cover.jpg

img1.jpg

 

Nr. 2668

 

Neuntau

 

Die Welt des Konstrukteurs – er sucht den Freien Raum

 

Christian Montillon

 

img2.jpg

 

In der Milchstraße schreibt man das Jahr 1470 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) – das entspricht dem Jahr 5057 christlicher Zeitrechnung. Das heimatliche Solsystem verschwand vor mehr als drei Monaten spurlos von seinem angestammten Platz im Orionarm der Milchstraße.

Damit die Liga Freier Terraner nicht ins Chaos sinkt, werden eine neue Regierung und ein neuer Zentralplanet gewählt. Neuer Erster Terraner wird Arun Joschannan – und er muss sich gegen die Intrigen und Infiltrationen durch die Truppen der negativen Superintelligenz QIN SHI zur Wehr setzen.

In der weit entfernten Galaxis Escalian, dem »Reich der Harmonie«, ist QIN SHI ebenfalls am Werk und versucht dort eine Invasion. TANEDRAR, die in Escalian heimische Superintelligenz, hat die Gefahr erkannt. Sie beauftragt den Terraner Alaska Saedelaere damit, ihr zu helfen.

Gemeinsam mit dem Zwergandroiden Eroin Blitzer begibt sich Alaska auf die Suche nach dem geheimnisvollen Konstrukteur Sholoubwa. Er scheint ein Dreh- und Angelpunkt der Ereignisse zu sein und kann vielleicht als Helfer gewonnen werden.

Doch zuerst begegnen die beiden Suchenden einem Wesen namens NEUNTAU ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Alaska Saedelaere – Der unsterbliche Maskenträger sucht das Zentrum von Sholoubwas Installationen.

Eroin Blitzer – Der Zwergandroide entdeckt verborgene Geheimnisse.

Nikomus Neuntau – Ein Pilot fühlt sich betrogen und verraten.

Kongaro – Der sterbliche Maskenträger ist im Auftrag TANEDRARS unterwegs.

»Niemand weiß, dass ein Roboter einsam sein kann.«

»Ich weiß es. Seit mehr als einer Million Jahren.«

– Gespräch zwischen Augustus und Laire, dem Roboter der Kosmokraten

 

 

Prolog

 

Mein Körper zerfällt.

Wie grauenhaft, dass ich diesen Vorgang mit ansehen muss, ohne etwas daran ändern zu können. Bislang konnte ich es wenigstens verdecken. Ich habe einfach nicht hingesehen. Habe die Kleidung glatt gestrichen und im Notfall eine zweite Lage benutzt. Mein Spiegelbild sah stets wunderbar aus.

Aber nun kann ich die Augen nicht mehr davor verschließen, mir selbst nichts mehr vormachen.

Es hat meine linke Hand erreicht.

Ein Teil davon ist bereits abgefallen, gestern; einfach so und völlig ohne Schmerzen – selbstverständlich, wie sollte es auch anders sein? Ich hörte es platschen und sah eine Lache auf dem Boden. Darin lag ein Finger.

Ich darf nicht daran denken. Die Bilder verstören mich. Nur eins noch: Es war nicht leicht, ihn wieder zu befestigen. Nun funktioniert er nicht mehr richtig. Das bereitet mir weit mehr Sorgen. Wo soll das alles enden? Wenn ich ihn bewegen will, fühlt es sich an, als würde er sich verhaken. Außerdem ...

... schmerzt er.

Es ist verrückt! Undenkbar.

Wie kann das sein? So bin ich nicht! Mein Körper kann keine Schmerzen empfinden, schon lange nicht mehr. Sholoubwa hat dafür gesorgt, falls es nicht ohnehin von Anfang an so war. Ich erinnere mich nicht mehr. Es ist, als hätte die Zeit vorher nie existiert.

Sholoubwa! Wenn ich nur an seinen Namen denke, steigt sofort Zorn in mir auf. Ich bin so wütend, dass ich schreien möchte. Es zerreißt mich schier.

Wie seltsam.

Vielleicht ist es tatsächlich so. Rühren all meine Probleme daher? Kann es sein, dass meine Emotionen dafür sorgen, dass mein Körper im buchstäblichen Sinne zerfällt?

Die Vorstellung jagt mir Angst ein.

Alles läuft aus dem Ruder! Das ist noch so etwas Seltsames: Wieso kann ich Angst empfinden?

Offenbar treibt mich die Einsamkeit in den Wahnsinn. In der Nacht trete ich hinaus, vor den Turm, und schaue in den Himmel. Es ist wie immer: Die Sterne leuchten, winzig und fern und unerreichbar.

Wie hat es nur so enden können?

Ich bin verloren.

Es ist alles so traurig.

So traurig.

1.

Ein Muster

aus toten Welten

 

»Bist du dir sicher, Alraska?« Die Augen des Zwergandroiden Eroin Blitzer schienen noch größer zu sein als sonst. Der Kopf legte sich in den Nacken, sodass das platte, leicht verrunzelte Gesicht Alaska Saedelaere anschaute.

Der Terraner mit der Maske zögerte, ehe er nickte. »Wir sind so weit gekommen, dass wir keinen Rückzieher mehr machen können.«

»Können ... oder dürfen?«

Saedelaere antwortete nicht. Ihr Gespräch war in den letzten Tagen schon zu oft an diesen Punkt gelangt. Er konnte die nächsten Worte mit der Präzision eines Uhrwerks voraussagen: Wer sollte es uns verbieten? – TANEDRAR? Und egal, was er dagegen einwandte, Blitzer würde es nicht überzeugen.

Die beiden saßen in einem Nebenraum des escalianischen Walzenraumers SHEYAR, abseits von allem Trubel an Bord. Durch ein scheinbar gläsernes Fenster schaute Saedelaere hinaus ins All, auf einen endlosen Sternenreigen. Einer dieser winzigen Punkte bildete ihr erstes Ziel; eigentlich einer der Planeten, die darum kreisten und die man bislang optisch noch nicht einmal erahnen konnte.

Der Aktivatorträger hatte um diese Ruhezeit nicht gebeten, sondern sie sich einfach genommen und damit die Besatzung des Schiffes vor vollendete Tatsachen gestellt. Er durfte es sich erlauben. Alles war anders geworden seit seiner Begegnung mit der Superintelligenz TANEDRAR, in deren Folge er von ihr auserwählt worden war.

Auserwählt ...

Er dachte darüber nach, ob dieses Wort den Kern der Sache traf. Eroin Blitzer hatte es weit weniger schmeichelhaft ausgedrückt, irgendwann während des Fluges der SHEYAR zur Zwerggalaxis Dranat: missbraucht.

Alaska Saedelaere hatte daraufhin Zorn in sich gespürt, und er wusste immer noch nicht, ob diese Emotion echt gewesen war. Oder nur eine Reflexion des winzigen Bruchteils der Superintelligenz TANEDRAR, den diese in ihm verankert hatte.

Fast jedes Lebewesen der Galaxis Escalian trug einen solchen Splitter – wer bei seiner Geburt keinen erhielt, galt als ein Unharmonischer und wurde ausgestoßen und verfolgt. Saedelaere hatte es gemeinsam mit dem Zwergandroiden in das »Reich der Harmonie« verschlagen, in die Zivilisationen der Maskenträger. Sie waren dort sofort als Fremde und damit als Feinde identifiziert worden.

Inzwischen jedoch hatte der Terraner TANEDRAR persönlich gegenübergestanden und einen Escaran erhalten, eben jenen mentalen Bruchteil des Geisteswesens. Seitdem verstand er die Superintelligenz und ihre Beweggründe viel besser. Die Frage war nur, ob sie ihn über ihr Fragment, das ihm als unsichtbarer Begleiter anhaftete, unterschwellig manipulierte.

Doch sei es, wie es sei. Alaska Saedelaere fühlte sich wohl und frei. Er hatte die Entscheidung, den Escaran anzunehmen, aus eigenem Willen gefällt; anders als im Fall der übrigen Begleiter seines Lebens – das Cappinfragment und Kummerogs Haut.

Nun war er im Auftrag der Superintelligenz unterwegs und hatte deshalb die Reise nach Dranat angetreten. Es galt, eine Mission zu erfüllen und eine große Suche ein Stück voranzutreiben oder womöglich sogar zu beenden. Sein Herz schlug schneller, als er daran dachte. Wenn er Sholoubwa, den geheimnisvollen Konstrukteur, fand, konnte dieser ihm vielleicht den Weg zu Samburi Yura weisen.

»Es gibt kein Zurück«, sagte der Maskenträger, schloss die Augen und schob nach einigem Nachdenken zwei kleine Worte nach: »... mein Freund.«

Sein Gegenüber schwieg. Als Saedelaere kurz darauf den Zwergandroiden ansah, starrten ihn dessen riesige Kinderaugen unverwandt an. »Alraska, was tun wir, wenn wir Sholoubwa wirklich finden?«

»Das, was nötig ist.«

»Er hat in der Vergangenheit deutlich gezeigt, dass er auf TANEDRARS Sendboten nicht gut zu sprechen ist.«

»Wir sind mehr als das«, sagte Saedelaere. »Und das werden wir ihm beweisen.«

»Falls er es zulässt! Dem Konstrukteur stehen Mittel zur Verfügung, die wir uns wahrscheinlich nicht einmal vorstellen können.«

»Es gibt kaum etwas, das ich mir nicht vorstellen kann. Und geh in dich – was sollte für dich jenseits des Vorstellbaren liegen? Du warst mit einer kobaltblauen Walze unterwegs! Du bist mit der Frau Samburi in vielen Galaxien unterwegs gewesen, hast kosmische Wunder und Gefahren gesehen und ...«

»Es ist gut, Alraska«, unterbrach der Kleine; es entsprach gar nicht seiner Art, jemandem ins Wort zu fallen. »Ich verstehe, was du meinst.«

»Und?«

»Du hast recht.«

Die SHEYAR war 70.434 Lichtjahre weit geflogen, hatte dabei den Intermitter-Modus auf Transitionsbasis des Pallon-Überlichtantriebs benutzt und dadurch dafür zwölf Tage und acht Stunden benötigt.

Diese Information war in ihrer Genauigkeit im Grunde für Saedelaere nutzlos, doch Eroin Blitzer hatte es ihm ausführlich vorgerechnet: Die exakte Minutenzahl ist mir unbekannt, verzeih, Alraska.

Er hatte verziehen, und das ohne jegliche Mühe.

Vor Kurzem war das Schiff endgültig im Standarduniversum materialisiert; mitten in der Zwerggalaxis Dranat. Nach escalianischer Zeitrechnung schrieb man den 3AB-014-A550 Adoc-Lian.

Die Besatzung des Schiffes war nach TANEDRARS Offenbarung während des Rituals von Ankunft und Aufbruch ausgetauscht worden. Sie diente nun bis zum letzten Mitglied der Harmonie, war ihr treu ergeben. Insgesamt bestand sie aus 2818 Personen, wie der Zwergandroide mitgeteilt hatte, die Mannschaften der Kleinraumer-Beiboote eingerechnet.

Meinen Informationen zufolge sind zwei der Frauen schwanger sowie einer der eingeschlechtlichen Hnariok, hatte Blitzer gesagt. Sollen wir die Ungeborenen mitrechnen?

Vor dem Start der Expedition hatte Melwai Vedikk, der amtierende Kanzler des Reiches der Harmonie, eine nach seiner Auffassung geringfügige Planänderung verkündet. Die bereits an die SHEYAR angekoppelte RHYLINE war doch nicht mitgeflogen, sondern bei der Anomalie zurückgeblieben. Carmydea Yukk, die Enkelin der lange verschollenen Herzogin Rhizinza Yukk, sollte dort so schnell wie möglich als offizielle Vermittlerin TANEDRARS Kontakt zu den Unharmonischen aufnehmen, um die Bedingungen und Umstände für Verhandlungen einzuleiten. Mittlerweile bestand Hoffnung auf eine Einigung und grundlegende Veränderung der Machtverhältnisse in Escalian.

Darum waren Saedelaere und Blitzer ohne die neuen Freunde und Kampfgefährten aufgebrochen; unterwegs im Auftrag der Superintelligenz.

Durch das Sichtfenster sahen sie etliche glitzernde Sonnen – viel wussten sie nicht über diesen Bereich des Alls. Die escalianischen Sternkarten kannten noch nicht einmal Namen für diese Systeme. Aber die Superintelligenz TANEDRAR hatte Informationen zurückgelassen, ehe sie sich zurückgezogen hatte. In diesem Teil der Zwerggalaxis lagen die sogenannten Baustellenplaneten, auf denen der Konstrukteur Sholoubwa die 48 Blütenblätter der Zeitrose erschaffen hatte.

TANEDRAR hatte sich seinerzeit redlich bemüht, Agenten in die Baustellen einzuschmuggeln, um mehr über dieses unfassbare Projekt herauszufinden. Auch das körperlose Bewusstsein des einstigen Maskenschöpfers Fartokal Ladore war Teil einer fünften Kolonne gewesen, die über Geisteswirte in die Nähe der Blütenblätter gelangen wollte. Doch er war entdeckt und gnadenlos hingerichtet worden.

Sholoubwa hatte sich damals mit äußerster Vehemenz und Überheblichkeit weitere Einmischungen der Superintelligenz verbeten. Deshalb musste die neue Expedition mit extremer Vorsicht vorgehen. Dem nach wie vor geheimnisvollen Konstrukteur standen zweifellos erstaunliche Mittel und Möglichkeiten zur Verfügung, um Spione gewaltsam fernzuhalten.

Andererseits war die Zeitrose fertig gestellt, Sholoubwa hatte die Baustellenwelten längst hinter sich gelassen. Wahrscheinlich warteten nur tote, öde Welten auf Alaska; immerhin hatte TANEDRAR die Planeten später untersuchen lassen und Berichte von verlassenen, kahlen Unterkünften erhalten. Sowohl die Bewohner als auch sämtliche Technologie waren verschwunden gewesen.

Was wohl aus den Escalianern geworden war, die gemeinsam mit fremden Hilfskräften für den Konstrukteur gearbeitet hatten?

Saedelaere blieb nichts anderes übrig, als darauf zu hoffen, dass sie bei einer gründlicheren Suche fündig würden und zumindest eine Spur entdeckten. Sollte es diese tatsächlich geben, bestand jedoch die große Gefahr, dass sich Sholoubwa abgesichert und ausgeklügelte Fallensysteme hinterlassen hatte.

Der Zwergandroide schaute durch die Sichtscheibe auf die Sterne. Sein Körper stand starr. Er bewegte nicht den kleinsten Muskel, wirkte wie eine Statue; als sei plötzlich jedes Leben aus ihm gewichen, als wäre er kein Androide mehr, sondern nur noch ein Roboter, dem die Energiezufuhr abgestellt worden war.

»Eroin?«, fragte Alaska.

Wieder reagierte der andere nicht. Saedelaere beugte sich zu ihm hinab, fasste ihn an den Schultern. Sie fühlten sich kühl und geradezu zerbrechlich dürr an.

»Alraska«, sagte Blitzer tonlos. »Wie konnten wir nur so dumm sein?«

»Was meinst du damit?«

Eroin Blitzer hob eine Hand, krümmte die Finger. »Mir ist es eben erst aufgefallen, als ich einen Teil der Sterne mit eigenen Augen gesehen habe. Das Muster! Wir haben das Muster übersehen!«

 

*

 

Der Zwergandroide erklärte sich nicht weiter. Er bat Alraska, sich mit dem Kommandanten der SHEYAR in Verbindung zu setzen, denn ihm selbst stand diese Möglichkeit nicht offen. Blitzer galt an Bord als wertlos.

Jeder brachte ihm Misstrauen entgegen, weil er keinen Escaran trug; man duldete ihn nur als den Begleiter des Auserwählten TANEDRARS. Auf Saedelaeres Anruf jedoch würden alle an Bord zweifellos sofort reagieren, auch der Kommandant.

Tatsächlich nahm Miryas Kongaro das Funkgespräch über das interne Kommunikationssystem augenblicklich an. Ein perfektes holografisches Abbild des Kandran tauchte zwischen dem Terraner und Eroin Blitzer auf. Es sah aus, als stünde er persönlich vor der Scheibe, so nah, dass er mit einem einzigen Schritt dagegenstoßen könnte.

Kongaro ähnelte einer aufrecht gehenden Kröte und wirkte eher plump – doch die Erfahrungen mit dem Harmoniewächter Uyari Lydspor, der demselben Volk entstammte, hatten bewiesen, dass sich Kandran sehr wendig, rasch und elegant bewegten, wenn es darauf ankam.

»Was wünschst du?« Die Stimme des Kommandanten drang verzerrt unter seiner Maske hervor, die seltsam klobig über dem Krötengesicht lag. Dreidimensionale Figuren standen davon wie Hörner ab. Sie zeigten Lebewesen, deren Körper eine bizarre Mischung aus amphibischen und humanoiden Merkmalen aufwiesen. Über den Gesichtern lagen ebenfalls winzige Masken, und auch auf diesen waren wiederum kaum noch sichtbar kleine, maskierte Gestalten zu sehen. »Wir haben unser Ziel erreicht und steuern soeben eine der Baustellenwelten an.«

»Ich weiß«, antwortete Saedelaere.

»Dann solltest du dich bereit machen, mit einem Einsatzteam die SHEYAR zu verlassen.«

»Bald. Ich bitte zunächst darum, dass du meinen Begleiter anhörst, der einen ...«

Der Terraner kam nicht dazu, den Satz zu beenden, denn der Zwergandroide fiel ihm ins Wort. Mit hastigen, kleinen Schritten huschte Blitzer neben ihn, sodass er ins Sichtfeld der holografischen Kommunikation geriet.

»Wir müssen ein neues Ziel ansteuern. Geh mit dem Schiff in eine Warteposition, ich bin dabei, die aktuellen Zielkoordinaten zu errechnen.«

»Ich wüsste nicht, dass er mir Befehle erteilen kann.« Kongaro redete mit harter, kompromissloser Stimme und fixierte Saedelaere aus den breiten Augenschlitzen. An der Schläfe geriet eine Figur in tänzelnde Bewegung.

»Bitte rede mit ihm, nicht mit mir!«, forderte Alaska. Was ihm danach noch in den Sinn kam, sprach er allerdings nicht aus: Ich weiß selbst nicht, was er will.

Eroin Blitzers zerknittertes Gesicht straffte sich ein wenig. Das gelblich graue Antlitz mit den übergroßen Kinderaugen spiegelte sich in der Scheibe; ein Stern schien genau aus dem Auge heraus zu leuchten. »TANEDRAR hat die Baustellenwelten verlassen vorgefunden. Tote Welten. Unsere Hoffnung, dort eine verwertbare Spur zu finden, entspringt purer Verzweiflung.«

»In Ordnung, fremdes Kunstwesen«, sagte Kongaro herablassend. »Erzähl mir etwas Neues.«

»Das will ich gerne tun«, antwortete der Zwergandroide ausgesucht höflich. Er ließ sich nicht anmerken, ob er die Anrede als beleidigend oder verletzend empfand. »Schau dir die Positionen der bekannten Baustellenwelten an.«

»Sie sind alle auf den Sternkarten vermerkt. Warum sollte ich ...«

»Tu es einfach, Kommandant!«, rief Saedelaere. »Bitte.«

Der Kandran zögerte kurz, gab dann ein blubberndes Geräusch von sich, während sich sein Kehlsack blähte. »So sei es.«

»Projiziere die Karte holografisch vor dich und vor uns«, verlangte Blitzer. »Falls dies mit der Technologie der SHEYAR möglich ist.«

»Selbstverständlich ist es das!«, antwortete der Kommandant barsch. »Die SHEYAR ist das beste und modernste Schiff, auf das jemand wie du jemals einen Fuß gesetzt hat!«

»Das glaube ich allerdings nicht«, meinte Blitzer gelassen.

Sogar ganz sicher nicht, ergänzte Alaska Saedelaere in Gedanken. Beträte Kongaro umgekehrt die LEUCHTKRAFT, käme er aus dem Staunen wohl nicht mehr heraus.

Zu seiner Erleichterung verfolgte Kongaro diesen kleinlichen Streit nicht mehr weiter. Der Kommandant der SHEYAR unterdrückte seine zweifellos vorhandene Ablehnung des Harmonielosen.

Saedelaere konnte ihn sogar verstehen – hin und wieder kostete es ihn selbst Mühe, Blitzer nicht als fremd und damit automatisch als feindlich einzustufen ... Immerhin verfügte der Zwergandroide nicht über einen Escaran. War nicht Teil der Harmonie.

Doch wann immer derlei Gedanken in ihm aufstiegen, verdrängte er sie mit aller Gewalt. Deshalb hatte er Eroin vorhin demonstrativ als Freund bezeichnet, was ihm trotz der langen gemeinsam verbrachten Zeit und der zusammen überstandenen Gefahren nicht leicht gefallen war.

Ein holografisches Abbild ihrer kosmischen Umgebung baute sich auf; ein Gewimmel von unzähligen Sternen. »Dieser Kubus durchmisst zwanzigtausend Lichtjahre«, erklärte Kongaro. »Alle Baustellenwelten befinden sich innerhalb dieses Raumgebiets.«

»Markiere die Positionen aller Sonnen, um die Baustellen kreisen!«, forderte der Zwergandroide. »Und danach erlaube mir, auf die Steuerung des Holos zuzugreifen, um Markierungen anbringen und die Darstellung verändern zu können.«

Der Kandran genehmigte es. Im Sekundenrhythmus färbten sich einzelne Sterne blau.

»Seht her!«, sagte Blitzer. »Diese Sonnen verteilen sich nach einem bestimmten Muster.«

Saedelaere sah sich die Positionen genau an, konnte aber keine Regelmäßigkeit erkennen. Schon gar nicht wollte er ein Muster aller Sterne entdecken, und das, obwohl er als Logiker darin geübt war, verbindende Strukturen auch dann zu bemerken, wenn sie sonst niemand erkannte. Dennoch war er überzeugt, dass Eroin die Wahrheit sprach.

»Alle nicht markierten Sonnen ausblenden!«, forderte der Zwergandroide.

Das Holo folgte dem Befehl; das glänzende Sternenmeer reduzierte sich auf die verhältnismäßig geringe Sonnenzahl, um die Baustellenwelten kreisten. Doch sosehr Saedelaere versuchte, eine Regelmäßigkeit zu entdecken, er scheiterte. Die Abstände glichen einander nicht, ebenso wenig bildete sich eine spezielle geometrische Form aus. Auch in Größe und Beschaffenheit unterschieden sie sich.

»Ich habe die Sternkarten und die Messdaten studiert, die in der SHEYAR vorlagen«, fuhr Blitzer fort, und er schien es zu genießen, im Mittelpunkt zu stehen. Fast wirkte er wie ein Showmaster oder Zauberer, der sein Publikum in den Bann ziehen wollte. »Außerdem habe ich mir erlaubt, eigene Beobachtungen anzustellen. Dies ist das Netzwerk der hyperphysikalischen Strahlungswerte der Sonnen.«