Nr. 1171
Der Todesimpuls
Gefahr für EDEN II – der Vernichtungsbefehl wird empfangen
von Clark Darlton
Die tödliche Bedrohung der Erde durch Vishna, die abtrünnige Kosmokratin, begann bereits im Jahr 426 NGZ. Doch nun, da das Erde-Mond-System in den Grauen Korridor versetzt wurde, scheint der Untergang der irdischen Menschheit über kurz oder lang besiegelt zu sein.
Hilflos in diesem undurchdringlichen Schlauch gefangen, der Terra und Luna vom Rest des Universums trennt, müssen die Menschen eine Heimsuchung Vishnas nach der anderen über sich ergehen lassen.
Im April 427 sind es deren bereits sechs, die zumeist nur mit viel Glück abgewendet wurden, bevor sie die terranische Zivilisation ins totale Chaos stürzen und große Teile der Menschheit vernichten konnten. Und dann erfolgt mit »Einsteins Tränen« der entscheidende Schlag Vishnas ...
Kurz vor diesem Zeitpunkt ereignen sich auch in der weit entfernten Galaxis M 82, in der sowohl Perry Rhodan mit seiner Galaktischen Flotte als auch die Endlose Armada operiert, entscheidende Dinge.
Eines dieser Ereignisse wirkt sich direkt auf EDEN II aus, Sitz von ES und Heimstatt des Milliardenbewusstseins. Die Superintelligenz selbst wird durch eine unheimliche Gefahr bedroht. Auslöser dieser Gefahr ist DER TODESIMPULS ...
Die Hauptpersonen des Romans
ES – Die Superintelligenz wird angegriffen.
Tako Kakuta und Balton Wyt – Zwei Wächter werden überrumpelt.
Betty Toufry und André Noir – Zwei Sklaven der Todesboten.
Belinda, Dermot, Oldtimer und Rantu – Spontanprojektionen von ES.
Pertrex – Ein Mutant von Cronta.
1.
Seit Ernst Ellert den Halbplaneten EDEN II verlassen hatte, um durch den Grauen Korridor zur Erde zurückzukehren, schien sich die Oberfläche nur geringfügig verändert zu haben, zumindest hatte der ehemalige Teleporter Tako Kakuta diesen Eindruck, als er – herausgelöst aus dem Milliardenbewusstsein des Unsterblichen ES – seinen Vorgänger, den ehemaligen Telekineten Tama Yokida, bei der routinemäßigen Wachperiode ablöste.
Für die Bewusstseine der Mutanten, die in ES aufgegangen waren, mussten diese Patrouillen auf der umgebauten Schnittfläche des halbierten Planeten stets eine höchst willkommene Abwechslung sein, schon deshalb, weil sie zu diesem Zweck ihre ursprünglichen Körper zurückerhielten, wenn auch meist nur in halb verstofflichter Form.
Tako wunderte sich ein wenig, dass der übliche Nebel fehlte, der über der von ES geschaffenen Landschaft lag. Eine der Kunstsonnen stand fast senkrecht über ihm, und er konnte die Wärme ihrer Strahlen deutlich spüren, auch wenn sie seinen halbtransparenten Körper mühelos durchdrangen.
Am Anfang der großen Ebene, die vor ihm lag, blieb er stehen und überlegte, welchen Weg er einschlagen sollte.
Die vor ihm liegende Landschaft kam Tako vage bekannt vor. Der Fluss, der sich durch die flachen Hügel der Grasebene schlängelte, war auch früher hier gewesen, nicht jedoch die vielen Waldgruppen, die eine willkommene Abwechslung schufen.
Über die Ebene spannte sich der übliche graue Himmel. Die künstliche Atmosphäre war zu dünn, vermutete Tako, um einen Blaueffekt zu erzeugen, aber sie war sauber und klar. Tako atmete tief ein, froh darüber, wieder atmen zu können.
Und doch wurde er ein Gefühl nicht los, das sich immer wieder in den Vordergrund zu drängen versuchte.
Es beunruhigte ihn. Hatte es vielleicht etwas mit dem zu tun, was ES ihm vor seiner Entsendung auf die Oberfläche mitgeteilt hatte?
Du wirst Tama Yokida ablösen und den Patrouillengang übernehmen. Deine Fähigkeit als Teleporter kann ich dir nur in einem Notfall zurückgeben, vergiss das nicht. Und nun ... Tako glaubte noch, das mentale Lachen zu vernehmen, das der Unsterbliche ihm zuschickte, ... wünsche ich dir viel Vergnügen. Genieße den Vorzug, einen Körper zu besitzen. Tako setzte sich wieder in Bewegung. Der Hinweis auf einen Notfall hatte ebenfalls nichts zu bedeuten – hoffte er. Wer auch sollte der Superintelligenz ES im geistigen Mittelpunkt seiner eigenen Mächtigkeitsballung etwas anhaben können?
Langsam ging er den sanft abfallenden Hang hinab und wanderte dann durch das fußhohe Gras, bis er das Flussufer erreichte.
Lange betrachtete er das kristallklare Wasser des Flusses, in dem Fische schwammen. ES hatte wirklich alles getan, um EDEN II eine naturgetreue Realität zu verleihen. Auch die Vögel und Insekten, die über die Wasseroberfläche dahinstrichen, waren echt – oder wirkten zumindest so.
Flussaufwärts erblickte er ein Wäldchen, das zur Rast einlud. Es reichte bis hinab zum Ufer.
Er ging weiter, ohne Hunger oder Durst zu empfinden. Sein halb verstofflichter Körper benötigte keinerlei Nahrungsaufnahme. Das war ein weiterer Punkt, der ihm zu denken gab. Bei früheren Aufenthalten auf EDEN II hatte der Unsterbliche stets für Speisen und Getränke gesorgt, die dem früheren Geschmack der Mutanten entsprachen. Diesmal entstand nicht das geringste Hungergefühl. Warum das?
Tako wusste es nicht, aber er ahnte, dass seine Patrouille unter anderen Vorzeichen stand als die bisherigen.
Er war froh, als er den Waldrand erreichte und die wohltuende Kühle spürte, die von ihm ausging. Dicht beim Ufer suchte er sich einen geeigneten Rastplatz und streckte sich im Gras aus.
»Ich rufe das Milliardenbewusstsein«, sagte er laut. »Hier ist alles so, wie es sein sollte. Gibt es neue Anweisungen für mich?«
Die mentale Antwort erfolgte ohne jede Zeitverzögerung.
Keine neuen Anweisungen, Tako, teilte ES mit. Aber melde dich sofort, wenn du Ungewöhnliches bemerkst.
»Du wartest auf so etwas?«, wagte sich Tako ein Stück vor.
Es geschehen Dinge im Universum, die Ungewöhnliches verursachen können, wich der Unsterbliche einer klaren Auskunft aus. Um ganz ehrlich zu sein, Tako, selbst ich weiß nicht, worauf ich warte und was geschehen könnte. Ich ließ euch wissen, dass ich nicht allmächtig bin, aber das scheint ihr wieder vergessen zu haben.
Tako nickte unwillkürlich, als er den Kontakt unterbrach.
*
Die Fische, die Vögel, die Bäume und auch die auf der Oberfläche von EDEN II vorhandenen technischen Anlagen hatte ES geschaffen, und zwar aus der Energie des Kosmos, die ES in Materie verwandelte.
Tako lag noch lange wach, ehe er endlich in einen unruhigen Schlummer hinüberglitt, der von der Ungewissheit überschattet wurde, die immer mehr Besitz von ihm ergriff.
Als Tako nach wenigen Stunden erwachte, war er genauso müde wie zuvor.
Etwas mühsam erhob er sich, ging hinab zum Wasser und erfrischte sich. Die Tropfen rannen an seinem halb transparenten Körper herab und glitzerten im Sonnenschein.
Nach der provisorischen Wäsche wanderte er in der ursprünglichen Richtung weiter und verließ das Wäldchen bereits nach kurzer Zeit.
Seine rätselhafte Unruhe hatte sich trotz der Ruhepause nicht gelegt, sie war im Gegenteil eher größer geworden. Die Antwort von ES auf seine Frage hatte ihn nicht befriedigt.
Was aber, so fragte er sich erneut, sollte hier auf EDEN II, im Zentrum der positiven Mächtigkeitsballung, schon passieren, das dem Milliardenbewusstsein und der Superintelligenz ES gefährlich werden könnte? Tako konnte sich keine solche Gefahr vorstellen, obwohl er immer wieder darüber nachdachte.
Der Fluss machte einen Bogen. Tako schnitt ihn ab, indem er das Ufer verließ und quer durch die Grassteppe marschierte. Links begrenzte ein mittleres Gebirge den Blick zu dem sonst fernen Horizont. Dort war bereits der Schimmer einer anderen Kunstsonne zu erkennen, während die bisherige ein gutes Stück zurückgefallen war.
Durchaus normal, dachte Tako, der sich pausenlos bemühte, etwas Außergewöhnliches zu entdecken, allerdings vergeblich.
Als er die flachen Ausläufer des Gebirges erreichte und überquerte, verlangsamte er sein Tempo, um sich nicht unnötig anzustrengen.
Als er das Gipfelplateau des ersten Ausläufers betrat, blieb er stehen und sah sich nach allen Seiten um. Jenseits des Flusses erkannte er deutlich die Umrisse einer der vielen technischen Anlagen, die von ES erschaffen worden waren und meist unbekannten Zwecken dienten. Alle Anlagen arbeiteten mit Energien, die auch Tako ein Rätsel blieben.
Er wandte seine Aufmerksamkeit der Richtung zu, in die zu gehen er beabsichtigte. Er wollte wieder zurück zum Fluss. Drei weitere Gebirgsausläufer waren es, die er noch überqueren musste.
Vergeblich, wie schon so oft zuvor, versuchte er, etwas »Ungewöhnliches«, wie ES sich ausgedrückt hatte, zu entdecken. Wenn es doch wenigstens einen Anhaltspunkt gäbe! Wie sollte er wissen, was der Unsterbliche als ungewöhnlich bezeichnete, wenn im Grunde genommen der ganze Planet EDEN II in seiner Art ungewöhnlich war?
Die alpine Vegetation etwa, die das Plateau bedeckte und die er hier noch nie vorher gesehen hatte? Wohl kaum.
Tako zuckte irritiert die Schultern und ging weiter. Das Tal lag unmittelbar unter ihm, nur scheinbar von dem Gebirgsbach in Jahrtausenden in die Landschaft gegraben.
Im Tal angelangt, überquerte er den Bach und begann wieder mit dem Anstieg.
Vom Plateau des zweiten Ausläufers aus schaute er hinab in das dahinterliegende Tal, das rechts vor dem großen Fluss ziemlich eng wurde. Auch hier gab es einen schmalen Bach, der sich durch Felsblöcke und Gebüsch zwängte.
Tako blieb ruckartig stehen, als er plötzlich weit vor und unter sich eine Bewegung zu sehen glaubte. Er war überrascht. Auf die Erschaffung größerer Lebewesen hatte der Unsterbliche bisher verzichtet.
Die Bewegung war keine Täuschung gewesen, erkannte Tako nach längerer Beobachtung. Es mussten mindestens ein Dutzend etwa ein Meter großer Gestalten sein, die tief unten im Talkessel herumsprangen und allem Anschein nach Jagd aufeinander machten.
»Das muss ich mir aus der Nähe ansehen«, murmelte Tako.
*
Als er sich der Talsohle näherte, wurde er vorsichtiger. Er hatte nicht die Absicht, die fremden Lebewesen, die ohne jeden Zweifel von ES erschaffen worden waren, zu erschrecken. Sicher gehörten sie in die Kategorie der seltsamen Späße, auf die ES selbst in kritischen Situationen nie verzichtete.
Hinter einem größeren Felsbrocken fand er Deckung. Von hier aus, so hoffte er, konnte er sich die Phantasiegebilde des Unsterblichen in aller Ruhe betrachten, ohne von ihnen bemerkt zu werden.
Die Tiere – rein instinktiv stufte Tako die ihm unbekannten Lebewesen als Tiere ein – waren in der Tat nur etwa einen Meter groß. Sie hatten zwei Beine und zwei Arme, die in fast menschlichen Händen mit Fingern endeten. Überhaupt wirkten sie sehr humanoid, etwa wie die Zwerge fast vergessener Märchen und Sagen, aber sie waren unbekleidet und mit einem dichten zottigen Fell bedeckt, das an das Fell kleiner Bären erinnerte.
Nun konnte er auch die Gesichter erkennen. Sie ähnelten den Gesichtern junger Schimpansen, was seinen ersten Eindruck, es könne sich um Tiere handeln, nur verstärkte.
Die wilde Jagd durch die zerklüfteten Felsen war ein Spiel, das wurde Tako bereits nach wenigen Minuten klar. Elf Zwerge – so hatte er bei sich die kleinen Fremden getauft – duckten sich und hielten sich die Augen zu, während der zwölfte sich ein Versteck suchte. Dann mussten sie ihn finden und nach seiner Entdeckung auch noch erfolgreich einfangen, was gar nicht so einfach zu sein schien.
Tako konnte sich an dem possierlichen Treiben der Zwerge nicht satt sehen, und er war ES für die harmlose Abwechslung ehrlich dankbar. Für einen Augenblick dachte er daran, Kontakt mit der Superintelligenz aufzunehmen, aber dann verzichtete er darauf. Warum auch ES damit belästigen? Die »abendliche« Routinemeldung, dass alles in Ordnung sei, würde für ein Dankeschön genügen.
Nun änderten sie die Spielregeln. Zwei Schimpansen-Bärchen versteckten sich, und die restlichen zehn mussten suchen und jagen. Dadurch wurde alles noch viel spannender und aufregender.
Tako lag halb aufgerichtet in seinem Versteck hinter dem Felsen und war vor einer Entdeckung sicher, solange keiner der Spielenden auf den Gedanken kam, sich dahinter zu verbergen.
Aber genau das passierte.
Das possierliche Wesen starrte ihn aus seinen großen und runden Augen verblüfft an, ehe es schrille Laute ausstieß, um die anderen zu warnen. In gewaltigen Sprüngen kehrte es dann zu ihnen zurück und berichtete schnatternd von seiner Entdeckung.
Tako sah nun keine Veranlassung mehr, sich länger zu verstecken. Die Fremden sahen so harmlos und verspielt aus, dass sie bestimmt keine Gefahr bedeuteten. Er richtete sich also vollends auf und hob zum Zeichen seiner Friedfertigkeit beide Hände und streckte sie ihnen entgegen.
Zuerst standen die Zwerge wie erstarrt, aber dann schienen sie ihren ersten Schreck erstaunlich schnell überwunden zu haben. Zögernd kamen sie näher und umringten Tako.
Wirklich! Eine reizende Überraschung von ES, dachte dieser. Eine Verständigung wird es ja wohl kaum geben, aber das macht nichts.
Sie standen noch immer um ihn herum, und plötzlich hatte Tako den Eindruck, dass sich ihre possierlichen und verschmitzten Gesichter veränderten. Es waren feindselige und bösartige Augen, die ihn von allen Seiten her anblickten – Augen, die Angriffslust verrieten.
Besonders einer der Zwerge – es war jener, der unmittelbar vor ihm stand – hatte einen Ausdruck in seinem Gesicht, der Tako unwillkürlich einen Schritt zurückweichen ließ. Dabei stolperte er über einen Stein und setzte sich recht unsanft auf den Boden. Ehe er sich hastig wieder erheben konnte, geschah etwas Unheimliches.
*
Er sah sich plötzlich selbst – halb entstofflicht und nahezu durchsichtig. Sein Bewusstsein verließ den Pseudokörper und schwebte dicht über ihm. Es geschah keineswegs freiwillig, und mit absoluter Sicherheit war es auch nicht der Unsterbliche, der ihn zurück in das Milliardenbewusstsein zu holen beabsichtigte.
Er wurde mit Gewalt aus dem halbstofflichen Projektionskörper herausgesogen.
Gegen seinen Willen!
Als er das begriff, begann er sich zu wehren. Diese merkwürdigen Zwergwesen mussten es sein, die über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügten und sie nun gegen ihn einsetzten.
Ungewöhnliche Fähigkeiten ...?
Nach etwas Ungewöhnlichem sollte er Ausschau halten!
Das hier war ungewöhnlich!
Drei Meter über sich selbst schwebend nahm er Kontakt mit ES auf.
Das heißt, er versuchte es.
Der Unsterbliche reagierte nicht. Die sonst immer gut funktionierende mentale Verbindung zu dem Milliardenbewusstsein war unterbrochen.
Zu seinem Entsetzen sah Tako, als er wieder nach unten blickte, seinen Projektionskörper immer transparenter werden und schließlich völlig verschwinden.
Das war niemals das Werk von ES!
So etwa, dachte Tako während einer blitzschnell vorbeihuschenden Sekunde, musste es Ernst Ellert ergehen, wenn er einen gerade benutzten Wirtskörper verließ, um seine Reisen durch Raum und Zeit anzutreten.
Dann blieb ihm keine Zeit mehr, überflüssige Betrachtungen anzustellen.
Das schräg unter ihm stehende Zwergwesen, in dessen bösartig funkelnde Augen er wie hypnotisiert blickte, kam näher – oder vielmehr er näherte sich ihm. Er sank ihm entgegen, mit unwiderstehlicher Macht angezogen.
Verzweifelt versuchte Tako noch einmal, Kontakt mit ES aufzunehmen, aber die Superintelligenz antwortete nicht. Er empfing überhaupt keinen einzigen Gedanken.
Er fiel, ohne dass er etwas dagegen tun konnte, regelrecht in den zwergenhaften Körper des fremden Wesens hinein, dessen Bewusstsein ihn bereitwillig aufnahm und ihn zwang, eins mit ihm zu werden.
*
Dieses Einswerden wurde für Tako zu einem noch schlimmeren Schock als das bisher Erlebte. Bis zu diesem Augenblick hatte er die unverständliche Veränderung der Fremden nur gesehen, nun aber konnte er die Bösartigkeit und den Hass auch fühlen. Hass und grenzenloser Vernichtungswille begannen nun auch von ihm Besitz zu ergreifen.