Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

arsEdition GmbH, München 2012

Text copyright © Simon Scarrow, 2012

Titel der Originalausgabe: Gladiator. Street Fighter

First published in Great Britain in the English language by Penguin Books Ltd.

© 2012 arsEdition GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Simon Scarrow

Übersetzung: Ulrike Seeberger

Coverillustration: Helge Vogt

ISBN 978-3-7607-9043-5

www.arsedition.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Simon Scarrow

Straßenkämpfer

Aus dem Englischen von Ulrike Seeberger

Für Lindsey Davis,
die mein Interesse an Rom geweckt hat

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel IXX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

Kapitel XXVI

Kapitel XXVII

Kapitel XXVIII

Kapitel XXIX

Kapitel XXX

I

Marcus wusste sofort, dass er einen schweren Fehler gemacht hatte, als er in die Ecke des kleinen Innenhofes zurückgewichen war. Er spürte, wie der Absatz seiner Sandale gegen den aufgesprungenen Putz der Wand schabte, und machte instinktiv einen halben Schritt nach vorn, um mehr Bewegungsfreiheit zu gewinnen. So hatte er es während der Ausbildung in Porcinos Gladiatorenschule gelernt – man musste sich in einem Kampf immer seine Bewegungsfreiheit erhalten, sonst überließ man dem Gegner die Initiative und war ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Diese Lektion hatte Taurus, der strenge und grausame Hauptausbilder, seinen jungen Gladiatorenanwärtern eingebläut.

Marcus war hoch aufgeschossen für seine elf Jahre. Die harte Ausbildung hatte ihn zäh gemacht und ihm einiges Geschick im Umgang mit dem Schwert vermittelt. Trotzdem wusste er, dass er nur geringe Chancen auf Erfolg hatte, als er seinem Gegner, einem drahtigen Mann von etwa dreißig Jahren, entgegentrat: Auf flinken Füßen und mit wachen Augen ahnte der beinahe jede Bewegung voraus, die Marcus machte.

Marcus blinzelte, um eine Schweißperle aus dem Auge zu verdrängen, und warf all seine Ängste über Bord. Er wusste, dass seine einzige Hoffnung darin bestand, etwas Unerwartetes zu tun – etwas, für das sein Gegner keine Abwehr parat hatte. Aus der Art und Weise, wie der Mann sich bewegte und sein Kurzschwert einsetzte, wurde deutlich, dass er ein ausgebildeter Soldat oder vielleicht ein Gladiator wie Marcus war. Als der Mann sein Schwert gezogen hatte und dem Jungen gegenübergetreten war, hatte er mit einigen wenigen trägen Hieben und Paraden begonnen. Doch das verächtliche Grinsen, das zunächst auf seinen Zügen gelegen hatte, war ihm rasch vergangen, als Marcus selbstbewusst reagierte und die Schwerthiebe des Mannes zur Seite ablenkte. Es war eine kurze Pause eingetreten, in der der Mann sich einige Schritte zurückzog, um einen Blick auf diesen jungen Gegner zu werfen.

»Also doch nicht so feucht hinter den Ohren«, knurrte er. »Trotzdem bist du nichts als ein junger Hund, dem eine ordentliche Tracht Prügel nicht schaden würde. Und die kriegst du von mir.« Dann begann er, ernsthaft gegen Marcus zu kämpfen. Das Klirren ihrer Schwerthiebe hallte von den Wänden des Innenhofes wider. Von draußen, von der römischen Seitengasse, die hinter dem Hof vorbeilief, drang durch das Rauschen des Blutes gedämpft und schwach Stimmengewirr an Marcus’ Ohr. Er schenkte dem keine Aufmerksamkeit und konzentrierte sich nur auf den Gegner, beobachtete jede Andeutung einer Bewegung, die auf den nächsten Angriff schließen ließ.

Der Mann war ein guter Kämpfer. Gegen einen Könner wie Taurus hätte er kaum einige Herzschläge lang standgehalten, doch es war nur eine Frage der Zeit, bis er Marcus besiegen würde. Trotz der raschen, wilden Bewegungen des Jungen hatte der Mann Marcus schon bald in die Ecke gedrängt, wo er nun mit dem Rücken zur Wand eingekeilt stand.

Kurz gab Marcus der Angst nach, der Mann könnte gegen ihn gewinnen, und verfluchte sich dafür, dass er es so weit hatte kommen lassen. Mit aller Macht verdrängte er diesen Gedanken aus seinem Kopf und kauerte sich auf der gestampften Erde und den Pflastersteinen des Innenhofes zusammen. Er verschob das Gewicht leicht nach vorn und balancierte auf den Fußballen, bereit, sich jeden Augenblick nach vorn oder zur Seite zu werfen. Das Schwert hielt er waagerecht vom Körper weg; so konnte er damit zu einem Angriff ausholen oder einen Hieb parieren, den der Mann gegen ihn ausführen würde. Die linke Hand hatte er ausgestreckt, um das Gleichgewicht zu halten.

Die beiden starrten einander an.

Marcus bemerkte eine Bewegung hinter dem Mann. Eine Gestalt, die ihnen vom Toreingang am anderen Ende des Innenhofes zusah, änderte ein wenig ihre Haltung.

Der Angriff kam, als Marcus nur einen Moment zur Seite geblickt hatte. Mit einem gewaltigen Brüllen stürzte sich der Mann nach vorn und hieb mit seinem Schwert nach Marcus’ Kopf. Der Junge duckte sich zur Seite, als die Spitze der Klinge nur wenige Zoll von seinem Gesicht entfernt durch die Luft sauste. Er schlug auf den Schwertarm seines Gegners ein und spürte einen kleinen Ruck, als die Klinge seines Schwertes die Haut des Mannes verletzte.

Fluchend wich der Mann zurück und hob den Arm, um einen schnellen Blick auf die Wunde zu werfen. Es war nur ein kleiner Kratzer, aber das Blut floss reichlich, und schon bald malten die Tropfen zackige scharlachrote Linien auf den Unterarm des Mannes. Nun schaute er mit eisigem Blick auf Marcus.

»Das kommt dich teuer zu stehen, Bürschchen. Sehr teuer.«

Angesichts dieser wilden Drohung liefen Marcus kalte Schauer über den Rücken, aber er hielt die Augen fest auf seinen Gegner gerichtet.

Der Mann senkte den Arm, packte sein Schwert fester, damit es ihm, falls das Blut bis in seine Handfläche strömen sollte, nicht aus der Hand rutschte. Mit entschlossenen Schritten kam er auf Marcus zu, die Lippen bösartig knurrend verzogen. Diesmal machte er keinen Versuch, seine Hiebe zu mäßigen. Das Klirren der Schwerter hallte laut in Marcus’ Ohren wider, als er gegen die Wand gedrängt wurde. Die Spitze der Klinge bohrte sich neben seinem Kopf in den Putz, und kleine Splitter platzten ab. Rasch wurde die Klinge wieder zurückgezogen, erneut hoch erhoben, bereit zu einem Schlag auf Marcus’ Kopf.

»Aufhören!«, erschallte von der anderen Seite des Hofes eine tiefe Stimme.

Aber der Mann führte in seiner Wut einen weiteren Hieb gegen Marcus. Im allerletzten Augenblick sprang der Junge unter der bogenförmigen Bewegung des Schwertes verzweifelt nach vorn. Er duckte sich tief, warf sein ganzes Gewicht in diesen Gegenangriff und hieb dem Mann den Handschutz seines Schwertes zwischen die Beine in die Leiste. Mit einem tiefen Stöhnen und schmerzverzerrtem Gesicht taumelte der Mann nach hinten. Er stieß einen wütenden Schmerzensschrei aus, ballte die Linke zur Faust und holte weit aus. Marcus versuchte, dem Schlag auszuweichen, aber er streifte doch seinen Schädel und warf ihm den Kopf zur Seite. Blitzende weiße Funken sprühten vor Marcus’ Augen, als sein Körper durch die Luft geschleudert wurde. Dann landete er schwer auf dem Boden und es verschlug ihm den Atem. Er rollte sich auf den Rücken, während sich über ihm die Mauern und der Himmel drehten. Nun tauchte der Mann in seinem Gesichtsfeld auf, stöhnend zusammengekrümmt. Dann fühlte Marcus, wie die Spitze eines Schwertes die knochige Kerbe unter seinem Hals berührte.

Die Augen des Mannes verengten sich, und Marcus fürchtete, er würde ihm die Klinge tief in den Hals stoßen, bis die Spitze sein Rückgrat erreicht hatte, und ihm die Kehle durchschneiden. Er würde sterben. Bedauern und Scham wallten in seinem Herz auf, denn er hatte weder seine Freiheit gewonnen noch seine Mutter wiedergefunden. Man hatte sie gleichzeitig mit Marcus zur Sklavin gemacht und zu einem Gutsanwesen irgendwo in Griechenland gebracht. Wenn er jetzt starb, war sie dazu verdammt, bis zum Ende ihrer Tage dort zu bleiben. Marcus kniff die Augen fest zusammen und betete zu den Göttern, er möge noch einmal verschont bleiben.

»Festus! Das reicht!«, rief die Stimme erneut. »Wenn du dem Jungen auch nur ein Haar krümmst, lasse ich dich kreuzigen, ehe der Tag vorüber ist.«

Es trat eine kleine Pause ein, dann ließ der leichte Druck der Schwertspitze nach, und Marcus wagte, die Augen wieder aufzuschlagen. Er bebte vor Schreck, und all seine Gliedmaßen zitterten, wie er da in einer Ecke des Hofes ausgestreckt auf dem Rücken lag. Über sich erblickte er Festus, der frustriert mit den Zähnen knirschte, und dahinter den düsteren Himmel. Obwohl es später Frühling war, hingen die Wolken tief über Rom und drohten mit Regen. Festus richtete sich auf, drehte sein Schwert um und stieß es in die Scheide zurück, bevor er sich mit geneigtem Kopf zum Toreingang umwandte. Marcus rappelte sich keuchend auf, stand in einiger Entfernung von Festus und verneigte sich ebenfalls.

Als er sich wieder aufrichtete, sah er, wie der andere Mann mit einem dünnen Lächeln auf den Lippen auf sie zugeschritten kam. Er blieb vor Marcus stehen, schaute ihn prüfend an und wandte sich dann zu Festus, seinem Hauptleibwächter.

»Nun? Was hältst du von ihm?«

Festus zögerte ein wenig und antwortete dann vorsichtig: »Der Junge ist flink und geht geschickt mit der Klinge um, Herr, aber er hat noch viel zu lernen.«

»Natürlich. Aber kannst du ihn unterweisen?«

»Wenn es Euer Wunsch ist, Herr.«

»Das ist es.« Der Mann lächelte flüchtig. »Dann ist es abgemacht. Der Junge ist jetzt in deiner Obhut. Du bringst ihm bei, wie man kämpft. Er muss lernen, wie man außer dem Schwert auch andere Waffen benutzt. Er muss mit dem Dolch umgehen, ein Messer werfen und den Knüppel einsetzen können und er muss mit den bloßen Händen kämpfen lernen.« Der Mann schaute Marcus erneut an. In seinen kalten Augen lag nicht die geringste Spur von Freundlichkeit, als er fortfuhr: »Eines Tages wird der junge Marcus vielleicht ein hervorragender Gladiator in der Arena. Bis dahin möchte ich, dass du die Ausbildung fortsetzt, die er in der Gladiatorenschule von Porcino begonnen hat. Doch du sollst ihm auch die Techniken der Straßenkämpfer beibringen, wenn er meine Nichte als ihr Leibwächter wirkungsvoll beschützen soll.«

»Ja, Herr.« Festus nickte.

»Jetzt kannst du uns allein lassen. Nimm das Schwert des Jungen mit. Suche meinen Verwalter und sage ihm, er soll für morgen meine schönste Toga reinigen und parfümieren. Das erwartet der Pöbel von einem seiner Konsuln«, sagte er nachdenklich. »Ich möchte gut aussehen, wenn ich neben dem fetten Narren Bibulus stehe.«

»Ja, Herr.« Festus verneigte sich wieder und eilte dann über den Hof zurück ins Haus. Als er fort war, wandte der Mann seine ganze Aufmerksamkeit Marcus zu.

»Du weißt, dass ich hier in Rom viele Feinde habe, junger Marcus. Feinde, die genauso gern meiner Familie wie auch mir, Gaius Julius Caesar, Leid zufügen würden. Deswegen brauche ich jemanden, dem ich vertrauen kann und der Portia beschützt.«

»Ich werde mein Bestes tun, Herr.«

»Ich will mehr als nur dein Bestes, mein Junge«, antwortete Caesar mit fester Stimme. »Es muss dein Lebensinhalt werden, Portia zu beschützen. In jedem wachen Augenblick musst du deine Augen und Ohren offen halten und alle Einzelheiten deiner Umgebung wahrnehmen, damit du eine Bedrohung erkennen kannst, ehe Schaden entsteht. Und nicht nur deine Augen und Ohren. Du musst auch dein Hirn anstrengen. Ich weiß, dass du einen raschen Verstand hast. Das hast du bereits in Capua bewiesen.«

Caesar hielt einen Augenblick inne, und beide erinnerten sich an den Kampf, in dem Marcus Ferax besiegt hatte, einen Jungen, der zweimal so groß war wie er. Nachdem Marcus sich geweigert hatte, den unterlegenen Gegner zu töten, bezwang er auch noch zwei Wölfe, die man deswegen auf ihn gehetzt hatte. Aber keine dieser Großtaten hatte Caesar für ihn eingenommen. Vielmehr war es die Tatsache, dass Marcus seiner Nichte Portia das Leben gerettet hatte, die in die Arena gefallen und den gierigen Wölfen schutzlos ausgeliefert gewesen war. Dafür stand Caesar in Marcus’ Schuld. Gleichzeitig hatte Caesar aber auch klug die Gelegenheit erkannt, in einen Jungen zu investieren, der vielleicht eines Tages ein Gladiator sein würde, der bei der breiten Masse beliebt sein würde, und etwas von dieser Beliebtheit würde natürlich auch auf den Besitzer des Gladiators abfärben. Also hatte er Marcus dem Besitzer der Gladiatorenschule abgekauft, und wie ein Stück Vieh hatte man Marcus von einem Herrn zum anderen gebracht.

Caesar beugte sich vor und tippte Marcus leicht an die Brust. »Ich bin zwar Konsul und somit einer der beiden mächtigsten Männer in Rom, aber ich bin genauso leicht verletzbar wie jeder andere. Ich habe Leute, die mich beschützen, und Leute, die für mich spionieren. Trotzdem habe ich das ungewisse Gefühl, dass du dich als einer meiner wertvollsten Diener erweisen wirst. Im Augenblick sollst du über Portias Leib und Leben wachen, doch später habe ich vielleicht eine andere Verwendung für dich.«

Caesars Augen verengten sich zu Schlitzen, während er Marcus starr anblickte. Das Schweigen machte Marcus unruhig und er schluckte nervös. Er war sich noch nicht sicher, was er von seinem neuen Herrn halten sollte. Caesar war manchmal großzügig und überaus freundlich. Bei anderen Gelegenheiten schien er skrupellos, hart und sogar grausam. »Eine andere Verwendung, Herr?«

Ein Lächeln huschte über Caesars Lippen, als er antwortete: »Wo man ausgewachsene Männer verdächtigt, wird ein Junge vielleicht übersehen. Dann werde ich dich brauchen, du musst für mich Augen und Ohren offen halten.« Er hielt inne und fuhr sich übers Kinn.

Marcus verspürte einen leisen Schauder, weil aus den Worten Lob sprach und auch Vertrauen, das Caesar in ihn setzte. Doch seine Freude verging rasch, als er begriff, was diese Aussage Caesars bedeutete. Marcus sollte als kleiner Spielstein in der Schlacht zwischen Caesar und seinen politischen Feinden eingesetzt werden. Aber es war kein Spiel, das verstand Marcus. Er erinnerte sich daran, was Titus, der Mann, den er einmal für seinen Vater gehalten hatte, ihm über die Welt der Politik in Rom erzählt hatte. Die Einsätze waren hoch – es ging buchstäblich um Leben und Tod –, und jetzt würde Marcus mitten im Zentrum dieses Kampfes stehen. Es würde gefährlich werden. Aber wenn Marcus Caesar wertvolle und treue Dienste leistete, konnte er eine gerechte Gegenleistung erwarten. So viel hatte er über seinen neuen Herrn bereits herausgefunden. Er belohnte alle großzügig, die ihm halfen, seine ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Marcus’ Puls beschleunigte sich, als er Caesar geradewegs in die Augen blickte und nickte. »Ich bin bereit.«

Caesar lächelte kurz und schaute dann Marcus einen endlos scheinenden Augenblick lang an, ehe er wieder sprach. »Weißt du, um dich scheint sich ein Geheimnis zu ranken, mein Junge. Du bist kein gewöhnlicher Sklave. Das kann jeder sehen. Du hast Mut, Entschlossenheit und Zähigkeit, darin bist du deinem Alter weit voraus. Dein Vater wäre stolz auf dich, wer immer er ist.«

Marcus überlegte blitzschnell. Dies war die erste Gelegenheit, Caesar mit seiner ungerechten Situation vertraut zu machen. »Mein Vater ist tot«, sagte er. »Er wurde auf Befehl eines Steuereintreibers namens Decimus ermordet.«

»Oh?« Caesar spitzte kurz die Lippen und zuckte dann die Achseln. »Das ist schlimm. Aber die Götter haben ihre Gründe dafür, wie sich die Dinge entwickeln.«

Marcus wurde das Herz schwer, als Caesar sein Leiden so kurzerhand abtat.

»Und was ist mit deiner Mutter?«, fragte Caesar.

»Sie ist Sklavin, Herr. Allerdings weiß ich nicht, wo sie ist.« Sosehr Marcus sich auch wünschte, seine Mutter wiederzufinden, hatte er doch vorläufig entschieden, jetzt besser zu lügen. Es war sicherer, wenn der Fall seiner Mutter vor Caesar verborgen bliebe. Sollte man je seine wahre Identität entdecken, so würde man Marcus umbringen, und dazu noch jeden, der mit ihm blutsverwandt war. Obwohl ihm Caesar so viel Dankbarkeit erwies, weil er das Leben seiner Nichte gerettet hatte, würde er Marcus doch auf der Stelle töten, sobald er erfahren würde, wer Marcus’ wahrer Vater war: Spartakus, der Gladiatorengeneral. Er hatte das Heer aufständischer Sklaven angeführt, die sich Caesar und seinen hochwohlgeborenen Freunden widersetzt hatten. Der Gladiator, der beinahe Rom und alles, wofür Rom stand, zunichtegemacht hätte.

II

Sobald Caesar ihn entlassen hatte, machte sich Marcus auf den Weg zu den Wohnquartieren der Sklaven am hinteren Ende des Hauses. Bei seiner Ankunft hatte man Marcus zu Caesars Verwalter gebracht, der ihm die Regeln erklärte, die nun sein Leben bestimmen würden, und ihn dann zu der kleinen Zelle führte, die er mit zwei anderen jungen Sklaven zu teilen hatte. Der jüngere von beiden war etwa so alt wie Marcus und hieß Corvus. Er war groß und mager, hatte eine Hakennase und schaute stets finster und resigniert. Der andere Junge, Lupus, war beinahe sechzehn Jahre alt und besaß eine natürliche Begabung für Buchstaben und Zahlen. Er verrichtete gelegentlich Aushilfsarbeiten in der Küche und diente Caesar zusätzlich als Schreiber. In dieser Funktion war er dafür verantwortlich, Notizen für seinen Herrn zu machen, erklärte Lupus stolz. An den meisten Tagen begleitete er Caesar bei offiziellen Geschäften. Lupus war klein und zierlich, hatte säuberlich geschnittenes, dunkles Haar, war sehr viel fröhlicher als sein jüngerer Gefährte Corvus und hatte den Neuankömmling in dem gemeinsamen bescheidenen Wohnquartier herzlich willkommen geheißen. Die Zelle, die sie sich teilten, war kaum mehr als zehn Fuß lang und vier Fuß breit. Durch einen schmalen Fensterschlitz weit oben in der Wand drang von der Straße ein schwacher Lichtstrahl herein. Corvus und Lupus schliefen an dem am weitesten von der Tür entfernten Ende der Zelle, Seite an Seite auf zerlumpten Schlafsäcken. Man händigte Marcus einen ähnlich zerschlissenen Schlafsack aus und erklärte ihm, er hätte bei dem schmalen Eingang der Zelle zu schlafen.

Seither hatte man ihm unzählige kleine Arbeiten im Haushalt übertragen, bis ihn eines Morgens Festus zu sich gerufen hatte, der sich von seinen Fertigkeiten als Kämpfer überzeugen wollte. Nun, da er sich wieder auf den Weg ins Innere des Hauses und zu seinem jämmerlichen Wohnquartier gemacht hatte, verebbten die Geräusche der Subura – des Bezirks, in dem Caesars Haus lag – zu einem dumpfen Brummen im Hintergrund. Einer der älteren Sklaven hatte Marcus erklärt, dass die Subura einst ein sehr angesehenes Wohngebiet gewesen war, als Caesars Ahnen hier ihr Haus errichteten, dass es aber seither mit diesem Viertel bergab gegangen war. Nun ragten rings um die vornehmen Häuser viele baufällige Mietshäuser mit mehreren Stockwerken auf, in denen verarmte Bauernfamilien lebten, die gezwungen waren, sich in der Stadt Arbeit zu suchen. Ihnen waren Einwanderer aus allen Winkeln des Mittelmeerraums gefolgt: Griechen, Numider, Gallier und Juden. Nun lebten sie alle dicht gedrängt in der Subura, und die engen Straßen hallten vor Stimmen wider, die in vielen verschiedenen Sprachen riefen. Die unverwechselbaren Aromen der unterschiedlichen Küchen vermischten sich miteinander und waren so übermächtig, dass sie sogar den über allem liegenden Gestank der verwesenden Lebensmittel und der Abwässer überdeckten.

Obwohl sich Marcus nun schon beinahe zehn Tage in der Stadt aufhielt, hatte er sich noch nicht ganz an die stinkenden Straßen gewöhnt. Die farbenfrohe Mischung der verschiedenen Gewänder, der Krach und die Geschäftigkeit der Gegend faszinierten ihn. Er war auf einem abgelegenen Bauernhof auf einer kleinen griechischen Insel aufgewachsen und hatte nur die begrenzten Freuden der nahe gelegenen Marktstadt kennengelernt, wo sich dreimal im Monat mürrische Bauern zusammenfanden und miteinander Handel trieben. Die Erinnerung machte ihm das Herz schwer, als er daran dachte, wie er neben dem Mann, von dem er einmal angenommen hatte, er sei sein Vater, zum Markt gegangen war. Titus war hart und oft unnahbar und kalt gewesen – ein ehemaliger Soldat, der Marcus meist mit äußerster Strenge behandelte. Aber ab und zu schmolz diese ernste Fassade und Titus trug mit Marcus auf dem kleinen Hof des Bauernhauses verspielte Ringkämpfe aus oder erzählte ihm Geschichten von seinen Abenteuern als Soldat.

Marcus seufzte traurig, als er sich an seine frühe Kindheit erinnerte, war hin- und hergerissen zwischen lieb gewordenen Erinnerungen und dem Wissen, dass man ihn damals angelogen hatte. Titus war nicht sein Vater. Das hatte man ihm vor weniger als einem Monat enthüllt, als er die Gladiatorenschule verlassen hatte und auf dem Weg nach Rom war, um sich dort bei seinem neuen Herrn einzufinden.

Brixus, ein ehemaliger Gefolgsmann von Spartakus, war ihm damals gefolgt und hatte ihm die Wahrheit anvertraut. Marcus fasste sich mit der Hand über die Schulter und fuhr mit den Fingern unter den Halsausschnitt seiner Tunika, um den Umriss des Zeichens abzutasten, mit dem man ihn gebrandmarkt hatte, als er noch ein Kleinkind war. Es war der auf ein Schwert gespießte Kopf eines Wolfes, das Geheimzeichen, das auch Spartakus und seine engsten Gefolgsleute getragen hatten, einschließlich der Frau, die er geliebt hatte, und einschließlich ihres gemeinsamen Kindes Marcus. Brixus hatte ihm erklärt, es wäre sein Schicksal, die Aufgabe seines wahren Vaters zu übernehmen und den nächsten Sklavenaufstand anzuführen – den Aufstand, der endlich Rom besiegen und alle Sklaven befreien würde, die noch unter dem Joch ihrer grausamen römischen Herren lebten.

Marcus verzog wütend das Gesicht. Seine Welt war aus den Angeln gehoben worden. Alles, was er zu wissen glaubte, erwies sich als falsch, und in ihm tobte ein Sturm der Gefühle. Er liebte Titus, den zähen, stolzen Veteranen der römischen Legionen, immer noch. Und doch floss in Marcus’ Adern kein Tropfen römisches Blut. Sein wahres Erbe, das waren die unzähligen Millionen unterdrückter Sklaven, die aneinandergekettet in den Bergwerken ihr elendes Dasein fristeten oder starben, auf den Landgütern reicher Römer oder als Arbeitstiere in den feinen römischen Villen schufteten oder als Quelle blutiger Unterhaltung in den Gladiatorenspielen um ihr Leben kämpften. Dies war Marcus’ wahre Identität, das war er immer gewesen – ein Sklave, sonst nichts.

Dieses Wissen brannte ihm schmerzlich im Herzen. Er verspürte Bitterkeit wegen des Betrugs und konnte nicht glauben, dass seine Mutter ihm sein Leben lang die Wahrheit vorenthalten hatte. Auf seinen Zorn folgten sogleich unendliche Schuldgefühle. Seine Mutter war alles, was er auf der Welt liebte, und sein einziges Lebensziel war, sie zu finden und zu befreien.

Marcus hatte den Plan gefasst, General Pompeius, Titus’ ehemaligen Befehlshaber, zu finden und ihn um Hilfe für die Rettung seiner Mutter zu bitten. Diesen Gefallen würde ein römischer General einem seiner ehemaligen Offiziere vielleicht gewähren, aber gleichzeitig würde es für Marcus und seine Mutter Livia das Todesurteil bedeuten, wenn je herauskäme, dass Marcus tatsächlich der Sohn des meistgehassten und gefährlichsten Sklaven im ganzen Römischen Reich war. Genauso würde es ihnen ergehen, wenn sein neuer Herr, Caesar, je den Namen seines wahren Vaters herausfinden sollte. Spartakus war der Feind aller Römer.

Marcus seufzte wieder, diesmal über die scheinbar ausweglose Situation, die ihn zutiefst niedergeschlagen machte. Er musste herausfinden, wie er Livia helfen konnte, ohne seine wahre Identität preiszugeben. Und zwar schnell …

»Verfluchter Brixus!«, murmelte er wütend, als er in das innere Atrium des Hauses trat, wo ein kleiner, flacher Teich von einem Säulengang gesäumt war. Marcus starrte auf die Steinplatten hinunter und war tief in Gedanken versunken, während er um den Teich schritt.

»Brixus? Wer ist dieser Brixus, der meinen Retter und persönlichen Leibwächter so sehr aufbringt?«

Marcus blieb stehen und schaute sich erschrocken um – er hätte Brixus’ Namen nicht laut aussprechen dürfen –, als hinter einer der Säulen eine schlanke Gestalt hervortrat. Es war Caesars Nichte Portia. Das Mädchen war nur wenige Jahre älter als Marcus, trug das hellbraune Haar in einem einfachen Pferdeschwanz zusammengefasst und schaute aus den gleichen durchdringenden braunen Augen wie sein Onkel. Man hatte Marcus erzählt, dass Portias Mutter bei der Geburt gestorben war und ihr Vater derzeit bei den Legionen in Spanien diente, sodass sie zu ihrem Onkel nach Rom gezogen war.

Marcus verneigte sich. »Guten Tag, Herrin Portia.«

Ein leichtes Runzeln trat auf ihre hohe Stirn. »Herrin? Musst du so förmlich mit mir sprechen?« Sie deutete mit einer ausladenden Handbewegung auf das Atrium. »Wir sind allein. Du kannst frei mit mir reden. Es hört uns niemand.«

Marcus schaute sich nach den Eingängen des Atriums um und sah, dass sie die Wahrheit sprach. Trotzdem senkte er die Stimme, als er ihr antwortete.

»Ich könnte ausgepeitscht werden, wenn ich Euch respektlos anspreche.«

»Aber ich halte es nicht für respektlos«, erwiderte Portia in sanftem Ton. »Ich möchte mit dir wie mit einem Freund sprechen, Marcus. Nicht wie mit einem Sklaven meines Onkels.«

Er starrte sie schweigend an. Seit seiner Ankunft hatte er nur bei einigen wenigen Gelegenheiten mit Portia gesprochen, und immer waren andere Mitglieder des Haushalts dabei gewesen. Portia hatte ihn damals in der Gladiatorenschule besucht, als er sich von den Verletzungen erholte, die er sich bei ihrer Rettung vor den Wölfen in der Arena der Gladiatorenschule zugezogen hatte. Sie war voller Dankbarkeit gewesen und er hatte mit einem herzlichen Willkommen in Rom gerechnet. Aber seit er hier angekommen war, schien Portia ihn mit derselben Gleichgültigkeit zu behandeln wie all die anderen Sklaven im Haushalt. Ihr verändertes Verhalten, das so verächtlich wie ihre Dankbarkeit groß gewesen war, hatte ihn zunächst verwirrt und verletzt.

Dann hatte man ihm nicht lange nach seiner Ankunft befohlen, den Boden in Portias Wohnquartier zu wischen. Bestürzt über den großen Unterschied zwischen seiner jämmerlichen Zelle und Portias bequemem Luxusleben, hatte er damals begriffen, wie weit ihre Welten voneinander entfernt waren. Während er noch ihre weichen Schlafpolster mit den kunstvoll gemusterten, gewebten Decken bewunderte, stand ihm die Kluft, zwischen seinem und ihrem Leben deutlich vor Augen, eine Kluft so weit wie der Ozean und ebenso gefährlich.

Während er ihre wunderbaren Möbel betrachtete – das Tischchen für ihre Duftwässer, ein Kästchen aus Ebenholz für ihren Schmuck und ein großes Regal, in dem Schriftrollen mit Gedichten und Geschichten und die Briefe ihres Vaters aufbewahrt wurden –, wurde ihm klar, dass in diesem Haushalt zwei völlig verschiedene Welten nebeneinander existierten.

Marcus war ein Sklave, und sein Herr konnte mit ihm machen, was er wollte. Wie konnte Caesars Nichte je die Freundin eines Sklavenjungen werden? Und Caesar war nicht einfach irgendein römischer Bürger. Seine Familie war eine der angesehensten in der Stadt, die ihren Stammbaum bis auf die Göttin Venus selbst zurückführte.

Also würde Caesar es überhaupt nicht schätzen, wenn er herausfand, dass ein Sklave mit seiner Nichte wie mit seinesgleichen sprach. Ein Herr konnte einen Sklaven für viel geringere Verfehlungen hinrichten lassen.

Nun schien sich Portia so zu verhalten, als gäbe es diesen Unterschied nicht. Marcus öffnete den Mund, während er um eine Antwort rang, schloss ihn aber gleich wieder, weil ihm keine unverfängliche Antwort einfiel.

Sie bemerkte sein Unbehagen und lachte hell.

»Nun gut, wenn du dich dann sicherer fühlst, können wir uns auch im Garten unterhalten. Es gibt in einer abgelegenen Ecke eine ganz ruhige Stelle. Folge mir.« In ihrer Stimme lag ein unmissverständlicher Befehlston, und so führte sie ihn durch den kurzen Flur in den bescheidenen, dahinterliegenden Garten.

Das sorgfältig gepflegte Stück Land war kaum mehr als hundert Fuß breit. Vergangene Generationen der Julier, der Familie Caesars, waren außerordentlich stolz darauf gewesen. Der Garten bestand aus säuberlich in Form gestutzten Büschen und aus Rosen und anderen leuchtend bunten Blumen, die an hölzernen Rahmen emporrankten. Dadurch entstanden schattige Wege, die quer durch den Garten und an den Seiten entlang führten, und die Blüten erfüllten die Luft mit einem angenehmen Duft. Mitten im Garten plätscherte ein kleiner Brunnen. Es war kaum zu glauben, überlegte Marcus, dass etwas so Schönes und lieblich Duftendes existierte, hier inmitten dieser überfüllten, schmutzigen und stinkenden Stadt, wie er sie bisher kennengelernt hatte.

Portia führte ihn über einen Pfad zu einer Ecke, wo die hohen verputzten Wände aufeinanderstießen. Hier befand sich ein kleiner Bereich, den eine Hecke vor neugierigen Blicken abschirmte. Sie setzte sich auf eine der beiden Holzbänke, die entlang der Mauernische standen. Dahinter hatte man den Putz bemalt, als blickte man von einem mit Efeu überrankten Balkon auf sanft wellige Hügel und das Meer. Winzige Schiffe mit bunten Segeln tanzten auf den reglosen Wellen. Sie kommen ihrem Ziel nicht näher, überlegte Marcus. Sie kommen nirgendwohin. Genau wie ich.

Portia deutete auf den Platz neben sich. »Komm, setz dich zu mir.«

Er zögerte und schaute dann über die Schulter zurück.

»Marcus«, sagte Portia mit einem leisen Lachen, »hier kann uns niemand sehen. Vertraue mir. Und jetzt setz dich hin.«

Er holte tief Luft und ließ sich zögerlich auf der Bank nieder, gute zwei Fuß von Portia entfernt, so nah, wie er sich neben sie zu setzen wagte.

»Das ist gefährlich«, sagte er und wandte sich ihr zu, um sie anzuschauen.

»Du bist hier in Sicherheit. Wenn jemand kommt, kannst du immer noch aufstehen , und ich werde so tun, als hätte ich dich hergerufen, damit du mir etwas zu trinken bringst.«

»Und was ist, wenn sie dir nicht glauben?«

Portia zog gebieterisch eine Augenbraue in die Höhe. »Ich bin die Nichte eines römischen Konsuls. Wer wird in meinem eigenen Haushalt an meinem Wort zu zweifeln wagen?«

»Dein Onkel zum Beispiel. Ich glaube nicht, dass er sehr erfreut wäre, wenn er seine edle Nichte bei einem freundschaftlichen Schwätzchen mit einem Sklavenjungen vorfände.«

»Pah!« Portia machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich kann meinen Onkel um den kleinen Finger wickeln, wenn es sein muss – und wenn er noch sosehr einer der mächtigsten Männer in Rom ist, gleich nach dem alten Geldsack Crassus und dem eingebildeten General Pompeius. General Pompös, das würde besser zu ihm passen!« Sie lachte über ihren Witz, und Marcus sah, wie ihre kleinen Zähne blitzten.

Marcus hatte den Klatsch und Tratsch der anderen Sklaven belauscht und dabei erfahren, dass Caesars einziges Kind, seine geliebte Tochter Julia, wenige Tage vor Marcus’ Ankunft in Rom den General Pompeius geheiratet hatte. Jetzt schien es, als sähe Caesar seine Nichte Portia als Ersatz für Julia, die den Haushalt verlassen hatte.

»Jedenfalls«, fuhr Portia fort, »kannst du hier wirklich in völliger Sicherheit mit mir reden, Marcus.«

Er wollte ihr gern glauben, hatte aber immer noch das Gefühl, vorsichtig sein zu müssen. »Worüber sollen wir denn reden?«

Portia schaute überrascht. »Nun, seit deiner Ankunft sind bereits einige Tage vergangen, und ich möchte wissen, wie du dich einlebst. Wie findest du unser Haus?«

»Haus?« Marcus deutete auf den Garten. »Ich dachte, dies wäre ein Palast. Leben alle Römer so?«

»Verglichen mit anderen geht es bei uns recht bescheiden zu.« Portia lächelte. »Du solltest die großen Häuser von Crassus und Pompeius sehen. Das sind nun wirklich Paläste. Aber Onkel Gaius lebt lieber hier, umgeben von ganz gewöhnlichen Menschen. Er sagt, dass er so die Massen auf seiner Seite behält. Er hat noch ein anderes Haus, ein viel größeres als dieses, näher am Forum. Das hat er bekommen, als man ihn vor einer Weile zum Hauptpriester ernannt hat. Aber er nutzt es nur für öffentliche Anlässe. Dies hier ist unser wirkliches Zuhause.« Portia tätschelte ihm freundlich den Arm. »Also, Marcus, erzähl mir alles. Ich möchte wissen, was du von Rom hältst. Du warst noch nie vorher hier, oder?« Sie streckte ihre Hand aus und knuffte ihn leicht. »Ist es nicht aufregend?«

»Aufregend?« Diese Frage überraschte Marcus, und er konnte sich ein bitteres Lächeln nicht verkneifen. »Ich bin so aufgeregt, wie ein Sklave nur sein kann.«

»Ach, komm schon, du gehörst doch zum Haushalt meines Onkels. Du bist nicht mehr in dieser grausigen kleinen Gladiatorenschule, wo er dich entdeckt hat. Ich hätte gedacht, dass du dankbar bist, wie sich die Dinge für dich entwickelt haben.«

Marcus gefiel ihr Ton nicht. In seinem Herzen wallte Empörung auf. »Und ich hätte gedacht, dass dein Onkel vielleicht dankbar ist, dass ich dir das Leben gerettet habe.«

Portia zuckte zusammen, senkte dann den Kopf und schaute auf die Hände in ihrem Schoß. Einen Augenblick lang schwieg sie, ehe sie in bescheidenerem Tonfall fortfuhr.

»Ich bin dir dankbar, Marcus. Wirklich, das bin ich. Und mein Onkel ist es auch – wenn er es sich auch niemals träumen ließe, er könnte einem Sklaven etwas schulden. Es tut mir leid, wie ich gerade geredet habe.« Sie schaute ihn schüchtern an. »Ich will nicht deine Feindin sein. Ich will deine Freundin sein. Ich denke, ich bin wohl ein wenig einsam. Ich habe eigentlich nicht viele Freunde … Bitte hasse mich nicht.«

»Ich hasse dich nicht«, antwortete Marcus steif und tippte dann wütend mit dem Daumen auf das Messingschild, das ihm an einer dicken Kette um den Hals hing. Auf der schimmernden Oberfläche waren sein Name und der seines Herrn eingraviert. »Ich hasse nur das hier. Ich sollte kein Sklave sein. Ich bin frei geboren und habe noch vor einem Jahr in Freiheit gelebt – bis meine Mutter und ich von einem Steuereintreiber entführt und mein … Vater … umgebracht wurde. Eines Tages finde ich meine Mutter und befreie sie. Und ich räche mich an diesem Steuereintreiber Decimus, das schwöre ich dir.«

Portia schaute schockiert. »Was ist geschehen?«

»Mein Vater hatte Schulden gemacht und sich bei Decimus Geld geliehen. Als er es nicht zurückzahlen konnte, schickte Decimus seine Handlanger. Ihr Anführer, ein Mann namens Thermon, hat meinen Vater umgebracht und meine Mutter und mich mitgenommen, um uns als Sklaven zu verkaufen und damit die Schuld zu begleichen.« Bei dieser Erinnerung wurde Marcus das Herz vor Trauer schwer und er wandte den Blick ab.

Portia wurde ganz still und sprach dann leise: »Dann musst du deine Freiheit zurückgewinnen, Marcus, damit du nach deiner Mutter suchen kannst.«

Oder ich könnte fliehen, überlegte Marcus. Kurz bedachte er diese Möglichkeit. Mit dem Halsring des Sklaven würde er nicht weit kommen. Und sobald man ihn wieder eingefangen hatte, würde man ihn zu Caesars Haus zurückschleifen, wo ihn sein Herr streng bestrafen würde. Dann nämlich wurde von Caesar erwartet, dass er gegenüber den anderen Sklaven im Haushalt ein Exempel statuierte – und gegenüber den Sklaven in all den anderen Haushalten überall in Rom.

Marcus seufzte. Die Flucht würde ihm jetzt keinen Vorteil bringen. Viel besser wäre es, seinen ursprünglichen Plan zu verfolgen und herauszufinden, ob er seinen Fall General Pompeius direkt vortragen und dabei das Geheimnis seiner wirklichen Herkunft wahren könnte.

Marcus räusperte sich. »Falls ich deinem Onkel gute Dienste leiste, lässt er mich vielleicht frei. Bis dahin werde ich dich mit meinem Leben verteidigen.«

Portia lächelte. »Danke. Und, Marcus, ich kann dir vielleicht helfen. Ich würde es gern tun, wenn ich kann.«

Nach einem kurzen Schweigen sprach Marcus wieder. »Vielleicht. Aber du musst wissen, dass ich niemals wirklich dein Freund sein kann. Nicht solange ich Sklave und du die Nichte eines Konsuls bist.«

Portia legte eine kleine Pause ein, ehe sie antwortete. »Ich nehme an, du hältst mich für eine verzogene Blage. Eine, die genauso ist wie all die anderen albernen Mädchen, die sich in Sänften durch die Stadt tragen lassen. Nun, vielleicht bin ich das in gewisser Weise auch. Aber mein Onkel ist mächtig, und das bedeutet, dass viele Männer und Frauen sehr begierig danach sind, zu seinen Freunden zu zählen. Also schmeicheln sie sich bei ihm ein, und ihre Söhne und Nichten schmeicheln sich bei mir ein. Niemand behandelt mich wie einen normalen Menschen. Für alle bin ich nur ein Mittel zum Zweck, um Caesars Gunst zu erwirken. Ich bin dreizehn Jahre alt. Nächstes Jahr um diese Zeit bin ich vielleicht schon verheiratet. Mein Onkel wird meine Eheschließung dazu verwenden wollen, seine politischen Ziele voranzutreiben.« Sie lächelte schwach. »Mir liegt nichts an deinem Mitleid. Ich habe schon immer gewusst, wie mein Schicksal aussehen würde, und ich akzeptiere es. Aber ehe es geschieht, möchte ich wenigstens einen einzigen wahren Freund im Leben gehabt haben, Marcus. Als ich in die Arena fiel, sah ich in den Augen der Wölfe meinen sicheren Tod. Aber du hast mich gerettet. Und das bedeutet doch, dass zwischen uns eine wahre Verbindung besteht. Oder nicht?«

Marcus erinnerte sich daran, dass Titus ihm einmal erzählt hatte, wenn ein Soldat einem anderen das Leben gerettet hätte, würden die beiden ab diesem Zeitpunkt zu Brüdern. Doch seine Gefühle für Portia gingen darüber hinaus – was er nicht einmal sich selbst einzugestehen wagte. Obwohl er wusste, wie verschieden ihre Welten waren, wünschte er sich doch verzweifelt, ihre Worte wären wahr. »Ich denke schon.«

»Dann kannst du mein geheimer Freund sein und ich bin deine geheime Freundin. Ich kann mit dir frei sprechen und du mit mir. Vielleicht kann ich dir irgendwann sogar helfen, deine Freiheit zu gewinnen.«

Mehr als alles andere wünschte sich Marcus jemanden, mit dem er frei sprechen könnte. Doch es kam für ihn nicht infrage, Portia gegenüber auch nur die kleinste Andeutung über seine wahre Identität zu machen. Das Gespenst des Spartakus verfolgte sie, ihren Onkel und jeden Römer noch immer bis in den Schlaf. Spartakus hatte vorgehabt, ihrer Lebensweise ein Ende zu setzen.

Marcus lächelte gequält. »Ich danke dir, Herrin Portia.«

Sie schaute verletzt. »Nur Portia, wenn wir allein sind. Bitte.«

»Wie du willst, Portia.«

Sie lächelte. »Na also! Dann ist es abgemacht. Wir sind Freunde und sprechen wann immer möglich wie Freunde miteinander. Ich möchte, dass du mir erzählst, wie Festus dich ausbildet, was du von Rom hältst, und ich berichte dir alles, was in den feinsten Häusern der Stadt vor sich geht.«

Wieder lächelte Marcus. Portia wollte gerade weiterreden, als ein Ruf durch den Garten schallte.

»Marcus! Marcus! Wo steckst du bloß, Junge?«

Marcus erkannte den harschen Tonfall von Flaccus, dem Verwalter des Haushalts. Er wandte sich zu Portia, während er sich von der Bank erhob.

»Ich muss gehen.«

»Ja.« Sie ergriff seine Hand erneut und drückte sie sanft. »Wir reden bald wieder miteinander, hoffe ich.«

Marcus nickte, als Flaccus noch einmal seinen Namen brüllte, und eilte aus der geschützten Ecke den Pfad am Rand des Gartens dem Mann entgegen. Als er den schattigen Säulengang erreichte, der am Haus entlang verlief, erblickte er den Verwalter – eine kleine, übergewichtige Gestalt in einer grünen Tunika. Flaccus war kahlköpfig, mit Ausnahme eines stark eingeölten Fransenrandes, der rings um seinen Schädel verlief. Seine schweren Wangen schwabbelten, als er sich dorthin wandte, wo Marcus’ leichte Schritte zu hören waren.

»Wo beim Hades bist du denn gewesen?«, knurrte der Mann.

»Hier im Garten, Herr«, antwortete Marcus, als er vor dem Verwalter zu stehen kam.

»Nun, lass dich bloß nicht noch einmal von mir dabei erwischen. Wenn du nicht gebraucht wirst, bleibst du im Wohnquartier der Sklaven, bis man nach dir ruft. Verstanden?« Seine Hand schoss vor und er gab Marcus eine schallende Ohrfeige.

Unter dem Schlag flog Marcus’ Kopf zur Seite und ein dumpfes Geräusch brummte in seinen Ohren. Er zwinkerte und starrte den Verwalter an. »Jawohl, Herr.«

»Sieh zu, dass du dich daran hältst, sonst bekommst du beim nächsten Mal eine Tracht Prügel, die du so schnell nicht vergessen wirst.« Der Verwalter stemmte seine fetten Hände in die Hüften und starrte eiskalt zu Marcus hinunter.

»Ich weiß, was du an dieser Gladiatorenschule getan hast. Und ich weiß, dass der Herr einen Narren an dir gefressen hat. Aber glaube bloß nicht, dass dir das hier eine Sonderstellung verschafft. Du bist keinen Deut besser als wir anderen Sklaven. Ich bin hier der Verwalter. Du hast dich mir zu verantworten. Wenn du mich ärgerst, wirst du es bitter bereuen. Ich behandle dich nicht anders als die anderen Küchenjungen. Ist das klar?«

»Jawohl, Herr.«

Flaccus stupste Marcus mit dem Finger auf die Brust. »Also dann. Der Herr bricht zum Senat auf. Er hat Anweisung gegeben, dass du dich seinem Gefolge anschließen sollst. Du sollst dir einen Umhang aus der Kleidertruhe nehmen und am Eingang auf ihn warten. Nun, was gibt’s noch, Bürschchen? Auf, beweg dich!«

III

Marcus stand mit einer Gruppe anderer Sklaven und Bediensteter in der Eingangshalle und wartete mit ihnen darauf, dass ihr Herr erscheinen würde. Marcus hatte sich aus den Kleidungsstücken, die in der Truhe in der Küche aufgehäuft waren, den Umhang ausgesucht, der am wenigsten ranzig roch. Trotzdem stank er nach Schweiß, und Marcus hatte sorgfältig darauf geachtet, die Kapuze so weit wie möglich nach hinten zu schieben, und sich vorgenommen, sie nur aufzusetzen, wenn es unbedingt sein musste. Die anderen Männer trugen entweder eine Tunika oder einen Umhang, die auf ihren Rang im Hause hinwiesen. Die Sklaven waren ebenso schlicht gekleidet wie Marcus, während Festus, ein Freigelassener, eine saubere rote Tunika und einen braunen Umhang trug, wie alle Männer, die er für Caesars persönliche Leibwache angeheuert hatte. Marcus bemerkte ihre grimmigen Mienen, ihre wettergegerbten Gesichter und muskelbepackten Arme und überlegte, dass sie wohl alle Gladiatoren oder ehemalige Legionäre wie sein Vater waren.

Aber er war nicht mein Vater, erinnerte sich Marcus. Er schob den Gedanken an Titus von sich, genau wie die Trauer in seinem Herzen. Er musste jetzt stark sein. Er durfte seinen Gefühlen nicht nachgeben. Er konnte es sich nicht leisten, Schwäche zu zeigen, wenn er seine Mutter retten wollte. Das Einzige, was jetzt zählte, war das, was er in der harten Ausbildung in Porcinos Gladiatorenschule gelernt hatte.

»Hier, mein Junge, nimm das.«

Marcus blickte auf und sah, dass ihm Festus einen dicken Knüppel hinhielt. Am unteren Teil lief dieser vom schwereren anderen Ende zu einem schmalen Griff zu, der mit Lederriemen umwickelt war, damit man ihn besser festhalten konnte. Marcus nahm den Knüppel und wiegte ihn in der Hand, um das Gewicht abzuschätzen. Er trat einen Schritt von Festus zurück und schwang die Waffe locker hin und her. Er stellte fest, dass der Knüppel gut ausgewogen war und eine nützliche Waffe sein würde. Festus schaute ihm anerkennend zu.

»Gut zu sehen, dass du mit den Werkzeugen unseres Berufs vertraut bist.«

Marcus schaute sich um und bemerkte, dass sich die anderen Männer die Knüppel entweder in den Gürtel gesteckt hatten oder sie am dicken Ende gefasst trugen, als wären es Wanderstöcke. Er wandte sich erneut Festus zu.

»Warum tragen deine Leute keine Schwerter?«

Festus zog die Augenbrauen in die Höhe. »Ah, du bist ja noch nicht lange in Rom. Nun, mein Junge, das Gesetz bestimmt, dass niemand innerhalb der Stadtgrenzen ein Schwert tragen darf. Keiner befolgt diese Regel, aber es würde nicht gut aussehen, wenn jemand, der im Lichte der Öffentlichkeit steht, das Gesetz bricht. Deswegen haben wir die Knüppel dabei – und außerdem noch einige andere Dinge. Hast du schon einmal einen Knüppel benutzt?«

»Ja, während meiner Ausbildung«, antwortete Marcus. »Im ersten Monat, ehe wir richtige Waffen benutzen durften.«

»Dies ist eine richtige Waffe«, knurrte Festus, während er seinen eigenen Knüppel hochnahm. »Beinahe so gut wie ein Schwert, wenn es zu einem Kampf kommt. Und er macht weniger Schmutz. Das Allerletzte, was Caesar und die anderen großen Männer Roms wünschen, ist, dass auf den Straßen Blut fließt. Wenn du allerdings jemandem mit dem Knüppel den Schädel einschlägst, gibt es doch eine ordentliche Schweinerei.« Er hielt inne und schaute Marcus mit zusammengekniffenen Augen an. »Eine Sache noch. Du nennst mich ›Meister‹, wenn du mit mir redest. Verstanden?«

»Jawohl … Meister.«