Tagebucheintrag vom 17. März 1919; A. S., Tagebuch 1917–1919, hrsg. von W. Welzig [u. a.], Wien 1985, S. 239.
Tagebucheintrag vom 12. Oktober 1921; A. S., Tagebuch 1920–1922, hrsg. von W. Welzig [u. a.], Wien 1993, S. 238.
Vgl. A. S., Tagebuch 1903–1908, hrsg. von W. Welzig [u. a.], Wien 1991, S. 283.
Auf Zitate aus dem vorangestellten Text der Novelle verweisen hier und im Folgenden die Seitenangaben in runden Klammern.
Vgl. Hartmut Scheible, Arthur Schnitzler und die Aufklärung, München 1977, S. 70.
Zum Vergleich zwischen Traumnovelle und Hirtenflöte vgl. Hans Joachim Schrimpf, »Arthur Schnitzlers ›Traumnovelle‹« (s. Forschungslit.), bes. S. 190–192.
Vgl. Michaela L. Perlmann, Der Traum in der literarischen Moderne. Untersuchungen zum Werk Arthur Schnitzlers, München 1987, S. 191.
Zum Vergleich zwischen Traumnovelle und Zwischenspiel vgl. Hartmut Scheible, Arthur Schnitzler, Reinbek 1976, S. 121 ff.
Allgemein zur »quasi-therapeutischen Funktion« des Schreibens für Schnitzler vgl. Heide Tarnowski-Seidel, Arthur Schnitzler: ›Flucht in die Finsternis‹. Eine produktionsästhetische Untersuchung, München 1983, bes. S. 15 ff.
Vgl. A. S., Aphorismen und Betrachtungen, Frankfurt a. M. 1967, S. 455.
Vgl. A. S., »Über Psychoanalyse«, in: Protokolle 2, 1976, S. 283. Ähnlich skeptisch beurteilt Schnitzler Freuds hohe Bewertung der frühkindlichen Sexualität, die Verallgemeinerung des Ödipuskomplexes und den Entwurf einer Traumsymbolik mit allgemeingültigem Anspruch. Für eine detaillierte Rekonstruktion von Schnitzlers Psychologie vgl. Horst Thomé, Autonomes Ich und ›Inneres Ausland‹ (s. Forschungslit.). Zur vielfach untersuchten Beziehung zwischen Schnitzler und Freud vgl. Michael Rohrwasser, »Einmal noch: Psychoanalyse«, in: Arthur Schnitzler im zwanzigsten Jahrhundert, hrsg. von K. Fliedl, Wien 2003, S. 67–91.
Zu Albertines Erzählweise im Einzelnen vgl. Michael Scheffel, Formen selbstreflexiven Erzählens, Tübingen 1997, S. 184 ff.; zu ihrem vielfach analysierten Traum vgl. ebd. (mit weiterführenden Literaturhinweisen).
Zum Problem einer genauen Datierung der erzählten Handlung vgl. weiter unten. Im Blick auf die Jahrhundertwendegesellschaft schildert Stefan Zweig anschaulich die Verlogenheit einer »gesellschaftlichen Moral«, die davon ausging, »daß ein weibliches Wesen keinerlei körperliches Verlangen habe, solange es nicht vom Manne geweckt werde, was aber selbstverständlich nur in der Ehe erlaubt war«. Vgl. S. Z., »Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers«, in: S. Z., Gesammelte Werke in Einzelbänden, Bd. 6, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1982, S. 86–113, hier S. 97.
Dem Gestus männlicher Überlegenheit in dieser Situation entspricht, dass Fridolin für sich selbst – trotz seiner »Jünglingserlebnisse« (11) – durchaus die Sicherheit in der Wahl des Partners beansprucht, die er Albertine ausdrücklich abspricht (vgl. 13).
Zur Behandlung der Innensicht und allgemein dem Problem der medialen Transformation im Rahmen von Stanley Kubricks Verfilmung der Erzählung vgl. Christian Ruschels Dissertation (s. Forschungslit.).
Fridolin unterstellt »Schein und Lüge« zunächst nur Albertine und macht sich nicht bewusst, dass auch zu seiner sozialen Existenz das ›Komödienspiel‹ gehört. So bemerkt er z. B. im Verlauf des nächtlichen Maskenballs: »Was kann es Ihnen, meine unbekannten Herren, bedeuten, ob Sie diese Faschingskomödie […] zu Ende spielen oder nicht. Wer immer Sie sein mögen, meine Herren, Sie führen in jedem Fall noch eine andere Existenz als diese. Ich aber spiele keinerlei Komödie, auch nicht hier, […]« (52).
In den einzelnen Abenteuern spielt Fridolin jeweils mehrere der genannten Rollen, doch sind die Akzente unterschiedlich gesetzt. Gegenüber der Tochter des verstorbenen Hofrats versucht er sich als Verführer, gegenüber der minderjährigen Tochter Gibisers als Retter, auf dem Maskenfest der heimlichen Gesellschaft ausdrücklich als »Ritter« und gegenüber Albertine als Ehebrecher aus Kalkül.
Vgl. Klara Blum, »Artur [sic!] Schnitzler, ein Pionier des Frauenrechts«, in: Arbeiter-Zeitung, 22. November 1931. Nachdr. in: K. B., Kommentierte Auswahledition, hrsg. von Z. Yang, Wien [u. a.] 2001, S. 446 f., hier S. 447.
Schnitzler hat die Idee der Typisierung erst im Verlauf des Arbeitsprozesses konsequent umgesetzt und ursprünglich für das Kind (ebenso wie für das »Fräulein«) einen Eigennamen vorgesehen. Vgl. A. S., Posthumus Papers, File 144, Cambridge Univ. Library, »Traumnovelle«, Ordner CXLII, Arthur Schnitzler Archiv Freiburg, Blatt 15 ff.
Dass die erzählte Geschichte in einer »Niemalszeit« spielt, die »zugleich vor und nach dem Ende der Doppelmonarchie liegt«, belegt Hilde Spiel, »Im Abgrund der Triebwelt […]« (s. Forschungslit.), hier S. 130.
Am Ende beider Nächte findet sich ein eindeutiges Indiz für die – aus fiktionsinterner Sicht – Realität des Erlebten: Kurz nachdem Fridolin auf freiem Feld ausgesetzt worden ist, fragt er sich, ob er nicht in Fieberträumen »in diesem Augenblick […] daheim zu Bett« liege, reißt die Augen »so weit auf als möglich«, fühlt nach seinem Puls und stellt fest: »Kaum beschleunigt. Alles in Ordnung. Er war völlig wach.« (57) In der zweiten Nacht entdeckt Fridolin just in dem Augenblick, da er die Wirklichkeit seiner Abenteuer erneut bezweifelt, auf seinem Kopfkissen als untrüglichen Beweis die Maske, die er in der Nacht zuvor getragen hatte (vgl. 95).
Vgl. z. B. Ernst Jandl, Die Novellen Arthur Schnitzlers, Phil. Diss. masch., Wien 1950, S. 141 f.
Fridolin z. B. weiß genau, dass er sich für den Besuch des Festes der geheimen Gesellschaft ein Mönchskostüm besorgen muss, obwohl sein Studienfreund Nachtigall in dem vorausgehenden Gespräch nur ganz allgemein von einem Maskenfest gesprochen hat (vgl. 35). Und wider alle psychologische Wahrscheinlichkeit fällt dem als penibler Geschäftsmann geschilderten Maskenverleiher Gibiser nicht auf, dass Fridolin ihm am nächsten Tag nur das geliehene Kostüm, nicht aber die dazu gehörende Maske wiederbringt (vgl. 69).
Vgl. Schnitzlers Skizze vom 20. Juni 1907, Posthumus Papers (s. Anm. 19), Blatt 3.
Vgl. 55.
Vgl. 44 ff. und 75.
Vgl. 75. Anders als ursprünglich vorgesehen (vgl. Posthumus Papers, s. Anm. 19, Blatt 12), wird die dritte Warnung in der endgültigen Fassung nur angekündigt, aber nicht verwirklicht.
Vgl. 38.
Vgl. 61.
In einem handschriftlichen Nachtrag (?) oben auf der ersten Seite des »20. 6. 1907« datierten Typoskripts heißt es u. a.: »Wenn Doppelgeschichte, müßte ein Gespräch vorausgehen, über Treue […] immer auch ein Märchen […].« Eine Seite später ist die endgültige Fassung der Eingangsszene schon im Kern entworfen: »Die Eltern und das Kind bei Tische. Die Kleine liest ein Märchen vor. Du sollst schlafen gehen. Ja, wenn die Prinzen wie im Märchen wären. Anspielungen im Märchen. Das Kind geht schlafen. Erinnerungen der Eltern. Erinnerst du dich, wie du am Fenster standest? Ich glaube, wenn du Mut gehabt hättest – […].« Vgl. Posthumus Papers (s. Anm. 19), Blatt 3 f.
Vgl. Volker Klotz, »Erzählen als Enttöten. Vorläufige Notizen zu ›zyklischem‹, ›instrumentalem‹ und ›praktischem‹ Erzählen«, in: Erzählforschung, hrsg. von E. Lämmert, Stuttgart 1982, S. 319–334, hier S. 334. Zur Funktion des Erzählens in Tausendundeine Nacht vgl. Mia Irene Gerhardt, The Art of Story-Telling. A literary Study of the Thousand and one Nights, Leiden 1963.
In Littmanns Übersetzung tragen die Söhne des Kamar ez-Zamân die Namen »el-Malik el Amdschad« und »el-Malik el-As’ad«. Vgl. Die Erzählungen aus den Tausendundeinen Nächten, vollst. dt. Ausg. in 12 Teilbdn., übertr. von E. Littmann, Frankfurt a. M. 1976, Bd. 2,2, S. 477 ff.
Vgl. Tagebucheintrag vom 15. November 1894: »Nm Loris und Richard da; auch genachtmahlt. – Gespräch über das Amgiad Assad Motiv (Loris will Stück machen) […].« In: A. S., Tagebuch 1893–1902, hrsg. von W. Welzig [u. a.], Wien 1989, S. 100. Zu Hofmannsthals »1893(?)« und »Dezember 1894« datierter Skizze seiner Version der »Geschichte von den Prinzen Amgiad und Assad« vgl. H.v.H., »Amgiad und Assad«, in: H.v.H., Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, veranst. vom Freien Deutschen Hochstift, hrsg. von O. Burger [u. a.], Bd. 29: Erzählungen 2. Aus dem Nachlass, hrsg. von E. Ritter, Frankfurt a. M. 1978, S. 37–43. Möglicherweise verdankt Schnitzler der hofmannsthalschen Version des Stoffes auch wesentliche Anregungen für die Gestaltung von Albertines Traum. Fast alle der von Hofmannsthal genannten Motive (vgl. ebd., S. 42) finden sich dort wieder.
In Tausendundeine Nacht sind die beiden Söhne des Kamar ez-Zamân nur Halbbrüder. Dafür ist das Prinzip der genauen Symmetrie der jeweiligen Erlebnisse im ersten Teil der Geschichte streng durchgehalten. Auch den Motiven der Trennung, der Irrfahrt eines der beiden Protagonisten und des Sichwiederfindens begegnet man hier. Vgl. Die Erzählungen aus den Tausendundeinen Nächten (s. Anm. 32), Bd. 2,2, S. 477 ff.
Vgl. Hofmannsthal, »Amgiad und Assad« (s. Anm. 33), S. 37.
Vgl. Scheible, Arthur Schnitzler (s. Anm. 8), S. 124.
Vgl. Hugo von Hofmannsthal – Arthur Schnitzler, Briefwechsel, hrsg. von T. Nickl und H. Schnitzler, Frankfurt a. M. 1964, S. 63 f.
H.v.H., Sämtliche Werke. Kritische Ausgabe, veranst. vom Freien Deutschen Hochstift, hrsg. von O. Burger [u. a.], Bd. 28: Erzählungen 1, hrsg. von E. Ritter, Frankfurt a. M. 1975, S. 208.
Vgl. Klaus Mann, Tagebücher 1936–1937, hrsg. von J. Heimannsberg [u. a.], München 1990, S. 91.
Zum Vergleich der drei Texte vgl. Stefan Scherer, Richard Beer-Hofmann und die Wiener Moderne, Tübingen 1993, S. 424 ff.
Vgl. Hofmannsthal, »Amgiad und Assad« (s. Anm. 33), S. 42.
Schnitzler, Aphorismen und Betrachtungen (s. Anm. 10), S. 26.
Vgl. Tagebucheintrag vom 23. Dezember 1917; Schnitzler, Tagebuch 1917–1919 (s. Anm. 1), S. 100.
Vgl. Spiel, »Im Abgrund der Triebwelt […]« (s. Forschungslit.).
»Vierundzwanzig braune Sklaven ruderten die prächtige Galeere, die den Prinzen Amgiad zu dem Palast des Kalifen bringen sollte. Der Prinz aber, in seinen Purpurmantel gehüllt, lag allein auf dem Verdeck unter dem dunkelblauen, sternbesäten Nachthimmel, und sein Blick –«
Bis hierher hatte die Kleine laut gelesen; jetzt, beinahe plötzlich, fielen ihr die Augen zu. Die Eltern sahen einander lächelnd an, Fridolin beugte sich zu ihr nieder, küßte sie auf das blonde Haar und klappte das Buch zu, das auf dem noch nicht abgeräumten Tische lag. Das Kind sah auf wie ertappt.
»Neun Uhr«, sagte der Vater, »es ist Zeit schlafen zu gehen.« Und da sich nun auch Albertine zu dem Kind herabgebeugt hatte, trafen sich die Hände der Eltern auf der geliebten Stirn, und mit zärtlichem Lächeln, das nun nicht mehr dem Kinde allein galt, begegneten sich ihre Blicke. Das Fräulein trat ein, mahnte die Kleine, den Eltern gute Nacht zu sagen; gehorsam erhob sie sich, reichte Vater und Mutter die Lippen zum Kuß und ließ sich von dem Fräulein ruhig aus dem Zimmer führen. Fridolin und Albertine aber, nun allein geblieben unter dem rötlichen Schein der Hängelampe, hatten es mit einemmal eilig, ihre vor dem Abendessen begonnene Unterhaltung über die Erlebnisse auf der gestrigen Redoute wiederaufzunehmen.
Es war in diesem Jahre ihr erstes Ballfest gewesen, an dem sie gerade noch vor Karnevalschluß teilzunehmen sich entschlossen hatten. Was Fridolin betraf, so war er gleich beim Eintritt in den Saal wie ein mit Ungeduld erwarteter [6]Freund von zwei roten Dominos begrüßt worden, über deren Person er sich nicht klar zu werden vermochte, obzwar sie über allerlei Geschichten aus seiner Studenten- und Spitalzeit auffallend genauen Bescheid wußten. Aus der Loge, in die sie ihn mit verheißungsvoller Freundlichkeit geladen, hatten sie sich mit dem Versprechen entfernt, sehr bald, und zwar unmaskiert, zurückzukommen, waren aber so lange fortgeblieben, daß er, ungeduldig geworden, vorzog, sich ins Parterre zu begeben, wo er den beiden fragwürdigen Erscheinungen wieder zu begegnen hoffte. So angestrengt er auch umherspähte, nirgends vermochte er sie zu erblicken; statt ihrer aber hing sich unversehens ein anderes weibliches Wesen in seinen Arm: seine Gattin, die sich eben jäh einem Unbekannten entzogen, dessen melancholisch-blasiertes Wesen und fremdländischer, anscheinend polnischer Akzent sie anfangs bestrickt, der sie aber plötzlich durch ein unerwartet hingeworfenes, häßlich-freches Wort verletzt, ja erschreckt hatte. Und so saßen Mann und Frau, im Grunde froh, einem enttäuschend banalen Maskenspiel entronnen zu sein, bald wie zwei Liebende, unter andern verliebten Paaren, im Büfettraum bei Austern und Champagner, plauderten sich vergnügt, als hätten sie eben erst Bekanntschaft miteinander geschlossen, in eine Komödie der Galanterie, des Widerstandes, der Verführung und des Gewährens hinein; und nach einer raschen Wagenfahrt durch die weiße Winternacht sanken sie einander daheim zu einem schon lange Zeit nicht mehr so heiß erlebten Liebesglück in die Arme. Ein grauer Morgen weckte sie allzubald. Den Gatten forderte sein Beruf schon in früher Stunde an die Betten seiner Kranken; Hausfrau- und Mutterpflichten ließen Albertine kaum länger ruhen. So waren die Stunden nüchtern und vorbestimmt in Alltagspflicht und Arbeit hingegangen, die vergangene Nacht, Anfang wie Ende, war verblaßt; und jetzt erst, da beider Tagewerk [7]vollendet, das Kind schlafen gegangen und von nirgendher eine Störung zu gewärtigen war, stiegen die Schattengestalten von der Redoute, der melancholische Unbekannte und die roten Dominos, wieder zur Wirklichkeit empor; und jene unbeträchtlichen Erlebnisse waren mit einemmal vom trügerischen Scheine versäumter Möglichkeiten zauberhaft und schmerzlich umflossen. Harmlose und doch lauernde Fragen, verschmitzte, doppeldeutige Antworten wechselten hin und her; keinem von beiden entging, daß der andere es an der letzten Aufrichtigkeit fehlen ließ, und so fühlten sich beide zu gelinder Rache aufgelegt. Sie übertrieben das Maß der Anziehung, das von ihren unbekannten Redoutenpartnern auf sie ausgestrahlt hätte, spotteten der eifersüchtigen Regungen, die der andere merken ließ, und leugneten ihre eigenen weg. Doch aus dem leichten Geplauder über die nichtigen Abenteuer der verflossenen Nacht gerieten sie in ein ernsteres Gespräch über jene verborgenen, kaum geahnten Wünsche, die auch in die klarste und reinste Seele trübe und gefährliche Wirbel zu reißen vermögen, und sie redeten von den geheimen Bezirken, nach denen sie kaum Sehnsucht verspürten und wohin der unfaßbare Wind des Schicksals sie doch einmal, und wär’s auch nur im Traum, verschlagen könnte. Denn so völlig sie einander in Gefühl und Sinnen angehörten, sie wußten, daß gestern nicht zum erstenmal ein Hauch von Abenteuer, Freiheit und Gefahr sie angerührt; bang, selbstquälerisch, in unlauterer Neugier versuchten sie eines aus dem andern Geständnisse hervorzulocken und, ängstlich näher zusammenrückend, forschte jedes in sich nach irgendeiner Tatsache, so gleichgültig, nach einem Erlebnis, so nichtig es sein mochte, das für das Unsagbare als Ausdruck gelten, und dessen aufrichtige Beichte sie vielleicht von einer Spannung und einem Mißtrauen befreien könnte, das allmählich unerträglich zu werden anfing. Albertine, ob sie nun die Ungeduldigere, die [8]Ehrlichere oder die Gütigere von den beiden war, fand zuerst den Mut zu einer offenen Mitteilung; und mit etwas schwankender Stimme fragte sie Fridolin, ob er sich des jungen Mannes erinnere, der im letztverflossenen Sommer am dänischen Strand eines Abends mit zwei Offizieren am benachbarten Tisch gesessen, während des Abendessens ein Telegramm erhalten und sich daraufhin eilig von seinen Freunden verabschiedet hatte.
Fridolin nickte. »Was war’s mit dem?« fragte er.
»Ich hatte ihn schon des Morgens gesehen«, erwiderte Albertine, »als er eben mit seiner gelben Handtasche eilig die Hoteltreppe hinanstieg. Er hatte mich flüchtig gemustert, aber erst ein paar Stufen höher blieb er stehen, wandte sich nach mir um, und unsere Blicke mußten sich begegnen. Er lächelte nicht, ja, eher schien mir, daß sein Antlitz sich verdüsterte, und mir erging es wohl ähnlich, denn ich war bewegt wie noch nie. Den ganzen Tag lag ich traumverloren am Strand. Wenn er mich riefe – so meinte ich zu wissen –, ich hätte nicht widerstehen können. Zu allem glaubte ich mich bereit; dich, das Kind, meine Zukunft hinzugeben, glaubte ich mich so gut wie entschlossen, und zugleich – wirst du es verstehen? – warst du mir teurer als je. Gerade an diesem Nachmittag, du mußt dich noch erinnern, fügte es sich, daß wir so vertraut über tausend Dinge, auch über unsere gemeinsame Zukunft, auch über das Kind plauderten, wie schon seit lange nicht mehr. Bei Sonnenuntergang saßen wir auf dem Balkon, du und ich, da ging er vorüber unten am Strand, ohne aufzublicken, und ich war beglückt, ihn zu sehen. Dir aber strich ich über die Stirne und küßte dich aufs Haar, und in meiner Liebe zu dir war zugleich viel schmerzliches Mitleid. Am Abend war ich sehr schön, du hast es mir selber gesagt, und trug eine weiße Rose im Gürtel. Es war vielleicht kein Zufall, daß der Fremde mit seinen Freunden in unserer Nähe saß. Er [9]blickte nicht zu mir her, ich aber spielte mit dem Gedanken, aufzustehen, an seinen Tisch zu treten und ihm zu sagen: Da bin ich, mein Erwarteter, mein Geliebter, – nimm mich hin. In diesem Augenblick brachte man ihm das Telegramm, er las, erblaßte, flüsterte dem jüngeren der beiden Offiziere einige Worte zu, und mit einem rätselhaften Blick mich streifend, verließ er den Saal.«
»Und?« fragte Fridolin trocken, als sie schwieg.
»Nichts weiter. Ich weiß nur, daß ich am nächsten Morgen mit einer gewissen Bangigkeit erwachte. Wovor mir mehr bangte – ob davor, daß er abgereist, oder davor, daß er noch da sein könnte –, das weiß ich nicht, das habe ich auch damals nicht gewußt. Doch als er auch mittags verschwunden blieb, atmete ich auf. Frage mich nicht weiter, Fridolin, ich habe dir die ganze Wahrheit gesagt. – Und auch du hast an jenem Strand irgend etwas erlebt, – ich weiß es.«
Fridolin erhob sich, ging ein paarmal im Zimmer auf und ab, dann sagte er: »Du hast recht.« Er stand am Fenster, das Antlitz im Dunkel. »Des Morgens«, begann er mit verschleierter, etwas feindseliger Stimme, »manchmal sehr früh noch, ehe du aufgestanden warst, pflegte ich längs des Ufers dahinzuwandern, über den Ort hinaus; und, so früh es war, immer lag schon die Sonne hell und stark über dem Meer. Da draußen am Strand gab es kleine Landhäuser, wie du weißt, die, jedes, dastanden, eine kleine Welt für sich, manche mit umplankten Gärten, manche auch nur von Wald umgeben, und die Badehütten waren von den Häusern durch die Landstraße und ein Stück Strand getrennt. Kaum daß ich je in so früher Stunde Menschen begegnete; und Badende waren überhaupt niemals zu sehen. Eines Morgens aber wurde ich ganz plötzlich einer weiblichen Gestalt gewahr, die, eben noch unsichtbar gewesen, auf der schmalen Terrasse einer in den Sand gepfählten Badehütte, [10][11]