Simone de Beauvoir
Die Zeremonie des Abschieds und Gespräche mit Jean-Paul Sartre
August - September 1974
Deutsch von Uli Aumüller und Eva Moldenhauer
Rowohlt Digitalbuch
Simone de Beauvoir, geboren am 9. Januar 1908 in Paris, gilt als führende Repräsentantin des französischen Existentialismus in der Literatur und als eine der wichtigsten Vordenkerinnen der europäischen Frauenbewegung. Noch während ihres Philosophie-Studiums an der Sorbonne lernte sie Jean-Paul Sartre kennen, dem sie bald Lebensgefährtin und geistige Weggenossin wurde. Für ihren groß angelegten Schlüsselroman «Die Mandarins von Paris» (rororo 10761), der die intellektuelle Elite im Frankreich der IV. Republik porträtiert, erhielt sie die höchste literarische Auszeichnung ihres Landes, den «Prix Goncourt». Simone de Beauvoir starb am 14. April 1986 in Paris.
Weitere Veröffentlichungen:
die biographischen Schriften:
Kriegstagebuch
Memoiren einer Tochter aus gutem Hause
In den besten Jahren
Der Lauf der Dinge
Ein sanfter Tod
Alles in allem
Amerika Tag und Nacht
Briefe an Jean-Paul Sartre 1 + 2
Eine transatlantische Liebe. Briefe an Nelson Algren
die Romane:
Sie kam und blieb
Das Blut der anderen
Alle Menschen sind sterblich
Die Mandarins von Paris
Die Welt der schönen Bilder
die Erzählungen und Essays:
Marcelle, Chantal, Lisa ...
Soll man de Sade verbrennen?
Auge um Auge
Eine gebrochene Frau
Mißverständnisse an der Moskwa
sowie die Studien über die Rolle der Frau:
Das andere Geschlecht
Das Alter
Dieses Buch enthält den ergreifenden Bericht der Autorin über die letzten zehn Lebensjahre Jean-Paul Sartres und die Gespräche, die sie im Sommer und Herbst 1974 in Rom und Paris mit ihm führte – über sein Leben und Werk, über Herkunft und Einflüsse, Liebe und Freundschaft, Freiheit und Glück, über den Tod.
«Das in jeder Hinsicht ungewöhnliche und meisterhafte Buch ist die souveränste Arbeit, die Sartre nach seinem Tod gewidmet wurde.» (Wilfried Wiegand, Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Die französische Originalausgabe erschien 1981 unter dem Titel «La Cérémonie des adieux suivi de Entretiens avec Jean-Paul Sartre août–septembre 1974» bei den Éditions Gallimard, Paris.
Uli Aumüller übersetzte die Seiten 13–207 und 367–700, Eva Moldenhauer die Seiten 211–367.
Rowohlt Digitalbuch, veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2012
Copyright © 1983 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
«La Cérémonie des adieux suivi de Entretiens avec Jean-Paul Sartre août–septembre 1974» Copyright © 1981 by Éditions Gallimard, Paris
Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages
Umschlaggestaltung any.way, Cathrin Günther
(Umschlagfoto: Foto von Jean-Paul Sartre: Antanas Sutkus. Courtesy: Anya Stonelake/White Space Gallery)
Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved. Bitstream Vera is a trademark of Bitstream, Inc.
ISBN Buchausgabe 978-3-499-15747-9 (9. Auflage 2012)
ISBN Digitalbuch 978-3-644-01761-0
www.rowohlt-digitalbuch.de
ISBN 978-3-644-01761-0
Insbesondere bei den Vorträgen, die er in Japan gehalten hat.
Roland Castro, ein militanter Genosse von Vive la Révolution (V.L.R.) hatte mit Clavel, Leiris, Genet und einigen anderen das Büro des C.N.P.F. (Conseil National du Patronat Français: Französischer Arbeitgeber-Verband) besetzt, um gegen den Tod von fünf ausländischen Arbeitnehmern zu protestieren, die an Heizgas erstickt waren. Die C.R.S. hatten sie brutal niedergeknüppelt, festgenommen und dann wieder freigelassen, außer Castro, der an einer Ampel bei Rot aus dem Wagen sprang und zu fliehen versuchte. Von den Polizisten wieder gefasst, wurde er wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt angeklagt. Er wurde verurteilt, weil der Richter sich weigerte, den Prozess im einzig zulässigen Rahmen zu führen, nämlich als politischen Prozess. Sartre sagte für Castro aus, und La Cause du Peuple kommentierte diese Aussage gehässig.
Reinbek 1976. (Anm.d.Übers.)
S. 94ff. Reinbek 1981. (Anm.d.Übers.)
Reinbek 1977–1980. (Anm.d.Übers.)
Wir hatten die Gewohnheit beibehalten, in Schuljahren zu zählen.
Siehe in: Der Lauf der Dinge. Reinbek 1966.
Compagnie Républicaine de Sûreté. Spezialeinheit der Polizei. (Anm.d.Übers.)
Dymschitz und Kusnetzow wurden nicht hingerichtet, wahrscheinlich auf Grund des Drucks der französischen Regierung. 1973 gelangte Kusnetzows Manuskript Tagebuch eines zum Tode Verurteilten nach Paris, das bei seiner Veröffentlichung ein sehr starkes Echo fand. Im April 1979 wurden Kusnetzow, Dymschitz und drei weitere Verschwörer gegen zwei in den Vereinigten Staaten verhaftete sowjetische Spione ausgetauscht.
Er zog sich aus dem Führungskomitee zurück, beteiligte sich aber noch an vielen von der Roten Hilfe organisierten Aktionen.
Rechtsradikale Partei. (Anm.d.Übers.)
Alle Journalisten von Paris hatten sich zusammengeschlossen, um zu protestieren. Sie hatten eine große Demonstration vor dem Innenministerium veranstaltet.
Außer Lanzmann, der sich zu der Zeit in Israel aufhielt.
tala: abgekürzt aus: Ceux qui vont à la messe = Kirchgänger. (Anm.d.Übers.)
Rassemblement démocratique révolutionnaire: Revolutionäre Demokratische Sammlung, von Sartre 1948 mitbegründete neutralistische sozialistische Partei. Siehe Krieg im Frieden, Reinbek 1982. (Anm.d.Übers.)
Lallemant hatte sich am Kampf für den F.L.N. beteiligt: Mit Freunden half er manchen Algeriern, über die Grenze zu kommen. Er hatte für Sartre in Brüssel ein großes Kolloquium über den Algerienkrieg veranstaltet.
Verstraeten war Professor für Existentialismus. Er hat ein Buch über Sartre geschrieben und gab mit ihm die von Sartre und Merleau-Ponty begründete Philosophie-Reihe heraus, die bei Gallimard unter dem Namen Bibliothèque de philosophie erschien.
Ein Komitee, das sich in Boulogne gebildet hatte, um jeden rassistischen oder repressiven Akt gegen Gastarbeiter anzuprangern.
Mit sie meinte die KP die Gauchisten und die Bourgeoisie.
Eine feministische Gruppe, deren Mitvorsitzende ich war und in der meine Anwesenheit an jenem Tag unerlässlich war.
Sie hat trotzdem noch einige Zeit weiterbestanden.
In: Sartre über Sartre. S. 180, Reinbek 1977. (Anm.d.Übers.)
Sartre betrachtete Todd umso weniger als seinen Sohn, als er keinerlei Sympathie für ihn empfand, und – im Gegensatz zu dem, was Todd in seinem Buch zu unterstellen sucht – hatte nur eine sehr oberflächliche Beziehung zu ihm.
Wir hatten sie jedes Mal, wenn wir in Moskau waren, gesehen. «Cathala, ein Kommilitone Sartres an der École Normale, war während des Kriegs Gaullist gewesen und 1945 Kommunist geworden. Er übersetzte russische Werke ins Französische. Seine Frau war Russin … und arbeitete bei einer Zeitschrift» (Alles in allem, Reinbek 1974).
Reinbek 1976. (Anm.d.Übers.)
Touvier, ein ehemaliger Milizsoldat, war schuldig oder mitschuldig an der Ermordung von Widerstandskämpfern und Juden. 1945 und 47 zum Tode verurteilt, danach, 1949, wegen Diebstahls zweimal zu fünf Jahren Gefängnis und zehnjährigem Aufenthaltsverbot verurteilt, war er jetzt von Pompidou begnadigt worden. Die Kriegsverbrechen waren verjährt, aber nicht die zivilrechtlichen Delikte. Man konnte nicht seinen Tod fordern, sondern nur Gefängnis und Aufenthaltsverbot.
So freundlich war er: Er verweigerte nie einen Gefallen, selbst wenn er wenig Sympathie für den hatte, der ihn darum bat.
Schriftsteller, Theaterautor, dessen Stücke Sartre sehr mochte. Ein enger Freund von Liliane.
Horsts Werke erschienen unter dem Pseudonym André Gorz, und diesen Namen benutzte er auch im Redaktionskomitee der Temps Modernes. Aber ich nenne ihn in diesem Bericht überall bei seinem richtigen Namen.
M.L.F. – Mouvement de Libération des Femmes. Französische Frauenbewegung. (Anm.d.Übers.)
Tatsächlich wurde Sartre letzten Endes zu einem Franc Entschädigung plus Zinsen und zu 400 Franc Geldstrafe verurteilt.
Veröffentlicht am 26. Oktober in Al Hamishmar und am 5. November auf Französisch im Bulletin du Mapam. Auszüge daraus erschienen in Le Monde und in den Cahiers Bernard Lazare.
Von einem jungen Strafgefangenen namens Thévenin wurde behauptet, er hätte sich umgebracht, während man ihn ganz offensichtlich «selbstgemordet» hatte. Seine Eltern hatten vergebens versucht, seinen Tod aufzuklären.
Ein amerikanischer Freund, den ich durch Lise kennengelernt hatte. Er war Professor an einer Universität in Kalifornien und Sartre-Spezialist.
Kurz darauf hat er wieder angefangen, viel zu rauchen.
Siehe: Alles in allem über das Russell-Tribunal. Schœnmann war einer der maßgeblichen Sekretäre der Russell-Foundation. Beim Tribunal, dessen Generalsekretär er war, behauptete er, Russell zu vertreten und alles dirigieren zu dürfen. Wenn er seinen Willen durchsetzen wollte, erklärte er: «Lord Russell verlangt, dass …»
Der Anfall hatte zehn Monate zuvor stattgefunden.
Der Sohn unseres Verlegers, mit dem wir 1946 durch Italien gereist waren und den wir danach oft wiedergesehen hatten (siehe: Der Lauf der Dinge. Reinbek 1966).
«Gespräche mit Jean-Paul Sartre», S. 209–700. (Anm.d.Übers.)
Darauf beschränkt sich der Briefwechsel zwischen Sartre und Giscard, von dem manche Zeitungen nach Sartres Tod viel Aufhebens gemacht haben.
Diesen Beschluss hatte er aus Anlass der Streiks beim Fernsehen und beim Rundfunk gefasst.
Einige Jahre später hat er diesen Bericht unter dem Namen Klein in erweiterter Form wiederveröffentlicht: Der Titel dieses neuen Buches ist La Mort Mercenaire (deutsch: Wie alles anfing). Beide Ausgaben haben ein Vorwort von Cohn-Bendit.
Aus seinem Gespräch mit Michel Contat: Selbstporträt mit siebzig Jahren, a.a.O.
Deutsch in: Sartre über Sartre; Seite 180, Reinbek 1977. (Anm.d.Übers.)
Professor Lapresle hatte Sartre erlaubt, etwas Alkohol zu trinken.
Ich weise darauf hin, dass für jede Sendung ein Budget von einhundert Millionen Alte Franc vorgesehen war. Die zehn Sendungen hätten demnach eine Milliarde Alte Franc gekostet. Jullian bot weniger als die Hälfte an.
Pierre Goldman, polnischer Jude, Ex-Guerillero, 1974 wegen bewaffneter Raubüberfälle und Doppelmord zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe verurteilt, studiert in der Haft Philosophie und schreibt ein Buch, um seine Unschuld zu beweisen (deutsch: Dunkle Erinnerungen eines in Frankreich geborenen polnischen Juden. Frankfurt 1980). Sartre und viele andere Intellektuelle setzen sich daraufhin für eine Wiederaufnahme des Verfahrens ein. (Anm.d.Übers.)
Dieser Aufruf, den der Nouvel Observateur am 29. September veröffentlichte, wurde von Foucault, Régis Debray, Claude Mauriac, Yves Montand direkt nach Madrid gebracht.
In: Was kann Literatur? S. 150, Reinbek 1979.
Machismus und Ebenbürtigkeit. In: Sartre über Sartre, S. 167, Reinbek 1977.
Ebd. S. 180. (Anm.d.Übers.)
Reinbek 1969. (Anm.d.Übers.)
Ich erwähnte, dass Baumann Sartre anlässlich seines Besuches bei Baader chauffiert hatte.
Unter dem Titel Tupamaros Berlin-Ouest. (Anm.d.Übers.)
Ein junger Philosophieprofessor und sehr guter Sartre-Kenner.
In: Was kann Literatur? S. 180, Reinbek 1979. (Anm.d.Übers.)
Exfrau von René Depestre, die wir in Kuba kennengelernt hatten.
Deutsche Ausgabe: Betrachtungen zur Judenfrage, Zürich 1948. Neuausgabe bei Rowohlt in Vorbereitung. (Anm.d.Übers.)
Dr. Zaidmann wird in diesem Bericht nicht mehr auftreten: Er ist plötzlich in der Rue Delambre einem Herzanfall erlegen.
Seit er nicht mehr sah, holte Liliane ihn in Nîmes vom Flugzeug ab. Am nächsten Tag holte Bost ihn bei ihr ab und brachte ihn mit Wanda zum Flughafen, von wo er nach Italien flog.
Ein Unsinn, der von Jean Dutourd und einigen anderen Journalisten hartnäckig aufrechterhalten wird.
Sie behaupteten, darin eine politische Versöhnung zu sehen, und unterstellten, Sartre näherte sich jetzt Positionen der Rechten an. Das war vollkommen falsch.
Le Temps immobile von Claude Mauriac, Band VI.
Pierre Goldman wurde von Rechtsradikalen in Paris auf offener Straße erschossen. Eine Gruppe, die sich Ehre der Polizei nannte, übernahm die Verantwortung für das Attentat: «Pierre Goldman hat für seine Verbrechen bezahlt.» (Anm.d.Übers.)
Bei geschlossenen Türen: «Ich nehme an, dass man sich mit der Zeit daran gewöhnt.» (Garcin)
Genau das hat Raymond Aron bei einer Gegenüberstellung mit Victor im Fernsehen nach Sartres Tod sehr gut gesagt.
Wie erwähnt hat er sich in seinen depressiven Momenten als «lebenden Toten» bezeichnet.
Selbstporträt mit siebzig Jahren, a.a.O.
Arlette war Jüdin, und Lanzmann sprach oft mit uns über seinen Film über die Judenvernichtung, das heißt von den Verbrennungsöfen. Wir sprachen auch über die Thesen von Faurisson, der ihre Existenz leugnete. Andererseits wünschte Sartre, eingeäschert zu werden.
Georges Michel, dessen Bericht insgesamt zutreffend ist, irrte sich in der Annahme, das wären Sartres letzte Worte gewesen.
Selbstporträt mit siebzig Jahren, a.a.O.
«Vor allem aber las ich jeden Morgen im Matin die Romanfortsetzung von Michael Zévaco. Dieser geniale Autor hatte unter Victor Hugos Einfluss den republikanischen Mantel-und-Degen-Roman erfunden … Der größte unter Zévacos Helden, Pardaillan, war mein Meister.» Die Wörter, Reinbek 1965, S. 76. (Anm.d.Übers.)
Rocambole: Titelfigur der Romanserie Exploits de Rocambole von Ponson du Terrail; Fantomas: Titelfigur einer Romanserie von Marcel Allain und Émile Souvestre. (Anm.d.Übers.)
Erstes Vorbereitungsjahr zur École Normale Supérieure. (Anm.d.Übers.)
In: Die Transzendenz des Ego, Reinbek 1964. (Anm.d.Übers.)
Zweites Vorbereitungsjahr zur École Normale Supérieure. (Anm.d.Übers.)
In meinen Memoiren habe ich Guille den Namen Pagniez gegeben.
In meinen Memoiren nenne ich sie Madame Lemaire.
Sartre. Ein Film, Reinbek 1978. (Anm.d.Übers.)
In: Die Transzendenz des Ego, Reinbek 1964. (Anm.d.Übers.)
Gemeint ist Der Idiot der Familie, a.a.O. (Anm.d.Übers.)
Jean-Paul Sartre, Philippe Gavi, Pierre Victor: Der Intellektuelle als Revolutionär, a.a.O. (Anm.d.Übers.)
In: Krieg im Frieden 1, Reinbek 1982. (Anm.d.Übers.)
Erste Kriegsphase, als die Franzosen nach der Kriegserklärung Deutschland nicht angriffen. (Anm.d.Übers.)
Sartre über Sartre, a.a.O. (Anm.d.Übers.)
Skizze einer Theorie der Emotionen. In: Die Transzendenz des Ego, Reinbek 1964. (Anm.d.Übers.)
Der Mensch und die Dinge, Reinbek 1978. (Anm.d.Übers.)
Das politische Denken Patrice Lumumbas. In: Kolonialismus und Neokolonialismus, Reinbek 1968. (Anm.d.Übers.)
Der Künstler und sein Gewissen. In: Porträts und Perspektiven, Reinbek 1968, und in: Die Suche nach dem Absoluten, Reinbek 1999. (Anm.d.Übers.)
Die ‹Mobiles› von Calder; Die Suche nach dem Absoluten. In: Situationen, Reinbek 1965; Der Eingeschlossene von Venedig; Die Gemälde Giacomettis; Der Maler ohne Vorrechte; Masson; Finger und Nicht-Finger. In: Porträts und Perspektiven, Reinbek 1968 und in: Die Suche nach dem Absoluten, Reinbek 1999 (Anm.d.Übers.)
Individualismus und Konformismus in den Vereinigten Staaten; Amerikanische Städte; New York, eine Kolonialstadt. In: Situationen, Reinbek 1956, und in: Reisen (in Vorb.). (Anm.d.Übers.)
Hollywood 1945. In: Mythos und Realität des Theaters, Reinbek 1979. (Anm.d.Übers.)
Tennessee Valley Authority. (Anm.d.Übers.)
Den ich in meinen Memoiren Marco genannt habe.
Meine Gründe für die Ablehnung des Nobelpreises. In: Was kann Literatur? Reinbek 1979. (Anm.d.Übers.)
«Der Fremde» von Camus. In: Der Mensch und die Dinge, Reinbek 1978. (Anm.d.Übers.)
Die Befreiung von Paris. In: Paris unter der Besatzung, Reinbek 1980. (Anm.d.Übers.)
Rassemblement Démocratique Révolutionnaire = Revolutionäre Demokratische Sammlung, von Sartre 1948 mitgegründete neutralistische sozialistische Partei. Siehe Krieg im Frieden 1, Reinbek 1982. (Anm.d.Übers.)
Brief an den Herausgeber der «Temps Modernes». In: Krieg im Frieden 2, Reinbek 1982. (Anm.d.Übers.)
Antwort an Albert Camus. In: Krieg im Frieden 2, Reinbek 1982. (Anm.d.Übers.)
Freundschaft und Widersprüche. In: Sartre über Sartre, Reinbek 1977. (Anm.d.Übers.)
Die Suche nach dem Absoluten. In: Situationen, Reinbek 1956, und Die Gemälde Giacomettis. In: Porträts und Perspektiven, Reinbek 1968. Beide Artikel neu in: Die Suche nach dem Absoluten, Reinbek 1999 (Anm.d.Übers.)
Saint Genet, Komödiant und Märtyrer, Reinbek 1982. (Anm.d.Übers.)
«Was brauchen wir eine Kassandra?» In: Sartre über Sartre, Reinbek 1977. (Anm.d.Übers.)
Siehe: Politische Chronologie Jean-Paul Sartres 1945–1952. In: Krieg im Frieden 1, Reinbek 1982. (Anm.d.Übers.)
Man hatte mir in Rom meine Handtasche gestohlen.
Évelyne, Lanzmanns Schwester, nannte sich am Theater Évelyne Rey. Sie hat in mehreren Stücken Sartres gespielt.
tapir: Im Argot der École Normale Supérieure ein Schüler der Nachhilfestunden nimmt. (Anm.d.Übers.)
Siehe Anm.S. 215.
Alte Franc.
Sartres Verwendung von vivre/le vécu – leben, erleben/das Erlebte knüpft an Henri Bergson, Edmund Husserl und Karl Jaspers an. (Anm.d.Übers.)
Sartre war im Krieg dem Wetterdienst zugeteilt. (Anm.d.Übers.)
Siehe Krieg im Frieden 1, Reinbek 1982. (Anm.d.Übers.)
Amerikanischer General, 1951 Oberbefehlshaber in Korea, 1952 der NATO-Streitkräfte. (Anm.d.Übers.)
Mitglied des ZK und des Politbüros der KPF, 1945–58 Fraktionsvorsitzender der KPF in der Nationalversammlung. (Anm.d.Übers.)
Die Kommunisten und der Frieden. In: Krieg im Frieden 1, Reinbek 1982. (Anm.d.Übers.)
Matrose, der wegen der Verteilung von Flugblättern gegen den Indochinakrieg inhaftiert worden war. (Anm.d.Übers.)
Wider das Unrecht. Die Affäre Henri Martin, Reinbek 1982. (Anm.d.Übers.)
Das Gespenst Stalins. In: Krieg im Frieden 2, Reinbek 1982. (Anm.d.Übers.)
Siehe Le Monde vom 1. September 1960. (Anm.d.Übers.)
Der Sozialismus, der aus der Kälte kam. In: Mai ’68 und die Folgen 2, Reinbek 1975. (Anm.d.Übers.)
Zeit der Reife, Reinbek 1949.
Der Aufschub, Reinbek 1950. (Anm.d.Übers.)
Der Pfahl im Fleische, Reinbek 1951. (Anm.d.Übers.)
Drieu La Rochelle oder Der Selbsthass. In: Der Mensch und die Dinge. (Anm.d.Übers.)
Die Republik des Schweigens. In: Paris unter der Besatzung, Reinbek 1980. (Anm.d.Übers.)
Maurice Merleau-Ponty/Jean-Paul Sartre: Die Tage unseres Lebens. In: Krieg im Frieden 1, Reinbek 1982. (Anm.d.Übers.)
Der 4. Band von Die Wege der Freiheit. (Anm.d.Übers.)
In Rom.
Für diejenigen,
die Sartre geliebt haben,
die ihn lieben
und lieben werden
Dies ist das erste – und wahrscheinlich das einzige – meiner Bücher, das Sie nicht gelesen haben werden, bevor es gedruckt wird. Es ist gänzlich Ihnen gewidmet und erreicht Sie nicht.
Als wir jung waren und wenn einer von uns am Ende einer hitzigen Diskussion lauthals triumphierte, sagte er zum anderen: «Sie sind in Ihrer kleinen Kiste!» Sie sind in Ihrer kleinen Kiste; Sie werden nicht herauskommen, und ich werde Ihnen nicht dorthin folgen: Selbst wenn man mich neben Ihnen beerdigt, wird kein Weg von Ihrer Asche zu meinen sterblichen Überresten führen.
Dieses Sie, das ich benutze, ist eine Illusion, ein rhetorischer Kunstgriff. Niemand hört es; ich spreche zu niemandem. In Wirklichkeit sind es die Freunde Sartres, die ich anspreche: jene, die mehr über seine letzten Lebensjahre erfahren möchten. Ich habe sie erzählt, so wie ich sie erlebt habe. Ich habe ein bisschen von mir gesprochen, denn der Chronist ist Teil seiner Chronik, aber so wenig wie möglich. Einmal, weil das nicht mein Thema ist; und zum andern trifft zu, was ich auf die Frage von Freunden, wie ich es aufnähme, als Antwort notierte: «Das kann man nicht sagen, das kann man nicht schreiben, das kann man nicht denken; das lebt man, das ist alles.»
Dieser Bericht basiert im Wesentlichen auf dem Tagebuch, das ich in den zehn Jahren geführt habe. Und auch auf zahlreichen Zeugenaussagen, die ich gesammelt habe. Ich danke all denen, die mir in schriftlicher oder mündlicher Form geholfen haben, das Ende Sartres aufzuzeichnen.
Während seiner gesamten Existenz hat Sartre nie aufgehört, sich neu in Frage zu stellen. Ohne das zu verleugnen, was er seine «ideologischen Interessen» nannte, wollte er doch nicht in ihnen entfremdet werden, deshalb hat er oft gewählt, «gegen sich zu denken», indem er mühsame Anstrengungen machte, «Knochen in seinem Kopf zu zerbrechen». Die Ereignisse von ’68, in die er verwickelt gewesen ist und die ihn tief berührt haben, waren für ihn Anlass für eine neuerliche Revision; er fühlte sich als Intellektueller in Frage gestellt, und das veranlasste ihn in den beiden folgenden Jahren, über die Rolle des Intellektuellen nachzudenken und die Auffassung, die er von ihr hatte, zu modifizieren.
Er hat sich oft darüber geäußert. Bis dahin[1] hatte Sartre den Intellektuellen als «Techniker des praktischen Wissens» aufgefasst, der zerrissen war vom Widerspruch zwischen der Universalität des Wissens und dem Partikularismus der herrschenden Klasse, deren Produkt er war: Er verkörperte so das unglückliche Bewusstsein, wie Hegel es definiert. Seinem Gewissen mit ebendiesem schlechten Gewissen Genugtuung leistend, meinte er, es erlaube ihm, sich dem Proletariat zuzuordnen. Jetzt dachte Sartre, man müsse über dieses Stadium hinausgehen: Dem klassischen Intellektuellen stellte er den neuen Intellektuellen entgegen, der in sich das intellektuelle Moment negiert, um so einen neuen Status im Volk zu finden; der neue Intellektuelle sucht in der Masse aufzugehen, um der wirklichen Universalität zum Sieg zu verhelfen.
Noch ohne diese Richtlinie klar aufgezeichnet zu haben, hatte Sartre versucht, sie zu befolgen. Im Herbst ’68 hatte er die Herausgabe eines Blattes, Interluttes, übernommen, das, mal vervielfältigt, mal gedruckt, in den Aktionskomitees zirkulierte. Er war mehrmals mit Geismar zusammengetroffen und hatte sich lebhaft für eine Idee interessiert, die dieser ihm Anfang 1969 unterbreitet hatte: eine Zeitung herauszugeben, in der die Massen zu den Massen sprechen sollten, oder besser, in der das Volk, dort, wo seine Kämpfe es wieder konstituiert hatten, zu den Massen sprechen sollte, um sie in diesen Prozess einzubeziehen. Nach einem ersten Ansatz fiel das Projekt ins Wasser. Aber es kam zustande, als Geismar sich der Gauche Prolétarienne (G.P.) anschloss und Maoisten mit ihm La Cause du Peuple gründeten. Die Zeitung hatte keinen Besitzer. Sie wurde direkt oder indirekt von den Arbeitern geschrieben und von Aktivisten verkauft. Ihr Ziel war es, eine Vorstellung von den in Frankreich seit 1970 geführten Kämpfen der Arbeiter zu vermitteln. Sie zeigte sich häufig feindselig gegenüber Intellektuellen und anlässlich des Prozesses von Roland Castro[2] gegenüber Sartre selbst.
Durch Vermittlung Geismars traf Sartre jedoch mit mehreren Mitgliedern der G.P. zusammen. Als der Herausgeber von La Cause du Peuple, Le Dantec, dann der Stellvertretende Herausgeber, Le Bris, verhaftet wurden, weil in manchen Artikeln des Blattes heftige Angriffe gegen das Regime vorgebracht worden waren, schlugen Geismar und andere Sartre vor, deren Nachfolger zu werden. Er nahm ohne Zögern an, weil er meinte, das Gewicht seines Namens könnte den Maoisten nützlich sein. «Ich habe zynisch meine Bekanntheit in die Waagschale geworfen», sollte er später während eines Vortrags in Brüssel sagen. Von da an fühlten die Maoisten sich veranlasst, ihr Urteil und ihre Taktik in Bezug auf die Intellektuellen zu revidieren.
In Alles in allem[3] habe ich den Prozess gegen Le Dantec und Le Bris geschildert, der am 27. Mai stattfand und in dem Sartre als Zeuge aufgerufen wurde. Am selben Tag gab die Regierung die Auflösung der Gauche Prolétarienne bekannt. Kurz zuvor hatte in der Mutualité ein Meeting stattgefunden, bei dem Geismar das Publikum aufgerufen hatte, am 27. Mai auf die Straße zu gehen, um gegen den Prozess zu protestieren: Er sprach nur acht Minuten und wurde trotzdem festgenommen.
Die erste von Sartre herausgegebene Nummer von La Cause du Peuple war am 1. Mai 1970 erschienen. Die Staatsgewalt hielt sich nicht an ihn, sondern der Innenminister ließ jede Nummer an ihrer Quelle beschlagnahmen: Zum Glück gelang es dem Drucker, die meisten Exemplare vor der Beschlagnahmung herauszuschaffen. Daraufhin griff die Regierung sich die Verkäufer, die wegen Neubildung einer aufgelösten Vereinigung vor ein Sondergericht kamen. Ich habe auch erzählt, wie Sartre, ich und zahlreiche Freunde die Zeitung im Zentrum von Paris verkauft haben, ohne ernstlich behelligt zu werden. Eines Tages wurden die Autoritäten diesen vergeblichen Kampf leid, und La Cause du Peuple wurde an den Kiosken vertrieben. Eine Vereinigung der «Freunde von La Cause du Peuple» wurde gegründet, deren Vorsitz Michel Leiris und ich übernahmen. Zuerst wurde uns die Eintragung als Verein verweigert; wir mussten das Verwaltungsgericht anrufen, damit wir sie erhielten.
Im Juni beteiligte sich Sartre an der Gründung der Roten Hilfe, deren Hauptstützen Tillon und er waren. Ziel der Organisation war der Kampf gegen die Repression. In einem zum großen Teil von Sartre verfassten Text erklärte das Comité d’Initiative Nationale unter anderem:
«Die Rote Hilfe ist ein eingetragener, unabhängiger demokratischer Verein. Ihr Hauptziel ist die politische und juristische Verteidigung der Opfer der Repression und deren materielle und moralische Unterstützung sowie die Unterstützung ihrer Familien, ohne jedes Veto …
… Es ist nicht möglich, Gerechtigkeit und Freiheit zu verteidigen, ohne die Solidarität des Volkes zu organisieren. Die Rote Hilfe, aus dem Volk hervorgegangen, wird diesem bei seinem Kampf dienen.»
Die Organisation bestand aus den wichtigsten gauchistischen Gruppen, Témoignage chrétien und verschiedenen Persönlichkeiten. Ihre politische Plattform war sehr breit. Sie wollte sich hauptsächlich der von Marcellin nach der Auflösung der G.P. gestarteten Verhaftungswelle widersetzen. Eine große Zahl von militanten Genossen war in Haft. Informationen über ihren Fall mussten zusammengetragen und Aktionen erdacht werden. Die Rote Hilfe zählte mehrere tausend Mitglieder. Basiskomitees wurden in verschiedenen Pariser Vierteln und in der Provinz gebildet. Unter den Provinzkomitees war das in Lyon am aktivsten. In Paris befasste sich die Organisation besonders mit den Problemen der Gastarbeiter. Obwohl diese Gruppen im Prinzip politisch sehr eklektisch waren, waren es die Maoisten, die in ihnen die stärkste Aktivität entfalteten und sie mehr oder weniger in die Hand nahmen.
Wenn Sartre seinen politischen Aufgaben auch eifrig nachging, so widmete er doch den größten Teil seiner Zeit seiner literarischen Arbeit. Er beendete den dritten Band seines großen Werkes über Flaubert. 1954 hatte Roger Garaudy ihm vorgeschlagen: «Versuchen wir ein und dieselbe Person zu interpretieren, ich mit der marxistischen Methode, Sie mit der existentialistischen.» Sartre hatte Flaubert gewählt, den er in Was ist Literatur?[4] sehr schlechtgemacht hatte, der ihn jedoch betört hatte, als er seine Korrespondenz gelesen hatte: Was ihn an Flaubert anzog, war der dem Imaginären eingeräumte Vorrang. Sartre hatte damals ein Dutzend Hefte vollgeschrieben, dann eine Studie von tausend Seiten verfasst, die er 1955 aufgegeben hatte. 1968 bis 1970 nahm er sie wieder auf und schrieb sie vollständig um. Er gab ihr den Titel Der Idiot der Familie[5] und schrieb sie mit großer Energie flüssig herunter. «Es ging darum, eine Methode vorzuführen und einen Menschen.»
Er hat sich mehrfach über seine Absichten geäußert. In seinem Gespräch mit Contat und Rybalka erläuterte er, dass es sich nicht um eine wissenschaftliche Arbeit handle, da er nicht Definitionen benutze, sondern Begriffe, und der Begriff ja ein Denken ist, das Zeit in sich einführt: der Begriff der Passivität zum Beispiel. Er nahm Flaubert gegenüber eine empathische Haltung ein. «Das ist mein Ziel: zu beweisen, dass jeder Mensch vollständig erkennbar ist, vorausgesetzt, man benutzt die geeignete Methode und hat die nötigen Dokumente.» Er sagte auch: «Wenn ich zeige, wie Flaubert sich selbst nicht kennt und sich zugleich doch ausgezeichnet versteht, weise ich auf das hin, was ich das Erlebte (le vécu) nenne, das heißt, das Leben im Einverständnis mit sich selbst, ohne dass eine Erkenntnis, ein thetisches Bewusstsein angegeben wäre.»
Seine Maoisten-Freunde verurteilten dieses Unternehmen mehr oder weniger: Es wäre ihnen lieber gewesen, Sartre hätte irgendeine kämpferische Abhandlung oder einen großen volkstümlichen Roman geschrieben. Doch in der Hinsicht war er nicht bereit, irgendeinem Druck nachzugeben. Er verstand den Standpunkt seiner Genossen, teilte ihn aber nicht: «Wenn ich den Inhalt betrachte», sagte er in Bezug auf Der Idiot der Familie, «habe ich den Eindruck zu fliehen, wenn ich dagegen die Methode betrachte, habe ich das Gefühl, aktuell zu sein.»
In dem Vortrag, den er später in Brüssel hielt, kam er auf die Frage zurück. «Ich bin seit siebzehn Jahren an eine Arbeit über Flaubert gefesselt, die die Arbeiter nicht interessieren kann, da sie in einem komplizierten und bestimmt bürgerlichen Stil geschrieben ist … Ich bin daran gebunden, das soll heißen: Ich bin siebenundsechzig Jahre alt, ich arbeite daran, seit ich fünfzig bin, und vorher träumte ich davon … Insofern ich den Flaubert schreibe, bin ich ein Enfant terrible der Bourgeoisie, das zurückgewonnen werden muss.»
Sein Grundgedanke war, dass es in jedem beliebigen Moment der Geschichte, wie dessen sozialer und politischer Kontext auch sein mochte, wesentlich bliebe, die Menschen zu verstehen, und dass sein Essay über Flaubert dazu beitragen könnte.
Sartre war also mit seinen verschiedenen Engagements zufrieden, als wir, nach einem glücklichen Aufenthalt in Rom, im September 1970 nach Paris zurückkehrten. Er wohnte in einer nüchternen kleinen Wohnung in der zehnten Etage eines Hauses am Boulevard Raspail, gegenüber vom Friedhof Montparnasse und ganz in meiner Nähe. Er fühlte sich dort wohl. Er führte ein ziemlich von Gewohnheiten geprägtes Leben. Er sah regelmäßig alte Freundinnen: Wanda K., Michèle Vian und seine Adoptivtochter Arlette Elkaïm, bei der er zweimal in der Woche übernachtete. Die anderen Abende verbrachte er bei mir. Wir unterhielten uns, wir hörten Musik: Ich hatte mir eine umfassende Schallplattensammlung zugelegt, die ich jeden Monat erweiterte. Sartre interessierte sich sehr für die Wiener Schule – vor allem für Berg und Webern – und für zeitgenössische Komponisten: Stockhausen, Xenakis, Berio, Penderecki und viele andere. Aber er kehrte gern zu den großen Klassikern zurück. Er liebte Monteverdi, Gesualdo, die Opern von Mozart – vor allem Così fan tutte – und von Verdi. Während dieser «Kammerkonzerte» aßen wir ein hartgekochtes Ei oder eine Scheibe Schinken und tranken etwas Scotch. Ich wohne in einem «Künstlerstudio mit Loggia», wie die Definition der Immobilienagenturen lautet. Ich lebe tagsüber in einem großen Raum mit hoher Decke. Über eine Innentreppe gelangt man in ein Zimmer, das durch eine Art Balkon mit dem Badezimmer verbunden ist. Sartre schlief oben und kam morgens herunter, um mit mir Tee zu trinken. Manchmal holte ihn eine seiner Freundinnen, Liliane Siegel, ab und ging mit ihm in einem kleinen Bistro in der Nähe seiner Wohnung einen Kaffee trinken. Häufig besuchte Bost ihn abends bei mir. Ziemlich häufig auch Lanzmann, dem er sich durch viele Gemeinsamkeiten verbunden fühlte, trotz mancher Meinungsverschiedenheiten in der israelisch-palästinensischen Frage. Besonders liebte er die Samstagabende, die Sylvie mit uns verbrachte, und das sonntägliche Mittagessen, das wir zu dritt in der Coupole einnahmen. Ab und zu trafen wir auch verschiedene Freunde.
Nachmittags arbeitete ich bei Sartre. Ich wartete auf das Erscheinen von Das Alter und dachte an einen letzten Band meiner Memoiren. Er revidierte und überprüfte in Der Idiot der Familie das Porträt des Doktor Flaubert. Es war ein prächtiger Herbst, blau und golden: Das Jahr[6] versprach sehr schön zu werden.
Im September nahm Sartre an einem großen Meeting teil, das von der Roten Hilfe veranstaltet wurde, um das Massaker von König Hussein von Jordanien an den Palästinensern anzuprangern. Sechstausend Menschen waren gekommen. Sartre traf dort Jean Genet, den er lange nicht gesehen hatte. Genet hatte sich den Schwarzen Panthern angeschlossen, über die er im Nouvel Observateur einen Artikel geschrieben hatte, und war im Begriff, nach Jordanien zu fahren, wo er in ein Palästinenserlager gehen wollte.
Seit langem hatte Sartres Gesundheitszustand mich nicht mehr beunruhigt. Obwohl er täglich zwei Päckchen Boyard rauchte, hatte seine Gefäßerkrankung sich nicht verschlimmert. Sehr plötzlich, Ende September, hat die Angst mich überfallen.
An einem Samstagabend haben wir mit Sylvie bei «Dominique» gegessen, und Sartre hat viel Wodka getrunken. Wieder bei mir zu Haus, war er schläfrig, dann ist er fest eingeschlafen, wobei er seine Zigarette fallen ließ. Wir haben ihm nach oben in sein Zimmer geholfen. Am nächsten Morgen schien er bei bester Gesundheit und ist zu sich nach Hause gegangen. Aber als wir, Sylvie und ich, ihn um zwei Uhr zum Essen abholen wollten, stieß er gegen alle Möbel. Beim Verlassen der Coupole taumelte er, obwohl er sehr wenig getrunken hatte. Wir haben ihn im Taxi zu Wanda, in die Rue du Dragon, gebracht, und beim Aussteigen wäre er fast gestürzt.
Es war schon vorgekommen, dass er Schwindelanfälle hatte: 1968 in Rom, als er an der Piazza Santa Maria in Trastevere aus dem Auto stieg, hatte er so sehr geschwankt, dass Sylvie und ich ihn stützen mussten. Ohne dem große Bedeutung beizumessen, war ich erstaunt gewesen, denn er hatte nichts getrunken! Aber nie zuvor waren diese Störungen so ausgeprägt gewesen, und ich ahnte, wie ernst sie waren. In meinem Tagebuch habe ich notiert: «Dieses Studio, das seit meiner Rückkehr so heiter war, hat die Farbe gewechselt. Der schöne flauschige Teppich ruft Trauer wach. So wird man leben müssen, bestenfalls noch mit Momenten des Glücks und der Freude, aber mit der schwebenden Bedrohung: das Leben in Klammern gesetzt.»
Während ich diese Zeilen übertrage, wundere ich mich: Woher kam diese düstere Vorahnung? Ich denke, dass ich trotz meiner scheinbaren Ruhe seit mehr als zwanzig Jahren ständig auf der Hut gewesen war. Das erste Alarmzeichen war 1954, am Ende von Sartres Reise in die UdSSR, sein krankhaft erhöhter Blutdruck gewesen, der im Krankenhaus behandelt werden musste. Im Herbst 1958 hatte ich Angst[7] gehabt: Nur knapp war Sartre einem Anfall entronnen. Und seitdem bestand die Bedrohung weiter: Seine Arterien, seine Schlagäderchen seien zu eng, hatten mir die Ärzte gesagt. Jeden Morgen, wenn ich ihn wecken ging, vergewisserte ich mich schnell, dass er atmete. Ich war nicht wirklich beunruhigt; es war eher eine Wahnvorstellung, die aber etwas bedeutete. Sartres neue Beschwerden haben mich gezwungen, mir in dramatischer Weise eine Hinfälligkeit bewusstzumachen, von der ich im Grunde genau wusste.
Am nächsten Tag hatte Sartre sein Gleichgewicht annähernd wiedergefunden und hat seinen Hausarzt, Doktor Zaidmann, aufgesucht, der Untersuchungen anordnete und Sartre empfahl, sich bis zur Untersuchung durch einen Spezialisten am Sonntag darauf nicht anzustrengen. Dieser Spezialist, Professor Lebeau, hat sich nicht eindeutig äußern wollen: Die Gleichgewichtsstörungen konnten durch eine Störung im Innenohr oder im Gehirn verursacht sein. Auf seinen Vorschlag hin wurde ein Enzephalogramm gemacht, das keine Anomalie zeigte.
Sartre war erschöpft: Er hatte einen Abszess am Mund, und eine Grippe war im Anzug. Aber mit unbändiger Freude hat er Gallimard am 8. Oktober das voluminöse Manuskript des Flaubert übergeben.
Die Maoisten hatten für ihn eine Reise nach Fos-sur-Mer und in andere Industriezentren organisiert, damit er dort die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeiter studieren konnte. Am 15. Oktober haben seine Ärzte ihm die Reise untersagt. Außer Zaidmann hatte er Spezialisten aufgesucht, die seine Augen, Ohren, seinen Schädel und sein Gehirn untersucht hatten: nicht weniger als elf Arztbesuche. Sie hatten schwere Durchblutungsstörungen in der linken Gehirnhälfte (dem Sitz der Sprache) und eine Verengung der Blutgefäße festgestellt. Er sollte weniger rauchen und sich eine Reihe stärkender Spritzen geben lassen. In zwei Monaten sollte noch ein Enzephalogramm gemacht werden. Wahrscheinlich wäre er dann geheilt. Aber er durfte sich nicht überanstrengen, vor allem körperlich. Tatsächlich hatte er jetzt, wo der Flaubert fertig war, keinen Grund, sich anzustrengen. Er las Manuskripte, Kriminalromane und träumte vage von einem Theaterstück. In diesem Oktober schrieb er auch ein Vorwort für die Ausstellung von Rebeyrolle, der dieser den Titel Coexistences gegeben hatte. Wir liebten seine Bilder sehr. Er hatte zwei Tage mit uns in Rom verbracht und unsere größten Sympathien gewonnen. Als wir seine Frau kennenlernten, eine lebhafte und witzige kleine Armenierin, fanden wir auch sie sehr sympathisch. Wir sollten sie in den folgenden Jahren ziemlich häufig wiedersehen. Sie waren mit Franqui befreundet, dem Journalisten, der uns 1960 nach Kuba eingeladen hatte und der inzwischen ins Exil gegangen war, weil er in Opposition zu Castros prosowjetischer Politik stand.
Trotz seiner gesundheitlichen Beschwerden setzte Sartre seine politischen Aktivitäten fort. Zu der Zeit fand bei Simon Blumenthal, dem Drucker von La Cause du Peuple, die Aktion statt, über die ich in Alles in allem berichtet habe. Durch Geismar hatte Sartre Glucksmann kennengelernt: Sartre hat ihm ein Interview gegeben, in dem er die in La Cause du Peuple abgedruckte Analyse der Arbeiterkämpfe in Frankreich wiederaufnahm. (Dieses Gespräch wurde am 22. Oktober vom Hessischen Rundfunk gesendet.)
Am 21. Oktober fand der Prozess gegen Geismar statt. Bei dem Meeting, an dem er sich beteiligt hatte, um gegen die Verhaftung von Le Dantec und Le Bris zu protestieren, hatten die fünftausend Anwesenden gerufen: «Am 27. alle auf die Straße!» Mehrere Redner waren aufgetreten: Einzig Geismar war verhaftet worden, offensichtlich wegen seiner Zugehörigkeit zur G.P. Die Demonstration vom 27. war übrigens unblutig verlaufen: Die C.R.S.[8] hatte Tränengas eingesetzt, die Demonstranten hatten ein paar Schraubenbolzen geworfen, niemand war verletzt worden. Nichtsdestoweniger wurde ein drastischer Urteilsspruch erwartet. Sartre war als Zeuge vorgeladen. Aber anstatt vor der bürgerlichen Justiz die konventionelle Rolle zu spielen, die ihm zugewiesen war, zog er es vor, in Billancourt vor Arbeitern zu sprechen. Die Direktion erlaubte ihm nicht, die Fabrik zu betreten. Auf der anderen Seite hatte die KP um acht Uhr morgens ein Flugblatt verteilen lassen, das die Renault-Arbeiter vor ihm warnte. Er sprach draußen auf einer Tonne stehend durch ein Megaphon vor einem ziemlich kleinen Publikum: Ihr müsst sagen, ob die Aktion von Geismar gut ist oder nicht. Ich will auf der Straße aussagen, weil ich ein Intellektueller bin und weil ich denke, dass die Verbindung zwischen dem Volk und den Intellektuellen, die im 19. Jahrhundert bestand – nicht immer, die aber zu sehr guten Ergebnissen geführt hat –, heute wiederhergestellt werden sollte. Seit fünfzig Jahren sind das Volk und die Intellektuellen getrennt, sie müssen jetzt wieder eins werden.»
Sartres Gegner bemühten sich nach Kräften, seinen Auftritt lächerlich zu machen. Die KP hielt ihm entgegen, die Verbindung zwischen dem Volk und den Intellektuellen sei gesichert, da diese sich in großer Zahl in der Partei einschrieben. Indessen wurde Geismar zu achtzehn Monaten Haft verurteilt.
Sartre beteiligte sich an der Konzeption einer neuen Zeitung, J’accuse, deren Null-Nummer am 1. November erschien. Er stand dem Team, das sie herausgab, nahe, unter anderen Linhart, Glucksmann, Michèle Manceaux, Fromanger, Godard. Diese Zeitung wurde nicht von militanten Genossen redigiert, sondern veröffentlichte große Reportagen von Intellektuellen. Sartre schrieb einige Artikel für sie. Nur zwei Nummern folgten auf die erste: Die eine erschien am 15. Januar 1971, die andere am 15. März. Liliane Siegel war unter ihrem Mädchennamen Sendyk Herausgeberin. Sie blieb es, als J’accuse mit La Cause du Peuple fusionierte. Sie wurde also zusammen mit Sartre Mitherausgeberin von La Cause du Peuple – J’accuse. Und da die Regierung Sartre nicht verhaften wollte, war sie es, die sich zweimal auf der Anklagebank wiederfand, während Sartre zu ihren Gunsten aussagte.
Indessen machte seine Gesundheit mir weiter Sorgen. Wenn er langweilige Momente verbrachte – und er nahm allerhand Lästiges auf sich –, trank er zu viel. Abends und sogar tagsüber war er oft schläfrig. Professor Lebeau, den er am 5. November konsultierte, sagte, diese Schläfrigkeit käme von den Medikamenten, die ihm gegen seine Schwindelanfälle verschrieben worden waren, und verringerte die Dosen. Am 22. November wurde wieder ein Enzephalogramm gemacht, das ganz und gar zufriedenstellend ausfiel, und kurz darauf versicherte Lebeau Sartre, dass er vollständig geheilt sei, dass er nicht mehr als jeder andere von Schwindelanfällen bedroht sei. Er war froh darüber, aber eine Sorge blieb ihm: seine Zähne. Er sollte ein Gebiss bekommen und fürchtete sich davor, aus Angst, nicht mehr in der Öffentlichkeit reden zu können und aus naheliegenden symbolischen Gründen. Tatsächlich aber leistete der Zahnarzt ausgezeichnete Arbeit, und Sartre war wieder beruhigt.
Er hat sich über das Erscheinen des Buches von Contat und Rybalka Les Écrits de J.-P. Sartre gefreut. Er korrigierte die Fahnen von Der Idiot der Familie. Als er im Dezember dem Prozess gegen die Grubenleitung vorsaß, ging es ihm bestens.
In Alles in allem habe ich über diesen Prozess berichtet, aber da Sartre ihm viel Bedeutung beimaß, will ich hier darauf zurückkommen. Im Februar 1970 wurden in Hénin-Liétard bei einer Schlagwetterexplosion sechzehn Bergleute getötet und mehrere andere verletzt. Da die Verantwortung der Grubenleitung auf der Hand lag, warfen einige nicht identifizierte junge Leute zur Vergeltung Molotowcocktails in die Direktionsbüros und lösten einen Brand aus. Die Polizei verhaftete ohne die Spur eines Beweises vier Maoisten und zwei Vorbestrafte. Ihr Prozess sollte am Montag, dem 14. Dezember, stattfinden, und die Rote Hilfe berief für Sonnabend, den 12. Dezember, in Lens ein Volkstribunal ein.
Um diese Sitzung vorzubereiten, fuhr Sartre, begleitet von Liliane Siegel, zu einer Befragung der Bergleute nach Bruay, wo er bei einem ehemaligen Bergmann, einem den Maoisten sehr nahestehenden Genossen namens André wohnte. Dessen Frau Marie hatte zum Abendessen ein Kaninchen zubereitet, ein Gericht, das Sartre verabscheute, das er höflich aufgegessen und das ihm einen zweistündigen Asthmaanfall beschert hat. Am nächsten Tag hat er Joseph getroffen, einen älteren Genossen, der ebenfalls in der Gegend bekannt war, und andere Bergleute. Dann hat er im Außenbezirk von Douai mit July gesprochen, einem wichtigen Mitglied der Ex-G.P., den Sartre gern mochte, wenn ihm dessen Siegesgewissheit auch auf die Nerven ging. Er besuchte auch Eugénie Camphin, eine halbblinde alte Frau, Mutter und Ehefrau von Bergarbeitern, die der Résistance angehört hatten und von den Deutschen erschossen worden waren.
Der Prozess rollte also am 12. Dezember im Rathaus von Lens ab und brachte mit vernichtender Deutlichkeit die Verantwortung der Grubenleitung ans Licht. Sartre fasste die Verhandlung in einer nachdrücklichen Anklagerede zusammen, die er folgendermaßen schloss: «Ich schlage Ihnen folgende Ergebnisse vor: Der Staat als Arbeitgeber ist schuldig an dem Mord vom 4. Februar 1970. Die Direktion und die für Grube 6 verantwortlichen Ingenieure sind seine Vollstrecker. Folglich sind sie ebenfalls des vorsätzlichen Mordes schuldig. Sie entscheiden sich vorsätzlich lieber für die Ausbeute als für die Sicherheit, das heißt, sie stellen die Produktion von Sachen über Menschenleben.» Am darauffolgenden Montag fand der Prozess der angeblichen Brandstifter statt, und sie wurden freigesprochen.
Kurz zuvor hatte Sartre sich bereit erklärt, außer La Cause du Peuple zwei weitere gauchistische Zeitungen herauszugeben: Tout, das Organ von Vive la Révolution, und La Parole du Peuple.
Anfang Januar liefen in der UdSSR und in Spanien zwei Prozesse ab, die viel Aufsehen erregten: der Prozess von Leningrad und der von Burgos. Am 16. Dezember 1970 erschienen elf Sowjetbürger, ein Ukrainer, ein Russe, neun Juden, vor dem Leningrader Gericht. Sie hatten geplant, ein Flugzeug zu entführen, um ihr Land zu verlassen. Aber sie wurden verraten und in der Nacht vom 15. auf den 16. Juni, noch bevor sie zur Tat geschritten waren, in verschiedenen Städten verhaftet. Zwei von ihnen wurden zum Tode verurteilt: Kusnetzow, der das Komplott organisiert hatte, Dymschitz, ein Linienpilot, der die Bedienung des Flugzeugs übernehmen sollte, nachdem die Besatzung gefesselt und ausgebootet worden war. Sieben Angeklagte bekamen zwischen zehn und vierzehn Jahren Zwangsarbeit, zwei weitere vier und acht Jahre.[9] Am 14. Januar 1971 fand in Paris eine große Sympathiekundgebung für sie statt, an der Sartre teilnahm. Auch Laurent Schwarz, Madaule, unser israelischer Freund Eli Ben Gal waren dabei. Alle verurteilten den Antisemitismus der UdSSR.
Im Prozess von Burgos wurde gegen Basken verhandelt, die der ETA angehörten und von Franco der Verschwörung gegen den Staat beschuldigt wurden. Gisèle Halimi nahm als Beobachterin daran teil und berichtete in einem bei Gallimard veröffentlichten Buch darüber. Sie bat Sartre um ein Vorwort, das er sehr bereitwillig schrieb. Er erklärte die Problematik der Basken, schilderte ihren Kampf und insbesondere die Geschichte der ETA. Er entrüstete sich über die Repression des Franco-Regimes im Allgemeinen und im Besonderen über die Art und Weise, wie der Prozess von Burgos abgelaufen war. Bei dieser Gelegenheit entwickelte er an einem bestimmten Beispiel eine Idee, die ihm am Herzen lag: den Widerspruch zwischen einem abstrakten Allgemeinen – auf das die Regierungen sich berufen – und dem einzelnen und konkreten Allgemeinen, so wie es sich in den Völkern, gebildet aus Menschen von Fleisch und Blut, verkörpert. Das Letztere ist es, versicherte er, was die Revolten der Kolonisierten – von außen oder von innen – fördern wollen, und das Letztere ist gültig, denn es erfasst die Menschen in ihrer Situation, ihrer Kultur, ihrer Sprache und nicht als leere Definitionen.
Gegen den zentralistischen und abstrakten Sozialismus pries Sartre «einen anderen Sozialismus, dezentralistisch und konkret: So ist die einzelne Allgemeinheit der Basken, die die ETA