Philosophische Werke
Leitgedanken zur Urbesinnung. Zürich 1935; Freiburg 1989, 2009
Das Ewige im Vergänglichen. Weilheim 1970; München 1984
Von der inneren Einheit der Religionen. Interlaken 1981; Freiburg 2007
Den Islam verstehen. München 1988, 1991, 2002. Freiburg 1993
Schätze des Buddhismus. Norderstedt 2007
Esoterik als Grundsatz und als Weg. Hamburg 2012
Gedichte
Sulamith. Bern 1947
Tage- und Nächtebuch. Bern 1947
Glück. Freiburg 1997
Leben. Freiburg 1997
Liebe. Freiburg 1997
Sinn. Freiburg 1997
Perlen des Pilgers. Düsseldorf 2000
Sinngedichte. Bd. 1 – 10. Sottens 2001 – 2005
Frithjof Schuon
Metaphysik und Esoterik
im Überblick
Übersetzt, mit Anmerkungen und einem Glossar versehen von
Wolf Burbat
WEISHEIT DER WELT
© World Wisdom Books
Titel der französischen Originale: Sur les Traces de la Religion Pérenne, Le Courrier du Livre, Paris 1982
und
Résume de Metaphysique Intégrale, Le Courrier du Livre, Paris 1985
»Substanz – Subjekt und Objekt« aus Forme et substance dans les religions, L’Harmattan, Paris 1975
»Leidenschaft und Stolz« aus L‘œil du cœur, L’Âge d’Homme, Paris 1995
Aus dem Französischen übersetzt, mit Anmerkungen und einem Glossar versehen von Wolf Burbat
Umschlagbild: Die heilige Silbe Om
WEISHEIT DER WELT ist das deutschsprachige Imprint von
World Wisdom, Inc.,
P.O. Box 2682, Bloomington, Indiana 47402-2682
www.worldwisdom.com
Verlag: tredition GmbH
ISBN: 978-3-8491-1694-1
www.tredition.de
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Inhalt
Vorbemerkung des Übersetzers
Vorwort zu Sur les traces de la religion pérenne
Vorwort zu Résumé de métaphysique intégrale
Einführung: Erkenntnistheoretische Voraussetzungen
WELT DER GRUNDSÄTZE
Grundzüge der Metaphysik
Dimensionen, Modi und Stufen der göttlichen Ordnung
Substanz: Subjekt und Objekt
Die Schöpfung als göttliche Eigenschaft
Die onto-kosmologische Kette
Dimensionen der Allmacht
Allgemeine Eschatologie
WELT DER ÜBERLIEFERUNG
Das Mysterium des hypostatischen Antlitzes
Bemerkungen über Grundformen der Religion
Zwei Arten der Esoterik
Risse in der Welt des Glaubens
Konfessionelle Spekulation: Absichten und Sackgassen
Rätsel und Botschaft einer Esoterik
Klippen in der Sprache des Glaubens
Die unwiderlegbare Religion
WELT DER SEELE
Die Doppeldeutigkeit des Gefühls
Die Hochstapelei des Psychologismus
Die Anonymität der Tugenden
Leidenschaft und Stolz
Prüfungen und Glück
Zusammenfassung und Schluss
ANHANG
Skizze zur allgemeinen Eschatologie
Anmerkungen des Übersetzers
Glossar
Index
Frithjof Schuon
Wir freuen uns, mit diesem Buch die zweite einer Reihe von geplanten Übersetzungen von Werken Frithjof Schuons in deutscher Sprache vorlegen zu können. Der in Deutschland noch weithin unbekannte Schuon (1907–1998) wird in weiten Teilen der Welt als einer der bedeutendsten religionsphilosophischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts angesehen. Er besaß einen außerordentlichen Überblick über die religiösen Überlieferungen der Menschheit, konnte die Vielfalt der Erscheinungen bis in ihre Tiefe durchdringen und seine Erkenntnisse in meisterhafter, oft dichterischer Sprache ausdrücken. Er gilt als führender Vertreter jener Denkrichtung, die Sophia perennis, Philosophia perennis oder Religio perennis – also immerwährende Weisheit, immerwährende Philosophie oder immerwährende Religion – genannt wird, und die die zeitlosen und überall gültigen Grundsätze enthält, die den verschieden Lehren, den Sinnbildern, der heiligen Kunst und den geistigen Übungen der Weltreligionen zugrunde liegen.
Das vorliegende Werk richtet sich in der Zusammenstellung und im Aufbau an dem amerikanischen Buch Survey of Metaphysics and Esoterism aus, das 1986 und 2000 bei World Wisdom Books erschien und seinerseits im Wesentlichen auf die französischen Originalwerke Sur les traces de la religion pérenne (Paris 1982) und Résumé de métaphysique intégrale (Paris 1985) zurückgeht; das Kapitel »Substanz – Subjekt und Objekt« entstammt dem Buch Forme et substance dans les religions (Paris 1975) und »Leidenschaft und Stolz« entstammt dem Buch L‘œil du cœur (Paris 1950, 1974 und 1995).
Der Begriff der Esoterik, um den es in diesem Buch geht, hat sich seit dem Erscheinen der ersten französischen Auflage 1978 sehr gewandelt und verwässert. Schuons Esoterikbegriff schließt an den ursprünglichen Wortsinn an (von griechisch »nach innen zu«), dem zufolge die Esoterik die Innenseite oder der Kern einer geoffenbarten Religion ist, deren Außenseite oder Hülle die Exoterik ist. Wie spannungsvoll das Verhältnis von Esoterik und Exoterik im Einzelfall auch sein mag, eine »freischwebende« Esoterik, die ohne Bezug zu einer geoffenbarten Religion oder sogar eine Ersatzreligion ist, liegt nicht im Sinne des Autors, entsprechend dem Christuswort: »Ihr sollt nicht wähnen, dass ich gekommen bin, das Gesetz oder die Propheten aufzulösen; ich bin nicht gekommen aufzulösen, sondern zu erfüllen« (Mt 5,17).
Für das richtige Verständnis dieses Buches ist es wichtig, Schlüsselworte in ihrem ursprünglichen Sinn zu verstehen und nicht so, wie er sich im Laufe der Zeit verändert hat. Als weiteres Beispiel möge der Begriff »Intellekt« dienen, der in Schuons Denken eine bedeutsame Rolle einnimmt. Im modernen Sprachgebrauch sind Intellekt und Verstand gleichbedeutend. Demgegenüber unterscheidet der Verfasser – im Gefolge von Denkern wie Platon, Plotin und Meister Eckhart – das verstandesmäßige, sich durch gedankliche Schlüsse vollziehende Erkennen von der sich in »geistiger Schau« vollziehenden intellektuellen oder – wie es manchmal heißt – »reingeistigen« Erkenntnis: »Die beschauliche Kraft, die Empfänglichkeit dem ungeschaffenen Licht gegenüber, das Öffnen des Auges des Herzens, all das unterscheidet das übernatürliche Erkenntnisvermögen vom Verstand. Dieser erkennt das Allgemeine und schreitet mit gedanklichen Schritten voran, während der Intellekt das Grundsätzliche – das Metaphysische – erkennt und intuitiv fortschreitet.«1 Gern führt der Autor den folgenden, Meister Eckhart zugesprochenen Satz an: Aliquid est in anima quod est increatum et increabile … et hoc est Intellectus. (»Es ist etwas in der Seele, was unerschaffen und unerschaffbar ist … und das ist der Intellekt.«) Bedeutsam ist hier, dass der Intellekt als göttlich angesehen wird, er ist überpersönlich und überrational; er gehört nicht dem einzelnen Menschen, vielmehr hat dieser grundsätzlich Zugang zu ihm.
Metaphysik ist für Schuon kein Teilgebiet der Philosophie, sondern die Wissenschaft vom Absoluten, vom wahren Wesen der Dinge. Während sich die Philosophie im modernen Sinne dieses Wortes des individuellen, schlussfolgernden Verstandesdenkens bedient, vollzieht sich die metaphysische Erkenntnis durch den überpersönlichen und überrationalen Intellekt.
Obwohl Deutsch seine erste Muttersprache war, hat Schuon seine metaphysischen Werke auf Französisch verfasst, einer Sprache, die sich aufgrund ihres lateinischen Ursprungs und ihres unzweideutigen Wortschatzes hierfür besonders gut eignete. Schuon liebte die deutsche Sprache sehr und bestand darauf, sie weitgehend von Fremdwörtern freizuhalten. Dem haben wir in der vorliegenden Übersetzung Rechnung zu tragen versucht; so wird der Leser einige mittlerweile selten gewordene Wörter wie »Geistigkeit« statt »Spiritualität«, »Anblick« oder »Gesichtspunkt« statt »Aspekt«, »Sammlung« statt »Konzentration« und dergleichen mehr finden. Als Muster hat uns hierbei Schuons eigene Übertragung seines ersten Hauptwerkes De l’unité transcendante des religions (1948) ins Deutsche gedient.2
Andererseits war es unumgänglich, eine Reihe von Fremdwörtern zu benutzen, seien es philosophische Fachausdrücke oder Begriffe aus einer Vielzahl von Überlieferungen; diese Begriffe aus dem Sanskrit, dem Griechischen, dem Lateinischen und dem Arabischen wurden in einem Glossar im Anhang des Buches zusammengestellt, übersetzt und erklärt.
Weiterhin haben wir im Anhang nach Seitenzahl geordnete »Anmerkungen des Übersetzers« zusammengestellt, in denen im Text auftretende Anspielungen auf überlieferte theologische Lehren, wichtige Philosophen oder geistige Meister sowie heilige Schriften der Weltreligionen erläutert werden.
Schließlich ist eine handschriftliche Skizze des Autors zur »allgemeinen Eschatologie« beigefügt.
1 Gnosis: Divine Wisdom. A New Translation with Selected Letters. Bloomington 2006, S. 36.
2 Deutsch: Von der inneren Einheit der Religionen. Freiburg i. Br. 2007.
In unserem gesamten Werk haben wir die Religio perennis behandelt, ausdrücklich oder stillschweigend und in Verbindung mit den verschiedenen Religionen, die sie einerseits verhüllen und andererseits durchscheinen lassen; und wir glauben, einen ausgewogenen und hinreichenden Einblick in diese ursprüngliche und allumfassende Sophia gegeben zu haben, auch wenn wir uns nur unregelmäßig und von Fall zu Fall auf sie bezogen haben. Die Sophia perennis ist aber ganz offensichtlich unerschöpflich und hat keine natürlichen Grenzen, selbst in einer systematischen Darstellung wie dem Vedânta. Diese Art von Systems ist im Übrigen weder ein Vorteil noch ein Nachteil; es kann, je nach dem Inhalt, das eine oder das andere sein; die Wahrheit ist schön in all ihren Formen. Tatsächlich gibt es keine große Lehre, die nicht ein System wäre, und keine, die sich ausschließlich in systematischer Weise ausdrücken würde.
Da es unmöglich ist, all das erschöpfend zu behandeln, was sich für den sprachlichen Ausdruck eignet, und da eine Wiederholung auf dem Gebiet der Metaphysik nicht schaden kann – es ist besser, zu klar zu sein als nicht klar genug –, haben wir geglaubt, auf unsere Lehrsätze immer wieder zurückkommen zu können, sei es um Dinge vorzubringen, die wir noch nicht gesagt haben, sei es, um auf uns nützlich erscheinende neue Weise Dinge darzulegen, über die wir schon gesprochen haben. Wenn das definitionsgemäß abstrakte Ausgangsmaterial einer Lehre zwangsläufig mehr oder weniger begrenzt ist – das ist gerade die Definition eines Systems, da die formalen Elemente eines regelmäßigen Kristalls nicht zahllos sein können –, sieht es ganz anders aus mit den Veranschaulichungen oder den Anwendungen, die unbegrenzt sind und deren Aufgabe es ist, das besser begreifbar zu machen, was auf den ersten Blick nicht anschaulich genug zu sein scheint.
Noch eine Bemerkung, diesmal eine mehr oder weniger persönlicher Art: Wir wuchsen zu einer Zeit auf, in der man noch, ohne aufgrund seiner Einfalt erröten zu müssen, sagen konnte, dass zwei und zwei vier ist; in der die Worte noch eine Bedeutung hatten und sagen wollten, was sie sagen wollen; in der man sich nach den Gesetzen der einfachsten Logik oder nach dem gesunden Menschenverstand richten konnte, ohne dass man Psychologie oder Biologie oder die sogenannte Soziologie durchlaufen musste und so weiter; kurz, in der es in der geistigen Ausrüstung der Menschen noch Bezugspunkte gab. Wir wollen damit sagen, dass unsere Art zu denken und unsere Dialektik bewusst altmodisch sind; und wir wissen im Voraus, denn das ist allzu offenkundig, dass der Leser, an den wir uns wenden, uns dafür dankbar sein wird.
Eine Übersicht über die Metaphysik zu verfassen ist entweder eine Herkulesarbeit oder ein Kinderspiel. Denn man kann entweder versuchen, jegliches Kausalitätsbedürfnis und alle gedanklichen Feinheiten zufriedenzustellen oder sich, im Gegenteil, an eine schematische Darstellung halten, indem man auf den Leser, seine unmittelbare geistige Einsicht und seinen guten Willen vertraut. In Wirklichkeit aber kann man sich weder der einen noch der anderen Vorgehensweise entziehen; man muss also einen Mittelweg finden, und gebe Gott, dass es uns gelingen möge.
Im Übrigen besteht, wie wir immer wieder gesagt haben, der Grund einer Lehre nicht darin, mit Worten eine umfassende Erkenntnis zu liefern, sondern lediglich darin, Anhaltspunkte anzubieten, die es einem gestatten können, mit Hilfe des Himmels zu dieser Erkenntnis, oder vielmehr zu ihren wesentlichen Grundlagen, zu gelangen. Und es sei besonders den Verstandesmenschen und Zweiflern Folgendes ins Gedächtnis gerufen: Ein Gedanke ist nicht wahr, weil man ihn beweisen kann, sondern man kann ihn beweisen, weil er wahr ist; allerdings ist es nur möglich, ihn denjenigen zu beweisen, in deren eigenem unsterblichen Wesen er Widerhall findet. Denn das Übersinnliche erkennen heißt, sich an etwas erinnern, das man der altbekannten platonischen Lehre gemäß in sich selbst trägt.
Wie dem auch sei, man kann sich mit gutem Recht fragen, welchen Nutzen ein neuer Text habe, der Dinge zusammenfasst, die in mehreren Büchern des gleichen Verfassers schon gesagt worden sind; denn es geht nicht darum, »den Kranken durch zu viele Arzneien umzubringen.« Die Antwort darauf ist die, dass allein schon das Bedürfnis, eine solche Zusammenfassung zu schreiben, auf ihre Berechtigung hindeutet. Das heißt: Die metaphysischen Wahrheiten werden ausgedrückt, um angeeignet – und nicht nur gedacht – zu werden, und in diesem Interesse und in diesem Bestreben sind Formulierungen angebracht, die zwar nicht in jeder Hinsicht neuartig sein müssen – was übrigens unmöglich wäre –, die aber dennoch neue Schlüssel zu vertiefter Aneignung bieten. Es liegt nun am Leser einzuschätzen, wie zweckmäßig diese Anhalts- und Bezugspunkte für ihn sind.
Ungeachtet seines – zwangsläufig unzureichenden – Titels handelt dieses Buch nicht nur von Metaphysik, es schneidet auch Themen an, die der menschlichen, geistigen und überlieferungsmäßigen Welt entstammen, wie dies bei all unseren vorhergehenden Arbeiten der Fall war. Dies ist notwendigerweise so, weil der Daseinsgrund der Lehren der Mensch ist und es bei der Beschäftigung mit Wahrheiten und sprachlichen Ausdrucksformen nur folgerichtig ist, auch die Gefäße zu betrachten, für die sie bestimmt sind.
Manch einer hat geglaubt, das Vermögen der Sprache, die metaphysischen Wirklichkeiten angemessen auszudrücken, in Zweifel ziehen zu können; für die einen ist die Sprache durch die irdische Umwelt und durch die Beschränkungen der menschlichen Individualität eingegrenzt, während für die anderen das Denken durch die Bedingtheiten der Grammatik begrenzt und abgewertet ist. Wir fragen: Ist nun der Mensch zur transzendenten Erkenntnis fähig oder ist er es nicht? Und wir antworten: Er ist definitionsgemäß dazu fähig, was mit anderen Worten heißt: Ohne diese Fähigkeit wäre er nicht Mensch; ein der metaphysischen Erkenntnis unfähiger Mensch wäre seines zureichenden Grundes beraubt. Und wenn der Mensch zu dieser Erkenntnis fähig ist, muss seine Sprache ipso facto dazu fähig sein, sie auszudrücken; tatsächlich umfasst die menschliche Sprache eine sinnbildliche und eine begriffliche Ausdrucksform, wobei die erste der Sprache als solcher eigen ist und die zweite einer Sprache, die zum Zwecke der spekulativen Unterscheidung gebildet worden ist. Wie der Mensch, so seine Sprache.
Der Ausdruck Philosophia perennis, der in der Renaissance aufgetaucht ist, und von dem die Neuscholastik ausgiebigen Gebrauch gemacht hat, bezeichnet die Wissenschaft von den grundlegenden und allgemeinen ontologischen Grundsätzen; eine Wissenschaft, die unwandelbar ist wie diese Grundsätze selbst und ursprünglich aufgrund der Tatsache ihrer Allgemeinheit und ihrer Unfehlbarkeit. Wir würden gerne den Ausdruck Sophia perennis verwenden, um darauf hinzuweisen, dass es sich nicht um »Philosophie« im üblichen und annähernden Sinne des Wortes handelt – der an einfache denkerische Konstruktionen denken lässt, entstanden aus Unwissenheit, aus Zweifel und aus Vermutungen, ja sogar aus Gefallen an der Neuheit und der Originalität –, oder wir könnten auch den Ausdruck Religio perennis benutzen und uns dabei dann auf die methodische Seite dieser Weisheit beziehen, auf ihren mystischen oder einweihungsmäßigen Anblick also.1 Und um an diesen Anblick zu erinnern und um darauf hinzuweisen, dass die allheitliche und ursprüngliche Weisheit den Menschen ganz verpflichtet, haben wir für unser Buch den Titel »Religio perennis« gewählt; auch, um darauf hinzuweisen, dass diese metaphysische Religio das Wesentliche jeder Religion enthält, und dass man diese kennen muss, wenn man das zugleich menschliche und göttliche Mysterium des religiösen Phänomens erklären will. Nun ist die Erklärung dieses »übernatürlich natürlichen« Phänomens sicherlich eine der dringendsten Aufgaben unserer Zeit.
Spricht man von Lehre, denkt man zuerst, und das mit Recht, an einen Fächer zueinander passender Begriffe; aber man muss auch den erkenntnistheoretischen Gesichtspunkt des betrachteten Lehrgebäudes berücksichtigen, und diese Dimension, die auch ein Teil der Lehre ist, wollen wir hier zur Einführung untersuchen.
Es ist wichtig, sich von vornherein klarzumachen, dass es Wahrheiten gibt, die dem menschlichen Geist innewohnen, die aber nach Lage der Dinge gleichsam in der »Tiefe des Herzens« begraben sind, das heißt, dass sie als Möglichkeiten oder als verborgene Kraft im reinen Geist vorhanden sind: Dies sind die Grund- und Urwahrheiten, diejenigen, welche auf alle anderen vorausweisen und sie bedingen. Sie sind dem »Gnostiker«, dem »Pneumatiker«, dem »Theosophen« – in der echten und ursprünglichen Bedeutung dieser Begriffe – intuitiv und unfehlbar zugänglich, und sie sind folglich auch dem »Philosophen«, gemäß der wörtlichen und unverdorbenen Bedeutung des Wortes, zugänglich: einem Pythagoras oder einem Platon und teilweise sogar einem Aristoteles, trotz seiner veräußerlichenden und ansatzweise wissenschaftsgläubigen Betrachtungsweise.
Und dies ist von größter Bedeutung: Gäbe es keinen reinen Geist – die intuitive und unfehlbare Fähigkeit des immanenten göttlichen Geistes –, dann gäbe es auch keine Vernunft, denn das Wunder des schlussfolgernden Denkens kann nur durch das Wunder der unmittelbaren Geistesschau erklärt und begründet werden. Tiere haben keine Vernunft, weil sie unfähig sind, sich das Unbedingte vorzustellen. Mit anderen Worten: Wenn der Mensch den Verstand und damit auch die Sprache besitzt, dann einzig und allein deshalb, weil er grundsätzlich Zugang zur übervernünftigen Sicht auf das Wirkliche und folglich zur metaphysischen Gewissheit hat. Das Erkenntnisvermögen des Tieres ist unvollständig, das des Menschen vollständig; und diese Vollständigkeit erklärt sich nur durch eine transzendente Wirklichkeit, auf die das Erkenntnisvermögen zugeschnitten ist.
Der entscheidende Irrtum des Materialismus und des Agnostizismus besteht demnach darin, die Tatsache zu übersehen, dass die materiellen Dinge und unsere alltäglichen Erfahrungen weit unter der Reichweite unseres Erkenntnisvermögens bleiben. Hätten die Materialisten Recht, dann wäre dieses Erkenntnisvermögen ein unerklärlicher Luxus; ohne das Unbedingte hätte die Fähigkeit, es zu begreifen, keinen Grund. Die Wahrheit des Unbedingten stimmt mit der Substanz unseres Geistes überein; die verschiedenen Religionen rufen objektiv das wach, was in unserer tiefsten Subjektivität enthalten ist. Die Offenbarung ist für den Makrokosmos das, was unmittelbare Geistesschau für den Mikrokosmos ist; das Transzendente ist der Welt immanent, andernfalls die Welt nicht existieren könnte, und das Immanente ist transzendent in Bezug auf den Einzelnen, andernfalls es ihn nicht übersteigen würde.
Was wir gerade über die Reichweite des menschlichen Erkenntnisvermögens gesagt haben, gilt auch für den Willen, in dem Sinne, dass der freie Wille die Transzendenz seines wesentlichen Zieles beweist, für das der Mensch geschaffen ist und wodurch der Mensch Mensch ist; der menschliche Wille ist auf Gott zugeschnitten, und nur in Gott und durch ihn ist er ganz frei. Man könnte etwas Entsprechendes über die menschliche Seele sagen: Unsere Seele beweist Gott, weil sie auf die göttliche Natur zugeschnitten ist, und zwar durch Mitgefühl, selbstlose Liebe, Großmut und damit letztlich durch Objektivität oder durch die Fähigkeit, aus unserer Subjektivität herauszutreten und uns infolgedessen zu übersteigen; genau das charakterisiert das Erkenntnisvermögen und den Willen des Menschen. Und in diesen Grundlagen der menschlichen Natur – Abbild der göttlichen Natur – ist die Religio perennis und damit jede Religion und jede Weisheit verwurzelt.
»Unterscheiden« heißt »Trennen«: das Wirkliche vom Trügerischen trennen, das Unbedingte vom Bedingten, das Notwendige vom bloß Möglichen, Âtmâ von Mâyâ. Mit der Unterscheidung ist, ergänzend und wirkend, die »Ansammlung« verbunden, die »vereint«; sie besteht – ausgehend von der irdischen und menschlichen Mâyâ – aus dem vollen Bewusstwerden von Âtmâ, das gleichzeitig unbedingt, unendlich und vollkommen ist; ohne Gleiches, ohne Grenze und ohne Mangel. Nach bestimmten Kirchenvätern »wurde Gott Mensch, auf dass der Mensch Gott werde«; eine kühne und elliptische Formel, die wir in vedantischer Ausdrucksweise umschreiben wollen, indem wir sagen, das Wirkliche wurde trügerisch, auf dass das Trügerische wirklich werde; Âtmâ wurde Mâyâ, auf dass Mâyâ Âtmâ verwirkliche. Das Unbedingte strahlt in seiner überfließenden Fülle die Bedingtheit aus und spiegelt sich in ihr, in einem Spiel der Wechselseitigkeit, aus dem es als Sieger hervorgehen wird, es, das allein ist.
Es gibt im All das Erkannte und den Erkennenden; in Âtmâ sind beide Pole vereint, der eine ist untrennbar mit dem anderen verbunden, während diese Einheit in Mâyâ in Subjekt und Objekt aufgespalten ist. Je nach Standpunkt oder Anblick ist Âtmâ entweder das unbedingte »Bewusstsein« – der allheitliche »Zeuge«, das reine »Subjekt« – oder das unbedingte »Sein«, die »Substanz«, das reine und transzendente »Objekt«; es ist erkennbar als »Wirklichkeit«, aber es ist auch das immanente »Erkennende« all seiner eigenen Möglichkeiten, zunächst der hypostatischen und dann der daseinsmäßigen und der kundgegebenen.
Und für den Menschen ist Folgendes von entscheidender Bedeutung: Erkenntnis des Ganzen verlangt vom Menschen die Ganzheit der Erkenntnis. Sie verlangt über unser Denken hinaus unser ganzes Sein, denn das Denken ist nur ein Teil, nicht das Ganze; dies deutet auf das Ziel jeglichen geistigen Lebens hin. Wer das Unbedingte begreift – oder wer an Gott glaubt –, kann nicht de jure bei dieser Erkenntnis oder bei diesem Glauben stehen bleiben, ist doch beides nur durch Denken zustande gekommen; er muss vielmehr alles, was er ist, in seine Zustimmung zum Wirklichen einbeziehen, wie es dessen Unbedingtheit und Unendlichkeit eben verlangen. Der Mensch muss »das werden, was er ist«, weil er »das werden muss, was ist«; »die Seele ist alles, was sie erkennt«, sagt Aristoteles.
Überdies ist der Mensch nicht nur ein denkendes Wesen, er ist auch ein wollendes Wesen, das heißt, dass die Ganzheit des Erkenntnisvermögens die Willensfreiheit mit einschließt. Diese Freiheit wäre ohne ein im Unbedingten vorgeformtes Ziel sinnlos; ohne unser Wissen um Gott und ohne unser letztes Endziel wäre sie weder möglich noch sinnvoll.
Der Mensch besteht aus Denken, Willen und Liebe: Er kann das Wahre oder das Falsche denken, er kann das Gute oder das Böse wollen, er kann das Schöne oder das Hässliche lieben.2 Nun verlangt das Denken des Wahren – oder die Erkenntnis des Wirklichen – einerseits das Wollen des Guten und andererseits das Lieben des Schönen, also Tugend, denn Tugend ist nichts anderes als Schönheit der Seele; deshalb haben die Griechen, die Ästheten wie auch Denker waren, die Tugend zur Philosophie gezählt. Ohne Schönheit der Seele ist alles Wollen unfruchtbar, es ist engherzig und verschließt sich der Gnade; und ähnlich gilt: Ohne Willensanstrengung bleibt alles geistige Denken letztlich oberflächlich und unwirksam und führt zur Anmaßung. Die Tugend deckt sich mit einer der Wahrheit angemessenen – oder ihr entsprechenden – Feinfühligkeit, und deshalb erhebt sich die Seele des Weisen über die Dinge und damit über sich selbst, wenn man so sagen darf; daher die Selbstlosigkeit, die edle Gesinnung und die Hochherzigkeit großer Seelen. Es ist ganz klar: Das Bewusstsein metaphysischer Grundsätze kann nicht mit moralischer Kleinkariertheit, mit Ehrgeiz und Heuchelei Hand in Hand gehen: »Seid vollkommen, wie euer Vater im Himmel vollkommen ist.«
Es gibt etwas, was der Mensch erkennen und denken muss; und etwas, was er wollen und tun muss; und etwas, was er lieben und sein muss. Er muss erkennen, dass Gott das notwendige Sein ist, was sich daher selbst genügt; dass es das ist, was nicht nicht sein kann, während die Welt nur möglich ist, sie sein kann oder auch nicht; alle anderen Unterscheidungen und Bewertungen leiten sich von dieser Grundunterscheidung ab. Darüber hinaus muss der Mensch wollen, was ihn unmittelbar oder mittelbar näher zu Gott bringt, während er sich dessen enthält, was ihn in gleicher Hinsicht von Gott entfernt; dabei ist der Hauptinhalt dieses Wollens das Gebet, die Antwort auf Gott, zu dem die metaphysische Besinnung ebenso gehört wie die mystische Sammlung. Schließlich muss der Mensch »in Gott« das lieben, was die göttliche Schönheit bezeugt und allgemeiner, alles, was der Natur Gottes entspricht; er muss das Gute lieben, das heißt das Richtmaß in allen möglichen Formen; und da das Richtmaß notwendigerweise die Grenzen des Ich übersteigt, muss der Mensch auf das Übersteigen seiner Grenzen ausgerichtet sein. Es ist notwendig, das Richtmaß oder das Urbild mehr zu lieben als deren Widerspiegelungen, also mehr als das kontingente Ich; und diese Selbsterkenntnis und diese uneigennützige Liebe sind es, welche jedweden Adel der Seele begründen.
Es gibt eine Frage, die, zu Recht oder zu Unrecht, schon immer gestellt worden ist: Sind metaphysische Wahrheiten notwendig erklärbar, oder gibt es nicht zumindest geheimnisvolle Sachverhalte, die nur durch ein Paradox oder sogar nur auf sinnwidrige Weise ausgedrückt werden können? Man hat allzu oft dieses Argument vorgebracht, um Schwachstellen in theologischen Lehren zu verbergen, deren subjektive Unvollkommenheiten objektiviert worden sind: Da man nicht in der Lage ist, bestimmte Rätsel zu lösen, erklärt man, »der menschliche Geist« sei hierzu nicht fähig, und man gibt in erster Linie der Logik die Schuld, sei es der »aristotelischen« oder einer anderen, als wäre diese gleichbedeutend mit Rationalismus, mit Zweifel und mit Unwissenheit.
Auf der Ebene der natürlichen Dinge genügt es, die notwendigen Daten zur Verfügung zu haben und dann korrekt Schlussfolgerungen zu ziehen; dieselben Bedingungen gelten auf der Ebene der übernatürlichen Dinge mit dem Unterschied, dass das Objekt des Denkens dann das Eingreifen der Geistesschau erfordert, die von innen erleuchtet; denn wenn natürliche Dinge eine gewisse vom verstandesmäßigen Denken als solchem unabhängige Intuition benötigen können, dann benötigen übernatürliche Dinge a fortiori eine solche Intuition höherer Ordnung, weil sie sich nicht in Reichweite der Sinne befinden. Wie wir mehr als einmal gesagt haben, benötigt die Vernunft Ausgangsmaterial zu ihrer Arbeit, sonst operiert sie im Leeren: Dieses Ausgangsmaterial wird erstens von der Welt geliefert, die an sich objektiv ist; zweitens, und in Verbindung mit dem vorherigen Element, von der Erfahrung, die als solche subjektiv ist; drittens von der Offenbarung, die wie die Welt objektiv ist, denn sie kommt von außen auf uns zu; und viertens von der unmittelbaren Geistesschau, die subjektiv ist, da sie aus uns selbst kommt.
Da eins zum andern führt, glauben wir das Recht zu haben, an dieser Stelle die folgende Bemerkung einzufügen: Wie jeglicher Relativismus, so widerspricht sich auch der Existentialismus; als großer Gegenspieler des Rationalismus – zumindest bildet er sich das ein – möchte er die Erfahrung an die Stelle des Denkens setzen, ohne sich im geringsten Gedanken darüber zu machen, warum es Denken gibt oder warum die Erfahrung gepriesen werden kann, ohne dabei das Denken in Anspruch zu nehmen. Es ist gerade die Erfahrung, die zeigt, dass Denken etwas Wirksames ist, sonst würde niemand denken; und es ist gerade das Vorhandensein des Denkens, das zeigt, dass diese Fähigkeit ein Objekt haben muss. Die Tiere machen viele Erfahrungen, aber sie denken nicht; dagegen kann sich der Mensch durch Denken viele Erfahrungen ersparen. Der Wunsch, das Denken durch die Erfahrung zu ersetzen, könnte auf der praktischen Ebene und auf verhältnismäßige Weise noch sinnvoll sein; dies aber auf der geistigen und spekulativen Ebene zu tun, wie es die Empiriker und die Existentialisten wollen, ist buchstäblich verrückt. Für den niedrig gesinnten Menschen ist nur das Beiläufige wirklich, und er versucht mit seiner Methode, die Grundsätze auf die Ebene der Beiläufigkeiten herabzusetzen, wenn er sie nicht ganz einfach leugnet.
Diese Einstellung des Shûdra ist in die christliche Theologie eingesickert und hat dort seine wohlbekannten Verheerungen angerichtet.3
Doch kehren wir nach dieser Zwischenbemerkung zurück zu den Fragen der geistigen Erkenntnistheorie. Zweifellos hat die Logik ihre Grenzen, aber sie ist die Erste, die dieser Feststellung zustimmt, sonst wäre sie eben nicht logisch; die Grenzen der Logik hängen jedoch von der Natur der Dinge und nicht von einem konfessionellen Erlass ab. Die Grenzenlosigkeit von Raum und Zeit erscheint sinnwidrig, insofern die Logik sie nicht konkret und erschöpfend erklären kann; es ist jedoch vollkommen logisch festzustellen, dass es diese doppelte Grenzenlosigkeit gibt. Und keine Logik verbietet uns, sicher zu wissen, dass sich dieses Phänomen aus der Unendlichkeit des Urgrundes ergibt, ein Geheimnis, das unser Denken nicht erforschen kann und das sich eben durch das Entfalten des Raumes und durch die Veränderung in der Zeit oder auch durch die Grenzenlosigkeit der Zahlen kundtut. Ganz ähnlich kann die Einzigartigkeit des Ich – die Tatsache, dieses Ich und kein anderes zu sein und der Einzige zu sein, der dieses »selbst« ist –, nicht logisch erklärt werden, und doch ist die Logik vollkommen dazu in der Lage, dies auf abstrakte Weise mithilfe der Grundsätze des Notwendigen und des Möglichen auszudrücken und damit die Klippe der Sinnwidrigkeit zu umschiffen.4
Fraglos enthalten die heiligen Schriften Widersprüche; die überlieferungstreuen Kommentare erklären diese, nicht indem sie der Logik das Recht, sie zu festzustellen und unser Kausalitätsbedürfnis zufrieden zu stellen, bestritten, sondern indem sie nach den zugrunde liegenden Zusammenhängen forschen, welche die scheinbare Ungereimtheit beseitigen, die in Wirklichkeit eine Ellipse ist.
Wenn die Weisheit Christi »Torheit in den Augen der Welt« ist, dann deshalb, weil die »Welt« dem »Reich Gottes in euch« entgegensteht und aus keinem anderen Grunde; sicherlich nicht, weil sie Anspruch auf ein geheimnisvolles Recht auf Unsinn erheben würde, quod absit.5 Die Weisheit Christi ist »Torheit«, weil sie nicht der veräußerlichenden, gleichzeitig zerstreuenden und verhärtenden Verderbnis schmeichelt, die den Menschen der Begehrlichkeit, der Sünde und des Irrtums kennzeichnet; genau diese Verderbnis ist es, welche die »Welt« ausmacht; diese Verderbnis mit ihrer unstillbaren wissenschaftlichen und philosophischen Neugierde, welche die Sünde von Adam und Eva endlos fortsetzt und sie in unendlich verschiedenen Formen wiederholt.6
Wenn man auf der Ebene der religiösen Auseinandersetzungen einseitig für sich ein heiliges Recht auf Unlogik beansprucht und der elementaren Logik des Gegners einen luziferischen Makel zuspricht, all dies im Namen einer sogenannten überlogischen, aber in Wirklichkeit objektiv nicht nachprüfbaren »Pneumatologie« –, dann ist ein solcher Anspruch, so sagen wir, ganz offensichtlich unzulässig, denn er ist nichts anderes als ein undurchsichtiges Selbstgespräch und gleichzeitig auch ein zweischneidiges Schwert, eben wegen seines Subjektivismus; jeglicher Dialog wird unmöglich, was zudem den Gesprächspartner davon entbindet sich zu bekehren, denn der Mensch ist einer Botschaft gegenüber, die vorgibt, sich den Gesetzen des menschlichen Denkens zu entziehen, zu nichts verpflichtet. Auf der anderen Seite liefert die bloße Tatsache einer subjektiven Erfahrung niemals ein stichhaltiges lehrmäßiges Argument; ist die Erfahrung einwandfrei, kann sie sich immer auf eine befriedigende oder wenigstens hinlängliche Weise ausdrücken.7
Die metaphysische Wahrheit ist ausdrückbar und zugleich nicht ausdrückbar; nicht ausdrückbar, aber nicht unerkennbar, denn der Geist mündet in die göttliche Ordnung ein und umfasst daher alles, was ist; und ausdrückbar, denn sie kristallisiert sich in Formulierungen aus, die alles sind, was sie sein müssen, da sie alles für unseren Geist Notwendige und Nützliche übermitteln. Die Formen sind Türen zum Wesentlichen, im Denken und in der Sprache genauso wie in jeder anderen Sinnbildlichkeit.
1 Wir möchten bei dieser Gelegenheit ausdrücklich sagen, dass wir nichts gegen den Ausdruck »Philosophie« haben, denn die Alten haben ihn auf jegliche echte Weisheit angewandt; aber nach Lage der Dinge hat der Rationalismus in all seinen Formen – einschließlich dessen, was wir »Infrarationalismus« nennen könnten – diesem Begriff eine eingeschränkte Bedeutung gegeben, sodass man nie weiß, welche Tragweite man ihm einräumen kann; wenn Plotin ein Philosoph ist, kann Descartes keiner sein – ausgenommen von einem ganz äußerlichen Standpunkt der Literaturgattung aus – und umgekehrt.
2 Hier ist vielleicht trotz ihrer Offensichtlichkeit eine feine Unterscheidung erforderlich: Man liebt einen Menschen guten Willens trotz seiner Hässlichkeit, dies aber augenscheinlich aufgrund seiner inneren Schönheit; und diese Schönheit ist unsterblich, während äußere Hässlichkeit vergeht. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass äußere Schönheit, selbst in Verbindung mit innerer Hässlichkeit, Schönheit als solche bezeugt, die von himmlischer Natur ist und in keiner ihrer Erscheinungsformen verschmäht werden darf. Die Verunglimpfung körperlicher Schönheit durch viele Asketen mag in Hinblick auf menschliche Schwächen zweckdienlich sein, ist aber trotzdem, aus einem tieferen Blickwinkel gesehen, unangemessen und gottlos.
3 Manche modernistische Theologen gestehen die Existenz eines Gottes bereitwillig zu – man findet ein paar Gründe dafür –, aber man möchte ihn »vorläufig« und nicht »unwiderruflich« rechtfertigen, wobei sie natürlich die endgültigen Formulierungen der Scholastiker ablehnen; dabei ist auf dieser Ebene die Wahrheit entweder endgültig oder sie ist nicht. Eine Art der Erkenntnis, die uns jetzt nicht die Wahrheit liefern kann, wird das nie schaffen.
4 Subjektivität als solche hat teil am notwendigen Sein, weil das Unbedingte reines Bewusstsein ist; die Bedingtheit – und damit die Kundgabe und die Verschiedenartigkeit – der Subjektivität ist ebenfalls notwendig, und zwar aufgrund der göttlichen Ausstrahlung, die sich aus dem Unendlichen ergibt. Das heißt, dass eine bestimmte Subjektivität eine Möglichkeit darstellt; ihr Ursprung untersteht dem Unbedingten; und ihre Eigentümlichkeit ergibt sich aus der Verhältnismäßigkeit oder der Bedingtheit. Aber es wäre sinnwidrig zu fragen, warum »ich« es bin, der »ich« ist, und die Logik leidet nicht im Geringsten darunter.
5 Der folgende Widerspruch sei als Beispiel angeführt: Der Bibel zufolge entrückte Gott den Henoch zu sich, und Elias fuhr mit einem Feuerwagen auf zum Himmel; aber dem katholischen Glaubensbekenntnis zufolge stieg Christus »hinab in die Hölle«, um alle Menschen, die vor ihm gelebt hatten, mit in den Himmel zu nehmen einschließlich Henoch und Elias, die zu jener Zeit auch »unten« waren, obgleich Gott sie »nach oben« gebracht hatte. All dies nur, um zu sagen, dass es keine Erlösung gibt, es sei denn durch den göttlichen Logos; aber da dieser Logos in Wirklichkeit überzeitlich ist, handelt er unabhängig von der Geschichte, was ihn natürlich nicht daran hindert, sich in menschlicher Gestalt und damit in der Geschichte zu offenbaren. Merken wir in diesem Zusammenhang an, dass die Kirchenväter beim Sprechen über »Abrahams Schoß« so klug waren hinzuzufügen: »was auch immer dieses Wort bedeuten mag.«
6 Es ist sehr seltsam, dass die Kirche diese Verderbnis nur auf der dogmatischen und moralischen Ebene erkennt; diese Verblendung hat etwas Vorsehungshaftes an sich in dem Sinne, dass »Ärgernisse kommen müssen«.
7 Wir sprechen hier von der Lehre und damit von Begriffsbildung, nicht vom Mysterium. Selbstverständlich kann nicht jede mystische Erfahrung in Worte übersetzt werden, aber kein echter Mystiker würde auch nur im Traum eine einfache Erfahrung in ein ausdrücklich lehrhaftes Argument verwandeln; andernfalls wären lehrhafte Formulierungen, und damit die Sprache, unnötig.
WELT DER GRUNDSÄTZE
Wir wollen hier einen Überblick über die metaphysische Lehre vorlegen. Um zur Sache zu kommen, müssen wir – wieder einmal – von dem Gedanken ausgehen, dass die höchste Wirklichkeit unbedingt und als solche unendlich ist. Unbedingt ist das, was weder eine Mehrung noch eine Minderung, weder eine Wiederholung noch eine Teilung zulässt, also das, was gleichzeitig ausschließlich es selbst und ganz es selbst ist. Und unendlich ist das, was durch keine Grenze festgelegt ist; es ist zuallererst das Urvermögen oder die Möglichkeit an sich, und dann, ipso facto, die Möglichkeit der Dinge, also die keimhaft vorhandene Möglichkeit. Ohne die Allmöglichkeit gäbe es weder einen Schöpfer noch eine Schöpfung, weder Mâyâ noch Samsâra.
Das Unendliche ist sozusagen die innerliche Dimension der Fülle, die dem Unbedingten eignet; wer unbedingt sagt, sagt unendlich; das eine ist ohne das andere nicht vorstellbar. Wir können das Verhältnis zwischen diesen beiden Anblicken der höchsten Wirklichkeit durch folgende Bilder versinnbildlichen: Im Raum ist das Unbedingte der Punkt und das Unendliche die Ausdehnung; in der Zeit ist das Unbedingte der Augenblick und das Unendliche die Dauer; auf der stofflichen Ebene ist das Unbedingte der Äther – der allem zugrunde liegende und allgegenwärtige Urstoff –, während das Unendliche die unbegrenzte Folge der Stoffe ist; im Bereich der Form ist das Unbedingte die Kugel – die einfache und vollkommene Urform –, und das Unendliche ist die unbegrenzte Reihe der mehr oder weniger vielschichtigen Formen; auf der Ebene der Zahl schließlich wird das Unbedingte die Einheit oder die Einzigkeit sein, und das Unendliche die endlose Folge der Zahlen oder der möglichen Mengen oder die Gesamtheit.
Die Unterscheidung zwischen dem Unbedingten und dem Unendlichen bringt die beiden grundlegenden Anblicke der Wirklichkeit zum Ausdruck: die der Wesenhaftigkeit und die der Möglichkeit; darin liegt die höchste Urform der männlich-weiblichen Gegensätzlichkeit. Aus dem zweiten Anblick, dem Unendlichen – das mit der Allmöglichkeit zusammenfällt –, entspringt die allheitliche Ausstrahlung, somit die zugleich göttliche und kosmische Mâyâ.
Das »Höchste Gut« ist die Erstursache, insofern sie sich in Erscheinungen offenbart, die wir eben »Güter« nennen; das heißt, das Wirkliche und das Gute fallen zusammen. Es sind nämlich die bejahenden Erscheinungen, die von der höchsten Wirklichkeit zeugen, nicht die verneinenden, entziehenden oder zersetzenden Erscheinungen, welche das Nichts bekunden würden, »wenn es bestünde«, und die es in einer gewissen mittelbaren und widersprüchlichen Beziehung auch sind, insofern als das Nichts einem Ziel entspricht, das nicht zu verwirklichen ist, aber dennoch zur Verwirklichung drängt. Das Übel ist die »Möglichkeit des Unmöglichen«, ohne die das Unendliche nicht das Unendliche wäre; sich zu fragen, warum die Allmöglichkeit die Möglichkeit ihrer eigenen Verneinung enthält – eine immer wieder aufs Neue sich anbahnende, aber nie ganz verwirklichte Möglichkeit –, läuft auf die Frage hinaus, warum das Dasein das Dasein ist, oder warum das Sein das Sein ist.
Wenn wir daher den Höchsten Urgrund das Gute nennen, das Agathón, oder wenn wir sagen, das Höchste Gut sei das Unbedingte, und mithin das Unendliche, so nicht deswegen, weil wir auf widersprüchliche Art das Wirkliche begrenzen, sondern weil wir wissen, dass alles Gute ihm entstammt, es seinem Wesen nach kundgibt und folglich seine Natur offenbart. Man kann sicherlich sagen, die Gottheit sei »jenseits von Gut und Böse«, aber nur, wenn man hinzufügt, dass dieses »jenseits« auf seine Weise in dem Sinne ein »Gut« ist, als es von einer göttlichen Wesenheit zeugt, in der es nicht den Schatten einer Beschränkung oder eines Mangels geben kann, und die demzufolge nichts anderes als das unbedingte Gut oder die unbedingte Fülle sein kann; solche Gedanken sind vielleicht schwierig in Worte zu fassen, aber es ist nicht unmöglich, sie zu begreifen.
Die Mannigfaltigkeit der in der Welt kundgegebenen Güter hat ihre Quelle offenkundig in einer ursätzlichen und urbildhaften Mannigfaltigkeit, deren Wurzel sich im Höchsten Urgrund selbst befindet; dabei handelt es sich nicht nur um die göttlichen Eigenschaften, aus denen unsere Tugenden stammen, sondern auch – in anderer Hinsicht – um Anblicke der göttlichen Person, aus der unsere Fähigkeiten stammen; wir werden weiter unten darauf zurückkommen.
Immer noch in Verbindung mit der Spiegelung der Anblicke oder der Erscheinungsweisen des Höchsten Gutes ist auch die Beziehung der Transzendenz und der Immanenz zu berücksichtigen, wobei Erstere eher mit dem Anblick des Unbedingten zusammenhängt, Letztere mit dem des Unendlichen. In der ersten Beziehung ist Gott allein das Gute; er allein besitzt zum Beispiel die Eigenschaft der Schönheit; im Hinblick auf die göttliche Schönheit ist die Schönheit eines Geschöpfs nichts, wie das Dasein selbst nichts ist neben dem göttlichen Sein; das ist die Betrachtungsweise der Transzendenz. Die der Immanenz geht ebenfalls vom Grundsatz aus, dass Gott allein Eigenschaften und Wirklichkeit besitzt; aber sie zieht daraus auf bejahende und teilhabende Art und Weise den Schluss, dass die Schönheit eines Geschöpfs – indem es an der Schönheit teilhat und nicht an ihrem Gegenteil – notwendigerweise die Schönheit Gottes ist, da es keine andere gibt; das Gleiche gilt für alle anderen wertvollen Eigenschaften, ohne auf ihrem Grund das Wunder des Daseins zu übersehen. Die Betrachtungsweise der Immanenz macht nicht – wie die der Transzendenz – die geschöpflichen Eigenschaften zunichte, im Gegenteil, sie vergöttlicht sie, wenn man sich so ausdrücken darf.
All unsere vorangegangenen Betrachtungen werfen die Frage nach dem »Warum« der allheitlichen Kundgebung auf, und dann, in Abhängigkeit von dieser Frage, das Problem des Bösen. Um die Frage zu beantworten, warum es Bedingtheit, also Mâyâ und folglich Kundgebung gibt, beziehen wir uns zunächst auf einen Gedanken des heiligen Augustinus, den wir schon mehrmals erwähnt haben, dass es nämlich in der Natur des Guten liegt, sich mitteilen zu wollen: Wer Gut sagt, sagt Ausstrahlung, Widerspiegelung, Entfaltung, Selbstschenkung. Wer aber Ausstrahlung sagt, sagt gleichzeitig Entfernung, also Entfremdung oder Verarmung; die Strahlen der Sonne schwächen sich ab und verlieren sich in der Nacht des Raumes. Von daher rührt am Ende des Lichtstrahls die widersinnige Erscheinung des Bösen, das nichtsdestoweniger die bejahende Aufgabe hat, das Gute a contrario hervortreten zu lassen und so auf seine Weise zum Gleichgewicht in der Erscheinungswelt beizutragen.
Hier ist eine Bemerkung hinsichtlich der unterschiedlichen Auffassung zwischen der arischen oder griechischhinduistischen Vorstellung der »allheitlichen Kundgebung« und der semitischen oder monotheistischen Vorstellung der »Schöpfung« geboten. Die erste Vorstellung bezieht sich auf die Welt, insofern sie sich aus einer seinsmäßigen Notwendigkeit ergibt, nämlich derjenigen der Ausstrahlung oder eben der Mitteilung des Guten; mit anderen Worten entsteht die Mâyâ aus der Unendlichkeit des Höchsten Urgrunds; und wer von Mâyâ spricht, spricht auch von Samsâra, der Welt der »Seelenwanderung«. Was die semitische Vorstellung der Schöpfung betrifft, so bezieht sie sich auf die Welt, die nicht in ihrer Vollständigkeit betrachtet wird, sondern in ihrer Beschränkung auf einen einzigen kosmischen Kreislauf und als Auswirkung einer einzigen »freien« Tat Gottes.
In Wirklichkeit ist die Schöpfung, der wir angehören, ein Kreislauf der allheitlichen Kundgebung, wobei diese aus einer endlosen Anzahl von Kreisläufen zusammengesetzt ist, die »notwendig« hinsichtlich ihres Daseins, aber »frei« hinsichtlich ihrer Eigenart sind. Das All ist ein Gewebe aus Notwendigkeit und Freiheit, aus mathematischer Strenge und musikalischem Spiel; jede Erscheinung hat an diesen beiden Grundsätzen teil.
Die erste Unterscheidung, die in einer vollständigen Lehre gemacht werden muss, ist diejenige zwischen dem Unbedingten und dem Bedingten, oder zwischen dem Unendlichen und dem Endlichen; zwischen Âtmâ und Mâyâ. Der erste Begriff drückt a priori die eine und einzige Wesenheit aus, die »Gottheit« im Sinne Meister Eckharts, das Über-Sein; der »persönliche Gott« fällt bereits in den Bereich der Mâyâ, deren »verhältnismäßig unbedingter« Gipfel er ist, und er umfasst in einem gewissen Sinne das ganze Reich der Bedingtheit bis zur äußersten Grenze der welterzeugenden Ausstrahlung.
Die zweite »qualitative« und »absteigende« Unterscheidung, die getroffen werden muss, ist diejenige zwischen dem Urgrund und der Kundgebung, Gott und der Welt. Der Urgrund enthält das Unbedingte und seine Widerspiegelung in der Bedingtheit, nämlich das Sein oder den persönlichen Gott; es ist der Unterschied zwischen dem »reinen Unbedingten« und dem »verhältnismäßig Unbedingten«, wobei Letzteres verhältnismäßig ist in Hinblick auf das Unbedingte als solches und unbedingt in Hinblick auf die Welt. Die Kundgebung erstreckt sich von der zentralen Widerspiegelung des Urgrunds – dem Logos, der himmlischen, engelhaften und avatârischen Welt – bis zu der am Rand, unterhalb des Himmels gelegenen, rein »natürlichen« und samsârischen Welt.
Eine dritte zusammenfassende Unterscheidung, die zu machen ist, ist die von »Himmel« und »Erde«, wobei das letztere Wort in einem sinnbildlichen oder analogen Sinne verstanden werden muss: Die himmlische Ordnung umfasst einerseits die beiden »Stufen« des Urgrunds selbst, nämlich das »reine Unbedingte« und das von der Verhältnismäßigkeit gefärbte Unbedingte, und andererseits den in der Mitte des Kosmos kundgegebenen Urgrund, den Logos; während die »irdische« Ordnung – ob es sich nun um unsere Erde oder um andere ähnliche Welten handelt, die uns zwangsläufig unbekannt bleiben – die rein »natürliche« Welt ist, die wir weiter oben erwähnt haben.
Eine vierte grundlegende Unterscheidung stellt den Logos in den Mittelpunkt: Einerseits befindet er sich unterhalb des reinen Unbedingten und oberhalb der »natürlichen« und »gewöhnlichen« Welt, andererseits verbindet er das »Himmlische« und das »Irdische« – oder das »Göttliche« und das »Menschliche« –, indem er den bereits verhältnismäßigen Bereich des Urgrunds und die Kundgebung dieses Urgrunds in der Weltmitte umfasst. Der Logos ist das »ungeschaffene Wort«; er ist »wahrer Mensch und wahrer Gott«.
All dies besagt, dass das All vier grundlegende Stufen enthält: den Urgrund an sich, der »reines Unbedingtes« ist; den Urgrund, der bereits zur Mâyâ gehört, und welcher der schöpferische, gesetzgebende und heilbringende Gott ist; den Urgrund, der sich in der geschaffenen Ordnung widerspiegelt, welcher die »himmlische« Ordnung und auch der Avatâra ist; und die am Rande gelegene Schöpfung, die rein »waagerecht« und »natürlich« ist. Mit anderen Worten: erstens der Urgrund an sich, zweitens die Vorgestaltung der Kundgebung im Urgrund, drittens die Ausstrahlung des Urgrundes in die Kundgebung und viertens die Kundgebung an sich. Die Grenzlinie wird also der Blickrichtung entsprechend an unterschiedlicher Stelle oder Stufe gezogen.
ÂtmâMâyâGunas