Helen Brown
Kater mit Karma
Roman
Aus dem Englischen
von Andrea Stumpf und Gabriele Werbeck
Deuticke
Die Originalausgabe erschien erstmals 2012 unter dem Titel Cats and Daughters im Verlag Two Roads, Großbritannien.
ISBN 978-3-552-06206-1
Copyright © 2012 by Helen Brown
Alle Rechte der deutschsprachigen Ausgabe
© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag Wien 2012
Satz: Eva Kaltenbrunner-Dorfinger, Wien
E-Book-Konvertierung: Beltz Bad Langensalza GmbH
Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de
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http://www.helenbrown.com.au
Für Katzen und Töchter,
die nicht immer kommen,
wenn man sie ruft.
1.
Schnurrhaarspitzen
Ich hätte nicht gedacht, dass wir einmal bei einer Katze landen würden, die so verrückt ist, Gassi gehen zu wollen. Aber Katzen machen einen anderen Menschen aus dir. Das sollte ich mittlerweile wissen.
Sobald abends die Schatten in der Küche länger werden, donnert Jonah durch die Eingangshalle. Er baut sich vor mir auf; sein rotes Geschirr zwischen den Zähnen.
»Jetzt nicht«, sage ich und schäle weiter Karotten. »In einer halben Stunde gibt es Abendessen.«
Seine Augen werden groß wie Untertassen. Manierlich setzt er sich vor mich hin, legt den Schwanz über die Vorderpfoten und mustert mein Gesicht. Was sehen Katzen, wenn sie Menschen betrachten? Wir müssen ein schrecklicher Anblick für sie sein, so ganz ohne Fell.
Nach kurzem Nachdenken, noch immer das Geschirr im Maul, erhebt sich Jonah und tappt auf mich zu. Er richtet sich auf den Hinterpfoten auf und lehnt sich mit seinem unglaublich langen Körper an mich. Er stupst mit seiner Vorderpfote gegen meinen Bauch, legt seine Ohren flach und neigt den Kopf. Dann geht er wieder auf alle viere, lässt das Geschirr vor meine Füße fallen und miaut kläglich.
Unwiderstehlich.
Ich bücke mich und lege das Geschirr um seinen biegsamen, athletischen Körper. Erwartungsvoll biegt er seinen Rücken durch. Sein Schnurren hallt von den Küchenschränken wider.
Grausam, einfach grausam!, höre ich meine Mutter sagen. Katzen sind wilde Tiere. Was tust du diesem armen Geschöpf bloß an?
Es ist wirklich seltsam, dass ich noch immer Mums Stimme im Kopf habe, so viele Jahre, nachdem sie gestorben ist. Ich frage mich, ob das bei meinen Töchtern auch so sein wird und ihnen meine Kommentare und guten Ratschläge noch im Ohr klingen werden, wenn sie selbst schon im Schaukelstuhl sitzen.
In einer perfekten Welt könnte Jonah nach Lust und Laune durch unser Viertel streifen. Aber die Zeiten haben sich geändert. Wir leben in Städten. Die Straßen sind mit Autos überschwemmt.
Keine normale Katze würde an der Leine spazieren gehen. Drei Jahre mit Jonah haben mich gelehrt, dass er alles andere als normal ist. Abgesehen davon, dass er sein Geschirr zu lieben gelernt hat, geht auch seine Leidenschaft für Handschuhe, Satinbänder und Abendkleider weit über ein gesundes Katzenmaß hinaus.
Er ist schwer zu verstehen. Obwohl er manchmal unglaublich intelligent wirkt, findet er Autos ideal, um sich darunter zu verstecken. Ich möchte ihn nicht wie einen Gefangenen halten, aber es lauern überall Gefahren. Er muss beschützt werden.
Ich trage ihn in die Waschküche und befestige an seinem Geschirr eine verlängerte Leine, die ihm möglichst viel Bewegungsfreiheit gewährt. Sein Schnurren vibriert an meinen Armen entlang, als ich die Hintertür öffne und ihn auf dem Rasen absetze.
Einen Moment lang steht er regungslos da und hält genießerisch die Nase in die warme Abendluft. Der Wind bringt Geschichten über Mäuse und Tauben mit, über kleine weiße Hunde und Katzen – Freunde und Feinde. Geschichten, für die meine unterentwickelten menschlichen Sinne zu grob sind.
Jonah stürmt los, zerrt an der Leine, und das Glöckchen an seinem Halsband klingelt, während wir um das Haus rasen. Seine jugendliche Energie ist erschöpfend. Sein Selbstvertrauen beängstigend. Nicht zum ersten Mal erinnert er mich an meine ältere Tochter, Lydia. Manchmal denke ich sogar, dass dieses wundervolle, willensstarke Geschöpf mehr Ähnlichkeit mit Lydia hat als mit seiner Vorgängerkatze Cleo.
Als Jonah am Gartentor pausiert, um an einem Rosmarinstrauch zu schnuppern, kann ich beinahe Cleo sehen, wie sie uns vom Katzenhimmel aus beobachtet und grinst. Sie, die eine halbe Wildkatze und mit allen Wassern gewaschen war, vertrat die Ansicht, Geschirre seien etwas für Schoßhündchen.
Katzen kommen mit einer bestimmten Absicht in das Leben eines Menschen. Nicht wenige dieser magischen Geschöpfe sind Heiler. Als vor vielen Jahren Cleo zu uns kam, war unsere Familie nach dem Tod unseres neunjährigen Jungen Sam in einem erbärmlichen Zustand. Sein jüngerer Bruder Rob hatte mit ansehen müssen, wie Sam überfahren wurde, und war schwer traumatisiert. Doch ich war wie gelähmt vor Schmerz und Wut auf die Fahrerin des Wagens und nicht in der Lage, Rob die Hilfe zu geben, die er brauchte. Ein Teil meiner Wut rührte daher, dass ich glaubte, Sam sei ganz allein am Straßenrand gestorben. Wie sich herausstellen sollte, stimmte das nicht. Jahre später erhielt ich einen Brief von einem wunderbaren Mann namens Arthur Judson, der mir schrieb, er sei damals an der Unfallstelle gewesen und bis zuletzt bei Sam geblieben.
Es bedurfte eines schmächtigen schwarzen Kätzchens, um den sechsjährigen Rob wieder zum Lächeln zu bringen. Cleo schien sofort zu begreifen, dass wir uns in einer Krise befanden. Indem sie mit ihm schmuste und spielte und kaum von seiner Seite wich, half sie Rob, sich in einem neuen Leben ohne seinen großen Bruder zurechtzufinden. Damals verstand ich zum ersten Mal, wie tief die heilende Kraft von Tieren gehen kann.
Sams Tod veränderte unser Leben und unsere Herzen sollten nie wieder ganz heilen. Doch in all den Jahren wachte Cleo über uns, während wir langsam wieder zu uns kamen. Als ich erneut schwanger wurde, schmiegte sie sich an meinen wachsenden Bauch und leistete mir nach der Geburt in endlosen Nächten Gesellschaft, wenn ich die kleine Lydia stillte. Ein paar Jahre später stand sie mir bei meiner Scheidung bei, und als ich dann soweit war, warf sie ein wachsames Katzenauge auf das armselige Häuflein meiner Verehrer, um dafür zu sorgen, dass ich die richtige Wahl traf. Wie sich zeigte, war Philip – der erste Mann, der Cleos Zustimmung fand – die richtige Wahl, auch wenn er mittlerweile einen Großteil seiner Zeit in Flugzeugen verbringt. Vor der Geburt unserer Tochter Katharine rollte sich Cleo wieder ordnungsgemäß auf meinem Bauch zusammen und begleitete mich dann erneut durch die Stillzeit.
Von all unseren Kindern hatte Rob die stärkste Beziehung zu Cleo. In seiner Kindheit spielte sie Katzenspiele mit ihm und sie wachte über ihn, als er mit Anfang zwanzig eine schwere Krankheit durchmachte. Diese kleine schwarze Katze war in der Zeit unserer Trauer, beim Umzug nach Australien und schließlich im ganz normalen Chaos des Alltags an unserer Seite gewesen. Etwa um die Zeit, als Rob sich in Chantelle, die Frau seiner Träume verliebte, räumte Cleo dann würdevoll ihren Platz und bekam plötzlich weiße Schnurrhaare. Es war beinahe, als betrachtete sie ihre Pflicht als getan, nun, da Rob erwachsen und glücklich und unsere Familie, mehr oder weniger, wieder auf die Beine gekommen war. Sie konnte uns nun verlassen und in den Katzenhimmel übersiedeln, falls es den gibt.
Ich schwor mir, dass ich nach Cleo nie wieder eine Katze haben würde. Doch als alles wieder kompliziert zu werden begann, platzte ein kleiner Siamkater in unser Leben.
Diese Geschichte erzählt davon, wie eine Katze zur anderen führt, dass rebellische Katzen und Töchter mehr gemeinsam haben, als man annehmen würde, und wie ich lernte, dass es manchmal in Ordnung ist, Kompromisse zu schließen und Medikamente zu nehmen.
Jonah ist die Katze, von der ich geschworen hatte, dass wir sie nie haben würden. Aber wie meine Mutter zu sagen pflegte, sag niemals nie.
2.
Abschied
Deine alte Katze sucht dein nächstes Kätzchen aus.
»Wann legt ihr euch eigentlich wieder eine Katze zu?«, fragte meine Nachbarin Irene, an den Gartenzaun gelehnt.
Was für eine taktlose Frage, dachte ich. Man zieht schließlich auch nicht los um eine neue Mutter einzukaufen, sobald ihr Sarg in die Erde gesenkt ist, oder?
Ich blinzelte zu Irene hoch. Zum Schutz vor der grellen Sonne trug sie eine Sonnenbrille und einen dieser albernen Hüte aus einem Outdoorladen. Ich lachte etwas gezwungen und fragte, was sie meine.
»Jeden Vormittag bist du hier draußen und sprichst mit dem Busch, unter dem ihr Cleo begraben habt. Das ist nicht gesund.«
Gesund? Was versteht sie denn davon?, dachte ich und starrte in meinen Kaffeebecher. Nach dem Frühstück mit einer toten Katze zu sprechen, war ganz und gar harmlos und nicht halb so verrückt wie manche andere Dinge, die ich neuerdings tat, zum Beispiel Kleidungsstücke verkehrt herum tragen und Geburtstagskarten sechs Monate im voraus kaufen. Ganz zu schweigen von meiner wachsenden Leidenschaft für Kreuzworträtsel und Spielshows im Fernsehen. Außerdem war es meine Sache, wenn ich mich mit einer toten Katze unterhalten wollte.
»Eine Freundin von mir hat gerade drei Kätzchen bekommen«, fuhr sie fort. »Also, ich meine natürlich nicht, dass sie sie selbst auf die Welt gebracht hat, ha ha …«
Wenn es darum geht, ein Kätzchen loszuwerden, kennt der Erfindungsreichtum der Leute keine Grenzen. »Sieh sie dir doch einfach mal an«, flöten sie voller Zuversicht, dass man auf der Stelle dahinschmilzt, sobald man den Blick auf irgendein dreibeiniges, halbglatziges Geschöpf richtet. Der Trick ist, sofort gegenzusteuern. Dafür benötigt man nur zwei kurze Worte. »Nein« und »danke«.
In dieser Biosphäre gab es sowieso kein Tier, das auch nur die geringste Chance hatte, Cleo zu ersetzen. Es war ein Jahr her, dass Philip mit einem Spaten feuchte, schwere Erde auf ihren winzigen Körper geschaufelt hatte. Ich hatte Rotz und Wasser geheult, die Stimme meiner Mutter im Kopf: Sei nicht albern! Es war doch nur eine Katze, kein Mensch.
In vieler Hinsicht war Cleo mehr als ein Mensch gewesen. Menschen kommen und gehen, aber Katzen sind immer da. Fast vierundzwanzig Jahre lang war Cleo bei allem, was uns widerfahren war, dabeigewesen.
Andererseits verlassen einen Katzen und Menschen niemals ganz. In den Tiefen der Wäscheschränke fand ich noch immer unverwechselbare schwarze Haare.
»Warum kommst du nicht mit und siehst dir die Kätzchen mal an?«, bohrte Irene weiter. »Winzige gestreifte Fellbälle mit niedlichen Gesichtern.«
»Ich habe kein Interesse an einer neuen Katze«, antwortete ich, schärfer als beabsichtigt.
»Nie wieder?«, fragte sie und rückte ihre Sonnenbrille zurecht.
Während sich eine Hibiskusblüte von dem Ast über mir löste und neben meinen Füßen landete, stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass Irenes Vorschlag ein ganz klein wenig verlockend klang. Die meisten Leute haben Hibiskussträucher im Garten, aber unserer war zu einem sieben Meter hohen Baum mit Hunderten, vielleicht sogar Tausenden rosafarbener Blüten herangewachsen. Im Sommer war der Anblick so überwältigend, dass wir um den Stamm herum eine halbrunde Bank hatten bauen lassen, so dass ich mich daruntersetzen, Kaffee trinken, Moskitos verjagen und mir Scarlett O’Hara geben konnte. Im Herbst war er nicht mehr ganz so beeindruckend. Sobald es kälter wurde, sank eine Blüte nach der anderen wie eine Südstaatenschönheit zu Boden und wartete darauf, zusammengerecht zu werden. In unserem Haushalt war nur eine Person auf Zusammenrechen spezialisiert. Trat ich in Streik und weigerte mich, die Hibiskusblüten zu beseitigen, übten sie Rache, indem sie sich in eine glitschige Masse verwandelten. Der Rest der Familie schaffte es, sich auf Zehenspitzen durch den tödlichen Schleim zu bewegen, ohne Schaden zu nehmen. Ich dagegen rutschte regelmäßig aus und legte eine schmerzhafte Landung auf den harten Pflastersteinen hin.
So würde es auch sein, wenn wir wieder eine Katze hätten. Wie jeder in unserem Haus und Garten würde sie Starallüren entwickeln und am Schluss hätte ich wieder die ganze Arbeit. Eine neue Katze kam überhaupt nicht in Frage.
»Nie wieder.«
»Du wirst schon sehen«, meinte meine Nachbarin, mit einer unheilvollen Geste in meine Richtung, »hast du noch nie davon gehört, auf welch einem geheimnisvollen Weg Katzen in dein Leben treten?«
Ich heuchelte Interesse.
»Deine alte Katze sucht das nächste Kätzchen für dich aus«, sagte sie.
»Wirklich?«
»Ja, und sobald dein neues Kätzchen gefunden ist, kommt es zu dir, ganz egal, was passiert«, antwortete sie. »Und es wird genau die Katze sein, die du brauchst.«
»Hier ist weit und breit nichts von einer Katze zu sehen«, sagte ich und gähnte in die Sonne. »Wir brauchen ganz offensichtlich keine.«
Meine Nachbarin richtete sich auf und pflückte eine Hibiskusblüte von meinem Baum.
»Eure alte Katze ist bloß noch nicht dazu gekommen, eine neue für euch auszusuchen, das ist alles«, erklärte sie, zwinkerte mir zu, steckte die Blüte an ihren Hut und setzte ihren Morgenspaziergang fort.
Ich sah ihr nach, wie sie die Straße hinunter verschwand, und nahm einen Schluck aus meinem Kaffeebecher. Die Vorstellung, dass Cleo in irgendeinem parallelen Katzenuniversum herumtrottete und nach Ersatz für sich Ausschau hielt, war reizvoll. Sie würde einen intelligenten Mischling finden müssen, der ebenso schlau und seelenvoll war.
Aber wie auch immer, eine neue Katze war überhaupt kein Thema. Nach mehr als dreißig Jahren Mutterschaft brauchte ich eine Pflegepause. Die Kinder waren unserer Obhut beinahe entwachsen. Sobald Katharine ihre Abschlussprüfungen hinter sich hatte, würde ich ein Jahr Auszeit nehmen, um durch sämtliche Museen auf dieser Welt zu streifen und all die anderen Dinge zu tun, die ich als allzu junge Mutter versäumt hatte. Ein neues von mir abhängiges Familienmitglied – sei es nun zwei- oder vierbeinig – war das Letzte, was ich brauchen konnte. Ich schickte eine stumme Botschaft an Cleo, falls sie tatsächlich im Katzenhimmel war: Bitte nicht!
Sosehr ich mich auch bemühte, sie zu vergessen, Cleo war überall. Abgesehen von ihren sterblichen Überresten unter dem Seidelbast und den schwarzen Haaren in Wäscheschränken, war ihr Lieblingsplatz im Gras unter der Wäscheleine noch immer an einer kreisrunden kahlen Stelle zu erkennen. Im Haus waren überall Erinnerungen an sie eingegraben wie Kratzspuren. Die Wohnzimmertür trug noch immer die Narben von dem Tag, an dem sie einzubrechen versucht hatte, weil wir uns das Hähnchen vom Schnellimbiss geholt hatten. Wenn ein Schatten über den Küchenboden huschte, musste ich mir jedes Mal sagen, dass das nicht Cleo war. Nach vierundzwanzig Jahren konnte ich zum ersten Mal wieder unbesorgt eine Platte mit Lachs auf der Arbeitsplatte stehen lassen, weil sich niemand darüber hermachen würde. Im Garten und unter dem Haus tummelten sich ungefährdet Mäuse.
Vielleicht hatte meine Nachbarin recht und ich trauerte noch um Cleo. Wenn ich so darüber nachdachte, hatten sich um die Zeit ihres Todes merkwürdige »Symptome« eingestellt. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen, kann ich sagen, dass die vergangenen Monate Begriffen wie Flut, Leck, Glühen, Frieren und Schwitzen eine neue Bedeutung verliehen hatten. Ich war zu einem Minikatastrophengebiet mutiert. Ein- oder zweimal hatte ich das Thema Freundinnen gegenüber zur Sprache gebracht, es jedoch auf der Stelle bereut. Sie litten ungleich mehr als ich. Bei einigen von ihnen klang es, als wären sie übergangslos von der Pubertät in die Menopause gerutscht, unterbrochen von ein paar kurzen, blutigen Intermezzi in Form von Geburten.
Trotzdem, ich musste aufhören, mit dem Seidelbast zu reden. Es würde die Runde machen. Über kurz oder lang würden die Leute die Straßenseite wechseln, um mir nicht zu begegnen. Nicht, dass mir das etwas ausgemacht hätte. Wir waren von Anfang an die Sonderlinge in der Straße gewesen. Inzwischen wurde jedes zweite Haus abgerissen und durch eine Scheußlichkeit aus Beton ersetzt. Ich fühlte mich immer weniger wohl hier. Als Irene mir die Pläne für ihr zukünftiges Domizil gezeigt hatte, hatte ich Mühe gehabt, mein Entsetzen zu verbergen. Es würde nicht nur einen vollkommen ungestörten Blick in unseren Garten ermöglichen, sondern mit seinen Säulen und Bögen nahezu alle antiken Kulturen gleichzeitig in unsere Gegenwart versetzen.
Der Drang nach oben, der in unserer Nachbarschaft nicht zu übersehen war, zog mich nach unten. Ich würde nie dünn, jung oder modebewusst genug sein, um dazuzugehören.
Es war an der Zeit für Veränderungen. Einschneidende.
Eine weitere Hibiskusblüte segelte herunter, dieses Mal landete sie direkt in meinem Kaffeebecher. Das war’s! Warum war ich nicht schon viel früher darauf gekommen, es lag doch völlig klar auf der Hand!
Ich rettete die ertrinkende Blüte, warf sie in die Büsche und fischte mein Handy aus der Tasche meiner Jogginghose.
Auf einen Schlag würde ich sowohl dem schrecklichen Anblick von Irenes Designertraum als auch dem jahrelangen Hibiskusblütenzusammenrechen entkommen. Nie mehr würde ich Cleos Pfoten über den Dielenboden tappen hören. Oder über ihre ausrangierten Knautschkissen unter dem Haus stolpern. Was den Seidelbast anging, musste er kein Grabmal mehr geben und durfte wieder zu einem gewöhnlichen Strauch werden.
Philips Stimme sagte, er wäre im Augenblick leider nicht zu erreichen, ich könnte jedoch eine Nachricht nach dem Piepton …
»Wir ziehen um«, sagte ich und drückte mit einem befriedigenden Klicken die rote Taste.
3.
Ankunft
Ein Zuhause ist wie eine zweite Haut. Es braucht Zeit, bis die neue nachgewachsen ist.
»Wer will in einem Haus wohnen, das Shirley heißt?«, fragte Philip und starrte auf das Messingschild neben der Eingangstür.
Ganz ehrlich, manchmal ging er mir wirklich auf die Nerven. Unser altes Haus hatte schneller als erwartet einen neuen Besitzer gefunden. In vier Wochen mussten wir ausziehen. Und er stand hier und nörgelte an einem Namensschild herum.
»Früher hatten viele Häuser Namen«, sagte ich. »Und wenn man einem Haus schon einen Namen gibt, dann kann es auch Shirley sein.«
Es war nicht zu übersehen, dass ihn das Haus auch sonst nicht besonders beeindruckte. Tief in meinem Inneren wusste ich, dass er gern in etwas Weißes, Modernes gezogen wäre, eine Art Kühlschrank. Stattdessen ragte wie eine Mischung aus Kinderheim und Schloss Colditz Shirley über uns auf. Errichtet Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts, erzählte Shirley mit ihren roten Backsteinen und dem Ziegeldach von einer Zeit, als Mütter ihre Söhne in den Krieg schickten und Sex vor der Ehe etwas Undenkbares war. Was immer Shirley einst an Glanz besessen haben mochte, hatte sich längst zwischen rissigem Mauerwerk und schmucklosen Fenstern verflüchtigt.
Die Backsteine saßen krumm und schief aufeinander und das graue Zeug, das sie zusammenhalten sollte, sah nicht so aus, als würde es diese Aufgabe ernsthaft bewältigen. Die orangefarbenen Dachziegel erinnerten an Reihen zerbrochener Kekse, von denen einige eindeutig einem Abwärtstrend folgten. Es machte keinen Sinn, irgendetwas davon Philip gegenüber zu erwähnen. Wenn wir nicht schnell ein Haus fanden, das wir kaufen wollten, würden wir etwas mieten müssen, was noch mehr Unsicherheit und Unbequemlichkeiten mit sich bringen würde.
Ich hatte es mir recht einfach vorgestellt, ein neues Zuhause zu finden, doch nun sahen wir uns schon seit Wochen Stadthäuser und zentral gelegene Wohnungen an, Bruchbuden und Baustellen. Entweder waren sie zu klein oder absurd teuer oder die Zimmer verteilten sich über so viele Stockwerke, dass im Preis eine Bergsteigerausrüstung hätte inbegriffen sein müssen. Wir wollten uns nicht verkleinern, aber ein Haus für eine Großfamilie in irgendeinem Vorort war auch nicht das, was uns vorschwebte.
Prahran, ein lebendiges Viertel in der Innenstadt, hatte mir schon immer gefallen (der Name stammt von den Aborigines und wird von den Einheimischen »Pran« ausgesprochen), deshalb war ich begeistert, als ich in einer unscheinbaren Sackgasse in der Nähe der High Street Shirley entdeckte. Die Häuser in dieser Straße, überwiegend einstöckige Doppelhäuser, waren alle in der Zwischenkriegszeit errichtet worden, was dem Straßenbild eine in Melbourne sonst eher selten anzutreffende Geschlossenheit verlieh. Mir gefielen die weißen Lattenzäune und verwunschenen Gärten. Sie hatten etwas von Alice im Wunderland. Dank einer Denkmalschutzbestimmung war der Bau von Wohnblocks und modernen Gebäuden untersagt.
Anders als in unserer alten Straße gab es hier offenbar keine Rasenmäher-Fetischisten. Es schien hier vielmehr ein Dauerwettbewerb stattzufinden, wer es schaffte, das Gras vor seinem Haus am höchsten wachsen zu lassen.
Shirleys Vorgarten, ein sandiges Rechteck neben einer Doppelgarage, war praktisch Wüstengebiet. Betonplatten gaben sich als Weg zur Haustür aus. Der einzige Hinweis darauf, dass Shirley einst der Schauplatz für Familienleben gewesen sein mochte, war ein uralter verwachsener Apfelbaum, der sich an die Veranda lehnte.
»Na komm schon«, sagte ich zu Philip, »lass uns mal reingehen.«
Philip blieb jedoch störrisch. Noch immer starrte er auf das Namensschild aus Messing, das für die Besichtigung auf Hochglanz poliert worden war.
»Das können wir wegmachen«, sagte ich und packte seinen Arm.
»Ich wüsste nicht, wie. Es ist einbetoniert.«
Ich zerrte ihn über eine im Laufe vieler Jahrzehnte schiefgetretene hölzerne Schwelle in die Diele. Hohe Decken. Zugig. Ein Sonnenstrahl tauchte eine Pyramide aus Kartons in staubiges Licht. Aber irgendwie machte es einen heimeligen Eindruck.
»Nicht gerade eine ansprechende Präsentation«, bemerkte Philip.
»Das kannst du den Mietern kaum zum Vorwurf machen«, sagte ich. »Immerhin werden sie rausgeworfen.«
»Wer schläft denn hier drin?«, fragte er und inspizierte ein düsteres, mit Sportgeräten und Koffern vollgestelltes Zimmer. »Marquis de Sade?«
Gespenstergleich erschien ein Immobilienmakler in der Eingangstür.
»Das ist das Elternschlafzimmer, Sir«, erklärte er mit strengem Blick, überreichte Philip einen Prospekt und machte auf dem Absatz wieder kehrt.
»Mit Folterbank und einem hervorragenden Blick auf die Hauswand des Nachbarn, na prima«, murmelte Philip.
Über einen knarrenden Holzfußboden folgten wir dem Geruch von Mottenkugeln in ein kleineres Zimmer mit einem zugenagelten Kamin. Runde Flecken an der Decke deuteten auf ein undichtes Dach hin.
»Sieht nach Kinderzimmer aus«, sagte Philip und beäugte die sich ablösende Tapete mit Teddybärmuster.
»Oder Arbeitzimmer«, fügte ich hinzu und blickte durch ein angeknackstes rosa-grünes Bleiglasfenster zu dem Apfelbaum hinaus.
Wir knarzten weiter in das leere Ess-/Wohnzimmer, wo unsere Stimmen von den Wänden widerhallten. Philip deutete auf die Arbeitsfläche in der offenen Küche, gelber Marmor mit braunen Einsprengseln. Ungewöhnlich, zugegebenermaßen. Ein ausgehängter Telefonhörer gab ein Dauerpiepen von sich, wie ein Überwachungsmonitor, der das langsame Sterben eines Patienten anzeigt.
Obwohl Shirley innen wie außen heruntergekommen war, hatte sie etwas, das mich ansprach. Müde, grobknochig und möglicherweise von bedenklicher Substanz, hatten wir eine Menge gemeinsam. Es war, als begegnete man einer Frau mit traurigen, sanften Augen – jemand, der eine Freundin fürs Leben werden sollte.
»Wenn man die Wände in einer wärmeren Farbe streicht und ein paar Bilder aufhängt … und sieh doch mal!«, sagte ich und deutete auf die verglasten Flügeltüren.
Leider öffneten sie sich nur auf einen lehmigen Hof, der von einem einzelnen Baum beherrscht wurde. Ich musste zugeben, dass der hintere Garten sogar noch trister war als der vorne. Der Fertigrasen war völlig verdorrt. Melbourne wurde seit Jahren von einer anhaltenden Dürre geplagt. In der Zeitung hatte ich Berichte über Kinder gelesen, für die Regen etwas so Ungewohntes war, dass sie zu weinen anfingen, wenn er, was selten genug vorkam, aufs Dach trommelte. Wasser war so streng rationiert, dass die Haushalte wieder beim Verbrauch von 1950 angelangt waren. Das obligatorische Zähneputzen weckte Schuldgefühle. Wir hatten eine Zeitschaltuhr in der Dusche. Manche Leute fingen ihr Duschwasser mit einem Eimer auf, um anschließend ihre Gärten damit zu gießen. Eimer voll Wasser und menschlichen Hautzellen sind schwerer, als sie aussehen. Freunde von uns hatten sich beim Herumwuchten den Rücken verrenkt.
Ich vermisste den Geruch von Regen, die Weichheit und lebenspendende Kühle. In der trockenen Luft begannen meine Augen zu brennen.
Während unserer weiteren Besichtigungstour durch das Haus fand Philip für jeden Punkt, den ich zu Shirleys Gunsten anführte, zwei, die gegen sie sprachen.
»Der Essbereich hat eine gute Größe. Hier wäre genug Platz für den Eichentisch«, sagte ich und wusste im nächsten Moment, dass es ein Fehler gewesen war, mich auf Eichentischterritorium zu begeben. Der Tisch war ein Relikt aus meiner ersten Ehe und man sah immer noch die Rillen an den Kanten, wo ihn Sam und Rob im Vorschulalter mit einer Säge traktiert hatten. Obwohl Philip nie etwas gesagt hatte, war ich mir ziemlich sicher, dass er meine Liebe zu dem Tisch nicht teilte.
»Was ist, wenn wir uns wieder eine Katze zulegen?«, gab Philip zu bedenken. »Hier in der Gegend gibt es viele große Straßen …«
»Vergiss es!«, fauchte ich und wünschte, die Leute würden endlich aufhören, mich wegen einer neuen Katze zu nerven.
Wie sollte ich mein Herz jemals einer anderen Katze öffnen, die ich ja doch nur wieder verlieren würde? Sollte diese andere Katze ebenso lange leben wie Cleo, wäre ich bei ihrem Tod siebenundsiebzig. Außerdem hatte Philip recht: In der Straße hier sah es aus wie im Wilden Westen, an jedem zweiten Laternenpfahl hing ein Zettel mit der Überschrift »Belohnung« und dem Foto einer abgängigen Katze.
Er zuckte die Achseln, ging zurück in die Diele und verschwand in einem der anderen Zimmer. Manchmal wünschte ich, er wäre etwas weniger starrköpfig. Andererseits, wenn ich etwas Formbares gewollt hätte, hätte ich einen Klumpen Plastilin heiraten müssen.
Ich ging zurück ins Kinderzimmer und blickte durch die Äste des Apfelbaums auf die Straße. Auf der gegenüberliegenden Seite schlenderte ein Mann den Gehsteig entlang. Ich kniff die Augen zusammen, um sicherzugehen, dass ich richtig sah. Er trug einen blaukarierten Morgenmantel – um zwei Uhr nachmittags. Keine Frage, hier war ich genau richtig.
»Sieh dir das an!«, rief Philip vom anderen Ende der Diele. »Das Wohnzimmer hat Stuck an den Wänden!«
Mit einem bangen Gefühl folgte ich seinem Ruf. Die pickeligen weißen Wände mit dem abgetretenen grünen Teppich verliehen dem Zimmer etwas von einem Eisbärengehege. Es war etwa halb so groß wie ein Basketballfeld, leer und frostig. Ich fuhr mit der Hand über die kalte Wand und überlegte, wie man hier wohl Bilder aufhängen könnte – mit Hilfe von Eispickeln?
»Sieh dir die in die Wand eingelassenen Spiegel über dem Kamin und das Relief über den Fenstern an«, sagte ich und fragte mich im Stillen, wie sich dieses Wohnzimmer bewohnbar machen ließe. »So viel Liebe zum Detail findet man heutzutage selten.«
Eine Treppe mit einem gelb gestrichenen Geländer führte uns hinauf in einen großen Raum, von dem aus man in zwei Schlafzimmer und in ein Bad gelangte. Irgendwann in jüngerer Zeit hatte man an Shirley eine schlecht ausgeführte Schönheitsoperation vorgenommen. Für wenig Geld war ihr ein Rückzugsbereich für Teenager unters Dach implantiert worden. Die ideale Umgebung für zwei junge Frauen auf dem Weg in die Unabhängigkeit, Kath und Lydia würden vermutlich begeistert sein. Wir hätten endlich Platz für Übernachtungsgäste und einige von Robs und Chantelles Hochzeitsgästen, dann in sechs Monaten. Und wer weiß? Vielleicht auch für das eine oder andere Enkelkind.
Während ich aus einem der Fenster im oberen Stock über die Stadt blickte, hatte ich das Gefühl, dass Shirley die Arme um mich legte wie eine alte Freundin. Sie erinnerte mich an das verrückte alte Haus, in dem ich aufgewachsen war – ein Zuhause voller Lachen und Geheimnisse, mit viel Raum für Kinder, um darin groß zu werden. Genau die Art Haus, von dem ich schon immer geträumt hatte. Und zur Krönung des Ganzen lag gleich über die Straße Spoonful, mein Lieblingscafé. Hier zu wohnen wäre ungefähr so, als würde ein Kokainsüchtiger Tür an Tür mit seinem Dealer wohnen.
Ich drehte mich zu Philip, der geistesabwesend gegen eine Falte im Teppichboden trat. Er wirkte missmutig. Ich hasste es, wenn wir solche Machtkämpfe hatten. Er wurde dann immer schweigsam und reckte das Kinn vor, während ich anfing zu argumentieren und mich zu wiederholen. Ich hatte keine Energie für einen Streit.
»Gefällt es dir denn gar nicht?«, fragte ich. »Die Zimmer sind ideal für uns. Wir können etwas daraus machen, außerdem bist du viel schneller im Büro und …«
»Aber dieser Name …«, presste er zwischen den Zähnen hervor.
»Es gibt ein paar ganz tolle Shirleys …«, sagte ich. »Shirley Bassey, Shirley Valentine, Shirley Temple. Und du stehst doch schon immer auf Shirley MacLaine …«
Schweigen.
»Das Haus braucht überhaupt keinen Namen.«
»Dieses Schild lässt sich nicht entfernen.«
»Es gibt nichts, womit ein Pressluftbohrer nicht fertig würde.«
»Dir gefällt es also?«, fragte er geschlagen.
Gefallen war gar kein Ausdruck. Je näher der Versteigerungstermin rückte, desto aufgeregter wurde ich. Mit Shirley hatte ich meine Seelenheimat gefunden. Jeden Tag ließ ich mir irgendeinen Vorwand einfallen, um dort vorbeizufahren. Eines Abends sah ich auf der Straße Kinder Kricket spielen. Eine Szene wie aus meiner Kindheit. In meinen Träumen wanderte ich durch die Zimmer und verwandelte sie in Hochglanzabbildungen aus einer Einrichtungszeitschrift. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich zu sämtlichen Besichtigungsterminen ging. Jedes Mal wenn ich über die Schwelle trat, leuchteten die Augen des Maklers ein bisschen heller.
Wir ließen ein Gutachten erstellen, dem zufolge Shirley ein paar Mängel hatte, aber über eine gesunde Bausubstanz verfügte. Unter der Voraussetzung, dass sich das Namensschild überstreichen ließe, einigten Philip und ich uns auf einen Preis, der bei der in Kürze stattfindenden Versteigerung unser absolutes Limit sein sollte.
Wegen eines nervösen Armzuckens halte ich mich von Versteigerungen fern. Jedes Mal wenn das Bieten anfängt, schnellt meine Hand automatisch in die Höhe. Deshalb holte ich mir am Tag von Shirleys Versteigerung im Spoonful einen Becher Kaffee und verzog mich damit um die Ecke, derweil sich Philip zu den potentiellen Käufern und neugierigen Anwohnern gesellte, die sich vor Shirley eingefunden hatten.
Ich ging davon aus, dass nach fünfzehn Minuten alles vorbei sein würde und ich gefahrlos auftauchen könnte. Stattdessen drängten sich die Leute immer noch vor dem Haus. Es herrschte eine angespannte Stimmung, so ähnlich musste es gegen Ende eines Stierkampfs sein. Philip saß mit untergeschobenen Händen auf einer Betonmauer auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Ein reiner Beobachterposten, wie ich enttäuscht feststellte.
»Was ist los?«, fragte ich.
»Das ist … das ist …«
Er war zu sehr von dem dramatischen Geschehen gefesselt, um zusammenhängend zu antworten.
»Hast du ein Gebot abgegeben?«
»Gleich am Anfang, aber die beiden Typen dort haben unser Limit weit überboten«, sagte er und deutete mit dem Kopf auf zwei Männer, die sich eine Art Gladiatorkampf lieferten. Ihre Gebote hatten bereits eine absurde Höhe erreicht, und der Versteigerer spornte sie unablässig weiter an. Die Zuschauer verfolgten das Spektakel gebannt.
Zu guter Letzt schnitt einer der Männer eine Grimasse, verscheuchte eine imaginäre Fliege und marschierte davon. Ein Raunen ging durch die Menge. Sein Gegner straffte mit gerötetem Gesicht die Schultern, bereit, sich zum Sieger erklären zu lassen. Ich verabschiedete mich im Stillen von Shirley und wappnete mich im Geist für einen Winter in einer Mietwohnung.
Neben mir verlagerte Philip sein Gewicht, zunächst fast unmerklich, dann sah ich ihm mit offenem Mund dabei zu, wie er die rechte Hand unter dem Oberschenkel hervorzog und sie langsam hob. Er stand auf und gab ein Gebot ab, das gleichermaßen erschreckend und erregend war.
Eine unfassbare Summe. Wo in aller Welt sollten wir so viel Geld hernehmen?
Wir wussten beide, dass es unser letztes Gebot sein würde und dass es viel zu hoch für uns war. Der blanke Irrsinn. Und genau das war einer der Gründe, warum ich mich vor Gott weiß wie vielen Jahren in diesen Mann verliebt hatte. Schon mehrmals im Lauf unserer Ehe hatte er, wenn ich einen Traum zerplatzen sah und zutiefst verzweifelt war, irgendetwas Unglaubliches getan, das unser Leben veränderte. Aber noch niemals etwas so Wunderbares und möglicherweise Ruinöses wie derart viel Geld für ein Haus zu bezahlen, das ihm eigentlich gar nicht gefiel, und das nur, weil er wusste, wie sehr ich es mir wünschte.
Es war totenstill, als die Zuschauermenge sich wie ein vielköpfiges Ungeheuer umdrehte und die Augen auf Philip richtete. Auf jemanden, der ihn nicht kannte, musste er völlig gelassen wirken. Seine Gesichtsfarbe hatte sich kein bisschen verändert. Sein Atem ging ruhig. Er zitterte und zuckte nicht.
Ich war die Einzige, die die Zeichen kannte. Da waren sie – züngelnde blaue Flammen in seinen Augen. Der Versteigerer versuchte den rotgesichtigen Mann dazu zu bringen, sein Gebot um fünfhundert Dollar zu erhöhen. Fünfzig Cent mehr und wir wären aus dem Rennen.
»Zum ersten …«, bellte der Versteigerer und wir warteten darauf, dass unser Gegner zuschnappte. »Zum zweiten …« Die Sekunden dehnten sich wie Kaugummi, während wir zusahen, wie sich der Hammer in Zeitlupe senkte und …
Das Haus war verkauft.
Und, unglaublich, aber wahr: an uns.
4.
Geheimnis
Eine Katze verlässt dich niemals ganz.
Während sich die Zuschauermenge zerstreute, führte uns der Makler in Shirleys Wohnküche, wo das Telefon vor sich hin blökte wie ein verirrtes Lämmchen.
Der Makler, der nur aus Zähnen und Aftershave zu bestehen schien, packte meine Hand und gratulierte uns. Die Vorbesitzer wären sicher überglücklich, das alte Mädchen zu diesem Preis doch noch an den Mann gebracht zu haben, erklärte er.
Altes Mädchen? Der Makler gestand uns, dass Shirley bei der Versteigerung einige Monate zuvor nicht weggegangen war und seither eines Käufers geharrt hatte. Ich wartete auf einen vernichtenden Blick von Philip, aber er tat so, als wäre er in die Vertragsunterlagen vertieft.
»Du bist einfach wunderbar«, sagte ich mit einem Seufzer, als wir wegfuhren. Meine Hände zitterten noch immer von der Unterschrift unter Dokumente mit so vielen Nullen darauf. »Bist du sicher, dass wir es uns leisten können?«
»Irgendwas wird uns schon einfallen«, erwiderte er in dem beruhigenden Tonfall, den er früher für seine Kunden bei der Bank verwendet hatte. »Wir haben ein paar Ersparnisse und mit ein bisschen Glück werde ich Ende des Jahres eine Gehaltserhöhung bekommen. Und wer weiß. Vielleicht schreibst du ja einen Bestseller.«
Ich krümmte mich innerlich auf meinem Sitz. Sein Zutrauen in meine Schreibkünste war geradezu pathologisch. Eher würden Supermodels Größe 44 tragen, bevor ich einen Bestseller landete.
Nach wochenlangem Packen und Planen war der Umzugstag endlich da. Ich ging durch die Tür des glücklicherweise namenlosen Hauses, in dem wir die letzten sechs Jahre verbracht hatten, und verabschiedete mich von Cleo und dem Seidelbast mit dem Versprechen, hin und wieder vorbeizuschauen und Hallo zu sagen. Die Umzugsmänner wuchteten die halbrunde Bank in ihren Lastwagen und entschwanden die Straße hinunter. Die Bäume von Melbourne hatten sich in herbstliche Rot- und Goldtöne gehüllt, als wir zu unserem neuen Haus fuhren, wo uns der Apfelbaum mit ausgestreckten Ästen willkommen hieß.
In Shirleys Innerem empfing uns Kälte und hallende Leere. Der Eichentisch wirkte verloren an seinem Platz in unserem neuen Esszimmer, wo das Telefon trotz aufgelegtem Hörer noch immer vor sich hinblökte. Einige unserer Möbel passten perfekt hierher, andere nicht. Die grünen Sofas machten sich recht gut am Ende des Wohnzimmers und der steinerne Buddha, der in unserem alten Haus auf einem Fensterbrett gestanden hatte, schien sich in der Nische daneben auch wohl zu fühlen. Während ich die Statue abstaubte, musste ich an den Tag denken, an dem ich sie in einem Gartencenter gekauft hatte – nicht aus religiösen Gründen, sondern weil ich fasziniert war von der Ruhe, die ihr Gesicht ausstrahlte, und hoffte, dass etwas davon auf mich abfärben würde.
Wie sich zeigen sollte, würde ich jede Menge Ruhe und Gelassenheit brauchen können. Jedes Haus hat das eine oder andere Geheimnis. Shirley hatte vor uns verborgen, dass sie eine Brutstätte für Motten war. Ganze Schwärme flatterten uns aus den Zimmern entgegen und strichen mit ihren weichen braunen Flügeln über unsere Gesichter. Alfred Hitchcock hatte die Chance auf einen Horrorfilm verpasst.
Während ich den Umzugsleuten dabei zusah, wie sie die halbrunde Bank in einer Staubwolke unter dem Baum in der hinteren Gartenwüste abstellten, hoffte ich, dass wir keinen Fehler gemacht hatten.
Philip und ich fragten uns laut, ob wir die »Einliegerwohnung« im oberen Stock nicht für uns hätten beanspruchen sollen. Die beiden Schlafzimmer (eines davon hätte ein sehr hübsches Arbeitszimmer abgegeben) waren erstaunlich geräumig, boten einen wunderbaren Blick über Baumwipfel und Gärten, und vom Wohnbereich aus sah man die Wolkenkratzer in der City, oft mit einem orangeroten Sonnenuntergang als Hintergrundkulisse. Stattdessen verfrachteten wir unser Doppelbett und die Anti-Schnarch-Kissen in das Zimmer gegenüber von Marquis de Sade. Mit dem unbenutzbaren Kamin, den nackten weißen Wänden und fehlenden Schränken wirkte unser neues Schlafzimmer zwar etwas spartanisch, war dafür aber sonnig. Ich stellte unser Hochzeitsfoto auf den Kaminsims und hoffte, dass es uns bald gelingen würde, diesem Zimmer ein Upgrade in Sachen Persönlichkeit zu verschaffen. Wir beschlossen, die Schränke im düsteren Marquis-de-Sade-Kabinett zu benutzen, in dem auch unsere Kommoden, mein Stepper und Philips Heimfahrrad Platz finden sollten.
Ich putzte das ehemalige Kinderzimmer, strich die Wände rot und nahm es als Schreibzimmer in Besitz. Mein erstes »Arbeitszimmer« war der Eichentisch in der Küche gewesen. Dann war ich aufgestiegen, mit einem Schreibtisch in einer Ecke des Schlafzimmers. Das hier war mit Abstand der beste Arbeitsplatz, den ich in dreißig Jahren Schreiben jemals gehabt hatte. Er lockte mich weg von Der Schwächste fliegt! und half mir, die Abgabetermine für die Kolumnen einzuhalten, die ich seit Jahrzehnten am laufenden Band produzierte. Außerdem hatte ich vor kurzem damit begonnen, ein Buch über Cleo zu schreiben.
Einer der Gründe, warum ich fand, wir bräuchten keine neue Katze, war der, dass Cleo, während ich über sie schrieb, lebendiger denn je schien. Wenn ich in meinem neuen Arbeitszimmer vor dem Computer saß, spürte ich beinahe, wie sie um meine Knöchel strich. Trotzdem hatte mein Vertrauen in meine Schreibkünste gerade den absoluten Tiefpunkt erreicht. Ich hatte ein Exposé des Buches an verschiedene Verlage und Herausgeber geschickt, aber niemand schien sich dafür zu interessieren. Ich beschloss, mich für einen Wochenend-Schreibworkshop anzumelden, vielleicht würde mir das ja helfen.
An diesem Wochenende war ich vom Talent der anderen Teilnehmer, allesamt Amateure, so beeindruckt, dass ich die meiste Zeit schwieg. Zum Abschluss sollten wir der Runde unsere Buchideen vorstellen. Ich kritzelte ein paar Absätze über Cleo zusammen und hielt meinen Vortrag als Letzte. Als ich damit fertig war, herrschte Totenstille. Dann begannen die Leute Fragen zu stellen. Sie wollten wissen, was aus der Katze geworden war und aus unserer Familie. Einige sagten, sie würden das fertige Buch kaufen. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass die Geschichte von Cleo und Sam Potential hatte.
Der Kursleiter erzählte mir vom Friday Pitch, einer Initiative des Verlags Allen and Unwin in Sydney, die Autoren die Möglichkeit bot, jeden Freitag per E-Mail ihre Buchprojekte vorzustellen, mit dem Versprechen, dass sie in der darauffolgenden Woche eine Antwort erhalten würden. Angesprochen waren eigentlich Belletristik-Autoren, aber ich beschloss, frech zu sein und ihnen meinen autobiographischen Text zu schicken.
Während sich die Mädchen im oberen Stock einrichteten, zog ich mich in mein neues Arbeitszimmer zurück und brachte das Manuskript in eine präsentable Form. Von neuer Zuversicht erfüllt, dass sich auch andere für unsere Geschichte interessieren könnten, entwickelte ich eine gewisse Routine. Mit Takeaway-Kaffee von Spoonful ausgerüstet verbrachte ich die meisten Vormittage mit Schreiben, bis mein Kopf völlig leer war. Die Bruchstücke unseres Lebens in lesbarer Form zusammenzufügen half mir dabei, einige der schmerzhafteren Erfahrungen zu bewältigen. Wenn ich beim Schreiben ehrlich war, würde es vielleicht einen gewissen heilenden Effekt haben.
Katharine und Lydia waren begeistert von unserem neuen Haus und der Zimmerverteilung. Sie hatten beide ein umgängliches Wesen und waren trotz des Altersunterschieds von sieben Jahren immer gut miteinander ausgekommen. Jetzt, wo Katharine kein Kind mehr war, verstanden sie sich sogar noch besser und liehen sich gegenseitig Anziehsachen und Schminkzeug. Neuerdings hatten sie eine Vorliebe für die Secondhandläden von Wohlfahrtseinrichtungen entwickelt und schleppten stolz irgendwelche müffelnden alten Klamotten an, auf denen das Label »Retro« prangte. Sie waren sich rasch einig, wer welches Zimmer bekommen sollte. Katharine würde das blaue Zimmer auf der linken Seite und Lydia das apricotfarben gestrichene auf der rechten nehmen.
Ich bedauerte es, dass wir uns nicht schon ein paar Jahre früher, als Rob noch bei uns gewohnt hatte, ein Haus dieser Größe hatten leisten können. Bei so vielen unterschiedlichen Altersgruppen in der Familie war es gut, viel Platz zu haben.
Die Mitglieder unserer Familie waren in fünf verschiedenen Jahrzehnten geboren, dadurch wurde uns wenigstens beim sonntäglichen Familienessen nie langweilig. Philip (geboren 1962) beispielsweise hatte kürzlich bei einem dieser Essen ein T-Shirt getragen, zu dem ich ihn überredet hatte, weil auf der Vorderseite »Free Leonard Bernstein« aufgedruckt war. Für Philip war Leonard Bernstein irgendein alter Musiker, den er sich nicht anhörte, wie Leonard Cohen. Wahrscheinlich trug er das T-Shirt nur, weil es retro aussah und deshalb akzeptabel für seine Töchter war. Ich (geboren 1954) dagegen mochte dieses T-Shirt, weil es mich an die Schwarz-Weiß-Übertragungen der Konzerte erinnerte, die Leonard Bernstein in New York für junge Leute gegeben hatte. Katharine (geboren 1992) kannte Leonard Bernstein, weil sie ein großer Fan von West Side Story war. Als Lydia (geboren 1985) das T-Shirt zum ersten Mal sah, musterte sie es voll Respekt und fragte mit Amnesty-International-Stimme: »Wer ist Leonard Bernstein und warum sitzt er im Gefängnis?«
Rob (Generation X) betrachtete Lydias Generation Y aus der Sicht eines brummigen alten Mannes. Er fand, sie und ihresgleichen hätten niemals schwierige Zeiten erlebt und würden erwarten, dass man ihnen alles auf einem Silbertablett präsentierte, von technologischen Entwicklungen bis zu Jobs. Lydia wiederum schien die Generation X für einen Haufen Wichtigtuer zu halten. Philip und ich waren als Vertreter der Baby-Boomer dagegen ein leichtes Ziel für alle unsere Sprösslinge. Nicht nur, dass wir die Welt politisch und ökologisch ruiniert hatten, man hatte uns auch noch bezahlbaren Wohnraum und kostenlose Ausbildungsmöglichkeiten hinterhergeworfen und Arbeitgeber hatten uns praktisch auf Knien angefleht, für sie tätig zu werden. An der Grenze zur Generation Z, war bei solchen Diskussionen lediglich Katharine auf der sicheren Seite, weil bisher noch niemand ein richtiges Profil ihrer Generation erstellt hatte. Chantelle (geboren 1978) nahm bei diesen Essen meistens die Rolle der schweigenden Zuhörerin ein, zweifellos fragte sie sich, auf was für eine verrückte Familie sie sich da eingelassen hatte.
Jede unserer Töchter war auf ihre Art schön und etwas Besonderes. Katharine war mit ihren fünfzehn Jahren groß, blond und hellhäutig, gesegnet mit den blauen Augen ihres Vaters und geschlagen mit den großen Füßen ihrer Mutter. Ein fröhliches, extrovertiertes Mädchen mit einem Haufen Freunden, das sich unter anderem für Bücher, ihre Geige und Musicals begeisterte. Sie war in zwei Schulmusicals aufgetreten, wenn auch wegen ihrer Größe und ihrer tiefen Stimme in Männerrollen: Wild Bill Hickok in Calamity Jane, Bert Healey in Annie. Die glamourösen Rollen bekamen jedes Mal die zierlichen Sopranistinnen. Katharine schloss sich meiner Meinung an, dass die meisten Frauenrollen im Vergleich zu den Männerrollen banal waren. Sie hatte ein sonniges Gemüt, war aber gleichzeitig einfühlsam und eine gewissenhafte Schülerin. Tatsächlich fragte ich mich manchmal, ob sie die Schule vielleicht zu ernst nahm. Katharines sehnlichster Wunsch war ein Kätzchen. Sie würde auch jeden Tag das Katzenklo saubermachen, versprochen. Das würde ich allerdings erst glauben, wenn der Dalai Lama zum Katholizismus konvertierte.
Lydia war etwas kleiner als Katharine und hatte ein hübsches, ovales Gesicht, das von glatten dunkelblonden Haaren umrahmt wurde. Ihre Augen funkelten olivgrün. Von ihrem Vater Steve, meinem ersten Mann, hatte sie die vollen Lippen und den hellen Teint geerbt. Sie war knapp zwei Jahre nach dem Tod ihres ältesten Bruders auf die Welt gekommen und praktisch eine weibliche Ausgabe von Sam, nur dass sie Linkshänderin war. Von Anfang an hatte sie jedoch klargemacht, dass sie in niemandes Schatten stand.
Lydia hatte mich nie Mum genannt. Ich weiß nicht, warum. Sie war einfach in der Annahme auf die Welt gekommen, wir befänden uns auf gleicher Augenhöhe. Es machte mich nicht gerade glücklich, von meiner kleinen Tochter Helen genannt zu werden, vor allem wenn sich Fremde neugierig umschauten und fragten, wo denn die Mutter dieses Wonneproppens sei.
Es schien sie nicht besonders zu erschüttern, als Steve und ich uns kurz nach ihrem ersten Geburtstag trennten. Später lernte sie Philip als Vater lieben.
Es ist allerdings nicht absehbar, welche Auswirkungen es auf ein Kind hat, in eine trauernde Familie hineingeboren zu werden. Von klein auf schien Lydia das Bedürfnis zu haben, die ganze Welt besser zu machen. Während ihre Freunde Lieder aus der Sesamstraße summten, sang sie »Stand by Me«. Mit fünf erklärte sie sich zur Vegetarierin und zwang mich zu lügen, was den Inhalt der Würstchen auf ihrem Teller betraf. Sie weigerte sich sogar, Schokoladentiere zu essen.
Ich hatte gehofft, die anglikanische Mädchenschule würde ihr die Stabilität geben, die ihr vielleicht fehlte, weil sie im Zweiwochenrhythmus zwischen verschiedenen Haushalten hin und her transportiert wurde. Die Schulkapelle war einer der wenigen Orte, an denen ihre Loyalität nicht auf die Probe gestellt wurde. Man konnte sich darauf verlassen, dass die Heilige Jungfrau den Mund hielt, und Gott würde nicht über das Sorgerecht streiten. Sie verliebte sich in den Pfarrer und wollte getauft werden.
Wir hatten Höhen und Tiefen durchlebt, insbesondere, als Philip nach Melbourne in Australien versetzt wurde, auf die andere Seite der Tasmanischen See. Lydia, damals dreizehn, wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen, Land und Schule zu wechseln. Nachdem sie sich erst einmal damit abgefunden hatte, entwickelte sie sich jedoch zu einem wahren Multitalent.
Das Ergebnis ihrer Abschlussprüfungen bescherte ihr mit siebzehn ein Stipendium der Universität Melbourne und eine verwirrende Auswahl an Studienfächern. Sie entschied sich für Politik- und Wirtschaftswissenschaft.
Obwohl sie nur Bestnoten einheimste, war das Einzige, was ihre Augen zum Leuchten brachte, die Arbeit mit behinderten Menschen.
Sie zog in eine Wohngemeinschaft, dann nahm sie ein Jahr Auszeit und reiste durch die Dritte Welt. Mit den Erfahrungen eines ganzen Lebens in Form von Fotodateien auf ihrem Handy war es an der Zeit, sich wieder dem Ernst des Lebens zuzuwenden. Dafür musste sie nichts weiter tun, als in ihrem schönen neuen Zimmer auf ihre alten Teddys aufzupassen und ihr Studium wiederaufzunehmen.
Ich war zu beschäftigt mit unserem neuen Haus, um zu bemerken, dass unsere ältere Tochter etwas anderes plante – etwas, das mich emotional, geistig, spirituell und in so manch anderer Hinsicht in einer Weise herausfordern sollte, die meine Vorstellungskraft weit überstieg.
5.
Inspiration
Lehrer nehmen viele Gestalten an.
Lydia und Katharine machten sich umgehend daran, ihren Zimmern eine persönliche Note zu geben. Wir hörten es über unseren Köpfen poltern und hämmern, als sie Betten verschoben und Bilder aufhängten. Sie unternahmen Ausflüge in Trödelläden. Katharine brachte Filmplakate aus den Fünfzigern und eine geblümte Bettdecke mit nach Hause. Sie säumte ihre Wände mit Büchern und dekorierte ihr Fenster mit Lichterketten.