Anaïs Nin
Das Delta der Venus
Erzählungen
Aus dem Amerikanischen von Eva Bornemann
FISCHER E-Books
Anaïs Nin wurde 1903 als Tochter einer Dänin und eines spanischen Musikers in Paris geboren. Sie wuchs in New York auf, wo sie bereits als Elfjährige mit dem Verfassen ihrer Tagebücher begann. Verheiratet mit dem Bankier Hugh Guiler, war sie gleichzeitig Gefährtin und Muse berühmter Zeitgenossen. Mit Henry Miller unterhielt sie eine leidenschaftliche Beziehung. Neben ihren Prosaschriften gelangte sie vor allem durch ihre Tagebücher zu literarischem Weltruhm. Anaïs Nin starb 1977 in Los Angeles.
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Covergestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich
Foto: Kay Campbell/ IFA-Bilderteam
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2011
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1977
unter dem Titel ›Delta of Venus‹
im Verlag Harcourt Brace, New York
© 1977 by the Anaïs Nin Trust
Für die deutsche Ausgabe:
© Scherz Verlag, Bern und München, 1980
Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.
Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt.
ISBN 978-3-10-400278-1
Ein Privatsammler bietet Henry Miller hundert Dollar monatlich für erotische Erzählungen. Es erinnert an eine Dantische Strafe, daß Henry dazu verurteilt werden soll, Erotika, die Seite für einen Dollar, zu produzieren. Henry empört sich dagegen, weil seine gegenwärtige Verfassung alles andere als Rabelaisisch ist. Weil Schreiben auf Befehl einer Selbstverstümmelung gleichkommt. Weil das Bewußtsein, daß ein Voyeur durchs Schlüsselloch späht, seinen phantastischen Abenteuern alle Unmittelbarkeit und Vergnüglichkeit raubt.
Henry erzählte mir von dem Büchersammler. Sie treffen sich manchmal zum Mittagessen.
Er hatte Henry ein Manuskript abgekauft, und ihm dann den Vorschlag gemacht, er solle für einen seiner alten und vermögenden Klienten etwas schreiben. Viel wußte er von dem Klienten nicht zu berichten, nur daß er sich für erotische Literatur interessiere.
Henry machte sich vergnügt, unter Späßen, an die Arbeit. Er erfand unsinnige Geschichten, über die wir uns amüsierten.
Henry hatte sich auf ein Experiment eingelassen, und zunächst schien die Aufgabe leicht zu sein. Doch nach einer Weile wurde sie ihm lästig. Er wollte keinen der Stoffe verwenden, über die er in seinem eigentlichen Werk zu schreiben plante, und war deshalb gezwungen, seinen Einfällen und Stimmungen Gewalt anzutun.
Von seinem sonderbaren Auftraggeber erhielt Henry nie ein Wort der Bestätigung. Es war natürlich möglich, daß er seine Identität nicht preisgeben wollte. Doch Henry fing an, den Sammler zu necken. Existierte der Auftraggeber wirklich? Oder waren die Blätter für den Sammler selbst und dazu bestimmt, seinem eigenen trübseligen Leben eine Steigerung zu geben? Waren Auftraggeber und Sammler ein und dieselbe Person?
Henry und ich erörterten diese Fragen des langen und breiten und waren ebenso verwirrt wie amüsiert.
Zu diesem Zeitpunkt teilte der Sammler Henry mit, daß sein Klient auf dem Weg nach New York sei und daß Henry ihn kennenlernen werde. Doch aus irgendeinem Grund fand die Zusammenkunft niemals statt …
Wenn Henry ihn nach der Reaktion des Gönners auf seine Geschichten fragte, sagte der Sammler: »Oh, ihm gefällt alles. Er findet alles wunderschön. Aber am liebsten hat er es, wenn es nur Schilderungen sind, Erzählungen ohne Deutungen und philosophische Betrachtungen.«
Als Henry Geld für seine Reise brauchte, schlug er mir vor, inzwischen selbst einige Erotika zu schreiben. Ich wollte nichts Selbsterlebtes preisgeben und beschloß, eine Mixtur aus Gehörtem und Erfundenem zu fabrizieren, jedoch so zu tun, als stammten die geschilderten Episoden aus dem Tagebuch einer Frau.
Den Sammler bekam ich nie zu Gesicht. Er wollte meine Seiten lesen und mir dann sein Urteil mitteilen.
Heute erhielt ich einen Anruf. »Es ist gut so. Aber lassen Sie die poetischen Stellen und die Beschreibungen weg, außer denen, die sich auf Sexuelles beziehen. Beschränken Sie sich auf Sex.«
Wenn ich sinnliche oder poetisch-erotische Beschreibungen gab, beschwerte sich der Klient; ich fing deshalb an, mit heimlicher Ironie zu schreiben, exotisch, erfindungsreich zu werden und derart zu übertreiben, daß ich glaubte, er müsse bemerken, daß ich Sexualität karikierte. Doch ein Protest erfolgte nicht.
Ich verbrachte mehrere Tage in der Bibliothek mit dem Studium des Kama Sutra, ließ mir von Freunden ihre außergewöhnlichsten Abenteuer erzählen und schrieb …
Jeden Morgen nach dem Frühstück setze ich mich hin und schreibe mein Tagessoll an Erotika.
Heute morgen tippte ich: »Es war einmal ein ungarischer Abenteurer …« Ich verlieh ihm zahlreiche vorteilhafte Eigenschaften: Schönheit, Eleganz, Anmut, Charme, schauspielerische Fähigkeiten, Kenntnis vieler Sprachen, eine hervorragende Begabung für Intrige, das Genie, sich aus schwierigen Situationen herauszuwinden, die Gabe, Verhältnissen von Dauer und Verantwortung aus dem Weg zu gehen.
Ein Telefonanruf: »Der alte Herr ist sehr zufrieden. Konzentrieren Sie sich auf Sex. Lassen Sie den poetischen Firlefanz weg.«
Seither sind die erotischen »Tagebücher« zur Epidemie geworden. Alle schreiben ihre sexuellen Erfahrungen auf. Erfundenes, Erlauschtes, bei Krafft-Ebing und in anderen medizinischen Büchern Gelesenes. Wir führen komische Gespräche. Einer erzählt eine Geschichte, und die übrigen müssen herausfinden, ob sie wahr oder unwahr ist. Oder ob sie glaubhaft klingt. Ist es zu glauben? Robert Duncan machte uns das Anerbieten, unsere Erfindungen durch das Experiment zu prüfen, unsere Phantastereien zu bestätigen oder zu negieren.
Ich bin sicher, daß der alte Mann von den Seligkeiten, Verzückungen, blendenden Rückstrahlungen geschlechtlicher Begegnungen nichts weiß. Lassen Sie die dichterische Verbrämung weg, das ist seine Botschaft. Klinischer Sex, aller Liebesglut, Orchestrierung der Sinne des Gefühls, Gehörs Gesichts, Geschmacks, aller euphorischen Begleiterscheinungen, musikalischen Hintergründe, Stimmungen, atmosphärischen Veränderungen beraubt, hat ihn gezwungen, seine Zuflucht zu literarischen Aphrodisiaka zu nehmen.
Wir hätten bessere Geheimnisse in Flaschen abfüllen können, um sie ihm mitzuteilen, doch ihnen gegenüber wäre er taub. Aber wenn er eines Tages die Sättigung erreicht hat, werde ich ihm sagen, daß er uns durch seine Besessenheit auf die von Emotionen entleerten Gesten fast um das Interesse an der Leidenschaft gebracht hat. Und wie sehr wir ihn geschmäht haben, weil er uns fast dazu trieb, Keuschheitsgelübde abzulegen, indem er verlangte, daß wir auf all das verzichteten, was unser Aphrodisiakum ist – Dichtung.
Ich erhielt hundert Dollar für meine »Erotika«. Gonzalo brauchte Geld für den Zahnarzt, Helba einen Spiegel, vor dem sie tanzt, und Henry einen Reisezuschuß.
Die Telefonrechnung nicht bezahlt. Das Netz der ökonomischen Schwierigkeiten schließt sich über mir. Alle in meiner Umgebung verantwortungslos, bemerken den Schiffbruch nicht. Ich habe dreißig Seiten Erotika geschrieben.
Mit der Tatsache bewußt geworden, daß ich ohne einen Cent bin. Den Sammler angerufen. Ob er von seinem reichen Klienten Nachricht erhalten habe bezüglich des letzten Manuskripts, das ich geschickt hatte? Nein, aber er wolle das nehmen, was ich gerade beendet hätte, und mich dafür bezahlen. Henry muß zum Arzt gehen. Gonzalo braucht eine Brille. Robert kam mit B. an und bat mich um Geld für die Kinovorstellung. Der Ruß vom blinden Fenster fällt auf mein Maschinenpapier und meine Arbeit. Robert kam und nahm mir meine Schachtel mit Maschinenpapier fort.
Ist der alte Herr der Pornographie nicht endlich müde? Wird denn kein Wunder geschehen? Ich fange an, davon zu träumen, daß er sagt: »Geben Sie mir alles, was sie schreibt. Ich will alles haben, alles gefällt mir. Ich will ihr ein großes Geschenk machen, einen dicken Scheck will ich ihr schicken zum Dank dafür, daß sie geschrieben hat.«
Meine Schreibmaschine ist kaputt.
Mit hundert Dollar in der Tasche fand ich meinen Optimismus wieder. Ich sagte zu Henry: »Der Sammler widerspricht sich. Er behauptet, einfache, unintellektuelle Frauen zu schätzen – aber er hat mich zum Abendessen eingeladen.« Ich habe ein Gefühl, als ob Pandoras Büchse die Geheimnisse der weiblichen Sinnlichkeit enthalte, die von der des Mannes so verschieden ist und durch seine Sprache nicht erfaßt wird. Die Sprache des Geschlechtlichen muß noch erfunden werden. Die Sprache der Sinne muß noch erkundet werden. D. H. Lawrence begann damit, dem Instinkt sprachlichen Ausdruck zu verleihen, er versuchte, das klinische, das wissenschaftliche Vokabular zu vermeiden, da es die Empfindungen des Körpers nicht einfängt.
Bei seinem Besuch stellte er (Henry Miller) einige widersprüchliche Behauptungen auf. Daß er von Nichts leben könne, daß er sich wohl genug fühle, um sogar eine Stellung anzunehmen, daß seine Integrität ihn daran hindere, in Hollywood Szenarios zu schreiben. Zu dieser letzten Feststellung bemerkte ich: »Und was wird aus meiner Integrität, wenn ich für Geld Erotika schreibe?«
Henry lachte, gab Paradoxe und Widersprüche zu, lachte und wechselte das Thema.
Die Ironie des Schicksals will, daß in Frankreich eine Tradition der anspruchsvollen erotischen Literatur besteht, die sich durch vorzüglichen, eleganten Stil auszeichnet und die durch die besten Schriftsteller gepflegt wird. Als ich für den Sammler zu schreiben begann, glaubte ich, hierzulande gäbe es ähnliche Tradition, fand jedoch überhaupt keine. Alles, was ich entdeckte, ist schlecht geschrieben, wirkt unecht und stammt von zweitklassigen Autoren. Kein guter Schriftsteller scheint sich je an Erotika versucht zu haben.
Ich erzählte ihm die Geschichte von unserer gemeinsamen Erotika-Produktion. Welche Beiträge Caresse, Robert, Virginia und andere leisteten. Seinem Sinn für Humor gefiel die Vorstellung, daß ich die »Madame« dieses literarischen snobistischen Schriftsteller-Bordells bin, in dem alles Vulgäre tabu ist.
Unter Lachen erklärte ich ihm: »Ich stelle das Maschinen- und das Kohlepapier, ich befördere die anonymen Manuskripte und sorge dafür, daß die Anonymität aller Mitarbeiter gewahrt bleibt.«
George Baker meinte, dies sei wesentlich amüsanter und anregender, als sich bei seinen Freunden das Geld für Mahlzeiten leihen, erbetteln oder erschmeicheln zu müssen.
Harvey Breit, Robert Duncan, George Barker, Caresse Crosby, alle konzentrieren wir unsere Kräfte zu einem tour de force und versorgen den alten Herrn mit einem solchen Reichtum an perversen Glückseligkeiten, daß er neuerdings um mehr bettelt.
Die Homosexuellen schreiben so, als seien sie Frauen, und befriedigen auf diese Weise ihre Sehnsucht danach, Frauen zu sein. Die Schüchternen schildern Orgien. Die Frigiden fabulieren über rasenden Genuß. Die Poetischen frönen krasser Bestialität, und die Reinsten schwelgen in Perversionen. Wir müssen die Poesie ausschließen und werden von den wunderbaren Geschichten verfolgt, die wir nicht erzählen dürfen. Wir haben im Kreise beisammen gesessen und uns den alten Mann vorgestellt, wir haben ausgesprochen, wie sehr wir ihn hassen, weil er uns nicht erlauben will, Sexualität mit Gefühl, Sinnlichkeit mit Leidenschaft und mit dem die Erotik steigernden dichterischen Flug zu verschmelzen.
George Barker lebt in schrecklicher Armut. Fünfundachtzig Seiten schrieb er bereits, die nach Ansicht des Sammlers zu surrealistisch waren. Mir gefielen sie. Seine erotischen Schilderungen waren wirr und phantastisch. Liebe zwischen Trapezen.
Sein erstes Honorar hatte er vertrunken, und ich konnte ihm außer Schreibpapier und Kohlepapier nichts borgen. Der hervorragende englische Dichter George Barker schreibt Erotika, um trinken zu können, wie Utrillo einst für eine Flasche Wein ein Bild gemalt hat. Ich begann über den uns allen verhaßten Mann nachzudenken und ihm zu sagen, was wir von ihm halten:
»Sehr geehrter Sammler! Wir hassen Sie. Das Geschlechtliche verliert alle Macht und Magie, wenn es überdeutlich, übertrieben, mechanisch dargestellt, wenn es zur fixen Idee wird. Es wird stumpfsinnig. Mehr als durch irgendeinen Menschen meiner Bekanntschaft haben wir durch Sie erfahren, wie falsch es ist, das Geschlechtliche von der Emotion, dem Hunger, der Lust, der Begierde, von Stimmungen, Launen, persönlichen Bindungen zu trennen, die seine Farbe, seinen Geschmack, seinen Rhythmus, seine Intensität verändern.
Sie wissen nicht, was Sie dadurch versäumen, daß Sie die sexuelle Betätigung mikroskopisch genau untersuchen unter Ausschluß aller anderen Aktivitäten, die doch der Brennstoff sind, an dem sie sich entzündet. Die Mitwirkung von Verstand, Phantasie, romantischen Gefühlen verleiht dem Sexuellen seine erstaunliche Textur, seine subtilen Transformationen, seine aphrodisischen Elemente. Sie schränken Ihren Empfindungsbereich ein. Sie lassen ihn verkümmern, verhungern, verbluten.
Wenn Ihr Sexualleben sich von all den erregenden Erfahrungen nährte, welche die Liebe der Sinnlichkeit einflößt, wären Sie der potenteste Mann der Welt. Neugier und Leidenschaft sind die Quelle sexueller Potenz. Sie aber sehen zu, wie ihre Flamme den Erstickungstod stirbt. In der Eintönigkeit kann Sexualität nicht gedeihen, nicht ohne Gefühl, Einfälle, Launen, Überraschungen im Bett. Das sexuelle Geschehen muß sich mit Tränen mischen, mit Gelächter, mit Worten, Versprechungen, Szenen, Eifersucht, Neid, allen Gewürzen der Angst, der Reisen in ferne Länder, der neuen Gesichter, der Romane, Geschichten, Träume, Phantasiegebilde, der Musik, des Tanzes, des Opiums, des Weins.
Wieviel geht Ihnen durch dieses Periskop am Ende Ihres Geschlechtsteils verloren! Dabei könnten Sie einen Harem voll der verschiedensten und sich nie wiederholenden Wunder erleben. Kein Haar gleicht dem anderen, doch Sie wollen nicht, daß wir an die Beschreibung von Haaren auch nur ein Wort verschwenden; kein Duft gleicht dem anderen, doch wenn wir uns darüber auslassen, begehren Sie auf: ›Lassen Sie alles Poetische weg.‹ Keine Haut hat die gleiche Textur wie die andere, immer wieder ändern sich Beleuchtung, Temperatur, Schatten, Gesten; denn ein Liebender, den die wahre Liebe erfaßt hat, kann sich die Liebeskunde von Jahrhunderten zu eigen machen. Welche Spannweite, welche Veränderungen innerhalb der Lebensalter, wie viele Spielarten der Reife und Unschuld, Perversität und Kunst, der natürlichen und graziösen Tiere.
Stundenlang haben wir zusammengesessen und über Ihr Aussehen spekuliert. Wenn Sie keinen Nerv mehr haben für Seide, Licht, Farbe, Geruch, Charakter, Temperament, dann müssen Sie ja ganz verschrumpelt sein. Es gibt so viele Nebensinne, die alle wie Seitenläufe in den Hauptstrom des Sexus einmünden und ihn nähren. Nur der gemeinsame Pulsschlag von Herz und Sexus kann wahre Ekstase schaffen.«
(Aus »Die Tagebücher der Anaïs Nin«, Band III – April 1940 bis Oktober 1941.)
Damals, als wir alle Erotika für einen Dollar die Seite verfaßten, war es mir klargeworden, daß wir jahrhundertelang nur ein einziges Vorbild für dieses literarische Genre gehabt hatten: Die Schriften der Männer. Schon damals fiel mir der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Sexualität auf. Ich hatte erkannt, daß es wesentliche Gegensätze gab zwischen der Ausdrücklichkeit eines Henry Miller und meinen Verschleierungen – zwischen seiner derb-komischen Sicht des Sexus und meinen eher lyrischen Schilderungen erotischer Beziehungen in den unveröffentlichten Passagen des Tagebuches, in dessen drittem Band ich andeutete, Pandoras Büchse enthielte eigentlich die Rätsel weiblicher Sexualität, die so anders war als die männliche und für welche die Sprache des Mannes nicht ausreichte. Frauen, meinte ich, neigten dazu, Geschlechtlichkeit mit Gefühl, mit Liebe zu verschmelzen und sich lieber einen einzigen Mann auszusuchen, als häufig den Partner zu wechseln. Dies wurde mir, während ich die Romane und das Tagebuch verfaßte, klar und wurde noch deutlicher, als ich mit dem Unterricht begann. Obwohl die Einstellung der Frauen dem Sex gegenüber ganz anders als die der Männer war, hatten wir es noch nicht gelernt, darüber zu schreiben.
Diese Erotika, die ich ja nur als Unterhaltung und auf Bestellung verfaßte, unter dem Druck eines Auftraggebers, der mir aufgetragen hatte, »die Poesie wegzulassen«, schrieb ich unter dem Eindruck einer von Männern verfaßten Literatur. Deshalb glaubte ich immer, ich hätte die weibliche Sache verraten. Aber wenn ich nun diese, vor so langer Zeit verfaßten Texte wieder lese, merke ich, daß meine eigene Stimme nicht ganz unterdrückt war, denn in vielen Passagen sprach ich intuitiv in der Sprache der Frau und schilderte sexuelles Erleben aus weiblicher Sicht. Am Ende entschloß ich mich zu einer Veröffentlichung der Erotika, weil sie die ersten Schritte einer Frau auf ein Gebiet belegen, das bisher nur Männern überlassen war.
Sollte die unzensierte Fassung des Tagebuches je veröffentlicht werden, wird diese weibliche Sicht deutlicher werden. Sie wird zeigen, daß Frauen (wie auch ich, im Tagebuch) niemals Sexualität von Gefühl, von Liebe zum ganzen Mann getrennt haben.
Anaïs Nin
Los Angeles
September 1976
Während sie auf den Zug nach Montreux wartete, sah sie sich die Leute auf den Bahnsteigen an. Jedesmal erweckte eine Reise in ihr die gleiche Neugierde, die gleiche Hoffnung, die einen erfüllt, ehe sich der Bühnenvorhang hebt, die gleiche aufkeimende Furcht, die gleiche Erwartung.
Ihr Blick prüfte verschiedene Männer, mit denen sie sich vielleicht unterwegs unterhalten könnte. Sie spekulierte, ob dieser oder jener in ihr Abteil steigen oder ob er nur von anderen Reisenden Abschied nehmen würde. Ihre Träume und Wünsche waren unbestimmt, romantisch. Hätte sie jemand ganz brutal gefragt, was sie denn erwarte, hätte sie vielleicht gesagt: »Le merveilleux.« Es war ein Hunger, der sich nicht etwa irgendwo im Körper lokalisieren ließ. Es stimmte schon, was ihr einmal jemand sagte, als sie einen Autor, den man ihr vorgestellt hatte, kritisierte: »Sie sehen ihn ja nicht, wie er wirklich ist. Sie können überhaupt niemanden so sehen, wie er wirklich ist. Jedesmal werden Sie enttäuscht sein, denn Sie erwarten jemanden ganz Bestimmtes.« Ja, das erwartete sie, und zwar jedesmal, wenn sich eine Tür auftat, wenn sie auf eine Party ging, wenn sie mit Menschen zusammentraf, ein Café besuchte oder ein Theater.
Keiner der Männer, die sie sich als Reisebegleiter ausgesucht hatte, stieg in den Zug. Deshalb vertiefte sie sich in das Buch, das sie als Reiselektüre bei sich hatte. Es war Lady Chatterley’s Lover.
Nachher konnte sich Elena an nichts mehr erinnern außer an eine unglaubliche körperliche Wärme – als hätte sie eine ganze Flasche erlesensten Burgunders getrunken – und an ein Empfinden des Zorns bei der Entdeckung eines Geheimnisses, das, wie sie meinte, auf eine kriminelle Weise allen Menschen vorenthalten würde. Erstens hatte sie herausgefunden, daß sie die von Lawrence geschilderten Sinnesstürme nie selbst erlebt hatte, und zweitens, daß dies haargenau das war, wonach sie lechzte. Aber noch eine andere Art von Wahrheit war ihr bewußt geworden: Irgend etwas hatte in ihr eine stete Abwehrhaltung gegen eben die Möglichkeiten einer derartigen Erfahrung erzeugt, einen Wunsch zu fliehen, der sie von den Schauplätzen der Lust, der Bewußtseinserweiterung wegführte. Mehrmals war sie ganz nahe herangekommen, aber jedesmal war sie weggelaufen. Der Grund dafür, daß ihr etwas entgangen, daß etwas von ihr nicht wahrgenommen worden war, lag deshalb nur in ihr allein.
Es war die in Lawrences Buch unterdrückte Frau, die auch in ihr sprungbereit lag, genau so offen, vibrierend. Es war, als hätte eine Unzahl von Liebkosungen sie auf das Erscheinen eines Bestimmten vorbereitet.
In Caux stieg gleichsam eine andere Frau aus dem Zug. Das Dorf war allerdings alles andere als der Ort, wo sie ihre Reise zu beginnen gehofft hatte. Caux lag auf einem Berggipfel, isoliert und steil oberhalb des Genfer Sees. Es war Frühling, der Schnee geschmolzen. Als der kleine Zug mühsam den Berghang hinaufkletterte, spürte Elena so etwas wie Ungeduld. Wie langsam doch alles war, wie bedächtig die Gesten der Schweizer, wie träge die Bewegungen der Rinder, wie unverrückbar die drückende Landschaft. Aber in ihr rasten Gefühle wie neugeborene Sturzbäche. Sie beschloß, nicht lange zu bleiben und sich nur auszuruhen, bis ihr neuestes Buch erschienen war.
Von der Bahnstation ging sie zu dem wie ein Knusperhäuschen aussehenden Chalet. Die Frau, die ihr öffnete, sah genauso aus wie eine Knusperhexe. Aus pechschwarzen Augen starrte sie Elena an und bat sie herein. Elena hatte den Eindruck, als sei das ganze Haus nur auf die Besitzerin zugeschnitten worden, mit Türen und Möbeln, die kleiner schienen als üblich. Und es war keine Einbildung, denn die Frau wandte sich um und sagte: »Ich habe die Beine meiner Tische und Stühle abgesägt. Gefällt Ihnen mein Haus? Ich nenne es Casutza, ›Häuschen‹ auf rumänisch.«
Elena stolperte über Schneestiefel, Windjacken, Pelzmützen, Capes und Bergstöcke, die in einem unordentlichen Haufen in der Diele nahe dem Hauseingang lagen. Der Wandschrank hatte sie offenbar nicht mehr gefaßt. Das Frühstücksgeschirr stand noch auf dem Tisch.
Das Schuhwerk der Knusperhexe knarrte, als wäre es aus Holz, als sie Elena die Treppe hinaufführte. Ihre Stimme war tief wie die eines Mannes, die Lippen umsäumte ein dunkler Flaum wie der beginnende Bart eines Jünglings. Sie sprach nachdrücklich, bedeutungsvoll.
Elenas Zimmer ging auf eine Veranda mit Trennwänden aus Bambusstäben. Sie verlief über die ganze Sonnenseite des Hauses, und man hatte einen Blick auf den Genfer See. Elena wollte ein Sonnenbad nehmen, etwas, was ihr eigentlich gegen den Strich ging, denn sie präsentierte sich nicht gerne derart. Sonnenbäder machten sie sinnlich, steigerten ihr Körpergefühl. Manchmal streichelte und liebkoste sie sich dabei. Nun schloß sie die Augen und rief sich Szenen aus Lady Chatterley’s Lover ins Gedächtnis zurück.
Während der nächsten Tage unternahm sie lange Spaziergänge. Sie kam regelmäßig zu spät zu den Mahlzeiten, und jedesmal starrte Madame Kazimir sie böse an und strafte sie, während sie sie bediente, mit Schweigen. Jeden Tag kamen Leute zu Madame Kazimir wegen der fälligen Hypotheken für das Haus. Man drohte, es zu verkaufen. Es war offenbar, daß Madame Kazimir es nicht überleben würde, wenn man sie ihres Hauses, ihrer Zuflucht, ihres Schildkrötenpanzers beraubte. Nichtsdestoweniger wies sie Gäste, die ihr nicht behagten, zurück und weigerte sich, Männer aufzunehmen.
Aber einmal gab sie doch nach und machte eine Ausnahme: Eine Familie, ein Ehepaar mit einer kleinen Tochter, die eines Vormittags direkt von der Bahnstation kamen und entzückt waren von dem Pfefferkuchenhäuschen. Es dauerte nicht lange, und sie nahmen auf der Veranda neben Elenas Balkon ihr Frühstück ein und genossen die Morgensonne.
Eines Tages traf Elena auf einem ihrer Spaziergänge den Mann. Er überholte sie in forschem Tempo und lächelte ihr zu. Dann setzte er seinen Weg den Berghang hinauf fort, als werde er verfolgt. Um die Sonnenstrahlen voll zu nützen, hatte er sein Hemd ausgezogen. Sie sah einen herrlichen, goldgebräunten Männeroberkörper. Das Gesicht war jugendlich und intelligent, das Haar jedoch vorzeitig ergraut. In seinem Blick lag etwas merkwürdig Unmenschliches. Er war starr wie der eines Dompteurs, hypnotisch, beherrschend, ja beinahe gewalttätig. Elena glaubte, diesen Ausdruck zu kennen: von den Gesichtern der Zuhälter, die an den Straßenecken von Montmartre mit ihren Schiebermützen und grellbunten Halstüchern standen. Abgesehen von den Augen war der Mann eine aristokratische Erscheinung. Sein Schritt war jugendlich, aber ein wenig schwankend, als sei er beschwipst. Er hatte seine ganze Kraft in den Blick gelegt, den er auf Elena warf. Dann lächelte er unbefangen und setzte seinen Weg fort. Aber der Blick war so vielsagend, so unverfroren, daß Elena wie gebannt stehenblieb. Das jugendlich-naive Lächeln, das ihn begleitete, dämpfte die brennende Wirkung der Augen und hinterließ bei ihr ein Gefühl, das sie sich nicht erklären konnte. Sie kehrte um.
Die Begegnung hatte sie so verwirrt, daß sie mit dem Gedanken spielte, abzureisen. Sie hatte erkannt, daß ihr Gefahr drohte. Sie wollte nach Paris zurück, aber schließlich blieb sie doch.
Eines Tages spielte jemand auf dem Klavier, das unten verstaubte. Die verstimmten Töne erinnerten an die Klaviere kleiner, verkommener Bars. Elena lächelte. Der Unbekannte amüsierte sich offenbar, indem er hier und da absichtlich danebengriff, um dem Instrument einen seiner bürgerlichen Muffigkeit fremden Ton zu verleihen, der gar nicht mit dem harmonierte, was brave kleine Schweizerinnen mit langen Zöpfen darauf gespielt hatten.
Unverhofft war Freude in das Haus eingezogen. Elena wollte tanzen. Das Klavierspiel verstummte, aber sie war aufgezogen wie eine mechanische Puppe und wirbelte auf ihrer Veranda herum wie ein Kreisel. »Es gibt also doch lebendige Menschen in diesem Haus!« sagte die lachende Stimme eines Mannes unerwartet und ganz in der Nähe.
Er hatte die Bambusstäbe auseinandergebogen und sah durch den Spalt. Sie konnte seine Gestalt erkennen, die wie ein Tier im Käfig dort hing.
»Wollen Sie nicht ein Stück mit mir spazierengehen?« fragte er. »Es ist hier ja wie in einem Grab, einem Mausoleum. Und Madame Kazimir ist der Große Versteinerer. Sie will uns alle zu Stalaktiten machen. Alle Stunde dürfen wir eine Träne fallen lassen, wie in einer Tropfsteinhöhle – Tropfsteintränen.«
Elena und ihr Zimmernachbar machten sich auf den Weg. Als erstes sagte er: »Sie haben die Angewohnheit, umzukehren. Sie begeben sich auf einen Spaziergang und kehren um. Das ist nicht gut. In der Tat gehört es zu den schweren Sünden gegen das Leben. Ich vertraue auf Kühnheit.«
»Die Menschen drücken Kühnheit auf unterschiedliche Weise aus«, entgegnete Elena. »Ich kehre gewöhnlich um, wie Sie sagen, aber ich gehe nach Hause zurück, um ein Buch zu schreiben, das zum Alptraum für die Zensoren werden wird.«
»Ich nenne das Zweckentfremdung naturgegebener Kräfte«, erwiderte der Mann.
»Aber ich gebrauche«, fuhr Elena fort, »mein Buch wie eine Ladung Sprengstoff. Ich plaziere es dort, wo es die größte Wirkung hat, und sprenge mir meinen Weg frei.«
Im Augenblick, da sie das sagte, ertönte das Donnern einer entfernten Explosion; eine Straße wurde durch den Berg gesprengt. Sie mußten beide lachen.
»Sie sind also Schriftstellerin«, sagte er. »Und ich, ich bin ein Hansdampf in allen Gassen: Maler, Autor, Musiker, Vagabund. Ehefrau und Töchterchen wurden vorübergehend gemietet – zur Tarnung. Ich mußte nämlich mit dem Paß eines Freundes reisen, der mir Frau und Kind geborgt hat. Ohne sie wäre ich nicht hier. Die französische Polizei mag mich nicht. Ich habe zwar nicht meine Portiersfrau erschlagen, obwohl sie es verdient hätte, denn sie hat mich oft genug gepiesackt. Nein – ich habe nur, wie andere Kaffeehausrevolutionäre, dem Umsturz allzu laut und allzu häufig und immer im selben Café das Wort geredet. Ein Polizist in Zivil befand sich unter meinen eifrigsten Anhängern – er war ein Anhänger im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn ich betrunken bin, halte ich immer die besten Reden. Aber Sie, Sie waren niemals unter meinen Zuhörern« fuhr der Mann fort. »Sie gehen niemals in Cafés. Die Frau, nach der wir uns sehnen, finden wir niemals in einem überfüllten Café. Wir müssen sie aufspüren wie der Jäger das Wild und sie trotz der Verkleidung durch ihre Geschichten ausfindig machen.«
Während er sprach, ruhte sein lächelnder Blick auf ihr. Beide hatten erkannt, daß sie ausweichen, Ausflüchte machen wollte. Der Blick wurde zum Katalysator, der sie bannte. Der Wind hatte ihren Rock wie den einer Ballettänzerin gehoben, er war in ihrem Haar, es sah aus, als wollte sie davonsegeln. Er wußte, daß sie es verstand, sich unsichtbar zu machen. Aber seine Macht war größer, er konnte sie, solange er wollte, auf der Stelle festnageln. Nur wenn er die Augen abwandte, würde sie freikommen. So aber konnte sie ihm nicht entfliehen.
Nach einem dreistündigen Spaziergang ließen sie sich auf ein Bett von Kiefernnadeln unweit eines Chalets fallen. Der Klang eines Pianolas tönte herüber.
Er lächelte ihr zu und sagte: »Wäre das nicht ein herrlicher Ort, um einen Tag und eine Nacht zu verbringen? Was meinen Sie?«
Er ließ sie ruhig rauchen, legte sich zurück in die Kiefernnadeln und wartete. Sie antwortete nicht. Sie lächelte.
Dann gingen sie in das Chalet. Er bestellte eine Mahlzeit und ein Zimmer. Das Essen sollte ihnen auf dem Zimmer serviert werden. Er gab seine Anweisungen ganz souverän und ließ keinen Zweifel über seine Absichten aufkommen. Seine Entschiedenheit in kleinen Dingen gab ihr das Gefühl, daß er sich mit ebensolcher Sicherheit über alle Hindernisse, die der Erfüllung seiner größeren Wünsche im Wege stehen könnten, hinwegsetzte.
Diesmal wollte sie nicht umkehren, wollte ihm nicht entkommen. Leidenschaftliche Erregung hatte sie ergriffen, eine Vorahnung, daß sie nun jenen Gipfel des Entzückens erreichen würde, der sie ein für allemal aus sich selbst herausschleudern und einem Unbekannten überlassen würde. Sie kannte nicht einmal seinen Namen, noch er den ihren. Die Unverhülltheit seiner Augen war wie ein Eindringen in ihre fiebernde Fotze. Auf der Treppe zitterte sie.
Als sie beide in dem Zimmer standen mit dem riesigen, geschnitzten Bett, ging sie zunächst auf den Balkon. Er folgte ihr. Sie war gewiß, daß er nun nach ihr greifen, eine Besitzergeste machen würde, der sie nicht ausweichen konnte. Sie wartete. Was dann geschah, hatte sie nicht vorausgesehen.
Denn nicht sie war die Zögernde, sondern der Mann, dessen Wille sie hierhergebracht hatte. Er stand vor ihr, schlaff, verlegen, mit verwirrtem Blick. Dann sagte er mit einem entwaffnenden Lächeln: »Ich muß Ihnen gestehen, daß Sie die erste richtige Frau sind, die ich jemals kennengelernt habe – Sie sind eine Frau, die ich lieben könnte. Ich habe Sie gezwungen, hierherzukommen. Nun möchte ich sicher sein, daß Sie auch hier sein möchten. Ich …«
Dieses unerwartete Geständnis berührte sie tief. In ihr stieg eine Zärtlichkeit auf, die sie noch nie zuvor empfunden hatte. Seine Stärke beugte sich vor ihr, zögerte, ehe sich der Traum, der zwischen ihnen entstanden war, verwirklichte. Zärtlichkeit überflutete sie. Und sie war es auch, die den ersten Schritt tat und ihm den Mund bot.
Er küßte sie, er legte die Hände auf ihre Brüste. Sie spürte seine Zähne. Er küßte ihren Hals, in dem die Adern klopften, ihre Kehle, die er jetzt mit beiden Händen umspannt hielt, als wollte er ihren Kopf vom Rumpf trennen. Sie taumelte vor Begierde, ganz von ihm besessen zu werden. Während er sie küßte, zog er sie aus. Die Kleider fielen auf den Boden. Sie standen immer noch da und küßten sich. Ohne ihr ins Gesicht zu sehen, trug er sie auf das Bett, er ließ den Mund nicht von ihrem Gesicht, ihrem Hals, ihrem Haar. Seine Zärtlichkeiten waren merkwürdig: Manchmal waren sie weich und schmelzend und dann wieder heftig, wie die Liebkosungen, die sie erwartet hatte, als sein Blick auf sie gerichtet war, die Liebkosungen eines wilden Tieres. Etwas von einem wilden Tier war auch in seinen Händen, mit denen er jeden Teil ihres Körpers bedeckte, mit denen er sich im lockigen Delta ihres Schoßes festgekrallt hatte, als wollte er es ihr vom Körper reißen, als hätte er Erde und Gras gleichzeitig ergriffen.
Wenn sie die Augen schloß, kam es ihr vor, als hätte er unzählige Hände, die sie überall berührten, unzählige Münder, die rasch über sie fuhren und die sich wie mit Wolfszähnen in die fleischigsten Stellen gruben. Er war jetzt nackt und hatte sich in seiner ganzen Länge auf sie gelegt. Sie fand es herrlich, sein Gewicht zu tragen, herrlich, unter seinem Körper zermalmt zu werden. Sie gierte danach, vom Mund bis zu den Füßen an ihn geschweißt zu werden. Schauder schüttelten ihren Körper. Manchmal gab er ihr geflüsterte Anweisungen. Sie sollte die Beine heben, wie sie es noch nie zuvor getan hatte, bis ihre Knie das Kinn berührten. Er bat sie, sich umzudrehen, und er spreizte mit beiden Händen ihre Hinterbacken. Er ruhte sich in ihr aus, legte sich zurück, wartete. Dann entzog sie sich ihm, setzte sich halbwegs auf, das Haar aufgelöst und wirr, der Blick wie betäubt. Wie durch einen Nebelschleier sah sie ihn auf dem Rücken liegen. Sie rutschte nach unten, bis ihr Mund seinen Schwanz erreichte. Sie küßte ihn rundum, und bei jedem Kuß erbebte er. Der Mann sah ihr zu. Seine Hand lag auf ihrem Kopf, und er drückte ihn herunter, so daß ihr Mund sich schließlich über seinen lüsternen Kolben stülpte. Er hielt sie fest, während sie sich auf und ab bewegte, bis sie sich schließlich mit einem Seufzer unerträglicher Wollust auf seinen Bauch fallen ließ und dort liegenblieb und mit geschlossenen Augen ihre Wonne auskostete.
Sie vermochte es nicht, ihn so anzusehen, wie er sie ansah. Ihr Blick trübte sich, so hatte die Leidenschaft sie gepackt. Als sie ihn endlich wieder ansehen konnte, wurde sie magnetisch von seinem Fleisch angezogen. Sie wollte es mit Mund, Händen, mit dem ganzen Körper berühren. Mit einer Art animalischer Sinnlichkeit rieb sie ihren ganzen Körper an dem seinen. Dann fiel sie auf die Seite und berührte seinen Mund, als formte sie ihn immer wieder, wie eine Blinde, die die Umrisse von Mund, Augen, Nase, die Haut, die Länge und Konsistenz des Haares und seines Ansatzes hinter den Ohren ertasten will. Zuerst waren die Finger leicht, aber dann wurden sie drängender, leidenschaftlicher. Sie gruben sich in sein Fleisch, sie taten ihm weh. Es war, als wollte sie sich mit Gewalt von seiner Wirklichkeit überzeugen.
Dies waren die äußeren Gefühle der Körper, während sie einander entdeckten. Vor lauter Berührung waren sie wie betäubt. Ihre Gesten wurden schwerer und traumhaft, die Hände wurden träge. Sein Mund schloß sich nicht mehr. Wie der Honig aus ihr floß! Liebevoll verweilend tauchte er den Finger hinein, dann seinen Schwengel, zog sie über sich, bis sie über ihm lag, die Beine über seine geworfen. Er nahm sie, er konnte sehen, wie er in sie eindrang, auch sie konnte es sehen. Beide sahen, wie sich ihre Körper wanden, wie sie dem Höhepunkt zutaumelten.
Weil sie aber nicht schneller wurden, wechselte er ihre Stellung und legte sie auf den Rücken. Er kauerte sich über sie, um sie mit noch mehr Kraft zu nehmen, zu dem tief innen liegenden Mund vorzudringen, immer wieder die fleischigen Wände ihrer Fotze zu spüren. Da fühlte sie, wie in ihren innersten Falten neue Zellen zum Leben erwachten, neue Finger, neue Münder, die auf sein Eindringen reagierten, sich seinem Rhythmus tausendfältig anpaßten. Das Saugen in ihr wurde immer lustvoller, als hätte die Reibung in der Tat ungeahnte Tiefen der Verzückung bloßgelegt. Sie bewegte sich schneller, um den Höhepunkt zu erjagen. Er merkte es und steigerte sein Tempo ebenfalls und feuerte sie mit Worten, Händen, liebkosenden Gesten und mit seinem Mund, der wie angeschweißt auf ihrem war, an, gleichzeitig mit ihm zu kommen. Zungen, Höhle und Glied bewegten sich nun im gleichen Rhythmus. Wellen der Lust breiteten sich aus zwischen ihrem Mund und ihrem schmatzenden Geschlecht, Gegenströmungen von fast unerträglicher Verzückung schüttelten sie, bis sie, halb schluchzend, halb lachend, aufschrie.
Als Elena wieder in der »Casutza« erschien, weigerte sich Madame Kazimir, mit ihr zu sprechen. Sie trug ihre angestaute Wut zwar wortlos, aber so deutlich mit sich herum, daß man sie im ganzen Hause spürte.
Elena verschob ihre Rückkehr nach Paris, denn Pierre konnte nicht dorthin zurück. Sie trafen sich täglich; manchmal blieben sie eine ganze Nacht lang weg. Dieser Traum dauerte zehn Tage.
Dann wurde er jäh unterbrochen durch die Ankunft einer Frau, die Pierre sprechen wollte. Sie kam eines Abends, als Pierre und Elena weg waren. Pierres Frau empfing sie. Dann schlossen sie sich ein. Madame Kazimir versuchte, zu lauschen. Aber die beiden Frauen konnten es durch ein kleines Seitenfenster beobachten.
Die Frau war eine Russin von außergewöhnlicher Schönheit, mit violetten Augen, dunklem Haar und einem ägyptischen Gesichtsschnitt.
Als Pierre am nächsten Morgen in die Pension kam, war sie immer noch da. Er war offensichtlich überrascht, sie zu sehen. Elena bekam einen Schock, der sie mit Angst erfüllte. Sie fürchtete die Frau, weil sie glaubte, ihre Liebe sei gefährdet. Aber als sie Pierre viele Stunden später traf, beruhigte er sie und erklärte, das Auftauchen der Frau hätte mit seiner Arbeit zu tun. Sie war mit Anweisungen zu ihm geschickt worden. Er mußte weiter, und zwar nach Genf, wo ihn neue Aufträge erwarteten. Er wäre aus einer schwierigen Situation in Paris nur gerettet worden, erklärte er Elena, weil man ihm zur Auflage gemacht hätte, alle Anweisungen zu befolgen. Er forderte Elena nicht auf, mit nach Genf zu kommen. Sie wartete ab, was er sagen würde.
»Wie lange wirst du fort sein?«
»Das ist unbestimmt.«
»Und du gehst mit …?« Sie brachte es nicht über sich, den Namen auszusprechen.
»Ja, sie trägt die Verantwortung.«
»Wenn wir uns nicht wiedersehen sollten, Pierre, dann sage mir zumindest die Wahrheit.«
Aber weder der Gesichtsausdruck noch die Worte schienen von dem Mann zu kommen, den sie bis ins Innerste zu kennen glaubte. Sie hatte den Eindruck, als betete er nur nach, was man ihm vorgebetet hatte. Seine persönliche Autorität war auf einmal wie weggeblasen. Er sprach, als hörte ihm ein fremder Mensch zu. Elena schwieg. Dann kam Pierre näher und flüsterte: »Ich bin in keine Frau verliebt, war es nie. Für mich gibt es nur eine Liebe: meine Arbeit. Bei dir war ich in großer Gefahr, weil wir miteinander reden konnten, weil wir uns auf so vielfältige Weise verstanden. Deshalb bin ich allzu lange bei dir geblieben. Darüber habe ich meine Arbeit vergessen.«
Später sollte sich Elena diese Worte immer wieder ins Gedächtnis zurückrufen. Sie erinnerte sich an sein Gesicht, seine Augen, die sie nun nicht mehr mit jener hypnotischen Konzentration anstarrten. Jetzt waren es die Augen eines Mannes, der gehorchte, aber nicht den Gesetzen des Verlangens und der Liebe.
Pierre, der sie mehr als irgendein menschliches Wesen aus dem Dunkel ihres geheimen, unerschlossenen Lebens herausgeholt hatte, stürzte sie nun in noch größere Tiefen der Furcht und des Zweifels. Der Sturz war jäher als alles, was sie bisher erfahren hatte, denn sie hatte sich gefühlsmäßig entblößt und verausgabt. Sie zweifelte nicht an Pierre, dachte auch nicht daran, ihm zu folgen. Noch ehe er abreiste, verließ sie die »Casutza«. Im Zug stellte sie sich sein Gesicht vor, wie es seinerzeit gewesen war: so unverhüllt, so souverän und doch so verletzlich und nachgiebig.
Das Schreckliche an der Sache aber war, daß sie nicht mehr, wie früher, einen Rückzieher machen konnte, mit dem sie die Welt ausschloß, nicht wieder taub und farbenblind wurde und sich einem lang ausgesponnenen Tagtraum überließ, wie sie es als junges Mädchen getan hatte, um die Wirklichkeit zu ersetzen. Diesmal bedrängten sie Sorgen um seine Sicherheit, Befürchtungen wegen seines gefährlichen Lebens. Ihr war bewußt geworden, daß er nicht nur in ihren Körper, sondern auch in ihre Seele eingedrungen war. Jedesmal, wenn sie sich seine Haut ins Gedächtnis zurückrief, sein Haar, dort, wo es die Sonne zu einem feinen Gold gebleicht hatte, seine grünen Augen, die nur aufflackerten, wenn er sich über sie beugte und ihren Mund zwischen seine starken Lippen nahm, zitterte ihr Fleisch, reagierte es noch immer auf die bloße Vorstellung und quälte sie.
Nach Stunden eines so lebendigen, heftigen Schmerzes, daß sie glaubte, völlig von ihm zerrissen zu werden, sank sie in eine sonderbare Lethargie, eine Art Halbschlaf. Es war, als sei etwas in ihr zerbrochen. Dann fühlte sie nicht mehr Schmerz noch Lust, die ganze Reise war unwirklich geworden. Sie war betäubt. Ihr Körper war wieder tot.
Nachdem sie acht Jahre voneinander getrennt waren, kam Miguel nach Paris. Er kam, aber er brachte Elena weder Freude noch Erleichterung, denn er war das Symbol ihrer ersten Niederlage. Miguel war ihre Jugendliebe.
Als sie einander zum ersten Mal begegneten, waren sie noch Kinder, Cousin und Cousine beim Festmahl eines riesigen Familienclans. Miguel hatte sich magisch von Elena angezogen gefühlt und folgte ihr auf Schritt und Tritt, wie ein Schatten. Er lauschte begierig auf jedes ihrer Worte, Worte, die so geflüstert waren, daß außer ihm niemand sie hören konnte, so sanft, so gestaltlos war ihre Stimme.
Von jenem Tag an schrieb er ihr regelmäßig und besuchte sie auch manchmal während der Schulferien. Es war eine Schwärmerei, bei der beide einander als die Verkörperung von Märchenfiguren verstanden oder als Held und Heldin der Geschichte oder des Romans, den sie gerade lasen; Elena war jedesmal die Prinzessin, Miguel der Prinz.
Wenn sie sich trafen, umgab sie eine solche Unwirklichkeit, daß sie einander nicht anfaßten, nicht einmal an der Hand. Sie schwelgten in ihrem Zusammensein, sie schwebten in höheren Sphären, die gleichen Gefühle bewegten sie. Als erste spürte Elena eine tiefere Empfindung.
Einmal waren sie zusammen auf einen Ball gegangen. Es war ihnen nicht bewußt, was für ein schönes Paar sie abgaben. Aber die anderen hatten es gemerkt. Elena sah, wie die jungen Mädchen Miguel mit den Augen verschlangen, wie sie versuchten, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
Plötzlich sah auch sie ihn ganz objektiv und außerhalb der schwärmerischen Zuneigung, mit der sie ihn umgeben hatte. Er stand wenige Schritte von ihr entfernt, ein hochgewachsener, anmutiger junger Mann mit selbstverständlichen, gefälligen, aber durchaus männlich ausgeprägten Bewegungen, mit Muskeln und dem elastischen Gang einer Raubkatze, die stets bereit war, zu springen. Seine Augen waren grün wie Blätter, seine Haut schimmerte, als schiene eine rätselhafte Sonnenglut hindurch wie durch ein phosphoreszierendes Meerestier. Sein Mund war geschwungen und voll und von sinnlichem Hunger geprägt.
Zum erstenmal sah auch er sie außerhalb der Legende, die er um sie gesponnen hatte, sah, wie der Blick eines jeden Mannes sie verfolgte, sah ihren sich stets verändernden Körper, der leichtfüßig, schmiegsam, herausfordernd, ja fast sich verflüchtigend war. Was sie für jedermann zum Jagdobjekt machte, war ein Etwas, das leidenschaftlich, sinnlich, lebendig und doch erdnah war: ihr voller Mund ein Gegensatz zu dem grazilen Körper, der sich mit der Zartheit von Tüll bewegte.
Dieser Mund, der wie in ein Gesicht aus einer anderen Welt gebettet schien und aus dem eine Stimme kam, die die Seele selbst zu berühren schien, zog Miguel derart magnetisch an, daß er Elena mit keinem der anderen jungen Männer tanzen ließ. Trotzdem berührte er sie mit keinem Teil seines Körpers, außer, wenn er mit ihr tanzte. Mit den Augen zog sie ihn in sich und hinein in Welten, in denen er betäubt und wie narkotisiert war.
Aber sie hatte, während sie mit ihm tanzte, ihren Körper sehr wohl gespürt. Es war, als sei er auf einmal Fleisch geworden – flammendes Fleisch, in das jede Bewegung des Tanzes neue Funken warf. Sie wollte vorwärts und in das Fleisch seines Mundes sinken, wollte sich ganz einer rätselhaften Trunkenheit überlassen.
Miguels Rausch war anderer Art. Er benahm sich, als hätte ihn ein überirdisches Wesen verführt, ein Stück Phantasie. Sein Körper spürte sie nicht. Je näher er ihr kam, desto stärker empfand er das Tabu, das sie umgab. Er stand vor ihr, als wäre sie ein angebetetes Bild. Sobald er sich in ihrer Gegenwart befand, erlag er einer Art Kastration.
Während sich ihr Körper durch seine Nähe entflammte, vermochte er nur ihren Namen zu flüstern: »Elena!« Dabei verspürte er eine derartige Lähmung in Armen, Beinen und Geschlecht, daß er nicht weitertanzen konnte. Was er bei der Nennung ihres Namens empfand, war die Gegenwart seiner Mutter, und zwar war sie so, wie er sie als kleiner Junge erlebt hatte: eine überlebensgroße Frauengestalt mit schwellenden Kurven, von losen weißen Gewändern verhüllt, mit Brüsten, die ihn genährt hatten und an die er sich lange über die Zeit der Entwöhnung hinaus geklammert hatte, bis ihm das ganze, dunkle Rätsel des Fleisches bewußt geworden war.
Jedesmal, wenn er die Brüste großer, stattlicher Frauen sah, die seiner Mutter ähnelten, überkam ihn ein Verlangen, zu saugen, zu kauen, zu beißen, den Brüsten weh zu tun, sein Gesicht in ihnen zu vergraben, unter ihrer prallen Fülle zu ersticken, seinen Mund ganz mit den Warzen zu füllen … Aber er spürte kein Verlangen, eine Frau durch einen sexuellen Akt zu besitzen.
Als er Elena zum erstenmal begegnete, hatte sie die unentwickelten Brüste eines Backfisches. Miguel empfand eine Art Verachtung dafür, denn ihr fehlte die erotische Ausstrahlung der Mutter. Niemals war er versucht, Elena auszuziehen, denn er stellte sie sich nicht als Frau vor. Sie war ein Bildnis, ein Bildnis, wie die Abbildungen von Heiligen auf den Heiligenbildchen, wie Illustrationen heroischer Frauen in Büchern, wie Gemälde von Frauen. Nur Huren besaßen so etwas wie Geschlechtsorgane. Als Halbwüchsiger war er mit solchen Frauen zusammengekommen, als nämlich seine älteren Brüder ihn in die Bordelle schleppten. Während die Brüder die Frauen besaßen, streichelte er ihre Brüste und nahm sie gierig in den Mund. Aber das, was er zwischen ihren Schenkeln sah, erschreckte ihn. Ihm kam es vor, als sei es ein riesiger, feuchter, hungriger Mund, den er niemals zu sättigen vermochte. Er fürchtete sich vor der lauernden Spalte, den geschwollenen Lippen unter dem streichelnden Finger, vor der Nässe, die wie der Speichel eines Hungernden austrat. Er stellte sich vor, daß dieser Hunger von Frauen überwältigend, gierig, unersättlich wäre. Es kam ihm vor, als würde sein Glied für immer verschlungen. Die Huren, mit denen er zusammenkam, hatten große Mösen, große, lederne Schamlippen, gewaltige Hinterteile.
Wohin konnte Miguel sich wenden? Nun, an Knaben, Knaben ohne jene gierigen Öffnungen, Knaben, deren Geschlecht wie seins war, die ihn nicht erschreckten, deren Verlangen er befriedigen konnte.
Genau an jenem Abend, als Elena den warmen Pfeil der Begierde spürte, hatte Miguel eine Zwischenlösung gefunden, einen Jungen, der ihn ohne Tabus, Ängste und Zweifel erregen konnte.
Elena, die nichts von der Liebe zwischen jungen Männern wußte, ging nach Hause und schluchzte die ganze Nacht hindurch über Miguels Unnahbarkeit. Er war nie schöner gewesen, und sie hatte seine Liebe, seine Anbetung gespürt. Weshalb berührte er sie nicht? Der Tanz hatte sie zusammengebracht, aber er war kühl geblieben. Was bedeutete das? Welche Rätsel waren dahinter verborgen? Weshalb war er so eifersüchtig, wenn andere ihr zu nahe kamen? Weshalb haßte er die anderen jungen Männer, die gerne einmal mit ihr getanzt hätten? Und weshalb hatte er nicht einmal ihre Hand berührt?
Trotzdem verfolgte er sie, wurde von ihr verfolgt. Ihre Erscheinung stellte alle anderen Frauen in den Schatten. Seine Verse galten ihr, seine Schöpfungen, seine Erfindungen, seine Seele. Nur die sexuelle Erlösung fand anderswo, fern von ihr statt. Wieviel Leid wäre ihr erspart geblieben, hätte sie es gewußt, es verstanden. Sie war zu feinfühlig, um ihn ganz offen zu fragen, er zu beschämt, um sich ihr zu offenbaren.
Und jetzt war Miguel gekommen; keiner, der nicht wußte, wie es um seine Vergangenheit stand, um seine ununterbrochene Folge von Liebschaften mit Knaben. Stets war er auf der Suche, stets war er unbefriedigt: Miguel, mit dem gleichen Charme von damals, nur noch gesteigerter, vertiefter.
Wieder spürte sie, daß er Abstand halten wollte. Nicht einmal ihren Arm, gebräunt und glänzend von der Pariser Sommersonne, hatte er genommen. Aber alles, was sie trug, gefiel ihm: Er schmeichelte ihr wegen ihrer Ringe, ihrer klirrenden Armbänder, er bewunderte ihr Kleid, ihre Sandalen, aber er berührte Elena nicht.
Miguel ließ sich von einem prominenten Pariser Psychiater analysieren. Jedesmal, wenn er jemanden berührte, liebte, nahm, hatte er das Gefühl, als zöge sich der Knoten seines Lebens enger um seinen Hals. Er sehnte sich nach Befreiung, Befreiung, um seine Andersartigkeit auszuleben. Dies war ihm versagt geblieben, denn jedesmal, wenn