Hanser Berlin E-Book
Richard Sennett
ZUSAMMENARBEIT
Was unsere Gesellschaft zusammenhält
Aus dem Amerikanischen
von Michael Bischoff
Hanser Berlin
Die Originalausgabe erschien 2012 unter dem Titel Together. The Rituals, Pleasures and Politics of Cooperation in den USA bei Yale University Press und in Großbritannien bei Allen Lane, einem Imprint von Penguin Books.
Während die vorliegende Übersetzung die neue Rechtschreibung verwendet, wurden die aus der Primär- und Sekundärliteratur übernommenen Zitate aus Gründen der Quellentreue in der jeweiligen Rechtschreibung belassen.
Abbildung auf S. 14: Frances Benjamin Johnston (1864–1952): »Stairway of the Treasurer’s Residence: Students at Work«, plate from an album of Hampton Institute. Hampton, Virginia, 1899-1900. New York, Museum of Modern Art (MoMA). Platinum print, 7 1/2 x 9 1/2' (19 x 24,1 cm). Gift of Lincoln Kirstein. Acc. n.: 859.1965.136. © 2012. Digital image, The Museum of Modern Art, New York/Scala, Florence
ISBN 978-3-446-24079-7
© 2012 Richard Sennett
Alle Rechte der deutschen Ausgabe
© Hanser Berlin im Carl Hanser Verlag München 2012
Satz: Greiner & Reichel, Köln
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Datenkonvertierung E-Book:
Kreutzfeldt digital, Hamburg
Für Stuart Proffitt und Elisabeth Ruge
Inhalt
Vorwort 9
Einleitung Kooperation als Grundhaltung 15
ERSTER TEIL Kooperation gestalten
I »Die soziale Frage« 55
Reformer in Paris ergründen ein Rätsel
II Das fragile Gleichgewicht 94
Konkurrenz und Kooperation in Natur und Kultur
III Die »große Unruhe« 135
Wie die Reformation die Kooperation veränderte
ZWEITER TEIL Geschwächte Kooperation
IV Ungleichheit 181
In der Kindheit aufgezwungen und verinnerlicht
V Das soziale Dreieck 201
Die Erosion der sozialen Beziehungen in der Arbeitswelt
VI Das unkooperative Ich 241
Die Psychologie des Rückzugs
DRITTER TEIL Gestärkte Kooperation
VII Die Werkstatt 267
Herstellen und Reparieren
VIII Alltagsdiplomatie 296
Gesprächskunst der Reformationszeit in praktischer Anwendung
IX Die Gemeinschaft 330
Engagement und Partizipation
Koda: Montaignes Katze 366
Anmerkungen 375
Vor einigen Jahren beschloss ich, drei Bücher über jene Fertigkeiten zu schreiben, die Menschen benötigen, um das alltägliche Leben zu bewältigen. Ich habe mein ganzes Leben lang Theorien ersonnen, doch inzwischen bin ich es müde, mich mit Theorien um ihrer selbst willen zu beschäftigen. Und ich habe das Gefühl, dass wir angesichts der mit physischen Gegenständen vollgestopften Welt nicht recht wissen, wie wir von materiellen Objekten und Maschinen guten Gebrauch machen können. Deshalb wollte ich etwas genauer über ganz gewöhnliche Dinge nachdenken – das ist keineswegs neu, denn viele Philosophen erkunden die Fertigkeiten alltäglicher Erfahrung, doch für mich ist das in meinem fortgeschrittenen Alter durchaus etwas Neues.
Ich begann mit Überlegungen zum handwerklichen Können, dem Streben, physische Objekte in guter Qualität herzustellen. In Handwerk habe ich zu zeigen versucht, wie Kopf und Hand miteinander verknüpft sind und welche Techniken die Menschen in die Lage versetzen, bei manuellen oder geistigen Tätigkeiten besser zu werden. Etwas um seiner selbst willen gut zu machen ist eine Fähigkeit, so habe ich dort behauptet, die sich bei den meisten Menschen findet, aber diese Fertigkeit genießt in modernen Gesellschaften nicht das Ansehen, das sie eigentlich verdiente. Es gilt, den Handwerker in uns allen zu befreien.
Beim Schreiben dieser Studie war ich immer wieder erstaunt über einen speziellen sozialen Aspekt bei der praktischen Arbeit, nämlich Kooperation. Kooperation dient als Schmierstoff für jene Maschinerie, mit deren Hilfe wir es schaffen, dass Dinge getan werden, und indem wir uns mit anderen Menschen zusammentun, können wir individuelle Mängel ausgleichen. Die Kooperation ist in unseren Genen angelegt, darf sich aber nicht in Routineverhalten erschöpfen, sondern muss entwickelt und vertieft werden. Das gilt vor allem für den Umgang mit Menschen, die anders sind als wir. Dort wird Kooperation zu einem anspruchsvollen Unterfangen.
In diesem Buch konzentriere ich mich auf die Empfänglichkeit gegenüber anderen, etwa die Fähigkeit, im Gespräch zuzuhören, und auf die praktische Anwendung solcher Empfänglichkeit in der Arbeit und in der Gemeinschaft. Zuhören zu können und einfühlsam mit anderen zusammenzuarbeiten hat natürlich auch einen ethischen Aspekt. Dennoch verengt man den Gedanken der Kooperation allzu sehr, wenn man sie nur als etwas ethisch Positives begreift. Wie der gute Handwerker-Wissenschaftler seine ganz Kraft in die Herstellung der denkbar besten Atombombe setzen könnte, so können Menschen auch bei der Durchführung eines Raubüberfalls effektiv zusammenarbeiten. Und auch wenn wir vielleicht deshalb kooperieren, weil unsere eigenen Ressourcen nicht ausreichen, wissen wir doch in vielen sozialen Beziehungen nicht genau, was wir denn von anderen benötigen – oder was sie von uns erwarten mögen.
Deshalb versuche ich, Kooperation als handwerkliche Kunst zu begreifen. Sie erfordert die Fähigkeit, einander zu verstehen und aufeinander zu reagieren, um gemeinsames Handeln zu ermöglichen, doch das ist ein dorniger Weg, schwierig, voller Mehrdeutigkeit und oft mit zerstörerischen Folgen.
Der letzte Schritt meines Projekts liegt nun vor mir, ein Buch über den Städtebau. Die Städte werden heutzutage nicht sonderlich gut gebaut; Stadtplanung ist ein im Niedergang begriffenes Handwerk. In physischer Hinsicht ist der Städtebau heute allzu oft homogen und formal rigide. In sozialer Hinsicht lassen moderne Bauformen sich zu selten von persönlichen und gemeinschaftlichen Erfahrungen leiten. Das sind leider nur allzu vertraute Klagen. Ich werde versuchen, mich bei der Behandlung dieser Fragen auf die Arbeit in den bisherigen beiden Bänden zu stützen. Dabei hoffe ich, das Verständnis handwerklicher Arbeit und sozialer Kooperation kann uns zu neuen Ideen verhelfen, wie man den Städtebau verbessern könnte.
Ich bezeichne diese drei Bücher als das »Homo-Faber-Projekt«, im Blick auf die alte Vorstellung, wonach der Mensch sein Leben und sich selbst durch konkretes praktisches Handeln erschafft. Ich möchte zeigen, wie die Menschen persönliche Anstrengung, soziale Beziehungen und physische Umwelt gestalten. Ich lege das Schwergewicht deshalb auf Fertigkeiten und Kompetenz, weil die moderne Gesellschaft meines Erachtens dazu geführt hat, dass die Menschen in der alltäglichen Lebensführung über weniger Fertigkeiten verfügen. Wir haben sehr viel mehr Maschinen und Apparate als unsere Vorfahren, aber wir wissen weniger als sie, wie wir guten Gebrauch davon machen können. Wir haben dank der modernen Kommunikationsmittel mehr zwischenmenschliche Kontakte, aber wir wissen nicht so recht, wie man gut kommuniziert. Praktische Fertigkeiten bringen nicht das Heil, sondern sind nur Werkzeuge, doch ohne sie bleiben Fragen nach Sinn und Wert bloße Abstraktionen.
Das Homo-Faber-Projekt kreist um die ethische Frage, in welchem Maße wir Herren unserer selbst werden können. Im sozialen und persönlichen Leben haben wir alle mit den Grenzen zu kämpfen, die unseren Wünschen und unserem Willen gesetzt sind, oder auch mit der Erfahrung, dass die Bedürfnisse anderer Menschen sich nicht mit unseren Bedürfnissen versöhnen lassen. Diese Erfahrung sollte uns Bescheidenheit lehren und damit auch ein ethisches Leben fördern, in dem wir erkennen und ehren, was jenseits unserer selbst liegt. Dennoch vermag niemand als passives, willenloses Wesen zu überleben. Wir müssen immerhin versuchen, unser Leben selbst zu bestimmen. Als Philosoph interessiere ich mich in all diesen Studien für jenen angespannten, vieldeutigen Erfahrungsbereich, in dem Können und Kompetenz auf Widerstand und hartnäckige Unterschiede stoßen.
Obwohl ich hoffe, dass die drei Bände eine Einheit bilden werden, sollen sie doch auch jeweils für sich stehen können. Sie sind für das allgemeine Publikum geschrieben, für intelligente Leser, die sich zu Recht fragen: Warum ist das wichtig? Warum ist das interessant? Ich habe mich bemüht, akademische Streitereien – die für ein allgemeines Publikum niemals sonderlichen Wert besitzen – ganz zu vermeiden oder wissenschaftliche Auseinandersetzungen in die Anmerkungen zu verweisen.
Listen mit Danksagungen werden leicht zu Telefonverzeichnissen. Auf meiner Shortlist derer, denen Dank gebührt, steht an erster Stelle meine Frau Saskia Sassen. Sie hat mich gedrängt, nicht allzu literarisch zu werden. Ich habe einzelne Fallstudien an ihr erprobt, um zu sehen, wann sie ihr langweilig werden. Ich möchte meinem britischen Verleger und Lektor Stuart Proffitt und meiner deutschen Verlegerin und Lektorin Elisabeth Ruge danken, die mich beide gedrängt haben, literarischer zu werden. Beide sind Verleger, die wirklich noch lektorieren – eine aussterbende Kunst. Ganz praktisch geht mein Dank an meine Assistenten Hillary Angelo und Dom Bagnato, beides Freunde, die dafür sorgen, dass die Dinge zustande kommen. Das gilt auch für Elizabeth Stratford, die dieses Buch redigiert hat. Mein intellektueller Dank geht an zwei langjährige Freunde, Craig Calhoun und Bruno Latour, Ersterer ein leidenschaftlicher Korrektor geistiger Irrtümer, Letzterer ein gelassener Anreger solcher Ideen. Schließlich möchte ich noch einem neuen Freund danken, Erzbischof Rowan Williams, dessen Schriften Theologie, Philosophie und Kunst umspannen. Seine Religion ist nicht die meine, aber sein Verständnis dessen, was Bücher leisten sollen, hat mich inspiriert
Frances Benjamin Johnston, »Stairway of the Treasurer’s Residence: Students at Work«, aus einem Album des Hampton Institute, Hampton, Virginia, 1899–1900