Robert Ludlums Romane wurden in über dreißig Sprachen übersetzt und er gilt als »größter Thrillerautor aller Zeiten« (The New Yorker). Ludlum verstarb im März 2001 in seiner Heimatstadt Naples, Florida. Die Romane aus seinem Nachlass erscheinen bei Heyne.
Gayle Lynds arbeitete mehrere Jahre beim amerikanischen Geheimdienst, bevor sie mit dem Schreiben begann. Als Co-Autorin mehrerer Ludlum-Romane machte sie sich einen guten Namen in der Thrillerszene, bis sie mit ihrem ersten eigenen Thriller Der Nautilus-Plan einen großen internationalen Erfolg landete.
Robert Ludlum wurde am 25. Mai 1927 in New York City geboren. Mit vierzehn Jahren verlässt er sein Elternhaus, um zur Bühne zu gehen. Nachdem er von seiner Mutter nach Hause zurückgeholt wird, schafft er drei Jahre später den Absprung und geht zunächst zum Militär. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt er eine Karriere als Schauspieler. Trotz seines Erfolges am Theater, im Fernsehen und auch als Produzent, beschließt er mit vierzig, diese Karriere an den Nagel zu hängen und studiert Kunstgeschichte. Seine »vierte« Karriere als Schriftsteller beginnt 1971 mit seinem ersten Buch Das Scarlatti-Erbe, an dem Ludlum achtzehn Monate arbeitet, und welches auf Anhieb Platz eins der Bestsellerlisten erreicht. Als ähnlich erfolgreich erweisen sich auch alle folgenden Ludlum-Romane, wie zum Beispiel Das Osterman-Wochenende, Die Scorpio-Illusion oder Der Ikarus-Plan. Seine Erfahrung als Schauspieler kommt ihm auch beim Schreiben zugute: »Man lernt, wie man die Aufmerksamkeit des Publikums behält«, erklärt Ludlum. Jeden Morgen sitzt er um 4.30 Uhr an seinem Schreibtisch, um in Ruhe an seinen Thrillern zu arbeiten. Seine Bücher werden in mehr als 30 Sprachen übersetzt, in mehr als 40 Ländern veröffentlicht und erreichen eine Auflage von über 200 Millionen Exemplaren. Zahlreiche seiner Romane werden erfolgreich verfilmt, zuletzt die legendären Bourne-Thriller mit Matt Damon in der Hauptrolle. Robert Ludlum lebte bis zu seinem Tod am 12. März 2001 mit seiner Frau Mary und seinen Kindern in Florida und Connecticut.
»Der größte Thrillerautor aller Zeiten.« The New Yorker
»Robert Ludlum ist der perfekte Thrillerautor.« Newsweek
Die Köpfe der zehn Männer, die um den reich verzierten kaiserlichen Tisch im Konferenzsaal von Zhongnanhai saßen, drehten sich gleichzeitig zu der Tür links vom Generalsekretär. Sie beobachteten, wie ein schlanker Mann in der Uniform eines Fregattenkapitäns der VBA-Seestreitkräfte den Raum betrat. Er flüsterte dem Generalsekretär etwas ins Ohr, und der Generalsekretär nickte.
Als der junge Offizier ging, verkündete der Generalsekretär: »Wir haben gute Nachrichten. Es ist vorbei. Der Kommandant der Zhou Enlai meldet, dass Besatzungsmitglieder der Zhou Enlai und der amerikanischen Fregatte John Crowe an Bord der Empress gegangen sind. Es wurden mehrere Tonnen verbotener Chemikalien gefunden, die inzwischen vernichtet wurden. Die Offiziere des Frachters befinden sich in unserem Gewahrsam, und das Schiff kehrt, von der amerikanischen Fregatte begleitet, nach Shanghai zurück.«
Beifälliges wie erleichtertes Murmeln ging um den Tisch. Wei Gaofan sagte: »Das war knapp. Aber müssen wir zulassen, dass eine amerikanische Fregatte unser Schiff begleitet?«
»Ich gehe davon aus«, entgegnete der Generalsekretär mild. »Der Kapitän der Fregatte hat darauf bestanden. Unter diesen Umständen können wir schwerlich protestieren.« Seine Augen hinter der dicken Brille waren winzige Punkte aus schwarzem Stein, als er den Blick auf General Chu Kuairong am anderen Ende des Tisches heftete. »Wie konnte das passieren, General Chu? Dass Bürger unseres Landes vor unseren Augen illegale Geschäfte von derart unerhörter Brisanz betreiben?«
»Derjenige, der das beantworten muss, Genosse Sekretär«, sagte Niu Jianxing, »bin vermutlich ich.«
Wei Gaofan unterbrach ihn aufgebracht: »Von keinem von uns kann erwartet werden, dass er für alle Fehler derer geradesteht, die irgendwelche Operationen durchführen.«
Niu sah Wei nicht an. Seine Worte waren an alle Anwesenden gerichtet. »Unser Kollege Wei scheint die Verantwortung denen anlasten zu wollen, die sich am wenigsten verteidigen können.«
»Ich verbitte mir ...«, platzte Wei los.
Der Generalsekretär schnitt ihm das Wort ab. »Wenn es eine Erklärung gibt, Jianxing, lassen Sie sie uns hören.«
»Es gibt eine«, erklärte die Eule ruhig. »Eine einfache Erklärung mit mehreren Beteiligten – ein verführbarer Geschäftsmann, die von der freien Marktwirtschaft geschürte Geldgier, ein Komplott westlicher Unternehmen und die Korruptheit eines Mitglieds dieses Ausschusses.«
Nach den letzten Worten Niu Jianxings kam es zu bestürztem Schweigen. Umso heftiger war der darauf folgende Ausbruch von entrüsteten Protesten und lautstarken, an Niu gerichteten Fragen.
Wei Gaofans Tempelhundgesicht sprühte vor Zorn, als er schrie: »Eine solche Behauptung kommt Hochverrat gleich, Niu! Ich stelle einen Tadelsantrag!«
»Wen von uns verleumden Sie?«, wollte Shi Jingnu wissen.
»Das ist unerhört!«, rief eines der jüngsten Mitglieder.
»Außer«, erklärte der Generalsekretär ruhig, »Niu kann seine Anschuldigung beweisen.«
Sofort legte sich erwartungsvolle Stille über den Raum.
Jemand murmelte: »Nicht zu glauben.«
»Glauben Sie es«, knurrte General Chu, ohne dass die unangezündete Zigarre zwischen seinen schmalen Lippen hin und her zu wandern aufhörte.
Niu ging zur Tür, öffnete sie und winkte.
Major Pan Aitu, noch in VBA-Uniform, kam herein. Niu begleitete den rundlichen Geheimdienstmitarbeiter zum Tisch und blieb neben ihm stehen. »Sagen Sie uns bitte, was Ihre Ermittlungen ergeben haben.«
Mit seiner sanften, vollkommen ausdruckslosen Stimme legte Pan das ganze Komplott dar, von dem Moment an, in dem Donk & LaPierre mit dem Vorschlag zu dem illegalen Geschäft an Yu Yongfu herangetreten war, über Li Aorongs und Wei Gaofans Beteiligung bis hin zu Jon Smiths Übergabe des einzigen noch existierenden Ladeverzeichnisses an Pan, der es von Dazu an den Ständigen Ausschuss gefaxt hatte.
Wei Gaofans hartes Gesicht erbleichte. Trotzdem brummte er: »Nachdem uns erst vor einer Stunde die Nachricht von Li Aorongs tragischem Tod erreicht hat, scheint es, als wären alle der von Major Pan genannten Personen tot. Außer mir natürlich. Ich leugne kategorisch ...«
Pan sah Wei unverwandt an. »Nicht alle von ihnen sind tot. Li Kuonyi – ohne Vater und Gatten – ist am Leben. Viele von Feng Duns Männern haben überlebt. Auch der Infanteriehauptmann ist selbstverständlich noch am Leben, ebenso wie Ihr Freund, der General, der den Hauptmann damit beauftragt hat, Feng Dun bei der Wiederbeschaffung des Manifests zu helfen. Von ihnen allen liegen mir rechtskräftige Aussagen vor.«
Einen Augenblick blieb Wei Gaofan vollkommen reglos. Seine Gesichtszüge schienen zu entgleisen, aber die Zähne hatte er fest aufeinander gebissen. »Niu Jianxing hat sie dazu angestiftet, zu lügen!«
»Nein«, sagte der Generalsekretär nachdenklich und betrachtete Wei, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Hier gibt es nur einen Lügner.«
Plötzlich kehrte wieder Farbe in Weis Gesicht zurück. »Niu Jianxing und der Generalsekretär treiben China in den Untergang«, erklärte er, an seine Kollegen gewandt. »Was Yu Yongfu getan hat, ist das beste Beispiel für die Krankheit, die sie in die Volksrepublik einschleppen wollen. Was ich getan habe, war, Ihnen und der Partei vor Augen zu führen, was aus der großen Revolution unserer Väter geworden ist. Aus der Revolution Mao Zedongs, Zhou Enlais, Chu Tehs und Deng Xiaopings. Ich werde nicht zurücktreten. Ich werde mit all denen, die einer Meinung mit mir sind, den Saal verlassen, und dann werden wir sehen, wen die Partei unterstützt!«
Er erhob seinen mächtigen Körper und stelzte auf seinen dünnen Beinen zur Tür. Dort blieb er einen Moment stehen, die Tür halb offen, den Rücken den Kollegen zugekehrt, wartend. Niemand folgte ihm.
Der Generalsekretär seufzte. »Morgen werde ich einen Beschluss des Zentralkomitees und des Politbüros beantragen. Sie werden aller Posten, aller Vorrechte und aller Ehren enthoben. Sie werden aus der Partei ausgestoßen werden, Wei Gaofan.«
»Außer«, schlug Niu Jianxing vor, »Sie ziehen es vor, das zu tun, was Li Aorong seinem Schwiegersohn nahe gelegt hat. Aber Sie müssen rasch handeln.«
»Sie könnten an Ihre Familie denken«, fügte der Generalsekretär hinzu, aber es hörte sich nicht hoffnungsvoll an.
Wei blieb weiter stumm an der Tür stehen. Erledigt. Dann nickte er und ging hinaus.
Vier Stunden nachdem die verbotenen Chemikalien an Bord der Empress entdeckt und vernichtet worden waren, bat Charles Ouray Vizepräsident Brandon Erikson zu einer Besprechung mit dem Präsidenten. Dann erteilte er telefonische Anweisung, die Air Force One für einen Flug an die Westküste startklar zu machen, nahm einen Anruf Botschafter Wus entgegen, der gerade in die Botschaft in der Connecticut Avenue zurückgekehrt war, und ging in den Situation Room hinunter, wo Präsident Castilla mit seiner Frau telefonierte.
»Die Sache hat ein ausgesprochen gutes Ende genommen, Cassie«, sagte der Präsident gerade. Sobald er Ouray den Kopf zur Tür hereinstecken sah, winkte er ihn nach drinnen. »Glaubst du, du wirst es schaffen, Schatz? Tut mir Leid, dass du deswegen das Abendessen in Oaxaca absagen musst, aber ... ja, ich weiß, dass du genauso gespannt bist wie ich. Und die Kinder? Sehr gut! Sehr gut! Dann sehen wir uns ja alle.« Er legte freudestrahlend auf.
Ouray wartete, bis ihn der Präsident wieder ansah. Als er es tat, meldete er: »Der Botschafter hat angerufen, Mr. President. Er wollte Ihnen offiziell danken, und er hat mir eine Nachricht von Niu Jianxing übermittelt – der Eule.«
»Das ist aber nett. Wie lautet diese Nachricht?«
»Niu lässt Sie grüßen und verleiht der Hoffnung Ausdruck, Sie möchten sich weiterhin robuster Gesundheit erfreuen.«
Der Präsident lachte schallend.
»Was ist?«, fragte Ouray. Verdutzt beobachtete er, wie der Präsident nur noch herzhafter lachte. Auch er begann schließlich zu grinsen und dann leise zu lachen, während er im Kopf die Nachricht noch einmal wiederholte. Zu guter Letzt hielt auch er sich vor Lachen den Bauch. Die heiteren Laute füllten den großen, schalldichten Raum und vertrieben die Schatten der vergangenen Woche.
»Unglaublich.« Der Präsident wischte sich die Augen.
»Unbezahlbar«, pflichtete ihm Ouray bei.
»Das haben wir gebraucht. Robust! Aber von den Chinesen ist das eine Vertrauenserklärung.«
»Ein Ausdruck ihres Vertrauens in die Zukunft.«
»Wahnsinn, Charlie. Er denkt, mich so zurechtgestutzt zu haben, wie er mich haben will, und jetzt möchte er dieses ganze Theater in nächster Zeit nicht noch mal mit jemand Neuem veranstalten müssen!«
Immer noch leise lachend, lehnten sich die zwei Männer in ihre Stühle zurück.
»Ich würde sagen«, bemerkte Ouray, »das Gleiche könnten wir auch über ihn sagen.«
»Allerdings.« Als Sam Castilla sich schließlich seiner nächsten Aufgabe zuwandte, wurde seine Miene wieder ernst. »Ich wollte Ihnen nur noch sagen, dass man im Justizministerium bereits Vorbereitungen trifft, Anklage gegen Jasper Kott zu erheben. Das gibt einen Riesenskandal.«
»Der sich wohl kaum unter den Teppich kehren lässt.«
»Nein, Charlie. Das wäre auch nicht richtig.« Es gab noch einen weiteren Punkt, der geklärt werden musste. Er seufzte, als er sich dafür wappnete. »Ist der Vizepräsident schon unterwegs hierher?«
»Nicht nur das, er ist schon hier.« Brandon Erikson betrat den Situation Room mit einem strahlenden Lächeln in seinem attraktiven Gesicht. Hinter ihm schloss ein Adjutant die Tür. Wie immer war Eriksons pechschwarzes Haar tadellos nach hinten gekämmt, sein drahtiger Körper steckte in einem maßgeschneiderten Dreiteiler. Er versprühte seinen üblichen energiegeladenen Charme. »Herzlichen Glückwunsch, Mr. President. Eine bewundernswerte staatsmännische Leistung.«
»Danke, Brandon. Aber es war sehr knapp.«
Der Vizepräsident nahm seinen üblichen Platz zur Rechten des Präsidenten in der Mitte des langen Tisches ein, direkt gegenüber Ouray. Er nickte dem Stabschef des Weißen Hauses freundlich zu und wandte sich an den Präsidenten. »Ich werde Sie nicht fragen, wie Sie das im Einzelnen hingekriegt haben, aber ich nehme mal an, es gibt da den einen oder anderen unbesungenen Helden in einem unserer Geheimdienste.«
»Das auf jeden Fall«, bestätigte der Präsident. »Wir haben allerdings auch aus China selbst Hilfe erhalten, besonders von einem hochrangigen Politiker. Unsere Zusammenarbeit mit ihm gibt in meinen Augen Anlass zu berechtigten Hoffnungen auf eine erfolgreiche Erweiterung der freundschaftlichen Beziehungen zu China.«
Erikson grinste. »Bestimmt sind Sie wieder einmal viel zu bescheiden, Mr. President.«
Sam Castilla erwiderte nichts.
Blinzelnd schaute sich der Vizepräsident in dem stillen Raum um, der mehr oder weniger vom Rest des Weißen Hauses isoliert war. Er war nicht nur fensterlos und schalldicht, sondern wurde auch ständig nach Wanzen und Geheimkameras abgesucht. »Wo bleiben die anderen? Ich dachte, wir hätten eine Nachbesprechung zu der eben bereinigten Krise.«
Der Präsident studierte Eriksons Gesicht auf der Suche nach dem, was ihm darin entgangen war. »Es wird niemand mehr kommen, Brandon. Aber ich würde gern von Ihnen wissen, ob Ihr Freund Ralph McDermid über unseren Erfolg ebenso begeistert wäre wie Sie?«
Erikson schaute vom Präsidenten zum finster dreinblickenden Stabschef und wieder zum Präsidenten. »Ich habe keine Ahnung, was Mr. McDermid darüber denkt. Ich kenne den Mann kaum.«
»Tatsächlich?« Das kam von Charlie Ouray.
Erikson entging nicht das Fehlen seines Titels oder einer der üblichen anderen höflichen Anreden für jemanden in seiner Stellung. Seine linke Augenbraue wanderte nach oben. »Stimmt irgendetwas nicht, Mr. President?«
Die Hand des Präsidenten klatschte auf den Tisch. Ouray zuckte zusammen. Erikson machte ein erschrockenes und leicht verängstigtes Gesicht.
Castilla knurrte: »Sie wissen verdammt gut, was McDermid gedacht hätte. Sie wissen genau, welche Geheimagenten unbesungene Helden sind.«
»Das ist doch vollkommen absurd, Mr. President!«, entgegnete Erikson so wütend wie der Präsident. »Ich weiß ...« Plötzlich schien er sich der genauen Worte des Präsidenten bewusst zu werden. »Was er gedacht hätte?«
Schroff sagte der Präsident: »Ralph McDermid ist tot. Jetzt rennen die Vorstandsmitglieder von Altman herum wie Geier mit abgeschnittenen Köpfen, um sich eine glaubhafte Erklärung für sein Ableben auszudenken. Aber es wird ihnen nichts helfen. McDermids schmutzige Geschäfte werden ans Tageslicht kommen – dafür werde ich sorgen.«
»Tot?«, wiederholte Erikson mit schockiertem Gesichtsausdruck. »Es wird ... ans Tageslicht kommen?«
»Ihr geheimer Freund Ralph McDermid wurde in China erschossen«, sagte Charlie Ouray. »Ermordet, wie man mir gesagt hat. Von einem seiner eigenen Auftragskiller.«
Der Vizepräsident blinzelte, fing sich wieder und meinte anschließend vorsichtig: »Das ist ja schrecklich. Richtig tragisch. Was wollte er in China? Irgendwelche geschäftlichen Verhandlungen wahrscheinlich.«
»Sparen Sie sich diesen Quatsch, Brandon«, explodierte der Präsident. »Es ist aus. Wir wissen von Ihren krummen Touren. Bis zum Morgen möchte ich Ihr Rücktrittsgesuch auf dem Schreibtisch liegen haben!« Er nickte Ouray zu, worauf dieser auf einen Knopf unter dem Tisch drückte.
»Meinen ... meinen Rücktritt ...«, stotterte Erikson.
Zwei körperlose Stimmen ertönten, eine davon die des Vizepräsidenten:
»Sparen Sie sich Ihren Sarkasmus. Wir sind aufeinander angewiesen. Sie sind ein wichtiges Mitglied des Teams.«
»Das bin ich nur, solange ich im Verborgenen operieren kann.«
»Es ist nicht so schlimm, wie Sie denken. Letztendlich haben weder Smith noch diese CIA-Agentin unserem Projekt Schaden zugefügt.«
»Dass die CIA ein Auge auf Sie geworfen haben könnte, kümmert Sie nicht weiter? Auch wenn es nicht direkt etwas mit unserem Deal zu tun haben sollte, konnte man immerhin einige der undichten Stellen im Weißen Haus mit Ihnen in Verbindung bringen. Da würde ich mir an Ihrer Stelle schon Gedanken machen.«
»Ich glaube, das genügt.« Ouray hielt das Band an. »Ich bin sicher, Mr. Erikson kann sich an den Rest erinnern.«
Erikson hatte die Hände unter dem Tisch in seinem Schoß gefaltet. Er blinzelte, als wüsste er nicht, wo er war. Dann holte er tief Luft. »Wahrscheinlich könnte ich behaupten, das war gar nicht ich ...«
Der Präsident schnaubte. Ouray verdrehte die Augen.
Erikson nickte langsam. »Na schön. Einem wichtigen Unterstützer in einem künftigen Präsidentschaftswahlkampf den einen oder anderen Gefallen zu erweisen mag zwar tadelnswert sein, ist aber schwerlich ein Verbrechen. Sonst säßen nämlich alle von uns im Gefängnis. Sie mögen mich jetzt vielleicht nicht mehr, Sam, und mit Sicherheit können Sie mich bis zum Ende Ihrer Amtszeit von allem ausschließen, aber ich bezweifle, dass es Ihnen möglich ist, mich zum Rücktritt zu zwingen.«
»Das alles ist erheblich belastender«, erklärte der Präsident. »Falls Sie sich an die ganze Bandaufnahme erinnern können – die übrigens von der CIA gemacht wurde –, werden Sie vielleicht sehen, dass Sie sich an dem Versuch beteiligt haben, einen bewaffneten Konflikt mit China auszulösen, bei dem zweifellos Angehörige der amerikanischen Streitkräfte ums Leben gekommen wären. Außerdem haben Sie geholfen, verbotene Chemikalien zu befördern. Ich glaube, einiges, wenn nicht sogar alles davon grenzt an Hochverrat. Es könnte Hochverrat sein. Die endgültige Entscheidung, ob es strafrechtlich verfolgbar ist, liegt natürlich beim Justizministerium. Wie es bisher aussieht, müssen Sie mit einem Strafverfahren rechnen.«
Ouray spitzte die Lippen. »Ich würde sagen, es ist Hochverrat.«
Erikson sah von einem zum anderen. »Was wollen Sie, Sam?«
»Nennen Sie mich nicht Sam. Nie wieder. Ich habe Ihnen gesagt, was ich will. Sie können gesundheitliche Probleme vorschützen. Familiäre Verpflichtungen. Sie möchten sich ganz auf die Vorbereitung Ihres Präsidentschaftswahlkampfes konzentrieren – was zum Teil sogar zuträfe.«
»Ist das alles, Mr. President?«, fragte Erikson bitter.
»Nicht ganz. Sie können gern so tun, als würden Sie sich mit dem Gedanken an eine Präsidentschaftskandidatur tragen, aber Sie werden weder als Präsident kandidieren noch als Senator noch als Hundefänger. Nie wieder ein öffentliches Amt. Nie wieder, auch wenn Sie nicht unter Anklage gestellt werden.«
»Und wenn ich trotzdem kandidiere?«
»Werde ich dafür sorgen, dass Sie von der Partei keine Unterstützung erhalten. Und glauben Sie mir, niemand wird sich auch nur im selben Zimmer mit Ihnen aufhalten wollen.«
Eriksons Miene versteinerte. Er stand auf. »Sie kriegen morgen meinen Rücktritt.« Er wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch einmal um. »Wissen Sie, ich bin keineswegs so schlimm, wie Sie denken. Letzten Endes war ich nie wirklich einverstanden mit Ihrer Politik des Rüstungsabbaus. Ich habe nur getan, was ich für das Land für das Beste hielt.«
»Quatsch«, sagte Ouray. »Sie haben getan, was Sie für das Beste im Interesse von Brandon Erikson hielten.«
Der Präsident nickte. »Und dabei haben Sie auch Ihren Gönner verloren. Falls die Altman Group das überleben sollte, wird Sie dort niemand mehr auch nur von ferne sehen wollen. Sie passen nicht ins Unternehmensbild. In Ihrem Fall hat die Verquickung von Geschäft und Politik fast zum Krieg geführt. Das kann sich ziemlich nachteilig auf die Bilanzen auswirken.«
Der Morgen war sonnig warm und dunstig, als die Air Force-Maschine über den Pazifik hereinkam. Durch das Fenster betrachtete Jon Smith die nebelumrankten Channel Islands und die zerklüftete Küste mit ihren weißen Sandstränden und pittoresken Klippen. Der extrem gut gesicherte Luftwaffenstützpunkt, der auf einer in den glitzernden Ozean hinausragenden Landzunge lag, erstreckte sich über nahezu 40 000 Hektar, auf denen es Madronabäume und Abschussrampen, Pampasgras und Raketensilos gab.
»Früher sind wir mit Mom und Dad ab und zu hier raufgefahren, um die Fauna zu studieren«, sagte Randi Russell.
Sie hatte einen Fensterplatz, während Smith, durch den Gang von ihr getrennt, in der Mitte saß, wo er sich in alle Richtungen drehen und aus verschiedenen Fenstern sehen konnte.
»Herrlich, nicht?«, fuhr sie fort. »Sonne und Meer, das hat schon was, einfach unwiderstehlich. Wenn ... falls ... ich mich mal zur Ruhe setzen sollte, komme ich hierher zurück. Was wirst du tun, Jon?«
Etwa achtzig Kilometer südöstlich von Vandenberg lag Santa Barbara, wo Randi und ihre Schwester, Sophia Russell, aufgewachsen waren. In Santa Barbara hatte auch Jon Smith seine Wunden geleckt und überlegt, was er mit seinem Leben anfangen sollte, nachdem Sophia dem Hades-Virus zum Opfer gefallen war.
»Zur Ruhe setzen?«, wiederholte er. »Wie kommst du denn darauf? Wieso sollte sich jemand zur Ruhe setzen wollen?«
»Das frage ich mich allerdings auch«, flocht David Thayer ein. »Glauben Sie mir, davon erwarten sich die Leute viel zu viel. Frei und ungebunden — so stelle ich mir jetzt das Leben vor.« Als er grinste, gruppierten sich die Falten in seinem vor Neugier und Abenteuerlust blitzenden Gesicht neu. Sein dichtes weißes Haar war ordentlich nach hinten gekämmt, und seine Brille hatte ein neues Schildpattgestell. »Mein Gott, ich bin über fünfzig Jahre zur Ruhe gesetzt worden. Deshalb habe ich beschlossen, den Rest meines Lebens noch mal richtig aus dem Vollen zu schöpfen.«
Die drei lächelten sich an, als die Maschine aufsetzte und auf der Landepiste ausrollte. Sie trugen legere Hosen und Hemden, die ihnen die amerikanische Botschaft in Beijing zur Verfügung gestellt hatte. David Thayer hatte sich über die Plastikreißverschlüsse gewundert, die er noch nie gesehen hatte. Auch Klettverschlüsse waren etwas völlig Neues für ihn. Er hatte die Verschlüsse seiner neuen Sportschuhe mehrere Male aufgerissen und wieder befestigt. Und er war nie zuvor in einer Düsenmaschine geflogen. Der Air Force-Pilot zeigte ihm das Cockpit in aller Ausführlichkeit und versuchte ihm zu erklären, wie viel an Bord inzwischen computergesteuert war, bis er schließlich merkte, dass Thayer nicht die geringste Ahnung von Computern hatte. Thayer versicherte ihm, er werde sich ein Buch kaufen und es selbst herausfinden.
Nachdem Smith in der Botschaft wieder mit Thayer zusammengetroffen war, hatte er darauf gedrungen, dass man den alten Mann einer gründlichen ärztlichen Untersuchung unterziehen sollte. Aber Thayer hielt das für Zeitverschwendung und erklärte höflich, er würde lieber fernsehen, was ebenfalls neu für ihn war. Trotzdem ließ er sich schließlich überreden, worauf der Arzt mehrere verheilte Knochenbrüche feststellte, außerdem Eisenmangel, ein Auge, das baldmöglichst wegen grauen Stars operiert werden sollte, und offensichtliche Schäden am Gebiss. Danach hatten sich Smith, Randi Russell und David Thayer an Bord der Air Force-Maschine begeben und den Heimflug in die Staaten angetreten.
Die Ereignisse der vergangenen Woche waren noch sehr frisch – und blutig – in Smiths Erinnerung. Daran würde sich bestimmt einige Zeit nichts ändern. Nach der Rückkehr nach Fort Detrick würde er für Fred Klein einen ausführlichen Bericht schreiben. Das half oft.
Smith war aufgefallen, dass Randi den Vater des Präsidenten seit dem Moment, als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, immer wieder aufmerksam beobachtet hatte. Als das Flugzeug schließlich ausgerollt war, fragte sie ihn: »Sind Sie nicht verbittert, Dr. Thayer? Man hat Ihnen Ihr Leben gestohlen. Hinterlässt das keine bitteren Gefühle?«
Er wandte sich von dem Fenster ab, zu dem er sich vorgebeugt hatte, um die Air Force One besser sehen zu können. »Natürlich hinterlässt es eine gewisse Bitterkeit, aber da gibt’s auch noch etwas anderes. Dort ist er!« Er drückte das Gesicht an die Scheibe. »Ich sehe ihn! Meinen Sohn. Meinen Sohn. Dort ist meine Schwiegertochter! Und meine Enkel! Ich kann es noch gar nicht glauben. Sie sind alle gekommen. Sie sind alle gekommen, um mich zu begrüßen!« Er zitterte vor Aufregung.
Die Maschine hielt an, und David Thayer öffnete seinen Sicherheitsgurt und ging zur Tür. Smith und Randi Russell rührten sich nicht von der Stelle. Während Thayer wartete, dass die Gangway an die Maschine gerollt wurde und der Copilot die Tür entriegelte, drehte er sich um und kam zurück. Auf seinen eingefallenen Wangen glühten rosa Flecken. Seine Augen leuchteten. Er schüttelte ihnen die Hände, dankte ihnen noch einmal.
»Ich hoffe, Sie können das verstehen, Ms. Russell.« Er tätschelte den Rücken ihrer Hand, die er weiter hielt. Gelegentlich sah er sich nach der Tür um. Er konnte gar nicht erwarten, dass sie endlich aufging. »Ich hätte nie überlebt, wenn ich mir gestattet hätte, jeden Moment voller Hass zu sein. Es gab unter all den schlechten auch einige gute Dinge. Zum Beispiel lernte ich, dass der Preis für Hybris Demut ist, und ich lernte, dass ich nicht auf alles eine Antwort habe. Wenn ich allerdings die Uhr noch einmal zurückdrehen und ungeschehen machen könnte, was ich getan habe und womit ich mir diese Suppe eingebrockt habe, würde ich es tun. Aber nachdem das nicht geht, werde ich aus der Zeit, die mir noch bleibt, das Beste machen. In China gibt es ein Sprichwort, das etwa so lautet: ›Was eine Raupe das Lebensende nennt, nennen Weise einen Schmetterling.‹«
»Sehr schön«, sagte Randi Russell.
Thayer nickte. »Ich weiß.« Er drückte ihr die Hand, klopfte Smith auf die Schulter und eilte zur Tür zurück. Wo er den Copiloten finster ansah. »Kriegen Sie das blöde Ding endlich auf?«
»In diesem Moment, Sir.« Er drehte den Griff, und die pneumatische Tür hob sich und schwang nach draußen.
Die Gangway war bereits da. Ohne sich noch einmal umzusehen, trat der alte Mann nach draußen. Smith und Randi Russell beobachteten, wie er die Treppe hinunterstieg und einen Adjutanten abwimmelte, der ihn offensichtlich zur Air Force One hatte begleiten wollen. Der Präsident, seine Frau, sein Sohn und seine Tochter warteten im Schatten der Präsidentenmaschine. Thayer ging schnurstracks auf sie zu, doch zehn Schritte vor ihnen blieb er plötzlich stehen.
»Sieh dir sein Gesicht an«, sagte Randi Russell.
»Er hat Angst«, bestätigte ihr Smith.
»Plötzlich hat es ihn überkommen. Er weiß nicht, ob sie ihn mögen werden.«
»Oder ob er sie mögen wird. Ob er jetzt ein völlig anderes Leben führen kann.«
Der Präsident und seine Familie sahen sich gegenseitig an. Sie schienen sich alle einig. Ohne ein Wort eilten sie über das Rollfeld auf Thayer zu. Langsam breitete er die Arme aus. Der Präsident erreichte ihn als Erster, stellte sich dicht vor ihn und schlang seinerseits die Arme um ihn. Sie hielten sich lang umschlungen. Der Präsident küsste seinen Vater auf die Wange. Bald waren alle da und redeten, lachten, stellten sich vor, umarmten sich.
Als ihre Maschine rückwärts zu rollen begann, wandten sich Smith und Randi von den Fenstern ab.
»Zurück nach Washington«, sagte Smith und seufzte.
»Ja. Ich freue mich schon, mal wieder eine Weile zu Hause zu sein.«