Neunundsechzig Jahre am Preußischen Hofe.
Aus den Erinnerungen der
Oberhofmeisterin
Sophie Marie Gräfin von Voss
Aus den Erinnerungen der
Oberhofmeisterin
Sophie Marie Gräfin von Voss
Mit einer Stammtafel,
ergänzt durch eine Zeittafel,
und einem Vorwort von Wieland Giebel.
Reprint der fünften, unveränderten Auflage
Leipzig, Verlag von Ducker & Humblot,
1887
7. Auflage
Neunundsechzig Jahre am Preußischen Hofe.
Aus den Erinnerungen der Oberhofmeisterin
Sophie Marie Gräfin von Voss
Herausgegeben von Wieland Giebel
7. Auflage des Nachdrucks
ISBN 13: 978-3-86368-701-4
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Umschlag: Norman Bösch
Satz: Patricia Bohnstedt
Nachdruck der fünften unveränderten Ausgabe von
1887, Verlag von Duncker & Humblot, Leipzig
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Welch ein Glück, daß es diese Erinnerungen gibt! Sophie Marie Gräfin von Voss (11. März 1729 – 31. Dezember 1814), geborene von Pannwitz, lebte neunundsechzig Jahre am preußischen Hof. Sie war über Jahrzehnte Gesprächspartnerin und Beraterin von Königinnen und Königen. Täglich. Und oft nachts. Sie sah vier preußische Herrscher kommen und gehen und neue Epochen anbrechen. In ihren privaten Aufzeichnungen nimmt sie kein Blatt vor den Mund. Gnadenlos kommentiert sie ihre Treffen mit den europäischen Königinnen und Königen, Kaiserinnen und Kaisern, Zarinnen und Zaren.
Als Sophie von Pannwitz geboren wurde, regierte Friedrich Wilhelm I., der Soldatenkönig, der mit den Langen Kerls und dem etwas rüden Tabakskollegium, und Preußen war noch keine europäische Großmacht. Sie erlebte die gesamte Regierungszeit von Friedrich dem Großen (1740–1786) und die seines Neffen und Thronfolgers Friedrich Wilhelm II. (1786–1797). Sie erlebte die Besetzung Berlins durch die Franzosen, die Befreiungskriege gegen Napoleon und die Neuordnung Europas. Die letzte Eintragung in ihrem Tagebuch am 23. Dezember 1814 bezieht sich auf den Wiener Kongress: »Aus Wien nichts Erfreuliches; es scheint, dieser unselige Kongress nimmt kein Ende.« König Friedrich Wilhelm III. hatte ihr das gesamte Vertragswerk zur Durchsicht und Kommentierung geschickt. Die Gräfin von Voss vertrat die Auffassung, die Franzosen seien viel zu gut weggekommen.
Sophie verbrachte ihre Kindheit mit ihrer Mutter am Hof der Gattin des Soldatenkönigs, Königin Sophie Dorothea. 1743, im Alter von 14 Jahren, wurde sie zu ihrer Hof- und Staatsdame. Sieben Jahre lang war sie Sophie Dorothea mit großer Verehrung ergeben. Deren Tochter, die Markgräfin von Bayreuth, Schwester Friedrichs des Großen, berichtet in ihren Memoiren: »Die junge Pannwitz war schön wie ein Engel. Als ihr der König auf der Wendeltreppe begegnete, die zu den Zimmern der Königin führt, und den Versuch wagte, sie zu küssen, erwehrte sie sich seiner mit einer herzhaften Ohrfeige.«
Prinz August Wilhelm, der zehn Jahre jüngere Bruder Friedrichs, war 23, Sophie, die Hofdame seiner Mutter, 17 Jahre alt, als er sich unsterblich in sie verliebte. Er war nicht einfach in sie verliebt, er wurde liebestoll, eifersüchtig, unfähig, sich zu kontrollieren. Erst als Sophie einen ihrer Vetter heiratete, um dem nicht standesgemäßen Werben, ja den Nachstellungen ein Ende zu machen, kühlten die Gefühle August Wilhelms etwas ab. Der Vermählung Sophies wollte der Prinz aber unbedingt beiwohnen – und fiel dabei in Ohnmacht.
Ihr Gatte Graf von Voss war Hofmarschall der Gemahlin Friedrichs des Großen in Schönhausen – dreißig Jahre lang, bis 1793. In den Jahren am Schönhauser Hof wurde Sophie auf dramatische Weise mit der eigenen Vergangenheit konfrontiert: Die Tochter ihres Schwagers, Julie von Voss, wurde von Friedrich Wilhelm II., dem »dicken Lüderjahn«, umworben, zu seiner Geliebten und 1787 in »morganatischer Ehe« zur Nebenfrau gemacht, gebar einen Sohn, starb jedoch bald darauf. Die amourösen Verstrickungen Friedrich Wilhelms erregten immer wieder Sophie von Voss’ Mißfallen. »Wir aßen en famille bei der Königin, auch der König und ebenfalls die Lichtenau!« – Friedrich Wilhelm brachte seine Geliebte mit zu Tisch! Die Hofdame über den König: »Er war heiter und überaus liebenswürdig. Ach, wenn er nur nicht so indolent und willensschwach wäre.«
Trotz familiärer Turbulenzen blieb Gräfin von Voss in Schönhausen bis 1786. Nach dem Tod ihres Gatten 1793, im Alter von 64 Jahren, zog sie sich auf ihre Güter zurück. Als die spätere Königin Luise, Gattin Friedrich Wilhelms III., mit ihrer Schwester Friederike zur Doppelhochzeit mit dem Kronprinzen und seinem Bruder in einem für die Stadt bis dato unvorstellbaren Triumphzug nach Berlin einzog, wurde Gräfin von Voss als Oberhofmeisterin der Kronprinzessin zurück nach Berlin geholt. Sie trug den späteren Friedrich Wilhelm IV. zur Taufe. Über Hof und Park in Paretz, wohin sich das Königspaar oft zurückzog, schrieb sie: »Häßlich! Keine Proportionen! Wenn der Garten nicht feucht wäre, könnte er ganz erträglich sein.«
Als Napoleon (»auffallend häßlich, rollt mit den Augen, aufgedunsen, korpulent, die Inkarnation des Erfolgs«) Preußen besetzt hielt und der Hof sich bis nach Memel zurückzog, äußerte sie klare politische Ansichten: »Der König hat den Oberst Kleist zu Napoleon geschickt; das hätte ich nicht getan.« Kleist hielt sie für zu weich. Sie berichtet von ausgedehnten Besuchen beim Zaren und seiner Familie »Dann kam noch ein Ballet in fünf Akten, was alleine drei Stunden dauerte; es war freilich sehr hübsch, aber sehr lang.«
Zu Herzen gehen die Schilderungen der schrecklichen Szenen des mehrere Tage dauernden Todeskampfes von Königin Luise. Luise, die sie verehrte und als »Engel« bezeichnete. Luise, für die sie alles getan hätte. Luise, die noch im Sterbebett Liebenswürdigkeit und Contenance bewahrte. Fast die gesamte königliche Familie hatte sich am Sterbebett versammelt.
Die politische Weitsicht der Hofdame im Alter überrascht. Auf dem Titelbild sehen wir ein Gesicht, in dem sich Lebenserfahrung, Großherzigkeit und weibliches Durchsetzungsvermögen spiegeln. »Unsere Truppen sind gut, aber sie sind nicht wie die Napoleons, an den Krieg gewöhnt und im Krieg geschult. Der Krieg ist sein Handwerk, er versteht ihn, wir nicht. Auch er wird eines Tages untergehen, aber vielleicht zu spät für uns, zu spät für unser geliebtes [– und jetzt kommt nicht Preußen, sondern –] Deutschland.«
Als Sophie Gräfin von Voss im Februar 1811 in ihre Wohnung im Kronprinzenpalais Unter den Linden zurückkehren kann – die Vossische Zeitung läßt zu diesem Anlaß ein Extrablatt drucken –, vertreiben russische Truppen gerade die Franzosen aus der Stadt. »Entsetzlicher Tumult und Spektakel auf der Straße, daß man nicht einmal Whist spielen kann.« Die Völkerschlacht bei Leipzig, die Niederlage Napoleons, verfolgt sie vom Krankenbett aus. »General Stutterheim kam heute früh an mein Bett, um mir den Sieg ohne gleichen zu melden.« Bei der Siegesfeier am 15. August 1814 ist sie dabei: »Die sämmtlichen Truppen, Russen und Preußen zusammen, wurden heute vom König festlich bewirthet; die Tafeln standen dicht gereiht über den ganzen Lustgarten und die Linden entlang bis an das Brandenburger Tor.« Während der Wiener Kongress noch andauert, stirbt Sophie Marie Gräfin von Voss im Alter von 85 Jahren.
Die Erstausgabe dieses Buchs erfuhr mehrere unveränderte Nachdrucke. 1876 erschien die zweite, 1935 die elfte Auflage. Die hier vorgelegte Ausgabe beruht auf der Fassung aus dem Jahr 1887. Die Aufzeichnungen aus den Tagebüchern der Sophie Marie Gräfin von Voss sind eingeleitet und miteinander verbunden von Kommentaren eines namentlich nicht genannten Herausgebers. Die Frakturschrift der Erstausgabe wurde in eine besser lesbare übertragen, bei der Zeichensetzung haben wir um der flüssigeren Lesbarkeit willen behutsam eingegriffen, die Rechtschreibung ist die alte, genau gesagt die uralte, nämlich die von 1887, wobei auch unterschiedliche Schreibweisen belassen wurden. Welch ein Glück, daß wir so oft nach diesen Erinnerungen der Gräfin von Voss gefragt wurden. Das hat es uns leicht gemacht, die Entscheidung für diesen Nachdruck zu treffen.
Wieland Giebel, Dezember 2004
Sophie Marie Gräfin von Voss, geborne von Pannwitz, Oberhofmeisterin Ihrer Majestät der Königin Louise von Preußen, nach deren Ableben Grande Gouvernante und Ober-Aufseherin der Königlichen Prinzen und Prinzessinnen, dame du portrait Ihrer Majestäten des Königs und der Königin, mit dem Bande des Schwarzen Adler-Ordens [eine Auszeichnung die, soviel wir wissen, weder früher noch später wieder verliehen worden ist, Anm. d. Herausgebers von 1887], des Louisen-Ordens, sowie des Russischen St. Catharinen-Ordens Dame, war zu Schönfließ geboren am 11. März 1729. Ihr Vater, der Königlich Preußische General-Major, Chef des Regiments Gendarmen, Herr Wolff Adolph von Pannwitz, Besitzer des Rittergutes Schönfließ bei Oranienburg, war den 13. März 1679 zu Groß-Gagelow in der Nieder-Lausitz geboren und starb zu Berlin am 30. August 1750. Ihre Mutter, Johanne Marie von Pannwitz, geborne von Jasmund aus dem Hause Trollenhagen in Mecklenburg, war den 17. Juli 1702 geboren und starb den 17. April 1771.
General von Pannwitz war ein alter Kriegsheld, der 1709 bei Malplaquet einen Hieb über den Kopf davongetragen hatte, der ihn durch eine gewaltige Schmarre auf der Stirn zeichnete. Der König, der ihn sehr werth hielt, unterließ nie an dem hochgefeierten Jahrestage dieser Schlacht, ihn mit besonderen Ehren und besonderer Feierlichkeit nach Wusterhausen zu Gast zu laden. Die dienstliche Stellung des Generals machte Berlin zu seinem Aufenthaltsort und hier war es, wo seine einzige Tochter unter den Augen ihrer Mutter eine für die damalige Zeit ungewöhnliche und vielseitige Bildung erhielt, der selten glückliche Anlagen zu Hülfe kamen. Besonders wird des jungen Mädchens hervorragendes Talent für Musik erwähnt, das sie sowohl für den Gesang wie als Pianistin künstlerisch ausbildete und selbst in der Komposition nicht ohne Glück versuchte. Als Wahrzeichen ihrer reichen Begabung sind uns ferner eine Menge Gedichte und Aufsätze des verschiedensten Inhalts geblieben, die Zeugen einer inneren Welt voll warmer Empfindung und ernsten Strebens.
Daneben kamen auch Talente zur Geltung, welche das junge Mädchen zur bewunderten Hauptperson bei dem Liebhaber-Theater und sogar bei den Ballets machten, die nicht selten am Hof aufgeführt wurden, wobei man sich allerdings nicht die wilden Sprünge jetziger Charakter-Tänze vorstellen darf, sondern die graziösen Verschlingungen irgend einer kunstreichen Menuett.
Nur ihre Kindheit fällt noch in die Regierungsjahre Friedrich Wilhelms des Ersten, und scheint sie dieselbe zum Theil schon am Hof der Königin Sophie Dorothee zugebracht zu haben, die ihre Mutter mit einer besonderen Vorliebe beehrte. Ohne eine dienstliche Stellung am Hof dieser Fürstin zu bekleiden, war die damalige Generalin von Pannwitz fast immer in deren Umgebung. Die Tochter sagt darüber in ihren Aufzeichnungen: »Ihre Majestät hatte eine so große Zuneigung für meine Mutter, daß sie dieselbe immer um sich haben wollte und sich gar nicht ohne sie behelfen konnte, so daß zeitenweise meine Mutter fast den ganzen Tag am Hof war.« Frau von Pannwitz aber wollte sich nicht von ihrer kleinen Tochter trennen und nahm dieselbe mit zur Königin, welche bald ihre Zärtlichkeit für die Mutter auch auf das Kind übertrug, dessen merkwürdig frühe Entwickelung es allein erklären kann, daß bei einer so zerstreuenden Lebensweise seine geistige Ausbildung nicht ernstlichen Schaden litt, körperlich wenigstens muss das junge Mädchen mit elf Jahren beinahe erwachsen oder doch so hübsch gewesen sein, daß sie das ganz besondere Wohlgefallen des Königs erregte. Die Markgräfin von Baireuth erwähnt in ihren Memoiren die unverholene Bewunderung des sonst wenig galanten alten Herrn für die kleine Schönheit, der diese sich dringend bemühte zu entfliehen, und die schließlich mit einem Vorfall endete, den die Markgräfin nicht ohne Schadenfreude erzählt. Sie sagt bei dieser Gelegenheit: »Die junge Pannwitz war schön wie ein Engel, aber ebenso entschlossen als reizend, und als ihr der König einstmals auf einer Wendeltreppe begegnete, die zu den Zimmern der Königin führt, auf der sie ihm nicht ausweichen konnte, und den Versuch wagte, sie zu küssen, erwehrte sie sich seiner mit einer so herzhaften Ohrfeige, daß die am Fuß der Treppe stehenden über deren guten Erfolg nicht in Zweifel bleiben konnten. Der König nahm ihr diese entschlossene Selbstvertheidigung nicht übel und blieb ihr nach wie vor sehr gewogen.« Die nachmalige Gräfin Voss sagt in ihren Aufzeichnungen nur, sie habe Friedrich Wilhelm I. im Jahre 1740, als sie im zwölften Jahre gestanden, zum letzten Mal auf einer großen Assemblée beim Grafen Schulenburg gesehen und gesprochen, nicht sehr lange vor seinem Ableben; auch habe sie eben so wie ihre Mutter die tiefe Trauer in Wolle und Krepp um ihn getragen. Bei Gelegenheit dieser Erinnerung fügt sie hinzu: »Der König war nicht sehr groß, aber er sah gut aus und ganz wie das, was er war: nämlich wie ein König! Er war nicht böse von Gemüth, aber er war jähzornig und behandelte die arme Königin und die Königlichen Kinder zuweilen sehr übel. Trotz seiner gewohnten Sparsamkeit konnte er mitunter doch sehr großmüthig sein und ich erinnere mich sehr gut, wie er einmal erfuhr, daß Kleist und Einsiedel sich beide ohne ihre Schuld in großer Geldverlegenheit befanden, daß er ihnen ungebeten eine ansehnliche Summe schenkte. Er brachte sogar das Geld in seinem Wagen selbst zu ihnen, in einem großmächtigen Sack voll Gold-Thaler (écus d’or).«
Die Königin Sophie Dorothee, bekanntlich die Tochter Georg I., Königs von Großbritannien und Churfürsten von Braunschweig-Lüneburg, war 1687 geboren, vermählt 1706, verwittwet 1740 und starb 1757.
An dem Hofe dieser Fürstin verlebte die junge Sophie Marie von Pannwitz ihre Kindheit und Jugend, von der sie selbst in den vorerwähnten Aufzeichnungen das Folgende sagt:
»Meine erste Erziehung erhielt ich durch eine französische Gouvernante, namens Bonafond, die ich zärtlich liebte. Sie kam in unser Haus, als ich och nicht sieben Jahre alt war, und bis ich ganz an Hof kam, hat sie mich keinen Tag verlassen. Meine Mutter ließ es sich sehr angelegen sein, mir die besten Lehrer zu geben und sparte weder Mühe, Sorge noch Kosten, um mich in den Wissenschaften so gut als möglich unterrichten zu lassen. Ich hatte nur einen einzigen Bruder, der zehn Jahre älter war als ich und sehr jung schon in die Armee trat. Meine Eltern lebten den Winter in Berlin und den Sommer in Schönfließ, das nur eine Stunde von der Stadt entfernt lag. Im Jahre 1741 begann der Krieg gegen Österreich; mein Vater und mein Bruder, welch letzterer bei den Gardes du Corps stand, mußten ausrücken. Das war ein sehr trauriger Tag für uns alle. Meine Mutter blieb in Berlin, die Königin-Mutter hatte eine große Freundschaft für sie und konnte sie eigentlich gar nicht entbehren, so daß jene täglich zu ihr Kommen und zuweilen den ganzen Tag bei ihr bleiben mußte.
Als mein Vater jedoch im Herbst 1741 Winterquartiere in Oberschlesien bezog, verlangte er, daß meine Mutter zu ihm kommen solle und so mußte die Königin sich doch von ihr trennen. Wir reisten im Monat October von Berlin ab und nahmen fast den ganzen Hausstand mit. Zuerst blieben wir mit meinem Vater in einem Ort, namens Tost, der einem Grafen Pottulinsky gehörte. Das Schloß war schön und hatte eine schöne Lage, aber nach einigen Monaten mußten wir weiter. Mein Vater erhielt Marsch-Befehl und mußte gegen den Feind vorrücken, und nun ging meine Mutter mit mir nach Olmütz in Mähren, wo der Gouverneur der Stadt, der Feldmarschall Schwerin und der dortige Bischof Fürst Liechtenstein uns mit Güte überhäuften. Als mein Vater wieder für längere Zeit ins Quartier nach einem Ort namens Sternberg kam, folgten wir ihm dahin und blieben sechs Wochen bei ihm, bis er wieder ins Feld rücken mußte, gingen dann wieder für einige Zeit nach Olmütz zurück, später um näher zu sein nach Neiße und endlich zum Sommer wieder nach Berlin.
Wie freuten wir uns, als endlich der Frieden geschlossen wurde und wir das Glück hatten, meinen Vater und meinen Bruder wieder zu umarmen; auch kam der letztere nun nach Charlottenburg in Garnison, von wo aus er uns öfter besuchen konnte.
Im Jahre 1744 verlangte mein Vater seinen Abschied; er war bereits vorgerückt in Jahren und litt so sehr an der Gicht, daß er in der That nicht mehr dienen konnte. Der König gab ihm 3000 Thaler Pension und der Graf Goltz bekam sein Regiment. Dieser Wechsel änderte jedoch nichts an der Lebensweise meiner Eltern, wir blieben fortan ebenso wie bisher acht Monate des Jahres in Berlin und die übrige Zeit in Schönfließ. Im Jahre 1743 bekam ich die Pocken, ich war sehr krank, aber die Sorgfalt meiner Mutter rettete mir zu ihrer Freude nicht allein das Leben, sondern auch die Schönheit, da es der Vorsehung gefallen hatte, meine Züge mehr hübsch als häßlich zu bilden. Dies scheint ein Vorzug zu sein, aber ich habe es recht empfunden, daß es nicht die Schönheit ist, die man haben muß, um glücklich zu sein. Schon seit einigen Jahren hatte die Königin wiederholt meine Eltern gebeten, mich ganz an ihren Hof zu geben, und diese hatten endlich auch darein gewilligt. Im Jahre 1743, als ich mein vierzehntes Jahr erreicht hatte, ward ich zur Hof- und Staats-Dame bei der Königin ernannt, wohnte jedoch noch eine Zeit lang bei meinen Eltern und kam erst ganz an Hof zur wirklichen Dienst-Leistung im Jahre 1744, nach der Vermählung der Hofdame Fräulein von Borcke mit Herrn von Maupertuis, deren Stelle ich nunmehr einnahm.
Zu Anfang des Jahres 1743 ward ich zur heiligen Communion aufgenommen durch den Pastor Köppe in Berlin, und von dieser Zeit an öfter als bisher zu Redouten, Gesellschaften und Opern mitgenommen. Der König hatte mich sogar im Januar 1743 einmal zu einer Redoute ganz besonders befehlen lassen und mir die Ehre erwiesen, mich anzureden. Er frug mich unter anderem nach der Gesundheit meines Vaters, der leidend war, und ich antwortete:
›Es geht ihm besser durch Gottes Gnade.‹
Der König wandte sich um und sagte: ›Sie ist noch recht unschuldig, daß sie dabei auch vom lieben Gott spricht.‹
Auch als im Jahre 1744 die Vermählung der Prinzessin Ulrike, der Schwester des Königs mit dem Prinzen-Thronfolger von Schweden stattfand, bei der ich, der Hofordnung nach, eigentlich noch nicht zu erscheinen hatte, schickte der König am Vorabend derselben den Grafen Gotter zu meiner Mutter, um ihr zu sagen, sie möchte mich den folgenden Tag jedenfalls mit an Hof bringen. Ihr war das gar nicht recht, weil ich einen reichen Anzug dazu haben mußte und es ihr doppelte Ausgaben verursachte, mir so rasch noch ein Hof-Kleid machen zu lassen, auch sie jedenfalls genöthigt war, ein wachsames Auge auf mich zu haben, da ich noch so jung war und so wenig die Gewohnheit der großen Welt hatte, daß ich leicht in irgend etwas fehlen konnte. Doch nahm sie mich dennoch mit an Hof, was mir die größte Freude machte, wie es wohl natürlich war in meinem Alter.
Bald darauf kam ich jedoch, wie schon gesagt, ganz an den Hof. Es kostete mir einige Thränen, meine Eltern zu verlassen, aber in der That, sie flossen nur einen Augenblick und bald war ich überglücklich in dem neuen Leben, das sich vor mir aufthat. Jetzt war ich fünfzehn Jahre alt, aber ich war noch sehr unerfahren und kindlich in meinen Gedanken und meinem Wesen, weil meine Erzieherin sorgfältig bemüht gewesen war, meine Zeit bis dahin so viel als es möglich mit nützlichen Studien und ernsten Kenntnissen auszufüllen; auch war das eigentliche Treiben der Welt mir noch so fremd und unbekannt, trotz meiner vielen äußeren Bekanntschaft mit derselben, daß ich alle Menschen, Einen wie den Anderen, für fromm und gut hielt, ohne Falsch, noch Schminke, noch irgend eine Bosheit; die Folgezeit hat mich durch bittere Erfahrungen aber bald das Gegenteil gelehrt.
Volle sieben Jahre lang blieb ich am Hof der Königin Sophie Dorothee und war derselben mit großer Verehrung ergeben. Sie war nie schön gewesen, aber sah sehr stattlich und vornehm aus und ihre Haltung blieb dieselbe bis in ihr Alter. Vielleicht hatte sie mehr esprit acquis als esprit inné; aber sie war sehr unterrichtet und sehr gut erzogen, wußte mit allen Menschen zu reden und machte eine sehr angenehme Conversation. Pracht und Geselligkeit liebte sie ungemein, sah alle Mittage und alle Abend Menschen um sich und saß besonders gern lang bei Tische, was uns Hofdamen zuweilen sehr langweilte. Es war schön zu sehen, welche große und achtungsvolle Zärtlichkeit ihr Sohn, der König, für sie hatte. Von ihren Töchtern lebte damals nur noch die jüngste, die Prinzessin Amalie, bei ihr, welche, den 9. November 1723 geboren, erst nach meinem Abgang im Jahre 1755 Äbtissin von Quedlinburg wurde. Damals war sie noch jung, wenn auch sechs Ja Ernst Johann Graf von Voß hre älter als ich; aber trotz ihrer Jugend war sie sehr boshaft und sehr gefürchtet und machte uns allen viel Noth und Unannehmlichkeiten.
Der König und die Prinzen rückten zur Zeit, da ich an Hof kam, eben wieder ins Feld, da der Krieg im Jahre 1744 von Neuem losbrach. Während des ganzen Herbstes 1744 wurden wir durch die Österreicher beunruhigt, welche die Marken und Berlin bedrohten. Aber als am 15. December der Fürst von Dessau die Schlacht bei Kesselsdorf gewonnen hatte, zogen die Österreicher eilends ab, unsere Armee bezog Winter-Quartiere und der König unterzeichnete bereits am 25. December in Dresden den Frieden.
Der Carneval hatte wie gewöhnlich am 1. December begonnen. In jeder Woche waren feststehende Cour-Tage bei meiner Königin, eben solche bei der regierenden Königin; bestimmte Tage für die Redouten, die Oper und die Komödie, dies alles besuchte meine Königin auf das Regelmäßigste und für mich waren es lauter Feste und Freuden.
Die Königin-Mutter hatte vier Hof- oder Staats-Damen, die Fräuleins von Knesebeck, von Kalkstein, von Bredow und mich; die Erste, Fräulein von Knesebeck, war jedoch mit der Prinzessin Ulrike nach Schweden gegangen und kam erst Anfang des Jahres 1746 von dort zurück, und Fräulein von Bredow konnte wegen einer Wunde an der Wange, in Folge eines schlecht ausgezogenen Zahns, diesen ganzen Winter hindurch keinen Dienst thun. Im Sommer verheirathete sich Fräulein von Kalkstein mit dem Adjutanten des Königs, dem General von Willich, und ihr Abgang vom Hofe war für mich ein großer Verlust. Von Kindheit an war sie meine beste Freundin gewesen, obgleich sie mehrere Jahre älter war als ich, sie hatte den besten Charakter von der Welt, war überaus sanft und liebenswürdig und dabei voller Geist und Leben. Ein Fräulein von Viereck, mit der ich ebenfalls befreundet und die ungefähr von meinem Alter oder vielmehr jünger war als ich, ersetzte sie bei der Königin; aber meinem Herzen konnte sie nicht die treue Liebe und den treuen Rath ersetzen, die ich bei Fräulein von Kalkstein immer gefunden hatte, und in der schwierigen Lage, in der ich schon damals war, entbehrte ich beides doppelt. Die Ereignisse, die jetzt auf mich einstürmten, brachten nicht nur den größten Schmerz und den härtesten Kampf meines Lebens über mich, sie führten auch den folgenschwersten und wichtigsten Moment desselben herbei und drängten mich zu Entschließungen, welche dessen Gestaltung verhängnisvoll bestimmten.«
Unter dem Jubel-Geschrei seiner Untertanen war Friedrich II. am 28. December 1745 nach Berlin heimgekehrt. Man holte ihn prachtvoll ein, erleuchtete die Stadt und nirgends wohl war die Freude in diesen festlichen Tagen größer und inniger als an dem Hof der glücklichen Mutter des ruhmgekrönten Königs, die so stolz auf diesen geliebten Sohn war. Die Königin-Wittwe residirte seit dem Tode ihres Gemahls in Berlin und wohnte Winter und Sommer in dem Schlosse Monbijou. Als jetzt der König seinem ältesten Bruder das Schloß Oranienburg schenkte und dieser seinen Hofhalt dorthin verlegte, lud er sogleich seine Mutter dahin ein und sie brachte während der nächstfolgenden Friedensjahre regelmäßig einen Theil des Sommers bei ihm in Oranienburg zu. Dieser Prinz August Wilhelm, vom König feierlich zum Prinzen von Preußen und zum Thron-Erben ernannt, war am 9. August 1722 geboren und auf Befehl seines Vaters schon als Kind verlobt mit einer Tochter des Herzogs von Braunschweig, mit der er sich trotz seiner Abneigung gegen diese Ehe, kaum 20 Jahre alt, im Jahre 1742 vermählen mußte. Er hatte zwei Kinder: einen 1744 geborenen Prinzen, den nachmaligen König Friedrich Wilhelm II., und eine 1751 geborene Prinzessin, Friederike Sophie Wilhelmine, die nachmalige Gemahlin des Fürsten von Nassau und Oranien. Der Prinz von Preußen war zehn Jahre jünger als Friedrich II. und diesem in jeder Beziehung so unähnlich als möglich; aber ohne die feurige Energie und den hochfliegenden Genius seines erhabenen Bruders zu besitzen, war doch auch er in geistiger Beziehung eine glänzend begabte Natur. Thiébault sagt von ihm in seinen Erinnerungen an den Hof Friedrich des Großen (2. Band, S. 85): »Voller Verstand, voller Talente und dabei von unwiderstehlicher Liebenswürdigkeit erhöhte dieser Prinz den Werth der seltensten Eigenschaften noch durch seine ungemeine Bescheidenheit.« Er war der Liebling seines Vaters, der ihn allen seinen anderen Söhnen vorzog, und lange Zeit war er ebenso der Liebling seines Königlichen Bruders, bis sein Unglück im Felde ihn dessen Gunst unwiederbringlich verlieren ließ. Schon seine äußere Erscheinung, deren männliche Schönheit den feinsten Anstand und eine angeborene Würde mit dem jugendlichen Zauber lebensfrischer Heiterkeit verband, war sehr gewinnend. Die edle und anmuthige Weise, mit der er das Leben zu genießen wußte, machte bald seine Hofhaltung in Oranienburg zu einer Stätte sittlich reiner und zugleich fröhlicher und geistvoller Geselligkeit. Das Schloß, das während der sieben und zwanzigjährigen Regierung Friedrich Wilhelm I. unbewohnt geblieben war, erstand jetzt in neuem Glanz und ward nach langer Vernachlässigung auf das sorgfältigste und eleganteste wiederhergestellt. Der große, nach Le Nôtres Plan angelegte Garten hatte sich durch die lange Verwilderung nur verschönt. Die seit 1713 nicht mehr verschnittenen Buchenhecken waren zu dichten buschigen Alleen emporgewachsen und bildeten jetzt Laubgänge, deren üppiges Grün weder Sonne noch Wind eindringen ließ. Nur wenig von Innen gelichtet, boten dieselben auch in heißester Sommer-Hitze schattige Wege voll kühler, lauschiger Dämmerung, und bei den Tanz-Festlichkeiten und Abendtafeln bildeten sie, von Lampen und Kerzen erleuchtet, die hübschesten Salons de verdure. Nach dem Geschmack jener Zeit waren diese Gartenfeste aber nicht bloß Bälle, bei denen man sich mit den damals üblichen Tänzen: rigodons, Sarabanden, passe-pieds und Aimable-Vainqueurs belustigte, sondern eben so häufig wechselten Concerte und Liebhaber-Theater mit denselben ab und tausend Scherze, Verkleidungen, dramatisirte Charaden und kleine Ballets wurden von der munteren Gesellschaft in bunter Reihenfolge improvisirt, wobei die übermüthig heitere Laune und dichterische Erfindungsgabe des Prinzen von Preußen vor allem glänzend zur Geltung kam. Im Herbst reihten sich an diese Feste, die aus dem Park nun in die Säle des Schlosses verlegt waren, noch Reit- und Schießjagden an, bei denen, wie es damals an allen Höfen Sitte war, auch die Damen eifrig Theil nahmen.
Fräulein von Pannwitz muß eine kecke und gute Reiterin gewesen sein und überdem auch eben so geschickt als glücklich mit der Büchse. Im Königlichen Schlosse zu Berlin befindet sich noch jetzt ein lebensgroßes Bild derselben, von Pesne in Oranienburg gemalt, das sie in einem Jagd-Kostüm von rothem Sammet darstellt, den kleinen dreieckigen Hut mit weißen Federn auf dem Kopfe und die Büchse in der Hand, neben ihr ein mächtiger Auerhahn und anderes wildes Geflügel, wohl die Trophäen einer glücklichen Jagd, und auf einem der Güter ihres nachmaligen Gatten, Groß-Giewitz in Mecklenburg, ist ebenfalls ein ganz ähnliches Bild noch vorhanden.
Nicht minder enthalten die nachgelassenen Papiere des damaligen Hof-Fräuleins aus jener Zeit manches Blatt lieber Erinnerung an die schönen Tage einer heiteren Jugend, die sich nur zu bald trüben sollte, auch kleine Huldigungen in dem französischen Geschmack der dort herrschenden Mode, von denen vielleicht Eins als Probe derselben hier seinen Platz finden darf.
A Mademoiselle de Pannewitz.
A peine, hier, eus-je pris votre gant —
Vous prendre un gant hélas! c’est bien peu de chose! —
Surtout pour moi — mais chut encore! — je n’ose
Laisser éclore un désir trop ardent! —
Puis, je le dis en vers ainsi qu’en prose
Tout vaut son prix aux yeux du sentiment.
A peine donc me fus-je rendu maitre
Du gant heureux qui toucha votre main.
Je dis la main — il toucha mieux peut-être? —
Que je courus vite au séjour divin.
Je vous entends: Comment, par quel miracle
Auprès des dieux pouvez-vous être admis? —
Qui peut vous voir, aimable Pannewitz
De votre cour voir le brillant spectacle
Tous les amours en toutes les beautés,
Une déesse, en un mot, accomplie,
Qui sur la terre enfin vous voit, Sophie! —
Peut bien aux cieux voir les divinités! —
Arrivé donc â la voûte étoilée
En méditant le tour le plus mutin,
Tel que celui qu›un diable féminin
Mit en usage aux noces de Pélée,
J’entre en tenant votre gant en main.
A qui le gant? — quelle est la main charmante
Qui de ce gant relève la beauté? —
Dis-je, en feignant un air de verité, —
Car cette main doit être séduisante,
Chef d’œuvre qu’à genoux il faut baiser
Si de la main le gant nous fait juger? —
Tout aussitôt Déesses de répondre
A l›unisson: »C’est moi qui l’ai perdu« —
»Oui, c’est mon gant!« — II vous sera rendu,
C›est bien justice et j’en fais la promesse.
Allons, sachons qui en est la maitresse,
Vous l’éssayerez, Mesdames, tour â tour,
Pour notre juge ici, prenons l’Amour! —
Dans tous les cœurs soudain siffle l’envie;
Comment vous peindre un semblable débat.
Jamais la pomme avec tout son éclat
N’avait causé une plus grande jalousie,
Junon l’éprouve — elle a les doigts trop gros
Pallas trop longs, — d’Hebé la main d’ivoire
Qui du nectar faisant jaillir les flots
Charme les dieux en leur versant â boire
Au gant fatal voit échouer sa gloire;
Enfin — Venus vient d’un air dédaigneux,
L’essaie en vain et donc en est outrée.
Contentez vous, lui dis-je, de ce prix
Qui vous donna le nom de la plus belle,
Mais croyez moi Dréesse, à Pannewitz
Laissez ce gant, il n’est fait que pour elle!
A Pannewitz cet objet séducteur! —
Je la connais, dit le Dieu de Cithère,
Qu’elle est charmante! mais quelle beauté sévère!
Elle a vraiment toutes les grâces de ma mère,
Mais quel dommage qu’elle n’en ait point le cœur!
Die Schlußzeile, die der Sittsamkeit und abwehrenden Haltung der Empfängerin einen Vorwurf macht, enthält jedenfalls das beste Lob für dieselbe.
Die verhängnisvolle Neigung, die der Prinz von Preußen für die in jenem Sommer von 1746 erst siebzehnjährige Hofdame seiner Mutter gefaßt hatte, blieb leider nicht lange in den Grenzen verstohlener Bewunderung und dichterischer Huldigung. Selbst erst 23 Jahre alt, mit einer Prinzessin vermählt, die ihm zuwider war, die auch ihm nur mit der größten Kälte begegnete und sich möglichst fern von ihm hielt, war es nicht eine vorübergehende Aufwallung, sondern die eine große Liebe seines Lebens, die ihn für dieses reizende Kind erfaßte und bald in ihm zur heißen Flamme wuchs. Es ist gewiß keine Indiskretion, die Aufzeichnungen von der so lang und treu Geliebten, die diesen Moment ihres Lebens berühren, mitzutheilen, um so mehr, da sie oft entstellte Thatsachen durch die schlichte, anspruchslose Erzählung derselben am Besten berichtigen.
Doch müssen wir etwas zurückgreifen, um die betreffende Stelle in ihrem Zusammenhange zu geben.
»Endlich hatte der Krieg durch Gottes Gnade ein Ende genommen und am 28. December 1745 war der König mit seinen Brüdern und seinen Generälen festlich wieder in Berlin eingezogen. Eine Zeit des Rausches und der allgemeinen Freude trat jetzt nach all den überstandenen Ängsten ein. Der Prinz von Preußen war mit dem König gekommen und war sehr viel in Monbijou bei seiner Mutter, die ihn besonders liebte, und ehe ich noch ahnen konnte, daß er mich nur beachtete, hatte er eine Leidenschaft für mich gefaßt, die für sein und mein ganzes Leben ein großes Unglück geworden ist. Diese Neigung, die fast vom ersten Augenblick an, wo er mich wiedersah, in ihm erwachte, ist nicht rasch vergangen wie sie rasch gekommen war: nur zu treu und standhaft hat er sie mir bewahrt bis zuletzt. Mehr als fünf Jahre lang lebte ich von jener Zeit an noch am Hof mit ihm zusammen, und in Wahrheit, ich habe in dieser Zeit alles gethan, was in meiner Macht stand, um diese Leidenschaft zu bekämpfen und ihn davon zu heilen. Aber mein Widerstand und meine Kälte waren umsonst; nichts hat die Treue seines Gefühls erschüttert; was ich auch that, er blieb für mich immer derselbe.
Im Gegentheil, anstatt mit der Zeit ruhiger zu werden, wurde er nur immer unglücklicher und heftiger. Im Anfang versuchte er, mir sein Gefühl zu verbergen, aber nach einigen Monaten gab er dies Bestreben plötzlich auf und machte mir das leidenschaftliche Geständnis seiner Liebe, und bald fing er an, mich mit Liebeserklärungen und Betheuerungen wahrhaft zu verfolgen. Ich war ganz außer mir und vertraute mich Fräulein von Kalkstein an, die mir dringend rieth, wie es sich ja auch von selbst verstand, dem Prinzen mit Ehrerbietung, aber mit Festigkeit zu erklären: ›er müsse aufhören, mir Ähnliches zu sagen, da er mich durch seine Neigung nur ins Unglück bringen könne.‹ So lange die gute Kalkstein am Hofe war, habe ich ihr immer gefolgt und mich ganz von ihr leiten lassen, aber als sie fort war, hatte ich niemand mehr, den ich um Rath fragen konnte in der täglichen Noth und Bedrängnis und den tausend bangen Augenblicken, in die mich die Aufmerksamkeiten des Prinzen, seine Eifersucht ebenso oft wie sein Kummer und seine Klagen versetzten. Er war sehr liebenswürdig — von schöner Gestalt, auch sein Gesicht war schön, fein und geistvoll; dabei war er voller Sanftmuth und voller Zuvorkommenheit für mich und besonders voll der rührendsten Aufmerksamkeiten. War es nicht natürlich bei meiner großen Unerfahrenheit und Jugend und der Neuheit eines Gefühls, das ich noch nie gekannt hatte, daß ich ihm wohl wollte, und nachdem ich lange widerstanden, endlich diese Empfindung mehr Macht über mich gewann und ich mich ihr hingab? — Von Natur anschmiegend und zärtlich, zur Freundschaft geneigt und gegen alle Menschen offen und zutraulich, war ich vielleicht durch die Art meiner Erziehung etwas verschüchtert und meine angeborene Nachgiebigkeit und Abhängigkeit von Anderen noch vermehrt worden. Trotz ihrer Güte waren meine Eltern doch sehr streng mit mir und ich war in großer Unterwürfigkeit und Furcht erzogen worden. Dadurch behielt ich lange etwas Zaghaftes und Unselbstständiges im Wesen und bin auch im späteren Leben wohl fest gegen mich selbst, aber nie so fest gegen Andere gewesen, als ich es hätte sein sollen. Ich kann in der Wahrheit sagen, daß ich in meinen eigenen Entschlüssen nie schwankend, unsicher oder unbeständig gewesen bin, aber ich war schwach gegen Andere und konnte dem Willen und den Wünschen derer, die ich liebte, schwer widerstehen, und das ist oft mein Unglück gewesen.
Immer von Neuem faßte ich den selben Entschluß, das wachsende Gefühl für den Prinzen aus meinem Herzen zu reißen; ich wollte mich um jeden Preis von seinem Einfluß und seiner zunehmenden Macht über mich befreien; ich wollte um jeden Preis diese Schwäche in mir überwinden — Tage und Tage lang verbannte ich mich selbst in mein Zimmer, um ihn nicht zu sehen; ich vermied, ja ich floh seine Nähe, ich begegnete ihm nie anders als mit Unfreundlichkeit und Härte und suchte ihn mit Willen gegen mich zu erzürnen. Und als dies alles ihn nicht abschreckte, habe ich ihn mit Thränen gebeten und beschworen, mich aufzugeben und mich zu vergessen, es war alles umsonst. Er hat nie aufgehört mich zu lieben bis an sein Ende. Von Natur stürmisch und unvorsichtig war er gar nicht im Stande, seine Gefühle zu verbergen, und fast glaube ich, daß es ihm einen Trost gewährte oder eine Art Reiz für ihn hatte, sie nicht zu verheimlichen. Es war, als setze er einen Stolz darein, sie vor aller Welt zu bekennen, wenigstens verbarg er weder seinen Schmerz noch seine Liebe, und dies Benehmen, das vielleicht aus der Stärke oder der Hoffnungslosigkeit beider entsprang und mich zuweilen unwiderstehlich ergriff und rührte, war leider ganz dazu gemacht, um den guten Ruf eines jungen Mädchens in die größte Gefahr zu bringen. Meine Mutter hätte so leicht mein ganzes Vertrauen haben können, wenn sie mich liebreich behandelt hätte; aber zu jener Zeit war sie sehr streng und unfreundlich gegen mich und flößte mir nur eine knechtische Furcht ein, ja ich zitterte in einem solchen Grade vor ihr, daß ich alles bis auf die unbedeutendsten Kleinigkeiten aus Angst vor ihr zu verbergen suchte. Fräulein von Bredow, der in früherer Zeit der Prinz den Hof gemacht hatte, war sehr eifersüchtig auf mich, und Fräulein von Viereck, der ich thörichterweise mein Vertrauen schenkte, mißbrauchte es und war nicht verschwiegen, so daß diese beiden Gefährtinnen mich gleich sehr in Nöthe und Verlegenheiten aller Art brachten.
Im Sommer 1746 gingen wir zum ersten Mal mit der hochseligen Königin nach Oranienburg, was der Prinz vom König zum Geschenk erhalten hatte, und von dort aus nach Rheinsberg. Aber wo wir auch waren, der Prinz folgte uns überall und war überall derselbe. Jeder Morgen brachte mir einen Brief oder ein Billet von ihm, und nichts konnte ihn von dem einzigen Gedanken zerstreuen, der ihn beherrschte und ihn unglücklich machte.
Im October des Jahres 1747 vermählte sich Fräulein von Viereck mit meinem Bruder, den der König zum Major bei dem Regiment Schorlemer in Preußen ernannt hatte. Es war eine alte Inclination zwischen beiden und anfangs freute ich mich sehr über ihr Glück; aber die Zeit ihres Brautstandes hat mir viele traurige und bittere Stunden gebracht. Mein Bruder, der wie ich schon gesagt habe, zehn Jahre älter war als ich, hatte mit mir nicht den Ton eines Freundes, sondern den eines strengen Mentors angenommen, auch verkannte er den Charakter des Prinzen. Kaum hatte er nach seiner Verheirathung Berlin verlassen, so schrieb er mir, Gott weiß warum, von Preußen aus einen Brief, der mir beinahe das Leben gekostet hätte. Wahrscheinlich hatte seine nunmehrige Frau ihm verraten, daß ich trotz meiner äußeren Zurückhaltung im Grunde meines Herzens dem Prinzen wohlwollte, und auf diesen Grund hin schrieb er mir diesen furchtbaren Brief, der mir eine tödliche Krankheit verursachte. Damals hätte ich dieser ganzen unglücklichen Sache für immer ein Ende machen sollen; aber die dazu nöthige Entschlossenheit fehlte mir und andererseits habe ich mir ja auch nie etwas Anderes darin vorzuwerfen gehabt, als die innigste aber stumme Erwiederung der Gefühle, die der Prinz auf eine so ergreifende und rührende Weise mir bewies, und habe niemals die Gebote der strengsten Sittsamkeit und Tugend auch nur einen Augenblick vergessen. Ich konnte es damals nicht übers Herz bringen, den Hof zu verlassen, wo meine Stellung eine so angenehme und Jedermann so gut für mich war, und doch mußte ich es! Ach, die unselige Leidenschaft des Prinzen hat mein ganzes Leben verdorben und hat es mit Kummer erfüllt! —
Um jene Zeit kam Graf Neipperg, der Sohn des österreichischen Feldmarschalls nach Berlin, faßte eine Neigung für mich und hielt um mich an. Er war nicht schön, aber er war liebenswürdig und angenehm und ich war bereit, ihm mein Jawort zu geben, weil ich durch diese Heirath hoffte Berlin zu verlassen und von meiner Liebe zu genesen. Aber der Prinz wußte es auf eine mir unbegreifliche Weise beim König dahin zu bringen, daß derselbe seine Einwilligung zu dieser Ehe versagte und erklärte, er werde sie nur dann geben, wenn der Graf sich verpflichte, seine Güter in Österreich zu veräußern und sich in den Preußischen Staaten anzukaufen und niederzulassen. Zum Überfluß gelang es dem Prinzen, es so einzurichten, daß diese Bedingung dem Vater des Grafen auf eine sehr unartige Weise mitgeteilt wurde, welche ihn vollends bestimmte, seine Einwilligung zu derselben zu versagen. Anfang des Jahres 1748 sah sich der Graf in Folge dieser unangenehmen Verhandlungen gezwungen, Berlin zu verlassen; da jedoch meine Eltern ihm ihrerseits ihre Einwilligung gegeben hatten, so fuhr er fort, mir zu schreiben. Jedenfalls kann ich der Vorsehung nur danken, daß sie diese Ehe, die mir lange drohte, zu meinem Besten von mir abgewandt hat; denn in der Folge brachte Graf Neipperg sein ganzes Vermögen durch, auch hat er, wie man sagt, seine Frau durchaus nicht glücklich gemacht. Die erste ist bald gestorben und er hat jetzt wieder geheirathet.
Die beiden letzten Jahre 1749 und 1750, die ich noch an Hof zubrachte, vergingen in derselben Weise wie die vorhergehenden. Im Winter und Sommer wohnte die Königin in Monbijou und ging von dort aus bald auf einige Tage nach Potsdam, bald nach Charlottenburg oder zum Prinzen nach Oranienburg. Die Stelle meiner Schwägerin hatte Fräulein von Brand erhalten, und Fräulein von Bredow, welche 1748 Herrn von Schwerin heirathete, ward durch ein Fräulein von Platen ersetzt, ein wunderhübsches junges Mädchen, das aber wenig Geist und eine sehr melancholische Gemüthsart hatte.
Im Jahre 1750 hatte ich das Unglück, meinen Vater zu verlieren, was mich so tief betrübte, daß ich heftig erkrankte und Mühe hatte, mich wieder zu erholen. In diesem für mich so traurigen Jahre kam auch ein Fürst Lobkowitz nach Berlin, welcher eine Leidenschaft zu mir faßte und um mich anhielt. Aber bald darauf fiel er in eine gefährliche Krankheit, und während derselben wurde er plötzlich so bigott, daß die Verschiedenheit der Religion zwischen ihm und mir ihm als ein unübersteigliches Hindernis erschien, und als er besser wurde, machte er sich so viel Sorgen hierüber und daß eine Ehe mit einer Protestantin ein Unrecht sei, daß auf meine Bitte unsere Verlobung wieder aufgehoben ward.
Der jüngere meiner beiden Vettern Voss, der sich seit vier Jahren als Gesandter in Dresden befand, bat um diese Zeit den König um seine Abberufung, welche ihm auch in Gnaden gewährt wurde. Seine Majestät zeichnete ihn bei seiner Heimkehr auf das Ehrenvollste aus, stellte ihn im auswärtigen Ministerium an und gab ihm eine Pension von 2000 Thalern. Ich sah ihn viel an Hof und begegnete ihm überdem täglich in meinem elterlichen Hause, wo er mir, ebenso wie an Hof, viel Aufmerksamkeit und Wohlwollen zu zeigen pflegte. Auch hielt er bald nach dem Tode meines Vaters um mich an; aber meine Mutter verweigerte aus verschiedenen Gründen ihre Einwilligung.
Meine Lage an Hof war mittlerweile eine sehr schwierige geworden. Der Prinz verlangte immer stürmischer von mir das Versprechen, denselben nicht zu verlassen und wiederholte mir fort und fort seine Anträge. Er wollte Alles auf der Welt für mich thun; aber konnte und durfte ich es annehmen?
Meine eigene Bedrängniß, die täglichen Nöthe und Leiden, die diese unglückliche Sache mir verursachte, vor allem der Wunsch des Königs, den es immer mehr beunruhigte, den Prinzen einer so heftigen Leidenschaft einzig und allein nachhängen zu sehen, zwangen mich, gewaltsam einen Entschluß zu fassen. Der einzige Ausweg, der sich mir bot, war die Heirath mit meinem Vetter; ich schwankte lange, aber der verzweifelten Stimmung des Prinzen gegenüber schien es mir endlich meine gewiesene Pflicht, denselben zu ergreifen. Soll ich verhehlen, daß ich keine Neigung für meinen Vetter hatte? Mein einziges Gefühl für ihn war das der Achtung; aber er wußte ja dies alles und war damit zufrieden. Meine Mutter wünschte, ich solle lieber zu ihr zurückkehren; aber anstatt an Hof nur in der Stadt zu leben, dies allein hätte in meiner Lage dem Prinzen gegenüber nichts geändert; nur indem ich mich verheirathete, machte ich für ihn jeder ferneren Hoffnung ein Ende. Dieser Augenblick meines Lebens war furchtbar; ich kämpfte einen harten Kampf mit mir selbst. Der Gedanke, zugleich den Hof und den Prinzen für immer zu verlassen, war mir ein Kummer, als ob ich sterben sollte; aber was konnte ich thun? Ich hatte keine Wahl; ich durfte nicht vor diesem Schmerz zurückweichen, es mußte sein. Der König selbst bat meine Mutter, in meine Verheirathung zu willigen und wünschte dieselbe dringend, und so ward denn endlich meine Verlobung den 17. Januar feierlich an Hof vollzogen und ebenso meine Vermählung an meinem unglücklichen Geburtstage, den 11. März 1751. Dieser Tag ward in jeder Beziehung einer der entsetzlichsten, die ich erlebt habe. Nicht ohne Wehmuth schied ich von dem Hof, an dem ich einstmals so glücklich gewesen war und den tiefsten Gram im Herzen betrat ich einen neuen Lebensweg, an den ich selbst mich für den ganzen Rest meines Daseins gefesselt hatte. Meine Hochzeit war genau wie alle, die an Hof gefeiert werden. Man hatte eine Unmasse Menschen eingeladen und alles ging äußerst rauschend und festlich vor sich, so daß ich kaum recht zur Besinnung kam. Die Königin hatte mir sehr schöne Spitzen und 1000 Thaler geschenkt, um dafür mein Brautkleid, einen weißen Moor mit silbernen Blättern, zu kaufen. Gleich nach der heiligen Handlung sollte ich mit meinem Mann abreisen, aber leider gab man diesen Plan wieder auf und nichts blieb mir erspart. Der Prinz war in Verzweiflung; er hatte dennoch der Trauung beiwohnen wollen, aber während derselben stürzte er ohnmächtig zu Boden und mußte fortgetragen werden.
Nun war der entscheidende Schritt gethan und ich faßte den festen heiligen Entschluß, hinfort einzig und allein den Pflichten gemäß zu handeln, zu denen das Jawort, das ich gesprochen hatte, mich verband.
Das Geleite sämtlicher Personen, welche der Trauung beigewohnt hatten, brachte mich im festlichen Zuge nach dem Hause meines Mannes, und den andern Morgen kam der Hof und die ganze Welt wiederum zu uns, um uns Glück zu wünschen. Dann folgte ein Diner bei meiner Mutter und folgenden Tages erst reiste mein Mann mit mir von Berlin ab. –
Es ist nicht ohne Interesse auch in den Worten eines Zeitgenossen und wahrscheinlich Augenzeugen jener Vorgänge, des gelehrten Thiébault, dasselbe, was die Heldin dieser traurigen Liebesgeschichte mit eigener Hand in dem Vorhergehenden so einfach und schmucklos erzählt, wiederholt zu finden. In den: »Souvenirs de vingt ans de séjour à Berlin«, par Thiébault heißt es (2. Band, S. 52):
»Die Dame, welche dem Prinzen von Preußen eine so heftige Neigung einflößte, war Fräulein von Pannwitz, und die Welt mußte wenigstens zugestehen, daß sie es ganz werth war, der Gegenstand einer so leidenschaftlichen und so unüberwindlichen Liebe zu sein. Groß und schlank gewachsen, mit der Gestalt einer Diane chasseresse, und zugleich schön und blond wie eine Venus, war sie eben so reizend, so unschuldig und so liebenswürdig, als sie schön war. Der Prinz wollte es mit Gewalt durchsetzen, von seiner Gemahlin geschieden zu werden, um ihr seine Hand anzubieten, und die höchste Autorität selbst ward gezwungen, in dieser Sache einzuschreiten. So gelang es denn zuletzt, aber mit welcher Mühe und nach welchen Kämpfen, durch die geheimen Wege, welche nur die entschlossenste Thätigkeit und die rücksichtsloseste Politik sich nicht scheut einzuschlagen, dem Unglücklichen seine Geliebte zu entreißen! Ja, es gelang Fräulein von Pannwitz selbst, durch einen Sturm von Vorstellungen und Ermahnungen so zu ängstigen und zu überwältigen, ihre hochherzige Natur so mitfortzureißen, daß sie es war, die sich freiwillig opferte, und dies mit einer Tapferkeit und Selbstverleugnung, die edel empfindende Seelen verstehen und bewundern werden. Um dem Prinzen jede fernere Hoffnung unmöglich zu machen, faßte sie plötzlich und zur allgemeinen Überraschung den