nehmen. Dann schaut er mich mit blutunterlaufenen Augen an und fragt, ob ich fische. „Fischen Sie! Fischen Sie!“, ruft er noch und ist verschwunden.
Ich frage mich, wie er sich im Hauptsitz zurechtfinden will. Er säuft schon am Vormittag und ist vollständig vertrottelt.
Das Büro liegt im vierten Stock eines Hochhauses in der Independence. An den Wänden hängen Plakate vom Fischen, aber es gibt weder Computer noch Schreibmaschine oder Telefon. Auf dem Schreibtisch liegt ein einzelnes Dokument, das in gewundenen Sätzen die ordnungsgemäße Übergabe der Geschäfte bestätigt. Ich lese es zweimal durch, dann unterfertige ich mit mehr als dem üblichen Schwung, blind sozusagen, weil die Brücken abgebrochen sind. Es führt kein Weg zurück. Ich gleiche dem Seefahrer hinter der Linie des Horizonts. Wenn die Daheimgebliebenen allerdings wüssten, wie vollkommen gleichgültig mir ihr Daheimbleiben jetzt schon ist!
Kaum habe ich meinen Namen unter das Übergabedokument gesetzt, betritt ein junger Schwarzer das Büro. Eleganter dunkler Zweireiher mit Weste, weißes Hemd und englische Krawatte. Am auffälligsten ist der kahlrasierte Schädel, der bläulich schimmert. Munashe!, stellt er sich vor. Er sei Langs Assistent und hoffe, der Firma auch fürderhin dienen zu dürfen. Er erkundigt sich nach meinem Befinden.
Es geht mir glänzend, sage ich, aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man hier arbeiten soll.
Munashe erklärt, dass Lang ihm die Niederungen der Tagesgeschehen überlassen und sich eher um das große Ganze gekümmert habe.
Das wird sich ändern, sage ich. Morgen um neun liegen alle Unterlagen auf dem Tisch. Selbstverständlich!, verspricht Munashe. Dann will er wissen, wie mir das Land gefällt.
Bin ich Tourist? Bin ich zu meinem Vergnügen hier?
Den Rest des Tages verbringe ich damit, die Stadt zu erkunden. Die Gärten haben es mir angetan. Eine Zeit lang halte ich mich in einem Park auf, wo sich eine Hochzeitsgesellschaft nach der anderen fotografieren lässt. Ich sitze unter einem Baum und schaue den schwarzen Bräuten im strahlenden Weiß zu, den frischvermählten Burschen in den zu großen Anzügen, die um die schlanken Körper flattern, den Brautjungfern in Rosa und Blau und natürlich den Eltern und Verwandten, die strahlen, als hätten die Hühner goldene Eier gelegt. Auf einer Kurbühne spielen Männer auf Holzxylophonen. Wie Kinder beim Kinderspiel zögern sie, als ob sie nicht wüssten, wie aus dem, was sie empfinden, ein Lied wird. Dann stolpern sie los, sie finden sich, sie schlagen auf die Klanghölzer ein, sie stürmen voran und musizieren sich in einen Rausch … brechen ab, plaudern. Und suchen verspielt und unbestimmt einen neuen Beginn. Zur Musik tanzen sechs Mädchen in rosa-blauen Schulkleidchen. Der Hüftschwung, die unglaublich schnellen Bewegungen, die Zuckungen ihrer Becken wirken unschuldig, weil die Mädchen so jung sind. Und doch muss ich immerzu hinsehen, staunend und ziemlich erregt. Ich beobachte und denke: À moi les petites negresses! Man wird Damen treffen wollen. Die heiße Sonne, das heiße Blut, der heiße Kampf der heißen Körper … Die Luftveränderung macht Appetit. Die liebe Tafelrunde würde jetzt nur noch von geilen Negerinnen reden, die man aufs Kreuz legen und ficken, ficken … Ich lasse mir Zeit. Das Spiel, die Wahl … Es gibt auf Abenteuer schielende Geister, die ihre Ideen vor allem dem Zufall verdanken … Ich habe im Leben immer Glück gehabt. Wieso soll es hier anders sein?
Munashe und ein Techniker prüfen die Wände, als seien sie eine Bedrohung. Auf dem Schreibtisch liegt ein Berg von Akten. Vieles ist in Sprachen gehalten, die ich nicht verstehe.
Das ist Shona, erklärt Munashe, das ist Ndebele, das ist Chi-Chewa.
Die Amtssprache ist doch wohl eigentlich Englisch, reklamiere ich.
Munashe entgegnet, er verkehre mit den lokalen Lieferanten, die den größten Teil der Geschäftskontakte ausmachten, in ihrer Muttersprache. Die meisten verstünden zwar Englisch, aber sie fühlten sich dabei nicht wohl. Zwar müsse man genügend Profit machen, um den Hauptsitz zufriedenzustellen. Aber wir haben auch die schwierige soziale Lage im Land zu beachten und den Umstand, dass zwei Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben.
Danach gehe ich mit ihm die Akten der wichtigsten Partner durch, Delta, Mobuku Free Trade, Stevenson. Ein paar Staatsbetriebe. Dann noch Chipinge KTT und Zigma, die ihm anscheinend besonders am Herzen liegen.
Schließlich bittet mich Munashe, ihn in sein eigenes Büro im dritten Stock des Hochhauses zu begleiten. Dort herrscht eifriges Treiben. Zwei Dutzend Mitarbeiter telefonieren, bearbeiten Computer, knallen Stempel auf Dokumente und diskutieren vor Landkarten, in denen zahllose bunte Nadeln stecken.
Ich merke, wie mit mir eine lähmende Erschöpfung in die Räume kommt. Die Geschäftigkeit erschlafft, alle starren mich reglos an. Ich sage ein paar Sätze zur Begrüßung, aber das Lächeln auf den Gesichtern der Mitarbeiter wirkt aufgesetzt. Ich frage Munashe, was das zu bedeuten hat. Das sind die Überreste aus einer nicht allzu fernen Vergangenheit, entgegnet er, als es für Schwarze lebensgefährlich war, neugierig und initiativ zu sein. Die Eltern unserer Mitarbeiter waren Sklaven. Munashe meint, ich werde schnell feststellen, dass die Schwarzen im Allgemeinen zwei Dinge von mir erwarten, nämlich Almosen oder Ärger.
Willkommen!, sagt er dann und überreicht mir einen Stapel geprägter Visitenkarten mit Goldrand. Dann fragt er, ob ich fische. Er schaut mich mit einem Lächeln an, das ein wenig schief in seinem Gesicht sitzt. Ich weiß wirklich nicht, was die Leute hier haben!
Habe Munashe gefragt, ob er abends mit mir durch die Stadt ziehen möchte. Er hat dankend abgelehnt. Wegen der Übergabe ist noch immer sehr viel zu erledigen, er wird bestimmt nicht vor Mitternacht aus dem Büro entkommen. Und daneben studiert er! Ich möchte wissen, wie alt der Bursche ist. Jedenfalls noch lange nicht dreißig.
Übrigens scheint das südliche Afrika eine ziemlich prüde Gesellschaft zu sein. Nicht einmal Playboy oder Penthouse kriegt man hier. Das überrascht mich. Die nächste, große Überraschung: Die einheimischen Frauen gefallen mir nicht. Sie sind zu klein, viel zu klein, sie haben zu runde Gesichter, zu platte Nasen und zu wulstige Lippen. Ich bin überzeugt, dass man sich daran gewöhnen kann, aber offenbar ist auch das Schönheitsideal ein Laster, das man mit sich schleppt. Man wird trotzdem Damen treffen. Die heiße Sonne, das heiße Blut etc. Es eilt nicht. Vielleicht ist mein Geschmack nur Ausdruck einer Abwehr, weil ich als Weißer auf die Einheimischen mindestens ebenso grotesk wirken muss.
Habe in der Neuen Zürcher Zeitung, die ich aus dem Flugzeug mitnahm und aus unerfindlichen Gründen mit mir herumschleppe, gelesen, dass sein Prostatarisiko um ein Drittel senkt, wer pro Woche mehr als fünfmal ejakuliert. Offenbar werden krebserregende Substanzen herausgespült. Unweigerlich kommt mir Tristan in den Sinn, wie er seine amourösen Abenteuer kommentiert: „Man fickt, spritzt ab, schaut auf die Uhr. Es ist 21 Uhr 11.“
Im Büro ist nichts zu tun. Habe während der ersten Tage ein paar Dokumente unterschrieben, bis Munashe mir eine Ermächtigung Langs zeigte, die Munashe zum Generalzeichnungsberechtigten erklärt.
Habe den Botanischen Garten besucht, den industriellen Komplex beim Elefantenfluss besichtigt und bin zum Chapunga Kral gefahren, wo es vor ein paar Jahren zu einem Arbeiteraufstand gekommen sein soll. Habe zufällig in einem Viertel, das Weiße nicht betreten, einen kleinen Markt und daneben eine Bar gefunden, die mir gut gefällt. Billige Resopaltische. Werbung für Bier, das allerdings nicht erhältlich ist. Stattdessen trinkt man Rum und hört Schallplatten, Schellack!, mit Musik von Marshall Munhumuwe, Makorokoto und Mapfumo. Man tanzt, und ich bin dabei!
Mangwanani, guten Morgen, marara sei, wie haben Sie geschlafen, tarara, ich habe gut geschlafen, ndiri kuda kutenga chingwa nemukaka, ich möchte Milch und Brot kaufen … Ist das ein erstes Abenteuer, wenn man mit den Ohren des Verliebten zu hören und mit den Augen des Begeisterten zu schauen beginnt? Natürlich gibt es Armut. Natürlich gibt es Probleme. Diese Leute haben nichts. Aber sie sind fröhlich. Sie lachen. Sie machen gute Musik.
Bibi. In der Bar des Meikles natürlich, aber Bibi ist keine Prostituierte, sondern eine feine weiße Dame, die sich einen night cup gönnt. Sie hat eine kecke Stupsnase und weißblondes Haar. Von einem zarten Näschen führen zwei scharfe Linien zu den Mundwinkeln. Die Lippen sind etwas schmal geraten und leuchtend rot übermalt. Sie gefällt mir, und ich frage sie, ob ich sie auf einen Drink einladen darf. Sie akzeptiert und erzählt, dass sie mit einem reichen Farmer verheiratet ist. Ihre Ranch befindet sich in Chipinge im östlichen Hügelland. Unter der Woche lebt sie allerdings in der Hauptstadt, weil es in Chipinge nicht zum Aushalten ist. Das ist nichts für mich, sagt sie, es stinkt, und es gibt null Kultur.
Chipinge … Chipinge … das kommt mir bekannt vor … Schließlich erinnere ich mich: Chipinge KTT. Ich frage sie, ob sie Chipinge KTT kennt.
Das sind unsere Nachbarn, sagt Bibi. Ob ich weiß, was Chipinge bedeutet?
Schwan. Es gibt bei den Schwarzen von Chipinge die Legende von einem schwarzen Schwan.
Sie fängt an, über die Schwarzen herzuziehen, aber ich stelle das ab, indem ich frage, was ihr Mann davon hält, dass sie die Nächte in der Hauptstadt mit fremden Männern verbringt. Mein Mann weiß, dass ich wild bin!, entgegnet sie. Wie wild?, frage ich. Sehr wild!, sagt sie und knöpft mitten in der Bar ihre Bluse auf. Sie trägt einen roten Spitzen-BH, aber auch der kann nicht verbergen, dass ihre Brüste leer auf dem Brustkorb liegen. Mir hat es auf der Stelle den Appetit verdorben. Möchte wissen, was sie sich bei dieser voreiligen Entblößung gedacht hat. Nicht einmal, wenn ich sturzbesoffen gewesen wäre … Diese Anmache war so … so plump … Man erwartet ja keine Perfektion. Ich habe nichts gegen schlaffe Brüste. Aber die Art, wie sie es tat. Es war so – beleidigend. Sie hat sich selbst beleidigt. Bibi aus Chipinge. Ich habe sie ausgelacht. Wahrscheinlich treffe ich sie sowieso nie mehr … Jedenfalls hat mich dieses Erlebnis dem Gral nicht näher gebracht. Möchte zu gern wissen, wie es Lance und Tristan geht. Ein wenig vermisse ich sie, unsere Tafelrunde. War eine Männerschnapsidee zu Beginn, ein Stammtisch und Jour fixe von ein paar Kollegen. Wer hätte damals geahnt, dass sich die besten jungen Köpfe des Unternehmens dort versammeln würden.
Habe die Nomenklatur des Landes kennengelernt. Ein paar Minister, ihre Sekretäre, Parteioffiziere. Die Herrschaften sind nett und offen, aber auch enorm verwestlicht samt ihren Träumen: große Limousine, Ferien auf der Palmeninsel, Einkaufstrips nach Paris, London, New York. Es herrscht allenthalben die übliche Ineffizienz, mit dem einen Unterschied vielleicht, dass man das hier nicht mit permanenter Geschäftigkeit zu überspielen versucht, sondern sich eher schläfrig und gelangweilt gibt.
Einladung ins Nobelviertel Roseland. Die Geschäftspartner Jahme, Cameron und Fabian samt Gattinnen und Kindern bitten zum sonntäglichen Grillfest. Man sitzt im Garten neben dem Schwimmbad, während Jahme auf seinem Holzkohlemonstergerät die dicksten Steaks anbrät. Schwarze Diener servieren Getränke. Wenn sie keine Getränke servieren, pflücken sie Laub aus dem Wasser. Wenn sie kein Laub aus dem Wasser pflücken, stehen sie da, als gehörten sie zum Mobiliar. Man fragt mich, wie mir das Land gefällt. Ausgezeichnet!, schwärme ich, die Farben, die Freundlichkeit, das Frühlingswetter! Hier ist immer Frühling, antwortet Fabian, dann fragt er, ob ich fische. Sonst gibt es nämlich nichts zu tun. Die anderen nicken. Fischen Sie, rät man mir, sonst werden Sie verrückt. Ich versuche, über Politik, Kultur, die Geschäfte zu reden, aber die Männer nicken bloß und meinen gelangweilt, ich solle Munashe nur machen lassen. Sonst muss man dieses ganze Negerpack mit der Peitsche antreiben, sagt Jahme, Taugenichtse, Tagediebe, aber Ihr Munashe! Guter Bursche. Intelligent.
Habe den Eindruck, dass meine lieben Geschäftspartner nicht nur affektiert und dumm sind, sondern auch ein elender Haufen Rassisten. Die Frauen sind nicht besser. Lachen viel zu schrill, schminken sich viel zu grell, reden viel zu anzüglich, pressen dabei die Knie zusammen und bewachen ihre halbwüchsigen Töchter, die in den knappsten Badeanzügen ihre Hintern schwenken.
Camerons Tochter Caroline ist von allen die hübscheste. Sie trägt ein Leibchen mit dem Aufdruck I’M SO SWEET, dazu ein Badehöschen, das fast durchsichtig ist. Aber was kann ich tun, ich will sie ja nicht heiraten. Und ich habe wirklich keine Lust, mit ihr eine Konversation zu führen … Man müsste eine Aufregung in den Hühnerstall bringen. Caroline, siebzehn Jahr. Entjungfert, entehrt und verdorben! Damit ein wenig Farbe in die Sache kommt. Es würde den verfluchten Rassisten recht geschehen.
Was also die Abenteuer betrifft, liebe Freunde von der Tafelrunde … Angela, Bibi, Caroline. Ist es ein Zufall? Vielleicht werde ich, um euch die Orientierung zu erleichtern, meine Eroberungen alphabetisieren müssen? Natürlich hätte ich Caroline haben können. Sie steht auf mich. Man merkt das daran, wie sie sich ihr Haar von der Stirn wischt. Wenn sie nur nicht so hirnlos wäre. Immerhin, die Steaks waren gut. Ich habe mich nach dem Essen unter dem Vorwand, an einem Bericht zu schreiben, ein wenig abseits gesetzt, um mich mit dem Tagebuch zu befassen. Nein, ich fische nicht. Nein, ich war noch nicht am Karibasee. Nein, ich habe keine schmutzigen Gedanken, wenn ich einen halbnackten Teenager sehe.
Habe gestern Nacht meinen ersten Monat in Afrika gefeiert, natürlich in der Bar des Meikles. War zuerst allein – Munashe besucht irgendeinen Abendkurs –, dann treffe ich eine Schwester Dolores aus Portugal. Sie ist Ordensfrau und leitet eine Mission in Chimanimani. Sie fragt mich, was ich hier treibe.
Ich beschreibe meinen Aufgabenbereich als „Regionalleiter Südliches Afrika“.
Aber das ist wunderbar, sagt Schwester Dolores, das eröffnet Ihnen die Chance, zu reisen, das Land zu erforschen, die Leute kennenzulernen.
Ich kann doch nicht einfach weg, entgegne ich.
Das Leben ist kein Wartesaal, sagt sie.
Sie haben leicht reden.
Vielleicht will Gott, dass Sie nicht wissen, was Sie verpassen, schmunzelt Schwester Dolores.
Gott! Gott! Was verpasse ich denn?
Draußen in der Wildnis, sagt Dolores, im Wald und im Busch brennt die Sonne eine Leidenschaft in den Boden, ins Blut, in die Kreatur. Dort ist das Leben voll ungezügelter Gier, es ist maßlos und unbeherrscht.
Maßlos?, frage ich. Unbeherrscht?
Ein kluger Kopf, erklärt Schwester Dolores, hat einmal gesagt, der streift in den Wäldern seine Jahre ab wie die ihre Haut, und er ist, in welchem Jahre seines Lebens er auch stehen mag, doch immer ein . In den Wäldern ist immerwährende . In diesen Pflanzungen Gottes herrscht Würde und Heiligkeit, eine ewige Festlichkeit wird bereitet, und kein vermag zu erkennen, wie er in tausend Jahren ihrer überdrüssig werden sollte. Im Busch, strahlt sie mich an, lebt der Tod; und man lebt mit ihm, damit man sich nicht ständig vor dem Sterben fürchten muss.
Sie hat ein hübsches, offenes Gesicht und feine, blasse Lippen. Der weiße Schleier betont das Pochen der blauen Adern an den Schläfen. Aus dem Schäferstündchen wird trotzdem nichts. Sie nimmt ihr Gelübde ernst. Schade. Jammerschade.
Nur allzu gerne wüßt’ ich, wie es unter einem Ordensrock riecht. Aber das habe ich natürlich nicht gesagt. Wir haben bis tief in die Nacht gefeiert. Sie war ein Vergnügen. Auch wenn sie sich an ihr Gelübde halten will, trinkfest ist die Schwester, das muss ich ihr lassen. Ein platonischer One-Night-Stand, aber ist ein wenig Verzweiflung nicht sehr viel angenehmer als Nichtstun und Langeweile?
Offenbar hat Schwester Dolores ihren Finger auf eine Wunde gelegt. So habe ich mir meine Arbeit in Afrika nicht vorgestellt. Mein Telefon ist hübsch, aber es klingelt nicht. Natürlich könnte ich Munashe zurückstutzen, aber ich weiß, dass ich gar nicht imstande wäre, seine Ergebnisse zu übertreffen oder auch nur zu erreichen. Rückfragen im Hauptquartier klingen ebenfalls vielversprechend: Seit ich das „Regionaldirektorat Südliches Afrika“ übernommen habe, entwickeln sich die Geschäfte, die unter Lang ein wenig stagnierten, prächtig. Ich versteh’s nicht, aber recht soll es mir sein. Den Hauptsitz interessieren nun einmal Ergebnisse und nicht, wie sie zustande kommen.
Das sogenannte wirkliche Afrika, das wahre, echte und unverfälschte Afrika der Klischees und Filme und Romane spielt sich nun einmal nicht in den Städten und schon gar nicht in den Hauptstädten ab, sondern draußen in der Savanne, in der Wildnis, im Wald.
Habe mit Munashe gesprochen. Habe ihm erklärt, dass ich dem Missionar gleiche, der Heiden sucht und eine Kathedrale findet. Munashe hat frech gegrinst und gemeint, ich schaue mit dem rechten Forscherblick. Ich habe gesagt, dass ich Sprachen lernen und heimisch werden will. „Werden Sie fischen?“, fragt er. Ich gebe ihm zu verstehen, dass ich einen Überblick gewinnen will. Worauf Munashe nickt und fragt, ob ich Lele kenne. „Lele ist die Göttin der Zeit, und ihre einzige Tochter heißt Afrika.“
Ich frage, was er damit meint.
Da sagt er doch glatt: „Der Weise hilft am besten, wenn er nicht im Wege steht.“
Es ist entschieden. Ich fahre. Wenn Anspannung und Geschäftigkeit die wichtigsten Zeichen für berufliche Bedeutung sind, dann bin ich hier ein Narr ohne Zweck und Funktion. Nein, mit der Hauptstadt wird das nichts. Lust auf Abenteuer, das heißt Ja zur Wildnis; zum Zivilisierten: Nein.
Aufbruch im Morgengrauen. Gwaii, Kwekwe, Ballaballa: Namen von Ortschaften, die wir passieren. Ich fahre mit dem Zug, weil ich das Leben der kleinen Leute studieren will. Ein toter Büffel am Schienenstrang, später ein Esel, den offenbar Käfer und Geier bis aufs Fell ausgeräumt haben. Ich sitze mit drei Männern im Abteil. Habe eine kleine Umfrage gemacht. Unsere Produkte genießen einen hervorragenden Ruf! Keiner findet es absurd, dass uns das Land seine Rohstoffe um einen Hungerlohn verkauft, um sie uns in portionierter Form und um teures Geld wieder abzunehmen. Die wunderbare Welt der Marktwirtschaft. Unser Kaffee schmecke besser, unsere gezuckerte Milch, unser Tee, unser Fruchtsalat … Einer der Männer ist auf dem Weg in einen der Nationalparks, er wird mit Pistole und Gewehr Dienst gegen Wilderer leisten, Daniels, Inspektor Daniels!, stellt er sich vor. Der zweite musste aus politischen Gründen das Land verlassen, als er noch ein Kind war. Jetzt kehrt er erstmals heim. Die ganze Familie wird ihn am Bahnhof erwarten. „Bestimmt haben sie einen Ochsen geschlachtet“, schmunzelt er. Er ist Rechtsanwalt in Boston. „Dreißig Jahre Amerika, und jetzt das!“ Der dritte sitzt am Fenster, schaut hinaus und schweigt. Während ich mit dem Rechtsanwalt plaudere, betrinkt sich Daniels, um dann ein ums andere Mal zu wiederholen, sein Vater müsse stolz sein, aus den drei Söhnen sei etwas geworden, nämlich ein Vorarbeiter, ein Verwalter und ein Wächter. Der Wächter sei er, Inspektor Daniels, und er habe zwei erwachsene Kinder, zwei Töchter, eine sei verheiratet, habe selber schon Kinder, „was will ich mehr!“
„Aber die andere!“, schreit er plötzlich. „She’s a bitch!“, schreit er. Er zieht den Dolch und stößt ihn in die Luft. „I kill her! I kill her!“ Dann fällt er um und schläft ein. Kurz danach springt der Stille auf und deutet aufgeregt durch das Fenster und schreit: „Bulawayo, dort, hinter dem Hügel, das ist Bulawayo!“
So erreiche ich anlässlich eines prächtigen Sonnentags den zweitgrößten Ort des Landes. Die Atmosphäre ist anders als in der Hauptstadt. Man bewegt sich langsamer, es gibt kaum Verkehr. Die Leute schauen mich an, als sei ein Weißer in dieser Umgebung eine Seltenheit. Habe eine Lokalzeitung gekauft, die Masvingo News. Sitze in einem Gartencafé und lese mich durch Zwischenfälle aus dem bäuerlichen Alltag: Löwe reißt Rind, Hyänen zerfetzen Schafe, Wasserknappheit hier und dort …
Eana wohnt in einem Hotel am anderen Ende der Stadt. Sie ist Australierin, redet gern und hat mir gleich in der ersten halben Stunde ihr Leben erzählt. Offenbar hat sie sich vor einiger Zeit in einen Inder verliebt, der in Kenia lebt und dort Reiseführer ist. Er sei stark, zärtlich, klug und einfach wunderbar, sie werde ihn bald wiedersehen, sie hätten ausgemacht, gemeinsam Weihnachten bei den Victoriafällen zu verbringen. Ich habe gesagt, sie soll sich nicht zu früh freuen. Der Inder kommt vielleicht nicht, habe ich gesagt, oder er kommt, aber er liebt dich nicht mehr, vielleicht kommt er sogar mit einer anderen Frau, oder du triffst ihn und weißt plötzlich nicht mehr, wieso er dir gefallen hat. Das Interessante an dem Gespräch war, dass sie sich das alles anhörte, als stehe sie darauf, so gequält zu werden. Also machte ich immer weiter und erfand immer neue Möglichkeiten, sie in Verzweiflung zu stürzen, und war mir sicher, dass sie geil wurde bei all den schrecklichen Vorstellungen, jedenfalls rötete sich ihr Gesicht und ihr Atem wurde flach.
Sie hat sich trotzdem nicht ficken lassen. Den ganzen Weg nach Hause muss ich an sie denken. Weil Frauen wie Instrumente sind, weiß man erst, wie sie klingen, wenn man sie spielt. Wahrscheinlich hat sie sich, kaum war ich weg, die ganze Hand … Ich hätte es mir auch machen können, aber ich habe es bleiben lassen. Es wäre mir unpassend erschienen. Unpassend? Was für ein Wort.
Vor der Morgendämmerung
Ich erwache aus unruhigem Schlaf. Millionen und Abermillionen Insekten umschwirren vor dem Fenster ein auf den Rasen gerichtetes Flutlicht. Die Millionen und Abermillionen Flügel der Insekten reflektieren das Licht. Ich schaue dem Schauspiel lange zu, dann lege ich mich wieder ins Bett. Aber ich kann nicht einschlafen, weil eine Mücke unter das Moskitonetz geraten ist und mich erbarmungslos quält. Also stehe ich wieder auf. Schlaflos in Bulawayo: So fängt diese Reise an.
Wenn ich es mir recht überlege, kenne ich nun, da ich die Hauptstadt hinter mir gelassen habe, auf dieser großen weiten Welt außer Eana keinen einzigen Menschen.
Was wird mein „Augenblick, verweile!“? Finde ich ein Urtier? Die blaue Blume? Oder doch eine nackte Schwarze mit Speer?
In der Früh ist der Rasen vor den Bungalows mit durchsichtigen Flügeln bedeckt, als wäre Schnee gefallen. Überall zappeln fette Insekten.
Den Vormittag verbringe ich spazierend, zeitungslesend – Löwe reißt Rind, Hyänen zerfetzen Schafe, Wasserknappheit hier und dort … – und in einem Reisebüro, das Fotosafaris anbietet. Ich buche schließlich eine Woche mit Vollpension in einem ganz besonders romantisch wirkenden Camp namens Makololo am Rande des Nationalparks.
Eine gute Wahl, strahlt die junge Dame, die das Reisebüro leitet, Sie werden die „Big Five“ sehen: Elefanten, Nashörner, Flusspferde, Löwen und Leoparden, ich kann Ihnen das garantieren. Am besten wäre natürlich, wenn Sie Ihr eigenes Auto hätten, aber wir können Ihnen Transport organisieren.
Also rufe ich Munashe an und bitte ihn, den Firmenjeep nach Bulawayo zu überstellen.
Während des Mittagessens komme ich mit Franziska aus Deutschland ins Gespräch. Sie und ihr fünfjähriger Sohn bewohnen den Bungalow nebenan. Franziska erzählt, sie lebe seit einem Jahr mit Mann und Sohn als Entwicklungshelfer in einem winzigen Dorf irgendwo im angolanischen Busch.
Die Menschen dort haben nichts, sagt sie, du kannst dir den Unterschied zum Reichtum hier, zu dieser Fülle, diesem Überfluss gar nicht vorstellen, du hast keine Ahnung, was Armut ist, wenn du das nicht gesehen hast.
Ich frage nach ihrem Ehemann.
Sie schlägt vor, gemeinsam die historischen Ruinen in der Nähe von Bulawayo zu besichtigen. Die Mauern des Königspalasts und eines Frauenhauses bestehen aus luftgetrockneten Lehmziegeln und sind zum Teil immer noch bis zu zehn Meter hoch. Die Ruinen zeugen von einer vor ein paar hundert Jahren versunkenen Hochkultur, sagt Franziska, und sie widerlegen aufs Brillanteste den Mythos der ansässigen Weißen, dass man menschenleeres Gebiet besiedelt hätte.
Die Dummheit dieser Leute sei eben gegen alle Wahrheit resistent, sage ich.
Sie lacht.
Später essen wir in einem kleinen Restaurant Steaks mit Pommes frites und Salat.
Mein Sohn mag dich, sagt Franziska.
Ich mag dich auch, entgegne ich.
Ich glaube zu sehen, wie sie errötet.
Nachdem Franziska ihren Sohn zu Bett gebracht hat, setzen wir uns vor meinen Bungalow. Wir trinken Weißwein, und ich erzähle von meinem Assistenten, der so unglaublich tüchtig ist. Dann lade ich sie ein, mich nach Makololo zu begleiten.
Schön wär’s, sagt Franziska, die afrikanische Natur ist so überwältigend, so dicht. Man hat oft das Gefühl, dass sie alles Menschliche verblassen lässt.
Ich sage etwas in der Art von „Man will unbedingt sehen, was man in der Regel nicht sieht, weil es seiner Eigenschaft entspricht, sich im Verborgenen zu halten, damit nicht gesehen wird, was nicht gesehen werden will“.
Da lacht sie so laut auf, dass sie sich die Hand vor den Mund legen muss, um ihren Sohn nicht aufzuwecken. Wildnis, seufzt sie, Abenteuer, du musst in den Wald!
Ja, meine lieben Freunde, es gibt Affären und Abenteuer, die wunderbar gelingen. Wie in stiller Übereinkunft machen wir es uns gegenseitig, nur mit der Hand. Sie ist sehr nass und sehr offen, und sie reibt und rüttelt mich, dass es eine Freude ist. Erinnerungen an die Fummeleien der Jugend. Aber um wie vieles besser ist es inzwischen. Erfahrung und Raffinesse statt aufgeregter Stümperhaftigkeiten. Man sollte eine Mode aus dieser Art Liebesdienst machen: keine Krankheiten, keine Ernüchterung, keine Peinlichkeit postkoitalen Ekels, nur Gewinner, nur Freude, nur Spaß … Ihr Geruch und das Gefühl ihres sanften, weichen Fleischs auf meiner Haut …
Als ich aufstehe, sind Franziska und ihr Sohn schon weg. Sie hat mir eine Nachricht hinterlassen, eine blaue Blume, aufgeklebt auf ein Blatt, das nach ihr duftet.
Inzwischen ist der Jeep eingetroffen. Morgen Früh fahre ich los. Ich bin ziemlich aufgeregt. Tristan, Lance, Gawain: Ich werde mich melden, sobald der Gral erobert ist.
Bin im ersten Morgenlicht losgefahren. Die Straße führt durch ein Gebirge, das ganz und gar aus rötlich schimmernden Wackelsteinen besteht. An einem der höchsten Punkte liegt das Grab von Cecil Rhodes, dem Beherrscher des versunkenen Rhodesien. Die Aussicht ist hinreißend. Schon jetzt beginne ich zu verstehen, was die Leute haben, wenn sie behaupten, man müsse in die Wildnis und in den Wald. Es geht dabei auch um den Himmel. Es geht um den afrikanischen Himmel, der sich in einem gewaltigen Bogen über die afrikanische Erde spannt … Der Mensch staunt und wird dabei winzig klein, er wird zur Mikrobe.
Gegend Abend erreiche ich das Camp: ein halbes Dutzend strohgedeckter Hütten und ein Restaurant mit Bar und eine Terrasse, von der aus man über einen Zaun hinweg zu einer Wasserstelle schaut, die schon zum Nationalpark gehört. Um die Wasserstelle scharen sich im Moment eine Zebraherde und zwei Marabus.
Der Leiter des Camps heißt Lyn. Er ist ein grober Bursche, der auf den ersten Blick verdrossen wirkt. Er hat ein Glasauge, und sein Gesicht ist voller Narben. Er begrüßt mich und erklärt die Regeln: keine Ausflüge über den Zaun hinweg, keine nächtlichen Spaziergänge durch das Camp. Keine Speisereste offen herumliegen lassen. Abfälle gehören in den Müll.
Willkommen!, sagt er dann und stellt mir seine Assistentin vor.
Sie heißt Ginni, ist aus Malawi, hat pechschwarzes Haar und porzellanweiße Haut. Vor allem ist sie dick, sehr dick, sie ist unglaublich fett, und sie drückt ein junges Warzenschwein an ihre enormen Brüste.
Ginni erklärt mir, dass das Frühstück zwischen sieben und neun, das Mittagessen um eins und das Abendessen um sieben stattfindet. Um zehn und um vier gibt es Tee. Ich kann vor dem Frühstück, zwischen Frühstück und Mittagessen oder am Nachmittag auf Safari gehen, und zweimal pro Woche gibt es nach dem Abendessen eine Nachtsafari. Ich kann aber auch im Camp bleiben, ganz, wie es mir beliebt. Die meisten Tiere versammeln sich zur Morgen- und Abenddämmerung an der Wasserstelle. Wenn ich irgendwelche Sonderwünsche habe, sei sie selbstverständlich immer für mich da.
Ginni hat ein hübsches Gesicht, aber leider fehlt mir der liebende Blick für diese ungeheuren Fleischmassen. Ich wette, dass sie trotzdem versuchen wird, bei mir zu landen.
Makololo genießt einen guten Ruf. Alle Hütten sind belegt. Allerdings bin nur ich allein unterwegs. In den anderen Hütten wohnen entweder Paare oder Männergruppen. Ich habe das Gefühl, ein wenig misstrauisch beäugt zu werden. Als sei ein einzelner Mann eine Bedrohung, als sei er ein Freibeuter vielleicht und ein Strolch.
Ging natürlich trotzdem mit den anderen auf die Früh-, Spät- und Nachtsafaris. Wenn wir nicht Lyn hätten, würden wir das meiste übersehen. Auch große Tiere wie Giraffen, Elefanten und Büffel sind Meister der Tarnung.
Zwischen den Safaris sitzt man auf der Terrasse, trinkt Whisky oder Gin und prahlt mit Erlebnissen aus der Serengeti oder dem Krugerpark oder hört Lyn zu, der vom Leben im Busch erzählt. Das größte Problem sind die Wilderer. Das Weiße oder Breitlippennashorn zum Beispiel ist fast ganz ausgerottet. In dieser Gegend leben noch zwei Weibchen, die mit allen Mitteln geschützt werden. Man bewacht sie, man folgt ihnen auf Schritt und Tritt. Auch Lyn leistet Dienst.
Ein blasses Männchen fragt, ob Lyn je einen Wilderer erschossen habe.
Darüber, antwortet Lyn, redet man nicht.
Plötzlich taucht aus dem Busch eine ganze Meute kleiner Köter auf. Sofort fangen sie an, die sechs Zebras und ihre Jungen zu umkreisen und anzukläffen. Sie versuchen offenbar, eines der Jungen von der Herde zu trennen. Das sind Wildhunde, sagt Lyn, die waren auch fast ausgerottet, aber inzwischen haben sich die Bestände erholt.
Ich frage Lyn, wie lange es dauert, bis man sich im Busch allein bewegen kann.
Die einen schaffen es schnell, antwortet er, andere nie.
Die bunten Farben des Sonnenaufgangs. Die Lichtorgasmen der hereinbrechenden Nacht. Das Flüchtige wird zum Prinzip. Von den Leuten, die im Camp wohnen, gibt es nichts zu berichten. Sie existieren nicht als Individuen, sondern nur als Teil einer Gruppe, deren Gespräch ständig um das Ewiggleiche kreist: das dominante Männchen, die polygame Herde, das Weibchen in der Hitze … Es ist eine Welt voller Absonderlichkeiten und Wunder, die man ausschließlich unter dem Aspekt ihrer Geschlechtlichkeit betrachtet. Natürlich sieht man nie, wie es ein Löwe seiner Löwin besorgt, man sieht nie, wie sich das Kalb aus der Scheide zwängt. Die Erregung sieht man nicht, den Schmerz und das Blut nicht, weil es im Verborgenen geschieht. Aber man redet, man redet. Der Deckhengst und die willige Stute. Paarungsverhalten, Brunft und Begattung … Es ist alles Abstraktion. Man kann sich nicht vorstellen, dass es die Leute, die im Camp leben, miteinander treiben. Sex ist den Tieren vorbehalten, Sex hat mit dem Menschen nichts zu tun.
Ich hingegen würde mir gern ein Weibchen fangen. Hübsch müsst’ es sein, mit einem warmen Nest zwischen den Beinen.
Leider hat Makololo, was die Lust auf ein Weibchen betrifft, nichts zu bieten. Habe den Aufenthalt trotzdem noch einmal verlängert und mich wohnlich eingerichtet. Plane allerdings, Neujahr bei den Victoriafällen zu verbringen. Von den Victoriafällen schwärmen alle.
Plötzlich ist Weihnachten. Ginni dekoriert die Terrasse mit roten und orangen Lämpchen, sie wickelt leere Streichholzschachteln und Weinkorken in Alufolie und behängt damit einen dürren Zweig.
Man stößt mit Sekt an.
Dann ist Weihnachten vorbei.
Unter dem Oriongürtel brüllen Löwen. Habe den übrigen Gästen erzählt, wie grün die Weihnachtsbäume bei uns zu Hause sind. Habe vom Schnee erzählt, vom Atem, der in der Kälte dampft, vom heißen Punsch, von leuchtenden Kinderaugen. Interessiert hat’s niemanden. Hochsommer herrscht. Man bespricht das Paarungsverhalten der Gnus, das Paarungsverhalten der Kudus, das Paarungsverhalten des Grabfroschs … Übrigens lebt auch Lyns Camp von unseren Produkten. Habe Munashe angewiesen – per Telefon, es gibt zum Glück eine halbwegs funktionierende
Verbindung –, ihm in Zukunft Großhandelsrabatt zu gewähren, ein Geschenk zu Weihnachten sozusagen.
Heather. Aus Südafrika. Sie hat wunderschönes, dichtes blondes Haar und eine unglaublich unreine Haut. Sie erzählt, dass sie in Kapstadt eine Computerfirma besitzt, aber wirklich reich sei sie dank ihres Vaters, dem einige der größten Zementfabriken des Landes gehören. Ich erinnere mich, dass Munashe seinen Namen erwähnt hat, aber ich kann mich nicht erinnern, ob er ein wichtiger Geschäftspartner ist oder eher eine Randfigur. Heather will zwei Tage in Makololo bleiben und dann zum Karibasee fahren, um zu fischen. Sie fragt mich schon nach dem ersten Whisky, ob ich sie nicht begleiten möchte. Allein zu reisen sei ihr zu gefährlich. Die Neger, sagt sie, sind Tiere. Wenn sie eine weiße Frau sehen, denken sie nur bongo-bongo, das sind Tiere.