HORAE. WIDERSTÄNDIGE STUNDEN
Gedichte // Swantje Lichtensetin
Illustrationen // Lisa Wilkens
Quartheft 33 // Edition Belletristik
© 2011 Verlagshaus J. Frank | Berlin
Chodowiekistr. 2 / 10405 Berlin
Horae zerstreut Gattungen. Horae ist ein Zyklus, der die Genre und die Genien hintergeht. Ist ein zyklischer Widerstand. Horae überlagert sich. Dreht um. Und umher. Wächst an. Zu den püppchenhaften Versen, wütenden Gesängen und theoretischen Sagen. Er echot nicht. Versucht. Versucht Form, Vorgabe, Begriff.
Wiederholt in Modellen, Kontexten und Konzepten. Vieltönig. Wacker in Unschuld und wacker in Schuld. Zu Vergessen und Strafen, Erinnern und Vorfühlen führt es. Zur Wiederkehr. Horae ist ein Rundschreiben.
Horae ist Text von Mythos und Märchen, von Markt, Mode und Massenmord. Horae redet dagegen und spricht von Poiesis, Pomp, Pathos, Paradox, Papa, Poetik, Porno. Hört zu:
Wenn einer nicht weiter weiß, geht es trotzdem weiter. Wenn eine nicht mitkommt, geht sie zurück. Wenn etwas nicht vorkommt, sieht niemand hin. Wenn einer die Zeile kappt und meint, es gäbe kein Durchkommen, ist das sein eigener Widerhall, ist Projektion. Ein Widerbild, das den Schatten vorauswirft und sich dem Zyklischen unterwirft. Oder Vorurteile als Konstrukt verwirft. Mit Genrefragen verklärt man sich selbst. Wer also nicht zum Lesen kommt, der tauche in den Horae sinister hinab.
Es basiert hier nichts auf einer vermissten Natur, auf Genieästhetiken, guten Gründen, Originellem oder Quellen. So passiert es nicht. Das läge vor der Kultur. Das läge vor aller Kunst und kann nicht in eins gesetzt werden. Vielmehr verschwinden. Im 21. Jahrhundert.
Horae ist ein Widerstand in der Zeit. Ist Vibration, als ein Widerstand im Ton. Ist Kontrolle, als ein Widerstand in der Überforderung. Ist Zwang, als ein Widerstand in der Humanität. Ist Angst, als ein Widerstand im Mythischen.
Horae erblickt auch die Tänzelnden: die Blütenbringerin, die Vorantreiberin, die Ernährerin, die Gerechtigkeit, die Ordnung und den Frieden.
Horae streicht die zyklische Struktur im Seriellen heraus, im Konzept, im Ton, im Text. Hierbei stehen in den sechs Widerständen sechs zwölfzeilige Poesien vor, aus deren Zeilen zwölf weitere Poesien werden.
Und es geht los.
Vollmondfarbenes Land, Himbeerhaus mit Silberdach,
einer hält die Hand auf, buddelt Licht in den Schatten.
Wir widerlegen das mit bandagierten Händen und
bauernschlauen Augen, in der Sanftheit ein Stich,
greifen ein, verwirren, krallen fest, tönen rabiat,
denn den Stier schlägt der Reiter in Stein, vom Stuhl
gepurzelt in den Kanal des pingeligen Gewissens,
schliddert an der Linie, bebend mit kauzigem Geist,
am Zwölfender pendeln die Hirne der Sprachen,
mit klapperndem Unterkiefer und hölzernem Kopf,
schickst du das Kreuz dem Kind, grell quiekend
du brichst auf in die Nacht, kehrst um in den Tag.
Vollmondfarbenes Land, Himbeerhaus mit Silberdach,
am Ende lässt sich ein Übelstand finden, ein letztes Hemmnis,
solange die Grube packt an die Enden dieser Erde, gelangen
wir auf die Felder des Putzes, licht, hell, liebend gelb.
Zwischen den Brombeeren lagern Gefäße, blitzen Steine,
türmen sich auf zu neuen Komplexen, neben der Hütte
aus Holz, die uns mit Tanz empfing, im Märchenwald, knie
nieder, pflücke den Schnitz eines weitbauchigen Raums.
Abhängig kreisen wir in den Wald, an den Händen der Kinder,
in Mulden verzieht sich die Erde an Beine fest gepropft,
auf dem Feuer brodelt der süße Reis, es knistern Insekten,
in die Landschaft werfen sich Macht und Milde.
einer hält die Hand auf, buddelt Licht in den Schatten.
Gepachtetes Land gekämmter Menschen, dort tränt,
in Berge tröpfelt es, aus sämtlichen Poren der Epidermis,
ihre Weichheit sinnt auf die Fahne von Transnistrien.
Der Fahrer, der uns zu den gefeldeten Halden bringt,
mit der Hand streicht er das Haar aus der Stirn,
sein Kopf schlingert nach und er schwankt auf den
halbhohen Absätzen am glattgebügelten Latz hinab.
Das Erdgeschoss erhöht durch Platten, im zweiten Stock
kleidet sich schräg ein der Stein, erwächst aus Buchdeckeln
und der Krypta, tritt in die Spalten eines abgelutschten Gletschers,
der lange genug für sein Tausendjähriges gebüffelt hat.
Wir widerlegen das mit bandagierten Händen und
der Klang schmilzt und das Weiche kuscht zurück,
fragil eingeflochten in schlotternde Gebärden,
schweben am Flechtwerk der Häute, missen nichts,
hissen die Beflaggung, verquicken uns blinzelnd
in den wabernen Flammen am Rande des Sees,
umrankt von schwarzen Steinen Sonnenblumen,
tränken die offenen Kanäle am elegischen Lid.
Ohne Bespitzelung erspäht und verwässert
deklinierst du das durch, legst Murmeln ins Ohr,
sprichst von jener Umrandung des Heulens,
solange du nicht in der Begegnung bist, geh an.
und bauernschlauen Augen, in der Sanftheit ein Stich,
eifernde Wetten bläuen dem Knie eben den Fall ein,
dem Winkel die List, der starren Wand die Kehren,
beengt drucksen wir herum, suchen ein Mäuseloch,
ein Elsternest in der Voliere der krähenden Dichter
meine, nein, meine, nein, ich, ich, dröhnt das Geflatter.
Angespornt beizt es ihnen zweimal durchs Gesicht,
kein Krummholz, die Breite verwächst sich in Nichts,
begegnet sich elliptisch, kreist um den Hohn,
tritt Sämtliches ab einem weißem Geräusch,
unter den Tauben weilen die sinnenden Berge,
unter die Blinden wirf sodann die harten Beeren.
greifen ein, verwirren, krallen fest, tönen rabiat,
der Plan überrascht nicht, verführt uns zu naschen und
sabbern, lispeln, stottern, rufen, kreischen, rühren, tun,
sichere unter dem runden Turban fächelnd das Süße
Auswandernder, in Lagen Herden, im Dutt den Stift,
ziehe einen Strich, auf den die Worte sich setzen,
wir tauschen sie ein und lächeln am Ende des Riffs,
verwechseln Netz und Spinne mit den Gefilden,
Es bricht dir eine Sticknadel im Fuß, wandernd
in den Nächten, spürst du sie auf und lauschst an
der vierten Wand, legst den Kubus in die Ecken,
suchst nach Scharnieren, die Farben verheißen.
denn den Stier schlägt der Reiter in Stein, vom Stuhl
plappert er, fechelt mit den Fingern, dankt der Gespielin,
die sitzt es leichterdings aus, erwartet den Ablauf der Frist,
bevor sie abdankt und an einem zugigeren Ort träumt,
verfolgt die Kinderplage die klugen Ratten mit Flöten.
Figürlich nippst du den Wein, gefärbt der Pfeffer rostrot,
isst nicht und trinkst weiß, wenn die Sonne verlischt.
Heimlich im Tal speist der Regen die Wipfel gejagter