EDMUND
STOIBER
WEIL DIE WELT SICH ÄNDERT
POLITIK AUS LEIDENSCHAFT –
ERFAHRUNGEN UND PERSPEKTIVEN
Siedler
EDMUND
STOIBER
WEIL DIE WELT SICH ÄNDERT
POLITIK AUS LEIDENSCHAFT –
ERFAHRUNGEN UND PERSPEKTIVEN
Siedler
Erste Auflage 2012
Copyright © 2012 by Siedler Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Rothfos + Gabler, Hamburg
Satz: Ditta Ahmadi, Berlin
Reproduktionen: Aigner, Berlin
ISBN 978-3-641-08349-6
www.siedler-verlag.de
Meiner Karin –
für Geduld und Liebe
INHALT
Vorwort
1. Herkunft und Aufbruch
Nach dem Krieg
Der eigene Standpunkt
Das erste Amt
Mythos Kreuth
2. Überzeugungsstäter
Ein großer Sprung
Flagge zeigen
Generalstaatssekretär
Die Methode Strauß
Die Zäsur
3. Bewegte Jahre
»Law and Order«
Der Weg zur Einheit
Liberal, sozial, konservativ
4. Grundsätzlich nach vorn
Ministerpräsident
Neuanfang
Laptop und Lederhose
Zukunft gestalten
5. Zwischen Bayern und Berlin
Über die Grenzen
Kandidat
Reformoffensive
Die Kanzlerin
Weichenstellungen
6. Die Leidenschaft bleibt
Let It Be
Immer auf Ballhöhe
Mehr Freiheit wagen
In der digitalen Welt
Der Wert des Euro
Die Zukunft der Demokratie
Demokratie braucht Erneuerung
Demokratie braucht Fortschritt
Demokratie braucht Wahrheit
Demokratie braucht (Volks-)Parteien
Demokratie braucht – ja, auch – Politiker
Demokratie braucht Zeit
Bildnachweis
VORWORT
16. November 2011, Moskau, Gästehaus der Regierung. Nach einer mehrstündigen, intensiven Konferenz mit dem Ost-Ausschuss der Deutschen Wirtschaft, dessen Delegation ich angehöre, bittet mich Russlands Regierungschef Wladimir Putin zu einem Meinungsaustausch über die politische Lage in der Europäischen Union. Unter vier Augen, ohne Dolmetscher, wird Klartext gesprochen. Ausgerechnet der starke Mann Russlands, dem wir aus unserer deutschen Sicht viele Fragen zu seiner Politik und seinem Land stellen, macht den Demokratien der Europäischen Union Vorwürfe: »Europa ist ein Krisenherd in der Welt. Die Europäische Union gefährdet die Stabilität der Weltwirtschaft, weil ihr seit Jahrzehnten mehr ausgebt, als ihr einnehmt. Viele machen sich Sorgen, dass Europa seine Probleme nicht in den Griff bekommt und am Ende die ganze Welt in eine Krise stürzt. Ihr müsst etwas ändern.« So sagt er es sinngemäß.
Wladimir Putin steht mit seinen Worten nicht allein, der Chor der Kritiker gegenüber uns Europäern wird immer vielstimmiger und gerade in den sogenannten Schwellenländern lauter. Vorläufiger Höhepunkt sind die Analysen des einflussreichen Club of Rome, der den westlichen Demokratien Unfähigkeit vorwirft und das chinesische Regierungsmodell geradezu empfiehlt: zur Bewältigung der Klimaproblematik, der sozialen Herausforderungen und der Schuldenkrisen. Zwar lag diese »Denkfabrik« auch schon weit daneben, dennoch. Man traut seinen Augen und Ohren nicht. Wie die Welt sich ändert!
Ich bin ein Kind Nachkriegsdeutschlands, Jahrgang 1941. Die Zeiten waren schlecht, die Hoffnungen umso größer. Demokratie und soziale Marktwirtschaft waren nach 1945 eine Verheißung. In Moskau saß nicht der kritisch betrachtete Wirtschaftspartner, sondern der Herrscher über das Reich des Bösen. Deutschland war ein in jeder Hinsicht darniederliegendes Land. In der Welt und auch vor sich selbst moralisch diskreditiert durch das Grauen des Holocaust, zwangsgeteilt. Und heute? Ist Deutschland wiedervereinigt, wirtschaftlich wie politisch ein Führungsland innerhalb der Europäischen Union, ein viel beachteter Partner in einer sich rasant verändernden globalisierten Welt. Lange schien der ökonomische und gesellschaftliche Aufstieg unaufhaltsam. Aber die Vorhaltungen Putins und anderer haben einen Kern: Ist unsere demokratische und freiheitliche Gesellschaft, für die wir uns so unendlich eingesetzt haben, in der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts angekommen? Euro-Krise, Klimawandel, Energieversorgung, Demografie – haben wir die Kraft, Churchills Urteil wieder zu bestätigen: »Die Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind.«?
Über drei Jahrzehnte durfte ich hohe und höchste Verantwortung tragen für meine Heimat Bayern und auch für Deutschland, mein Vaterland. Wenn man sein Leben so sehr der Politik gewidmet hat, bleibt man ein politischer Mensch, auch wenn man keine aktiven Ämter mehr ausübt. Ein gewisser Abstand kann den Blick manchmal auch schärfen. Weit entfernt bin ich davon, Patentrezepte für die großen Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft zu präsentieren: Aber vielleicht können die Außenansichten eines politischen Insiders einen Beitrag leisten, politisches Bewusstsein zu schärfen und Denkanstöße zu geben. Womöglich kann man aus Erfahrungen, guten wie schlechten, die Zukunft etwas besser meistern. Gerade junge Menschen fragen mich oft: »Wie war das bei Ihnen? Was kommt alles auf uns zu? Und wie beurteilen Sie unsere Chancen?« Das hat mich inspiriert, etwas aus meinem Leben zu erzählen und einige Gedanken über Gegenwart und Zukunft zu formulieren.
Über siebzig Jahre Leben und über dreißig Jahre politische Verantwortung passen nicht zwischen zwei Buchdeckel, deshalb galt es auszuwählen. Besonderen Dank schulde ich Friedrich Wilhelm Rothenpieler, Horst Möller und Rainer Haselbeck, die dieses Projekt mit ihrem Rat und großem Engagement möglich gemacht haben.