Planetenroman

 

Band 4

 

Griff nach der BASIS

 

Eine Raumschiff-Legende steht vor ihrem Ende – galaktische Intrigen um ein jahrhundertealtes Vermächtnis

 

Arndt Ellmer

 

 

 

Reisen in unglaublich weit entfernte Galaxien, Missionen von kosmischer Bedeutung, Begegnungen mit Superintelligenzen und uralten Wesenheiten – das Fernraumschiff BASIS trug Perry Rhodan durch Raum und Zeit. Doch als er im Jahr 1222 Neuer Galaktischer Zeitrechnung aus der Galaxis Hirdobaan zurückkehrt, ist die BASIS so gut wie schrottreif. Die neue Regierung auf der Erde will die Erinnerung an »alte Zeiten« loswerden und schreibt das vierzehn Kilometer große Raumschiff zum Verkauf aus.

Abordnungen verschiedener galaktischer Reiche bemühen sich um die BASIS – und es gibt offensichtlich einige, die vor kaltblütigem Mord an der interstellaren Konkurrenz nicht zurückschrecken. Ein intrigantes Ringen zwischen den Aktivatorträgern und diversen Machtgruppen entbrennt ...

Prolog

 

Der Chronist betrachtet die Ereignisse um den Verkauf der BASIS als Ereignis von gehobener Bedeutung. Dabei geht es weniger um die Vorfälle an sich, bei denen es um das größte Raumschiff der Menschheit ging, sondern um eine Widerspiegelung der im Bereich der Liga Freier Terraner zu diesem Zeitpunkt ablaufenden politischen Prozesse. Der Verkauf der BASIS – sieben Jahre nach der Rückkehr des Schiffes aus der Galaxis Hirdobaan – versinnbildlicht den Wandel des politischen Klimas ebenso wie den schwindenden Einfluss der Zellaktivatorträger, die über Jahrhunderte hinweg das Schicksal der Menschheit gestaltet hatten.

Mit kaum einem Raumschiff in der Geschichte der Menschheit – mit Ausnahme der SOL – verbinden sich so viele Legenden. Erlebnisse und Mythen. Noch zu Zeiten der Aphilie geplant und in Auftrag gegeben, entstanden die Teile der BASIS im Fertigungssektor Germyr C-VIII-128-P tief unter der Oberfläche Lunas; im Jahre 3586 alter Zeitrechnung war der Gigant vollendet.

Danach war die BASIS lange Zeit am Brennpunkt kosmischer Geschehnisse unterwegs, überstand eine siebenhundert Jahre dauernde Zerlegung im Umfeld der Monos-Krise und die sich anschließende erneute Zusammensetzung, bis sie schließlich, nach zwei langen Reisen zur Großen Leere, als nicht mehr weltraumtauglich ausgemustert wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Raumschiff eine aktive Dienstzeit – abzüglich der Zeit der Zerlegung – von 528 Jahren hinter sich.

Und so begann am 13. Juni 1229 Neuer Galaktischer Zeitrechnung, was dem 13. Juni des Jahres 4816 altterranisch-christlicher Zeitrechnung entsprach, der letzte Akt einer Reihe, vom Standpunkt des objektiven Chronisten betrachtet, zwar für die seinerzeitigen Protagonisten mysteriöser, aber letztlich von anderer Seite sehr zielgerichteter Bestrebungen, die das endgültige Schicksal des ehemaligen Trägerraumschiffes bestimmen sollten.

 

(Aus: Hoschpians unautorisierte Chronik des 13. Jahrhunderts NGZ; Kapitel 12.3.4, Wandel und Neuorientierung)

Es gibt für alles unendlich viele Möglichkeiten.

Ich für meinen Teil lasse immer nur zwei gelten.

Entweder – oder.

(Buddcio Grigor, Erster Terraner, am 28. April 1223 NGZ)

 

 

1.

 

Der kleine, bucklige Terraner mit dem großen Kopf und dem schütteren Haar trat aus dem Transmitterfeld. Hastig und mit dem für ihn charakteristischen krummen Gang steuerte er auf den Ausgang zu. Plötzlich aber blieb er stehen, blinzelte in das gelbe Licht der Wandlampen.

»Wo bin ich hier?«, fragte er leise und schüttelte den Kopf. Er wirkte verwirrt und geistesabwesend. »Servo, war das ein Fehlsprung?«

Statt der Antwort des zuständigen Steuersyntrons baute sich zwischen der Tür und dem Fragesteller ein Hologramm auf. Es zeigte die Symbole der Liga Freier Terraner und der gigantischen Syntronik auf dem Mond, die seit Jahrtausenden für die Menschheit arbeitete.

»Hier spricht NATHAN«, ertönte es aus dem Holokubus. »Guten Morgen, Homer! Ich hoffe, du hattest eine angenehme Nachtruhe.« Die Stimme klang wie immer sympathisch und kompetent.

»Ich habe schlecht geträumt. Es war alles andere als ein guter Schlaf. Was ist los, NATHAN? Du hast mich nicht an das vorgesehene Ziel gebracht. Ich wollte eigentlich in die Kopernikus-Sektion. Dieser Raum hier verfügt nicht einmal über eine Kennung.«

»Ich habe sie gelöscht, um dich nicht zu beunruhigen, Homer. Bitte folge dem Leuchtsignal. Es wird dich zu Perry Rhodan führen. Mit ihm wolltest du dich doch treffen, oder?«

Es war eine rein rhetorische Frage, denn natürlich wusste NATHAN genau, dass Homer G. Adams, bis vor 13 Monaten Chef der Kosmischen Hanse, einem Ruf des alten Freundes nach Luna folgte. Das Hologramm erlosch, der Terraner setzte sich wieder in Bewegung. Lautlos glitt die Tür zur Seite. Adams trat in den Korridor hinaus und folgte dem winzigen dunkelblauen Fleck durch die verschachtelten Sektionen der sublunaren Anlagen.

Die riesigen Areale waren größtenteils nach dem Baukastensystem gefertigt und in Aussehen und Ausstattung identisch. Ohne Wegweiser konnte man sich hier nur verlaufen. Homer durchquerte mehrere Sektionen, wechselte dabei immer wieder die Richtung. Nach fünfzehn Minuten endlich stieß er auf eine Markierung. Sie zeigte an, dass er sich in einem stillgelegten Bereich bewegte.

Vor einer einfachen Tür blieb der Leuchtfleck hängen und erlosch.

Adams zögerte einen Augenblick, dann legte er entschlossen die rechte Handfläche auf den Wärmekontakt. Die Tür glitt zur Seite und gab den Blick auf einen gemütlich eingerichteten Konferenzraum frei. Neben einem elliptisch geformten Tisch und zwei Dutzend Sesseln enthielt er lediglich einen einzigen Gegenstand: ein zehn Meter großes Hologrammmodell der BASIS.

Der Bucklige nahm die Eindrücke im Bruchteil einer Sekunde in sich auf. Dann ruhte sein Blick auf den Männern und der Frau, die ihn erwarteten; die Menschen und Extraterrestrier sahen ihm erleichtert entgegen. Alle waren sie Rhodans Ruf nach Terra und dann hierher nach Luna gefolgt. Er, Homer Gershwin Adams, war der Letzte.

Die Tür schloss sich hinter ihm, und erneut klang die Stimme der Mondsyntronik auf: »Die Abschirmung ist eingeschaltet. Ihr seid jetzt unter euch.«

Perry Rhodan kam auf Adams zu und schüttelte ihm die Hand. »Willkommen im Germyr-Sektor, Homer. Wie lange haben wir uns nicht gesehen?«

»Etwas über sechs Monate, Perry. Warum fragst du?«

»Es ist ziemlich lange her, will er damit sagen«, piepste der Ilt.

»Lange her? Ich bitte dich, Gucky. Es gab Zeiten, da haben wir uns Jahre nicht gese...« Adams stockte und schüttelte den Kopf, als wolle er ein lästiges Insekt loswerden, das sich in seinen Haaren verfangen hatte. »Perry, sagtest du etwas von Germyr?«

Rhodan nickte ernst. »Begreifst du, wo wir uns im Augenblick befinden? Ich wollte euch an einem anderen Ort treffen, aber NATHAN hat mir empfohlen, diese historischen Räumlichkeiten zu nutzen.«

»Germyr«, flüsterte Adams. »Hier hat alles angefangen.«

Es handelte sich um jenen Sektor der gewaltigen Industriekomplexe unter der Mondoberfläche, in dem Robotanlagen unter Leitung von NATHAN einst die einhunderttausend Einzelteile der BASIS gefertigt hatten. Der Auftrag stammte von der Superintelligenz ES, und Ziel und Zweck des riesigen Trägerschiffes waren gewesen, Rhodan und seinen Gefährten bei der Suche nach dem Sporenschiff PAN-THAU-RA als Trägerplattform und Stützpunkt auf der weitesten Expedition seit Menschengedenken zu dienen. Der Ort, an dem sich die Aktivatorträger trafen, besaß also große historische Bedeutung.

Adams folgte Rhodan hinüber zum Tisch und begrüßte die Freunde. Anschließend sank er in einen Sessel und stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte. Seine Miene verlor den Anflug von Verunsicherung. »Die Zeit der Entscheidung ist also gekommen«, sagte er leise.

»Noch ist es nicht offiziell, dass die LFT das Trägerschiff zum Verkauf anbieten wird«, gab Atlan zurück. Der weißhaarige Arkonide, derzeit mehr mit den Entwicklungen im arkonidischen Reich beschäftigt als denen auf Terra, war dennoch gut informiert. »Es hängt von der Willkür Grigors ab. Als Erster Terraner ist der Plophoser untragbar. Jedes Mal, wenn er den Mund aufmacht, kommt eine Lüge oder Ehrabschneidung gegen uns heraus.«

»Was willst du dagegen unternehmen?«, fragte Julian Tifflor, einer von Perry Rhodans ältesten Weggefährten, der ebenfalls mit der BASIS in Hirdobaan unterwegs gewesen war. »Eine Überzeugungskampagne starten?« Er lachte bitter. »Die wird ähnlich teuer wie ein Erwerb der BASIS. Wir haben in diesem Spiel die schlechteren Karten. Weiß der Himmel, warum dem so ist. Wir Unsterblichen werden negative Ereignisse wie die damalige Einflugerlaubnis für den Hamamesch-Basar KOROMBACH nicht los, während Verdienste wie der Einsatz des Schirmfeldgenerators, den wir aus Hirdobaan mitbrachten und der die Heilung von Milliarden Imprint-Geschädigten bewirkte, im Bewusstsein der Öffentlichkeit versickerten, als seien es Naturerscheinungen gewesen. Niemand bringt sie mit uns in Zusammenhang.«

Die allgemeine gesellschaftliche Tendenz war nicht erst seit ihrer Rückkehr von der zweiten Expedition an die Große Leere spürbar. Die Tendenz zur Abkehr von den Unsterblichen hatte bereits davor existiert. Jetzt jedoch erschien sie wie eine Woge, die über die Planeten hinwegschwappte und alles unter sich begrub. Das Klima hatte sich verändert. Die Stimmung stand gegen die relativ unsterblichen Aktivatorträger. Und das galt für nahezu alle Welten der LFT.

Die Liga Freier Terraner setzte sich inzwischen aus 711 Sonnensystemen im engeren Bereich um Sol zusammen, die meisten davon ehemalige Kolonialwelten des Solaren Imperiums. Dazu kamen Systeme mit Planeten wie Ertrus, Plophos und Olymp, die schon in vergangenen Zeiten mächtig genug gewesen waren. Sie agierten selbstständig, rechneten sich aber wegen jener Historie der Kolonialisierung zur LFT als Rechtsnachfolgerin des Solaren Imperiums und blieben der Mutterwelt und dem Heimatsystem verbunden. Die Anzahl dieser assoziierten Systeme betrug ungefähr eintausend. Das Vereinigte Parlament mit Sitz in Terrania besaß gesetzgeberische Befugnisse in allen außenpolitischen Fragen, die die Gemeinschaft betrafen. Innenpolitisch waren die assoziierten Welten vollkommen autark.

Regierungschef und damit traditionell mit dem Titel Erster Terraner ausgestattet war seit dem 12. Februar 1223 NGZ der Plophoser Buddcio Grigor. Die Aktivatorträger hielten ihn für einen durchtriebenen Typ. Er besaß im Vergleich zu seiner Vorgängerin Koka Szari Misonan keinerlei für sie wahrnehmbare Vorzüge und machte sich die Politik oftmals recht leicht, indem er alles auf das einfache Schema Schwarz-Weiß reduzierte. Anscheinend war das derzeit gefragt. »Kleingeist« nannten die Unsterblichen ihn jedes Mal, wenn er in den Nachrichten auftrat und großsprecherisch seine Thesen verkündete. Grigor war eines von vielen Symptomen – eines von Tausenden.

»Es wäre vergeudete Zeit, etwas gegen Grigor zu unternehmen.« Myles Kantor strich sich eine Strähne aus der Stirn. Der Wissenschaftler lächelte gequält. »Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche. Atlan hat das Stichwort bereits genannt. Es geht um die BASIS. Nach meinen Informationen kann es nur noch Tage dauern, bis sie zum Verkauf steht. Dann schlägt unsere Stunde.«

Icho Tolot trommelte vorsichtig mit zwei Fingern auf die Tischplatte. Damit verursachte der dreieinhalb Meter große Haluter einen Lärm, der jedes weitere Wort übertönte. »Meine Kleinen! Ich halte nichts davon, den Koloss zu kaufen. Wozu benötigen wir ein Trägerschiff von dieser Größe? Wir wollen nicht zurück an die Große Leere fliegen. Und zudem gibt es modernere Schiffe, die weniger kosten.«

Ronald Tekener und Dao-Lin-H'ay nickten zustimmend. Michael Rhodan und Julian Tifflor schlossen sich an.

»Die Zeiten der kosmischen Abenteuer sind vorbei«, sagte Tifflor. »Und ich frage mich, ob sie uns wirklich weitergebracht haben.«

»Es war einer unserer größten Fehler, dass wir uns im Auftrag der Kosmokraten von jeder politischen Verantwortung gegenüber der Menschheit gelöst haben«, knurrte Perry Rhodan. »Wir waren der Meinung, nur noch im Auftrag höherer Mächte unterwegs sein zu müssen, damit sich überall alles zum Guten wendet. Nie hätten wir uns langfristig und derart intensiv von der Aufgabe entfernen dürfen, die ES uns am Anfang unserer sogenannten Karriere gestellt hat.«

Er hob die Stimme ein wenig an. »Freunde, diese Aufgabe ist, die Menschheit in die Zukunft zu führen und die Milchstraße zu einen. Wir sind nicht die Polizei des Universums, obwohl die Kosmokraten genau das von uns erwartet haben. Welch ein Glück, dass Atlan und ich keine Ritter der Tiefe mehr sind.«

Alaska Saedelaere hatte bisher als Einziger kein Wort gesprochen. Jetzt hob er den Kopf. »Die Ritteraura werdet ihr nie mehr los. Dessen solltet ihr euch immer bewusst sein. Ich sehe es als eine Strafe der Kosmokraten an. Was wird aus der BASIS, Perry?«

»Ich weiß es nicht«, bekannte Rhodan. »Ich plädiere dafür, sie zu erwerben. Allerdings reichen meine eigenen Finanzmittel dazu nicht aus. Deshalb habe ich euch hergebeten. Homer, du hast den besten Überblick über den reellen Wert des Trägerschiffes.«

Adams nickte bedächtig und nannte eine Reihe von Zahlen. Selbstverständlich war die BASIS nicht im eigentlichen Sinne schrottreif. Die Ynkelonium-Terkonit-Stahllegierung rostete nicht und behielt ihre molekulare Festigkeit. An Bord des Trägerschiffes existierten keine klappernden Geräte, wie es die Boulevardpresse seit einigen Jahren so gern ausdrückte. Die BASIS genügte nur nicht mehr dem Standard, den aktuelle Technik und syntronische Ingenieurskunst von einem Fernraumschiff forderten. Der Schadensstand in den einzelnen Sektionen der verschiedenen Segmente hatte sogar während der zweiten Expedition zur Großen Leere noch keine bedrohlichen Werte erreicht, allerdings das laut Spezifikationen vorgeschriebene Limit um etwa das Achtfache überstiegen.

»Ich habe die gesamten Daten von NATHAN durchrechnen lassen«, fuhr der ehemalige Hanse-Chef fort. »Um das Trägerschiff von Kopf bis Fuß auf den neuesten Stand der Technik zu bringen, müssten wir ungefähr zweihundert Milliarden Galax investieren. Ich betone: Milliarden! Die Kosten für den Erwerb des Schiffes sind dabei noch nicht eingerechnet. Nach allem, was mir bekannt ist, erreichen wir diese Summe nicht einmal annähernd, selbst wenn wir alle zusammenlegen.«

»Wir könnten eine Aktiengesellschaft gründen, notfalls eine für Schrottverwertung«, schlug Gucky vor. »He, Dicker, schau mich nicht so grimmig an. Ich mag das nicht.«

»Du kannst nie ernst bleiben«, warf Reginald Bull, auch er ein Veteran beider Expeditionen zur Großen Leere, dem Ilt vor. »Reiß dich wenigstens dieses eine Mal zusammen!«

»Hört auf!«, klang es leise aus Alaskas Mund. »Wir reden über ungelegte Eier. Der Erste Terraner wird es niemals zulassen, dass die BASIS in unsere Hände fällt.«

Er behielt recht. Eine halbe Stunde später verbreitete Buddcio Grigor das Ergebnis der Sitzung aller derzeitigen Hanse-Sprecher, die an diesem Morgen im STALHOF stattgefunden hatte.

Ohne Ausnahme hatten sie einem entsprechenden Antrag des Ersten Terraners zugestimmt, den dieser im Liga-Parlament einbringen wollte.

Für die kleine Gruppe der Unsterblichen standen die Zeichen auf Sturm.

 

Die versteckt angebrachten Sensoren meldeten, dass sich der Besucher näherte. Zweihundert Meter trennten ihn noch vom Ziel.

Es war Zeit zum Handeln. Der Mann an der Konsole des kleinen Kontrollraums berührte die Gürtelschnalle seiner Kombination. Übergangslos verschwand seine Gestalt hinter einem Deflektorfeld. Der Sessel schwenkte wie von Geisterhand bewegt zur Seite und pendelte dann langsam in seine ursprüngliche Stellung zurück. Neben der Eingangstür flammte ein Hologrammfeld auf und zeigte den Korridor, den der Besucher entlangging.

Dieser bemerkte nicht, dass er sich unter ständiger Beobachtung befand. Taster durchleuchteten seinen Körper bis in die letzte Faser und stellten nichts Ungewöhnliches fest. Er war durch und durch Mensch und trug nicht einmal eine chemische Mikrosonde in sich.

Die Gestalt hinter dem Deflektorfeld atmete auf. Die Sicherheits-Agentur Hanse, kurz SAH genannt, hatte ihre Finger also ausnahmsweise nicht im Spiel. Die Operation Großer Bruder begann Erfolg versprechend.

Der Besucher erreichte die letzte Abzweigung vor dem Ziel, blieb einen Augenblick lang stehen. Er blickte den Weg zurück, den er gekommen war, aber dort war nichts. Kein Korridor, kein Weg, kein Ausgang.

Die Gestalt hinter dem Deflektorfeld lachte leise. »Gib dir keine Mühe! Ohne meine Hilfe wirst du nie hinausfinden. Hochwertige Mikrotechnik gaukelt dir eine Station vor, die es in Wirklichkeit gar nicht gibt. Und jetzt beeil dich! Meine Zeit ist kostbar.«

Als habe er verstanden, setzte der Besucher seinen Weg fort und folgte dem Korridor bis ans Ende. Er betastete die metallenen Wände, um ganz sicher zu sein, dass es sich nicht um eine Illusion handelte. Den Unterschied zwischen Formenergie und »echter Materie« konnte er natürlich nicht feststellen, aber sein Gesichtsausdruck ließ darauf schließen, dass ihm die Berührung guttat.

»Komm herein!«, erklang eine sanfte weibliche Stimme. »Du wirst bereits erwartet.«

Die Tür öffnete sich.

Wieder zögerte der Besucher, aber seine Miene zeigte keinerlei Spur von Angst. Als er feststellte, dass der Raum bis auf die Konsolen und ein Hologramm neben der Tür leer war, runzelte er die Stirn. »Phenix Dennison meldet sich zur Stelle«, sagte er und trat ein. Auf dem Hologramm erkannte er sich selbst und streckte die Hände aus, um es zu berühren.

Die Gestalt hinter dem Deflektorfeld amüsierte sich über das sinnlose Verhalten. Sie ließ das Hologramm verschwinden.

»Willkommen, Dennison!«, sagte sie, und die Syntronik behielt die weibliche Modulation bei. »Du hörst, es ist jemand hier, um dich zu empfangen.«

»Zeig dich! Ich will wissen, mit wem ich es zu tun habe.«

»Tut mir leid, ich halte mich an unsere Vereinbarungen.«

»Auch gut. Aber es nützt dir nichts.«

»Du sprichst in Rätseln, Phenix Dennison.« Die Syntronik ließ die Frauenstimme angemessen verwundert klingen.

Der Terraner grinste über das breite Gesicht. »Es gibt eine Person auf Terra, die einen besonderen Grund hat, ihr Gesicht nicht zu zeigen und gleichzeitig auch ihre Stimme zu verfälschen. Du bist mit einiger Wahrscheinlichkeit Gia de Moleon von der SAH.«

Die Gestalt hinter dem Deflektorfeld lachte. »Du sprichst von der Abteilungsleiterin für Spionageabwehr. Welch eine Ehre! Im Ernst, Dennison. Welchen Grund hätte Gia, sich vor dir zu verbergen?«

»Weiß ich es? Vielleicht hat mein Chef dich geschickt, damit du meine Loyalität prüfst. Eine überflüssige Angelegenheit. Ich bin loyal!«

»Dafür wirst du gut bezahlt. Aber du wirst dabei nicht wohlhabend. Warum bist du meiner Einladung gefolgt? Nur, um mir zu sagen, wie pflichtbewusst du arbeitest? Nein, das kannst du mir nicht weismachen. Du bist gekommen, weil du dir etwas davon versprichst. Ich mache dich reich, Dennison. Sehr reich.«

»Tut mir leid. Ich bin nicht interessiert.«

»Dann geh! Vergessen wir das Ganze. Ich habe mich in dir geirrt.« Wieder lachte der Unsichtbare. »Du müsstest jetzt dein Gesicht sehen, Terraner. Sind alle in deinem Volk derartige Komiker?«

Der Besucher schluckte und blieb so eine Antwort schuldig.

»Was willst du von mir?«, erkundigte er sich nach längerem Schweigen.

»Ich mache dir ein Angebot. Zehn Millionen Galax für eine kleine Gefälligkeit.«

»Ich lasse mich nicht kaufen.«

»Ich habe nicht vor, dich zu kaufen. Ich will dich dafür bezahlen, dass du für mich arbeitest.«

»Gegen Terra und die Liga?«

»Nein. Gegen das Universum. Die LFT hat nichts damit zu tun.«

»Natürlich nicht!«, höhnte der Besucher. »Deshalb hast du ausgerechnet mich ausgesucht.« Er machte ein paar Schritte in den Raum hinein, schaute dann hinter die Konsolen und die Sessel. »Ich möchte wissen, worum es geht. Welche Rolle hast du mir zugedacht?«

»Die des Aufpassers. Hör mir mal genau zu, Dennison! Zehn Millionen Galax sind leicht verdientes Geld. Sie liegen auf einem Nummernkonto des Planeten Svyzzera. Nummer und Passwort erhältst du nach Abschluss deines Auftrags.«

»Bei so viel Geld sind die Anforderungen entsprechend hoch. Tut mir leid, ich passe.«

»Du kannst jetzt nicht mehr zurück, Terraner. Die Tür bleibt so lange verschlossen, bis ich deine Zustimmung habe.«

»Hör mit dem Unsinn auf, Gia de Moleon! Du kannst mich hier einsperren und ködern, sooft du willst. Ich werde nicht weich.«

»Sieh her!«, donnerte der Unsichtbare. Dennisons Blick wanderte suchend umher.

Mitten zwischen den Konsolen entstand ein dunkler Fleck. Aus dem Nichts schoss eine riesige Faust mit einem Arm, der so dick wie das Ansaugrohr einer Klimaanlage war. Faust und Arm schimmerten graubraun, und die Haut wirkte ledern. Dennison riss Augen und Mund auf und schnappte nach Luft.

»Damit sind hoffentlich alle Zweifel beseitigt«, erklärte die sanfte, freundliche Frauenstimme. »Ich bin nicht Gia de Moleon.«

»A... auf diesen ... Trick falle ich nicht herein«, stammelte der Terraner.

Der Unsichtbare stieß einen Schrei aus und zog den Arm wieder zurück. »Mir läuft die Zeit davon, kapiert? Ich kann nicht länger warten. Ich muss eingreifen, und dazu brauche ich dich. Wenn du nicht freiwillig mit mir zusammenarbeitest, muss ich dich dazu zwingen.«

»Ich lach mich kaputt. He, was soll das?«

Der Unsichtbare packte Dennison mit einem Zugfeld, riss ihn vom Boden empor und zwischen die Anlagen hinein. Der Agent tobte und strampelte, aber es half ihm nichts. In den Aufbauten um ihn herum bildeten sich winzige Öffnungen; aus ihnen schoben sich silbern glitzernde Nadeln mit spiraligen Enden.

»Aufhören!«, schrie der Terraner. »Verdammt noch mal, ich habe nichts verbrochen! Warum quälst du mich?«

»Nur eine kleine Vorsichtsmaßnahme, junger Freund«, säuselte die angenehme Frauenstimme, gefolgt von einem donnernden, unkontrollierten Männerlachen. »Es dauert lediglich ein paar Sekunden.«

Phenix Dennison keuchte und wand sich wie ein Wurm. Ein Teil des Zugfeldes verstärkte sich und hielt seinen Kopf fest. Der Rest des Körpers bewegte sich weiter.

Aus den Spiralen stachen winzige Energiefäden zu seinem Kopf hinüber. Der Terraner warf den Körper hin und her, versuchte, die Arme über der Stirn zu verschränken. Es gelang ihm nicht. Das Feld war stärker.

»Was stellst du mit mir an?«, schrie er. »Hör sofort damit auf!«

»Spürst du etwas? Tut es weh?«

»Nein. Ich spüre nichts.«

»Dann ist alles in Ordnung.« Die Energiefäden verschwanden, nur die Spiralen glühten ein paar Sekunden nach. Das Zugfeld setzte ihn auf dem Boden ab und erlosch.

Dennison betastete verwundert seinen Kopf und lauschte in sich hinein. »Was hast du mit mir gemacht?«, stöhnte er.

»Nichts. Ich habe dich erschreckt und dir vor Augen geführt, dass es besser für dich ist, wenn du freiwillig mit mir zusammenarbeitest.«

»Ich habe nicht die Absicht, gegen meinen Amtseid zu verstoßen.«

»Welchen Amtseid?«

»Ich ...« Der Terraner stockte. »Du hast recht. Ich verstoße gegen keinen Eid, denn ich tue nichts Ungesetzliches.«

»Du siehst es also endlich ein.« Befriedigung klang aus der Frauenstimme.

»Ja, natürlich. Was muss ich tun?«

»Du wirst zunächst an deinen Arbeitsplatz zurückkehren. Alles andere wird sich ergeben. Sobald ich deine Hilfe benötige, werde ich mich mit dir in Verbindung setzen. Ist dir das recht?«

»Ich bin einverstanden.«

»Gut. Du kannst jetzt gehen.«

Im Gesicht des Terraners arbeitete es. Sekundenlang sah es aus, als wolle er etwas sagen oder fragen. Dann jedoch entspannten sich seine Züge. Er ging zur Tür und wartete, bis sie sich öffnete. Ohne ein Wort eilte er hinaus und verließ wenig später die kleine Station tief im Sand der Wüste Gobi.

Der Unsichtbare ließ sich in einen Sessel fallen und verfolgte den Abflug des Besuchers auf einem Monitor. Lachend schlug er sich auf die Schenkel. »Kleiner Narr!«, flüsterte er. »Du hast nicht einmal gemerkt, dass ich mit dir gespielt habe wie die Katze mit der Maus. Natürlich hätte ich dir nie deinen freien Willen gelassen. Und die Millionen wirst du sehr schnell vergessen. Sobald die Operation Großer Bruder Früchte trägt, hast du deinen Zweck erfüllt.«

Die Unsterblichen betrachteten es als Wink des Schicksals, dass NATHAN ihrem Wunsch entsprach und sie noch am selben Tag im STALHOF zu einem vertraulichen Gespräch empfing. Das Planungshauptquartier der einstigen Kosmischen Hanse lag tief im Erdmond innerhalb des von NATHAN in Anspruch genommenen Areals.

Einst war die Hanse nicht nur als wirtschaftliches Unternehmen, sondern in erster Linie als Gremium für den Einsatz gegen die negative Superintelligenz Seth-Apophis gegründet worden. In der aktuellen Zeit besaßen die Hanse-Sprecher keine sonderliche Bedeutung mehr. Alle Träger des Hanse-Siegels gehörten der politischen Führungsriege der LFT an, mit anderen Worten, es handelte sich um Vertraute des Ersten Terraners. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie jemals gegen den Willen von Buddcio Grigor entschieden, war gleich null.

»Wir haben ein paar Fragen an dich, NATHAN«, sagte Rhodan und warf einen flüchtigen Blick auf das Hologramm, das die Anwesenheit der Gigantsyntronik symbolisierte. »Wirst du sie uns beantworten?«

»Natürlich, Perry«, klang es aus den Akustikfeldern. »Es ist eine meiner Aufgaben. Nicht die wichtigste, aber manchmal die häufigste.«

»Warum schreitest du nicht ein? Die Taktik des Ersten Terraners ist klar erkennbar: Er will die BASIS loswerden.«

»Willst du das nicht auch? Das riesige Schiff ist technisch völlig veraltet. Eine Erneuerung ergibt keinen Sinn. Buddcio Grigor weiß dies genauso gut wie ihr.«

Rhodan zuckte die Achseln. »Ich bin mir nicht sicher, ob er genau weiß, was er tut.«

»Grigor ist ein Mann, dem es vor allem um die Sicherheit der LFT geht. Die Lage in der Milchstraße verändert sich täglich, und zwar nicht zum Besten. Damit meine ich nicht nur die zahllosen Konflikte zwischen den über zweitausend Blues-Nationen in der Eastside, die ständig aufs Neue zu eskalieren drohen.«

»Das trifft auf die BASIS auch zu. Sie im jetzigen Zustand zu verkaufen ist ein Witz. Grigor hat alles entfernen lassen, was nicht niet- und nagelfest ist.«

»Das hat seine Vorgängerin Koka Szari Misonan in die Wege geleitet. Er führte es lediglich zu Ende. Macht es ihm nicht zum Vorwurf.«

»Es läuft darauf hinaus, dass er uns kaltstellt und wir keine Möglichkeit mehr haben, Einfluss auf die Geschehnisse um die BASIS zu nehmen«, warf Atlan ein. »Bald ergeht es allen Aktivatorträgern ähnlich wie mir. Im neu aufblühenden Imperium der Arkoniden halten mich viele bereits für einen Mythos. Sie können sich nicht mehr vorstellen, dass es mich wirklich gibt. Es wäre schlimm, wenn dies demnächst auch für einen Perry Rhodan auf Terra gälte.«

»Dies ist eine Entwicklung, der ihr aus eigener Kraft entgegensteuern müsst«, meinte NATHAN. »Warum tut ihr es nicht?«

»Uns stehen keine privaten oder öffentlichen Medien zur Verfügung«, stellte Homer G. Adams fest. »Daran liegt es. Grigor scheint alle Welt bestochen zu haben. Man stellt sich taub. Weder gegen Geld noch gegen gute Worte räumt man uns Sendezeit ein. In einer derart verfahrenen Situation kannst nur du uns noch helfen, NATHAN.«