Haupttitel

Nicholas Goodrick-Clarke

Im Schatten der Schwarzen Sonne

Arische Kulte, Esoterischer Nationalsozialismus und die Politik der Abgrenzung
 
Aus dem Englischen übersetzt von Ulrich Bossier, Katharina Maier und Michael Siefener
marixverlag
Impressum
Die Originalausgabe des Buches erschien 2003 unter dem Titel Black Sun: Aryan Cults, Esoteric Nazism, and the Politics of Identity bei New York University Press
 
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar.
 
Alle Rechte vorbehalten
 
Deutsche Erstausgabe
Copyright © 2002 by Nicholas Goodrick-Clarke
Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2011
Übersetzung: Dr. Ulrich Bossier, Langenfeld, Katharina Maier, Augsburg und Dr. Michael Siefener, Hamburg
Covergestaltung: Nele Schütz Design, München
Lektorat: Dr. Bruno Kern, Mainz
eBook-Bearbeitung: Medienservice Feiß, Burgwitz
Gesetzt in der Palatino Ind Uni – untersteht der GPL v2
 
ISBN: 978-3-8438-0170-6
 
www.marixverlag.de

Inhalt

Über den Autor

Zum Buch

Einleitung

1. Neonazismus in den USA

Anmerkungen

2. Der britische Nazi-Untergrund

Anmerkungen

3. Julius Evola und das Kaliyuga

Anmerkungen

4. Imperium und das Neue Atlantis

Anmerkungen

5. Savitri Devi oder Hitler als Avatar

Anmerkungen

6. Die »Nazi-Mysterien«

Anmerkungen

7. Wilhelm Landig und die Esoterische SS

Anmerkungen

8. Nazi-UFOs, die Antarktis und der Aldebaran

Anmerkungen

9. Miguel Serrano und der Esoterische Hitlerismus

Anmerkungen

10. White Noise und Black Metal

Anmerkungen

11. Nazi-Satanismus und der Neue Äon

Anmerkungen

12. Christliche Identität und Schöpferkraft

Anmerkungen

13. Rassistisches Nordisches Heidentum

Anmerkungen

14. Der Verschwörungsglaube und die Neue Weltordnung

Anmerkungen

Schluss

Die Politik der Identität

Anmerkungen

Kontakt zum Verlag

Einleitung

Der deutsche Nationalsozialismus hatte einen starken Hang zum Religiösen und Mythischen. Das Dritte Reich wirkte oft wie ein einziger Kult: eine permanente Verklärung der eigenen Macht in kultischen Formen. Dem Weihespielhaften und Quasi-Liturgischen der nazistischen Großveranstaltungen stand die außerordentliche Glaubensglut der gewaltigen Massen gegenüber, die bei diesen Gelegenheiten zusammenströmten. Kaum ein Teilnehmer konnte sich der dichten Atmosphäre aus kollektiver Erregung und Hingabe entziehen. Die Nationalsozialisten schufen für ihre Zwecke eine Religiosität besonderer Art, eine Religiosität mit dem Hauptbezugspunkt Hitler. Sie speiste sich einmal aus Hitlers eigenem unleugbarem Charisma, aber auch aus der metaphysischen Überhöhung dieser Figur durch andere, dem sogenannten Führerkult, den die Bewegung seit ihren frühesten Jahren eifrig praktizierte und nach ihrem Sieg stetig fortentwickelte. Gottesdienstartige Massenkundgebungen, Fahnen, heilige Flammen, prozessionsähnliche Umzüge, Reden im volkstümlichen Stil fundamentalistischer Prediger, litaneihafte Wechselreden zwischen Einzelsprecher und Menge, Gedächtnisfeiern und Trauermärsche – ungeniert wurden dem sakralen Inventar Versatzstücke entlehnt, die sich brauchen ließen, um der Verehrung des Allerhöchsten einen gebührenden rituellen Rahmen zu geben. Das Allerhöchste freilich erblickte man nun in Nation und Rasse, in der Sendung des arischen Deutschtums und im Sieg über dessen Feinde – zuvörderst aber in jenem Mann, der Deutschland vor diesen zu retten angetreten war: Adolf Hitler, dem braunen Messias.

Auch in der nationalsozialistischen Ideologie finden wir zahlreiche Elemente, die eindeutig religiösen Vorstellungswelten entlehnt sind, allerdings hauptsächlich solchen fundamentalistisch-radikaler Ausrichtung, die einem krassen Schwarz-Weiß-Denken huldigen. Nehmen wir etwa den Glauben an eine jüdische Weltverschwörung, der eine bestimmte Bevölkerungsgruppe kurzerhand zum dämonischen Feind stempelt. Der Glaube stützt sich auf eine obskure Textsammlung, die berüchtigten Protokolle der Weisen von Zion; obwohl seriöse Forschung diese Schrift – Erstpublikation in Buchform: Russland, 1905 – längst als Fälschung entlarvt hat, war und ist sie eine Lieblingsquelle der Antisemiten. Die Nazis bezogen aus ihr jene apokalyptische Dämonologie, welche die Juden für alles verantwortlich machte, was ihnen an der modernen Zeit übel erschien: so für Liberalismus und Kommunismus, für den Verfall der Moral und den Schwund der traditionellen Werte. Was immer geschah, betrachtete man durch diese Optik. Die Juden »waren an allem schuld«, natürlich auch am Untergang des alten Vaterlandes im Jahr 1918 und an all den demütigenden Misslichkeiten seither. Aber Deutschland, versicherten die Nationalsozialisten, werde wiedergeboren in einem neuen Reich, einem »Tausendjährigen Reich« gar. Apokalyptische Visionen, in denen durchaus Bedrohliches mitschwang, denn nur ein rassisch reines Deutschland, hieß es, habe die Chance, als Nation dauerhaft zu bestehen. Dies aber sei unmöglich ohne die Ausschaltung der Juden. Alfred Rosenberg, der Chefideologe der NSDAP, war einer der Ersten, der eine deutsche Fassung der Protokolle veröffentlichte. Bei der Erarbeitung einer konsistenten nationalsozialistischen »Philosophie«, an der sich Rosenberg in den 20er-Jahren versuchte, kam den Protokollen zentrale Bedeutung zu. Dietrich Eckart, Hitlers Mentor in München, verfocht ebenfalls eine gnostisch-dualistische Weltsicht, die das Judentum als ewigen Gegenspieler der deutschen Nation betrachtete. Hitler selbst hielt an dem Glauben, der Deutsche müsse sich des Juden erwehren, nicht nur ein Leben lang fest, sondern ließ ihn auch auf schreckliche Weise Wirklichkeit werden: im Holocaust.

Doch nicht allein die Imagination einer jüdischen Weltverschwörung hatte es schon vor Hitler und den Seinen gegeben. Viele der braunen Ideologeme waren keine »Eigengewächse«: nicht die mythische Erwähltheit einer Herrenrasse, nicht das Tausendjährige Reich, nicht das Wirken dämonischer Kräfte hinter den politischen Kulissen. Das »Tausendjährige Reich« etwa findet sich schon in der Offenbarung des Johannes; und die Erwartung, die gegenwärtige Welt sei zum Untergang verdammt und bald werde eine neue, bessere kommen – »Millenarismus« oder »Chiliasmus« genannt – teilten religiöse und politische Fanatiker aller Jahrhunderte, auch jene, welche die Nationalsozialisten zu ihrem Welterlösungswahn inspirierten.

Dass sich das Transzendentale trefflich zur nationalen Missionierung nutzen ließe, hatten nämlich kurz zuvor bereits andere erkannt, und die Nazis übernahmen deren Erkenntnisse fast eins zu eins. Wer aber waren diese unmittelbaren Anreger? Dieser Frage bin ich in meinem Buch Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus nachgegangen und habe zu zeigen versucht, dass die Hauptimpulse aus bestimmten Milieus deutschnational gesinnter Österreicher kamen, die ihre einschlägigen Theorien in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entwickelten; führend dabei: die völkische Bewegung der Ariosophen, der »Bewahrer der arischen Weisheit«. Zur Förderung eines deutschen Identitätsgefühls unterfütterten diese ihre Konzeptionen mit quasi-religiösen, ja sogar okkulten Ideen. Kein Wunder, sahen sie doch das Deutschtum hauptsächlich von gewissen Spätfolgen der Aufklärung bedroht: dem Liberalismus, dem Laissez-faire-Kapitalismus und dem Autonomiestreben nichtdeutscher Völkerschaften in der Doppelmonarchie, die immer lauter ihre Forderung nach nationaler Selbstbestimmung artikulierten. Das Entstehen großindustrieller Komplexe und neuer Metropolen voller Massenverkehr und Geschäftsleben, die wachsende Bedeutung des Finanzkapitals und das Aufkommen von Gewerkschaften verunsicherten in jener Zeit die traditionell Orientierten stark. Einige mühten sich um geistiges Rüstzeug zur Abwehr, darunter die Ariosophen. Sie meinten das Allheilmittel gegen sämtliche Kräfte zu kennen, die unwillkommenerweise tradierten Status, tradierten Brauch und tradierte politische Autorität in Frage stellten: die Rückbesinnung der Deutschen auf die Zugehörigkeit zu einer überlegenen Rasse. Was man als die eigene Rasse begriff – das »Nordische«, »Germanische«, »Arische«, – wurde verklärt, alle Andersartigen dagegen stigmatisiert, namentlich die Juden, denn in ihnen sah man Urheber und Nutznießer des Liberalismus und der Modernisierung. Zwar haben damals auch seriöse Wissenschaftler – besonders Anthropologen und Eugeniker, deren Disziplinen sich gerade im Aufschwung befanden – bestimmte Menschengruppen und ihr Erbgut abgewertet. So weit indes wie jene völkischen Eiferer mochten sie nicht gehen, zumal diese die Zuordnung bestimmter Eigenschaften zu bestimmten Rassen aus reichlich esoterischen, eben okkulten Quellen herleiteten. Tatsächlich haftete den Ariosophen etwas Sektiererisches an. Dennoch waren ihre Gespinste bald Gedankengut einer Massenorganisation. Das Postulat der Überlegenheit des Ariertums, die Diskriminierung der Juden als Volksschädlinge und der Mythos einer Wiedergeburt Deutschlands in einem Tausendjährigen Reich wurden entscheidende Bauelemente der nationalsozialistischen Ideologie – und erhielten so weltgeschichtliche Bedeutung.

Die Sorge Einheimischer, von Fremden an den Rand gedrängt zu werden, ist uns auch aus der Gegenwart geläufig, in der das Phänomen der multiethnischen Gesellschaft massive Probleme aufwirft. 1900 bildeten die weißen Europäer 35 Prozent der Weltbevölkerung; mittlerweile sind es nur noch 10 – eine Folge der sinkenden Geburtenraten unter den Weißen in den hoch entwickelten Industrienationen bei wahren demographischen Explosionen in der Dritten Welt; hinzu kommen bessere medizinische Versorgung, bessere sanitäre Bedingungen und die allgemein zunehmende Industrialisierung. Aus den Entwicklungsländern strömen massenweise Menschen, die zu Hause wirtschaftlich oder politisch keine Perspektive sehen, in die zuvor mehrheitlich von weißen Europäern und deren Nachfahren besiedelten Staaten. Die fortgeschrittenen Industrienationen absorbieren gezwungenermaßen eine ständig steigende Zahl von Migranten. Die offizielle Politik trägt dem Rechnung und fördert die Integration der Fremden; längst hat sie die Tolerierung rassischer Vielfalt zum Dogma erhoben. In den USA und in den meisten europäischen Ländern verschiebt sich die Bevölkerungsstatistik zuungunsten der Einheimischen. Nicht wenige von ihnen fürchten inzwischen um ihre Identität – ähnlich wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts viele deutsch empfindende Österreicher die Sorge plagte, dass sie wohl bald im Habsburger-Imperium nichts mehr zu sagen hätten.

Vergleichbare Ängste gibt es auch heute; und wieder entladen sie sich in völkischen Ausbrüchen. Die längst vergessen geglaubten Rassenlehren, die das »Ariertum« glorifizieren, sind keineswegs mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs verschwunden; sie haben überlebt und leben wieder auf, weil eine wachsende Zahl von Menschen in einer mythisierten rassischen Identität etwas erblickt, das ihnen angesichts der Verunsicherungen, denen die moderne Welt sie aussetzt, einen Halt zu geben vermag. Diesem Phänomen widmet sich das vorliegende Buch. Gut ein halbes Jahrhundert nach dem Untergang des deutschen Nationalsozialismus und des italienischen Faschismus in Schimpf und Schande sucht sich wieder eine extreme Rechte politisch Gehör zu verschaffen und bezieht Position gegen die freiheitliche Grundordnung der westlichen Demokratien. Globalisierung, Einwanderung und Gleichstellungsregeln produzieren Verlierer, die sich dann zunehmend empfänglich für radikale Denkweisen zeigen. Das Buch spürt den teilweise ziemlich entlegenen Quellen der rechtsextremen Ideologie nach und dokumentiert, in welchen Ausformungen sie sich der Öffentlichkeit präsentiert hat und weiter präsentiert – nennen wir nur Arierkult, aristokratisches Neuheidentum und antisemitische Dämonologie; aber auch diverse Rückgriffe auf asiatische Religionen und den großen Bereich des Okkulten werden wir behandeln. Zu derlei Esoterismen nämlich nehmen bestimmte Individuen und Gruppen in den USA und Europa, die durch die vorrückende Multikulturalität ihren sozialen Status, ihre kulturellen Traditionen und ihre Identität gefährdet sehen, besonders gern Zuflucht; sie basteln sich daraus eine Art subversiven Gegenentwurf.

Unser Panorama beginnt mit der Entwicklung des Neonazismus in den USA und Großbritannien. Auch die angelsächsische Variante des Spätvölkischen entstand als extremistische Defensivreaktion auf Kommunismus und Liberalismus, ergänzt um ein paar landestypische Spezifika, namentlich den Kampf wider jegliche Rassenintegration: die Schwarzafrikaner hier sollten ebenso ausgegrenzt bleiben wie die farbigen Einwanderer dort. Die radikale Rechte suchte ein geeignetes ideologisches Gegengift gegen den Liberalismus, besonders gegen die Tolerierung oder gar Förderung ethnischer Minderheiten; da erschien ihnen der geistige Fundus der braunen Vordenker gerade passend. In Untergrund-Publikationen pries man Hitler und den Nationalsozialismus; würde die weiße Rasse, hieß es, jenen Konzepten folgen, könne sie sich die weltweite Vorherrschaft auf ewig sichern. Zwar befehdete man inzwischen aktualitätshalber primär die Farbigen; dies bedeutet aber nicht, dass man den alten Antisemitismus ad acta gelegt hätte. Unverändert sah man im Juden den dämonischen Hauptfeind des weißen Ariertums. Niemand anders als die Juden, hieß es, steckten doch hinter den Bestrebungen, alle Rasseschranken zu beseitigen; so ließen sich Nationalbewusstsein und die traditionellen Werte und Loyalitätsgefühle, die den nationalen Zusammenhalt garantieren, leichter zersetzen. Und zersetzt werden müssten sie, einschließlich der Nationen selbst – dem großen Ziel zuliebe, das die Juden seit jeher verfolgt und nie aufgegeben hätten: der Eroberung der Weltherrschaft.

Dass der Antisemitismus im modernen rassistischen Diskurs ungemindert fortexistiert, obwohl dessen Hauptstoßrichtung inzwischen anderen Ethnien gilt, beweist die Zählebigkeit der dämonologischen Denkmuster des Nazismus. Sie folgen einer radikal dualistischen Einteilung der Welt in Hell und Dunkel, in Gut und Böse, die an die Sichtweise bestimmter religiöser Bestrebungen der Spätantike und des Frühmittelalters erinnert, besonders an die der Manichäer und der Gnostiker – fundamentalistischer Gruppen, die teils in Konkurrenz zum Christentum, teils als häretische Opposition zu dessen offizieller Linie entstanden waren. Wie die Gnostiker sich in einer moralisch verschatteten Welt von der lichten göttlichen Transzendenz abgeschnitten fühlten, sahen die amerikanischen und britischen Neonazis um sich herum nur liberalistisch verblendete Zeitgenossen, die nicht begriffen, dass einzig eine Politik nach Art des Nationalsozialismus der weißen Rasse Schutz vor Überfremdung bieten könne. Auch die chiliastische Erwartung einer Ideal-Epoche gehörte bereits zum Gedankengut bestimmter Ketzergruppen, das die Neuvölkischen allerdings rassistisch einfärbten. Jedenfalls bilden der Glaube an ein reinrassiges Tausendjähriges Reich und der Gut-Böse-Dualismus mit den Juden in der Rolle des Bösen die Hauptelemente neonazistischer Religiosität.

Von den 1950er- bis in die 1970er-Jahre imitierten Neofaschisten und Neonazis weitgehend das Erscheinungsbild der Vergangenheit: uniformierte Kampftrupps, Märsche, Hakenkreuzfahnen. Politische Parteien entsprechender Ausrichtung gab es auch wieder, aber sie wuchsen nie übers Marginale hinaus. Sie waren ein Reservat für Fanatiker; Zutritt hatte nur, wer die alten Bewegungen bewunderte; wenigstens musste er radikaler Antisemit sein. Zwar wurde der enge nationale Rahmen der Hitlerianer ins Globale erweitert: Nicht allein das Deutschtum, sondern die weiße Rasse allgemein sollte gerettet werden. Und doch blieb Nazideutschland als historisch-politischer Erfahrungsfundus das gültige Modell, dem man nacheifern wollte. Diese unbedingte Treue gegenüber den Vorbildern, ja deren kultische Vergötzung kennzeichnet sämtliche spektakulären Versuche einer Wiederbelebung des braunen Reichs im angloamerikanischen Raum; bei dem amerikanischen »Führer«-Imitat George Lincoln Rockwell finden wir dies ebenso wie bei seinem britischen Pendant Colin Jordan, desgleichen bei all ihren Anhängern und Nachfolgern. Die Haltung verurteilte jene Gruppen freilich auch zur Wirkungslosigkeit: Wo die Verdammung des Dritten Reiches und des Holocaust allgemein respektierter Konsens war, hatte, wer Hitler und die Seinen verklärte, keine Aussicht auf politischen Erfolg.

Wenn Rechtsextreme politisch nicht weiterkommen, greifen sie gern ins Metaphysische, um ihren Gedanken sozusagen höhere Weihen und damit mehr Zugkraft zu verleihen. Mystik macht zumindest interessant. Schon die Ariosophen des beginnenden 20. Jahrhunderts waren so verfahren; seit den 1970er-Jahren nun versuchen nicht wenige neonazistische und neofaschistische Gruppen das Gleiche. Sie kämpfen gegen eine Gesellschaft, die isoliert und ächtet, was sich nicht in den liberalen Mainstream fügt, und suchen für diesen Kampf immer häufiger transzendente Rechtfertigungen, die von der politischen Tagesrealität abstrahieren und ältere Gedankenwelten bemühen, aus denen sich, so behaupten sie, ersehen lasse, dass bestimmte Rassen anderen eben doch überlegen seien. Zu diesem Behufe sichten sie die abend- wie die morgenländische Geistes-, Religions- und Mythengeschichte und schauen, was ihnen nützlich erscheint – wobei ihnen gewisse sektiererische Philosophen des 20. Jahrhunderts einen Teil der Sucharbeit abgenommen haben, deren »Erkenntnisse« sie dankbar heranziehen. Eine wesentliche Rolle spielt die Berufung auf die okkulten, angeblich uralten »Lehren der arischen Weisheit«, die einen neuen Kult begründen sollen. Die klassische Verehrung der »Herrenrasse« wird versetzt mit Entlehnungen aus orientalischen Religionen und europäischer Esoterik. Einen bedeutsamen Beitrag zu dieser Entwicklung leistete in Deutschland und Österreich der ehemalige SS-Mann Wilhelm Landig. Er versuchte eine Wiederbelebung des ariosophischen Mythos um das sagenhafte Land Thule, weit im Norden gelegen, die angebliche Heimat der ursprünglichen Arier. Er fabulierte die Idee der »Schwarzen Sonne«, einer geheimnisvollen Energiequelle, die in der Lage sei, die arische Rasse zu regenerieren; das passende Symbol dazu, das man künftig anstelle des (verbotenen) Hakenkreuzes verwenden solle, wählte er aus dem germanischen Zeicheninventar: eine Radfigur mit zwölf gewinkelten Speichen. Er popularisierte esoterische Theorien über Atlantis und prähistorische Sintfluten, die Welteislehre und tibetanische Rassenmythen - Gedankengut, das bei den Völkischen schon vor Hitler im Schwange war und später namentlich von der SS kultiviert wurde. Ferner machte er das große Interesse Hitlers für ketzerische Bewegungen des Mittelalters bekannt, die Katharer zumal und die Gralssucher; an deren Haltungen, so Landig, habe Hitler anknüpfen wollen, um eine besondere germanische Religion zu konstruieren, eine Art Spezialversion der dualistischen Häresie. In Italien wiederum begründete der Mussolini-Vertraute Julius Evola eine eigene Tradition des aristokratischen Elitarismus und der arisch-nordischen Esoterik. Der römische Baron hat die erste Generation der Neofaschisten nach dem Zweiten Weltkrieg bestimmend geprägt. Wenn rechtsextreme Terroristen aus Italien in ein anderes europäisches Land fliehen mussten, nahmen sie Evolas Ideen mit und gaben sie an die dortigen rechtsextremen Parteien und Gruppen weiter. Sie wirkten über seinen Tod 1974 hinaus; in den späten 80er-Jahren avancierte der vorher kaum bekannte Philosoph gar zur Ikone der Opposition gegen Demokratie und Liberalismus im Westen.

Zur Legitimation der geforderten Herrschaft des Ariertums zog auch Evola indische Heilslehren heran, den Hinduismus etwa und den Tantrismus. Der Blick nach Indien war unter Rechtsextremen schon länger gang und gäbe. Allein die strikt hierarchischen Strukturen des Kastenwesens mussten sie faszinieren. Was sie über indische Spiritualität wussten, bezogen sie überwiegend aus den Schriften der Theosophen, einer religiös-philosophischen Sekte, die seit dem späten 19. Jahrhundert orientalischen Mystizismus für das Abendland fruchtbar machen wollte. Manche Ideen der Theosophie sind zumindest rassistisch missdeutbar. Zu den ersten Neo-Nazis, die nach dem Krieg die eigene Ideologie mit (theosophisch adaptiertem) indischem Gedankengut anzureichern trachteten, einschließlich einer Neudeutung des hinduistischen Kastenprinzips, gehörte der Amerikaner James Madole. Ähnliche Amalgamierungen versuchten Savitri Devi und Miguel Serrano, deren mystizistische Doktrinen in der rechten Szene als Geheimtipps gehandelt werden. Savitri Devi, gebürtige Französin, später Wahlinderin, brachte es zur Leitprophetin einer neuen Richtung des Hinduismus, der viel Schmeichelhaftes für die braune Bewegung erschaute. Hitler etwa sei ein Avatar, die Verkörperung eines Gottes in Menschengestalt, und zwar verkörpere er den Gott Vishnu. Den Nationalsozialismus setzte Devi mit dem Shiva-Kult gleich; immerhin glaubten beide an das unbedingte Zusammengehören von Zerstörung und neuer Schöpfung. Unter Bezug auf die hinduistische Lehre vom Zyklus der vier Zeitalter behauptete sie, gegenwärtig lebe die Menschheit im Kaliyuga, im »dunklen Zeitalter des Streits«, das nur beendet werden könne durch die regenerative Gewalt von Krieg und Völkervernichtung. Miguel Serrano, erst chilenischer Diplomat, dann freier Schriftsteller, verschmolz Elemente exotisch-orientalischer Religion mit gnostisch-manichäischen Vorstellungen zu etwas, das er »Esoterischen Hitlerismus« nannte. Halbgötter seien die Arier, verkündete Serrano, und obendrein außerirdischen Ursprungs; leider habe im Laufe der Zeit ihr erhabenes Wesen durch Vermischung an Kraft eingebüßt. Dagegen empfahl er das tantrische Kundalini-Yoga; dieses könne das »mystische arische Blut«, wo es verdorben sei, reinigen und ihm die frühere Eigenschaft als Bewahrer des göttlichen Lichts wiedergeben. Des Weiteren war bei Serrano die Rede von einem gnostischen Krieg gegen die Juden, von der Schwarzen Sonne, von Hitler als Avatar und von Nazi-UFOs in der Antarktis. So schaffte sich der Neonazismus neue Mythen und neue Weltdeutungsmuster, um jüngere Generationen anzusprechen.

Deutlich stand und steht hinter all dem der Wunsch, den Nationalsozialismus aufzuwerten. Ironischerweise haben zu dieser Aufwertung auch Autoren nicht-nazistischer Provenienz beigetragen, die den Nazis den Gefallen taten, sie ins Dämonische zu überhöhen. Sie warfen sich in die Pose mutiger Enthüller, die bisher wenig bekannte – eben »okkulte« – Seiten der braunen Bewegung beleuchteten; tatsächlich ging es den Schreibern aber wohl eher ums Geschäft mit der Sensation. Die 60er- und 70er-Jahre bescherten der Welt zahllose Thriller und Pseudo-Sachbücher, meist reißerisch aufgemachte Paperbacks, die den Nationalsozialismus mystifizierten und romantisierten, ihn emporhoben zu einer neuzeitlichen Religion, in welcher sich abendländische Gnostik, orientalische Mystik, tibetanische Geheimlehren und diverse Dämonenkulte mischten – oder waren die nazistischen Akteure gar selbst von Dämonen gelenkt? Der Effekt solcher Werke war eine Enthistorisierung: Die Faktizität von Diktatur, Krieg und Unterdrückung verschwand hinter einem mythologischen Brimborium. Was die Trivialliteratur dergestalt vorgegeben hatte, fand bald sein Echo in der Realität. Schon während der frühen 70er-Jahre tändelten amerikanische Satansjünger mit Nazistischem, das ihnen eine Chiffre für die tabuisierte dunkle Seite des Lebens war. Zu dieser dunklen Seite wollten sie sich provokativ bekennen, und dafür nutzten sie das Schockpotential brauner Symbole und Ideen. Hatte diese Annäherung noch den Charakter eines oberflächlichen Flirts, so verhielt sich dies bei späteren Gruppen anders. Die 90er-Jahre brachten einen genuinen nazistischen Satanismus, getragen von »schwarzen Logen« in Amerika, Europa und Australien. Der predigte ein krass antichristliches Neuheidentum und sah in den braunen Herren, die ein solches ja auch angestrebt hatten, geistige Vorläufer, weshalb er, allen zivilgesellschaftlichen Konsens bewusst ignorierend, ohne Scheu Hitler und das Dritte Reich pries. In der Ideologie dieser Strömung fand sich Verschiedenes zusammengerührt, das sich aus elitärer Sicht zur antichristlichen Polemik eignete: etwa eine vulgärnietzscheanische Vergötzung von Macht und Stärke, Sozialdarwinismus und Herrenrassendenken.

In den 80er- und 90er-Jahren stieß die extreme Rechte auf dramatisch steigendes Interesse, namentlich unter einer verunsicherten weißen Jugend und einheimischen Niedriglöhnern, die sich mehr und mehr marginalisiert sahen durch die neue High-Tech-Industrie und die fortschreitende Integration ethnischer Minderheiten. Das rasche Anwachsen der Immigration aus den Entwicklungsländern schuf in den USA und den Staaten Westeuropas neue Angst vor Überfremdung. Letzteren trieb außerdem der Zusammenbruch der Sowjetunion und Jugoslawiens jede Menge Osteuropäer ins Haus, daneben Sinti und Roma. Freihandelsabkommen, der Rückgang der traditionellen Industrieproduktion, die internationale Beweglichkeit der Wirtschaft – dank moderner Computertechnologie – und, damit verbunden, die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland brachten den Liberalismus weiter in Misskredit und bereiteten rassistischen Haltungen den Boden.

Im Zeitalter der Globalisierung strömen Kapital, Information, Know-how und Personal massiv und ungehindert über die nationalen Grenzen – mit grundlegenden Folgen gerade für den Westen, der sich in einer Phase rascher und weitreichender Transformation befindet. Die Einheimischen in den fortgeschrittenen Industriestaaten sind längst nicht mehr unter sich; eine ständig wachsende Zahl von Menschen gesellt sich von außen hinzu: Wirtschaftsmigranten, Flüchtlinge, Asylanten, aber auch bestens ausgebildete Fachkräfte. Die eigene Kultur findet sich zunehmend konfrontiert mit bisher fremden Gebräuchen, Normen und Religionen. Am Beginn unseres neuen Jahrhunderts wird immer unverhohlener die Frage gestellt, ob der Nationalstaat überhaupt Zukunft habe. Nicht alle begrüßen diese Entwicklung; einige wünschen sich gar eine harte, radikale Konterattacke – Reflexe, wie sie ähnlich ein Jahrhundert zuvor schon einmal im Schwange waren. Wieder werden Liberalismus und Laissez-faire-Kapitalismus als Faktoren unwillkommener, ja bedrohlicher Veränderung betrachtet. Und wieder empfiehlt eine extreme nationale Rechte zur Verteidigung der bedrohten Identität die Rückbesinnung aufs Völkische, auf die Bedeutsamkeit der eigenen Rasse.

Für nicht wenige Einheimische, die ihren Status durch die vielen Fremden gefährdet wissen, bildet »Identität« eine Art letzte Zuflucht. Meist handelt es sich um rassische oder religiöse Identität, oft gar um eine Verquickung aus beidem. In den USA gibt es einen Hauptstrom des weißen Rassismus, den man als Christian Identity – »Christliche Identität« – bezeichnet (und dem etwa der Ku-Klux-Klan zugerechnet wird). Die Anschauungen dieser Gruppen vermengen den Dualismus bestimmter christlicher Häretiker mit einer antisemitisch pervertierten Theologie, die in den Juden die »Ausgeburt Satans« sieht. Ähnliche Eigenschaften weisen sie sämtlichen Nicht-Weißen zu, also Menschen afrikanischer, asiatischer oder lateinamerikanischer Abkunft. Ein minderwertiges und bösartiges Gezücht seien diese mud races (»Schlammrassen«); nicht um Gleichberechtigung gehe es ihnen, sondern darum, die arische Herrenrasse zu schwächen, wenn nicht gar zu vernichten; deshalb machten sie sich jetzt überall breit, wo früher nur die Weißen schalteten und walteten. Die Vertreter der Christian Identity berufen sich ganz ohne Scheu auf die Ideologie des Nationalsozialismus, namentlich auf ihre Dämonologie und ihre Endzeitvisionen, bekunden ungeniert ihre Verehrung für Adolf Hitler und benutzen schamfrei die Symbole des Dritten Reiches. Und wie ihre Vorbilder hetzen sie zur Gewalt auf, die ihnen immer gerechtfertigt erscheint, wenn es der Erringung oder dem Erhalt weißer Prädominanz dient. Andere Gruppen sind nicht christlich, sondern neuheidnisch ausgerichtet und vermischen ihren Rassismus mit nordischer Religion. Da werden Runen als geheime Zeichen überlieferter Weisheit und mystischer Bindung ans arische Blut zelebriert. In den USA, Großbritannien, Deutschland und Skandinavien brüten rassenfanatische Neuheiden über Runen, Magie und den finsteren Sagen um die nordischen Gottheiten Wotan, Loki und den Fenriswolf. Die heutigen Rassisten suchen Rat bei Mythen und Esoterik, bei alten Kosmologien und Prophezeiungen. Wenn ihnen dergestalt nur Botschaften vom Überirdischen noch Halt zu geben vermögen, verrät dies, welch bedrückende Sorgen ihnen die Zukunft weißer Identität innerhalb der multiethnischen Gesellschaft bereitet.

Dieses Buch war gedacht als Folgeband zu Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, der das Weiterleben nazistischer Okkultismen nach dem Zweiten Weltkrieg dokumentieren sollte. Darin, so meine ursprüngliche Erwartung, würde ich hauptsächlich schildern, wie irgendwelche unbelehrbaren Exzentriker fern aller Gegenwartsrelevanz altbraunes Gedankengut wiederkäuen und hilflos versuchen, ein wenig von der ehemaligen Strahlkraft faschistischer Mystik in die neue Zeit herüberzuretten. Doch je mehr meine Arbeit fortschritt, desto klarer wurde mir, dass ich die Darstellung breiter anlegen und anders perspektivieren musste. Was ich hier zu leisten hatte, könnte den Titel tragen: »Die Neuvölkischen in Amerika und Europa. Geschichte, Ideologie und Gruppierungen einer aktuellen Politreligion«. Ja, einer aktuellen, denn diese Bewegung, die so oft das Gestern bemüht, hat, wie meine Forschungen zumindest für die englischsprachigen Länder eindeutig belegen, durchaus das Heute und seine Probleme im Visier. Das völkische »Revival« ist, so gesehen, gleichsam die rückwärtsgewandte Reaktion auf den Siegeszug von Liberalismus und Globalisierung seit Beginn der 1980er-Jahre.

Alte und neue Völkische haben gemein, dass es sich bei ihrer Weltanschauung um eine Defensiv-Ideologie handelt. Während die originale völkische Bewegung im späten 19. Jahrhundert die deutsche Identität gegen die beginnende Moderne und ihre nivellierenden Tendenzen verteidigte, so verteidigen die Neuvölkischen die weiße Identität gegen Multikulturalismus, Gleichberechtigung und Massenimmigration aus der Dritten Welt. Die Weißen, so postulieren sie, sollen sich ihres Wertes wieder bewusst werden, sollen, um einen ihrer gängigsten Slogans zu zitieren, white pride zeigen, »weißen Stolz«. Die Ideologie, eine Art theoretischer Unterbau für den politischen Kampf, will nun genau bestimmen, was die so verehrte Identität eigentlich ausmacht und was nicht, und warum sie derart wertvoll ist. Und eben bei dieser Bestimmung kommen die Neuvölkischen – wie schon ihre Vorläufer – fast zwangsläufig ins esoterische Spintisieren und fabulieren von der allen überlegenen arischen Edelrasse, ihrem Geheimwissen und ihrem okkulten Erbe. Ein paar harmlose, isolierte Phantasten? Kaum. Die westliche Gesellschaft steht vor einer fundamentalen Herausforderung ihrer kulturellen Identität, und viele befürchten ihren Verlust. Wie die Ariosophen während der Hochzeit ihrer Aktivität (ca. 1890-1930), so artikulieren auch die heutigen White-pride-Gruppen diese Befürchtungen nur eben am radikalsten. Die alte völkische Bewegung war der ideologische Vorgänger des Nationalsozialismus und des Dritten Reiches. Das Aufkommen einer neuen völkischen Bewegung sollte uns also nachdenklich stimmen. Bisher erscheint die Lage stabil, aber wird dies in zwanzig, dreißig Jahren immer noch so sein, wenn »die Weißen« sich mehr und mehr marginalisiert sehen? Werden diese nicht irgendwann eine andere Politik, ja eine andere Gesellschaft fordern? Mir ist wohl bewusst, dass meine Studie über den Rassismus der Gegenwart hier und da provoziert. Sie liefert nicht immer das Resultat, das die politische Korrektheit sich wünschen mag, und sie wirft Fragen auf, die der liberalen Elite unangenehm sind und die sie daher entweder ignoriert oder für unzulässig erklärt.

Die neue rassistische Religiosität birgt beträchtliche Gefahren. Indem man die eine Rasse ins Helle stellt, rückt man alle anderen Rassen zwangsläufig ins Dunkle und macht deren Angehörige zu einem finsteren Popanz, auf den man die eigene Unzufriedenheit, Angst und Besorgnis projiziert. Die »Dunklen«, Träger allen Übels, erscheinen geradezu als Ursache dessen, was die »Hellen« bedrängt. Eine Verunstaltung und Perversion religiöser Transzendenz, nur dazu geschaffen, die Wirkkräfte von Hass und Ausgrenzung freizusetzen. Echte Spiritualität verbindet und führt im Namen des Höchsten zusammen; hier aber wird Parteilichkeit geübt, auseinandergerissen, eingeschränkt. Eine rigide Selbstgerechtigkeit zimmert sich da einen primitiven Dualismus auf geistigem Kellerniveau zurecht, demzufolge das Heil durch Vernichtung des Anderen gewonnen wird. Die politisch motivierte Projektion des religiösen Manichäismus auf Unterschiede zwischen Menschengruppen kann nur Unfrieden und Gewalt gebären. Wer die einen für grundsätzlich gut, die anderen für grundsätzlich böse erklärt, den einen als wesenhaftes Attribut das Licht, den anderen die Finsternis zuweist, vergeht sich an der Menschlichkeit, ja an der Menschheit selbst. Eine dergestalt erniedrigte Religion führt niemals zum Licht, sondern immer nur in die Finsternis. Das vorliegende Buch soll diese verhängnisvollen Glaubenslehren dokumentieren und auch begreiflich machen, warum sie trotz ihrer Abwegigkeit immer mehr Gefolgsleute finden. Vielleicht helfen diese Einblicke, so die Hoffnung des Autors, zu verhindern, dass noch einmal ein pseudoreligiöser Rassenfanatismus die Welt in Brand setzt.

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Über den Autor

Zum Autor

NICHOLAS GOODRICK-CLARKE, geboren 1953, britischer Historiker, lehrte u.a. in Oxford. Sein Spezialgebiet: die Geschichte der modernen Esoterik im Westen und deren Funktionalisierung durch politische Strömungen. Sein Buch Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus erlebte seit der Erstveröffentlichung 1985 mehrere Neuauflagen und wurde in acht Sprachen übersetzt.

Zum Buch

Zum Buch

»Ein exzellentes Buch, das uns einen deutlichen und oft erschreckenden Leitfaden bietet.«
Journal of European Studies

Der neue Nazismus kommt metaphysischer daher als der alte. Es beginnt in den 1970-er Jahren und verstärkt sich in den 1990-ern: militante Fremden- und Minderheitenfeinde reichem ihre Propaganda mit Elementen des Mystischen, Esoterischen, ja fast Religiösen an. Konspirative Kulte und Geheimlehren sollen dem eigenen Tun - und dem der bewunderten Vorgänger - höhere Weihen verleihen. Der Autor hat den rechtsradikalen Untergrund umfassend erforscht. In vielen Gesprächen erkundete er die Weltanschauung der einschlägigen Politsekten und spürte den Quellen nach, aus denen sie sich ihre Inspiration holen. Im Schatten der Schwarzen Sonne dokumentiert ihr geistiges Rüstzeug, beleuchtet Mentalität und Motivation der Beteiligten. Was treibt jene um, die heute Adolf Hitler und seine Ideen nicht nur verehren, sondern dazu noch mythisch-sakral verklären, und wer sind diese späten Jünger? Das Buch gibt detailliert und wohlfundiert Antwort. Dabei lässt der Verfasser die Propheten einer indisch-nordischen Ariermystik ebenso Revue passieren wie rassistische Skinheads, braune Satanisten, Teile der Heavy-Metal-Szene und okkultistische Literaten.

»Nicholas Goodrick-Clarkes vorige Studie erkundete die bis dahin kaum bekannten okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus. In seiner jüngsten Veröffentlichung leistet er die gleiche unschätzbare Pionierarbeit für die ideologischen Hirngespinste der Neofaschisten nach 1945.«
 
Walter Laqueur, Historiker und Publizist
Autor des Standardwerks
Faschismus: gestern – heute – morgen

 
»Gibt einen Besorgnis erregenden Einblick in die Gedankenwelt des modernen Rechtsextremismus.«
 
Library Journal, New York, Buchhandelsmagazin

 
»(…) [das Buch] ist unbestritten sehr wichtig und wird Ihnen sicherlich den Blick auf Schattenwelten eröffnen, von denen Sie meinten, sie würden nicht existieren.«
 
Fortean Times

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2. Der britische Nazi-Untergrund

Die totale Niederlage der Achsenmächte 1945 und die Enthüllung der nazistischen KZ-Gräuel verzögerte nur kurz das Wiedererstehen rechtsradikaler Bewegungen in Europa. Schon im März 1950 wagten faschistische und neonazistische Gruppen ein Treffen in Rom. Im Mai 1951 versammelten sich zirka hundert Delegierte einschlägiger Parteien aus Deutschland, Italien, Österreich, Frankreich, Spanien und Schweden im schwedischen Malmö. Ein weiteres Jahrzehnt, und die größeren neofaschistischen Parteien Europas konnten eine neue Internationale bilden. 1962 gründeten in Venedig Sir Oswald Mosleys Union Movement (»Einheitsbewegung«, England), die Deutsche Reichspartei, das Jeune Europe (»Junges Europa«, Belgien/Frankreich) und das Movimento Sociale Italiano den Dachverband National European Party.1

Während der Kriegsjahre hatten sich die Rechtsradikalen außerhalb Deutschlands überwiegend penetrant nazifreundlich artikuliert. Eines der prominentesten Beispiele: der bereits genannte Oswald Mosley (1896-1980), der 1932 die British Union of Fascists gründete, sich dann als Lobredner Hitlers hervortat und von seiner Regierung verlangte, dem braunen Deutschland einen Verhandlungsfrieden anzubieten, wofür er 1940 interniert wurde. Die faschistische Nachkriegs-Internationale hingegen achtete im Allgemeinen peinlich darauf, nicht mit Hitler, der SS, dem Nationalsozialismus und dem Holocaust in Verbindung gebracht zu werden. Ausgerechnet Mosley hatte diese Taktik vorgegeben. Der britische Oberfaschist beugte sich dem Zeitgeist insoweit, als er nun einen europäischen Einheitsstaat predigte, den er schon 1948 im Wahlprogramm seines Union Movement gefordert hatte. Die meisten englischen Rechtsextremen folgten Mosleys Linie; bei Nationalisten freilich und vielen unorganisierten Faschisten erntete sie heftigen Widerspruch. Man konnte erwarten, dass die Radikalen dieser Rücksichtnahmen irgendwann überdrüssig würden. Im Frühling 1962 war es so weit. Colin Jordan, schon viele Jahre Aktivist in der rechten Szene, seit zwei Jahren Chef einer eigenen Partei, des National Socialist Movement (der »Nationalsozialistischen Bewegung«) und bald der maßgebliche Neonaziführer Englands, bekannte sich offen zu Adolf Hitler. Sein Verbund zitierte im Erscheinungsbild ohne jede Scham alte Nazi-Requisiten, so Braunhemden, Kniehosen und Schaftstiefel; dazu wurde – auf deutsch – »Sieg Heil« und »Juden raus« gebrüllt und das Horst-Wessel-Lied gesungen. Freilich wollten auch die ungenierten Neubraunen eine Weltbewegung sein. Daher bildeten im August 1962 Nazigruppen aus sieben Ländern die World Union of National Socialists, kurz WUNS, als selbst ernannte Nazi-Internationale. Unter den Gründern: prominente Vertreter(innen) des rabiaten Ariertums wie George Lincoln Rockwell und Savitri Devi.

Colin Jordans englischer Neonazismus war eine radikale Reaktion auf die vermehrte Präsenz Farbiger in der britischen Gesellschaft. Während die amerikanischen Nazis gegen die zunehmende Emanzipation der »einheimischen« schwarzen Unterklasse protestierten, fochten ihre britischen Gesinnungsfreunde wider die stetig anwachsende Immigration Farbiger aus den Staaten des New Commonwealth seit den frühen 50er-Jahren. Doch nicht alles an diesem rassischen Nationalismus war rein reaktiv. Es lebten in ihm auch Traditionen des britischen Vorkriegsfaschismus weiter, so ein aggressiver Antisemitismus und eine rückhaltlose Bewunderung für Hitler und den deutschen Nationalsozialismus. Diese Ideale kennzeichneten die politische Programmatik Colin Jordans von den Kriegsjahren bis in die 90er- Jahre und machten ihn zum Hauptvertreter des britischen Hitler-Kults nach 1945. Wer den militanten Nazi-Untergrund der Gegenwart besser begreifen will, sollte sich näher mit Colin Jordan und seinem Aufstieg zur neonazistischen Führerfigur beschäftigen. Rechtsterroristische Formationen unserer Tage wie Combat 18 und David Myatts National-Socialist Movement verehren Jordan als großes Vorbild, ähnlich wie viele gewalttätige Rechte in Amerika George Lincoln Rockwell vergöttern. Auch dass Jordans »Karriere« in unmittelbarem Zusammenhang mit der Massenmigration steht, verleiht den englischen Vorgängen paradigmatische Bedeutung für bestimmte Entwicklungen im heutigen Europa.

John Colin Campbell Jordan wurde 1923 in Birmingham geboren. Er besuchte die Warwick School, eine renommierte Privatschule im nahen Warwick. Dort gewann er ein Stipendium für das Studium der Geschichte an der Universität von Cambridge. Mittlerweile tobte der Weltkrieg. Jordan unterbrach sein Studium und meldete sich freiwillig zur Fleet Air Arm (»Marineluftflotte«). Er wäre gern Marinepilot geworden, belegte auch entsprechende Kurse, scheiterte aber in der Abschlussprüfung. Unverdrossen ließ er sich zur Royal Air Force versetzen, um weitere Flugerfahrung zu sammeln. Ende 1944, behauptete er später, habe sich sein politisches Weltbild fertig entwickelt; er habe erkannt, dass England einen ungerechten Kampf kämpfe, und sei für einen Verhandlungsfrieden mit Deutschland eingetreten. Da als Flieger noch nicht voll einsatzfähig, wurde Jordan zurückgestellt. Man teilte ihn dem Royal Army Medical Corps zu, dem Sanitätscorps des britischen Heeres, wo er als Fachlehrkraft wirkte. Nach der Entlassung aus der Armee setzte er ab 1946 sein Studium am Sidney Sussex College in Cambridge fort. Und wie viele seiner Kommilitonen, die gleich ihm zwischendurch im Krieg waren und als schon reifere junge Erwachsene auf den Campus zurückkehrten, engagierte sich auch Colin Jordan im Universitätsleben außerhalb der Lehrveranstaltungen. So trat er in die Redaktion der Universitätszeitung Varsity (»Uni«) ein, desgleichen in den hochschuleigenen Debattierclub, wo er bald das große Wort führte. Er verließ das College 1949 mit einem guten Abschluss.2

Schon während seiner Universitätsjahre in Cambridge knüpfte Colin Jordan Kontakte zu mehreren nationalistischen und neofaschistischen Gruppen und warb vor Ort eifrig für rechte Ideen, streckte die Fühler aber auch ins Überregionale aus. An der Hochschule selbst gründete er den University Nationalist Club. Er trat ein in die antisemitische British Peoples Party (»Britische Volkspartei«), kurz BPP, und wurde bald in ihren Vorstand gewählt. Zu diesem Verbund ein knapper Rückblick. Die BPP war im Sommer 1939 von dem rührigen Faschisten John Beckett gegründet worden. 1937-38 hatte der Mussolini-Bewunderer Beckett bereits die Vorgängerorganisation geleitet, die National Socialist League (»Nationalsozialistische Liga«), gemeinsam mit einem anderen nicht unprominenten Rechtsradikalen, William Joyce. Dieser begabte Rhetoriker und Hitler-Verehrer floh 1939 nach Deutschland und machte von Berlin aus während des Krieges englischsprachige Rundfunkpropaganda für die Nazis. Dem affektierten Sprechton der britischen Oberschicht, dessen er sich dabei bediente, verdankte er seinen Spitznamen »Lord Haw-Haw«. Die Feindwerbung verzieh man ihm daheim nicht; 1946 wurde Joyce wegen Hochverrats hingerichtet. Die BPP nun pflegte weiter faschistisches Gedankengut, ohne wie die National Socialist League allzu explizit auf das braune Deutschland Bezug zu nehmen. Man rückte soziale Aspekte in den Vordergrund, namentlich ein bestimmtes Wirtschaftskonzept, das, von dem Schotten Clifford H. Douglas ersonnen, seit den 20er-Jahren bei den Rechtsextremen aller Welt im Schwange war und Social Credit hieß. Dieses Konzept verlangt, das monetäre System (»credit«) so umzubauen, dass es dem gesellschaftlichen Wohlstand und Fortschritt (»social«) dient. Raffendem Kapital, Zinsknechtschaft und Spekulation, kurz, der omnipotenten Herrschaft des Geldes wird der Kampf angesagt. Ein kompliziertes Umverteilungssystem soll allen Individuen ein auskömmliches Leben garantieren. Solcher »Antikapitalismus rechtsrum« erschien im England jener Jahre gesellschaftsfähiger als eine offener Parteinahme für das Dritte Reich. Diese vermied die BPP sorgfältig und forderte stattdessen lieber Friedensverhandlungen mit Deutschland: ganz im Sinne des Herzog von Bedford, eines prominenten englischen Pazifisten, unter dessen aristokratischer Patronage die BPP stand. So überlebte man Kriegsende und Internierung. Colin Jordan versuchte bald wieder, die rechte Sache im mittelenglischen Raum zu fördern. Nach seinem Weggang aus Cambridge gründete Jordan noch rasch in seiner Geburtsstadt den Birmingham Nationalist Club und leitete ihn eine Weile, bis er nach Leeds weiterzog, wo er mehrere Jahre an einer Schule unterrichtete. In jener Zeit profilierte er sich als furioser Antikommunist, der sich mit einem nicht minder furiosen Antisemitismus verband. 1955 erschien sein erstes Buch, Fraudulent Conversion. The Myth of Moscow’s Change (»Unterschlagung. Der Mythos von Moskaus Meinungswandel«). Darin behauptete er, die Sowjetunion werde unvermindert von Juden gesteuert; auch wenn die antisemitischen Ausfälle der späten Stalin-Jahre und die pro-arabische Linie der jüngsten sowjetischen Außenpolitik andere Schlüsse nahelegen mögen. Der Titel ist doppelsinnig: fraudulent conversion (wörtlich: »betrügerische Aneignung«), bezeichnet den Straftatbestand der »Unterschlagung«; nun gehört die Verdächtigung, die Juden wollten durch Arglist die Welt in ihren Besitz bringen, ja zu den klassischen Topoi der antisemitischen Propaganda. Nimmt man jedoch den Untertitel hinzu und bedenkt eine weitere Bedeutung des verwendeten Substantivs, lässt sich fraudulent conversion auch lesen als »vorgetäuschter Kurswechsel«. Es gebe nämlich keinen, meint Jordan. Die Zwistigkeiten zwischen Kommunismus und Zionismus seien nur ein innerjüdischer Strategiestreit um den besten Weg zur Erlangung der Weltherrschaft.3

Eine seiner Bekanntschaften aus Cambridger Zeit sollte Jordans Mentor werden: der eingefleischte Antisemit Arnold Spencer Leese (1878-1956). 1929 hatte dieser die Imperial Fascist Ligue (»Faschistische Liga des Britische Imperiums«) gegründet, eine kleine, kaum zweihundert Mitglieder umfassende Partei, die sich, was prodeutsche und antisemitische Haltung betraf, im England der 30er-Jahre von keiner anderen Rechtsgruppe übertreffen ließ. Zu Oswald Mosleys British Union of Fascists wahrte die Liga stets Distanz. Leese betrachtete Mosley nämlich als Opportunisten und behauptete, sein Faschismus sei nicht im rassischen Nationalismus verwurzelt, wie sich das für echte Faschisten gehöre. Mosleys erste Frau sei gar jüdischer Abstammung gewesen, verbreitete Leese, und nannte den prominenten Rechtsextremenführer einen »koscheren Faschisten«, ja einen Agenten, den das Judentum in die nationalen Kreise eingeschleust habe, um den Faschismus in England zu diskreditieren.4 1929-39 publizierte Leese ein nazifreundliches Magazin, The Fascist genannt. Kein Wunder, dass er während der Kriegsjahre wie andere Rechtsradikale auch unter die sog. 18B-Regelung fiel, welche die Internierung aller Personen vorschrieb, die dringend verdächtig waren, zur Fünften Kolonne der Deutschen zu gehören. Nach seiner Entlassung nahm Leese die antisemitische Publikationstätigkeit wieder auf und veröffentlichte 1945-56 von seinem Altersdomizil im südenglischen Guildford aus seine skurrile Zeitschrift Gothic Ripples (etwa: »Gotische Zacken«).

In seinem ersten Buch nach dem Ende des Dritten Reiches, The Jewish War of Survival