Univ. Prof. Dr. ANTON GRABNER-HAIDER, geb. 1940 in Pöllau, war nach seinem Studium der katholischen und evangelischen Theologie in Tübingen, Bonn, Münster, Wien und Graz und seiner Habilitation für Philosophie viele Jahre als Verlagslektor des Styria Verlages für den Bereich Religion und Theologie tätig. Gleichzeitig lehrte er als Professor für vergleichende Religionswissenschaften und Philosophie an der Universität Graz. Er ist zudem Autor und Herausgeber von rund 40 religionswissenschaftlichen und theologischen Fach- und Sachbüchern.
Zum Buch
In 70 biographisch-werkgeschichtlichen Porträts werden maßgebende Vertreter abendländischen Denkens in ihrer Lebensgeschichte, ihren wesentlichen Gedankengängen und Wirkungen vorgestellt, die unser heutiges Philosophieverständnis prägen.
Damit erweist sich dieses Werk als überaus nützliches Handbuch, in dem kurz und prägnant die wichtigsten Fakten zu den großen Denkern von der Antike, mit Aristoteles und Platon, über Descartes, Kant und Nietzsche bis hin zu den Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts, von Sartre über Rorty zu Habermas zusammengetragen sind. Der Leser gewinnt eine konzise Auskunft auf Fragen, die in den heute stattfindenden Diskussionen seines Lebensumfelds immer wieder auftauchen und ohne einen solchen Leitfaden nicht zu denken oder weiterzudenken wären.
Anton Grabner-Haider
Die wichtigsten Philosophen
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ISBN: 978-3-8438-0213-0
www.marixverlag.de
Autorenverzeichnis/Beiträge
Einleitung
I. EUROPÄISCHE KULTUR
1. Pythagoras
2. Heraklit von Ephesos
3. Parmenides
4. Empedokles
5. Sokrates
6. Demokrit
7. Plato
8. Aristoteles
9. Epikur
10. Zenon von Kition
11. Plotin
12. Aurelius Augustinus
13. Albertus Magnus
14. Thomas von Aquin
15. Wilhelm von Ockham
16. Nikolaus von Kues
17. Niccolò Machiavelli
18. Erasmus von Rotterdam
19. Michel de Montaigne
20 Giordano Bruno
21. Thomas Hobbes
22. René Descartes
23. Blaise Pascal
24. Benedikt de Spinoza
25. John Locke
26. Isaac Newton
27. Gottfried W. Leibniz
28. Charles Louis Montesquieu
29. (François Marie Arouet) Voltaire
30. David Hume
31. Jean-Jacques Rousseau
32. Adam Smith
33. Immanuel Kant
34. Johann Gottlieb Fichte
35. Georg Wilhelm Friedrich Hegel
36. Friedrich Wilhelm Schelling
37. Arthur Schopenhauer
38. Auguste Comte
39. Ludwig Feuerbach
40. John Stuart Mill
41. Sören Kierkegaard
42. Karl Marx
43. Wilhelm Dilthey
44. Friedrich Nietzsche
45. Edmund Husserl
46. Bertrand Russell
47. Karl Jaspers
48. Ludwig Wittgenstein
49. Martin Heidegger
50. Karl R. Popper
51. Jean-Paul Sartre
52. Albert Camus
53. John Rawls
54. Jürgen Habermas
55. Richard Rorty
II. JÜDISCHE KULTUR
1. Philo von Alexandria
2. Salomo ibn Gabirol
3. Moses ben Maimon
4. Lewi ben Gerson
5. Moses Mendelssohn
6. Martin Buber
7. Ernst Bloch
8. Franz Rosenzweig
9. Walter Benjamin
10. Max Horkheimer
11. Theodor W. Adorno
12. Hannah Arendt
13. Emmanuel Levinas
14. Jean-François Lyotard
15. Jacques Derrida
Zu den Autoren
Literatur
Esterbauer, Reinhold:
M. Heidegger; J.F. Lyotard; M. Buber.
Grabner-Haider, Anton:
Pythagoras; Sokrates; Plato; Aristoteles; Zenon von Kition; Plotin; Aurelius Augustinus; Thomas von Aquin; Nikolaus von Kues; Erasmus von Rotterdam; R. Descartes; G.W. Leibniz; J.J. Rousseau; I. Kant; J.G. Fichte; F.W. Schelling; G.W. Hegel; A. Comte; B. Russell; L. Wittgenstein; E. Bloch; M. Horkheimer; A. Smith; D. Hume; Philo von Alexandria; Salomo ibn Gabirol; Moses ben Maimon; Lewi ben Gerson; Moses Mendelssohn; F. Rosenzweig; H. Arendt; Th. Adorno; S. Kierkegaard; J.P. Sartre; E. Husserl; B. Pascal; G. Bruno; W. Dilthey; W. Benjamin; A. Camus; M. de Montaigne; Ch. L. de Montesquieu; E. Levinas; J. Derrida; J. Rawls; R. Rorty; J. Habermas.
Heimerl, Theresia:
Albertus Magnus; W. von Ockham.
Von der Hellen, Roswitha:
Benedikt de Spinoza; F. Voltaire.
Ruckenbauer, Walter:
J.St. Mill; F. Nietzsche.
Salamun, Kurt:
K. Marx; K. Jaspers; K.R. Popper; N. Machiavelli.
Weinke, Kurt:
Heraklit; Parmenides; Empedokles; Demokrit; Epikur; Th. Hobbes; J. Locke; F. Bacon; A. Schopenhauer; L. Feuerbach
Philosophen haben als systematische Sucher nach Lebensweisheit und nach bewährtem Wissen in allen Regionen der Erde wesentlich zur Kulturentwicklung und zu den kulturellen Lernprozessen beigetragen, indem sie nach den Anfängen der Welt, nach den Gesetzen der Natur, nach den Regeln des gelingenden Zusammenlebens, nach den Formen unserer Erkenntnis und nach den moralischen Werten fragten. So gelang es ihnen in kleinen Schritten, die mythische Weltdeutung durch eine rationale Interpretation des Daseins abzulösen.
In diesem Buch werden die wichtigsten Philosophen der europäischen und der jüdischen Kultur in kurzen Porträts dargestellt. Dabei wird versucht, ihre grundlegenden Ideen und ihre Weisen der Weltdeutung umfassend in den Blick zu bekommen. Die Texte sind auf die wesentlichen Theorien und Sichtweisen konzentriert und allgemein verständlich verfasst. Sie wollen einem breiten Bildungspublikum die Grundideen der philosophischen Weltdeutung zugänglich machen.
Einen Schwerpunkt bilden die Philosophen der griechischen Antike, da es sich gezeigt hat, dass die Sophisten und die Sokratischen Schulen (Stoiker, Kyniker, Epikuräer) zu den Vordenkern der allgemeinen Menschenpflichten und Menschenrechte geworden sind. Im Gegensatz dazu konnten die aristokratischen Denker Plato und Aristoteles sich nicht darauf einigen, dass aufgrund einer allgemeinen Menschennatur alle Menschen und soziale Schichten den gleichen Wert haben.
Weitere Schwerpunkte liegen bei den Denkern der europäischen Aufklärung, die den umfassendsten Lernprozess der europäischen Kultur angestoßen und getragen haben. Im modernen und postmodernen Denken werden die jüdischen Philosophen in besonderer Weise berücksichtigt, denn sie bewältigten den Schock des Holocaust bzw. der Shoah auf mitfühlende und kreative Weise. Der jüdischen Kultur werden diejenigen jüdischen Denker zugeordnet, welche in ihren Ideen Bezug auf die jüdische Mythologie – auch in säkularisierter Form – genommen haben.
So haben sich die meisten Denker der postmodernen Kultur auf eine Vielfalt der philosophischen und wissenschaftlichen »Sprachspiele« eingestellt, ohne dabei die Frage nach der Wahrheit ganz aus dem Auge zu verlieren. Auch die Fragen nach Religion und Metaphysik bleiben weiterhin offen. Sie gewinnen in letzter Zeit stark an Aktualität, und vermutlich bewegen wir uns in der nächsten Zukunft immer deutlicher zwischen den naturalistischen und den religiösen Weltdeutungen (J. Habermas).
Graz, Sommer 2006
Er ist der erste Vordenker einer philosophischen Schule, die im 6. Jahrhundert in Unteritalien entstand. Geboren wurde er um 570 v. Chr. auf der Insel Samos, die wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen zu Ägypten unterhielt. Er wanderte in die griechische Kolonie Kroton aus, wo er die Herrschaft des Landadels unterstützte. Dort wirkte er an der Gesetzgebung und Verfassung der Stadt mit, er schuf ein Münzsystem und entwarf die Prägung der Münzen. Von daher dürfte sein Interesse an der Ordnung der Zahlen kommen.
Seine Lehren wurden mündlich überliefert, denn er verfasste keine Schriften. Seine Schüler schlossen sich zu Bünden (heteriai) zusammen, die hierarchisch gegliedert waren. Sie standen vereinzelt auch Frauen offen, so wird seine Tochter Theano als Mitglied erwähnt. Die zentralen Lehrinhalte mussten geheim bleiben. Die Bünde bestanden aus zwei Gruppen: a) Die Akusmatiker folgten der neuen Lebensform, sie waren in politischen Fragen konservativ. b) Die Mathematiker kannten darüber hinaus die philosophischen Lehren und waren für Neues offen. Die Lehre bestand zum einen aus einem mathematisch-wissenschaftlichen Teil, zum anderen aus religiösethischen Inhalten.
Nach dieser Lehre wirkt in jedem Menschen eine unsichtbare Seelenkraft (psyche), die nach dem Tod des Körpers fortlebt. Sie kann sich im Traum und in der Ekstase vom Körper trennen und ist das wahre Wesen eines Menschen. Wie ein Hauch wird sie gesehen, gehört aber zum Bereich des Göttlichen. Sie wird in mehrere Körper hineingeboren und folgt damit einem Kreislauf der Geburten (kyklos tes genneseos), um zuletzt wieder in die Region des Göttlichen zurückzukehren. Ähnliches lehrten auch die Gemeinschaften der Orphiker.
Die Seelenkraft muss sich in jedem Leben von den Folgen böser Taten reinigen. Diese Reinigung erfolgt zum einen durch die asketische Lebensform, zum anderen durch die wissenschaftlichen Bemühungen. Askese bedeutet den zeitweiligen Verzicht auf lustvolle und lebensnotwendige Erfahrungen. Das Fleisch von Tieren darf nicht gegessen werden, denn es könnte die Seele eines Freundes darin wiedergeboren sein. Deswegen lebten die Mitglieder der Schule vegetarisch. Die Einzelseele gehört dem beseelten Universum an, somit ist alles Lebendige miteinander verwandt. Jede Seele kann sich durch Askese und Wissenschaft dem göttlichen Bereich nähern, aus dem sie kommt. Sie wandert aber durch mehrere Leben, um dieses Ziel zu erreichen.
Kosmos und Menschenwelt werden durch die göttliche Ordnung geprägt. Diese zeigt sich uns Menschen in der Ordnung der Musik (harmonia), der Mathematik, des Kosmos und des Staates. In der Theorie (theoria) schauen die Menschen die göttliche Ordnung, so wie in den Kulten die Mysten den sterbenden und auferstehenden Gott schauen. Wer die göttliche Ordnung erfasst, wird dem Göttlichen ähnlich. Diese Ordnung aber drückt sich in Zahlen aus, die unser ganzes Leben regeln, da sich in ihnen die Ordnung der gesamten Wirklichkeit verkörpert.
In der Musik lässt sich die Ordnung der Töne durch Zahlenverhältnisse ausdrücken, sie hängt von der Länge der schwingenden Saiten ab. Wie in der Musik, so lässt sich auch das Wesen der gesamten Wirklichkeit durch die Zahlenverhältnisse darstellen. Begrenztes und Unbegrenztes sind die Anfänge (archaia) aller Dinge. Damit gilt die Zahl als die Wesensform aller Dinge, die Mathematik wird zur primären Methode für die Erforschung der Wirklichkeit. Die natürlichen Zahlen werden in gerade und ungerade eingeteilt; allgemein werden Zahlen als Konfigurationen von Punkten innerhalb geometrischer Schemata aufgefasst. Die gesamte Wirklichkeit folgt den Strukturen der Vernunft, sie ist folglich durch die Zahlenverhältnisse darstellbar.
Nach der Lehre der Pythagoräer brennt im Mittelpunkt des Weltsystems ein Zentralfeuer (pyr meson), das nicht die Sonne ist. Die Erde hat die Gestalt einer Kugel und dieselbe Beschaffenheit wie der Mond. Die mathematische Ordnung ist das Wesen der Wirklichkeit, und die mathematischen Einheiten sind ihre Bausteine. Das Werden der Welt lässt sich als das Werden der Zahlen verstehen. Die mathematischen Einheiten kommen aus einer kosmischen Einheit. Alles Einzelne muss sich der universalen Ordnung der Wirklichkeit unterwerfen, dies gilt auch für das Leben der Menschen.
Die Harmonie der Ordnung muss folglich im menschlichen Handeln verwirklicht werden. Hinter der kosmischen Ordnung verbirgt sich ein göttlicher Wille bzw. eine göttliche Weltregierung. Überhaupt hat die universale Ordnung göttlichen Charakter, denn das Göttliche ist für uns Menschen immer das Größere, Stärkere und Lichtvolle. Die pythagoräischen Bünde waren gemäß einer hierarchischen Ordnung mit einer aristokratischen Verfassung organisiert. Das Verhalten der Mitglieder wurde streng kontrolliert, auf diese Weise musste »dem Recht beigestanden« und das Unrecht bekämpft werden.
Auch das Wesen der menschlichen Tugend ist durch Zahlen darstellbar, denn die Seele und der Verstand sind Eigenschaften von Zahlen, die einzelnen Teile der Seele stehen in harmonischem Verhältnis. Die Tugend wird dann gelebt, wenn sich die menschliche Seele in die Harmonie der Gesamtwirklichkeit einfügt. Die Seele nähert sich dem Göttlichen, wenn sie die Tugend verwirklicht und sich vom Bösen fernhält. Alles Lebendige ist miteinander verwandt. Die Gesundheit des Körpers wird von den Ärzten (z. B. Alkmaion) als Gleichberechtigung (isonomia) der gegensätzlichen Kräfte verstanden.
Als Organ des menschlichen Denkens wird das Gehirn angenommen. Die Sinnesorgane übertragen die Reize der Außenwelt zum Gehirn, dabei verändert sich der Druck auf die einzelnen Sinnesnerven. Es wird bereits zwischen dem Wahrnehmen (aisthanesthai) und dem Verstehen (xynienai) unterschieden. In dieser frühen Denkerschule entfalten sich die mathematische und die naturwissenschaftliche Forschung im Kontext einer großen religiösen und ethischen Lebensordnung. Der weise Mensch muss sich in die kosmische Ordnung einfügen.
So hat die Schule der Pythagoräer die antike Wissenschaft entscheidend geprägt, ihre Wirkungen sind bis in die europäische Neuzeit hinein zu erkennen. Im 4. Jh. v. Chr. hat sich diese Schule aufgelöst, doch 200 Jahre später wurde sie als neupythagoräische Schule wieder gegründet (Apollinios vom Tyana, Nikomachos von Gerasa). Sie prägte das Denken der Spätantike und des frühen Christentums. Eine asketische Lebensordnung wurde mit dem Streben nach Wissen und nach kosmischer Harmonie verbunden.
Werke: Keine Schriften, nur Berichte anderer Philosophen.
Wegen der Unmöglichkeit einer absolut sicheren Datierung seines Lebens nimmt man an, dass seine philosophische Blütezeit zwischen 500 und 490 v. Chr. lag – dies bedeutet, dass er jünger war als Xenophanes (den er auch mit Namen erwähnt) und älter als Parmenides (der vielleicht sogar als sein heftigster Kritiker angesehen werden kann).
Herakleitos stammte aus vornehmem Geschlecht (seine Familie führte ihren Stammbaum auf König Kodros von Athen zurück) und blieb auch zeit seines Lebens stets einer extrem aristokratischen Gesinnung treu, weswegen er auch seiner Heimatstadt, die eine für ihn unerträgliche demokratische (besser gesagt: ochlokratische) Verfassung aufwies, den Rücken kehrte. Den offiziellen Anlass dazu bot die Ausweisung seines Freundes Hermodoros mit der Begründung, in Ephesos solle es keine den Durchschnitt überragenden Bürger geben. Er zog sich in das Gebirge zurück und soll sich (nach Diogenes Laertius IX, 1) von Gras und Pflanzen ernährt haben; dieser Lebensweise wird auch seine Wassersucht zugeschrieben, weswegen er doch wieder nach Ephesos zog, um die Ärzte zu fragen, ob sie aus Überschwemmung Dürre machen könnten. Da aber kein Arzt verstand, was er damit meinte, grub er sich selbst in Kuhmist ein, in der Hoffnung, die Wärme des Mistes werde das Wasser verdunsten lassen. So rätselhaft wie seine Frage an die ephesischen Ärzte klang, so rätselhaft erschien er auch späteren Interpreten, die ihm das Epitheton »der Dunkle« verliehen, genauso wie er auch seinen Zeitgenossen und späteren Interpreten als Misanthrop vorkam. Die Tatsache, dass er sich selbst durch Eingraben in Kuhmist heilen wollte, hat nicht nur zu Spott geführt, sondern bekommt einen tieferen Sinn, wenn man seine Ansicht, dass es für Seelen den Tod bedeutet, zu Wasser zu werden, zugrunde legt.
Es ist bedauerlich, dass dieser große Denker, der in mehrfacher Hinsicht einen philosophischen Paradigmenwechsel durchführte, keine eigene Schule gründete und somit bis auf Kratylos (dem bekanntlich Platon einen eigenen Dialog widmete) kein weiterer Heraklit-Jünger von Rang und Namen bekannt ist.
Wie bereits erwähnt, galt Heraklit in der Antike als »der Dunkle«, und in der Tat waren viele seiner Aussprüche kryptisch und somit schwer verständlich oder offen für mehrere Interpretationen und bewusste Umdeutungen. Platon und Aristoteles (die kaum wörtliche Zitate Heraklits benutzten) lehnten seine Ansichten strikt ab. So etwa spannte ihn Aristoteles auf das Prokrustes-Bett seiner rigiden Logik, womit er Heraklit Gewalt antat, und Platon, der Anhänger von Parmenides, konnte mit seiner dynamischen Weltauffassung wenig anfangen.
Ein Zitat aus Aristoteles (de mundo 5, 396 620) soll verdeutlichen, dass Heraklit mit Gegensatzpaaren etwas anderes meinte als Aristoteles mit der Contradictio: »Verbindungen: Ganzheiten und keine Ganzheiten, Zusammentretendes – Auseinandertretendes, aufeinander abgestimmt Klingendes – nicht aufeinander abgestimmt Klingendes; aus allem eins und aus einem alles«; heute würde man zutreffenderweise von Komplementaritäten sprechen und nicht (wie Aristoteles) von Kontradiktionen.
Zwei Fragmente, die in der Hermeneutik zu Heraklit kontrovers interpretiert wurden (und werden), betreffen seine Einstellung zum Krieg: »Man sollte wissen, dass der Krieg etwas Allgemeines und Recht Streit ist und dass alles nach Maßgabe von Streit und Notwendigkeit geschieht« (Fragment 80), sowie »Krieg ist von allem der Vater und von allem der König, denn die einen erwies er als Götter, die anderen als Menschen, die einen machte er zu Sklaven, die anderen zu Freien« (Fragment 53). In erster Näherung denkt man dabei an den Krieg (im Wortsinne), da aus Fragment 53 eindeutig hervorgeht, dass sich als ein Ergebnis eines Krieges die Tatsache des Siegers und der Besiegten mit einer neuen Machtkonstellation ergibt. So gesehen wäre Heraklit ein simpler Verfechter von Krieg und Gewalt gewesen. Die andere Näherung sieht im Begriff »Krieg« bloß eine Metapher für Veränderung, für ein Prinzip der Komplementarität, auch für ein physikalisches Modell, dass »aktiv« und »reaktiv« stets »im Streit« miteinander liegt und sich aufgrund einer stärkeren Wirkung der einen oder anderen Kraft auch ein geänderter Endzustand ergibt. Vielleicht wollte er damit auch ein schwer zu deutendes Diktum Anaximanders fortführen, wonach die Dinge einander Vergeltung für die Ungerechtigkeit der wechselseitigen Übergriffe zu zahlen haben.
Vor allem aber hat sein sog. »Fluss-Gleichnis« große Interpretationsprobleme aufgeworfen; es lautet: »Denen, die in dieselben Flüsse hineinsteigen, strömen andere und immer wieder andere Gewässer zu … [Der Fluss] zerstreut und … bringt zusammen … sammelt sich und fließt fort … nähert sich und entfernt sich« (Fragment 12) und ist allgemein als »panta rhei-Prinzip« bekannt. Vielleicht tat man sich mit der Vorstellung des »panta rhei« stets deshalb so schwer, weil die Betonung des dynamischen Aspekts in der Natur mit ihm aufkam und (mit Kratylos vielleicht) auch wieder verschwand. Denn es war Parmenides – vor allem sein Beweis, dass die Sinne trügerisch seien – mit seiner statischen Ausrichtung des Denkens, der auf Platon, Aristoteles und die gesamte folgende Geschichte der Philosophie in Griechenland den größten Einfluss ausübte.
Wenn man das »panta rhei« nicht sensu strictu (dass alles stets in Veränderung ist) auffasst, sondern eher im aristotelischen Sinn mit einer genauen Unterscheidung zwischen Substanz und Akzidenz, kann widerspruchsfrei angenommen werden, dass bei einer gleich bleibenden Substanz sich die Akzidenzen ändern.
In anthropologischer Hinsicht kann konstatiert werden, dass er in vielen Belangen neue Wege beschritt, so etwa wenn er im Hinblick auf die menschliche Seele feststellte: »Für Seelen ist der Tod, Wasser zu werden, und für Wasser der Tod, Erde zu werden«; aber auch: »Der Seele Grenzen kannst du nicht entdecken gehen, selbst wenn du jeden Weg abschreitest, so tief ist die Erklärung, die sie hat« (Fragment 45).
Gemäß seiner physikalischen Ansicht, dass die Welt ein ewiges, doch lebendiges Feuer ist, von dem allerdings Teile stets gelöscht werden, um die weiteren Elemente, nämlich Meer und Erde, erscheinen zu lassen, ist auch die (weise) Seele Feuer und die schlechte verderbte Seele Wasser. Ob bei seiner Charakterisierung der Seele als grenzenlos die alte ápeiron-Vorstellung des Anaximandros eine Rolle spielte, kann nicht entschieden werden. Offensichtlich meinte er wohl, dass die Seele mit ihrem Wesen bis an die äußersten Grenzen des Kosmos reicht.
Man geht auch kaum fehl, wenn man behauptet, dass Herakleitos der erste griechische Philosoph war, der den lógos-Begriff stark akzentuierte. Dabei kommt seine Abwertung der »gewöhnlich Sterblichen« besonders stark heraus, etwa in folgender Stelle: »Dies Weltgesetz (lógos), das doch ewig ist, begreifen die Menschen nicht, weder bevor sie davon gehört, noch sobald sie davon gehört haben. Denn obgleich alles nach diesem Gesetz geschieht, machen sie den Eindruck, als ob sie nichts davon ahnten« (Fragment 50). Hierbei kommt seine elitäre Ansicht besonders klar heraus, seine Usurpation einer ihm vorbehaltenen, privilegierten Erkenntnisweise. Auch wenn es schwierig ist, den lógos-Begriff bei ihm definitorisch klar zu machen (da wir seit rund 2000 Jahren dazu neigen, diesen Begriff in rein christlichem Kontext zu deuten), so kann doch behauptet werden, dass der lógos bei ihm identisch war mit der Gottheit, die gleichzeitig das Weltgesetz, aber auch das Sittengesetz bedeutet; ein Konnex, der auch für das neuzeitliche Naturrechtsdenken konstitutiv war und ist. Wenn er vom »Gemeinsamen« spricht, dem alle folgen sollten, das aber, obwohl es allem gemeinsam ist, von »den Vielen« nicht erkannt werde, so kann man zu Recht annehmen, dass das »Gemeinsame« als synonym mit dem lógos-Begriff anzusehen ist.
Vielleicht sollte Heraklit nicht so sehr als »der Dunkle« apostrophiert werden, sondern als großer, geistiger Prometheus – und das bis heute.
Werke: Ca. 130 Fragmente einer Schrift.
Wegen seines Geburtsortes Elea in Unteritalien und der damit gegebenen geographischen Nähe zu pythagoräisch »regierten« Gemeinden nahm man auch eine philosophische Nähe – ja bisweilen sogar eine partielle Übernahme esoterischer Gedanken – zu dieser zeitweise überaus vitalen philosophischen Schule an. Ohne Zweifel ist seine Grundüberzeugung, von jedem dynamischen Aspekt abzusehen und eine wesentlich statische Philosophie des Seienden zu formulieren, primär gegen Heraklit gerichtet, in dem er seinen philosophischen Gegner erblickte. Dass er seinerseits auf die platonische Philosophie einen sehr großen Einfluss ausübte, scheint erwiesen zu sein.
Das Neue an seiner Philosophie ist darin zu sehen, dass er vom »reinen Denken« ausgehen möchte und dabei von aller menschlichen Erfahrung (Empirie) absehen will. Das menschliche Denken vollzieht sich aber bekanntlich in Form von Urteilen, d. h. mit Hilfe der Kopula »ist«, die Subjekt und Prädikat eines Satzes zu einem Urteil verknüpft. Dabei gelangte er notwendigerweise zu apriorischer (d. h. im Sinne Kants: erfahrungsunabhängiger) Erkenntnis. Es war ihm – dem im eigentlichen Sinne des Wortes der Titel »Vater der Logik« zugestanden werden muss – sicherlich bewusst, dass mit der zentralen Aussage seiner Lehre, wonach »das Seiende ist und das Nicht-Seiende nicht ist«, eine bloße Tautologie ausgesprochen würde.
Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass er sein Werk in Hexametern verfasste, womit er sich bewusst von den ionischen Naturphilosophen, die ihre Schriften in Prosa verfassten, unterschied und zur Frühzeit der griechischen Philosophie, zu Homer und Hesiod, von dem er methodisch und thematisch sehr beeinflusst war, zurückging. Unter der starken Beeinflussung durch Hesiod ist Folgendes zu verstehen: Bei Hesiod sind es bekanntlich die Musen, die erklären, sie könnten ihm sowohl die Wahrheit verkünden als auch Falsches, das jedoch dem Wahren sehr ähnlich klingt. Bei Parmenides ist es eine Göttin, die ihm die Wahrheit verkündet, aber ihn auch mit den unzuverlässigen Meinungen der Sterblichen konfrontiert. Auch die Gottheiten, die bei Parmenides erwähnt werden, kennt man schon aus der »Theogonie« Hesiods: der Gott der Liebe, des Krieges, der Zwietracht, der Krankheit usw.
Bei Hesiod genauso wie bei Parmenides liegt eine erkenntnistheoretische Skepsis vor, insofern es nicht der Mensch selbst ist, der in autonomer Manier zur Erkenntnis der Wahrheit gelangt, sondern er kann die relevanten Erkenntnisse nur in heteronomer Weise, vermittelt durch eine überirdische Instanz, erkennen.
Für Parmenides ist die Erkenntnisgewinnung noch dazu an einen schwierigen Aufstieg zum Thron der Göttin gebunden, ein Aufstieg, den er nicht aus eigenem Wunsch und Vermögen heraus durchführt; sondern er wird von »Mädchen« in einem Wagen zur Göttin gebracht; möglicherweise liegt hier ein Analogon zu Platons Schilderung des sog. »Höhlengleichnisses« vor.
Da es zu viel Platz erforderte, den ersten Teil des Lehrgedichtes (Proömium) zu zitieren, kann nur auszugsweise darauf Bezug genommen werden – seine Grundaussage wird wohl am besten in Fragment 3 ausgedrückt: »Wo ich auch anfange, gemeinsame Grundlage (meiner gesamten Darlegung) ist und bleibt das Seiende; denn darauf werde ich immer wieder zurückkommen«, und tatsächlich kreisen alle seine philosophischen Überlegungen um diese Frage; oder besser gesagt die Lehre der Göttin bezieht sich auf das Seiende: »Wohlan ich will es dir sagen, welche Wege der Forschung allein denkbar sind. Du aber höre mein Wort und bewahr es wohl! Der eine ›zeigt‹, dass das Seiende ist und dass es unmöglich ist, dass es nicht ist. Das ist der Pfad der Überzeugung; folgt er doch der Wahrheit. Der andere aber ›behauptet‹, dass es nicht ist und dass es dieses Nichtsein notwendig geben müsse. Dieser Weg ist – das sage ich dir – völlig unerforschlich. Denn das Nichtseiende kannst du weder erkennen (denn das ist unmöglich) noch aussprechen« (Fragment 4).
Wenn man, vom heutigen philosophischen Verständnis ausgehend, diese fundamentale Einsicht des Parmenides (resp. der Göttin) betrachtet, so fragt man sich, ob und warum nicht von ihm (oder einem seiner Anhänger) der Tautologie-Charakter dieser Aussage erkannt wurde. Vielleicht liegt eine befriedigende Antwort darauf in einer sprachphilosophischen Überlegung: Man muss bedenken, dass wir heutzutage das Griechisch der klassischen Epoche (Sokrates/Platon/Aristoteles) bei unseren Interpretationen beachten und dabei übersehen, dass Parmenides noch am Anfang der begrifflichen Ausdifferenzierung steht, d.h., dass ihm die diversen Bedeutungen des Hilfszeitwortes ›ist‹ noch nicht bekannt sein konnten (etwa das ›ist‹ der Identität, das der Prädikation oder der Klassensubordination). Der Weg der Wahrheit, per def. der einzige, der von Parmenides beschritten werden dürfe, besteht darin, davon auszugehen, dass das Seiende ist; gleichzeitig wird strikt davor gewarnt, vom Gegenteil überzeugt zu sein: »Der andere ›Weg‹ aber ›behauptet‹, dass ›das Seiende‹ nicht ist und dass es dieses Nichtseiende notwendig geben müsse.«
Selbstverständlich, so wird weiterhin festgehalten, ist diese Erkenntnis nur für einen elitären Kreis bestimmt, denn in Heraklits Manier wird die große Masse der Unaufgeklärten, das einfache Volk also, abgewertet und als stumpf und uneinsichtig hingestellt.
Es wäre völlig ungenügend, hätte Parmenides nur die kurz zitierten leerformelhaften und tautologischen Bestimmungen des Seienden festgehalten, ohne eine inhaltliche Charakterisierung zu geben. So also findet man bei ihm einige materiale Bestimmungen: »Weil ungeworden, ist es auch unvergänglich, ganz einzig, unerschütterlich und ohne Ende. Und nie war es oder wird es sein, da es jetzt zugleich ein einheitliches, zusammenhängendes Ganzes ist … Noch kann ich zulassen, dass du denkst oder sagst, es sei aus dem Nichtseienden geworden … Was für ein Zwang hätte es denn auch dazu treiben können, früher oder später mit dem Nichts zu beginnen und dann zu wachsen? So muss es denn notwendig schlechthin vorhanden sein oder überhaupt nicht!« (Fragment 8).
Um zu erweisen, dass diese Stelle – offensichtlich eine zentrale bei Parmenides – nicht eine Tautologie darstellt, versuchten Interpreten das Nicht-Seiende als ›leeren Raum‹ oder ›Vakuum‹ zu deuten; eine Deutung, die als problematisch gelten muss, da damit eine Konfusion eines metaphysischen und eines physikalischen Prinzips vorliegt und da sich bei Parmenides nirgendwo eine derartige Synonymie antreffen lässt.
Ein sog. Fragment soll noch besprochen werden – es lautet: »Denn ein und dasselbe kann gedacht werden und sein« und »Dasselbe aber ist Denken und des Gedankens Gegenstand. Denn du kannst das Denken nicht ohne das Seiende antreffen, in dem es ausgesprochen ist«. Im Hintergrund dieser Aussagen steht die Adäquationstheorie (›adaequatio rei et intellectus‹), jedoch in einer Sonderform, insofern als bei ihm die ›Wahrheit‹ eine ontische Kategorie ist, denn hier ist das Denken im Sein verwurzelt. Genauso wie auf einer archaischen und simplen Ebene der Philosophie Sollensprinzipien in Seinskategorien eingebettet sind, genauso sind auf derselben Stufe epistemische Prinzipien in ontische Kategorien eingebettet: Der Gedanke, dass epistemische Überlegungen einen ganz bestimmten Deutungscharakter der Phänomene ›der Welt‹ besitzen, somit modellhaften Charakter tragen, doch kein ontisches Korrelat aufweisen, war Parmenides und darüber hinaus der gesamten Frühzeit der Philosophie fremd.
Bereits zu seinen Lebzeiten wurden seine Überlegungen von philosophischen Gegnern in Zweifel gezogen. Man empfand das Statische, die völlige Leugnung von Veränderung und Bewegung als inakzeptabel. Nur Zenon von Elea und viel später der große Denker Platon bemühten sich, seine Thesen zu verteidigen und für das eigene philosophische System fruchtbar werden zu lassen.
Werke: Lehrgedicht »Über die Natur«.
Wenn von einem Philosophen behauptet werden darf, dass er die gesamte Bandbreite der Wissenschaft seiner Zeit umfasste, dann trifft dies vor allem auf Empedokles zu. Einerseits war er der exakte Naturforscher, andererseits ein Mystiker, der sich die Rolle eines Propheten und Sühnepriesters zulegte und den Zeitgenossen kathartische Praktiken empfahl. Darüber hinaus beteiligte er sich aktiv am politischen Leben seiner Vaterstadt Akragas, wobei er sich überzeugt für die Sache der Demokratie einsetzte, weswegen er auch die ihm angebotene Königswürde ausschlug.
Diese völlig differenten Interessensgebiete kommen auch in seinen Werken gut zum Ausdruck: Einerseits ist ein Werk »Über die Natur« tradiert, andererseits ist sein Werk »Reinigungslieder« jenes Buch, das seine mystische Ansicht zum Ausdruck bringt. Bei der Interpretation seiner »Reinigungslieder« fällt primär auf, dass er von zwei deutlich zu unterscheidenden Wissensbereichen spricht, die auch zwei völlig verschiedene Erkenntniszugänge implizieren: a) einmal die Erkenntnis von empirischen Dingen der Außenwelt, eine Erkenntnis, die als inferior angesehen wird; und b) davon deutlich verschieden eine solche der Mathematik und Logik, die als superior zu bezeichnen ist und auch nur einem elitären Kreis zugänglich sein soll. Hier wird seine Abhängigkeit von Pythagoras und dessen Philosophenkreis deutlich, vor allem aber wenn man in Rechnung stellt, dass er für Pythagoras größte Hochachtung empfand, bei dem er die Seelenverwandtschaft zu seiner eigenen mystischen Veranlagung spürte. Vor allem war er auch ein Vertreter der Reinkarnationslehre und behauptete von sich, einst in seligen Gefilden gelebt zu haben, aus denen er wegen seines schlechten Lebenswandels vertrieben wurde: Sein jetziges Leben auf dieser Erde war für ihn somit das Ergebnis einer Strafe und somit beklagte er auch sein Dasein. Bei ihm taucht bereits das Motiv der »Einkerkerung« der Seele in einen irdischen Körper auf, wie sie bei Sokrates/Platon in mehreren Dialogen als zentrales Thema erscheint; konsequent behauptet Empedokles von sich, ein in die Welt gestürzter Daimon zu sein.
Der Fall (Abstieg) aus himmlischen, lichten Höhen in das triste irdische Dasein verlangt förmlich, nach Wegen zu suchen, wie ein Aufstieg in den ursprünglichen seligen Zustand möglich sein kann. Zwei Elemente werden dafür angegeben: einmal ein moralisch untadeliger Lebenswandel und zum Zweiten geheime Reinigungsriten. Diese sollten in Weihe- und Opfergaben an die Götter erfolgen, wobei die Opfer jedoch unbedingt unblutig sein müssen, denn jedes blutige Opfer sei ein schweres Vergehen, das Strafe nach sich zieht. Für ihn ist jedes Tieropfer, jede Tötung von Tieren schlichtweg Mord, und daher war er auch (wie Pythagoras) strenger Vegetarier. Ganz pythagoräisch mutet sein Motiv an, wenn er im Verzehren von Tieren Kannibalismus sieht: »Da schlachtet der Vater in arger Verblendung den lieben Sohn, der seine Gestalt gewandelt hat, und spricht dabei noch ein Gebet!«
Seine Ansicht von der Seelenwanderung und der möglichen Inkorporation eines Menschen in Tiergestalt findet aber eine interessante Konsequenz in Form des Einbezugs jedes Lebewesens in einen gemeinsamen Sittenkodex. Aristoteles hat diesbezüglich Empedokles richtig interpretiert: »Denn es gibt – etwas Derartiges ahnen ja alle – von Natur ein gemeinsames Recht und Unrecht, auch wenn keinerlei Gemeinschaft oder Vertragsverhältnis unter ihnen besteht, wie auch Empedokles davon spricht, dass man kein beseeltes Geschöpf töten darf.« Sextus Empiricus interpretierte Empedokles dahingehend, dass es nur einen einzigen Lebenshauch (pneuma) gäbe, der für alle Lebewesen gelte und der die gesamte Welt wie eine Seele durchdringe.
Wenn man eine weitere Facette seiner Lehre betrachtet, so fällt seine – aus heutiger Sicht – überzogene Selbsteinschätzung auf, die sogar bis zur Annahme ging, ein Gott zu sein. Allerdings muss einschränkend darauf hingewiesen werden, dass eine derartige Selbstvergottung in den Augen der griechischen (unteritalischen) Mitbewohner keineswegs als Blasphemie angesehen wurde, da das Götterbild bekanntlich stark anthropomorph konzipiert war. Trotzdem klingt seine Selbsteinschätzung nach ungerechtfertigtem Eigenlob: »Ich wandle unter Euch als unsterblicher Gott, nicht mehr als Mensch, von allen geehrt, wie es sich gebührt, Binden und blühende Kränze ums Haupt … Die Menschen aber folgen mir zu Tausenden, um zu erfragen, wo der Pfad zum Heile führt. Die einen möchten Orakelsprüche haben, die anderen fragen wegen allerlei Krankheiten, um ein heilsames Wort zu vernehmen.« Tatsächlich erwies man ihm die hier angeführten Ehren, ihm, der seinen Zeitgenossen nicht so sehr als Philosoph, sondern als von den Göttern gesandter Prophet erschien, um sich als Wunderheiler und Erlöser von aller Weltenpein zu betätigen.
Wie bereits erwähnt, war er – fast im Stile der ionischen Naturphilosophen – stark um neue Einsichten auf dem Gebiet der Natur bemüht. So findet man bei ihm die Annahme von vier Grundstoffen: Erde, Wasser, Luft, Feuer. Das bedeutet, dass er die Suche nach einem Element, das als arché gelten kann, erweiterte und dabei einen haltlosen Monismus verwarf. Die verschiedenen Dinge der Welt unterscheiden sich voneinander nur durch Art und Menge der Urteile. Diese Hypothese war von größter Tragweite: Seine Vier-Elementen-Lehre überdauerte rund zwei Jahrtausende; und wenn sich vor allem Alchemisten des Mittelalters darum bemühten, zu diesen vier Elementen ein fünftes (die sog. ›quinta essentia‹) aufzufinden, so steht auch die Elementen-Lehre des Empedokles im Hintergrund. Die Frage nach Entstehung und Veränderung von Dingen der empirischen Welt beantwortet er dahingehend, dass dafür die Bewegungen kleinster, somit auch unsichtbarer, ungewordener und selbst unveränderlicher Stoffteilchen verantwortlich seien.
Diese Hypothese erfuhr bereits zur Zeit der griechischen Antike verschiedene Wertungen: Aristoteles sieht in dieser Mischung nur einen grob-mechanischen Vorgang. Galenus stellt sie differenzierter dar: »Empedokles meinte, dass aus den vier unveränderlichen Elementen die Natur der zusammengesetzten Stoffe hervorgehe, indem die ersten so miteinander vermischt wären, wie wenn jemand Rost und Kupfererz und Zinkerz und Vitriolerz ganz fein zerriebe und zu Pulver machte und miteinander mischte, so dass er nichts von ihnen ohne einen Teil eines anderen in die Hand nehmen kann.«
Seine Naturphilosophie kann als bemerkenswert bezeichnet werden, denn seine spekulativen Einsichten wurden viele Jahrhunderte später wissenschaftlich bestätigt; auch die Übertragung der Elementenlehre auf die organische Natur ist nicht nur eine konsistente Annahme, sondern wissenschaftlich haltbar: »Dieselben Grundstoffe werden zu Haaren und Blättern und der Vögel dichtem Gefieder und zu Schuppen auf starken Gliedern.« Man könnte darin sogar eine Frühform einer Evolutionstheorie sehen, wenn er nicht als Motor der Entwicklung der Naturdinge ›Liebe‹ und ›Streit‹ angenommen hätte.
Für sein System war der Gedanke der Veränderung so wichtig, dass er selbst den Tod nur als Transformation ansah und auch von einem ewigen, sich aber ständig wandelnden Kosmos ausging: »Entstehung gibt es von keinem einzigen all der sterblichen Dinge, noch ein Ende im verderblichen Tode. Nein! Nur Mischung gibt es und Trennung des Gemischten; das Wort ›Entstehung‹ gibt es nur bei den Menschen.« Diese Ansicht impliziert allerdings keine Vorstellung von einer »creatio ex nihilo« und eliminiert auch jeden Gedanken an einen Schöpfergott.
Werke: Lehrgedicht »Über die Natur«; »Reinigungslied«.
Sokrates lebte im 5. Jh. v. Chr. in Athen und wurde im Jahr 399 v. Chr. im Alter von 70 Jahren durch den Giftbecher hingerichtet. Zunächst war er von der Schule der Sophisten geprägt, hat aber einige Denkfehler dieser Schule aufgedeckt und überwunden. Auf ihn berufen sich mehrere philosophische Schulen der hellenistischen Zeit: Kyniker, Kyrenaiker, Epikuräer und Stoiker. Da er selbst keine Schriften hinterlassen hat, kennen wir seine Lehre vor allem aus den Darstellungen seines Schülers Plato und aus den »Memorabilia« des Xenophon.
Plato schildert seinen Lehrer Sokrates in den frühen Dialogen als Denker, der die Wissensansprüche seiner Mitmenschen in Frage stellte und vor allem über die Belange der Ethik und der moralischen Tugend nachdachte. Seine philosophische Grundfrage hatte die Form: »Was ist X?« So suchte er nach dem Allgemeinen, das so beschaffen ist, dass es mehreren Dingen zukommt. Aber er räumte dem Allgemeinen keine Existenz ein, wie dies später Plato tat, denn Sokrates fragte nach der Tugend, die eine bestimmte Form (eidos) und Gestalt (idea) hat. Damit unterschied er der Tendenz nach zwischen einer Art (eidos) und einer Gattung (genos).
Das moralische Handeln ist für ihn wesentlich eine Angelegenheit der Vernunft: moralische Sachverhalte sind unverrückbare Fakten und damit der Unterscheidung von »wahr« und »falsch« unterworfen. Das Anliegen der Ethik besteht folglich darin, wahre Sätze über Gut und Schlecht ausfindig zu machen. Wenn moralisches Handeln eine Sache des Wissens ist, dann handelt der Wissende auch moralisch richtig. Diese Lehre hat später die stoische Schule weiter entfaltet. So fragte Sokrates nach den Kriterien des ethischen Wissens; denn jede Tugend (arete) beinhaltet ein Können (techne) und ein Wissen (episteme). Doch auch die Intuition spielt beim Erkennen der Tugend eine wichtige Rolle.
Für Sokrates war das Wissen um die moralischen Werte die hinreichende Bedingung für das richtige Handeln: Wer das Gute erkennt, wird es auch tun. Die verschiedenen Tugenden bilden eine Einheit, wer sich auf eine versteht, kennt alle. Freilich kennt nur der philosophisch Gebildete die Tugend im vollen Umfang. Wenn jemand tapfer lebt, dann hat er auch ein Wissen von Gut und Böse. Tapferkeit, Weisheit, Besonnenheit und Gerechtigkeit sind die vier Teile der einen Tugend.
Wenn moralisches Wissen die notwendige und hinreichende Bedingung für das sittliche Handeln ist, dann beruhen die moralisch falschen Handlungen auf einem Irrtum bezüglich des Seins und des Sollens. Es folgt daraus, dass niemand freiwillig das Unrecht tut. Der Übeltäter folgt einem Irrtum, er kennt nicht das moralische Gesetz. Wir erstreben die Dinge deswegen, weil wir überzeugt sind, dass sie für uns gut sind. Und wir vermeiden sie, weil wir denken, dass sie für uns schlecht sind. Folglich schädigen ungerechte Handlungen den Übeltäter in seiner Seele, sodass er für den Weisen als bedauernswert erscheint. Niemand will freiwillig böse sein. Für den Weisen ist es weniger schlecht, Unrecht zu erleiden, als Unrecht zu tun. Es gibt eine Lust wider besseres Wissen, die von vielen angestrebt wird; sie ist aber ein Fall von Unwissenheit. Wenn wir zwischen zwei Handlungen wählen können, dann folgen wir der, von der wir mehr an Lust erwarten.
Viele wählen statt eines kleines Gutes ein großes Übel und lassen sich durch die Einwirkungen des Scheines irreführen. Die schlechte Wahl ist aber immer das Ergebnis eines Nichtwissens. Fünf Faktoren sind zumeist dafür verantwortlich, dass jemand gegen sein besseres Wissen handelt: die Lust, die Furcht, die Liebe, der Zorn und der Schmerz. Wer von der Lust überwältigt wird, zeigt eine Schwäche des Willens (akrasia). Nicht alle setzen das Gute mit dem Lustvollen gleich. Die Tugend als sittliche Tüchtigkeit hängt immer von unserer Einsicht in das Gute ab.
Unrecht zu handeln ist auf alle Fälle für den falsch, der es als Unrecht erkannt hat. Sokrates floh nicht aus dem Gefängnis, obwohl er dazu die Möglichkeit bekam, weil er in der Flucht ein Unrecht sah. Er war nämlich in Athen angeklagt, die Jugend zu verführen und neue Götter zu verehren, da er in einer neuen Weise nach dem Göttlichen gefragt hatte, das sich uns zeigt. Für ihn gelten die moralischen Prinzipien ohne Ausnahme und absolut: Gerechte Vereinbarungen müssen eingehalten werden, Unrecht darf nicht getan werden.
Es ist immer falsch, einen Mitmenschen zu schädigen. Folglich darf ein Unrecht nicht mit einem Unrecht vergolten werden (Crito 49 b 10). Vereinbarungen und Versprechungen gelten nur dann, wenn sie gerecht sind. Wenn sie ungerecht sind, müssen sie nicht eingehalten werden. Da Sokrates in Athen blieb, hat er die Gesetze der Stadt akzeptiert. Er weiß sich an sie gebunden und flieht nicht aus dem Gefängnis. Als er den Giftbecher trinkt, glaubt er an ein Weiterleben seiner Seelenkraft. Der Tod ist für ihn, wie wenn man »von einer Krankheit genesen« ist.
Der Zweck der Philosophie ist die kritische Prüfung des Denkens, die Bildung der Jugend und die Anleitung zum guten Leben. Die ethischen Werte sind nicht relativ, wie die Sophisten lehrten, sie gelten unbedingt. Wir können sie mit unserer Vernunft erkennen und folglich auch lehren. Ein Handeln ist dann richtig, wenn es den wahren Nutzen, nämlich die Glückseligkeit, bewirkt. Jeder muss sich selbst erkennen, um die sittliche Tugend zu verwirklichen. Wenn ich weiß, wer ich bin, dann erkenne ich, was ich tun soll.
In jedem Menschen findet sich eine innere Stimme (daimonion), die ihm sagt, was er tun und was er lassen soll. Die höchste Tugend ist die Genügsamkeit, denn wer am wenigsten bedarf, ist der Gottheit am nächsten. Nur wer sich selbst beherrschen kann und die richtige Einsicht in die Dinge hat, soll im Staat die Herrschaft ausüben. In der Politik reden zu viele mit, die diese Bedingungen nicht erfüllen.
Sokrates starb für seine moralischen Überzeugungen, er wollte kein Unrecht tun. Damit ist er für unsere Kultur zum Vorbild der aufrechten Vernunft geworden: Die Aufgabe der Philosophie liegt zum einen im kritischen Denken, zum anderen im gut geführten Leben.
Werke: Keine Schriften, Berichte von Plato, Xenophon und Aristophanes.
Mit dem Namen dieses großen Denkers verbindet man im Allgemeinen – und dies völlig zu Recht – seine Lehre von den kleinsten, nicht mehr teilbaren Elementen, den Atomen. Diese Elementarteilchen sind auch wegen ihrer angenommenen Kompaktheit unteilbar; weiterhin sind sie qualitätslos, weswegen ihnen nur Lage- und Größenbestimmungen attestiert werden können. Die Qualitäten der Sinnesempfindungen (Farbe, Geschmack, Temperatur) entstehen erst durch den Prozess der Wahrnehmung, den Atomen selbst kommen keine qualitativen Bestimmungen zu.
Die Atome sind untereinander sehr verschieden, und zwar in dreifacher Hinsicht: im Hinblick auf ihre Größe und Gestalt (runde, eckige, gekrümmte), ferner im Hinblick auf ihre Anordnung und schließlich bezüglich ihrer Lage. Demokrit illustriert dies auf anschauliche Weise, indem er als Unterschied der Gestalt den von -A- und -N-, als Unterscheidung der Anordnung den von -AN- und -NA- und als Unterschied der Lage den von -Z- und -N- angibt. Seine Lehre von den qualitätslosen Atomen stellt einen wichtigen Schritt auf dem langen Weg zur Wissenschaft im modernen Sinn dar, als sie zum ersten Mal in der griechischen Geistesgeschichte alle qualitativen Bestimmungen auf quantitative zurückführt, was einer späteren Mathematisierung förderlich war. Einer der großen Unterschiede zur modernen Naturwissenschaft besteht darin, dass man die Struktur der Dinge erfassen wollte. Daher ist der Begriff des Atoms bei Demokrit kein empirischer, sondern ein spekulativer, der somit auch nicht durch Abstraktion aus Beobachtungen gewonnen wurde, sondern der ein theoretisches Konstrukt darstellt, das vor allem dem metaphysischen Problem des Werdens nachspüren soll – ein Problem, das bei Parmenides eine einseitige, weil absolut statische Deutung erfahren hatte. Eine wichtige Konsequenz aus dieser Atomlehre ist die Annahme der durchgehenden Notwendigkeit des gesamten Geschehens in der Welt. Somit wird das Kausalitätsprinzip als universales Prinzip anerkannt, was bedeutet, dass man es mit einem mechanistischen Weltbild zu tun hat.
In einem durchaus modern zu nennenden Sinn ging Demokrit von der Annahme einer ständigen Bewegung der Atome aus, und es ist schade, dass er in diesem Zusammenhang nicht versuchte, diese wichtige Annahme durch das Aufstellen von physikalischen Theorien abzusichern. So dagegen wurde nur die Anfangslosigkeit der Bewegung konstatiert, die durch Druck und Stoß entstanden sei; man kann daher annehmen, dass nach ihm die Bewegung der Atome als ihr Konstituens anzusehen ist.
Es ist nur konsequent, wenn Demokrit auch eine mechanistische Psychologie entwickelte, wobei er gezwungen war, neben den Atomen, deren Größe nach ihm variieren konnte, leicht bewegliche Partikel anzunehmen, die zwar selbst nicht wahrnehmbar, doch in allen wahrnehmbaren Dingen enthalten sein sollen. Diese Atome bilden den Stoff der materiell konzipierten Seele – sie sind kugelförmig (man denke daran, dass die Kugel für die Griechen jener Zeit die Idealfigur darstellte), ständig in Bewegung und Wärme erzeugend. Interessant ist nun der Konnex, den er zwischen der materiell gedachten Seele, der die Rolle der koordinierenden Instanz im Individuum zukommt, und der Atmung herstellt. Er geht nämlich davon aus, dass einzelne Seelenatome den Körper verlassen. Wenn aber der Großteil des Seelenstoffes entweicht, tritt der Tod ein – selbstverständlich gibt es bei einer derart konzipierten Seelendarstellung keine Annahme einer Unsterblichkeit.
Auch die Erkenntnismöglichkeit wird folgerichtig der mechanistischen Theorie subsumiert: Hier kommt seine etwas sonderbar anmutende ›Bildchentheorie‹ zum Tragen, da Demokrit tatsächlich annahm, dass von den wahrnehmbaren Körpern Bilder ausgingen, die mit jenen, die von den Sinnesorganen ausgehen, zusammentreffen, wodurch ein bestimmter Eindruck entsteht, der den einzelnen Sinnesorganen zukommt. So problematisch diese Annahme auch sein mag, sie hat jedenfalls eine wichtige Konsequenz, nämlich jene, dass man die Dinge nicht so erkennen kann, wie sie wirklich sind, sondern nur so, wie sie auf uns wirken. Deswegen auch kann und muss Demokrit die Sinneswahrnehmung als dunkle bezeichnen und in Gegensatz zur echten und wahren Erkenntnis des Verstandes stellen. Eine Erkenntnis des objektiven Wesens der Wirklichkeit und somit letztlich das Bemühen aller philosophischen und physikalischen Systeme zur Zeit der griechischen Antike, wird somit bestritten. Gleichzeitig wird damit aber der Tatsache Rechnung getragen, dass gleichartige Reize von verschiedenen Personen nicht als gleich empfunden werden müssen.